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"Tatjana Schnell"

Tatjana Schnell: (Lebens-)Sinn – etwas Kollektives?

von Henrietta Clasen 9. November 2021

Es scheint ganz so, als genüge es uns Menschen nicht, einfach nur zu Existieren. Wir brauchen einen Grund weshalb wir uns morgens aufraffen – die Freude am Sein allein, sie mag Mönche und Buddhisten beglücken – den postmodernen Menschen berauscht sie längst nicht mehr. Kein Wunder, möchte man sagen! Sind die Büchereien doch gefüllt mit Ratgeberliteratur, deren Titel uns aufmunternd zurufen: “Finde dich selbst!” Sie ist zum Greifen nah, die Erfüllung, wir müssen nur die Hand ausstrecken und zugreifen. So zumindest lautet das Glücksversprechen des modernen Kapitalismus. Aber ist das wirklich so? Existiert so etwas, wie ein individueller Lebenssinn, eine Art Berufung, die es zu Suchen und Finden gilt? Oder entsteht Bedeutung nicht vielmehr im Kollektiv(en)? Um das herauszufinden, habe ich mich mit Psychologin und Sinnforscherin Prof. Dr. Tatjana Schnell unterhalten.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Sinnforschung.org Sinnforschung an der Universität Innsbruck mit Informationen und Studien zum Thema Lebenssinn.
► Buch: “Psychologie des Lebenssinns”, Springer Verlag (2020).
► Aktuelle Forschungsergebnisse zu psychologischen und existenziellen Aspekten der COVID-19 Pandemie.
► Mihály Csíkszentmihályi: “Flow. Das Geheimnis des Glücks”, Klett-Cotta (2002).
► David Graeber: “Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit”, Klett-Cotta (2009).
► Karl Jaspers: “Leben als Grenzsituation. Eine Biographie in Briefen”, Wallstein (2019).

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

9. November 2021

Kilian Trotier: Kann die Suche nach Sinn [un]glücklich machen?

von Marilena 12. November 2024

Was passiert, wenn die Sinnfrage zur (Sinn)Krise wird? ZEIT-Journalist Kilian Trotier beschäftigt sich in seinem neuen Buch “Sinn finden Warum es gut ist, das Leben zu hinterfragen” mit den großen Fragen. Im Gespräch mit Marilena Berends erzählt er von der wachsenden „Sinn-Branche“ und darüber, ob diese Suche wirklich glücklich macht oder vielleicht doch mehr Druck schafft.

Shownotes:

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► Kilian Trotier,Tatjana Schnell: Sinn finden Warum es gut ist, das Leben zu hinterfragen, Ullstein 10/24
► Tatjana Schnell: (Lebens-)Sinn – etwas Kollektives, 11/2021
► Kilian Trotier auf X
► ZEIT: Sinn – Wofür leben wir?

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast! Ich bin Marilena Berends und freue mich, dass ihr wieder dabei seid.

Heute geht’s um ein Thema, das perfekt zum Sinneswandel passt: der Sinn im Leben. 

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kenne das aus eigener Erfahrung, dass ich immer wieder in verschiedenen Lebensphasen meinen Weg hinterfragt und manchmal auch neu justiert habe. Eine Prozess, der vermutlich nie endet und den viele von uns kennen.

Aber wie sinnvoll ist es eigentlich, ständig über den eigenen Lebenssinn nachzudenken? Kann das vielleicht sogar unglücklich machen? 

Über genau diese Fragen habe ich mit meinem heutigen Gast gesprochen: Kilian Trotier. Kilian ist Journalist bei der ZEIT, wo er das Projekt “Sinn – wofür leben wir?” mit gegründet hat. Und er hat vor kurzem gemeinsam mit der Psychologin Tatjana Schnell das Buch Sinn finden – Warum es gut ist, das Leben zu hinterfragen geschrieben.

Tatjana war übrigens schon drei Jahren hier im Podcast zu Gast. Ich kann euch das Gespräch auf jeden Fall sehr ans Herz legen. Nicht nur, weil Tatjana eine absolute Sinn-Expertin ist, sondern auch, weil wir damals über ganz grundlegende Fragen rund um Sinn, Glück und Erfolg gesprochen haben. Also eine super Grundlage für die heutige Episode. Ich verlink euch das Gespräch mit Tatjana in den Shownotes.

Heute könnt ihr übrigens zwei Exemplare von Sinn finden gewinnen. Alle, die meinen Podcast auf Steady unterstützen, sind automatisch bei der Verlosung dabei. Alle Infos dazu findet ihr wie immer in den Shownotes.

Und jetzt: Viel Spaß beim Gespräch mit Kilian Trotier!

