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Nachhaltigkeit

Wandelmut: Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben?

von Marilena 17. Mai 2022

Wie sehen nachhaltige Alternativen zum konventionellen Bauen und Zusammenleben aus? Um das herauszufinden, haben Architekt Leopold Banchini und Künstler Lukas Feireiss Lloyd Kahn, einen Pionier des nachhaltigen Bauens, in seinem selbstgebauten Haus in Kalifornien besucht. Die daraus entstandene Installation verbindet Kahns Gedanken mit der Gegenwart und wirft die Frage auf, wie Architektur und nachhaltige Lebensweisen zusammengedacht werden können. Wie kann das gelingen? Um Antworten auf diese Frage zu erhalten, hat sich Marilena mit Lukas Feireiss unterhalten. Der Podcast ist der zweite Teil der 3-teiligen Podcastreihe “Wandelmut”, die im Auftrag des Museum Sinclair-Haus entstanden ist.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

 

► Studio Lukas Feireiss.
► “There Are Walls That Want to Prowl” by Leopold Banchini, Lukas Feireiss.
► “Wandelmut”: 3-teilige Reihe im Podcast „Art’n’Vielfalt“ des Museum Sinclair-Haus.
► Stiftung Kunst und Natur – Museum Sinclair-Haus.

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

17. Mai 2022

Zukunftsfähiges Feiern, geht das?

von Marilena 21. April 2022

Allein an einem einzigen Wochenende verbraucht ein kleiner Berliner Club so viel Strom wie ein Single-Haushalt in einem ganzen Jahr. Auch beim Feiern entstehen Co2-Emissionen – die lassen sich nicht einfach Wegtanzen. Wie kann daher zukunftsfähiges Feiern aussehen, das nicht die planetaren Grenzen sprengt, ohne, dass dabei der Spaßfaktor flöten geht? Ganz einfach, indem wir Feiern, als gäbe es ein Morgen! Der Überzeugung ist jedenfalls Konstanze Meyer, Projektleiterin von Clubtopian – eine Initiative für “grüne Clubkultur”, die sich für einen nachhaltigen Wandel der Clubsszene einsetzt. Denn die hat auch einen Impact und vor allem kreatives Potential – um Impulse für ein Umdenken in der Veranstaltungsbranche, aber auch darüber hinaus, zu setzen.

Shownotes:

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► Mehr zur Initiative Clubtopia und dem Verein clubliebe e.V.
► Zukunft feiern, als gäbe es ein Morgen!
► Der Code of Conduct für eine nachhaltige Clubkultur.
►Der Green Club Guide von Clubtopia steht kostenlos als Open Source zur Verfügung.
► Die Nachhaltigkeits-Checkliste für die Club-Wiedereröffnung findet ihr hier.

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21. April 2022

Fridtjof Detzner: Nachhaltig Investieren, geht das?

von Marilena 1. Februar 2022

 

Kann Geld die Welt retten? Oder ist es nicht gerade das liebe Geld und die Gier nach mehr, die unseren Planeten, zerstören? Eines ist klar: Geld bedeutet Macht. Dass es selten Gutes bedeutet, wenn viel davon in wenigen Händen liegt, zeigen Menschen wie Zuckerberg, Bezos und Co. Aber was, wenn Geld dazu eingesetzt würde, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl zu fördern? In der heutigen Episode spricht Marilena mit Fridtjof Detzner über “nachhaltiges Investment. Er hat “Planet A”  gegründet – ein Impact Investment Fonds, der als Risikokapitalgeber in Ideen und junge Unternehmen investiert, die eine klimapositive Wirtschaft voranbringen wollen.

Shownotes:

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► Mehr von und mit Fridtjof Detzner auf seiner Website.
► Fridtjof auf Instagram und Twitter.
► Planet A
► “Founders Valley” Dokumentation von Deutsche Welle mit Fridtjof Detzner.
► Mehr zum Thema “Verantwortungseigentum” bei Purpose-Economy.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
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Ein besonderer Dank gilt den Fördermitgliedern, die Sinneswandel als Pionier*innen mit 10€ im Monat unterstützen: Bastian Groß, Pascale Röllin, Wolfgang Brucker, Petra Berends, Holger Bunz, Eckart Hirschhausen, Isabelle Wetzel, Torsten Sewing, Hartmuth Barché, Dieter Herzmann, Hans Niedermaier, Constanze Priebe-Richter, Julia Freiberg, Dana Backasch, Peter Hartmann, Martin Schupp, Juliane Willing, Andreas Tenhagen, eeden Hamburg Co-creation Space for visionary women*, David Hopp, Jessica Fischer (Universität Paderborn), Ioannis Giagkos, Matthias Niggehoff, Johanna Bernkopf, Holger Berends, Sebastian Hofmann, Do rian, Anita Wilke, Razvan Pufuleti, Daniele Lauriola, Samira Felber und Volker Hoff.

1. Februar 2022

Veganes Mett – warum imitieren wir Fleisch?

von Marilena 18. Januar 2022

Immer mehr Menschen entscheiden sich auf Fleisch zu verzichten und vegetarisch oder sogar vegan zu leben. Aus ökologischer Sicht ist das mehr als sinnvoll – aber auch ökonomisch betrachtet, erweist sich der “Veggie-Boom” als ergiebig. Immer mehr Produkte erobern den Markt, die Steak und Fischstäbchen zu imitieren versuchen – darunter auch “blutende” Burger-Patties. Die kommen auf Konsumentenseite bislang gut an, werfen aber die Frage auf: Warum muss Fleischersatz eigentlich wie das Original schmecken, riechen und aussehen – wozu imitieren wir überhaupt Fleisch?

Shownotes:

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► Dr. Harald Lemke: “Ethik des Essens. Einführung in die Gastrosophie”, (S.377-404) in “Aufklärung und Kritik” (1/2004): “Feuerbachs Stammtischthese oder zum Ursprung des Satzes: ‘Der Mensch ist, was er isst’”.
► Deutschlandfunk Nova: „Es gibt überall die Norm, dass Fleisch zu einer Ernährung dazugehört“.
► pbp (12/2021): “Vom Wohlstands- zum Krisensymbol. Eine Kulturgeschichte des Nahrungsmittels Fleisch”.
► Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse 2021: “Nachhaltigkeit: Themenzyklus oder tiefgreifender Wandel von Lebensweisen und Konsumentscheidungen?”.
►Statista-Dossier zu Vegetarismus und Veganismus in Deutschland (2021).
► WWF-Studie: “Klimawandel auf dem Teller” (2012).
► BMEL Ernährungsreport 2020.
► Handelsblatt (8/2020): “Rügenwalder Mühle: Veggie-Fleisch überholt erstmals klassische Wurst”.
► Handelsblatt (6/2019): “Beyond Burger im Test: weder gesund noch nachhaltig!”. 
► Transparenz Gentechnik: “Veganer Fleischersatz – perfekt dank Gentechnik”.
► The Wall Street Journal (10/2014): “So, What Does a Plant-Blood Veggie Burger Taste Like?”] .
► Spiegel (2/2017): „Am wichtigsten ist der Geruch nach Blut“.
► Quarks (1/2020): “Insekten: Die Proteinquelle der Zukunft”.

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18. Januar 2022

Carla Reemtsma: Ist die Klimabewegung zu elitär?

von Henrietta Clasen 23. August 2021

Carla Reemtsma, Pressesprecherin von Fridays For Future Deutschland, spricht nicht von Klimaschutz, sondern von “Klimagerechtigkeit” – also der Vereinbarkeit einer ökologischen und sozialen Transformation – die den Aktivist*innen besonders am Herzen liegt. Doch interessanterweise wird Carla und ihren Mitstreiter*innen von Fridays For Future immer wieder zum Vorwurf gemacht, die Bewegung selbst sei eine “Rebellion der Privilegierten”. Wie viel steckt tatsäch an dem Vorwurf, es handle sich bei den Klimaaktivist*innen vor allem um weiße Akademiker*innen-Kinder? Und, kann Netzaktivismus vielleicht dabei helfen, den Protest zugänglicher zu machen?

Shownotes:

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Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos erhaltet ihr hier.

► Ihr findet Carla auch auf Twitter.
► Am 24. September ist globaler Klimastreik von Fridays For Future .
► Ifo: “Wie fair ist die Energiewende? Verteilungswirkungen in der deutschen Energie- und Klimapolitik” (06/21).
► taz: “Spritpreis ist sozialer als sein Image” (06/21).
► Der Gradmesser Klimapodcast des Tagesspiegel: “Kluger Klimaschutz schafft soziale Gerechtigkeit” (06/21).
► Clemens Traub “Future For Fridays? ​​Streitschrift eines jungen „Fridays for Future“-Kritikers” (02/20).
► taz: “Diversität beim Klimaprotest: Zu jung, zu weiß, zu akademisch” (12/19).
► taz: “Nominierte 2020: Black Earth Kollektiv: Klimagerechtigkeit intersektional denken”.
► Maik Fielitz und Daniel Staemmler: “Hashtags, Tweets, Protest? Varianten des digitalen Aktivismus”, Forschungsjournal Soziale Bewegungen (2020).

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: Carla Reemtsma – Ist die Klimabewegung zu elitär?

“Wer sich nach einem 40-Stunden Tag als alleinerziehende Mutter noch um Kinder kümmern muss und wo das Einkommen nicht immer 100pro gesichert ist, hat erstmal andere Prioritäten in seinem Alltag, als sich politisch zu engagieren.”

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

*Werbung*: Diese Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Online bestellen ist bequem. Aber wie nachhaltig ist der Versand eigentlich? OTTO legt besonderen Wert darauf, dass die Retourenabwicklung CO2-schonender wird. Durch sorgfältige Prüfung können mittlerweile 95% aller Retoure-Artikel wieder aufbereitet und weiterverkauft werden, anstelle einfach entsorgt zu werden. Damit Retouren im besten Fall erst gar nicht entstehen, erhalten Kund*innen bei OTTO bereits vorab kompetente Beratung beim Einkauf, damit sie bewusstere und damit nachhaltigere Entscheidungen treffen können. *Werbung Ende*

Als im Juni diesen Jahres die Grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ankündigte, die Spritpreise müssten bis 2023 schrittweise um 16 Cent pro Liter Benzin erhöht werden, war die Empörung groß: “Unsozial! Überheblich! Den kleinen Leuten werde in die Tasche gegriffen”, hieß es. Klimaschutz dürfe kein Privileg der Besserverdiener*innen werden.

Mal ganz unabhängig davon, dass die Bundesregierung ihrerseits schon längst beschlossen hatte, dass Benzin teurer werden müsse – auch SPD und Union stimmten dem zu – ist die Aufregung um die Frage nach der Vereinbarkeit von nachhaltiger Klimapolitik und sozialer Gerechtigkeit alles andere als neu – und nicht ganz unberechtigt. Denn Klimapolitik kann durchaus die soziale Ungleichheit vergrößern. Wissenschaftler*innen sprechen dann von sogenannten “negativen Verteilungseffekten”. Bedeutet, Klimaschutzinstrumente, wie eine CO2-Bepreisung, belasten zunächst Geringverdienende stärker als wohlhabende Haushalte. Hinzu kommt ein Stadt-Land-Gefälle: Wer in Großstädten, wie Berlin oder Hamburg mit einem relativ gut ausgebautem öffentlichen Nahverkehr lebt, ist nicht notwenigerweise auf ein eigenes Auto angewiesen, und daher auch oft weniger von steigenden Spritpreisen betroffen. Ganz im Gegensatz zu Menschen, die auf dem Land wohnen, wo vielleicht zwei Mal am Tag ein Bus vorbeikommt – wenn überhaupt.

