Die kleinen, weißen Stöpsel im Ohr sind omnipräsent. Auch ich greife oft reflexhaft zu meinen AirPods, sobald ich aus dem Haus gehe. Wir hören Musik, Podcasts, telefonieren – überall. Hauptsache, es ist nie ganz still. Aber warum eigentlich? Was macht dieses permanente Grundrauschen mit uns – mit unserer Wahrnehmung und dem Miteinander?
Shownotes:
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► Statista: Unit shipments of headphones worldwide from 2013 to 2024
► The New Yorker (2016): Headphones Everywhere
► Byung-Chul Han (2019): Vom Verschwinden der Rituale. Eine Topologie der Gegenwart
► Georg Simmel (1903): Die Großstädte und das Geistesleben
► The Shins Szene aus dem Film Garden State (2004)
► David Waldecker (2017): Ohren und Kopfhörer im öffentlichen Raum
► Study (2022): Impact on Hearing Due to Prolonged Use of Audio Devices
► teenVOGUE (2021): Wired Headphones Are the New “It” Accessory — and We Should Have Seen It Coming
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Transkript:
Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel-Podcast. Ich bin Marilena und ich freue mich sehr, dass ihr heute wieder zuhört.
Vielleicht habt ihr das auch schon mal erlebt, ihr seid Fahrrad gefahren oder mit der Bahn oder im Auto, hört dabei Musik auf euren Kopfhörern, was auf dem Fahrrad natürlich eigentlich nicht wirklich gut ist und im Auto wahrscheinlich nicht mal erlaubt. Aber ja, wir machen es gelegentlich alle doch mal. Und ihr fahrt da so, hört Musik, ganz für euch, eure Lieblingsmusik vielleicht. Und die Landschaft zieht an euch vorbei und ihr kommt euch vor wie in einem Film, in eurem ganz eigenen Film. Und ihr lasst alles um euch herum ausfaden. Also ihr nehmt die Landschaft um euch herum war, eure Musik und seid ganz für euch.
Und das ist mir auf jeden Fall auf dem Weg in meinen Urlaub und auch zurück, wo ich mit der Bahn gefahren bin, so vorgekommen, als ich dasaß und meine Noise-Canceling-Kopfhörer aufhatte. Und da ist mir eigentlich bei dieser sehr alltäglichen Beschäftigung und dieser sehr banalen Beobachtung die Idee für diese Folge gekommen. Weil ich glaube, dass das Thema eine tiefere Ebene hat. Oder das hoffe ich zumindest. Und diese Gedanken möchte ich gerne mit euch teilen. Also worum geht’s?
Es geht eigentlich im weitesten Sinne um die Omnipräsenz von Kopfhörern im öffentlichen Raum. Wenn wir das Haus verlassen, und da zähle ich mich dazu, dann greife ich reflexartig nach meinen AirPods. Und manchmal mache ich Musik oder Podcasts an, ohne darüber nachzudenken, ob ich darauf wirklich Lust habe. Es ist einfach eine Routine, eine Autobahn in meinem Kopf, die ich immer wieder gleich durchfahre und abspule. Und da habe ich mich gefragt, was macht das eigentlich mit mir, mit meiner eigenen Wahrnehmung, aber auch im weiteren Sinne mit uns als Gesellschaft?
Und lustigerweise hat sich diese Frage verstärkt in meinem Kopf, nachdem mein Freund vor einigen Wochen, seine Kopfhörer verloren hat, seine AirPods. Und ich würde sagen, er hört noch sehr viel häufiger unterwegs Musik und hat sie manchmal auch drin, obwohl er gar nichts hört. Und er hat mir erzählt, dass das für ihn am Anfang natürlich eine etwas schmerzhafte Erfahrung war, sie zu verlieren, weil natürlich ist das ärgerlich. Aber gleichzeitig, jetzt mit etwas Abstand, ist es auch eine Bereicherung, weil er auf Strecken, die er sonst zurückgelegt hat, zur Arbeit, auf Reisen, immer etwas gehört hat. Und genau wie ich auch manchmal sich gar nicht gefragt hat, ob er darauf wirklich Lust hat, sondern dass das wie ein Grundrauschen immer dabei gewesen ist. Und jetzt ist es eben auch manchmal einfach still und er nimmt wahr, was draußen passiert, um ihn herum, aber auch in ihm selbst.