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn euch diese Folge mit Kilian gefallen hat, teilt sie gerne mit euren Freundinnen und Freunden. Und falls ihr meine Arbeit finanziell supporten wollt, könnt ihr das ganz einfach via Steady oder, indem ihr mir einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. In den Shownotes findet ihr wie immer alle Infos und Links zur Folge. Das war’s von mir! Bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

12. November 2024

Sinnkrise: Wer bin ich, ohne meinen Job?

von Marilena 27. September 2022

“Tu, was du liebst und du musst nie wieder arbeiten” oder “Erschaffe dir ein Leben, von dem du keinen Urlaub mehr brauchst”, Zitate wie diese lassen sich reihenweise finden. Ob als Inspiration in Sozialen Netzwerken oder zur Motivation und Orientierung in Selbsthilferatgebern – es gilt (s)einen Sinn im Job zu finden und sich in ihm selbst zu verwirklichen. Work-Life-Balance war gestern – vielmehr sollen sie verschmelzen, die Grenzen zwischen Leben und Arbeit. Sich vereinen, vom Beruf zur Berufung werden, die alles in sich vereint: Geld und Passion. Doch was passiert, wenn der Job zum einzigen Lebensinhalt wird? Und bis zu welchem Grad ist die Identifikation mit dem Beruf überhaupt gesund?

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Nina Kunz: Ich denk, ich denk zu viel, Kein&Aber 2021.
► Tatjana Schnell: Von Lebenssinn und Sinn in der Arbeit: Sinn erleben – Arbeit und Gesundheit, Fehlzeiten-Report 2018.
► Christian Uhle: Wozu das alles? Eine philosophische Reise zum Sinn des Lebens, Fischer 2022.
► Anna Mayr: Die Elenden, Hanser 2020.
► Sabine Donauer: “Faktor Freude: Wie die Wirtschaft Arbeitsgefühle erzeugt”, Körber  2015.
► Hannah Arendt: “Vita activa oder Vom tätigen Leben”, 1958.

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

 

Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Eigentlich ist es ziemlich ironisch und mittlerweile kann ich darüber auch schmunzeln. Vor ein paar Wochen war das allerdings noch nicht der Fall. Da saß oder lag ich vielmehr ziemlich aufgelöst in meinem Bett. Das Handy klebte schon von selbst an meiner tränenfeuchten Wange. Am anderen Ende der Leitung, eine Freundin, die mir beschwichtigende Worte ins Ohr flüstert, die ich aber eigentlich gar nicht hören will. Denn natürlich weiß ich, dass sie Recht hat: Eine Absage ist noch lange kein Weltuntergang – passiert uns allen mal – ist mir schon klar! Trotzdem fühlt es sich so beschissen an, dass ich mich gerade nur in meinem Selbstmitleid sudeln und unter der Decke verkriechen will.

Falls ihr euch fragt, wer oder was mich da so aus der Fassung gebracht hat: nein, es war kein Date, das mich geghostet hat, keine Liebeskummer-Tränen, die vergossen wurden. Grund für die Krise war ganz einfach mein Job. Ich hatte einen Artikel veröffentlichen wollen, der allerdings auch nach der dritten Korrekturschleife nicht den Anforderungen entsprach und somit in der Tonne landete. Bis heute. Denn zweimal dürft ihr raten, worum es in dem Text ging: Um Selbstverwirklichung im Job und darum, dass es gar nicht mal so erstrebenswert ist, wenn man eins mit seinem Beruf wird. Warum? Das durfte ich in diesem Moment am eigenen Leib erfahren. Eine einzige verdammte Absage und ich stellte nicht nur mein Können, sondern gleich mein ganzes Leben in Frage: Hatte ich mich geirrt, konnte ich gar nicht schreiben? Wie zur Hölle war ich überhaupt auf die Idee gekommen, Journalistin werden zu wollen? Vielleicht sollte ich etwas ganz anderes machen, was Handfestes? Aber, wer wäre ich dann noch?

Meine Krise – eigentlich der beste Beweis dafür, dass an meiner These etwas dran war, aber das half mir in dem Moment auch nicht weiter. Mein Selbstbewusstsein war geknickt und es mussten erstmal ein paar Tage, vielleicht sogar Wochen, verstreichen, bis ich die Ironie in der Geschichte sehen konnte. Denn der ganze Witz daran war: In dem besagten Text kam ich nicht vor. Ich hatte mich bemüht, möglichst distanziert zu schreiben, keine Ich-Perspektive und dafür reihenweise Quellen. Ich wollte nicht schon wieder aus meinem eigenen Nähkästchen plaudern, nicht mein Innerstes nach außen kehren. Lieber wollte ich die ach so neutrale Autorin sein, die das Thema ganz souverän und nüchtern betrachtet. Heute weiß ich, ich hatte einfach Angst. Vielleicht, weil ich bereits ahnte, wie viel das Thema mit mir selbst zu tun hat und, dass ich ihm alles andere als neutral gegenüberstand. Aber eigentlich hatte das ja auch keiner von mir erwartet. Ganz im Gegenteil, ist Betroffenheit nicht eigentlich die beste Voraussetzung für eine gute Geschichte?

