Sebastian Vettel: Wo siehst du deine Zukunft?

von Marilena

Motorsport und Nachhaltigkeit – passt das zusammen? Diese Frage hat sich auch Rennfahrer Sebastian Vettel zunehmend gestellt. Bis 2030 will die Formel 1 klimaneutral sein. Zu diesem Zeitpunkt wird Vettel bereits ausgestiegen sein. Denn am 20. November 2022 fuhr er sein vorerst letztes Rennen. Weshalb er seine Karriere in der Formel 1 beendet und wo er seine Zukunft sieht, darüber hat sich Marilena Berends mit dem viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel unterhalten.

Shownotes:

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Sebastian Vettel
► F1 Sustainability Strategy
► IPCC Special Report Global Warming of 1.5 ºC
► Motorsport Week: Aramco deal worth more than $450m to Formula 1
► SPIEGEL: Börsengang von Saudi Aramco: Der wertvollste Klimasünder der Welt
► stern: Dicker als Blut: Wie die Öl-Industrie von Krisenzeiten profitiert 
► F1 Statement of Commitment to Respect for Human Rights
► Medium: An Alternative Calendar Could Cut F1’s Logistical Carbon Emissions by Almost Half

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Redaktionelle Unterstützung: Céline Weimar-Dittmar

Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Schnelle Autos, röhrende Motoren, der Geruch von Benzin. Wer dieses Bild vor Augen hat, denkt vermutlich nicht gerade an Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Das, was Motorsport-Fans so lieben, fordert einen hohen Preis: Rund 260.000 Tonnen CO2 hat die Formel-1 alleine in der Saison 2019 verursacht. Das entspricht dem CO2-Ausstoß von etwa 60.000 PKWs, die ein Jahr lang gefahren werden. Wobei in den Statistiken der Formel-1 nicht mal die Anreise der Fans erfasst wird. Und die werden, auch dank der Netflix-Serie „Drive to Survive“, immer zahlreicher.

Ehrlich gesagt, hat sich mir die Faszination für schnelle Autos, die im Kreis fahren, nie wirklich erschlossen. Ein bisschen besser verstehen konnte ich es allerdings, als ich Rennfahrer Sebastian Vettel kennengelernt habe. Der viermalige Weltmeister ist nicht nur einer der erfolgreichsten Rennfahrer der Formel-1, in den vergangenen Jahren hat er sich auch zunehmend kritisch gegenüber der Branche geäußert. Denn auch, wenn die Formel-1 2019 eine Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt hat, mit dem Ziel bis 2030 klimaneutral zu sein, werden nach wie vor wenige Schritte gegangen, um das Ziel tatsächlich zu erreichen. 

Auch, wenn Sebastian und ich uns vor allem über seinen eigenen Sinneswandel unterhalten haben, ist diese Episode gleichzeitig ein Versuch, den Einfluss der Formel-1 und ihre Verantwortung im Hinblick auf Nachhaltigkeit zu beleuchten. Ebenso, wie die Chancen aufzuzeigen, die in einem Umdenken der Sportindustrie liegen. Denn Millionen von Fans eifern Menschen, wie Sebastian Vettel, nach. Was würde also passieren, wenn mehr Sportlerinnen und Sportler sich öffentlich äußern und Druck auf die Branche ausüben? Könnte damit ein Wandel beschleunigt werden?

Bevor wir in das Gespräch einsteigen, lasst mich noch eins vorweg sagen: Das Thema Nachhaltigkeit ist komplex. In einer Stunde lässt es sich nicht vollständig abbilden. Es gibt viele, um nicht zu sagen zu viele Aspekte im Hinblick auf den Motorsport, auf die näher eingegangen werden sollte und muss. Ich habe mich auch gefragt, ob ich das Gespräch so veröffentlichen kann und habe mich schließlich dafür entschieden. Denn es bietet vor allem einen persönlichen Einblick in ein Leben, das zunehmend von Widersprüchlichkeiten geprägt war. Und die gehören nun mal nachweislich zu unserer Welt dazu. Oder etwa nicht?


Marilena: Herzlich Willkommen Sebastian im Sinneswandel Podcast. Schön, dass wir heute hier sitzen und danke, dass ich bei dir zu Gast sein darf. Denn eigentlich muss man das ja so sagen.

Sebastian: Ja, danke, ich freue mich. Danke schön.

Marilena: Ich glaube, einige der Zuhörerinnen und Zuhörer des Podcasts fragen sich, weshalb jetzt ausgerechnet wir beide hier sitzen. Denn ein bekennender Formel-1-Fan bin ich nicht. Aber, dass wir uns heute hier unterhalten, hat eigentlich auch weniger mit Autorennen selbst zu tun, als vielmehr mit deinem eigenen Sinneswandel. Du hast nämlich am 28. Juli dieses Jahres das Ende deiner Karriere in der F1 verkündet. Deshalb würde mich zunächst interessieren: Wie ist es zu diesem Sinneswandel gekommen, dass dir das, was du lange Zeit getan hast und worüber man dich kennt, jetzt nicht mehr so gefällt?

Sebastian: Ich glaube, es ist weniger die Tatsache, dass es mir nicht mehr gefällt, sondern vielmehr die Tatsache, dass es eben andere Dinge gibt, die in meinem Leben gewachsen sind. Andere Interessen, wie meine Familie. Ich habe drei Kinder. Und ja, der Sport war mein Leben und hat meinen Rhythmus, meinen Tagesablauf bestimmt, solange ich mich erinnern kann. Und er hat ein festes Raster mit sich gebracht: Die Saison geht im Frühjahr los, Januar, Februar, mit den ersten Terminen, den ersten Tests. Dann folgen die ersten Rennen im März und dann geht es Schlag auf Schlag bis in den November, Ende November, Anfang Dezember, teilweise sogar bis kurz vor Weihnachten den letzten Termin. Und dann ist eigentlich Weihnachten, die freie Zeit, und dann hat man ein paar Wochen, wo mehr Ruhe ist und dann geht es wieder los. Ich musste mich in dem Sinn eigentlich nie kümmern und nie sorgen, wie das nächste Jahr aussieht, weil es irgendwie immer weiter ging. Und ich will nicht sagen, ich bin dem in den letzten Jahren entwachsen, ich glaube, das geht ein bisschen zu weit, aber ich glaube, es kommen mehrere Faktoren zusammen. Einerseits bin ich Vater von drei Kindern.