Und im Grunde ist das meine These: Wenn wir Kopfhörer tragen, dass es dabei eben gar nicht nur um Unterhaltung geht, sondern vielleicht auch um eine Art von Selbstschutz, Stichwort Noise-Cancelling. Aber auch um ein Unterdrücken, also im positiven wie vielleicht im negativen Sinne. Und darüber würde ich ganz gerne in dieser Podcast-Folge sprechen. Über diese akustische Membran, die zwischen uns, der Person, die Kopfhörer trägt und der Welt liegt und die eben nicht nur den Lärm filtert, sondern vielleicht auch die Emotionen, Gedanken und vielleicht sogar Begegnungen. Also was steckt hinter diesen akustischen Dauerrauschen?
Bevor ich mit der Folge beginnen will, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, wenn ihr meinen Podcast gerne hört, dann würde ich mich total darüber freuen, wenn ihr mich unterstützt, meine Arbeit, das könnt ihr ganz einfach über Steady oder über Paypal. Die ganzen Infos dazu findet ihr in den Shownotes.
Vielleicht erinnert ihr euch auch noch, als kabellose Kopfhörer noch relativ neu waren, also die, die über Bluetooth funktionieren, so wie AirPods. Da gab es manchmal seltsame Situationen. Man saß zum Beispiel in der Bahn und eine Person sitzt einem gegenüber und dann fängt diese Person an zu sprechen. Man guckt nach oben, weil vorher hat man etwas gelesen oder auf dem Handy rumgedaddelt und denkt, die Person spricht mit einem und antwortet oder fragt nach: „Entschuldigung, was haben sie gesagt?“ Und dann guckt die andere Person einen so super irritiert an und erst dann realisiert man: Okay krass, die spricht gar nicht mit mir, sondern die redet mit sich selbst bzw. mit ihren Kopfhörern, mit einer anderen Person. Und diese Situation fand ich am Anfang total befremdlich. Oder ich weiß auch noch, dass ich es andersrum seltsam fand, über Kopfhörer zu telefonieren. Weil ich am Anfang dachte: Okay, jetzt denken die Leute vielleicht, wenn ich unterwegs bin zu Fuß, dass ich mit mir selber rede, dass ich ein bisschen seltsam bin. Und jetzt, einige Jahre später, ist es das Normalste der Welt. Ich glaube, viele von uns denken überhaupt nicht mehr darüber nach, wenn sie mit Kopfhörern telefonieren, einfach weil es omnipräsent ist.
Und das zeigt sich auch, ich habe mal so ein bisschen mehr Statistiken angeschaut, im Verkauf von Kopfhörern. Ich habe gesehen, zwischen 2013 und 2024 ist der Verkauf von Kopfhörern, um fast 90 Prozent auf eine halbe Milliarde pro Jahr, angestiegen. Und seit der Erfindung der AirPods, das ist mittlerweile fast zehn Jahre her, also 2016, ist der Markt immer stärker gewachsen. Vor allem auch noch mal während der Corona-Jahre, wo wir alle ständig vorm Computer saßen, in Zoom-Calls. Und ich weiß, dass ich in der Zeit auf jeden Fall auch sehr, sehr viel mit meinen AirPods spazieren gegangen bin.
Und die Frage ist natürlich, was macht das mit unserer eigenen Wahrnehmung, mit unseren Hörgewohnheiten, aber auch mit uns als Gesellschaft?
Ich habe in der Recherche zu dieser Folge einen Artikel vom The New Yorker gefunden, auch aus dem Jahr 2016, als AirPods und kabellose Kopfhörer präsenter wurden. Und darin steht, also im weitesten Sinne, die Außenwelt, die früher ein gemeinsames auditives Umfeld, also eine gemeinsame hörbare Erfahrung war, ist jetzt zersplittert. Und wir bewegen uns heute in unserer eigenen Blase aus selbstprogrammiertem Sound. Das klingt zunächst mal relativ negativ, aber man kann es natürlich auch so auffassen: Dass man sagen kann, okay, mit der Erfindung von Kopfhörern haben wir die Freiheit gewonnen, zu hören, was wir wollen. Und damit natürlich auch die Freiheit, auszuschalten, was um uns herum passiert. Das heißt, Kopfhörer helfen uns, den ganz persönlichen Raum von uns abzugrenzen und ermöglichen uns, uns abgeschirmt, sicher und privat zu fühlen – vielleicht auch Emotionen zu verstärken, die wir gerade haben, oder das Entgegenteilige zu bewirken. Also, wenn wir uns nicht gut fühlen, kann Musik dazu führen, dass wir uns besser fühlen. Oder wir können, wenn wir unterwegs sind, Nachrichten hören, wir können Podcasts hören. Das heißt natürlich, wie der Kapitalismus das auch ganz gerne hat, Zeit effektiv zu nutzen.
Es hat natürlich sein Gutes, aber es hat auch einen bitteren Beigeschmack. Ich habe eine Studie gefunden, die ist aus 2014, ich würde sagen noch vor dem großen Boom der Kopfhörer, aber trotzdem auf eine Art auch mittendrin. Und das war eine Befragung unter Millennials, also damals Personen zwischen ich glaube 19 und Mitte 20. Und da haben 73 Prozent angegeben, dass sie Kopfhörer vor allem nutzen, um Kontakt zu anderen zu vermeiden. Und das finde ich sehr spannend. Weil, wer kennt das nicht, wenn wir unterwegs sind, auf Reisen, in der Bahn, wenn man sich umschaut, tragen eigentlich extrem viele Menschen Kopfhörer. Und auch ich würde sagen, ich nutze sie schon häufiger auch mal, um nicht gestört zu werden, weil ich arbeite, weil ich lese und weil ich diese Zeit vielleicht auch ganz bewusst gerade alleine verbringen möchte.
Aber natürlich ist das auch ein bisschen, ja, nicht asozial, aber es könnten ja auch schöne Begegnungen entstehen. Und wenn alle einfach nur noch sich auf sich konzentrieren und das zur Gewohnheit machen, nimmt das ja auch einen Raum in Anspruch. Vor allem, wenn andere Personen teilweise sehr laut auf ihren Kopfhörern hören oder ihr Umfeld dann gar nicht mehr so richtig wahrnehmen. Auch das habe ich schon erlebt.
Ganz spannend fand ich dazu im Kontrast, dass in den späten 70ern, Anfang 80er Jahren, da wurde der Walkman erfunden – vielleicht kennen den einige von euch – und die hatten tatsächlich zu Beginn einen zweiten Kopfhöreranschluss, damit man die mit Freunden teilen konnte. Weil der ehemalige Sony-CEO, die den Walkman herausgebracht haben, es als unhöflich empfunden hat, wenn man seine Musik alleine hört. Und heute ist das selbstverständlich, dass wir das tun.
Aber spannend ist es auch, dass sich nicht nur unsere Hörgewohnheiten verändert haben, also dass wir Musik vor allem unterwegs mit den Kopfhörern hören, sondern, dass sich auch die Art verändert hat, wie Musik produziert wird. Ich habe ein Zitat von einem US-amerikanischen Produzenten gefunden, der heißt Nick Sansano. Der hat gesagt, früher waren Kopfhörerchecks wirklich nur dazu gedacht, mal zu hören, wie klingt das denn eigentlich mit Kopfhörern? Und jetzt produziert er einen Großteil seiner Musik mit Kopfhörern, weil er weiß, dass viele seiner Hörerinnen und Hörer das auch machen und dass der Sound ganz anders klingt als über Boxen.
Ich habe mich gefragt, wenn man sieht, okay, immer mehr Menschen laufen mit Kopfhörern durch die Gegend, hören so Musik statt über Boxen, hören unterwegs Podcasts und so weiter, wie verändert das die Atmosphäre im öffentlichen Raum und unser Miteinander?
