Höher, schneller, weiter, besser – hauptsache mehr! So lautet das Narrativ modernen Fortschritts bis heute. Wachstum durch Effizienzsteigerung als Allheilmittel für mehr Wohlstand. Nur hat sich dieser Wohlstand, wie sich herausstellt, nicht ganz ebenmäßig verteilt. Doch nicht nur die soziale Schere klafft immer weiter auseinander. Auch die planetaren Grenzen unserer Erde scheinen maßlos ausgeschöpft. Wir wissen es alle bereits: So kann es nicht weitergehen! Die alten Fortschritts Erzählungen grenzenlosem Wachstums haben ausgedient. In ihrem Essay plädiert Gastautorin Katharina Walser für eine aktive Neubesetzung von Zukunftsvorstellungen. Denn die gegenwärtigen Krisen lassen sich nur mithilfe neuer und nachhaltiger Erzählungen bewältigen.
SHOWNOTES:
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► „Aufschwung des utopischen Denkens“ Sighard Neckel, Deutschlandfunk.
► „Narrative für eine Nachhaltige Entwicklung“ Sascha Meinert, bpb.
► Betty Sue Flowers: „The American Dream and the Economic Myth“.
► „Erzähl!“ Thomas Kniebe, Süddeutsche Zeitung.
► „Was das Modewort ‘Narrativ’ verrät“ Kolumne von Dorothee Krings, Rheinische Post.
► Bruno Latour: „Das terrestrische Manifest“.
► „Deutschland spricht“ Projekt der ZEIT.
► „Utopiastadt“ Wuppertal.
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Transkript: Fortschritt neu denken – wir brauchen neue Narrative!
Höher, schneller, weiter, besser – hauptsache mehr! So lautet das Narrativ modernen Fortschritts bis heute. Wachstum durch Effizienzsteigerung als Allheilmittel für mehr Wohlstand. Nur hat sich dieser Wohlstand, wie sich herausstellt, nicht ganz ebenmäßig verteilt. Der sogenannte “Trickle-Down-Effekt” bleibt aus. Die Armen werden ärmer. Die Reichen unerreichbar. Doch nicht nur die soziale Schere klafft immer weiter auseinander. Auch die planetaren Grenzen unserer Erde scheinen maßlos ausgeschöpft. Wir wissen es alle bereits: So kann es nicht weitergehen! Die alten Fortschritts Erzählungen grenzenlosem Wachstums haben ausgedient. Doch wo sind sie, die “neuen Narrative”? Nur selten ließt oder hört man von Geschichten des Gelingens, von Vorstellungen wünschenswerter Zukünfte, geschweige denn von Utopien. Stattdessen dominieren Untergangszenarien, Apokalypsen und Dystopien den Diskurs. Horrorzahlen verkaufen sich besser. Doch damit muss Schluss sein, argumentiert Gastautorin Katharina Walser. In ihrem Essay plädiert sie für eine aktive Neubesetzung von Zukunftsvorstellungen. Denn die gegenwärtigen Krisen lassen sich nur mithilfe neuer und nachhaltiger Erzählungen bewältigen.
Am 28. November 2019 ruft das EU-Parlament den Klimanotstand aus. Ein Beschluss den man heute, 2,5 Jahre später, vor allem als symbolischen Akt deuten kann, denn fundamentale und einheitliche Gesetzgebungen zum Schutze des Klimas lassen nach wie vor auf sich warten. Drei Wochen nach dem Ausruf des Parlaments ist der Soziologe Sighard Neckel im Deutschlandfunk zu hören. Die Klimakrise beschreibt er als apokalyptisches Szenario, das im Zentrum einer modernen Wirklichkeitserfahrung steht. Im Zentrum steht sie deshalb, da durch sie „die elementaren Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens, jedenfalls wie wir es bisher gekannt haben, zur Disposition gestellt sind.“ Gerade diese Erfahrung, in der wir erkennen müssen, dass die Art unseres westlichen Lebens ein Ablaufdatum hat, hinterlässt ein umfassendes Gefühl der Verunsicherung – eine Verunsicherung, die wir vielleicht als die moderne Erfahrung schlechthin bezeichnen können.