Marilena: Da verändern sich die Prioritäten?

Sebastian: Ja. Und wenn dann das Alter irgendwo erreicht wird von den Kids, dass sie sagen: “Warum musst du gehen? Bleib doch hier!” Und der Abschied mir selber auch sehr schwer fällt, ich glaube, das bewegt einen einfach und macht was mit einem. Ich habe mir sehr viele Gedanken, auch mit Hilfe von außen, darüber gemacht, welcher Typ ich eigentlich bin. Was mich eigentlich so wirklich reizt und am meisten antreibt. Und dann ist es doch der sportliche Erfolg. Also sehr von außen in dem Sinne bestimmt. Und da die letzten Jahre nicht mehr so erfolgreich waren, war ich zwangsweise in einer neuen Situation, mit der ich mich auseinandersetzen musste. Aber ja, ich glaube, es gibt immer Höhen und Tiefen. So kamen dann ein paar Dinge zusammen. Und dazu das Bewusstsein, dass sich hier andere Interessen entwickelt haben.

Marilena: Zum Beispiel? Lernst du nicht Alphorn, oder so ähnlich?

Sebastian: Ja, okay, das ist jetzt vielleicht nicht die größte Priorität in meinem Leben, es geht auch sehr schleppend voran. Aber ja, ich sag mal, über den Sport hatte ich natürlich die Möglichkeit, sehr viele Dinge und Leute kennenzulernen und habe mich dann auch irgendwann mit dem Thema Ernährung auseinandergesetzt  Und so hat es mich in die Landwirtschaft getrieben: Wie werden Dinge angebaut und wie viel gibt man dem Boden zurück? Oder nimmt man eben nur das, was auch sehr viel Potenzial im Positiven haben kann, um den Klimawandel oder die Klimakrise zu bremsen oder aufzuhalten oder umzukehren. Und auch, wenn mein Zugang vielleicht nicht der Logischste war, über die Landwirtschaft, aber dann hängt ja so viel miteinander zusammen. Und so ist eigentlich in den letzten Jahren viel mehr Bewusstsein in mir gewachsen, dass ich Dinge, die ich vielleicht früher gesehen, aber nicht verstanden habe, jetzt verstehe und zusammenführen kann.

Marilena: Die Motorsportwelt ist ja nicht unbedingt eine, in der man zwangsläufig mit Themen, wie Umwelt oder Nachhaltigkeit konfrontiert wird. Eigentlich kann man sich, wenn man die Entscheidungen trifft, durchaus davon fernhalten, von genau solchen Fragen. Was war ein Moment in deinem Leben, es gab vermutlich nicht diesen einen Großen, gehe ich von aus, aber vielleicht mehrere, die dich bewusst haben werden lassen, dass du vielleicht nicht mit allem d’accord gehst?

Sebastian: Ich glaube nicht, dass es nur einen Zugang in dem Sinne gab, sondern eher, dass sich dann auf einmal eine ganze Welt erschlossen hat. Und ich habe dem mehr Raum gegeben. Vor jetzt zwei Jahren, zur Corona Zeit, als die Pause war, habe ich auch ein kleines und Praktikum auf dem Bauernhof gemacht, um das ein bisschen zu vertiefen. Und ich glaube, vor allem das Thema Zukunft, als Vater beschäftigt einen das natürlich, weil man ja möchte, dass die Kinder es genauso gut haben wie man selbst. Dass die Welt, die sie vorfinden, genauso blüht, genauso grün ist, genauso schön ist und sicher ist. Und ja, so hat sich immer mehr ein Bild vor mir aufgetan und wurde immer größer. Und ich muss auch sagen, es wurde dann teilweise so groß, dass es mich erdrückt hat.

Marilena: Welches Bild?

Sebastian: Das Bild von der Zukunft. Wie die Zukunft aussieht, wo die Reise vielleicht in Zukunft hingehen könnte, für uns alle, wenn wir nicht alle unser Bestes geben. In dem Sinne, das in die richtigen Bahnen zu lenken.

Marilena: Wenn man eine Leidenschaft, beziehungsweise bei dir einen Beruf ausübt, der dazu beiträgt, dass sich das Problem verschärft, dann löst das ja auch ein Gefühl von Inkongruenz aus oder vielleicht sogar von Schuld aus, was du vielleicht auch nicht mehr ertragen konntest?

Sebastian: Natürlich. Ich meine, es wurde mir dann immer mehr bewusst. Man landet ja sehr schnell bei sich selbst oder eigentlich als erstes bei sich selbst, das zu hinterfragen. Und das war das erste Mal überhaupt, dass ich das in Frage gestellt habe. ich meine, mir war klar, dass ich vorher keine Menschenleben gerettet habe und immer noch nicht rette damit. Aber meiner Leidenschaft bin ich mein Leben lang nachgegangen. Aber das dann mehr oder kritischer zu hinterfragen, natürlich mit den Dingen, die mir dann klar geworden sind, was die Zukunft angeht und auch die Ängste, die damit zusammen verbunden waren und sind, zu hinterfragen: “Was mache ich eigentlich, wie bewege ich mich fort, was kann ich eigentlich besser machen?” Okay, das Fahren in dem Sinne kann ich nicht verändern. Ich kann nicht das Reglement umschreiben, aber ich kann die Dinge kontrollieren, die in meinen Händen liegen. Wie ich anreise, und so weiter. Aber dann wurde mir auch klar, dass ich einen Unterschied machen kann, aber das große Ganze gar nicht so im Griff hatte. Dann bin ich sehr schnell bei der Frage gelandet: “Ist das noch in Ordnung? Sollte ich das noch weitermachen?” Und teilweise hat mich das sehr beschäftigt, teilweise sehr fertig gemacht, sodass ich nicht schlafen konnte. Was glaube ich, normal ist, wenn man sich so fragt: “Sollte ich noch hier sein? Macht das noch einen Sinn? Macht mir das noch Spaß?”