Ganz schön still, oder? Ich weiß nicht, was bei euch gerade im Kopf passiert ist, aber meistens passiert ja eine ganze Menge, wenn es still um uns herum wird. Entweder nehmen wir dann in uns etwas wahr, Gedanken, Gefühle, manchmal aber auch, was um uns herum passiert. Und, dass dieser Raum immer kleiner wird, also der Raum, in dem solche Stille bewusst wahrgenommen wird, das kritisiert der südkoreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han in seinem Buch „Vom Verschwinden der Rituale, eine Topologie der Gegenwart.“ Er betont darin immer wieder, dass der Kapitalismus die Stille nicht liebt, weil kapitalistische Systeme ihm zufolge eine dauerhafte Aktivität fördern, also Konsum und vor allem Lärm. Und er sagt, Stille gilt als verdächtig, weil sie nicht produktiv verwertet werden kann. Dabei ist Stille die Voraussetzung für Kreativität, innere Freiheit und Gemeinschaft, sagt Han. Er meint damit, dass „echte“ Stille besonders wertvoll ist, weil sie nicht einfach nichts ist, sondern ein Möglichkeitsraum, in dem wir zur Ruhe kommen können, Dinge spüren oder anderen Menschen begegnen können. Han sagt, wir sollten die Stille nicht nur nutzen, um Lärm auszublenden, wie wir es mit Noise-Cancelling-Kopfhörern tun, sondern auch, um wieder mehr mit uns selber in Kontakt zu treten und gesellschaftlich zueinander zu finden.
Je häufiger wir uns von außen mit Inhalten, ob Musik oder Podcast sind, die können uns natürlich auch im Positiven bewegen und berühren. Aber trotzdem entsteht dadurch nicht mehr so viel Raum, etwas wahrzunehmen, was in uns und um uns herum passiert. Und auf der anderen Seite kann man sich natürlich fragen, vielleicht brauchen wir diese Art der Abschottung und diesen Rückzug ins Private heute einfach mehr? Vielleicht ist das einfach notwendiger geworden?
Und dabei habe ich an Georg Simmel gedacht. Über den habe ich mal in meinem Kulturwissenschaftsstudium einen längeren Essay-Aufsatz geschrieben. Und zwar hat Georg Simmel in „Die Großstädte und das Geistesleben“, den Aufsatz oder das Buch hat er schon 1903 verfasst. Und darin beschreibt er, wie quasi die Reize der Großstadt uns überfordern, unser Nervensystem, und dazu führen, dass wir innerlich abstumpfen. Und, dass diese Reizüberflutung uns dazu bringt, Wege zu finden, damit umzugehen. Und das bedeutet häufig auch einen Umgang damit, der eine Abschottung von anderen und den Dingen um uns herum bedeutet. Und laut Simmel entwickeln wir dadurch eine gewisse Blasiertheit. Er meint damit eine Art Gleichgültigkeit. Also gar nicht unbedingt ein Desinteresse, sondern eine bewusste oder unterbewusste Reduzierung von emotionalen Reaktionen auf diese äußeren Reize, auf den Lärm um uns herum, der in Großstädten sehr präsent ist. Aber auch die anderen Menschen. Und wir tun das, um unsere eigene Psyche zu schützen.
Ich kann das sehr gut nachvollziehen, weil ich würde behaupten, dass ich auch ein sehr geräuschempfindlicher Mensch bin. Und mir helfen Noise-Canceling-Kopfhörer häufig, um mehr wahrzunehmen, was in mir passiert. Oder um mich besser konzentrieren zu können. Ich glaube auch, gerade Menschen, die auch neurodivers sind, nutzen solche Kopfhörer häufig. Und das ist, glaube ich, gar nicht allen Menschen so bewusst. Aber ich fand es ganz interessant, dass man eben Kopfhörer auch als modernes Pendant zu Simmels These verstehen kann. Als diesen individuellen Rückzugsort und Blase, die eine Grenze zur Außenwelt signalisieret: Ich möchte mich abschirmen, ich möchte quasi nicht gestört werden. Und die Frage ist, ob wir dadurch etwas verlieren oder, ob wir auch etwas dazu gewinnen?
Bei der Vorbereitung auf die Folge musste ich an eine Szene aus dem Film Garden State von 2004 denken. Natalie Portman gibt darin in einer Szene Zach Braff, also dem Hauptprotagonisten, ihre Kopfhörer. Der ist am Anfang etwas skeptisch. Dann setzt er die Kopfhörer auf und sie spielt ihm New Slang von The Shins vor. Also diesen Song hier. Und Zach Braff hört den Song auf seinen Kopfhörern oder auf ihren Kopfhörern vielmehr. Und währenddessen passiert etwas zwischen den beiden. Gar nicht durch Worte, weil es wird dann gar nicht gesprochen. Aber gerade durch diesen geteilten Song passiert etwas. Und irgendwie dachte ich, dass das auch ein Beispiel dafür ist, dass Kopfhörer uns nicht nur isolieren, sondern auch verbinden können, wenn wir sie ganz bewusst teilen, so wie den Walkman früher.
Ich bin in meiner weiteren Recherche noch auf einen Soziologen gestoßen, David Waldecker. Der hat sich intensiv mit der Omnipräsenz von Kopfhörern auseinandergesetzt. Und er hat gesagt, eigentlich seitdem es Kopfhörer gibt, die in der Öffentlichkeit getragen werden, gibt es auch die Kritik daran, dass Menschen sich durch das Tragen abkapseln. Und das sei wirklich kein neues Phänomen. Er sagt, dass das eigentlich auch in Ordnung ist.
Also, dass das ein ganz normales, eine menschliche Entwicklung der Gesellschaft sei. Aber er sagt auch, es kann kritisch sein, wenn niemand mehr hinhört. Das ist für den gesellschaftlichen Zusammenhang problematisch, weil, Zitat von Waldecker: „Der Rassist fühlt sich bestätigt, wenn er unwidersprochen andere beleidigen kann.“ Also, wenn wir alle mit unseren Noise-Canceling-Kopfhörern durch die Gegend laufen und neben uns jemand etwas sagt, was nicht in Ordnung ist, und wir es aber nicht mitbekommen, dann ist das fatal.
Und zum Thema, was verlieren wir vielleicht noch durch das ständige Tragen von
Kopfhörern? Wahrscheinlich auch zum Teil ein Teil unsere Hörfähigkeit. Es gibt diverse Studien, die zeigen, dass regelmäßiges, lautes Musikhören über Kopfhörer, insbesondere über 85 Dezibel und das für längere Zeit, das Risiko für bleibende Hörschäden verstärkt, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Wahrscheinlich wird eine Generation in Zukunft heranwachsen, beziehungsweise auch wir vielleicht schon. Also, ich mit meinen jetzt Anfang 30 werde schon früher Hörschäden haben, als es vielleicht noch Generationen davor geprägt hat, weil sie Musik ganz anders gehört haben. Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass auch immer mehr Menschen zum Beispiel heute auf Konzerte mit Ohrstöpseln gehen. Also, vielleicht wird sich das auch ausgleichen, wer weiß.
Was ich aber auch neu dazugelernt habe, ist tatsächlich, dass solche In-Ear-Kopfhörer, also so wie AirPods und viele Kopfhörer, die über Bluetooth funktionieren, tatsächlich eine Art Qualitätsverlust haben. Also, ein Qualitätsverlust beim Hören entsteht, der Musik. Wenn wir Musik über Boxen hören, dann füllt der Klang den Raum. Und bei In-Ear-Kopfhörern klingt eigentlich alles, als würde es in unserem Kopf stattfinden. Also, es ist viel weniger räumlich und auch weniger lebendig. Und gerade günstige In-Ear-Kopfhörer oder qualitativ schlechte Kopfhörer komprimieren die Klänge noch viel, viel stärker, liefern oft einen eher flachen, gedämpften Sound, isolieren uns eigentlich vollständig. Wohingegen Lautsprecher eine gewisse akustische Tiefe, aber auch viel mehr Dynamik erzeugen, sodass man zum Beispiel Instrumente, Gesang und Raum viel separater, plastischer und dadurch vielleicht auch zum Teil angenehmer hören kann. Ist ja irgendwie auch naheliegend. Auf der anderen Seite hört es sich, finde ich, manchmal intensiver an, mit Kopfhörern zu hören. Und deswegen kann man vielleicht auch gar nicht sagen, was besser ist, was schlechter ist. Es hat alles seine Vor- und Nachteile.
Was ich aber sehr interessant finde, ist, dass seit ein paar Jahren der Trend wieder zurück zu wired Headphones, also kabelgebundenen Kopfhörern, geht. Ich habe einen Instagram-Account entdeckt durch einen Artikel der Teen Vogue. Ich kannte den ehrlich gesagt noch nicht. Der heißt Wired It Girls und der wurde 2021, also auch während der Corona-Jahre, erstellt. Da werden Influencer und Musikfans gepostet, die alle Kabel-Kopfhörer tragen, vor allem diese weißen Apple-Kopfhörer. Also It Girls, wie Bella Hadid oder auch Paris Hilton. Und die Modehistorikerin Rachel Weingarten, die schreibt eben in diesem Teen Vogue-Artikel: „We long for times when everything seemed easier.“ Also sie sagt, dass diese Nostalgie zu diesen Kopfhörern vielleicht auch mit der Corona-Pandemie und diesem ganzen Y2K-Trend der 2000er einhergeht, dass wir uns danach sehen zu einer Zeit der 2000er, wo es Tumblr gab und alles Mögliche, sodass die wieder zu so einer Art Mode-Accessoire geworden sind.
Aber auf der anderen Seite haben diese Kopfhörer natürlich auch den großen Vorteil, dass die Qualität teilweise besser ist. Dass sie eben eine viel geringere Latenz, also eine geringere Verzögerung haben im Hören. Wir können die Musik unmittelbarer hören, weil sie nicht erst über die Bluetooth-Verbindung laufen muss.
Viele von euch kennen vermutlich Fred again. Der war natürlich auch ein Katalysator für den Trend, weil er bei ganz, ganz vielen Live-Auftritten kabelgebundenen Kopfhörer nutzt auf der Bühne, vielleicht auch als Bruch zu den AirPods. Und wer weiß, vielleicht kommt ja irgendwie dann auch bald der Walkman zurück?! Irgendwie fände ich das gar nicht so schlecht. Ich muss mal gucken, ob ich meinen irgendwo noch in einem Umzugskarton wiederfinde.
Ich glaube, ich bin weit davon entfernt, eine Kulturpessimistin zu sein und zu sagen, Kopfhörer sind etwas Schlechtes und wir sollten uns wieder einfach nur unserer Umgebung aussetzen. Das nicht. Aber ich finde es spannend, einfach mal darüber nachzudenken, wie alltägliche Gewohnheiten uns selbst und damit unsere Gesellschaft prägen. Ich habe mir auf jeden Fall vorgenommen, in den nächsten Wochen noch bewusster die Kopfhörer einfach mal in bestimmten Situationen zu Hause zu lassen oder auch einfach nicht zu nutzen, um zu schauen, okay, wie verändert das meine Wahrnehmung und was entsteht dadurch vielleicht auch Neues, Begegnungen? Wir werden das sehen.
Outro
Und mich interessiert natürlich auch: Wann habt ihr das letzte Mal ganz bewusst euch der Stille ausgesetzt oder eurer Umgebung? Und wie nutzt ihr Kopfhörer im Alltag?
Schreibt mir gerne an redaktion@sinneswandel.art oder über Social Media. In den Shownotes findet ihr wie immer weiterführende Links und Infos. Und wenn ihr meine Arbeit unterstützen wollt, dann könnt ihr das ganz einfach via Steady oder, indem ihr einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Danke fürs Zuhören. Bis bald im Sinneswandel-Podcast.