Alles wird anders – und jetzt?

von Marilena

Es ist die letzte Folge des Jahres, und ich spüre diese diffuse Erschöpfung, die viele von uns gerade kennen. In dieser Episode reflektiere ich über Wandel als kollektive Erfahrung: die Beschleunigung unseres Alltags, die Unsicherheit in Politik, Klima, Wirtschaft und Technologie, und das Gefühl, dass sich in den letzten Jahren alles verdichtet hat. 

Ich spreche darüber, wie wir mit Wandel [besser] umgehen können – Gleichzeitig hinterfrage ich die Idee, dass wir einfach nur resilienter werden müssen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Soziologe Zygmunt Bauman und seine Idee der „flüssigen Moderne“. Und die Frage, ob Wandel nicht nur etwas ist, das wir “aushalten” müssen – sondern etwas, das wir auch gemeinsam gestalten können.

Shownotes

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► Zygmunt Bauman (2000): Flüchtige Moderne, Suhrkamp
► Deutsche Psychologen Akademie: Die Kunst der Resilienz – Wege zur inneren Widerstandsfähigkeit
► HCU (2024): Community resilience: transformative capacity as driver for social cohesion and sustainable development
► Transition Initiativen: Was ist eine Transition Town Initiative?
► Frontiers in Ecology and the Environment (2003): Response Diversity, Ecosystem Change, and Resilience
► Bertelsmann (2013): Gestaltungsräume im Zeitalter der Komplexität


Jahresende als Zäsur: Zwischen Rückblick und Erschöpfung

Hi und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Ich bin Marilena und ich freue mich, dass ihr heute dabei seid.

Wow, ich kann irgendwie noch gar nicht so richtig fassen, dass das jetzt tatsächlich die allerletzte Folge des Jahres sein wird und dass dieses Jahr überhaupt vorbei ist. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber die letzten Monate sind irgendwie einfach total schnell gerannt und entsprechend bin ich ganz schön erschöpft. Und das liegt nicht nur daran, dass ich die letzten Wochen krank im Bett lag, wie man vielleicht noch an meiner Nase hören kann oder an meiner Stimme, eher gesagt. Ich klinge noch so ein bisschen, als würde ich mir die Nase zuhalten, aber keine Sorge, ich bin auf jeden Fall wieder gesund. Sonst würde ich nicht hier vor dem Mikro sitzen.

Aber ja, es war ein ganz schön anstrengendes Jahr. Einige von euch wissen, dass ich gerade noch mal in einer Ausbildungssituation bin. Ich mache ein Volontariat, und auch das hat natürlich unfassbar viele Veränderungen mit sich gebracht. Und mit Veränderungen umzugehen, ist manchmal gar nicht so einfach. Auch wenn man sie selbst wählt, weiß man ja manchmal trotzdem nicht, was da alles auf einen zukommt. Das spüre ich jetzt so am Ende des Jahres. Ich bin wahnsinnig froh, an dem Punkt zu sein, wo ich jetzt bin, weil sich vieles in diesem Jahr auch zum Positiven gewandelt hat.

Ein Freund von mir meinte letztens in einer kleinen Geburtstagsrede: something feels off. Und nicht nur so inside himself, sondern natürlich auch in der Welt um uns herum ist so viel Wandel, so viel Veränderung, so viel, was passiert an Weltgeschehen, was einen manchmal – mich zumindest – mitnimmt und nach innen transportiert. Und das macht irgendwie was mit einem.


Erschöpfung: Ein Gefühl mit gesellschaftlicher Dimension

Ich habe mich gefragt, ob diese Erschöpfung, die viele von uns wahrnehmen, vielleicht wirklich nur so ein subjektives Gefühl ist oder ob das nicht auch mit vielen gesellschaftlichen Umbrüchen zusammenhängen könnte, die wir gerade erleben.

Bevor ich da aber einsteige, möchte ich auch hier im Podcast ein bisschen was verändern. Keine Sorge, es wird nicht alles anders, so wie der Titel vielleicht mutmaßen lässt, sondern ich möchte den Podcast wieder ein bisschen interaktiver gestalten. Ich würde mich total freuen, wenn um Sinneswandel herum wieder mehr so eine Art Community-Gefühl wächst.

Deswegen habe ich eine kleine Umfrage erstellt und in den Shownotes verlinkt. Die dauert wirklich nicht lange. Es würde mich sehr freuen und mir tatsächlich sehr helfen, wenn ihr Lust habt, die auszufüllen. Dann schauen wir mal, wo die Reise im nächsten Jahr hingeht.


Beschleunigte Gegenwart: Warum sich Wandel heute anders anfühlt

Zurück zur Frage: Ist das eigentlich nur ein subjektives Gefühl, dass die Welt sich immer schneller dreht, sich immer schneller verändert und ich mich ständig anpassen muss? Ich habe mal nachgeschaut, und surprise surprise: Diverse Studien zeigen, dass viele Menschen unsere Gegenwart als beschleunigt, verdichtet und unsicher erleben. Also dass es eben nicht nur ein subjektives „Alles-ist-zu-viel“-Gefühl ist, sondern ziemlich verbreitet.

Natürlich lässt sich das schwer messen, ob die Welt sich metaphorisch gesprochen schneller dreht, weil Wandel und Veränderung wahnsinnig viele Dimensionen haben: technologisch, politisch, klimatisch, ökonomisch.

Aber man kann schon sagen, dass sich in mehreren Bereichen die Geschwindigkeit und Dichte von Veränderungen in den letzten 25 Jahren deutlich erhöht hat. Wenn man allein auf die Technik schaut: In den 2000ern hatten wir MP3-Player, ziemlich klobige Handys, wahrscheinlich noch nicht mal mit Farbe. Es gab kein Instagram, kein TikTok und erst recht kein ChatGPT. Allein auf dieser technologischen Ebene hat sich die Geschwindigkeit von Wandel massiv erhöht.


Mit Veränderung umgehen: Psychologische Perspektiven auf Resilienz

Ich habe mir angeschaut, was die Psychologie dazu sagt, wie Menschen mit Veränderungen umgehen können, beziehungsweise was Menschen auszeichnet, die gut mit Veränderungen klarkommen. Dabei bin ich auf fünf Eigenschaften gestoßen.

Erstens: psychische Flexibilität und Offenheit. Also die Fähigkeit, Strategien zu wechseln, wenn etwas nicht mehr passt oder sich nicht mehr richtig anfühlt.

Zweitens: Akzeptanz statt Vermeidung. Gefühle nicht wegzudrücken, sondern aushalten zu können.

Drittens – und das finde ich fast am schwierigsten: Selbstmitgefühl statt Selbstkritik. Wenn man merkt, dass etwas nicht funktioniert, nicht sofort bei sich selbst anzuklagen, sondern erst mal freundlich mit sich zu bleiben.

Viertens: realistischer Optimismus. Nicht naiv, sondern lösungsorientiert.

Und fünftens: soziale Einbettung. Das finde ich besonders spannend, weil ich gemerkt habe, dass mir persönlich Menschen um mich herum am meisten helfen, mit Veränderungen umzugehen.


Resilienz als individuelle Aufgabe – und ihre Grenzen

Wenn wir über Veränderungen und Unsicherheit sprechen, landet der Diskurs sehr schnell bei individueller Anpassung: Wie kann ich resilienter werden? Wie kann ich mich besser organisieren? Wie kann ich meine Emotionen regulieren?

Das ist nicht falsch. Innere Ressourcen sind wichtig. Aber irgendwann kam mir die Frage: Welche Rolle spielt eigentlich die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben? Was heißt es, gut mit Veränderung umzugehen, wenn sie nicht nur selbst gewählt ist, sondern strukturell produziert wird?


Zygmunt Bauman und seine Diagnose der „flüssigen Moderne“

Einer, der sich genau mit dieser Frage beschäftigt hat, ist der polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman. Ich habe im Studium ein Essay von ihm gelesen, das mich nachhaltig beeindruckt hat.

Bauman wird 1925 als polnischer Jude geboren, flieht vor den Nazis in die Sowjetunion, kämpft im Krieg, emigriert später nach Israel und dann nach Großbritannien. Sein Leben ist geprägt von Brüchen, Verlust und Neuanfängen – was ihn vermutlich besonders sensibel für Unsicherheit gemacht hat.

Sein bekanntestes Werk ist Liquid Modernity, erschienen vor etwa 25 Jahren – und trotzdem erstaunlich aktuell.


Veränderung und der Verlust kollektiver Sicherheiten

Baumans zentrale These: Unsere Gesellschaft hat ihre festen Formen verloren. Dinge, die früher stabil waren – Arbeit, Beziehungen, Lebenswege – sind heute flexibler, aber auch unsicherer. Institutionen lösen sich auf, klare Lebensläufe verschwinden, Zugehörigkeiten werden brüchig.

Das bringt mehr Freiheit. Gleichzeitig verschiebt sich die Verantwortung für das Zurechtkommen fast komplett auf das Individuum. Wir sollen flexibel, resilient und leistungsfähig sein. Wenn Veränderung schwerfällt, gilt das schnell als persönliches Versagen. Strukturelle Ursachen wie Prekarität oder Ungleichheit geraten aus dem Blick.

Auch kollektive Sicherheiten verlieren an Bedeutung, etwa Gewerkschaften. Zugehörigkeit entsteht weniger über Gemeinschaft, sondern über Konsum, Marken und Lebensstile. Wer mithalten kann, gehört dazu – wer nicht, fällt raus.


Transformative Resilienz: Wandel nicht nur bewältigen, sondern gestalten

Bauman ist kein Kulturpessimist. Er sieht in der flüchtigen Moderne auch Potenzial: für Kreativität, Innovation und neue Formen von Freiheit. Aber das hängt nicht nur von individuellen Fähigkeiten ab, sondern vor allem von den Strukturen, in denen wir leben.

Auf Unsicherheit kann man unterschiedlich reagieren: sich abhärten, ins Private zurückziehen – oder eine andere Frage stellen: Was wäre, wenn nicht nur Einzelne belastbarer werden müssten, sondern auch Gemeinschaften fair und fürsorglich mit Wandel umgehen?

Hier setzt das an, was oft transformative Resilienz genannt wird: Gesellschaften sollen nicht nur Schocks aushalten, sondern ungerechte Strukturen aktiv verändern.


Gemeinschaftliche Antworten auf Unsicherheit: Transition Towns und lokale Netzwerke

Transformative Gesellschaften erwarten nicht einfach Anpassung, sondern schaffen Bedingungen, die Wandel abfedern: soziale Sicherung, Teilhabe, Zeit, Räume und Unterstützung.

Spannend finde ich, dass Resilienzforschung immer wieder zeigt: Wandelfähige Gesellschaften setzen auf Vielfalt, Selbstorganisation und starke lokale Netzwerke.

Ein Beispiel sind die Transition Towns. Ursprünglich aus Großbritannien, inzwischen auch in vielen deutschen Städten. Nachbar*innen schließen sich zusammen, es entstehen gemeinschaftliche Gärten, lokale Energieprojekte, Skillsharing. Ziel ist es, Abhängigkeiten von globalen Märkten und Krisen zu reduzieren.


Response Diversity und Präfiguration: Gesellschaft im Kleinen erproben

In der Resilienzforschung gibt es dafür den Begriff Response Diversity: Je vielfältiger die Antworten einer Gemeinschaft, desto besser kann sie mit unerwarteten Veränderungen umgehen.

Solche Communities sind keine perfekten Utopien, sondern laufende Experimente. In der Politikwissenschaft nennt man das Präfiguration: im Kleinen schon heute das leben, was man sich gesellschaftlich für morgen wünscht.

Darüber spreche ich ausführlicher in einer nächsten Laut-gedacht-Folge.


Sinneswandel Umfrage

Zum Schluss möchte ich mich wirklich von Herzen bedanken. Es bedeutet mir unglaublich viel, dass ihr diesen Podcast hört und dass es Menschen gibt, die mich seit Jahren supporten – über Steady oder PayPal.

Das hilft mir nicht nur finanziell, sondern macht diese Arbeit überhaupt möglich. Ich hatte Anfang des Jahres eine große kreative Krise, aber gerade macht mir Sinneswandel wieder sehr viel Spaß. Ich habe große Lust, diesen Podcast wieder stärker als etwas Kollektives zu denken.

Wenn ihr Lust habt, füllt gerne die Umfrage aus, die in den Shownotes verlinkt ist. Und falls ihr mir ein kleines Weihnachtsgeschenk machen wollt, könnt ihr auf Steady eine Mitgliedschaft abschließen.

Ich wünsche euch einen schönen Jahresausklang. Wir hören uns im nächsten Jahr.

 

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