Marilena: Du hast dich ja auch immer wieder kritisch geäußert. Und, dass die Medien das dann abbilden, um dich kreisen, das veröffentlichen, das hat ja auch dazu geführt, dass Menschen sich eine sehr starke Meinung darüber bilden, ob das jetzt richtig oder falsch ist, dass du solche Aussagen triffst. Als Person, die diesen diesen Sport betreibt, der nicht gerade dafür bekannt ist, Menschenrechte zu fördern, zum Beispiel LGBTIQ, Rechte oder eben besonders nachhaltig zu sein. Heuchelei wurde dir in den Medien vorgeworfen. Wie siehst du das?

Sebastian: Ist es ja auch, zu einem Teil. Ich meine, es ist ja genau der Konflikt, den ich auch im Kopf in gewisser Weise mit mir rumgetragen habe, gerade, was das Thema angeht. Ich glaube, um das Thema Menschenrechte weniger, dass ich selber gedacht habe, dass von mir gedacht wird, dass das nicht zusammenpasst. Ich glaube schon, dass ich in der Hinsicht eine gesunde Einstellung dazu habe, wie man mit Leuten umgeht.

Marilena: Trotzdem bist du ja Teil eines Systems.

Sebastian: Absolut. Aber ich meine ganz individuell. Aber die andere Seite ist eben, wenn man sieht, was die Gefahren in Zukunft angeht und wo die Reise hingehen könnte für uns alle und wie viel von der jetzigen Welt aufs Spiel gesetzt werden kann oder wird. Ja klar, es ist ja auch gerechtfertigt, wenn die Leute mit dem Finger auf mich zeigen und sagen: “Wieso sollte man ihm glauben? Gerade er, aus der Welt, verbläst Ressourcen zum Spaß haben oder um Leute zu unterhalten.” Und das stimmt auch. Am liebsten wäre es mir, wenn es nicht so wäre, dann müsste ich das nicht mit mir herumtragen. Denn ich glaube, der Tag, an dem mir das klar geworden ist, war nicht der fröhlichste Tag im Kalender. Im Gegenteil. Aber da ich ein Optimist bin und sehr lösungsorientiert bin, habe ich mir direkt die Frage gestellt: Was kann ich tun? Alles kann ich nicht kontrollieren. Ich kann nicht das Reglement ändern. Ich kann nicht sagen, die Formel 1 findet nur noch auf einer Rennstrecke statt, damit niemand mehr reisen muss. Das nimmt natürlich auch den Reiz. Dann ist auch die Frage, gewisse Dinge lassen sich optimieren, aber gänzlich verbieten oder wegnehmen kann man sie auch nicht. Man kann nicht von einer Weltmeisterschaft sprechen, wenn sie nur an einem Ort ausgetragen wird.

Marilena: Gleichzeitig kannst du aber Druck ausüben.

Sebastian: Das hat sich eigentlich eher ergeben, dass Leute mich nach meiner Meinung gefragt haben. Vielleicht habe ich mich früher einfach enthalten oder sie nicht in der Tiefe beantwortet. Aber ich finde das sehr spannend. Die Leute von außen haben ein Bild von mir und man “kennt mich”, aber so wirklich kennen, tun die Leute mich nicht. Und das ist auch bewusst so, weil ich eben immer eine gewisse Schutzwand um mich herum aufgebaut oder aufrecht stehen habe lassen. Gerade zum Schutz meines Privatlebens und damit meiner Frau und vor allem meinen Kindern. Natürlich werde ich hier oder da erkannt, aber ich mache alles, worauf ich Lust habe. Also, dieses was Besonderes sein oder speziell sein oder berühmt sein wollen, ich weiß ich nicht warum manche Leute da total drauf abfahren. Mich hat das noch nie getriggert. 

Marilena: Rennfahrer sein ist ein großer Teil deiner Identität bis heute und wird es vermutlich auch bis zu einem gewissen Grad bleiben. Aber hast du manchmal auch Angst davor, vielleicht sogar in ein Loch zu fallen, wenn jetzt die Formel eins Karriere beendet ist? Oder siehst du es primär als große Chance, dich neu zu entdecken oder wiederzuentdecken?

Sebastian: Wenn ich ganz ehrlich bin, beides. Und weil ich eben so viel darüber nachgedacht habe, bis ich gemerkt habe, es gibt jetzt mehr Gründe für mich aufzuhören oder einen Strich zu ziehen und Neues zu entdecken. Aber natürlich habe ich mir auch Gedanken darüber gemacht oder Angst davor, was ist, wenn ich in diesem neuen Leben nicht klarkomme, wenn ich scheitere. Auch wenn ich sehr interessiert bin und neugierig und viele Fragen stelle und mich für viele Dinge begeistern kann und zu Hause mit den Kindern immer was los ist. Eigentlich hat sich viel angehäuft. Trotzdem stellt man sich die Frage: Ist das wirklich ausreichend? Erfüllt mich das? Werde ich damit glücklich oder sehne ich mich dann zurück? Und komme ich dann zu dem Punkt, dass ich sage, ich habe einen Fehler gemacht, aufzuhören? Letzten Endes bin ich an dem Punkt gelandet, dass ich die Antwort darauf nicht finden kann. Nur der Mut ins neue Leben wird mir zeigen, ob die Entscheidung in dem Sinne auch richtig war. Aber ich glaube, das ist auch ganz normal. Ich denke, es ist auch ein Zeichen dafür, dass ich das sehr liebe. Es ist ja nicht so, als hätte ich mein ganzes Leben lang das gemacht, was ich jetzt zutiefst bereue. Ganz im Gegenteil.

Marilena: Eigentlich muss man ja sagen, dass euer Beruf nicht unbedingt auf den vorderen Plätzen steht, die besonders zukunftsfähig sind. Und ihr wollt ihn ja eigentlich erhalten. Könnten sich Rennfahrer innen nicht noch mehr solidarisieren?