Ja, es stimmt. Viele Prinzipien unserer Lebensverhältnisse stehen zur Disposition. Wie wir wirtschaften und uns vernetzen wird sich in einer ernst zunehmenden Klimapolitik verändern müssen. Allerdings sind dystopische Zugänge zur Zukunft, die den Fokus auf ein Versagen des Systems richten und ständig eine neue Apokalypse ausrufen, gerade deshalb so verheerend, weil sie nicht anschlussfähig sind. Die Rede von der Endzeit steht ihrem Zweck, nämlich neue und nachhaltige Handlungen hervorzubringen möglicherweise sogar gänzlich entgegen. Weil sie den Blick von Wegen in eine nachhaltige und wünschenswerte Zukunft ablenkt und im schlimmsten Fall Ängste verbreitet, die weiter zu einer Lähmung von Handlungsfähigkeit führen.
Diese Ängste haben nämlich ganz real-politische Folgen und sind unter anderem, wie Neckel schreibt, auch Auslöser für eine “Sündenbock-Logik”, wie sie innerhalb von identitärer Politik seit Jahren zu beobachten ist. Statt Konzerne und politische Entscheidungsträger:innen in die Verantwortung zu ziehen, werden Vertreter:innen des Klimaschutzes dafür kritisiert, dass sie einem, die vermeintlich so unproblematische Normalität wegnehmen wollen. Ein solches Misstrauen gegenüber Maßnahmen zum Zweck des Klimaschutzes speist sich nach dem Politikwissenschaftler Sascha Meinert aus einer Zukunftsvision von Nachhaltigkeit in deren Zentrum vor allem eines steht: Mangel. Es fehlt an einer Vorstellung von klimagerechtem Handeln, das eine Zukunft des positiven Fortschritts darstellt und nicht im Zeichen des kollektiven Verzichts steht. Die bisherigen europäischen Klimaschutz-Maßnahmen, wie die Bemühungen um einen Green Deal, reichen Neckel zufolge längst nicht aus, um einer solchen Umcodierung einer nachhaltigen Zukunft beizukommen. Er merkt deshalb zurecht an, dass solchen Klimaschutz-Konzepten starke sozialpolitische Entwürfe fehlen und stattdessen ausschließlich auf Marktregulierungen und technologische Innovation gesetzt werde. Die notwendige Reaktion auf ein Zeitalter der Verunsicherung, wie wir es aktuell erleben und das allerhand soziale Spaltungen fördere, sieht er deshalb in einem „Aufschwung des utopischen Denkens“. Im Angesicht der vielfältigen Krisen unserer Gegenwart brauche es daher eine aktive Neubesetzung von Zukunftsvorstellungen! Man muss anerkennen, so Meinert, dass wir es mit einer allumfassenden „Krise unserer narrativen Umwelt“ zu tun haben. Also mit einer Problemlage, der wir nur mithilfe neuer und nachhaltiger Erzählungen begegnen können.
Ein neues, gemeinsames Narrativ durch das wir Krisen der Moderne überwinden können klingt verlockend, aber: Wie genau sieht sie denn aus, die moderne Krise und was soll eigentlich so ein “soziales Narrativ” sein?
Wer von vielfältigen Krisen der Gegenwart spricht, betrachtet diese Phänomene als voneinander unabhängige Konflikte. Eine solche Vorstellung geht davon aus, dass Klimakrise, die sogenannte Migrationskrise und die pandemische Krise, alle separate Ereignisse wären. Letztlich lassen sich diese Krisenherde jedoch gerade im Hinblick auf die Krise unserer Umwelt unter einem Phänomen subsumieren, das die Literaturprofessorin Betty Sue Flowers als „Mythos des Ökonomischen“ bezeichnet. Dieser Mythos unserer Lebenswelt funktioniert nach den Dogmen der monetären und dinglichen Maximierung, „wobei Mehr stets besser ist als Weniger“. Innerhalb dieses Systems, das nur nach den Prinzipien von „Vorteilsmaximierung und Aufwandsminimierung“ funktioniert, bedeutet gelungene, menschliche Identität vor allem eines: Expansion. Und da sich diese Erzählung des Wachstums insbesondere in international zugänglicher Sprache – nämlich in Zahlen ausbuchstabiert, von Umsatzzahlen bis Aktienkursen, wurde die ökonomische Sinnstiftung zum ersten globalen Narrativ. Dieser globale Mythos bröckelt nun, da zunehmend sichtbarer wird, dass er davon lebt „möglichst effizient auf vorhandene Bestände zuzugreifen, und wenn notwendig – und das ist es oft – von anderen zu nehmen oder von der Zukunft zu borgen, um die eigenen Ansprüche der Gegenwart zu bedienen“. Wenn wir also die Krisen der Gegenwart unter ein Problem, nennen wir es “Ursprungskrise”, zurückdenken wollen, so muss die Begründung unserer Krisenerfahrungen in der fehlerhaften Vorstellung von unbegrenztem Wachstum selbst liegen – in der Krise kapitalistischer Normen.