Klingt erstmal wie ein klassisches Dilemma – die Sache lässt sich allerdings lösen, wenn man sie einmal genauer betrachtet: Um negativen Verteilungseffekten entgegenzuwirken, darf Klimapolitik nämlich nicht isoliert gedacht werden, vielmehr muss sie in einen umfassenderen, Politikansatz eingebettet werden. Gelingt das, kann sie sogar zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sprich positiven Verteilungseffekten, führen. Das hat auch eine Gruppe von Wis­sen­schaft­le­r*in­nen des Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) erst im Juni diesen Jahres in einer Studie festgestellt. Darin heißt es: „Ein CO2-Preis als Aufschlag auf den Spritpreis, bei dem die kompletten Einnahmen in eine einheitliche Pro-Kopf-Rückerstattung fließen, ist mit Abstand die fairste Form von Klimaschutz im Verkehrssektor“. Also das, was die Grünen fordern, nämlich ein sogenanntes „Energiegeld“ in Höhe von jeweils 75 Euro, das an jede Bürgerin und jeden Bürger aus den staatlichen Steuereinnahmen ausgezahlt wird. Ein solcher Sozialausgleich hätte den Berechnungen der Wissenschaftler*innen nach zur Folge, dass nur das reichste Fünftel draufzahlt – die ohnehin statistisch gesehen den höchsten CO2-Verbrauch haben. Der Rest würde genauso viel oder sogar mehr zurückerhalten, wie er oder sie das Jahr über gezahlt hat. Könnte damit also das gern gebrachte Argument, Gesetze und Verbote seien zwar weniger effektiv als eine CO2-Bepreisung, aber dafür zumindest sozial gerecht, als widerlegt angesehen werden? Energieökonomin Claudia Kemfert sprach sich im Klimapodcast des Tagesspiegels „Der Gradmesser“ jedenfalls fürs eine solche Taktik aus: “Kluger Klimaschutz ist nicht nur etwas für sogenannte Eliten, sondern er schafft im Gegenteil soziale Gerechtigkeit”. Aktuell zahlen für Umwelt- und Klimaschäden am wenigsten die Verursacher*innen, sondern vor allem die Steuerzahlenden. Deshalb brauche es endlich wahre Kostentransparenz. Die Ideen, so Kemfert, lägen bereits auf dem Tisch, es hapere nur an der Umsetzung. 

Apropos Umsetzung, das ist es auch, was die Aktivist*innen von Fridays For Futurevon Beginn an, seit ihren ersten Demonstrationen 2019 fordern. Eine unter ihnen ist die heute 23-jährige Carla Reemtsma. Neben ihrem Studium der Ressourcenökonomie in Berlin, ist sie bundesweite Sprecherin von Fridays For Future Deutschland – vielleicht ist es aber auch eher andersherum, wenn man bei ihrem Einsatz einmal Bilanz ziehen würde. Sie ist von Anfang an mit dabei und trommelt, bewegt von der Rede Greta Thunbergs auf der UN-Klimakonferenz in Katowice 2018, eine Gruppe Menschen zusammen, die schließlich die Fridays For Future Münster gründen: 

“Für mich gibt es nicht den einen Moment der mich für Klimagerechtigkeit und den Aktivismus politisiert hat. Es war vielmehr eine Abfolge von: man trifft seine ersten Konsumentscheidungen, stellt dann fest “Hey, meine Uni investiert Millionen in RWE Aktien”, dann stand ich vor dem Tagebau Hambach in dem rheinischen Braunkohlerevier, wo ein Loch im Boden ist das 300 Meter nach unten geht – man sieht das Ende gar nicht – und das alles für einen Energieträger, der der dreckigste der Welt ist und der die Klimakrise immer weiter anfeuert. Da dachte ich zum ersten Mal, dieser doch etwas pathetisch wirkende Satz “wir beuten unseren Planeten aus”, hat vielleicht einen wahren Kern. Dann aber auch immer andere Aktivist*innen und Aktionen, die wir organisiert haben, haben einen immer weiter politisiert und haben dafür gesorgt, dass ich Aktivistin bin und für Klimagerechtigkeit kämpfe und das auch weiter tue.”  

Carla spricht nicht von Klimapolitik oder Klimaschutz, sondern von “Klimagerechtigkeit” – also der Vereinbarkeit einer ökologischen und sozialen Transformation. Doch interessanterweise wird ihr und ihren Mitstreiter*innen von Fridays For Future immer wieder zum Vorwurf gemacht, die Bewegung selbst sei eine “Rebellion der Privilegierten”. So bezeichnet sie zumindest Clemens Traub. Der 24-jährige Politikstudent aus Karlsruhe, selbst ehemaliger Fridays For Future Aktivist und heute Mitglied der SPD, brachte im vergangenen Jahr, wie er selbst sagt, „die erste Streitschrift in Deutschland eines Jugendlichen selbst über die Klima-Bewegung“ heraus. Seine These darin: Die Fridays For Future Aktivist*innen treiben die soziale Spaltung der Gesellschaft aktiv voran: Auf der einen Seite die gebildeten “Klima-Eliten” – auf der anderen Seite die “Umweltzerstörer”. “Wo ist der Raum für differenzierte Zwischentöne und einen sachlichen Meinungsaustausch?”, fragt Clemens Traub. Klimapolitik müsse sozial gerecht sein. Wer hingegen den gesellschaftlichen Zusammenhalt riskiere, der wird, so Traub, die Welt nicht retten. Doch  wie viel steckt dran, an dem Vorwurf, die Fridays For Future Bewegung sei elitär und bestehe vor allem aus Akademiker*innen-Kindern? Clemens Traub positioniert sich in seinem Buch unmissverständlich: “Das typische Milieu der meisten Fridays-for-Future-Demonstrant*innen kenne ich gut. Es ist in gewisser Weise mein eigenes und das meines jetzigen Freund*innenkreises: großstädtisch, linksliberal, hip. Ärzt*innentöchter treffen darin auf Juristen*innensöhne. Gin-Tasting und Diskussionen über plastikfreies Einkaufen und Zero Waste stehen nebeneinander auf der Tagesordnung. Veganismus zählt ebenso zum unausgesprochenen Kodex des Hip-Seins wie der Einkauf im Secondhandladen. Und der Bioladen um die Ecke wertet die Lage der eigenen Wohnung selbstverständlich auf. Akademiker*innenkinder bleiben unter sich. Ein Querschnitt der Gesellschaft also, den die Klimaproteste abbilden? Weit gefehlt!” 

Und auch die taz titelte bereits im Dezember 2019: “Zu jung, zu weiß, zu akademisch” – mangelnde Diversität beim Klimaprotest! Laut dem Institut für Protest- und Bewegungsforschung (IPB), die während des globalen Klimastreiks im März 2019 Umfragen durchführten, gaben 92 Prozent der Befragten an, mindestens Abitur gemacht zu haben oder einen höheren Bildungsgrad zu besitzen oder diesen anzustreben. Die meisten verorten sich im linken Spektrum. Menschen mit Migrationsgeschichte waren eher unterrepräsentiert – im europäischen Vergleich sei die Bewegung aber, so das Forschungsinstitut, “sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung der Teilnehmer*innen als auch in der Einschätzung von Lösungswegen heterogener als der gemeinsame Rahmen vermuten lässt.” Clemens Traub, der selbst eine Zeit lang bei FFF aktiv war, will von dieser Heterogenität jedoch nichts gemerkt haben: “Die Bewegung war von Anfang an viel zu homogen, viel zu elitär und entsprechend viel zu abgehoben, als dass sie dies selbst überhaupt auch nur bemerkt hätte. Nur wem es materiell gutgeht, der hat letztlich die Zeit und auch die Muße, den Klimaschutz als das persönlich wichtigste und auch einzige politische Thema unserer Zeit zu betrachten und ihm alles andere unterzuordnen.”

Pressesprecherin von FFF, Carla Reemtsma, kennt diese Kritik und verschließt sich keinesfalls vor ihr, merkt aber auch an: “Fridays For Future stellt insgesamt keinen Querschnitt der Bewegung dar. Es stimmt, dass viele Leute aus dem bürgerlichen Haushalt kommen, aber wir sind, nichtsdestotrotz, sehr breit aufgestellt. Gerade was Stadt- und Land-Herkunft angeht. Natürlich sind wir in großen Städten größer, das ergibt sich aus der Größe der Städte, aber wir sind in 600 bis 700 Orten in Deutschland präsent – das sind dann nicht alles nur Millionenstädte. Ich glaube soziale Herkunft kann eine Rolle spielen, ob man sich aktivistisch aktiviert. Sie ist oft der allererste Grund sich zu politisieren. Wer als POC Rassismus erfährt, kann sich daran politisieren und das als ersten und wichtigsten Kampf für sich finden. Wer ein geringes Einkommen hat und unter schlechten Arbeitsbedingungen arbeiten muss, hat da vielleicht seinen ersten politischen Moment. Ich glaube nicht, das grundsätzlich politisches Engagement abhängt von der sozialen Herkunft, sie kann es aber schwerer machen. Wer sich nach einem 40-Stunden Tag als alleinerziehende Mutter noch um Kinder kümmern muss und wo das Einkommen nicht immer 100pro gesichert ist, hat erstmal andere Prioritäten in seinem Alltag, als sich politisch zu engagieren. Wer Zugang zu Bildung hat, ein geregeltes Einkommen – für den ist es häufig leichter. Nichtsdestotrotz glaube ich nicht, dass es ein ausschlaggebendes Merkmal ist, und in unserem Aktivismus ist immer ganz wichtig, dass Kämpfe, die für eine gerechte und lebenswerte Welt für alle kämpfen, zusammenzubringen. Deswegen sprechen wir auch von “Klimagerechtigkeit” und nicht von “Klimaschutz”. Klimagerechtigkeit als ein Kampf, ein Protest der in der Zukunft nicht auf Kosten von Minderheiten gemacht wird, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das heißt, dass soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit, aber auch antirassistische Forderungen miteinander einhergehen. Das wir die Revolution nicht nur durch E-Autos, sondern durch kostenlosen, öffentlichen Nahverkehr machen. Dass wir den Fortschritt in Richtung Klima nicht nur durch einen CO2-Preis machen, wo sich reiche Menschen immer noch vieles leisten können und soziale Ungerechtigkeiten verstärken, sondern gleichzeitig ein Angebot für alle schaffen.”

Die Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen heißt die Proteste der Fridays-Bewegung zwar gut und sieht deren Bemühungen um Inklusivität, ihr reicht das aber dennoch nicht, weshalb sie sich mittlerweile bei dem Berliner BIPoC-Klimakollektiv „Black Earth“ engagiert, mit dem sie vor allem auf die untrennbare Verbindung von Kolonialismus, Rassismus und der Klimakrise aufmerksam machen. Eine der Gründer*innen, Samie Blasingame, sagte in einem Interview mit der taz: „In der [Klima-]Bewegung wird zu wenig über historische Ungerechtigkeiten gesprochen“. Deshalb hätten sie als Kollektiv beschlossen, “stets zu mindestens drei Vierteln aus BIPoC und zu mehr als der Hälfte aus FLINT* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binären und trans Personen) zu bestehen.” 

Grundsätzlich widersprechen, tun sich die Bewegungen nicht – das Anliegen von Imeh Ituen und dem “Black Earth” Kollektiv zeigt nur abermals, wie essentiell der interkulturelle und Milieu-übergreifende Austausch ist – auch im Klimaprotest. Selbst Autor Clemens Traub sieht in diesem Punkt Hoffnung: “Mehr Vielfalt könnte zu einer großen Chance für Fridays for Future werden: […] Ein neues bodenständigeres Auftreten könnte aus [ihnen] endlich eine Bewegung aus der Mitte unserer Gesellschaft machen. Eine einfühlsame Bewegung. Nicht nur für unseren Planeten, sondern vor allem auch für die Menschen, die auf ihm leben!”