Sebastian: Ich glaube, das könnten wir. Und ich denke, das wäre sehr gut. In der Formel 1 ist die Gemeinschaft teilweise gut, teilweise nicht so gut. Und zwar aus dem Grund, dass doch jeder sehr isoliert in seiner Mannschaft, in seinem Team ist, ein bisschen abgekapselt. Wir haben nicht viele Berührungspunkte. Außer am Wochenende auf der Strecke vielleicht, aber sonst wenig Zeit, die wir in dem Sinne zur Verfügung haben oder miteinander verbringen. Ich will nicht unfair sein, aber es kommt natürlich auch darauf an, wie weit man sich davon berühren lässt, von dem, was in der Welt passiert. Ob das jetzt Ungerechtigkeit sein mag oder die Klimakrise, die Zukunft. Ich will den anderen nicht zu nahe treten, aber ich glaube, man findet ein sehr gutes, ohne sich groß zu kümmern, was links und rechts passiert.

Marilena: Hat das auch  mit dem Druck zu tun, der auf den Rennfahrern liegt? Mit dem Bild, das die Rennfahrer glauben erfüllen zu müssen?

Sebastian: Das Bild erfüllen, vielleicht einerseits, aber ich glaube vielmehr, man rutscht da einfach rein. Ich meine, man ist das ganze Jahr unterwegs, man reist sehr viel. Man möchte ja auch erfolgreich sein. Und was steckt hinter dem Erfolg? Das ist sehr viel mehr, als sich vielleicht zweimal im Jahr aufs Rad zu setzen und dann zu sagen: “Jetzt geht’s zur Tour de France, weil Radfahren macht mir Spaß!” Es wird ja alles akribisch geplant und da steckt eben viel mehr dahinter. Und ich glaube, dass wir in der Hinsicht jetzt nicht am körperlichen Limit operieren müssen, um sportlich unsere Leistung zu bringen. Ich weiß es ist ein sehr komfortables Leben in dem Sinne. Und dann kommt eins zum anderen. Und wenn man die Dinge nicht so an sich heranlässt, weil man zu sehr im Tunnel ist – vielleicht war ich das auch selber früher und habe das nicht so wahrgenommen. Und dann gibt es auch nicht so viele Mitstreiter, die ähnlicher Meinung sind oder so weit gehen, dass sie sich selbst hinterfragen.

Marilena: Also die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann mal eine “Formel 1 For Future“ gibt, siehst du als nicht so groß?

Sebastian: Wer weiß. Ich glaube, es ist eine Frage des Bewusstseins. Ich meine, wir reden ja auch in unserer Gesellschaft darüber, dass Leute noch gar nicht so richtig verstehen, was überhaupt das Problem ist. Man redet zwar von von Dürre und Hitze, weil es gerade warm ist, aber ich glaube, dass das große, breite Verständnis, dass es da wirklich einen Zusammenhang gibt mit der Art und Weise, wie wir alle leben – gerade im Westen – dass es da viele gibt, die das noch nicht so nicht so verstanden haben. Und ich glaube, man muss dann nicht unbedingt nur mit dem Finger auf die Formel 1 zeigen und auch nicht nur auf den Sport, da gibt es auch Leute, die, ohne das zu werten, ein ganz gewöhnliches Leben haben und da noch weit weg von sind.


Sebastian hat in dem Punkt Recht, dass es noch immer viele Menschen gibt, die sich der Dringlichkeit der Klimakrise nicht ausreichend bewusst sind. Oder sich zumindest nicht  mitverantwortlich fühlen. Allerdings ist es ein Unterschied, wenn sich Menschen, wie Mohammed Ben Sulayem, Präsident der FIA, der Dachverband der Formel 1, vor dieser Verantwortung drücken. Das Ausmaß der Verantwortungslosigkeit, wenn man in einer Schlüsselposition des weltweiten Automobilsports sitzt, ist ein ganz anderes. Auch, wenn der Einfluss von uns als einzelnen Bürger*innen nicht zu unterschätzen ist, bedeutet es nicht, dass die Verantwortung gleichermaßen aufgeteilt ist. Wer Macht beansprucht, weil er in Machtpositionen sitzt, hat dieser Position gerecht zu werden. 


Sebastian: Also ich glaube, da gibt es noch sehr viel Potenzial. Und letzten Endes ist es wie in der Schulklasse, es ist ein Schnitt durch die Gesellschaft. Und so ist es bei uns in gewisser Weise auch. Es sind 20 verschiedene Fahrer, 20 verschiedene Typen.

Marilena: Allerdings haben sie eine sehr große Reichweite. Wenn man die 20 Formel 1 Rennfahrer, von denen, die Instagram haben – du hast es ja mittlerweile auch – die Follower zusammenzählt, dann kommt man auf 100 Millionen. Das ist ja schon ein ganzes Sümmchen. Und ich weiß nicht, ob der Durchschnitt der Menschen auf der Welt Millionen von Followern hat. Mir geht es gar nicht darum, das zu kritisieren. Mir geht es eher darum, dass darin ja auch eine Chance liegt. Das lässt sich nicht nur auf die Formel 1 beziehen, sondern auf den Sport generell, dass da ein großes Potenzial liegt. Also auch darum, wenn es darum geht, Vorbild zu sein. Sportler*innen sind für Menschen, Leute, denen sie nacheifern. Wie siehst du das? Könnte darin nicht ganz viel Potenzial liegen?