Da mir diese ganze Geschichte zumindest nicht aus dem Kopf gegangen ist und ich nach wie vor das Gefühl habe, dass an der Sache etwas dran ist, möchte ich sie mit euch teilen. Aber dieses Mal ohne Distanz. Denn das weiß ich heute, gelingt mir eher so mittelmäßig. Das hatte ich nun davon, damals bewusst nach einem Beruf gesucht zu haben, der etwas mit mir zu tun hat, in dem ich mich, wie es so schön heißt, selbst verwirklichen konnte. Arbeit zum reinen Broterwerb, nine-to-five? Das war für mich als klassischer Millennial unvorstellbar. Spätestens seit es uns gibt, heißt es immerhin überall: “Tu, was du liebst und du musst nie wieder arbeiten” oder “Erschaffe dir ein Leben, von dem du keinen Urlaub brauchst”. Work-Life-Balance war gestern – vielmehr sollen sie verschmelzen, die Grenzen zwischen Leben und Arbeit. Sich vereinen, vom Beruf zur Berufung werden, die alles in sich vereint: Geld und Passion.

Damals dachte ich: klingt ziemlich nice! Unter keinen Umständen wollte ich einer dieser Menschen sein, der sich tagtäglich ins Büro schleppt, obwohl er innerlich bereits gekündigt hatte. Und, wenn wir mal ehrlich sind, möchte doch eigentlich niemand einen Großteil seiner Zeit mit Dingen verbringen, die sich nach Qual anfühlen, selbst wenn man dafür bezahlt wird. Es gibt sogar Untersuchungen, die zeigen, dass Langeweile und ein Gefühl von Sinnlosigkeit im Job krank machen können – “Bore-Out”, nennt das Psychologin Tatjana Schnell. Empfinden wir unsere Arbeit allerdings als sinnstiftend und bedeutsam, wirkt sich das positiv auf unser psychisches und physisches Wohlbefinden aus. Dass ich nach einer Art Berufung, wenn man es so nennen will, gesucht habe, ist also durchaus nachvollziehbar. Eigentlich ist es sogar ein menschliches Bedürfnis, wie mir Philosoph Christian Uhle erzählt: “Menschen arbeiten eben nicht nur des Geldes wegen, sind nicht rein egoistisch, sondern haben auch den Wunsch, sich sinnvoll einzubringen.” (Wozu das Alles. 2022, S.163). Dazu kommt, dass uns Arbeit, in einer ziemlich krisenanfälligen Zeit – [Hust] Corona – Halt und Struktur bieten kann. Während die Welt da draußen unterzugehen scheint – und es vermutlich sogar tut – sitze ich hier und schreibe meine Texte. Eine Mischung aus Eskapismus und einem kleinen Fünkchen Hoffnung, doch etwas bewirken zu können.

Das heißt aber natürlich längst nicht, dass wir alle gleichermaßen diesen Wunsch teilen und schon gar nicht, dass  jeder einen tieferen Sinn in seiner Arbeit sucht. Und das ist vollkommen legitim, womöglich lebt es sich sogar gesünder. Erst kürzlich kam ich auf einem Geburtstag mit einer Frau ins Gespräch. Abgesehen davon, dass wir wohl ungefähr gleichalt sein mussten, hätten wir kaum unterschiedlicher sein können. Nachdem die obligatorische Frage, “Und, was machst du so?”, gefallen war, erzählte sie mir, dass sie seit kurzem in einem großen Konzern im Marketing arbeite und sich dort richtig wohl fühle. Warum genau, wollte ich wissen. Ihre Antwort: Sie könne immer pünktlich Feierabend machen, denn Überstunden gäbe es keine und so habe sie noch genügend Zeit für ihre Hobbys – Zumba und Kochen. Auf einen Job mit mehr Verantwortung, den sie womöglich auch nach Feierabend noch mit ins Bett nimmt, darauf habe sie keine Lust, erzählt sie mir. Irgendwie bewundere, ja beneide ich diese Frau ein bisschen. Für ihre scheinbar gesunde Distanz zwischen sich und ihrem Job. Und dafür, dass sie scheinbar so gar kein Bedürfnis danach verspürt, mit ihrer Arbeit auszudrücken, wer sie ist. Und gleichzeitig frage ich mich: Warum habe ich eigentlich diesen Geltungsdrang? Es gibt doch auch andere Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen, als über Lohnarbeit. Und schließlich bin auch ich mehr als mein Job – fühlt sich nur manchmal nicht so an. 

“Workism beschreibt […] etwas, das mir schon länger Sorgen macht: Es ist der Glaube, dass Arbeit nicht mehr eine Notwendigkeit darstellt, sondern den Kern der eigenen Identität. […] Ein zentrales Ziel im Leben soll sein, einen Job zu finden, der weniger Lohnarbeit ist als vielmehr Selbstverwirklichung. Darum […] habe ich heute keine Schreib-, sondern Lebenskrisen, wenn ich im Job versage.”, schreibt Nina Kunz in ihrem Buch Ich denk, ich denk zu viel (2021) – und ich fühle es sehr. Vielleicht liegt es auch an meiner Bubble, in der fast jeder seiner Leidenschaft nachzugehen scheint oder sich zumindest ein kleines Side Business aufgebaut hat, in dem er sich kreativ austoben kann, dass auch ich mich an diesem Ideal abarbeite. Nicht, dass ihr mich falsch versteht, die meiste Zeit liebe ich tatsächlich meinen Job und bin überaus dankbar, mich mit dem Schreiben und Sprechen tatsächlich über Wasser halten zu können. Nichtsdestotrotz wünsche ich mir manchmal nichts sehnlicher, als den Laptop zum Feierabend einfach zu schließen und damit auch alle offenen Tabs in meinem Kopf, die mit meinem Job verbunden sind. Klappt leider selten, ebenso wie mein Vorsatz, weniger zu husseln, wie das ja so gerne genannt wird. Es ist Fluch und Segen zugleich, wenn sich Arbeit nicht nach Arbeit anfühlt. Segen, weil klar, was ich tue, macht mir meistens Spaß und fühlt sich sinnvoll an, was bedeutet, dass ich mich selten dazu aufraffen muss. Jippi! Genau diese intrinsische Motivation macht es aber auch zum Fluch, weil sie immer wieder dazu führt, dass ich nicht nur Hobbies, Freunde oder Familie oft hinten anstelle, sondern auch mich selbst ausbeute. Denn Fakt ist: Wenn wir unsere Arbeit als sinnvoll erleben, sind wir nicht nur motivierter, sondern häufig auch gewillter Kompromisse einzugehen: von (unbezahlten) Überstunden, über prekäre Arbeitsbedingungen, bis hin zum Burn-Out – you name it!

Diese Erkenntnis wissen natürlich auch Unternehmen längst für sich zu nutzen. Und so ist es wenig überraschend, dass in Stellenausschreibungen immer häufiger von “Jobs mit Sinn” zu lesen ist: Wer sich mit seinem Beruf oder einer Marke identifiziert, ist schnell gewillt mehr zu leisten – oft für weniger. Die Historikerin Sabine Donauer bezeichnet das als eine Form der “immateriellen Entlohnung”: Nicht mehr das Gehalt steht im Vordergrund, sondern Anerkennung und Selbstwirksamkeit. Solange wir den Eindruck haben, uns verwirklichen zu können, erleben wir Arbeit seltener als Last, sondern überwiegend als Lust. Das ist zwar grundsätzlich schön, macht es auf der anderen Seite auch deutlich schwieriger, sich selbst Grenzen zu setzen. Stichwort “Mental Health”. Man könnte sagen, es ist fast eine Sucht. Je mehr ich arbeite, desto mehr fühle ich mich in meinem Selbst und Sein bestätigt. Aber, wie ich durch den gescheiterten Artikel wieder einmal lernen durfte, ist das ein ganz schön fragiles Gerüst, wenn es mal ins Wanken gerät.

Trotzdem stelle ich mir die Frage: Wie kann es gelingen, sich von dem gesellschaftlichen Druck nach beruflicher Selbstverwirklichung zu emanzipieren? Es ist ja nicht so, als entstehe dieser Wunsch nur aus mir heraus. Er wird auch oder vor allem durch gesellschaftliche Narrative befeuert. Philosoph Christian Uhle rät dazu, genau hinzuschauen, wo gut gemeinte Ratschläge, wie “Folge deinem Herzen und finde deine Berufung”, in Befehle umschlagen (Wozu das Alles. 2022, S.394). Denn die Schwierigkeit, so Uhle, bestehe gerade darin, dass die Aufforderung zur Selbstverwirklichung grundsätzlich eine positive und emanzipatorische Message sei. Wenn aber eine Wahl zum Imperativ wird und Arbeit den Status einer Ersatzreligion erhält, kann das auch für diejenigen problematisch werden, die vollkommen zufrieden damit sind, einfach „ihren Job zu machen“. Schließlich sehnt sich längst nicht jeder nach einem tieferen Sinn in seiner Arbeit oder hat vielleicht gar nicht erst die Möglichkeit dazu, sich auf die Suche danach zu begeben. 

„Wer nie authentische Bedürfnisse entwickelt, sondern sich immer nur nach den ökonomischen Zwängen richten muss, der entscheidet nicht selbst über seine Identität”, schreibt Autorin Anna Mayr in ihrem Buch Die Elenden (2020). Warum wird es dennoch so dargestellt, als liege es in der alleinigen Verantwortung jedes Einzelnen, seine Berufung zu finden und ihr nachzugehen? Ganz einfach, dann muss das System nicht in Frage gestellt und schon gar nicht verändert werden, wenn jeder mit sich selbst beschäftigt ist. Eine Privatisierung von Sinnansprüchen ignoriert ganz einfach die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die Menschen daran hindern, einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen zu können. Es ist doch auch viel leichter, Menschen die Schuld dafür zu geben, sich nicht genügend anzustrengen, als anzuerkennen, dass es vor allem mangelnde Ressourcen, wie Zeit, Geld oder Gesundheit sind, die sie davon abhalten, sich zu verwirklichen. Womöglich liegt es aber auch gar nicht im Interesse aller, genau das zu ermöglichen? Denn wo kämen wir hin, wenn jeder nur noch den Dingen nachginge, die ihm gefallen? Wer würde dann noch die Arbeit erledigen, um die sich keiner streitet, die aber wichtig – ach ne wartet, dafür gab es ja ein ganz spezielles Wort – systemrelevant ist?

Wie ihr merkt, geht es längst nicht mehr nur um meine eigene Geschichte. Das viel propagierte Ideal von dem Suchen und Finden einer Berufung, einem Job mit Sinn, von dem man angeblich keinen Urlaub mehr braucht, hat viele Facetten. Dass ich die Möglichkeit habe, ihn auszuleben, ist faktisch ein Privileg. Dennoch wollte ich aufzeigen, dass ebendieses Privileg keinesfalls nur Gutes mit sich bringt. Denn, reduziere ich meine eigene Identität darauf, was ich im Beruf leiste, schade ich damit im Zweifel nicht nur mir selbst, ich trage auch dazu bei, dass eine Geschichte fort erzählt wird, in der nur existiert, wer arbeitet – im Sinne von Erwerbsarbeit, versteht sich. Dabei sind wir, bin ich so viel mehr als mein Job. 

In ihrem Werk Vita activa oder Vom tätigen Leben (1958), spricht die Philosophin Hannah Arendt jedem Menschen ein grundlegendes Bedürfnis nach Aktivität, Beteiligung und Selbstwirksamkeit zu. Dieser Wunsch nach Tätigkeit wird heute aber mehr denn je durch einen Filter der Erwerbsarbeit gepresst. Wenn wir von Arbeit sprechen, meinen wir meistens nur jene, die bezahlt wird. Dabei finden wir Menschen Sinn auf vielen Ebenen unseres Lebens: in der Kunst, der Natur, der Gemeinschaft, der Freundschaft, der Familie, dem Protest und überall sonst, wo wir in Beziehung zu uns selbst und der Welt treten. Care-Arbeit, ehrenamtliche, aktivistische oder künstlerisch-kreative Arbeit fallen, wenn es um Selbstverwirklichung geht, meist aus dem Raster. Aber sind es nicht auch oder gerade diese Tätigkeiten, die Sinn stiften, die unerlässlich sind?

Meinen Beruf oder meine Berufung, wie auch immer man es nennen mag, habe ich nach dieser Geschichte zwar nicht an den Nagel gehängt. Und habe es verrmutlich auch nicht vor. Aber eines habe ich mir bereits vorgenommen: Auf der nächsten Party werde ich die obligatorische Frage, “Und, was machst du so?”, nicht mit meinem Beruf allein beantworten. Vielleicht werde ich stattdessen erzählen, dass ich gerne Theater spiele oder, dass ich das analoge Fotografieren für mich wiederentdeckt habe. Vielleicht erwähne ich auch, dass ich ab und zu schreibe – aber das ist eben nur ein Teil von mir. Oder zumindest arbeite ich daran.

Outro

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27. September 2022

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