Vor diesem Hintergrund plädiert Meinert für einen „Mythos der nachhaltigen Entwicklung“. Gelingen könne ein solches Vorhaben, indem man sich die narrativen Elemente unser Lebenswirklichkeit vor Augen führt und bewusst ein neues Narrativ von Zukunft schreibt. Eine neue Erzählung, in der sich nachhaltige Entwicklung nicht mehr durch ein „Zu Wenig“ oder durch einen „Verzicht“ auszeichnet, sondern mit wünschenswerten Lebensmodellen verknüpft wird und damit als Bereicherung empfunden werden kann. Es müsste gelingen eine solche Zukunft vorstellbar zu machen und Gestalt annehmen zu lassen, um den Weg der regressiven Wiederherstellung von einem veralteten Ideal von ungebremster wirtschaftlicher Expansion eine Alternative zur Seite zu stellen. Was wir also brauchen ist eine neue Rahmenerzählung, in der wir unser Handeln nach wünschenswerten Zukünften neu ausrichten können!
Was heißt es nun aber, ein neues Narrativ zu schaffen?
In den vergangenen Jahren hat der Begriff des “Narrativs” einen geradezu explosionsartigen modischen Aufschwung erfahren. Von politischer Imagepflege der EU bis zu Marketing Kampagnen für große Wirtschaftsunternehmen, alle sprachen sie davon “neue Narrative” schaffen zu wollen. Gerade bei einer solchen Überstrapazierung des Wortes, lohnt sich ein Schritt zurück und der Versuch einer Verhältnisbestimmung dessen, was ein Narrativ überhaupt ist. Ein Begriff, der noch vor einigen Jahren den meisten einfach als schicker, akademischer Ausdruck für Erzählung bekannt war. Tobias Kniebe versucht in der Süddeutschen Zeitung diesen Trend besser zu verstehen und sucht die Antwort in einer negativen Bestimmung des Begriffs. Er fragt erst einmal danach was denn eigentlich nicht narrativ funktioniere und kommt sowohl im Falle der bildenden Künste, als auch der Musik an seine Grenzen. Er stellt fest: “Wo immer Worte, Bilder oder Töne aufeinanderfolgen […] formen unsere inneren Narrationsmaschinen Erzählungen, Geschichten, Entwicklungen, Lebenslinien.“ Der Mensch ist also nicht umgeben von Narrativen, er bringt sie selbst hervor. Bereits die assoziativen Denkmuster unserer Wahrnehmung betreiben tagtäglich narrative Prozesse. Neue Sinneseindrücke ordnen wir immer wieder aufs neue in unseren eigenen Wissenskanon ein und schreiben so eine Geschichte der Umwelt und unserer Position darin. Der Mensch erzeugt in seiner Suche nach Sinnzusammenhängen seine eigenen Erzählungen von der Welt. Ein Narrativ ist also eine Form der übergeordneten Metaerzählung. Es wird weniger erfunden, als vielmehr geschaffen. Im sozialpolitischen Kontext ist ein Narrativ dann eine große Rahmenerzählung, in der sich das Individuum in sein gesellschaftliches Umfeld einordnen kann. Eine Rahmenerzählung, die als gemeinsames sinnstiftendes Referenzsystem einer Gesellschaft funktioniert.
Wieso also die Rufe nach Narrativen wenn wir sie doch selbst hervorbringen? Die Germanistin Dorothee Krings betont, dass Modewörter mehr sind als nur nachgemachte schöne Sprache. Ihr Auftreten verrate oft einen Sinneswandel, “der plötzlich Ausdruck findet”. Wenn sich also die öffentlichen Rufe um Narrative verstärken, so ließe das einen direkten Rückschluss auf eine Orientierungslosigkeit der Gesellschaft zu, auf einen Hunger nach Sinn. Eine solche Orientierungslosigkeit oder Verunsicherung, wie ich es zuvor genannt habe, lässt sich im Angesicht des verfallenen Narrativs von grenzenlosem Wachstum zweifelsohne diagnostizieren.