Sebastian: Natürlich ist die Reichweite sehr groß. Wir fahren fast überall auf der Welt, in vielen Ländern, und erreichen sehr viele Leute. Und damit ist auch die Chance riesengroß, auf Dinge aufmerksam zu machen, die wichtig sind. Die Chance ist auf jeden Fall da. Und mit so viel Reichweite, finde ich, ist auch extrem viel Verantwortung gebunden für unseren Sport. Aktuell verblasen wir Ressourcen. Ich bin der Meinung, das ist jetzt keine super futuristische Meinung, dass die Zukunft fossilfrei sein muss. Und dann ist die Frage, welche Rolle kann der Motorsport einnehmen, dass er nicht verschwindet, in den Hintergrund gedrängt wird, weil er keinen Platz mehr hat. Das wäre sehr schade, weil er mir am Herzen liegt. Im Gegenteil, ich bin eher der Meinung, man müsste vor der Welle sein und nicht nur reagieren auf ein bisschen Druck von außen. Sondern sich selber so hohe Ansprüche stellen, dass man alles dafür gibt und auch bereit ist, letzten Endes auf Umsatz oder Profit zu verzichten, um das in die richtigen Bahnen zu lenken. Was die Zukunft angeht, ich glaube, dass Elektromobilität kommt, kommen muss, ist keine Frage mehr. Dass es andere Lösungen geben wird, wie Wasserstoff, ist auch keine Frage. Dass es vielleicht noch irgendetwas anderes in Zukunft geben wird, das wir noch nicht kennen, dem sollten wir uns auch nicht verschließen. Dass wir so weitermachen wie bisher, das ist einfach nicht mehr drin, weil die Gefahren und die Risiken uns bekannt sind. Und dann hört das ja nicht nur bei uns auf. Der Anteil der Emissionen, die wir beim tatsächlichen Fahren oder Testen verursachen, sind sehr gering, im Verhältnis zu dem ganzen Zirkus.


Das stimmt allerdings! Lediglich 0,7 Prozent der gesamten CO2-Emissionen der Formel-1 lassen sich auf die Rennen selbst zurückführen. Dennoch setzt die Formel-1 in Punkto Nachhaltigkeit vor allem auf die Forschung und Entwicklung effizienter Verbrennungsmotoren und nachhaltiger Treibstoffe. Zwar wird es ohne technische Innovationen nicht möglich sein, Net Zero zu erreichen, mit neuer Technik allein, das haben Wissenschaftler*innen im letzten IPCC-Bericht wieder klar gemacht, wird es auch nicht gelingen.

Offen ist ja aber auch noch die Frage: Wenn der Löwenanteil der Emissionen nicht auf der Rennstrecke verursacht wird, wo dann? Das lässt sich leicht beantworten: Drei Viertel des CO2 entsteht durch die Logistik, also beim Transport etwa von Autos und Reifen. Denn zu den 22 Rennen, die in einer Saison und auf dem gesamten Erdball verteilt stattfinden, muss schließlich alles transportiert werden – natürlich auch die Fahrer und das Team. Deren Business-Trips machen weitere 27 Prozent der Emissionen aus. Der verbleibende CO2-Ausstoß lässt sich auf die benötigte Infrastruktur, wie Bürogebäude, aber natürlich auch die Organisation der Events zurückführen. Bei letzterem ist die Anreise der Fans übrigens nicht mit eingerechnet.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Auch, wenn die Formel-1 bereits einiges getan hat, um, sagen wir mal “grüner” zu werden, lässt sich bezweifeln, dass sie es mit den noch geplanten Schritten schaffen wird. Vor allem, wenn man die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und Konzernen bedenkt… 


Sebastian: Ich meine, es gibt natürlich das Problem, dass es unheimlich viel Energie benötigt, um synthetische Kraftstoffe herzustellen. Es ist nicht die effizienteste Form der Energieumwandlung oder -verwertung. Aber wir können nicht von heute auf morgen den Hahn abdrehen, das geht auch nicht. Es wäre zwar schön, aber das geht natürlich nicht, weil wir viel zu abhängig davon geworden sind. 

Marilena: Von Aramco meinst du?

Sebastian: Ohne jetzt den Namen zu nennen, aber ich sage mal, natürlich sind wir mit allem, was wir konsumieren, so wie wir leben – nicht nur die Leute, die Auto fahren und das noch zum Spaß, auch sonst – darauf angewiesen. Ich glaube, keine Industrie ist davon verschont. Aber trotzdem müssen wir natürlich alles dafür tun, dass wir die Brücke schaffen, hin zu der Zukunft, die wirklich den Kreislauf schließt. Und da sehe ich die Chance, dass die Formel eins sich vorne positionieren kann und nicht ständig nur hinterher rennt. 


Die spannende Frage ist natürlich: Kann die F1 überhaupt klimaneutral werden, wenn sie auch finanziell an fossile Energieträger, wie Aramco, gebunden ist? Der saudische Ölgigant, dessen Namen nicht genannt werden darf“ – zumindest von Sebastian. Denn Aramco ist nicht nur der drittgrößte börsennotierte Ölkonzern der Welt, sondern auch Titelsponsor von Aston Martin, dem Rennstall, dem auch Sebastian angehört. Also sein Arbeitgeber. Ein guter Deal für die Formel-1, der ihnen umgerechnet rund 535 Millionen Euro einbringt  Für das Klima allerdings kein gutes Geschäft, wenn man bedenkt, dass Aramco mit rund 60 Gigatonnen CO2, die es zwischen 1965 und 2017  in die Atmosphäre geblasen hat, für fast 4,4 Prozent aller nicht natürlichen Emissionen weltweit verantwortlich ist. Natürlich kündigte Aramco, wie eine Reihe anderer Ölkonzerne, 2021 an, sich zur Netto-Null bis 2050 zu verpflichten. Laut einer Analyse des Think Tanks Carbon Tracker reichen die Pläne aber bei weitem nicht aus. Denn eigentlich müsste Aramco, um “Netto-Null” zu erreichen,  die fossilen Rohstoffe in der Erde lassen. Und das entspricht natürlich nicht ihrem Geschäftsmodell. Daher besteht auch ein großer Teil der geplanten Maßnahmen zur CO2-Reduzierung im Kauf von CO2-Kompensationen, mit denen sich Aramco erhofft, freikaufen zu können.