Doch gerade online, wo der Protest, nicht nur von Fridays For Future, Corona-bedingt in den vergangenen Monaten hat hauptsächlich stattfinden müssen, macht diesen Austausch nicht gerade leichter. Einerseits ließe sich natürlich vermuten, dass Cyberaktivismus die Zugangsbarrieren herabsetze, da das Internet ein relativ leicht zugänglicher Ort ist. Außerdem ist Protest online häufig vergleichsweise günstig – auch ein Vorteil. Auf der anderen Seite jedoch, fehlt etwas ganz Essentielles: die Lebensrealität. Die Begegnung im analogen Raum, von Angesicht zu Angesicht. Die Präsenz, mit der auch Emotionen frei werden, die eine Verbindung ohnegleichen zwischen Menschen herstellen können. Nichtsdestotrotz hält auch Carla Reemtsma den Protest im Netz, insbesondere in den Sozialen Medien, für unerlässlich – auch, wenn er die Straßenaktionen nicht ersetzen kann:


“Sich online auf Social Media zu engagieren, ist eine mögliche Form des Aktivismus. Ich glaube, Social Media ist unglaublich wichtig in modernen Zeiten. Einerseits für Debatten, die geführt werden, wo Leute gehört werden, die sonst vielleicht weniger Aufmerksamkeit in traditionellen Medien finden – was natürlich auch seine Schattenseiten hat, wenn wir uns populistische Diskurse angucken. Es ist ein Ort, wo sich Leute einfach zugänglich bilden können über politisch Themen, die weniger Aufmerksamkeit finden. Sei es Rassismus, die Klimakrise, sei es Feminismus – diese Themen können dort besprochen werden, aber es ist eine Form. Es ist genauso valide sich zu engagieren und das nicht auf Social Media darzustellen, genauso wie ich glaube, dass Aktivismus, der “on the ground” stattfindet und immer Leute mitnimmt und Aktionen organisiert, doch noch wichtiger ist und das ist, was wir brauchen, um politisch etwas voranzubringen. Social Media kann eine Multiplikator*innen Wirkung haben, es kann für einen selbst gerade in diesem Bildungsaspekt sehr wichtig sein, und ich glaube, dass es für wirksamen Aktivismus immer den Druck von der Straße braucht.”

Zu diesem Ergebnis kamen auch der Protestforscher Daniel Staemmler von der Berliner Humboldt Universität und Maik Fielitz vom Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in ihrer Studie: “Protestformen online und offline sind längst verknüpft, man sieht das jetzt durch die Krise nur stärker, weil der übliche Demobetrieb wegfällt. Was sich ändert, sind die Plattformen, auf denen sich das vollzieht”, so Staemmler im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Die Forscher sind der Auffassung, dass die Zukunft des Netzaktivismus davon abhänge, “die Leute von einer Plattform auf andere zu bringen, wo sie sich intensiver mit den Inhalten auseinandersetzen können”, um die Kraft dann auf die Straße zu tragen. “Dieses Gemeinschaftsgefühl erleben zu wollen, mit allem, was dazugehört, statt nur ein paar Posts zu teilen, das wird nicht verloren gehen. Ich glaube, es könnte sogar noch an Bedeutung gewinnen”, ergänzt Fielitz. Kein unwahrscheinliches Szenario, gerade nach der langen Pandemie-bedingten analogen Protestpause – vielleicht spielt das ja Bewegungen wie Fridays For Future, sobald Straßenaktionen wieder unbedenklich möglich sind, in die Karten. Es wird sich zeigen.

Vielen Dank fürs Zuhören. Wie ihr wisst, ist es unser Bestreben, möglichst unabhängig und werbefrei produzieren zu können. Das müssen wir uns allerdings auch leisten können. Daher, wenn ihr Sinneswandel gerne hört, freuen wir uns, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle Infos zur Episode, Quellen und weiterführendes Material findet ihr, wie immer in den Shownotes. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast! 

23. August 2021

Jakob Blasel: Sind Politik und Aktivismus (un)vereinbar?

von Henrietta Clasen 10. August 2021

Die jungen Menschen, nicht selten werden sie als “politikverdrossen” bezeichnet – aber stimmt das? Sind es nicht gerade die nachkommenden Generationen, die immer wieder an Politiker*innen appellieren, wenn es um die Einhaltung der Pariser Klimaziele geht? Einer dieser jungen Menschen ist Jakob Blasel. Bereits mit 17  begann seine aktivistische Laufbahn, innerhalb weniger Jahre ist er zu einem der Gesichter von Fridays For Future Deutschland geworden. Heute, drei Jahre später, zieht er von der Straße in den Bundestag. Wir haben mit Jakob darüber gesprochen, wie es zu dieser Entscheidung kam. Stehen Aktivismus und Politik im Konflikt miteinander oder könnten sie gar eine Synthese bilden?   

Shownotes:

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Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos erhaltet ihr hier.

Quellen:

►Tagesspiegel: Vom Marsch auf der Straße zum Marsch durch die Institutionen (25.09.2020).
►Bayerischer Rundfunk: Politik statt Protest (06.02.21).
►Tagesschau: Partei statt Straße? (03.07.21).
► die Welt: Ein Klimaaktivist auf dem Marsch in die Institutionen (15.09.20).
► Der Spiegel: Gehört Fridays for Future auf die Straße – oder in den Bundestag? (24.06.21).
►Die Zeit: Kompromisse funktionieren bei der Klimakrise nicht (25.09.20).
►Die Zeit: Grünen Basis will auf Parteitag höheren Co2 Preis durchsetzen (09.06.21).
► Scientists For Future: Die Flutkatastrophe im Juli 2021 in Deutschland und die Klimakrise – eine Stellungnahme von Wissenschaftler:innen der Scientists for Future (22.07.21).
►  Karl R. Popper: Das Elend des Historizismus. 4. Auflage. Mohr, Tübingen,( ISBN 3-16-532721-1) , S. 7. (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften. Band 3) (1974).

Kontakt:
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Transkript: Jakob Blasel: Sind Politik und Aktivismus (un)vereinbar? 

“Alle Menschen, die sagen, den nötigen Wandel werden wir nicht im Parlament schaffen – ja, wo denn sonst? Es darf nicht scheitern. Ohne, dass ich garantieren kann, dass es klappt – ich werd alles dafür geben.”

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

*Werbung*: Wie auch letzte Episode wird die heutige unterstützt von OTTO. In der letzten Episode haben wir berichtet, wie diese ihre Retouren aufbereiten. OTTO versucht aber auch, Retouren im Vorfeld zu vermeiden, etwa durch Online-Videos für Produkte oder persönliche Beratung von Produktexperten über Telefon, WhatsApp, E-Mail oder SMS als zusätzliche Hilfe bei der Kaufentscheidung. Es ist wichtig, dass Unternehmen ihre Recycling-Strukturen optimieren, als auch, dass wir als Verbraucher*innen möglichst bewusste Entscheidungen treffen. *Werbung Ende*

Die jungen Menschen – nicht selten werden sie von älteren Generationen als “politikverdrossen” bezeichnet. Starren angeblich den lieben langen Tag auf Smartphones oder präsentieren die neuesten Dance-Moves ihrer TikTok-Community. In Parlamenten, als Anwärter*innen für politische Posten, da sucht man sie vergeblich. Aber stimmt das? Sind es nicht gerade die nachkommenden Generationen, die immer wieder an Politiker*innen appellieren, insbesondere, wenn es um die Einhaltung der Pariser Klimaziele geht? Oder hat das nichts mit Politik zu tun, ist “nur” Aktivismus? Und, wer junge Menschen als “politikverdrossen” bezeichnet, sollte der sich nicht vielleicht auch fragen, ob es dafür nicht gute Gründe gibt? Ob Politik, wie sie bislang gemacht wird, noch zeitgemäß ist? Sicherlich werden die Entscheidungen, die in Parlamenten getroffen werden, nicht mit dem Tempo und den Forderungen vieler Aktivist*innen mithalten zu können, aber nur, weil etwas schon immer so oder so gehandhabt wurde, muss es noch lange nicht für immer so bleiben. So sehen es zumindest einige jener Aktivist*innen, die sich in den vergangenen Monaten und Jahren dazu entschlossen haben, die Seite zu wechseln, von der Straße in die Reichstagskuppel zu ziehen. Einer von ihnen ist Jakob Blasel. Bis vor kurzem noch einer der führenden Köpfe hinter der deutschen Fridays For Future Bewegung. Aber damit ist jetzt erstmal Schluss! Ariane, aus der Sinneswandel Redaktion, hat Jakob gefragt, was ihn zu dieser Entscheidung bewogen hat. Ob er das Gefühl hat, in der Politik mehr bewirken zu können, als auf der Straße. Und, ob Aktivismus und Politik überhaupt im Konflikt miteinander stehen, einen Gegensatz bilden oder, ob sie nicht gar eine Synthese bilden könnten.

Es ist der 25.01.2019, vor dem Bundeskanzleramt versammeln sich mehr als 10.000 junge Menschen aus ganz Deutschland. Der Wind pfeift an diesem Wintertag durch die Straßen Berlins, doch das Regierungsviertel ist erfüllt von Stimmengewirr und entschlossenen Gesichtern. Am Tag der Aushandlung des Kohlekompromisses fordern die Protestierenden, angesichts der enormen Auswirkungen der Klimakrise, eine engagierte Klimapolitik der Bundesregierung und den Kohleaustritt bis 2030. Zu ambitioniert, zu unrealistisch seien diese Forderungen, heißt es von den Politer*innen: 2038 wird schließlich als Datum für das Ausstiegsabkommen festgelegt – aus Sicht von Fridays For Future ein Kompromiss  gegen die Zukunft. Unter den Demonstrierenden ist auch Jakob Blasel. Der 19-jährige Schüler, zu dieser Zeit Sprecher von Fridays For Future Deutschland, hatte bereits 2018 in Kiel eine der ersten großen Demonstrationen der Bewegung mitorganisiert. Politisiert durch die Klimakrise und die, in seinen Augen, ungenügende Reaktion der deutschen Bundesregierung, tritt er 2017 Greenpeace und der Grünen Jugend bei. Nur zwei Jahre später, 2019, ist Jakob zu einem der bekanntesten Gesichter der jungen Klimabewegung in Deutschland geworden. Aber das allein, scheint nicht sein Ziel gewesen zu sein. 

Gut ein Jahr später, am 24. August 2020, twittert Blasel: “Der nächste Bundestag ist der Letzte, welcher die benötigten Gesetze für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziel noch beschließen kann. Wir dürfen keinen Weg unversucht lassen, um diese dort umzusetzen. Deswegen will ich 2021 für die Grünen in den Bundestag einziehen. […] Wir brauchen Leute in den Parlamenten, die – für eine gerechte Welt, für die Interessen meiner Generation und für konsequentes Einhalten von Paris kämpfen. Das kann ich nicht alleine – aber ich kann anfangen.” Ein Tweet, der nicht unkommentiert bleiben wird. Neben viel Zuspruch in der Kommentarspalte, titelt die FAZ wenige Tage später: “Fridays for Future verliert Aktivisten an die Politik” und stellt damit die Frage in den Raum, ob es sinnvoll ist, den Protestmarsch auf der Straße gegen den durch die parlamentarischen Institutionen einzutauschen. Jakob ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit gut zwei Jahren Mitglied bei den Grünen. Allzu überraschend kommt diese Entscheidung also nicht. Doch was hat ihn letztlich davon überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist? Das Gefühl, im Parlament mehr bewegen zu können, als auf der Straße mit Fridays For Future?

“Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich im Bundestag mehr erreichen kann, als bei Fridays For Future. Es ist mehr eine krasse Lücke, die ich gesehen habe. Wir haben wahnsinnig engagierte Leute bei Fridays For Future – ich sehe wie es immer mehr werden und wie nach Corona die Bewegung immer stärker wird. Und gleichzeitig, wenn wir in die Politik gucken, haben wir bei den Grünen auch sehr viel Wissen, wie wir die Klimakrise angehen und andere Parteien könnten zumindest auf das Wissen zugreifen. Die gesellschaftlichen Mehrheiten sind da, aber diese Zugkraft und dieser wirkliche Gestaltungs – und Veränderungswille fehlt in der Politik. Das finde ich total krass: wir haben die gesellschaftlichen Mehrheiten, wir haben die Wissenschaft und trotzdem ist so eine Trägheit und Angst vorhanden, während die Klimakrise immer weiter voranschreitet – und gerade weil es zeitlich so knapp ist – wir werden die Weichen in den nächsten vier Jahren stellen oder halt auch nicht – und das hängt alles an uns.  Deswegen braucht es Menschen in der Politik, die mit Elan und mit dieser Vermittlung von Dringlichkeit, die es in der Klimabewegung schon gibt, dass die auch endlich in der Politik ankommt. Das ist der Grund warum ich für den Bundestag kandidiere. Aber das ist nie ein Entweder-Oder, so wie das manche Medien hochsterilisieren wollen.” 