Wie ist nun mit dem Plädoyer, diesem Aufruf zu neuen Zukunftsnarrativen, umzugehen? Was tun mit der Idee einer Metaerzählung, die sich nicht nur aktiv gegen das Narrativ des Verzichts stellt, sondern sich jenseits des Dogmas von grenzenlosem Wachstum positioniert?
Ein Konzept, das vielleicht zum nachdenken anregen kann, stellt Bruno Latour in seinem Terrestrischem Manifest vor. Latour plädiert darin für ein neues Selbstverständnis des Menschen auf unserem Planeten, das sich auch in einer neuen Politik niederschlagen müsse. Die zentrale Empfindung, welche auch er der Gegenwart zuschreibt, ist die einer fehlenden „Bodenhaftung“. Ausgelöst sei sie durch die unheimliche Erfahrung, dass der Mensch konfrontiert wird mit einer Welt, in der die Folgen seines Fortschrittstrebens immer deutlicher zutage treten und schlussendlich seine ganze Existenz bedrohen. Das Ziel der Globalisierung zeige immer deutlicher seinen Preis und habe so die große Metaerzählung der vergangenen 50 Jahre erschüttert. Latour kategorisiert im Zuge dieser elementaren Erfahrung der Moderne alle relevanten Fragen der Zukunft als „geopolitische Fragen“ und argumentiert, dass die vermeintlich einzelnen Krisen der Gegenwart unter der Krise des Klimas einen gemeinsamen Nenner finden. So heißt es in seinem Manifest man verstünde nichts „von den seit fünfzig Jahren vertretenen politischen Positionen, wenn man die Klimafrage und deren Leugnung nicht ins Zentrum rückt. Ohne den Gedanken, dass wir in ein Neues Klimaregime eingetreten sind, kann man weder die Explosion der Ungleichheiten [verstehen], noch das Ausmaß der Deregulierungen, weder die Kritik an der Globalisierung noch, [und] vor allem, das panische Verlangen nach einer Rückkehr zu den früheren Schutzmaßnahmen des Nationalstaats“.
Zwischen der Gewissheit, dass es nicht weitergehen kann, wie bisher und auch kein Rückzug in Vergangenes möglich ist, gerät der Mensch auf seinem Kurs ins Straucheln. In die Vorstellung linearen Fortschritts bricht so eine Bedrohung herein, die auf einen früh getroffenen Fehlschluss menschlicher Entwicklung zurückweist. Dieser Fehlschluss begründet sich für Latour in der Trennung von Kultur und Natur bzw. in einer grundsätzlichen Haltung des Menschen außerhalb der Natur zu stehen und unabhängig von Folgen in ihr operieren zu können. Unter dem Begriff des “Terrestrischen” versucht sich Latour also an einer neuen Verhältnisbestimmung zwischen Natur und Ökonomie, Mensch und Ökologie, in welcher die Erde selbst nicht nur als die Objekthafte, sondern als eigene Akteurin gedacht werden muss.
Eine solche problematische Grundhaltung, in der sich der Mensch als von der Welt unabhängig versteht, diskutieren auch einige Naturwissenschaftler:innen und Anthropolog:innen unter dem Begriff des “Anthropozäns”. Ihre These lautet, dass wir Menschen so prägend in den Lauf der Natur eingegriffen haben, dass wir sogar von einem neuen Erdzeitalter sprechen müssen. Dieses Zeitalter der Anthropozäns, sei dasjenige, welches das Holozän ablöse – jene Jahre, während denen sich die Kultur der Menschen entfaltet hat ohne irreversible Schäden in seiner Umwelt zu hinterlassen!
Anders jedoch als die Vertreter:innen des Anthropozäns, sieht Latour keine zureichenden Lösungsansätze in einer technischen Gegenbewegung zu den Problemen des Klimawandels, wie sie in den Bereichen des sogenannten “Geoingeneerings” erprobt werden. Es ginge nicht ohne eine radikale Überwindung der Denkmuster, in denen sich der Mensch als von der Natur abgesondert wahrnimmt. Latour geht es dabei weniger um Innovationen oder schnelle Lösungen unseres Umwelt Problems, als vielmehr um eine Suchbewegung nach einer neuen Sinnhaftigkeit menschlichen Strebens, das sich nicht in der Überwindung einer Krise bestärkt sieht, sondern darin, sich auch über die Krise hinaus neu zu seiner Umwelt zu positionieren.