Zwar kündigte Aston Martin an, durch die Partnerschaft mit dem Ölkonzern auch gemeinsam die Forschung nachhaltiger Treibstoffe voranzutreiben. Das allein dürfte jedoch keinesfalls die diversen Kritikpunkte aufwiegen, die sich noch nennen ließen. Wie zum Beispiel, dass Aramco, wie kein anderes Unternehmen weltweit, massiv von den globalen Folgen für den Energiemarkt des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine profitiert. Allerdings überrascht das wenig, wenn man sich der Menschenrechtslage im autoritär regierten Saudi-Arabien bewusst ist. Es gibt keine Wahlen, Opposition und Kritik werden schwer, zum Teil mit Todesurteilen, bestraft. Die Lage im Land hat die Formel 1 allerdings nicht davon abgehalten, Saudi-Arabien in den Kreis der Ausrichter Länder aufzunehmen. Und das, obwohl es von der Formel-1 eine Verpflichtungserklärung zur Achtung der Menschenrechte gibt. Auf Anfragen der Deutschen Welle, warum man in Saudi-Arabien dennoch Rennen abhält, gab die Formel-1 bislang keine Antwort.


Sebastian: Letzten Endes hängt es immer am Geld, dazu bereit zu sein, auf einen gewissen Teil des Profits zu verzichten und den dort reinzustecken, wo er zumindest nicht so schädlich oder nicht so einen großen Fußabdruck hinterlässt. Oder im Gegenteil, die Leute  auf diese Reise mitnehmen und sich selber kritisch hinterfragen und das, was, was passiert, versucht, besser zu machen.

Marilena: Ich würde sagen, eigentlich sind der Formel 1 die Hände gebunden, zumindest in dem Sinne kann sie sich gar nicht kritisch äußern oder zukunftsfähig aufstellen, weil sie von Sponsoren abhängig ist, die nicht besonders zukunftsfähig sind und das Problem verschärfen, wenn es um die Klimakrise unter anderem geht. Wäre es nicht auch eine Chance, nachhaltige Pionierunternehmen als Sponsoren zu gewinnen? Davon gibt es mittlerweile diverse.

Sebastian: Absolut. Aber der Grundsatz wäre eben: Geld ist nicht gleich gleich Geld. Sondern: Wo kommt das Geld her? Bzw. für was steht es? Ja, ich glaube, da ist noch ein Weg zu gehen. Und wie gesagt, von heute auf morgen lässt es sich nicht gänzlich ändern. Aber wir müssen. Wir hätten schon gestern anfangen sollen und dann sollten wir zumindest heute anfangen und spätestens morgen. Aber nicht auf übermorgen und nächste Woche und nächstes Jahr verschieben, sondern jetzt anfangen. Egal, ob klein oder groß. Natürlich machen die großen Schritte deutlich mehr Sinn, aber auch die “low hanging fruits“.

Marilena: Was sind das?

Sebastian: Zunächst wäre es, den Kalender sinnvoll zu gestalten. Also nicht ein Rennen mitten in der Saison, dann in Amerika oder in Kanada auszutragen, dass alles dorthin geschickt werden muss, wie die Autos.


Klar, das nachhaltigste Rennen ist das, was nicht stattfindet. Nichtsdestotrotz ist eine Umgestaltung des Rennkalenders nicht zu unterschätzen. In der Saison 2022 sah der nämlich wie folgt aus: Von Saudi Arabien aus, wo im März gefahren wird, geht es für die gesamte Formel 1 in das knapp 13.000km Luftlinie entfernte Australien. Danach geht es, ist doch ganz logisch, nach Italien. Das sind ja auch nur 16.000km mit dem Flugzeug. Und wer denkt, wir bleiben jetzt in Europa, der täuscht sich. Denn das nächste Rennen findet im Mai in Miami statt. Und erst danach geht es wieder zurück nach Europa, nämlich nach Spanien. So kommt man, bei 22 Rennen, ich habe das mal für euch ausgerechnet, auf etwas mehr als 121.000km Luftlinie, die zurückgelegt werden. Und wir erinnern uns, nicht nur die Fahrer müssen an die Orte transportiert werden, auch das ganze Material und die Teams. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass hier die meisten Emissionen entstehen. Und dementsprechend wären auch große Einsparungen möglich. Berechnungen zufolge könnte die Formel-1 ihre CO2-Emissionen aus der Logistik um bis zu 46 Prozent senken, wenn sie ihren bereits für 2023 geplanten Kalender dahingehend umgestalten würde, dass kürzere Strecken zurückgelegt werden. Der alternative Kalender würde damit den gesamten CO2-Fußabdruck der Formel-1 um mehr als 10 Prozent verringern. Noch nachhaltiger wäre es jedoch, würden die Organisatoren, statt wie geplant zwei weitere Rennen für die kommende Saison einzuplanen, sodass es nun 24 insgesamt sind, die Anzahl reduzieren. Aber weniger Rennen bedeutet natürlich auch weniger Einnahmen.


Sebastian: Den Kalender besser anzuordnen, macht total Sinn. Die Frage ist aber, ist der sinnvollste Kalender, was den Fußabdruck des Reisens und der Logistik angeht, auch der Kalender, der ja am meisten Geld generieren kann? Und da ist das Interesse im Moment noch klar bei dem meisten Geld gesetzt. Aber solche Dinge sind natürlich am sinnvollsten, die direkt anzugehen.

Marilena: Wie siehst du das denn, was den kulturellen Wandel angeht? Weil das spielt ja, wenn es um Nachhaltigkeit geht, auch eine Rolle. Zum Beispiel, wer in Führungspositionen sitzt. Der Präsident des Welt Automobil Verbandes (FIA), der hat zwar gesagt, dass er sich für die Zukunft einsetzen möchte und sich auch mehr Fahrer wünscht, die sich dafür einsetzen und das Engagement fördern möchte. Aber, wenn man gleichzeitig sieht, dass immer noch Rennen in Ländern gefahren werden, in denen Menschen, die z.B. nicht heterosexuell sind, der Todesstrafe ausgesetzt sind, dann wirkt das nicht wirklich integer. Was denkst du, was für eine Chance liegt in einem kulturellen Wandel? Wenn Führungspositionen anders besetzt werden, zum Beispiel diverser aufgestellt sind, wenn dort ein Sinneswandel stattfinden würde?

Sebastian: Die Formel 1 hat natürlich eine sehr große Wirkung nach außen. Das heißt, sie erreicht sehr viele Leute. Und wenn bei uns zu sehen ist, dass wir diverse aufgestellt sind, dann hätte das eine sehr große Strahlkraft nach außen. An den Punkt glaube ich, bis es so weit kommt, das sehe ich ein bisschen komplizierter. In dem Sinne, dass – so habe ich das in meiner Zeit zum größten Teil erlebt – nach Talent gesourced wird. Und wie Talent überhaupt erkannt wird, das ist, glaube ich, der Schlüssel. Dass wirklich auch jeder, egal wo er herkommt und egal wie er aussieht und egal wen er liebt, die gleichen Chancen bekommt. Wir wissen, dass noch nicht so weit ist, dass es da noch viel zu tun gibt.

Marilena: Hast du denn den Eindruck, dass die Formel 1 sich dem Druck bewusst ist, der wahrscheinlich auch noch größer wird, der von außen kommt, der sich einen Wandel wünscht?

Sebastian: Ich glaube, der Druck ist noch nicht groß genug.  Im Moment kommt man noch damit, ein bisschen was in eine Kampagne zu stecken, ein bisschen was zu tun und ein bisschen was zu sagen, ohne sich groß dafür erklären zu müssen. Oder noch besser, ohne mit Konsequenzen leben zu müssen. Wenn die Formel 1 sich auf den Deckel schreibt, “klimaneutral bis 2030”, dann finde ich das ein tolles Ziel. Natürlich wäre es mir lieber, wenn das schon nächstes Jahr wäre. Aber natürlich ist es auch so, dass in 2030 die Rennen international ausgetragen werden, dass 2030 das ganze Material und die Autos verschifft werden, dass die Leute hinterher reisen. Es wäre toll, wenn wir bis dahin solch ein System hätten, das alle Kreisläufe schließt. Ich glaube, dass dies nicht der Fall sein wird, leider. Dann ist die Frage, wie komme ich dann trotzdem auf Net Zero? Und dann bin ich eigentlich sehr schnell bei den Systemen, sich freizukaufen oder mir Zertifikate ausstellen zu lassen, dass ich das Klima unterstützende Projekte investiere. Da ist aber die Frage, wer kontrolliert wen? 

Marilena: Apropos Kontrolle, weil wir uns ja gemeinsam diesen Nachhaltigkeitsreport der Formel1 angeschaut haben. Der sieht ziemlich beeindruckend aus. Aber ich glaube, eine der größten Gefahren besteht darin, tatsächlich gar nicht zu kontrollieren und sich darauf auszuruhen. Vielleicht auch zu sagen, die Formel 1 macht das schon. Und ich glaube, weil du meintest, der Druck sei noch nicht groß genug, dass es noch mehr Druck von außen braucht. Vor allem von Menschen, die diese Leidenschaft teilen, die diesen Sport gut finden. Aber gleichzeitig merken, da ist noch nicht genug Besorgnis, da ist noch nicht genug Wille, Vorreiter zu werden oder überhaupt erst mal aufzuholen. Wird man dich jetzt, um vielleicht langsam den Bogen zu schließen und wieder zu dir zurückzukommen, wird man dich jetzt an der Rennstrecke mit Plakaten sehen? Ganz vorne bei Fridays For Future? Oder wirst du die Formel 1 erst mal ganz zurücklassen und dich komplett auf andere Dinge konzentrieren? Oder wirst du weiterhin Druck ausüben?

Sebastian: Im Moment weiß ich nicht, was die genaue Antwort ist oder wie ich es genau ausdrücken soll, weil ich noch keinen konkreten Plan habe. Aber ich glaube, dass ich die letzten Jahre schon sehr viel Spaß daran hatte, mich einzubringen, meine Meinung zu äußern, wenn ich das Gefühl hatte, dass es hilft, bzw., dass es sinnvolle Dinge sind, zu denen ich Stellung nehme. Und ich kann mir schon vorstellen , in Zukunft da weiter anzusetzen. Ich bin mir des Glückes, in dem ich irgendwie groß geworden bin und der Möglichkeiten, die ich habe, bewusst. Und möchte das auch so weit nutzen, die Reichweite oder die Möglichkeiten, dass ich Leuten helfen kann. Vielleicht sind es manchmal ganz kleine Dinge, vielleicht sind es größere Dinge, um das Licht auf die Formel 1 zu werfen. Ich glaube, die Chancen sind riesig, weil die Formel 1 so viele Leute erreicht. Und ich glaube, dass die Formel 1 mehr tun kann. Die Frage ist, wie weit man bereit ist, auf ganz hoher Ebene, sprich Investoren oder den Leuten, denen die Formel 1 gehört, dass die sagen: Wir sind wirklich davon überzeugt und sehen, dass dort, auch was das Geschäft angeht, ein Riesenpotenzial liegt. Dass die sagen, wir sind die ersten, die einen besseren oder neuen Weg einschlagen, um dann auch die ersten zu sein, die davon profitieren. Um das bestehende System, das ja herrscht, von dem man den Eindruck hat, das wird bis in den Sonnenuntergang geritten und bis die Sonne untergegangen ist, so umzumünzen, dass man es durchaus zum Positiven drehen kann. Ich glaube, es wäre schön, wenn sich das System ändern würde über Nacht. Aber das ist, glaube ich, zu schwer, weil es den Konsens von allen braucht. Und das ist sehr, sehr schwierig zu erreichen.

Marilena: Das System Kapitalismus?

Sebastian: Ja, das im erweiterten Sinne. Und im kleinen Sinne, glaube ich, funktioniert die Formel 1 genauso. Das sie eben ein großes Geschäft und natürlich Profit gesteuert. Und man kann sich das auch alles herleiten, warum das so ist. Es ist das System, das wir haben. Aber die Frage ist: Ist es das sinnvollste und das gesündeste? Bzw. macht es so viel Sinn, wenn es um die Zukunft geht? Auch wenn die zwei Themen vielleicht heute so weit voneinander weg sind, wie sie nur sein können, und das erste, woran man denkt, wenn man mich darüber sprechen hört, dass mir die Zukunft und unsere Welt nahe liegt, ist wohl: “Er hat gut reden! Was macht er denn den ganzen Tag?” Vielleicht ist das auch gerade das Interessante, aber vielleicht ist das auch unsere Chance als Motorsport oder als Formel 1 damit voran zu fahren und nicht hinterher zu rennen.