Wenn man Jakob zuhört, scheint es sich hier um ein Missverständnis zu handeln. Anstatt sich darauf zu beschränken das Parlament und die Regierung für ihre Untätigkeit zu verurteilen, sieht er die Chance vielmehr darin, genau diese Institution mit seiner Kandidatur von innen heraus mit zu verändern. Für Jakob steht fest, dass jene Entscheidungen, die, die von großer Tragweite sind, genau dort, im Parlament gefällt werden, ohne dass das den Aktivismus auf der Straße überflüssig machen würde. 

“Ehrlich gesagt, wenn ich nicht glaube, dass wir das im Parlament umsetzen können, dann würde ich ja auch nicht glauben, dass ich das über Proteste auf der Straße erreichen kann. Das darf kein Widerspruch sein. Alle Menschen, die sagen, den nötigen Wandel werden wir nicht im Parlament schaffen – ja, wo denn sonst? Das ist das zentrale Entscheidungsgremium. Da werden die Weichen gestellt. Es darf nicht scheitern. Das ist der Punkt. Ohne, dass ich garantieren kann, dass es klappt – ich werd alles dafür geben. Ich arbeite mich jetzt schon in die Strukturen von Parlament ein. Auch, wenn ich gar nicht weiß, ob ich in den Bundestag komme oder nicht. Aber ich arbeite jetzt erstmal so. Weil, wenn es klappt, dann möchte ich alles dafür tun, dass die nächste Regierung und der nächste Bundestag die Weichen dafür stelle, dass wir die Klimakrise eindämmen können.” 

Das bewerten allerdings längst nicht alle so, wie Jakob. Ein paar, wenn auch nur wenige seiner ehemaligen aktivistischen Mitstreiter*innen sehen den Weg in die Politik kritisch und halten den Protest auf der Straße für wirkungsvoller. Im Gegensatz zu Blasel, sieht Carla Reemtsma, Pressesprecherin von Fridays for Future Deutschland, die Grünen nicht als Partei, die ein “1,5-Grad -kompatibles Parteiprogramm” vorzuweisen hat. Im Interview mit Zeit Campus stellt sie klar: “Das Problem bei der Klimakrise ist: Politische Kompromisse funktionieren nicht. Es gibt keinen Mittelweg, es geht um die Frage: Schaffen wir es, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ja oder nein?” Auch Soziologe Klaus Hurrelmann äußert sich im Tagesspiegel eher skeptisch: “Für Fridays for Future ist Kompromissfindung Teufelszeug. Ihr Charakteristikum ist die absolute Forderung“, für ihn passt der Sprung einiger Aktivist*innen in die Parlamente nicht zum politischen Tagesgeschäft, das gerade von Kompromissen geprägt sei. Dies könne, so Hurrelmann, “nicht nur zu Spannungen bei den FFF führen, sondern vor allem innerhalb der Parteien, für die ehemaligen Aktivisten antreten.” Idealismus gerät in der Realpolitik nicht selten in die Mühlen der Diplomatie. Viele Nachwuchspolitiker*innen treten ihre Ämter mit hohen Erwartungen an sich selbst an, was sich positiv auf die Gestaltung des Parlaments auswirken kann. Zugleich könnte die erste Legislaturperiode für viele eine Art „Realitäts-Check“ werden. Auf der anderen Seite: Was die Realität betrifft, so ist diese längst nicht in Stein gemeißelt. Kontroverse und Dissens stellen vielleicht sogar den Kern einer jeden Demokratie dar. 

In Jakobs Worten steckt viel Elan, Zuversicht und eine große Portion Idealismus, die ihn als Aktivist bei Fridays For Future wohl auch dorthin gebracht hat – ganz an die Spitze, immer voran. Und das trotz Jura-Studium und Praktikum, das er “nebenher” noch absolviert. Aber wie weit bringt aktivistischer Elan im politischen Tagesgeschäft? Als Aktivist, in der Rolle der Opposition, lassen sich vermutlich radikalere Forderungen stellen, als im Parlament. Wie viel Idealismus lässt sich unter der Kuppel des Reichstags wohl bewahren?

“Wie viel Idealismus in den Bundestag passt? Ich muss ehrlich gesagt sagen, ich weiß es nicht – let’s find out. Ich denke das eher vom Ziel her – Klimapolitik müssen wir aus meiner Sicht immer idealistisch angehen. Wir haben ein, in Anführungsstrichen, “Idealbild” und das ist, das wir das 1,5-Grad Ziel nicht überschreiten. Wenn wir von Idealismus reden, dann implizieren wir ja, das alles andere auch irgendwie OK wäre und das ist bei der Klimakrise nicht so – wir müssen dieses Idealbild erreichen, wir müssen unsere gesamte Industrie und gesamte fossile Industrie innerhalb von 15 Jahren komplett über den Kopf werfen – in Deutschland in 15 Jahren, global in 20-25 Jahren. das ist eine total krasse Aufgabe und ehrlich gesagt müssen wir da am Ende landen – wir haben gar keine Wahl. Da ist, wenn man es so nennen will, Idealismus auf der Straße genauso naiv wie in der Politik, aber in der Politik auch nicht weniger naiv, als auf der Straße, weil letztendlich war es immer das, was wir bei Fridays For Future wollten – wir wollten, dass die Politik umsetzt was wir fordern. Und auch das ohne Kompromisse – es war nicht so, dass wir uns Idealziele ausgedacht haben, damit man sich am Ende auf irgendwas einigen kann, wir sind mit dem gekommen was nötig ist.”

Ob Jakob mit seinem Idealismus in der Politik Erfolg haben wird und in den Bundestag einzieht, steht noch in den Sternen. Die Mühlen der Politik laufen langsam und verfolgen andere Regeln. Schon jetzt musste Blasel eine herbe Niederlage einstecken, als er sich im Juni auf dem Grünen Parteitag für einen höheren CO2-Preis stark machte. Die Antwort lautete: Antrag abgelehnt. Die Parteispitze bleibt bei ihrem Vorschlag von 60 Euro ab 2023. Auch die 25-Jährige Wiebke Winter weiß, wie es sich anfühlt, in einer alteingesessenen Partei gegen Windmühlen zu kämpfen. Auch sie setzt sich für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ein. Allerdings nicht wie Jakob bei den Grünen – was vermutlich am naheliegendsten ist – sondern ausgerechnet bei der CDU, einer Partei, die nicht gerade dafür bekannt ist, Vorreiter im Klimaschutz zu sein. Gerade für die CDU sieht sie allerdings eine Chance, da die Klimafrage auch eine Wirtschaftsfrage und die CDU nun mal “die Wirtschaftspartei” sei, so Winter in den ARD tagesthemen. Also Klimaschutz ohne Kapitalismuskritik, könnte man sagen. Aber ganz gleich, ob in der CDU, bei den Grünen oder Fridays For Future, in einer Sache sind sich die meisten Klimaschützer*innen einig: Die Zeit drängt.

“Wir sehen das jetzt gerade in Kanada – da reichen wir an die 50 Grad, es brennen Ölbohrinseln im Meer – wir sind mitten in einer krassen Krise. Ich mache mir richtig Angst – wenn wir tropische Verhältnisse mitten in Stuttgart haben, dann ist das kein Joke mehr. Das ist krasse Realität, die Klimakrise. Und das was wir gerade erleben, ist nur ein kleiner kleiner Teil von dem, was noch bevorsteht, wenn wir jetzt nicht handeln. Wir müssen alle alles geben – alle, die sich gesellschaftlich beteiligen. Alle, die irgendwie das Gefühl haben, Einfluss zu nehmen – und sei es “nur”, auf eine Demo zu gehen. Aber am besten noch mehr politisch aktiv zu werden. Alle sind gefragt. Das ist eine ziemlich krasse Schicksalszeit gerade. Das hängt am Ende nicht an mir, ob ich was im Parlament erreichen kann – das hängt daran, dass wir gesellschaftliche Mehrheiten schaffen und sichtbar machen. Ob ich oder andere in der Politik was schaffen können – das hängt letztendlich an uns allen. Das darf nie hochgebauscht werden, dass es nur an Einzelnen liegt. Das war auch 2019 so, dass die Leute immer gesagt haben Greta Thunberg wird uns retten – das ist Bullshit. Niemand wird uns retten! Wir müssen alle alles dafür tun und aktiv werden. Ich bin total gespannt, ob das klappt. Ich kämpfe dafür in den nächsten Monaten und Jahren, aber ich hoffe, dass ich nicht der Einzige bin.” 

Jakobs eindringlichen Worte zeigen, es reicht nicht allein von außen auf Parteien Druck auszuüben, sondern um die zum Teil starren und adequierten Strukturen zu verändern, muss Politik auch von innen heraus transformiert werden. Das Reinrufen vom Rand, die Proteste auf den Straßen sind zentral, um Themen in der gesellschaftlichen Mitte und der politischen Arena zu positionieren – aber dann müssen sie dort auch institutionell verankert werden. Sven Giegold, Mitglied des Europaparlaments, der selbst ehemals als Aktivist bei der kapitalismuskritischen Bewegung Attac Deutschland aktiv war, sieht das sehr ähnlich: “FFF hat weltweit die Voraussetzung für den Klimaschutz verbessert, das hätte man aus den Parlamenten heraus nicht geschafft, das zeigt die Kraft einer Bewegung, aber ob dann wieder die richtigen Entscheidungen getroffen werden, das hängt davon ab, ob in den Institutionen auch Leute die gesellschaftliche Kraft aufnehmen”, so Giegold in einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk.

Eben dieses Ziel verfolgt auch die 2019 gegründete Partei Klimaliste, die nicht länger warten will, bis die etablierten Parteien mit dem Klimaschutz ernst machen. Über Direktkandidaten und -kandidatinnen will die Klimaliste auf kommunaler Ebene die Einhaltung des 1,5-Grad Ziels zur obersten Priorität machen. Entstanden ist die Partei aus einzelnen Graswurzelbewegungen, die sich aus Umweltschützer*innen und Wissenschaftler*innen zusammensetzen. Sie alle eint die Überzeugung, dass die etablierten Parteien das 1,5-Grad Ziel mit ihrer Politik nicht erreichen können und es daher ein Bündnis braucht, welches diesem Ziel höchste Priorität einräumt. Offiziell am 21. Juni 2021 gegründet, ist die Partei schon jetzt in fast allen Bundesländern lokal und regional vertreten. Wie Jakob, wollen auch sie “frischen Wind” in die deutsche Umweltpolitik bringen. Co-Vorsitzende Doris Vollmer betont in der Zeit, dass ihr Grundanliegen sei, die Klimabewegung zu stärken, dennoch so Kritiker, könne die Partei den Grünen wichtige Stimmen bei der Bundestagswahl kosten und somit eine konsequente Klimapolitik auf Bundesebene entgegen ihrer Bestrebungen untergraben. Fridays For Future distanzierte sich bereits vor der Landtagswahl in Baden Württemberg von der Klimaliste, obwohl sie doch einige Forderungen mit der Bewegung teilt. „Progressive demokratische Mehrheiten sind essenziell, um in den nächsten fünf Jahren den notwendigen Wandel zu tragen. Kleinstparteien wie die Klimaliste dürfen diese Mehrheit nicht aufs Spiel setzen“ , so Line Niedeggen, Sprecherin von Fridays For Future Heidelberg.

Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, welchen Einfluss die neue Partei auf Bundesebene haben wird. Der Trend hin zu mehr Parteipolitik auf Seiten aktivistischer Bewegungen, zeigt sich aber schon jetzt und wird die etablierten Parteien, aber vor allem die Grünen, unter Druck setzen, sich zu positionieren. Wird es eher ein politische Kompromiss, um für die gemäßigte Mitte attraktiv zu bleiben, oder schlagen sie einen radikaleren Weg ein, wie er von Aktivist*innen und der Klimaliste vorgezeichnet wird? Und die Frage bleibt, können wir uns angesichts der sich häufenden Naturkatastrophen, die laut Wissenschaftler*innen vom menschengemachten Klimawandel angetrieben werden, überhaupt einen gemäßigten Weg leisten? 

Das verheerende Hochwasser in Westdeutschland im Sommer diesen Jahres zeigt, der Klimawandel ist längst in Deutschland angekommen: “Erste Kipppunkte werden jetzt überschritten und Hitzerekorde gebrochen, Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage und wir unsere Zukunft. Politiker*innen, die weiter nur für den guten Ruf “Klimaschutz” betreiben, führen zu einem kompletten Versagen gegenüber meiner Generation. Wir können uns keine weiteren 4 Jahre Versagen leisten”, twittert Jakob bereits am 24. August 2020. Ein Konflikt zwischen Politik und Aktivismus stellt sich nicht, wenn wir die Frage der Klimaerwärmung als gesellschaftliche Frage anerkennen, auf die es, so Blasel, nur eine gesamtgesellschaftliche Antwort geben kann: zu Handeln, und zwar jetzt, bevor es zu spät ist. Dafür brauche es engagierte Menschen innerhalb und außerhalb staatlicher Institutionen. Denn, so Jakob, Greta allein wird uns nicht retten. Doch was bewegt Menschen, aktiv zu werden? Was mobilisiert sie, den Marsch auf der Straße oder durch die Parlamente zu wählen? Beide Wege sind mühselig, erfordern Zeit, Kraft und Ausdauer. Was kann Menschen motivieren, diese “Sisyphusarbeit” dennoch auf sich zu nehmen?   

“Erstmal müssen wir anerkennen, dass die aller aller meisten Menschen eine politische Meinung haben und die allermeisten Menschen auch Veränderung wollen –  in Deutschland und der Welt. Wenn wir schaffen wollen, dass diese dann auch aktiv werden – also von diesem “nicht zustimmen” oder von den Ideen, die die Leute haben – hinkommen wollen zu Protest und zu einem gewissen Gestaltungswillen – also zu einer gesellschaftlichen Mobilisierung – dann müssen wir erstmal eine Geschichte erzählen, warum überhaupt jetzt der richtige Zeitpunkt ist, wie wir was erreichen wollen und dann ist es eigentlich relativ simpel. Es geht dann darum, die eigenen Freunde mitzunehmen, die eigenen Bekannten und die bringen dann wieder ihre Freunde und Bekannte mit. Das ist letztendlich der Schlüssel – ich glaube das ist kein Hexenwerk. Wir müssen gemeinsam agieren und das immer wieder als eine höhere Mission, als nur unsere eigene Vision, erzählen. Bei Fridays For Future ging es zum Beispiel nie darum Fridays For Future groß zu machen, sondern es ging darum, die Klimapolitik der gesamten Regierung zu ändern und diese übergeordnete Geschichte müssen wir allen erzählen von denen wir erwarten, dass sie mit uns mitmachen. Was man da noch tiefer machen soll, weiß ich nicht. Die Methoden sind eigentlich klar, das entsteht vor allem aus einer Motivation und aus uns selber heraus.” 

Ob eine übergeordnetes Narrativ und Gestaltungswille allein, aus uns Aktivist*innen machen und damit die Krisen den 21. Jahrhunderts bewältigt werden, ist fraglich. Aber Hoffnung und eine Erzählung, wofür es sich lohnt zu kämpfen, ist sicherlich kein falscher Weg, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und aktiv die Zukunft mit zu gestalten. Ganz im Sinne Karl Poppers, der Aktivismus als “Die Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens” charakterisierte. In diesem Sinne, schreibt uns gerne unter redaktion@sinneswandel.art, was euch bewegt oder bewogen hat, aktiv zu werden. Könnt ihr Jakobs Entscheidung in die Politik zu gehen nachvollziehen, und was braucht es eurer Meinung nach, um den Weg in eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft zu gestalten? Wir sind gespannt!

Vielen Dank fürs Zuhören. Wie ihr wisst, ist es unser Bestreben, möglichst unabhängig und werbefrei produzieren zu können. Das müssen wir uns allerdings auch leisten können. Daher, wenn ihr Sinneswandel gerne hört, freuen wir uns, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle Infos zur Episode, Quellen und weiterführendes Material findet ihr, wie immer in den Shownotes. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast! 

10. August 2021

Carola Rackete: Wie radikal darf ziviler Ungehorsam sein?

von Henrietta Clasen 3. August 2021

Sie wisse, was sie riskiere und sei bereit für ihre Entscheidungen ins Gefängnis zu gehen, so Aktivistin Carola Rackete, die als Kapitänin der Sea-Watch 3 mit 53 libyschen Geflüchteten im Juni 2019, entgegen den Anweisungen des italienischen Innenministeriums, im Hafen von Lampedusa anlegte. Für die meisten wirkt ihr Verhalten mutig und tapfer, gar lebensmüde. Auch, wenn Racketes Geschichte durch die mediale Präsenz große Bekanntheit erfuhr, so ist sie bei weitem nicht die einzige Aktivistin, die sich gegen das Gesetze auflehnt und damit viel aufs Spiel setzt. Doch sind es Mut und Selbstlosigkeit allein, die Aktivist*innen wie Carola Rackete so weit gehen lassen?    

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos erhaltet ihr hier.

► Carola Rackete: “Handeln statt hoffen: Aufruf an die letzte Generation”. Droemer Knaur (2019).
► Ihr findet Carola auch auf Twitter.
► Rettet Menschenleben, indem ihr die zivile Seenotrettung Sea-Watch e.V. unterstützt!
► Auch hörenswert: Interview im Sinneswandel Podcast mit Erik Marquardt “Kann Solidarität grenzenlos sein? Über Hoffnung auf Europäische Lösungen und Menschlichkeit” (11/2020).

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: Carola Rackete: Wie radikal darf ziviler Ungehorsam sein?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

*Werbung*: Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Ganze 238.000 Tonnen CO2 wurden im deutschen Online-Handel 2018 für vermeidbare Rücksendungen ausgestoßen. Daher werden bei OTTO 95% aller OTTO-eigenen Retouren wieder aufbereitet, da sie neuwertig sind und wieder in den Verkauf gehen können. Lediglich 0,5% aller zurückgeschickten Artikel lassen sich nicht mehr als neuwertig verkaufen und werden dann an Firmen weitergeleitet, die sich auf den Verkauf sogenannter B-Waren spezialisiert haben. Und am besten ist es natürlich, wenn wir Retouren erst gar nicht entstehen lassen. *Werbung Ende*.

Es ist der 29. Juni 2019. Im Hafen von Lampedusa, der südlichsten Insel Italiens, geht eine Frau von Board eines Schiffes. Nicht irgendein Schiff und nicht irgendeine Frau. Es ist die damals 31-jährige Kapitänin und Aktivistin Carola Rackete, welche die Sea-Watch 3 verlässt – allerdings nicht allein. Mit ihr an Bord befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch 40 libysche Geflüchtete. Carola Rackete und ihre Crew hatten die Menschen am 12. Juni aus dem Mittelmeer geborgen, um sie vor dem Ertrinken zu retten. Also bereits 17 Tage, bevor die Sea-Watch 3 in Lampedusa anlegte – ohne Erlaubnis, denn die wurde den Seenotrettern von der italienischen Behörde verweigert. 

Doch anstelle sich von den Worten des damaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini einschüchtern zu lassen, beschließen Carola Rackete und ihre Crew, ungeachtet der Verweigerung der italienischen Behörde, dennoch einzulaufen. Nicht zuletzt, weil die humanitäre Lage an Bord der Sea-Watch 3 sich immer weiter zuspitzt. Da das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen bestimmt, dass Gerettete an einen sicheren Ort gebracht werden müssen, steht für Rackete fest: Sie werden im 250 Seemeilen entfernten italienischen statt dem libyschen Hafen, der nur 47 Seemeilen entfernten ist, anlegen – weil Libyen, wie auch die EU-Kommission erklärt, kein sicherer Ort für Schiffbrüchige sei. Entgegen den Anweisungen der Guardia di Finanza, die noch versucht das Anlegen zu verhindern, läuft die Sea-Watch 3 in der Nacht vom 29. Juni im Hafen von Lampedusa ein. Als die Kapitänin das Boot verlässt, wird sie nicht nur mit Applaus, sondern auch mit Beleidigungen der lokalen Bevölkerung empfangen. Der Kapitänin drohen nun im Zweifel bis zu 50.000 Euro Geldbuße sowie bis zu zehn Jahre Haft. Der Vorwurf lautet: Verweigerung des Gehorsams gegenüber Vollstreckungsbeamten, Leistung von Widerstand gegen ein Kriegssschiff sowie unerlaubtes Einfahren in italienische Hoheitsgewässer. Noch in derselben Nacht wird Carola Rackete verhaftet und unter Hausarrest gestellt, die Sea-Watch 3 beschlagnahmt. Salvini twittert derweil: „Mission erfüllt! Verbrecherische Kapitänin festgenommen, Piratenschiff beschlagnahmt, Höchststrafe für die ausländische Nichtregierungsorganisation.“

Sie wisse, was sie riskiere und sei bereit, für ihre Entscheidungen ins Gefängnis zu gehen, das hatte die Kapitänin bereits am Tag zuvor der taz in einem Interview gesagt. Für die meisten von uns wirkt dieses Verhalten mutig und tapfer, gar lebensmüde – nicht viele würden vermutlich ein solches Risiko eingehen. Zwar wurde am 19. Mai 2021, also fast zwei Jahre danach, das Verfahren gegen Carola Rackete eingestellt – es hieß, die Kapitänin habe mit ihrem Vorgehen ihre Pflicht erfüllt, weshalb das Anlegemanöver nicht als Widerstand gegen ein staatliches Schiff eingestuft werde –  doch dieser Ausgang war keineswegs sicher. Was also hat Carola Rackete dennoch dazu bewogen, dieses Risiko einzugehen? Auch, wenn ihre Geschichte durch die Präsenz in den Medien eine große Bekanntheit erlangte, so ist sie bei weitem nicht die einzige Aktivistin, die sich gegen das Gesetz aufgelehnt hat und damit viel aufs Spiel setzte. Als “ziviler Ungehorsam”, wird der Protest auch bezeichnet, den Menschen im Namen der Gerechtigkeit austragen. Doch sind es Mut und Selbstlosigkeit allein, die Aktivist*innen wie Carola Rackete so weit gehen lassen?    

“Ich glaube, dass es sehr häufig einen Unterschied gibt, zwischen der innen Wahrnehmung und der Außenwahrnehmung so einer Aktion. Wo von außen vielleicht etwas als überraschend wahrgenommen wird, während es innerhalb der Leute, die informiert sind, schon vollkommen klar ist, was passiert. Das heißt, als ich 2019 als Kapitän der Sea-Watch 3 verhaftet wurde, war es so, dass mir natürlich zu Beginn dieser Reise klar war, dass es ein Strafverfahren geben würde. Dieses Strafverfahren ist nicht zufällig entstanden. Der Kapitän, der vor mir an Board war, hat eigentlich genau das gleiche gemacht wie ich, er ist aber unbekannt geblieben und hat auch ein Untersuchungsverfahren gegen sich laufen. Deswegen war es auch, auf Grund der politischen Situation, vollkommen klar, dass es bei mir ähnlich sein würde. Aktivismus erfordert, insbesondere, wenn es sich um Aktionen des zivilen Ungehorsams handelt, gute Vorbereitung. Und zwar sowohl im Inhalt bezüglich der Aktion, als auch juristisch und psychologisch. Man sollte sich wirklich bewusst sein, warum man etwas macht, warum man es wichtig findet und sollte möglichst nicht unbedacht in eine Aktion hineingehen. Ich möchte nochmal das Beispiel von Rosa Parks bringen, die ja selbst in Europa häufig bekannt ist. Sie war während des Civil Rights Movements eine Frau, die dafür bekannt wurde, dass sie als Schwarze Person im Bus saß und dann ihren Platz nicht hergeben wollte, obwohl weiße Fahrgäste zugestiegen sind und dann auch verhaftet wurde. Und in der Folge davon entstanden diese Montgomery Bus Boycotts – das heißt, die gesamte Busfirma wurde boykottiert in der Stadt. Diese Episode war ein wichtiger Teil in der Bürgerrechtsbewegung. Und viele Leute denken, dass Rosa Parks zufällig verhaftet wurde. Dass sie einfach an dem Tag, wo sie verhaftet wurde, in diese Situation geraten ist und sich dann entschieden hätte, nicht aufzustehen. Tatsächlich ist es aber so, dass Rosa Parks über Dekaden in der Bewegung für Rechte Schwarzer Menschen involviert war. Dass sie Training erhalten hat – sie war zum Beispiel am Highlander Institut – ein Institut, wo viele Aktivisten politisiert wurden, wo auch Martin Luther King und andere sehr bekannte Personen der Bürgerrechtsbewegung vor Ort waren und sich mit den Aktivisten fortgebildet haben. Den gleichen Protest hat sie schon einmal versucht und dabei kam es nicht zu einer Reaktion der Zivilgesellschaft. Das heißt, unser Bild von Rosa Parks heute ist sehr weichgespült. Wir sehen das als Zufall, wobei sie politisch organisiert war. Sie war gut vorbereitet, sie hatte Netzwerke und sie wusste ganz genau, was sie getan hat. Und das ist für heutiges politisches Handel, für Aktivismus, essentiell. Wir müssen uns vorbereiten. Wir sollten auf keinen Fall ohne gute Unterstützung in solche Aktionen hinein gehen.”

Was für Außenstehende also oft nach spontaner Aktion, nach mutigen und selbstlosen Held*innen aussehen mag, dahinter stecken in der Realität sehr viel öfter eine ganze Reihe von Menschen mit gut organisierten Strukturen und klar durchdachten Plänen. Bei Extinction Rebellion Deutschland, zu deren Unterstützerinnen auch Carola Rackete gehört, sind es beispielsweise über 110 Ortsgruppen, die eigenständig agieren, Aktionen planen und durchführen. Das Presseteam von Extinction Rebellion arbeitet hochprofessionell, es gibt Chat-Gruppen, die Journalist*innenen über geplante Aktionen informieren. Die Aktivist*innen agieren nicht incognito, sie suchen die Öffentlichkeit, haben sogar eigene Fotografen und Kamerateams dabei. Das können sich längst nicht alle, die aufbegehren und zivilen Ungehorsam betreiben, erlauben. Viele Aktivist*innen kennen wir gar nicht, so Rackete, da sie sich verstecken müssen, um nicht ihr Leben zu riskieren.

“Wichtig ist, dass wir uns unserer Privilegien bewusst sind, die wir als weiße Menschen in Europa haben. Wir sind in Ländern, in denen wir Aktivismus machen können, ohne große Gefahr für unsere Unversehrtheit erwarten zu müssen, wo wir großen Einfluss auf die Industrieländer, nämlich auf die Länder, wo Emissionen verursacht werden, wo die Hauptsitze von Firmen sind, die Übersee Ökosysteme zerstören. WIr haben viel mehr Möglichkeiten uns einzusetzen, als Menschen in anderen Ländern und diese Möglichkeiten müssen wir auch wahrnehmen. […] Ich glaube, dann können wir auch erkennen, dass wir in unserer Situation für Aktivismus gar nicht besonders viel Mut brauchen.” 

Und die Frage ist ja auch, ob Aktivismus immer radikal sein muss. Gerade viele der Aktionen von Extinction Rebellion gehen einigen zu weit. Obwohl ihr oberstes Gebot “strikte Gewaltfreiheit” heißt. Damit knüpft die Bewegung an eine Tradition zivilen Ungehorsams an, die Störungen öffentlicher Ordnung dann als legitim ansieht, wenn sich eine große Anzahl an Bürger*innen ungerecht behandelt fühlt. Radikal ist Extinction Rebellion nur in ihren Forderungen – wobei, sind die Aktivist*innen das wirklich? Ist es radikal, wenn man für das Überleben von Menschen und Umwelt protestiert, oder ist es nicht vielleicht sogar radikaler, einfach stur weiterzumachen wie bisher?

“Wir sind im sechsten Massensterben der Arten, das erste was von den industriellen Gesellschaften ausgelöst ist, wir sind in einer Klimakrise – es scheint immer noch so, dass trotz der ganzen Versprechen, die wir überall hören, die großen Konzerne eigentlich nicht wirklich irgendwo im nächsten Jahre ihre Emissionen ändern wollen. Wir steuern also immer noch auf irgendwas zwischen 3-5 Grad zum Ende des Jahrhunderts Erderwärmung zu, was natürlich überhaupt nicht kompatibel ist mit dem Überleben der Gesellschaft, wie wir sie kennen. Und wenn wir sehen, wie dramatisch diese Lage ist, dann ist eigentlich das einzig radikale weiter zu machen, als sei nichts gewesen. Und dann müssen wir uns natürlich fragen, was sind die Machtstrukturen, die es überhaupt ermöglichen, dass diese Art von gesellschaftlichem Leben und Wirtschaften einfach so weitergeht, obwohl sie ganz offensichtlich die Lebensgrundlagen für Menschen und auch nicht menschliche Wesen auf diesem Planeten komplett zerstört und das innerhalb weniger Dekaden. Wenn wir uns das vor Augen führen, welche katastrophalen Konsequenzen es hat, wenn wir nicht handeln, dann ist der Aktivismus auch überhaupt nicht mehr radikal, sondern schlicht notwendig. Es ist wichtig, dass wir uns als Zivilgesellschaft auf verschiedene Art und Weisen. Aber wir können nicht einfach, sehenden Auges, auf dieses Kliff zu laufen, das immer näher kommt, wenn wir nichts tun. Das heißt, der Aktivismus ist in dem Sinne nicht radikal, sondern das einzig Vernünftige. Aktivismus darf meiner Meinung nach radikal sein, denn es gibt natürlich viele verschiedene Möglichkeiten, Aktivismus zu machen – z.B. die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, wir sehen viele Bürgerinitiativen, Verkehrsinitiativen für Radwegeausbau – alles mögliche. Und all diese Initiativen sind wichtig und sollten uns in die Richtung gesellschaftlicher Transformation bringen, die wir brauchen, um die ökologischen- und auch sozialen Probleme, die immer mehr zunehmen, zumindest abzumildern. Allerdings ist die Radikalität wichtig, um den gesamten Diskurs zu verschieben. Das heißt, nur wenn wir Gruppen haben, die auch radikal sind, die z.B. zivilen Ungehorsam nutzen oder wie im Dannenröder Wald Bäume besetzen oder Autobahnen blockieren, dann können wir es schaffen, dass andere Teile der Gesellschaft sich auch weiter in diese Richtung bewegen und sich der Diskurs in diese Richtung verschiebt. Das heißt nicht, dass alle Menschen Bäume besetzen müssen, aber dass es wichtig ist, dass es immer eine radikale Seite einer zivilgesellschaftlichen Bewegung gibt.”

Ob nun radikal oder nicht, für Aktivistin Carola Rackete ist eines unausweichlich: dass wir Handeln. Denn das Nicht-Handeln hätte größere Konsequenzen für uns, werde deutlich teurer, als wenn wir jetzt energisch anpackten.

“Wir müssen mehr darüber nachdenken, was die Konsequenzen davon sind, wenn wir nicht handeln. Häufig sehen wir ja, was uns auch in den Medien präsentiert wird, die angeblichen Kosten von Klimaschutz – weniger wird uns präsentiert, was die Kosten sind, wenn wir gar keinen Klimaschutz machen – das die viel größer und dramatischer sind. Das ist glaube ich ein wichtiger Punkt, dass wir uns bewusst werden, dass auch, wenn wir uns politisch nicht einbringen, dass das Konsequenzen hat und, dass das auch eine Entscheidung ist. Und, dass diese Entscheidung nichts zu Tun oder sich nicht öffentlich zu Äußern, nicht Teil dieser Transformation zu werden, dass das gravierende Konsequenzen hat. Nicht nur für Menschen, die jetzt schon von der Klimakrise betroffen sind, sondern natürlich auch für uns selber. In Deutschland ist die Klimakrise schon spürbar und sie wird immer schlimmer und das wissen wir bereits.”

Aber was bedeutet es überhaupt zu Handeln? Und wie erweist es sich als wirksam? Für die Philosophin Hannah Arendt bedeutete Handeln, als die höchste Form des Tätigseins, immer auch politisches Handeln. In ihrem wohl bekanntesten Werk, „Vita Activa oder Vom tätigen Leben“, geht sie genauer darauf ein, was sie darunter versteht. Politisches Handeln unterscheidet sich bei ihr von „automatischen Prozessen oder zur Gewohnheit gewordenen Verfahrensweisen“, von einer „Welt, in der sich nichts ereignet“. Das politisch handelnde Subjekt allein, ist in der Lage, solche Prozesse zu unterbrechen, von ihm hängt es ab, ob der Raum der Pluralität als politischer Raum erhalten bleibt. Denn die Dinge sich selber zu überlassen, bedeutet, so Arendt, den Ruin von Zivilisation und Kultur. Dabei versteht die Philosophin politisches Handeln, nicht als die Machtergreifung Einzelner. Seit Plato, so Arendts Kritik, wurden Regierungssysteme als Herrschaftsformen verstanden, bei denen wenige über viele herrschen. Die Bestimmung von Politik als Handeln hebt diese Trennungen auf. Nicht Einzelne herrschen, sondern Menschen treten handelnd miteinander in Beziehung. Nichtsdestotrotz stellt politisches Handeln für Arendt keine moralische Verpflichtung, kein Opfer für die Aufrechterhaltung politischen Raums dar. Es ist vielmehr ein Impuls, der von Spontaneität und einer Lust am Handeln geleitet ist. Verantwortung sieht Arendt nicht nur als existenzielle Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit, sondern auch als eine Öffnung über die privaten Interessen hinaus in einer gemeinsamen Welt. Sie schreibt: “Verantwortung heißt im wesentlichen: wissen, dass man ein Beispiel setzt, dass Andere folgen werden; in dieser Weise ändert man die Welt.“

Doch eine Frage bleibt: Was befähigt uns Menschen, diesen Handlungsspielraum zu entdecken, uns der eigenen Selbstwirksamkeit bewusst zu werden? Und ist es ausreichend, wenn wir alle paar Jahre unseren Wahlzettel in die Urne werfen, oder geht politisches Handeln darüber hinaus?

“Jedes Handeln ist politisch. Aber ich glaube eine viel größere Frage ist, ob wir in der Zivilgesellschaft verstehen, dass wir noch viel mehr und auch absichtlich organisiert uns politisch einbringen müssen. In Deutschland und auch Europa wird die politische Debatte eher über Wahlen geführt – also die Aufgabe der Bürger*innen sei es dann zur Wahl zu gehen oder sich selbst für ein politisches Amt zur Verfügung zu stellen und das sei dann die Art und Weise wie man politisch mitwirken könne. Und das ist natürlich grundlegend falsch. Wir sehen, dass es notwendig ist, sich auch anders politisch zu engagieren. Denn, obwohl es wichtig ist, zur Wahl zu gehen – ich kann ja nur für das abstimmen, was überhaupt im Parteiprogramm drin steht – und die Frage, wie ich das Parteiprogramm verändere, von außen, auch wenn ich nicht Mitglied dieser Partei bin, ist ganz essentiell. Wir sehen das hervorragend am Beispiel der Klimabewegung FFF, die in Deutschland ja die Parteiprogramme aller Parteien verändert haben, obwohl sie sich nicht hauptsächlich dadurch engagieren, dass sie in die Parteien eintreten und sie von innen verändern, sondern, dass das auch ein Prozess ist, der von außen passieren muss. Das Ganze wird vielleicht auch klar, wenn wir uns ansehen, wie Frauen an das Wahlrecht gekommen sind – sicher nicht, indem sie dafür selber abgestimmt haben. Insofern ist es glaube ich wichtig, dass wir politisches Handeln viel weiter definieren. Abgesehen von den naturwissenschaftlichen Fakten, mit denen wir in den Medien häufig konfrontiert werden, ist es wichtig uns dessen bewusst zu machen, wie soziale Veränderungen überhaupt funktionieren. Wie die sozialwissenschaftlichen Fakten, sind zur Transformation von Gesellschaften, wie sowas abläuft – dass es kein Umlegen eines Schalters ist, sondern ein Prozess, in dem Veränderung von einer kleinen Gruppe von Leuten angestoßen werden, der sich dann immer mehr Menschen anschließen. Dass es ein Prozess ist, bei dem wir versuchen müssen, dass alle Menschen Teil davon werden; dass alle Menschen etwas zu dieser Transformation, die wir unbedingt brauchen, um unsere Lebensgrundlage auf diesem Planeten zu erhalten, dass sie davon Teil sein müssen. Aber das wir auch umgekehrt die Machtstrukturen abbauen müssen, die dieses aktuelle System an seinem Platz halten. Ich glaube viele Menschen haben das durchaus verstanden, und es ist eher eine Aufgabe der Menschen, die sich engagieren, andere Leute davon zu überzeugen, dass sie etwas verändern können, aber ihnen auch Hilfe zu geben, sich zu engagieren. Es gibt viele psychologische Barrieren und viele Menschen, die zwar das Problem sehen, sich aber Sorgen machen, dass sie nichts erreichen können oder nicht wissen wie. Ich glaube da müssen die Menschen, die schon aktiv sind, versuchen Hilfe zu leisten und auf ganz verschieden Ebenen ermöglichen Leuten dieses Selbstvertrauen zu geben und zeigen, dass sie etwas erreichen können und wie, damit sie anfangen können sich zu engagieren, denn niemand fängt an sich zu engagieren und erreicht aus dem Nichts heraus was Großes. Es ist ein Prozess, indem sich Leute unterstützen und im Regelfall sind wir Teil einer Gruppe und nicht alleine. Das ist glaube ich eine ganz wichtige Komponente – dieses gemeinschaftliche Handeln, das Lernen von anderen Gruppen, um politisch und sozial aktiv zu werden und das ganz dringend auch außerhalb der politischen Parteien und außerhalb der typischen Wahlzyklen.” 

Wenn politisches Handeln im Umfeld vielfältiger Vorstellungen und Interessen entsteht, bedeutet das auch, dass Übereinstimmung nicht erzwungen werden kann. Was wir allerdings tun können, ist an eine mögliche Gemeinsamkeit zu appellieren. Hannah Arendt, die diesen Ansatz vertritt, beruft sich dabei auf den aristotelischen Gedanken, dass für ein freiheitliches Zusammenleben die Freundschaft unter Bürgerinnen und Bürgern nicht unterschätzt werden darf. Durch den Austausch erst entsteht die Welt als das uns Gemeinsame, so Arendt. Wenn wir uns mit anderen zusammentun, um zu handeln, dann geht dem, angesichts der Vielfalt der Mit-Handelnden, eine Entscheidung für etwas Gemeinsames und Neues voraus. Wie Carola Rackete sagt, die größte Hürde liegt vermutlich in dem Gedanken, nichts bewirken zu können. Und, um diesem Trugschluss entgegenzuwirken, liegt es an jeder und jedem Einzelnen, mit Mitmenschen – ob Schwester, Freund, Oma oder Arbeitskollege – ins Gespräch zu kommen. Nicht moralisierend oder gar dogmatisch, als vielmehr, offen, neugierig und, indem wir unsere eigene Begeisterung auf andere übertragen. In der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft.

Vielen Dank fürs Zuhören. Wie ihr wisst, ist es unser Bestreben, möglichst unabhängig und werbefrei produzieren zu können. Das müssen wir uns allerdings auch leisten können. Daher, wenn ihr Sinneswandel gerne hört, freuen wir uns, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle Infos zur Episode, Quellen und weiterführendes Material findet ihr, wie immer in den Shownotes. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast! 

3. August 2021

Eva von Redecker: (Wie) Kann Aktivismus die Welt bewegen?

von Henrietta Clasen 27. Juli 2021

Als Sinneswandel Redaktion wollen wir in den kommenden Wochen unterschiedliche Aktivist*innen vorstellen, die den Status quo nicht hinnehmen, sondern sich für systemische Veränderung stark machen. Zudem möchten wir uns näher damit auseinandersetzen, was genau Aktivismus eigentlich ist, wie sich Protest abgrenzt, aber auch, wo die Trennlinien womöglich verschwimmen. Den Auftakt beginnen wir mit Philosophin Eva von Redecker und Aktivistin Franziska Heinisch, deren kürzlich erschienene Bücher sich dem zivilen Ungehorsam widmen. Beide Frauen verbindet der Glaube daran, dass nur durch ein aktives Aufbegehren Wandel gelingen kann. Denn eine freie Gesellschaft, eine Demokratie existiert nicht einfach, sie muss gelebt werden – und zwar von uns allen.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder  werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos unter https://www.otto.de/shoppages/nachhaltigkeit

► Eva von Redecker: Revolution für das Leben – Philosophie der neuen Protestformen. Fischer Verlage (2020).
► Franziska Heinisch: Wir haben keine Wahl – Ein Manifest gegen das Aufgeben. Blessing (2021).
► Ihr findet Eva von Redecker und Franziska Heinisch auch auf Twitter.
► Erfahrt mehr über die Organisation Justice is Global Europe, die Franziska 2020 mitgegründet hat.

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27. Juli 2021

Eckart v. Hirschhausen: Macht uns der Klimawandel krank?

von Henrietta Clasen 6. Juli 2021

Spätestens seit der Corona-Pandemie wissen wir, dass unsere Gesundheit nicht nur unbezahlbar, sondern auch bedroht ist. Aber nicht nur Viren, auch die Klimakrise gefährdet unsere Gesundheit. Allein in Deutschland starben nach Berechnungen des Robert-Koch-Instituts in den Rekordhitze-Sommern 2003, 2006 und 2015 rund 20.000 Menschen an den Folgen der Hitze. Wollen wir die Klimakrise noch rechtzeitig abwenden oder zumindest das Schlimmste verhindern, dann müssen wir auch das Gesundheitswesen anpacken. Wie das genau gelingen kann, darüber hat sich Journalistin Marilena Berends mit Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann sowie Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen unterhalten. 

Shownotes:

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► Eckart v. Hirschhausen: Mensch Erde! – Wir könnten es so schön haben. dtv (2021).
► Claudia Traidl-Hoffmann: Überhitzt: Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Was wir tun können. Duden (2021).
► Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen.
► KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.
► Health For Future.

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6. Juli 2021

Zukunft, (un)denkbar?

von Henrietta Clasen 22. Juni 2021

Die alte Zukunft hat keine Zukunft. Und doch scheinen wir sie uns nicht einmal vorstellen zu können – eine bessere Zukunft. Wir lobpreisen die Gegenwart, die Achtsamkeit des Augenblicks – doch wären wir uns wirklich selbst so bewusst, wie wir vorgeben zu sein, müssten wir dann nicht erkennen, dass die Gegenwart nicht zukunftsfähig ist?! Wie kann es sein, dass bis heute, trotz des exponentiellen Anstiegs an Informationen, aus all den Fakten keine Praxis entsprungen ist? Und doch kopieren wir immer wieder das, was wir bereits kennen – aus Angst vor der Zukunft?

Shownotes:

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Danke auch an Jonte Mutert, der unseren neuen Jingle produziert hat. Sowie an Hannes Wienert, der uns seine Stimme für die Zitate von Roger Willemsen lieh.

► Roger Willemsen: “Wer wir waren” (2016).
► Springer: “The development of episodic future thinking in middle childhood”(2018).
► PNAS: “Reducing future fears by suppressing the brain mechanisms underlying episodic simulation”(2016).
► Frankfurter Rundschau: “Historisches Urteil zur Klimaklage: Jetzt müssen die Emissionen so schnell wie möglich runter”, (05/2021).
► Dietmar Dath: “Niegeschichte. Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine”, Matthes & Seitz. Berlin (2019).
► Ernst Bloch: “Geist der Utopie”, Suhrkamp (1918).

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Transkript: Zukunft, (un)denkbar? – Können wir uns ein besseres Morgen vorstellen?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Es ist Zeit für einen Wandel! Das haben wir uns auch in der Podcast Redaktion gedacht, und daher vor einigen Wochen einen Aufruf gestartet, in dem wir euch gebeten haben, uns eure Vorschläge für einen neuen Sinneswandel Jingle zu schicken. Vielen Dank an alle, die das getan haben. Wir sind wirklich überwältigt von der Vielfalt an Ergebnissen und davon, wie viel Zeit und Mühe ihr in die Produktion gesteckt habt. Die Auswahl ist uns alles andere als leicht gefallen – aber, wie ihr vermutlich schon gehört habt, ist sie gefallen. Der neue Jingle kommt von Jonte Mutert, der noch in diesem Jahr sein Studium der Filmmusik in Babelsberg aufnehmen wird. Wir hoffen, euch gefällt der neue Sound ebenso gut, wie uns. Schickt uns gern euer Feedback an redaktion@sinneswandel.art.

Um Wandel soll es auch in der heutigen Episode gehen. Oder vielmehr darum, welches Denken die Realisation von Wandel voraussetzt. Bevor wir beginnen, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass wir uns freuen, wenn ihr unsere Arbeit finanziell unterstützt. Bereits 200 Fördermitglieder zählen wir auf Steady – was großartig ist und wofür wir sehr dankbar sind – damit wir aber weiterhin und vor allem langfristig möglichst unabhängig produzieren können, seid ihr gefragt! Unterstützen könnt ihr uns, wie gesagt ganz einfach mit einer Mitgliedschaft über Steady oder auch, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/SinneswandelPodcast schickt – das geht auch schon ab 1€ und steht alles noch mal in den Shownotes. Das war’s, ich wünsche euch viel Freude beim Zuhören!

“Mag die Welt auch vor die Hunde gehen, die Zukunft hat dennoch ein blendendes Image”, schreibt Publizist Roger Willemsen in “Wer wir waren”, der letzten Rede vor seinem viel zu frühen Tod im Februar 2016. “Selbst verkitscht zu Wahlkampf-Parolen, verkauft sie sich so gut, als wäre sie wirklich noch ein Versprechen”. So warb Armin Laschet in seiner Rede für das CDU-Programm zur Bundestagswahl mit einem „Jahrzehnt der Modernisierung“ und die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, sprach auf dem Grünen-Parteitag davon, dass eine Ära zu Ende gehe und wir nun die Chance hätten, eine neue zu begründen. Jetzt sei der Moment, unser Land zu erneuern, so Baerbock. Doch längst nicht nur die Politik hat die Zukunft für sich entdeckt. So warb die niederländische Versandapotheke Doc Morris 2018 mit “Gestalten wir die Zukunft, bevor sie da ist“, einem Slogan, der ebenso gut von einer Partei hätte kommen können. Zukunft ist längst nichts mehr, das einfach passiert. Nicht umsonst zerbrechen sich Zukunftsforscher*innen an renommierten Instituten die Köpfe darüber, in welcher Welt wir einmal leben werden. Das Morgen wird schon heute vorausgedacht. 

Man könnte also den Eindruck gewinnen, die Zukunft stehe vor der Tür. Dabei könnten wir kaum weiter von ihr entfernt sein. Vielmehr stehen wir vor dem Abgrund einer ganz und gar ungewissen Zukunft, was wir nur zu verdrängen scheinen. “Die Zukunft, das ist unser röhrender Hirsch über dem Sofa, ein Kitsch, vollgesogen mit rührender Sehnsucht und Schwindel. Die Zukunft der Plakate existiert losgelöst von den Prognosen unseres Niedergangs und hat in der Kraft ihrer Ignoranz keinen Bewegungsspielraum, sie verharrt hingegen. Was nicht neu ist, das ist die Zukunft”, so Willemsens These. Dabei wissen wir doch eigentlich schon lange, dass es nicht mehr weitergehen kann wie bisher. Und doch kopieren wir immer wieder das, was wir bereits kennen, und pflegen eine nostalgische Beziehung zur Vergangenheit – aus Angst vor der Zukunft? “Where is the wisdom we lost in knowledge?”, fragt T.S. Eliot bereits 1934 in seinem Theaterstück “The Rock”. Wie kann es sein, dass bis heute, trotz des exponentiellen Anstiegs an Informationen, aus all den Fakten keine Praxis entsprungen ist? Ist es das schlechte Gewissen gegenüber künftigen Generationen, was uns schließlich handeln lässt? Oder bedarf es erst der Justiz, die uns ermahnt, die Zukunft mitzudenken? Es bleibt noch abzuwarten, ob auf das erst kürzlich im April getroffene Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge das Klimaschutzgesetz in Teilen verfassungswidrig sei, sprich nicht mit den Grundrechten vereinbar, die gewünschte Umsetzung folgen wird. Als “Zeitenwende. Bahnbrechend. Und wirklich historisch”, bezeichnete Energieökonomin Claudia Kemfert das Urteil.  Denn zum ersten Mal wird auf oberster Ebene Generationengerechtigkeit in puncto Klima juristisch mitgedacht. Worauf sich Karlsruhe dabei beruft, ist das sogenannte Vorsorgeprinzip des Staates laut Grundgesetz Artikel 20a, demzufolge die Regierung verpflichtet ist künftige Generationen vor dem Klimawandel zu schützen und Kosten nicht unnötig auf unsere Enkelkinder schieben darf. Das Urteil konsequent zu Ende gedacht bedeutet: Rasches Handeln ist erforderlich. Nichtstun oder einfach so weitermachen wie bisher, ist deutlich teurer als endlich zu Handeln. Die wahre Schuldenbremse, so Kemfert, sei der Klimaschutz. Was jetzt passieren muss, sei eine 180 Grad Wende: Raus aus dem fossilen Zeitalter und grünes Licht für die erneuerbaren Energien! Wachstum allein, ist längst kein Indikator mehr für Wohlstand und Zufriedenheit – war es vermutlich nie. Was nun zählt, ist Wachstum enkeltauglich zu gestalten. Wachstum, um des Wachstums Willen, das ist ein Relikt der Vergangenheit!

Die alte Zukunft hat keine Zukunft. Und doch scheinen wir sie uns nicht einmal vorstellen zu können, eine bessere Zukunft. Wir lobpreisen die Gegenwart, die Achtsamkeit des Augenblicks – doch wären wir uns wirklich selbst so bewusst, wie wir vorgeben zu sein, müssten wir dann nicht erkennen, dass die Gegenwart nicht zukunftsfähig ist?! “Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, […] randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. […] Wir waren die, die verschwanden. […] So bewegten wir uns in die Zukunft des Futurums II: Ich werde gewesen sein.” So lautet zumindest Roger Willemsens wenig hoffnungsvolle Vision.  

Dabei ist die Zukunft im Kopf durchzuspielen eine zentrale menschliche Fähigkeit, die unser alltägliches Handeln bestimmt. Selbst kleinste Entscheidungen treffen wir, indem wir im Geiste simulieren, was passieren könnte. Etwa wenn wir morgens beim Bäcker an der Theke stehen und  uns fragen, ob wir lieber das Schoko-Croissant oder doch das belegte Dinkelbrötchen wählen sollten. “Zukunftsdenken hilft uns, Ziele zu setzen und zu planen, und gibt uns die Motivation, unsere Pläne auch umzusetzen”, sagt Roland Benoit, Kognitions- und Neurowissenschaftler am Max-Planck-Institut in Leipzig. Forscher*innen gehen davon aus, dass wir bereits im Alter von drei bis fünf Jahren beginnen, über den gegenwärtigen Moment hinaus, in die Zukunft zu denken. Eine besondere Rolle dabei spielt ein Netzwerk, das aus dem Hippocampus und Teilen der Großhirnrinde besteht. Es überlappt sich mit dem sogenannten “Default Mode Network”, also dem Ruhezustandsnetzwerk, das immer dann aktiv wird, wenn wir gerade nichts zu tun haben. Was, wenn wir ehrlich sind, angesichts all der Ablenkungen und Reize unserer vernetzen und schnelllebigen Welt, nur noch allzu selten vorkommt. Im Zeitalter der Zerstreuung seien wir, so Willemsen, nie ganz in der Gegenwart. Auch die Zukunft sei uns damit abhanden gekommen, nur noch rein gegenständlich vorstellbar und reduziert auf Technikutopien, die uns Menschen mehr entmündigten, als befreiten. “Verstand sich der Mensch Anfang des 20. Jahrhunderts eher als Subjekt der Moderne, erkennt er sich hundert Jahre später eher als ihr Objekt. Wie aber soll er, von der Zeit vorangeschoben, unter diesen Bedingungen die Zukunft denken können?” 

Sind wir also, angetrieben durch Effizienzstreben und Wachstumsdrang, defacto zu bequem geworden, uns eine andere Welt, als die bereits Existierende, vorzustellen? Ist dies der Grund, weshalb wir uns schon mit kleinsten Updates zufriedengeben, uns gar euphorisch in die Warteschlange einreihen, wenn die x-te Version des “neuen” iPhones auf dem Markt erscheint? Dabei sollte die Postmoderne doch eigentlich die Moderne ablösen, indem sie ihr zu mehr Vielfalt und Kritik verhilft. “Mehr Demokratie wagen.” Weg von Funktionalität, hin zum kreativen Chaos. Stattdessen scheinen wir gefangen in einer Welt des Machbaren, anstelle des Wünschbaren. Hitzig wird über die Erhöhung von Benzinpreisen diskutiert, die Arm und Reich, so heißt es, weiter werden spalten. Die Zukunft muss mehrheitsfähig sein, um Zukunft zu haben. 

Vielleicht ist es aber auch ein menschlicher “Gen-Deffekt”, ganz einfach Teil unserer menschlichen Natur, dass wir uns die Zukunft nicht vorstellen, sie nicht anders  denken können? Werfen wir einen Blick zurück in die Geschichte, so könnte dieser Eindruck durchaus verstärkt werden:  “Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze auf das Pferd”, verkündete Kaiser Wilhelm II. 1904 stolz. Auch Wilbur Wright, ein Pionier der Luftfahrt, sollte sich irren, als er 1901 sprach: “Der Mensch wird es in den nächsten 50 Jahren nicht schaffen, sich mit einem Metallflugzeug in die Luft zu erheben”. Ebenso, wie im Jahre 1926 Lee De Forest, der Erfinder des Radios: “Auf das Fernsehen sollten wir keine Träume vergeuden, weil es sich einfach nicht finanzieren lässt.” Und auch Thomas Watson, CEO von IBM, konnte sich 1943 scheinbar noch nicht die Welt von heute vorstellen: “Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt. Es gibt keinen Grund, warum jeder einen Computer zu Hause haben sollte.” Die Liste menschlicher Irrungen ließe sich beliebig weiterführen, und es scheint beinahe, als sei der Mensch dort am altmodischsten, wo er versucht, sich selbst zu überschreiten.  Offenbar können wir uns selbst nicht entkommen.

Im Jahr 2016 fanden Neurowissenschaftler*innen des Leipziger Max-Planck-Instituts, gemeinsam mit britischen Kollegen, allerdings heraus, dass es manchmal sogar ratsam sein kann, Zukunftsgedanken zu unterdrücken. Eine Überlebensstrategie gewissermaßen. Die Forscher*innen ließen Probanden zukünftige Szenarien auflisten, die ihnen Sorgen bereiteten. Wer sich diese anschließend im Geiste vorstellen sollte, reagierte deutlich ängstlicher als Teilnehmende, die Gedanken an die negativen Ereignisse bewusst vermieden. Es macht demnach für unsere emotionale und kognitive Grundhaltung, wie auch für unsere Entscheidungen und Handlungspläne, einen großen Unterschied, ob wir mit negativen Vorahnungen in die Zukunft blicken, oder Positiv-Szenarien im Kopf entwerfen. Damit Letztere jedoch nicht in der  “Utopien-Schublade” verstauben, benötigt unser Gehirn ein „Wie“ und ein „Warum“. Die Verortung der eigenen Rolle in der mentalen Simulation, lässt die Zukunft für uns zu einem Möglichkeitsraum werden, in dem wir selbst eine gestalterische Rolle einnehmen. Fühlen wir uns handlungsfähig, lässt der Eindruck nach, von den Ereignissen überrollt zu werden. Ohne aktive kognitive Beteiligung und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, schauen wir hingegen nur passiv vom Zuschauerrand zu. Es ist die emotionale Färbung, die unseren Ausblick auf die Zukunft, aber auch unser Erleben in der Gegenwart bestimmt. Und wie wir wissen, geschieht die Weichenstellung für die Zukunft im Hier und Jetzt.

Science-Fiction ist eigentlich das beste Beispiel dafür, dass es funktioniert. Dass wir Menschen in der Lage sind, uns das schier Unmögliche vorzustellen. Weshalb, das hat Schriftsteller Dietmar Dath in seinem Buch “Niegeschichte” sehr treffend formuliert: „Es gibt nicht nur Dinge, die zwar denkbar sind, aber nicht wirklich, sondern umgekehrt auch solche, die wirklich sind, aber für Menschen schwer bis überhaupt nicht denkbar.“ Science-Fiction zeigt: Was undenkbar ist, muss noch lange nicht unmöglich sein. Das klingt abstrakt, aber abstrakt ist schließlich auch unser Verhältnis zur Welt, in der wir leben. Wer hätte sich vor kurzem schon vorstellen können, dass ein klitzekleines, kronenförmiges Virus das gesamte soziale Leben einmal lahmlegen würde? 

“Nur Zeiten, die viel zu wünschen übrig lassen, sind auch stark im Visionären”, schreibt Roger Willemsen. Hat die Corona-Pandemie, als Zeit der Entbehrung, also vielleicht ein Fenster geöffnet, einen Raum für das Visionäre geschaffen – gar für einen Neuanfang? So oder so, ist jetzt die richtige Zeit, oder vielmehr die letzte Chance, die wir noch haben, um das Neu- und Andersdenken von Zukunft wieder zu erlernen. Wenn es nach dem Schriftsteller Ernst Bloch geht, so sind es Bilder und Fantasien, die den Gedanken vorausgehen, und die Gedanken wiederum den Forderungen und der politischen Praxis. Indem wir uns das Morgen ausmalen, erkennen wir, wo es in der Gegenwart hakt. Die Utopie ist das Hinausgehen über die faktische Welt und auch, wenn sie reine Projektion bleibt, hat allein der Diskurs, der durch das Imaginieren entsteht, die Welt und wie wir sie wahrnehmen, bereits verändert. Denn im offenen Dialog und in immer neuen Selbst-und Weltbeschreibungen werden Vorstellungen vom gelungenen Leben zur Diskussion gestellt. Und dort, wo Entwürfe wünschenswerter Zukünfte entwickelt werden, beginnt auch ihre Realisation. Oder mit Roger Willemsens Worten: “Ja, die Zukunft wird schneller sein, und sie hat längst begonnen.”

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn euch der Podcast gefällt, teilt ihn gerne mit Freunden oder hinterlasst uns eine positive Bewertung auf iTunes. Und, wie gesagt, freuen wir uns besonders, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt, damit wir weiterhin für euch produzieren können. Supporten könnt ihr uns ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle weiteren Infos und Quellen zur Episode findet ihr, wie immer, in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast. 

22. Juni 2021
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