Diese Suche nach neuer Sinnhaftigkeit müsste mit einer neuen Rahmenerzählung menschlichen Strebens, einem Narrativ fern von dem bisherigen, hohlen Wachstumsdogma verbunden sein. Das bedeutet neue Ziele vorstellbarer und mögliche Umsetzungen greifbarer zu machen. Das umfassende Potenzial in einer solchen Neuerfindung des Menschen wird in Latours Argumentation in der Betrachtung deutlich, in welcher er die verschiedenen Krisen, die wir aktuell erfahren, als miteinander verwoben beschreibt. Man muss nicht unbedingt mitgehen, wenn er die pauschalisierende Aussage trifft, dass alle Probleme der Neuzeit von identitärer Politik, bis zu allen Formen von Fluchtbewegungen, ihren Ursprung in der Klimakrise finden. Wenig bestreitbar ist jedoch, dass die Klimakrise mit Besitz- und Verteilungsfragen der Zukunft unauflöslich verstrickt ist. Gerade wenn immer mehr Landstriche der Erde nicht bewirtschaftbar oder unbewohnbar werden. In diesem unüberschaubaren Geflecht von Problemen müssen wir in Zukunft politisch und sozial am richtigen Faden ziehen, wenn wir auf eine Entwirrung und schließlich Auflösung der Krisen hoffen. Dieser Faden, so Latour, muss seinen Ursprung in der vorherrschenden Vorstellung von Mensch und Natur finden. Gerade weil die Klimakrise Auslöser für die zentrale Verunsicherung unserer Zeit ist, ließen nachhaltige soziale Zukunftsentwürfe Lösungen für die verschiedensten Krisen der Moderne zu. Es gilt nach dem terrestrischen Manifest nicht eine feste Lösung für Erderwärmung, Migrationsprozesse und identitäre Politik zugleich zu finden, sondern sich auf die Suche nach einem festen Boden zu begeben. Und vor allem anzufangen, in Zukunftsvisionen Strukturen der Sicherheit zu schaffen.
Strukturen, die sich, wenn sie auf nachhaltigen Erfolg setzen, zunächst in einem gedanklichen Widerstand formulieren müssen. In einem Widerstand, der die gängigen Narrative menschlichen Strebens überdenkt und neue Entwürfe greifbar macht.
Aber wie kann so ein Widerstand in Gedanken Formen annehmen, ein Widerstand, der sich in den Formen der menschlichen Selbstnarration begründet? Wie integrieren wir einen so abstrakten Anspruch wie den von Latour in unsere Lebenswelt? Dafür müssten die Forderungen nach neuen Narrativen konkrete Gestalt annehmen. Also fragen wir nochmal: Wie schreibt man denn nun ein neues Narrativ?