Marilena: Wenn man viel im Leben gesehen und erlebt hat, dann ist es wahrscheinlich leichter, die Entscheidung zu treffen, auf bestimmte Dinge zu verzichten. Und es ist leichter, sich die Zeit für Dinge zu nehmen, sich dafür einzusetzen. Auf der anderen Seite ist es, finde ich, gerade in unserer Gesellschaft nicht so einfach Fehler einzugestehen oder auch allein schon die Meinung zu ändern. Zu sagen, ich habe das lange Zeit das Problem nicht gesehen, war mir dessen nicht bewusst oder wollte es vielleicht auch so gar nicht sehen. Und dann öffentlich dazu Stellung zu beziehen und sagen: Ich sehe das jetzt anders. Das ist ja auch nichts, was bei uns, finde ich, in der Gesellschaft ganz selbstverständlich ist?!

Sebastian: Ja, absolut. Ich glaube, die Vorbilder sind ganz wichtig, Vorbilder zu haben. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Aber was man natürlich macht, ist, man stellt die Vorbilder dann imaginär auf ein Podest. Aber niemand ist perfekt und auch die Vorbilder machen Fehler. Das ist gar nichts Schlimmes, sondern ist, auch aus eigener Erfahrung im Sportlichen, einfach das Leben. Oftmals sind es Fehler, die einen weitergebracht haben. Oder die Dinge, wenn man Mist gebaut hat oder wenn man falsche Entscheidungen getroffen hat. Und das dann wieder geradezubiegen oder da rauszukommen aus dem Loch, ist es, was einen viel mehr prägt, als wenn es läuft. Wenn man in so einem Tunnel ist und im Flow, in diesem Zustand, dass einfach alles zu gelingen scheint. Man muss, glaube ich, nur den Mut haben, sich zu drehen oder woanders hin zu blicken und die nächste Tür aufzumachen. Und das ist manchmal einfacher und manchmal passiert das ganz automatisch und manchmal ist es auch schwieriger. Aber die Vorbilder müssen auch den Mut haben, statt nur das Perfekte zu zeigen, auch die ganzen kleinen Sachen zu zeigen. Oder auch die zu erwähnen, die nicht perfekt sind. Die ganzen Talfahrten. Auch wenn man sportlichen Erfolg hat, heißt das nicht, dass man glücklich ist. Auch wenn man erfolgreich ist oder viel Geld verdient, heißt das nicht, dass man automatisch glücklich ist.

Marilena: Ich sehe schon den neuen Podcast von Sebastian Vettel mit den Vorbildern, die von ihren Fehlern im Leben berichten – “Failing at Life” mit Sebastian Vettel.

Sebastian: Ich finde das sehr spannend, weil die Leute, die ich getroffen habe, sind weit weg von perfekt. Und man hat von außen immer die Vorstellung gehabt, sie seien so perfekt. Und alles ist so einfach. Die Leute sehen unheimlich gut aus oder haben alle Rennen gewonnen. Und dann merkt man aber doch sehr schnell, dass manche Dinge dann nicht so gut passen oder sie haben große Probleme in anderer Hinsicht. So einfach ist das Leben eben einfach nicht.

Marilena: In deinem Abschieds-Video sagst du: “Mein bestes Rennen liegt noch vor mir.” Worauf freust du dich am meisten, wenn die Saison beendet ist? Was wirst du auch als Erstes nicht tun?

Sebastian: So habe ich das noch nicht gesehen, dass ich mich auf etwas freue, nicht mehr zu tun. Wenn ich das beantworte, dann ist es das Reisen, dieses ins Flugzeug zu steigen und wegfliegen zu müssen. Das wird mir wahrscheinlich nicht fehlen. Sonst ist es eher darauf bezogen, worauf ich mich freue, auch wenn man nicht weiß, was es ist. Und ich fände es schade, wenn ich mit 35 in meinem Leben stehe und sage: Die schönste Zeit meines Lebens ist vorüber. Wenn es mir gut geht und ich gesund bleibe, dann habe ich ja vielleicht noch 35 Jahre oder mehr Jahre mit hoffentlich guter Qualität vor mir. Wie schade wäre es zu sagen, diese 35 Jahre kommen nicht an die letzten 35 Jahre heran. Das heißt nicht, dass ich noch fünfmal Weltmeister werde, in den nächsten 35 Jahren in der Formel 1. Es gibt so viele Dinge, die mir so viel bedeuten können. Ob sie dann die gleiche Strahlkraft nach außen haben? Wahrscheinlich nicht. Dass ich morgen was finde, in dem ich genauso gut bin wie im Motorsport oder als Rennfahrer? Wahrscheinlich nicht. Worauf ich mich am meisten freue, ist erst mal einfach Zeit zu haben, für zu Hause. Für die ganzen Dinge, die Bücher, die liegengeblieben sind, die Dinge, die zu Hause sich alle angestaut haben, einfach Zeit mit den Kindern zu verbringen. Dass das aber auch nicht meine zentrale Aufgabe sein wird und sein kann, ist mir klar. Es ist nicht so, dass ich sage: Jetzt bin ich Helikopter-Vater und jeden Tag kreise ich um die Kinder. Im Gegenteil, ich möchte, dass sie ihre eigenen Erfahrungen machen und auf eigenen Füßen stehen und ihre Fehler machen können. Und hoffentlich sich trauen, darüber zu sprechen, weil wir das so vorleben. Ich finde es sehr spannend, neue Dinge auszuprobieren. Wie zum Beispiel das Alphorn. Mein Talent scheint doch eher begrenzt, aber es macht Spaß, es auszuprobieren und mich zu entdecken. Ich wünsche mir den Mut, dem nachzugehen, egal was es sein mag und egal, was andere Leute davon halten oder darüber denken.

Marilena: In Anbetracht dessen, dass dir Zeit sehr wertvoll ist, zu Recht, danke, dass du dir die Zeit für uns und für dieses Gespräch genommen hast. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute.

Sebastian: Danke dir. Danke.


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