Zunächst macht es Sinn den Status quo, in dem Verunsicherungen und Ängste verspürt werden kritisch zu hinterfragen. Also die Narrative, in die wir bisher eingeschrieben waren oder es noch sind, zur Diskussion zu stellen. Das kann aussehen wie in Texten, die Dogmen des Wachstums bewusst auf ihre Verbindungen zu unserem alltäglichen Leben hinterfragen, wie es unter anderen Eva Illouz zeigt, wenn sie sich in “Der Konsum der Romantik“ der Frage widmet, wie Paradigmen des Kapitalismus beeinflusst haben wie wir heute lieben. Solche Auseinandersetzungen können konkret fordern, die Verbundenheit von unserer Umwelt und unserem Leben sichtbar zu machen. In diesem Fall hebt die Autorin die Verbindungsstellen zwischen Ökonomischem und Privatem hervor. Aber es reicht nicht Texte zu lesen, die problematische Narrative aufdecken, um einen gesellschaftlichen Wandel in Gang zu bringen. Um den Blick von veralteten Erzählungen hin zu neuen und wünschenswerten Zukünften zu richten, braucht es als zweiten Schritt der Orientierung, gemeinsame Gespräche. Denn wie der Politologe Meinert anmerkt: Zukunft „kann nie alleine geschrieben werden“, zumindest dann nicht, wenn sie eine transformative und transregionale Kraft entfalten soll. Das bedeutet auch, dass ein Dialog Format, das bewusst dazu anregen will Zukunft neu zu denken, über soziale Blasen hinaus funktionieren muss. Wie so etwas aussehen kann zeigt zum Beispiel das Deutschland spricht Projekt der Zeit, das seit Sommer 2017 regelmäßig stattfindet. Die Idee dahinter ist, Menschen mit möglichst diversen politischen Interessen und Ansichten zusammenzubringen und zum Dialog zu inspirieren. Die Durchführung dabei ist so simpel, wie überzeugend: Die Teilnehmer:innen beantworten online, ähnlich wie beim Wahlomat, ein paar Fragen zu tagesaktuellen Themen und werden dann einer Person vorgestellt, welche in ihrer Nähe wohnt, jedoch möglichst andere Ansichten vertritt. Mit solchen Dialog Formaten könnte ein gemeinsamer und gesellschaftlicher Denkprozess in Gang gesetzt werden, indem Zukunftsvorstellungen unter Einbezug von möglichst diversen Wünschen und Perspektiven in Gedanken Gestalt annehmen. Um diese Transformation greifbar und vor allem erfahrbar zu machen, braucht es eine gesellschaftliche Praxis, ein Austesten von Gestaltungsmöglichkeiten, gewissermaßen explorative Begegnungsräume, in denen man üben kann Zukunft neu zu formen. So könnte man der allgemeinen Unsicherheit gegenüber einer unsicheren Zukunft erfahrbare Alternativen zu Seite stellen. Bei einer solchen Praxis müsste es dann vor allem darum gehen, sich neu in der Gegenwart zu orientieren und einen gemeinsamen „Referenzrahmen“ für die eigenen Handlungen zu schaffen. Eine solche Vorstellungs-Praxis könnte aussehen, wie es unter dem Namen Utopia Stadt bereits seit einigen Jahren erprobt wird. Aus einem restaurierten und umfunktionierten Bahnhofsgelände in Wuppertal ist dort ein Ort entstanden, der Projekten der Nachhaltigkeit, wie gemeinsamer Agrarfläche oder Upcycle Konzepten, ebenso einen Raum bietet, wie Salongesprächen und Vorlesungsreihen. Fragen der Nachhaltigkeit und der transformativen Gesellschaft werden hier als Gemeinsame gedacht. Die Verwobenheit der verschiedenen Aufgaben der Gegenwart wird dort im wahrsten Sinne zusammengeführt und in der Praxis mit Bürger:innen gemeinsam neu geformt.
Nachdem die alte gemeinsame Erzählung von Wachstum an allen Enden auseinanderbricht, täte ein gedanklicher Reset gut, von dem aus wir neue Geschichten wünschenswerter Zukünfte erzählen können. Dafür braucht es Orte, in denen wir Zukünftiges zusammen denken können und Räume, in denen wir uns in der gemeinsamen Erprobung von neuen Zukunftsvisionen wieder auf einen festen Boden stellen können. Vielleicht wären es diese Orte, wo wir gemeinsam neue Zukünfte denken können, an denen wir den Anfang machen von einem gedanklichen Sinneswandel zu neuen Paradigmen unseres menschlichen Zusammenlebens und der Interaktion mit unserer Umwelt.
Wie euch vielleicht aufgefallen ist, hat diese Episode einen Sponsor. Das liegt daran, dass wir finanziell noch nicht ganz auf eigenen Beinen stehen. Natürlich wünschen wir uns, dass Sinneswandel eines Tages 100% werbefrei arbeiten kann. Aber, dafür brauchen wir eure Unterstützung! Unser Ziel sind zunächst 1.500€ monatlich. Das klingt erstmal viel, ist es jedoch nicht, wenn man bedenkt, dass wir alle, die am Podcast beteiligt sind, wie Redakteure, Autor:innen und Produzenten, für ihre Arbeit honorieren möchten. Daher freuen wir uns, wenn ihr uns etwas unter die Arme greift. Unterstützen könnt ihr uns via paypal.me/sinneswandelpodcast oder via Steady. Mehr dazu in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald!