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Demokratie

Teresa Bücker: Wie finden wir mehr Zeit [für einander]?

von Marilena 17. Januar 2023

Zeit ist die zentrale Ressource unserer Gesellschaft. Aber sie steht uns längst nicht gleichermaßen zur Verfügung. Mit der Autorin und Journalistin Teresa Bücker spricht Marilena Berends über Ideen, wie eine neue Zeitkultur aussehen kann, die für mehr Gerechtigkeit, Lebensqualität und gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgt.

Shownotes:

Der Werbepartner der heutigen Episode ist HelloFresh. Mit dem Gutscheincode HFSINNESWANDEL ist für Neukund*innen in Deutschland und Österreich nicht nur der Versand für die erste Kochbox kostenlos, sie sparen auch bis zu 90 Euro auf die ersten 4 Kochboxen. In der Schweiz sind es mit HFSINNESWANDEL bis zu CFH 140.

► Teresa Bücker: Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit, Ullstein 11/22
► Teresa findet ihr auf Twitter und Instagram
► Zwischenzeit_en  heißt Teresas Newsletter auf Steady

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Es heißt, Zeit könne man sich nicht kaufen. Was ist dann aber mit der Putzkraft, die unser Haus sauber hält, mit dem Babysitter, der auf unsere Kinder aufpasst oder dem Pfleger, der uns im Alter füttert? Kaufen wir diesen Menschen nicht ihre Zeit ab? Und das nicht selten für einen Preis, für den wir selbst nicht den Finger rühren würden? In einer Gesellschaft, die unter notorischer Zeitnot leidet, können es sich nur diejenigen leisten, sich mehr Freizeit zu verschaffen, die über das notwendige Kapital verfügen. Der Rest muss weiter mit der Zeit um die Wette laufen.

Zeit ist eine Frage von Macht und Freiheit, sagt die Autorin und Journalistin Teresa Bücker. Häufig reden wir von Zeit als etwas, das sich individuell optimieren lässt, um Stress zu reduzieren oder effizienter zu sein. Für Teresa ist Zeit aber viel mehr: eine zentrale Ressource unserer Gesellschaft. Deshalb plädiert Teresa in ihrem Buch für eine neue Zeitkultur, die für mehr Gerechtigkeit, Lebensqualität und gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen würde. Eine zentrale Rolle spielt für die zweifache Mutter dabei die Care-Arbeit oder vielmehr die “Care-Revolution”, auf die Teresa hofft. Was es damit auf sich hat und wie wir zu mehr Zeitbewusstsein kommen, darüber habe ich mit ihr gesprochen.

Falls ihr nach dem Podcast mehr zu dem Thema erfahren wollt, könnt ihr das in Teresa Bückers Buch, “Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit”, von dem wir unter allen, die Sinneswandel auf Steady supporten, ein Exemplar verlosen. Wie ihr teilnehmt, steht in den Shownotes. Jetzt erstmal viel Freude beim Zuhören!

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank euch fürs Zuhören. Wenn euch das Gespräch mit Teresa gefallen hat, teilt es gerne mit euren Freunden. Und ihr wisst, dieser Podcast wäre nicht möglich, wenn es nicht ein paar Menschen gäbe, die meine Arbeit unterstützen. Danke an alle, die das bereits tun. Damit ich Sinneswandel weiterhin produzieren kann, freue ich mich über euren Support. Das geht ganz einfach über die Plattform Steady oder indem ihr mir via Paypal.me/Sinneswandelpodcast einen Betrag eurer Wahl schickt. Das geht auch schon ab einem Euro und steht alles in den Shownotes.

Das war’s von mir! Danke an euch fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

17. Januar 2023

MARYAM.fyi: Wieso bist du [nicht] frei?

von Marilena 5. Januar 2023

Maryam oder auch MARYAM.fyi, wie sie sich als Künstlerin nennt, ist in Deutschland aufgewachsen. Dass sie hier in Freiheit leben kann, verdankt sie ihrem Vater, der damals aus dem Iran geflohen war. Doch was bedeutet unsere Freiheit hier, wenn überall auf der Welt Menschen und insbesondere Frauen gewaltsam unterdrückt werden? Über diese Frage spricht Marilena mit Maryam, deren Leben sich seit der Ermordung der 22-jährige Iranerin Mahsā Amīnī radikal verändert hat. Eigentlich studiert sie Medizin und macht Musik – jetzt ist sie vor allem Aktivistin.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Musik: MARYAM.fyi & David Bay: BARAYE (Frau, Leben, Freiheit)
► MARYAM.fyi auf Instagram – Spotify – YouTube
► Maryam’s DIFFUS Kolumne über die Iran-Revolution
► Woman Life Freedom Collective
► Maryam’s Podcast Empfehlung: Das IRAN Update mit Gilda Sahebi & Sahar Eslah
► Maryam’s Follow-Empfehlungen: Duzen Tekkal, Natalie Amiri, Jasminshakeri, Pegah Ferydoni, Susan Simin Zare


✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

 



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

[“Baraye”]

“Für das Tanzen auf der Straße

Für die Angst sich zu küssen

Für meine Schwester, deine Schwester und unseren Schwestern

Für diejenigen, die im Gefängnis sind

Für die Sehnsucht nach einem normalen Leben

Für die Frau, das Leben, die Freiheit”

So in etwa lautet die Übersetzung einiger Zeilen aus “Baraye”. Dem Lied des iranischen Musikers Shervin Hajipour, der kurz nach der Veröffentlichung inhaftiert worden war und das mittlerweile zur Hymne der Iran-Revolution geworden ist. Die Stimme, die ihr eben gehört habt, ist aber nicht die von Shervin Hajipour. Es ist die Stimme einer sehr guten Freundin von mir: Maryam oder auch MARYAM.fyi, wie sie sich als Künstlerin nennt. Maryam ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Dass sie hier in Freiheit leben kann, ist, wie sie sagt, ein Privileg. Ihr Vater ist damals aus dem Iran geflohen und hat ihr damit genau das ermöglicht: ein Leben in Freiheit. Genau die sieht sie nun aber bedroht. Denn was bedeutet unsere Freiheit hier, wenn überall auf der Welt Menschen und insbesondere Frauen unterdrückt werden? “Jin, Jiyan, Azadî – Frau, Leben, Freiheit” – es geht um universelle Werte. Werte, die wir hier für selbstverständlich halten. So ging es auch Maryam lange Zeit, wie sie selbst sagt. Bis zum September 2022, als die erst 22-jährige Iranerin Mahsā Amīnī gewaltsam getötet wurde. Seitdem hat sich Maryam’s Leben radikal verändert. Beinahe täglich postet sie auf Instagram, versucht Aufmerksamkeit zu schaffen für die Protestierenden im Iran und die Inhaftierten, denen zum Teil die Todesstrafe droht. Eigentlich müsste Maryam für ihr Examen lernen. Sie studiert Medizin. Aber so richtig den Kopf dafür hat sie gerade eigentlich nicht… 

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich lerne am meisten durch Geschichten. Ich weiß nicht, ob ich die Dringlichkeit und Relevanz der Revolution im Iran – auch für uns hier – verstanden hätte, wäre Maryam nicht meine Freundin. Deswegen bin ich ihr umso dankbarer, dass sie sich bereit erklärt hat, heute mit mir im Podcast zu sprechen und ihre Geschichte mit uns zu teilen. Und wer aufmerksam zuhört, da bin ich mir sicher, wird verstehen, es ist auch unsere Geschichte.

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank euch fürs Zuhören. Wenn euch das Gespräch mit Maryam gefallen hat, teilt es gerne mit euren Freunden. In den Shownotes habe ich außerdem vieles von dem, was Maryam genannt hat – ihre Kolumne, Personen, denen es sich lohnt zu folgen, uvm. – verlinkt. Und ihr wisst, dieser Podcast wäre nicht möglich, wenn es nicht ein paar Menschen gäbe, die meine Arbeit unterstützen. Danke an alle, die das bereits tun. Damit ich Sinneswandel weiterhin produzieren kann, freue ich mich über euren Support. Das geht ganz einfach über die Plattform Steady oder indem ihr mir via Paypal.me/Sinneswandelpodcast einen Betrag eurer Wahl schickt. Das geht auch schon ab einem Euro und steht alles in den Shownotes.

Das war’s von mir! Danke an euch fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

5. Januar 2023

Cesy Leonard: Warum bist du [so] radikal?

von Marilena 17. November 2022

Immer mehr Menschen in Deutschland fühlen sich ohnmächtig, angesichts der Vielzahl von Krisen. Was hilft daher, um aus diesem Ohnmachtsgefühl herauszukommen? Selbstwirksamkeit, sagt Aktionskünstlerin Cesy Leonard. Sie hat “Radikale Töchter” gegründet, mit denen sie Workshops gibt, in denen der “Mutmuskel” trainiert wird. Denn den braucht es, so Cesy, um (politisch) aktiv zu werden und ins Handeln zu kommen. Wie genau das geht, darüber spricht Cesy Leonard mit Marilena Berends im Sinneswandel Podcast.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Cesy Leonard findet ihr auch auf Twitter.
► Radikale Töchter sind auch auf Twitter und Instagram.
► Podcast der Radikalen Töchter: “Mut für Anfänger”.
► Zentrum für Politische Schönheit

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► sinneswandel.art

Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Ob Klimakrise, Ukraine-Krieg, Menschenrechtsverletzungen, Massentierhaltung oder Patriarchat – es gibt genug, um nicht zu sagen unzählige Gründe, auf die Straße zu gehen. Oder zumindest Grund genug, um wütend zu sein. Weil diese Welt alles andere als gerecht ist. Weil sie längst nicht allen von uns ein sicheres und lebenswertes Zuhause bietet. Aber was kann ich dagegen oder vielmehr dafür tun, damit sich das ändert?

Immer mehr Menschen in Deutschland fühlen sich angeblich ohnmächtig, angesichts der Vielzahl von Krisen. Wer hat sich nicht schon einmal klein und machtlos gefühlt, weil alles so überwältigend und vielleicht sogar beängstigend wirkt? Das ist verständlich und wohl auch menschlich. Aber was hilft, um aus diesem Ohnmachtsgefühl herauszukommen? Den Kopf in den Sand stecken oder die Füße hochlegen und alle Verantwortung an “die da oben” abgeben, mag naheliegend sein, hilft aber nachweislich wenig. Aber was dann?

Mut, sagt Aktionskünstlerin Cesy Leonard, braucht es. Okay, aber wo soll der plötzlich herkommen? Der lässt sich trainieren, wie ein Muskel, so Cesy. Wie das funktioniert, zeigt die Aktionskünstlerin in Mutmuskel-Workshops mit den “Radikalen Töchtern”. Ein Projekt, in dem die Grenzen zwischen Kunst und Nichtkunst aufgehoben werden und Möglichkeitsräume sichtbar werden, wo sie scheinbar nicht mehr sind. Denn wer Selbstwirksamkeit verspürt, fühlt sich im besten Fall auch ermutigt, ins Handeln zu kommen und wird politisch aktiv. Aber wo fange ich da an? Ganz einfach, sagt Cesy, bei dem, was einen besonders wütend macht. Wieso, das hat Cesy Leonard mir im Podcast erzählt.

…

Vielen Dank auch an euch fürs Zuhören. Wenn euch das Gespräch mit Cesy gefallen hat, teilt es gerne. Wenn ihr mehr erfahren wollt, findet ihr in den Shownotes alles zu den “Radikalen Töchtern”. Und, wie immer, auch alles Infos, wie ihr Sinneswandel und damit auch meine Arbeit finanziell unterstützen könnt. Das würde mir helfen und mich sehr freuen. Das war’s von mir! Danke und bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

17. November 2022

Victoria Reichelt: Wie politisch ist Social Media?

von Marilena 6. Oktober 2022

Social Media kann Zeitvertreib sein, aber eben nicht nur. Es ist auch ein Ort des Austauschs, der Information und sogar des Protests, wie sich gerade erneut zeigt. Wie können die sozialen Medien zu einem Ort werden, der uns dient und nicht überfordert oder gar schadet? Über diese und weitere Fragen haben sich Journalistin Victoria Reichelt und Marilena Berends unterhalten.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Victoria Reichelt findet ihr auch auf Twitter, Instagram und TikTok.
► TEDx Talk: “How to live with the constant feeling of discomfort”.
► funk: “Deutschland3000”.

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6. Oktober 2022

Wie solidarisch sind wir wirklich?

von Marilena 16. August 2022

Die Forderung nach Solidarität hat seit Jahren Hochkonjunktur. Sie ist zu einem Schlüsselbegriff, zum Leitwort gegenwärtiger Krisen geworden: Ob im Zuge der Pandemie, des Klimawandels oder des Angriffskriegs auf die Ukraine. Und zweifelsohne ist Solidarität in bewegten Zeiten wie diesen elementar. Zeitgleich zeigen sich auch ihre Begrenzungen. In ihrem Kommentar stellt Gastautorin Isabell Leverenz den Solidaritätsbegriff auf die Probe und kommt zu dem Ergebnis: Solidarität braucht einen Beat, den wir gemeinsam ausgestalten und komponieren müssen.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Azimipour, Sanaz (2022): Rassismus als Infrastruktur. Missy Magazine. 54-58.
► Missy Magazine (2022): Krieg und Flucht. 47-60.
► Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst (2019): Was heisst »#Unteilbar« für eine Sammlungsbewegung? Interview mit Hengameh Yaghoobifarah. Belltower News.
► Struwe, Alexander (2019): Was ist emanzipatorische Solidarität?
► Lessenich, Stephan (2019): Grenzen der Demokratie. Teilhabe als Verteilungsproblem. Reclam. 
► Susemichel, Lea; Kastner Jens (2021): Unbedingte Solidarität. Unrast. 7-11.
► Hausbichler, Beate (2022): Lea Susemichel und Jens Kastner: „Identitätspolitik war zunächst eine Notwehrreaktion“. Der Standard.
► ELES (2021): Plurale Erinnerungskultur: Gemeinsames Erinnern in einer vielfältigen Gesellschaft?, YouTube.
► Arendt, Hannah (1981): Vita activa oder Vom tätigen Leben. R. Piper & Co. Verlag. 173.
► Hark, Sabine (2021): Flucht und Migration. Wir brauchen ein neues Ethos der Solidarität. Deutschlandfunk Kultur.
► Jaeggi, Rahel (2021): Solidarität und Gleichgültigkeit. In: Susemichel, Lea; Kastner Jens: Unbedingte Solidarität. Unrast. 49-66.

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Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

“Solidarität (von lateinisch solidus “echt, fest“) […] bezeichnet eine zumeist in einem ethisch-politischen Zusammenhang benannte Haltung der Verbundenheit mit […] Ideen, Aktivitäten und Zielen anderer. Sie drückt ferner den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte aus. Der Gegenbegriff zur Solidarität ist die Konkurrenz.” So lautet zumindest die Definition auf Wikipedia. Gleichgesinnte oder Gleichgestellte, für sie gilt also das Prinzip der Solidarität. Aber was macht uns zu “Gleichen”? Was verbindet uns? Und zeigen wir uns als Menschen wirklich nur dann solidarisch mit anderen, wenn sie uns ähneln – ob aufgrund der Herkunft, des Geschlechts, der Sprache oder politischen Einstellung?

Angesichts einer Omnipräsenz der Forderung nach Solidarität, hat sich Kulturwissenschaftlerin Isabell Leverenz gefragt, wie solidarisch wir aktuell wirklich sind. Ob Solidarität tatsächlich eine Praxis unter “Gleichen” sein muss oder, ob sie nicht viel weiter gehen kann und sollte? Wie ließe sich eine Solidarität denken, die für alle gilt? Dabei kommt sie zu dem Schluss: Solidarität braucht einen Beat, den wir gemeinsam ausgestalten und komponieren müssen. Was das genau bedeutet, erzählt Isabell Leverenz in ihrem Kommentar.

Es ist Sonntag und ich blättere durch die neue Ausgabe des Missy Magazins. Mein Blick bleibt an einer Fotografie der Fotojournalistin Sitara Thalia Ambrosio hängen. Darauf zu sehen, ist ein Bus. Dort, wo für gewöhnlich die Nummer der Buslinie oder ihre Endstation zu lesen ist, steht in orangefarbener Schrift: »Gemeinsam mobil für eine solidarische Welt«. Der Bus wurde von einem Zusammenschluss gemeinnütziger Organisationen bereitgestellt, der Geflüchtete aus der Ukraine nach Berlin bringt, wie die Bildunterschrift verrät. Der orange leuchtende Schriftzug erinnert mich an den Slogan »Defend Solidarity« der Organisation Sea Watch, die sich der zivilen Seenotrettung von Flüchtenden an Europas Grenzen verschrieben hat. Ob »Gemeinsam mobil für eine solidarische Welt« oder »Defend Solidarity«: Beide Slogans eint, dass Solidarität buchstäblich in Bewegung zu kommen scheint – oder in Bewegung kommen muss?! 

Zumindest habe ich den Eindruck, dass die Forderung nach Solidarität seit Jahren Hochkonjunktur hat. Sie ist zu einem Schlüsselbegriff, zum Leitwort gegenwärtiger Krisen geworden: Ob im Zuge der Pandemie, des Klimawandels oder des Angriffskriegs auf die Ukraine: Sie wird als unabdingbar erklärt, sie wird proklamiert, sie wird getwittert. Und zweifelsohne ist Solidarität in bewegten Zeiten wie diesen elementar. Zeitgleich zeigen sich auch ihre Begrenzungen. Darin, dass überfüllte Lager für Geflüchtete zu Beginn der Pandemie, wenn überhaupt, nur schleppend evakuiert werden oder sich an den Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter*innen in Schlachthöfen nichts ändert. Dass man Überlastetem Gesundheitspersonal durch Beifall Sympathie zuträgt, anstatt sich für eine Verbesserung von deren Arbeitsbedingungen einzusetzen. Dass man Studierende of Color ohne ukrainische Staatsbürgerschaft während ihrer Flucht vor Polens Grenzen abweist. Indes ist man sich aber europaweit einig, dass die Menschen aus der Ukraine Solidarität verdienen und ihnen schnellstmöglich und unbürokratisch geholfen werden muss. Dabei stoße ich immer wieder auf das gleiche Argument: »Die sind wie wir«, heißt es. Ich höre es beim Gespräch über den Gartenzaun, lese es im politischen Feuilleton und finde es in sozialen Netzwerken. Ukrainerinnen und Ukrainer seien schließlich Europäer*innen. Im gesellschaftlichen Common Sense scheint Solidarität eine Praxis unter Gleichen zu sein. Aber ist das wirklich so? 

Wie Sand zerrinnt mir diese Argumentation zwischen den Fingern: Wer ist denn eigentlich dieses solidarische »Wir«, von dem die Rede ist? Schließlich ist die Bevölkerung Deutschlands ja in sich bereits heterogen und vielfältig. In der selben Ausgabe des Missy Magazins, ein paar Seiten weiter geblättert, warnt die Aktivistin und Autorin Sanaz Azimipour vor dem entstandenen paneuropäischen Nationalismus, der die Ukraine als Vielvölkerstaat ausblendet und die Menschen und das Land als weiß und christlich labelt. Und ich erinnere mich, dass auch taz-Kolumnist*in Hengameh Yaghoobifarah vor einigen Jahren, aus meiner Sicht zurecht, beklagte, dass in Deutschland vor allem die weiße und nicht die antirassistische, feministische und anti-antisemitische Solidarität überwiege. 

Mir scheint, Solidarität ist hier selektiv, sie gilt nicht für alle im selben Maße. Das, was gesamtgesellschaftlich als Tugend aufgefasst wird und wie ein »schillernder Gegenbegriff« zu Phänomenen der Krise wirkt, ist vielmehr selbst Teil einer regressiven Praxis. Solidarität drohe, so schreibt der Soziologe Stephan Lessenich bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie, zu einer folgenlosen »sozialen Wohlfühlkategorie« zu verkommen. Zu einer Worthülse, die nur bedingt hält, was sie verspricht. Kuschelkurs statt Schlagweite. Es stimmt, Krisen fordern den sozialen Zusammenhalt heraus und damit die Notwendigkeit, Solidarität im Kontext dieser Herausforderungen neu zu formulieren. Daher frage ich mich: Wie ließe sich eine Solidarität denken, die für alle gilt? 

Grundsätzlich, so fasst es die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi zusammen, kann Solidarität als eine Praxis des »Füreinandereinstehens« verstanden werden. Wird an die Solidarität appelliert, wird ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Haltung erwartet. Doch scheint sich Solidarität dabei bislang vor allem in der Gleichheit zu entfalten. Sie wird damit exklusiv. Bereits in den 90ern plädierte die feministische Denkerin Diane Elam für eine sogenannte »groundless solidarity«, eine unbegründete Solidarität, die nicht der Gleichheit, sondern Vielfalt und Diversität Rechnung trägt. Sie zielt darauf ab, kein vorgegebenes Wir, keine Gemeinschaft zur Voraussetzung von Solidarität zu machen. Gemeint ist hiermit nicht, sich stets vollkommen grundlos solidarisch verhalten zu müssen, sondern, dass gemeinsame Erfahrungen nicht vorausgesetzt werden sollten. »Unbedingte Solidarität«, so schreiben auch Lea Susemichel und Jens Kastner in ihrem gleichnamigen Sammelband, beruhe nicht auf Gleichheit, sondern auf Differenzen. Es ginge nicht um die Parteinahme für Meinesgleichen, sondern darum, mit Menschen in solidarische Beziehung zu treten, mit denen ich gerade nicht den Berufszweig, das Milieu, die sexuelle Orientierung, das Geschlecht oder die ethnische Zuschreibung teile. Eine emanzipatorische Solidarität, entkoppelt von ökonomischen, politischen und kulturellen Grundlagen. Und wer meint, bei dieser Perspektive handle es sich um eine Utopie, dem rate ich einen Blick in die Geschichte der Solidarität: Bereits die Abolitionismus-Bewegung, also der Kampf gegen die Sklaverei, wurde nicht allein von Versklavten geführt; ebenso, wie sich auch Männer für Frauenrechtsforderungen einsetzten; der Kampf gegen die Apartheid in Südafrika wurde auch von westeuropäischen Weißen unterstützt; die Organisation Lesbians and Gays Support the Miners bestärkten den britischen Bergarbeiterstreik Mitte der 80er Jahre. Umgekehrt marschierten die Minenarbeiter bei der Lesbian and Gay Pride Parade in London mit. 

Diese Solidarität ohne gemeinsamen Grund, betont Lea Susemichel, könne moralisch, humanistisch oder sozialrevolutionär motiviert sein. Nicht aber durch Ähnlichkeit oder Gleichheit. Es gehe vielmehr um den Einsatz für andere und um die gemeinsame Verantwortung für strukturelle und soziale Ungerechtigkeit. Auch dann, wenn man selbst vordergründig nicht davon zu profitieren scheint. Solidarität ist keine Gegebenheit von Natur aus, sie entwickelt sich nicht ‚ganz natürlich‘. Solidarität ist eine Entscheidung, sie ist politisch. Als Beziehung zwischen Menschen muss sie immer wieder aufs Neue ausgehandelt, gelernt und gelebt werden. Ähnlich wie Demokratie, die nicht einfach gegeben ist, sondern die es gegenüber antidemokratischen Strukturen und Ideologien immer wieder zu verteidigen gilt. Eine solidarische Haltung erschöpft sich dabei nicht in Form einer emotionalen Anteilnahme am Leid anderer oder in der Hilfe sogenannter »Schwächerer«. Es geht vielmehr darum, gemeinsam und auf Augenhöhe Strukturen zu transformieren, die Ungleichheiten hervorbringen oder bereits Bestehende manifestieren.  

Vor kurzem lauschte ich einer Rede des Judaisten Frederek Musall. Darin ging es um die Frage, wie Vergangenheit neu erzählt werden kann, um die Vielfalt der gegenwärtigen Gesellschaft sichtbar zu machen. Dies gelinge, so Musall, wenn Erzählkulturen in ihren Unterschiedlichkeiten und Verletzlichkeiten ernst genommen würden. Diese  Voraussetzungen, bin ich der Meinung, lassen sich ebenso gut auf solidarisches Handeln übertragen. Um Veränderungen zu erzielen, müsse die etablierte Ordnung der Dinge durcheinander gebracht werden: »Es wird dringend Zeit für einen Remix« sagt Musall. Seine Wortwahl rührt daher, dass er sich der Hip-Hop Musik bekannter Kollektive als philosophischem Denkbild bedient, um seinen Standpunkt zu untermalen. Die mitgeführte Hip-Hop-Metapher lässt sich, meiner Auffassung nach, auch treffend auf Solidarität, die ebenso einen solchen Remix nötig hätte, übertragen. Denn Hip-Hop war und ist Protest. Er vermag es, Solidarität mit benachteiligten oder ausgegrenzten Menschen zu verkörpern. Nicht zufällig wurde Rap-Musik nach der Ermordung von George Floyd am 25. Mai 2020 zum Soundtrack der Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus. In der frühen Rap-Kultur diente Hip-Hop Minderheiten als Sprachrohr, deren Geschichten nur wenig oder keine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfuhren. Er kann stellvertretend dafür stehen, wie emanzipatorische Solidarität aussehen kann. In einem Hip-Hop-Song, an dem mehrere Künstler*innen beteiligt sind, so Musall, komme eine »narrative Polyphonie« zum Ausdruck, in der unterschiedliche Erzählungen aufeinandertreffen. Oder anders gesagt: In einem Song können Erzählungen aufeinandertreffen, die jeweils aus verschiedenen Perspektiven und Erfahrungshorizonten erzählt werden. Arrangiert ergeben sie eine Komposition. Das, was die unterschiedlichen Parts eines Songs miteinander verbindet, so Musall, sei weder Inhalt noch Form, sondern ein Arrangement, strukturiert durch Beat und Rhythmus. Sich als Musiker*in in einen Beat einzubringen, erfordert nicht nur Timing und Präzision, auch Achtsamkeit im Hinblick auf Stimme, Betonung und Takt – ein Gefühl für den Flow. Sowohl für den Eigenen, als auch für den der anderen Beteiligten. Wer im Flow ist, kann in die Hookline, den Refrain, einstimmen und durch das Hinzufügen der eigenen Stimme die Aussage der anderen verstärken. 

Folgen wir der Metapher der Polyphonie, so gründet solidarische Praxis nicht auf gemeinsamer Identität, sondern bringt diese überhaupt erst hervor – und das durch gleichberechtigtes und wechselseitiges Ein- und Mitmischen aller Beteiligten. Solidarität erfordert demnach eine Hinwendung zum Anderen als selbstbestimmtes, eigenständiges Subjekt. Dessen Differenz und Autonomie erst anerkannt werden muss, bevor gemeinsame Ziele formuliert werden können. Diese Ziele wiederum, ergeben ein gemeinsames Interesse, oder das, was die politische Philosophin Hannah Arendt als »inter-est« bezeichnet. Der Begriff ist durch einen Bindestrich getrennt; die einzelnen Bestandteile »inter« (zwischen) und »est« (sein) werden durch ihn aber gleichzeitig als zusammengehörig, als »interest«, markiert. Arendt zeichnet ein symbolisches Bild, um zu verdeutlichen, was sie mit »inter-est« meint: Darauf abgebildet, ist ein runder Tisch, der diejenigen, die an ihm Platz gefunden haben, sowohl voneinander trennt, als auch miteinander verbindet. Durch den Tisch entsteht ein Dazwischen, ein Bezugssystem, in dem Menschen ihren Interessen nachgehen. Wenn wir solidarisch handeln wollen, dürfen wir uns demnach nicht mit Polyphonie als bloßem Nebeneinander begnügen. Vielmehr sollten wir gezielt danach suchen, wie die unterschiedlichen Stimmen und Perspektiven aufeinander bezogen werden können. Wenn man so will, dann braucht Solidarität einen Beat, den wir gemeinsam ausgestalten und komponieren müssen. Ein Bewusstsein und Vergegenwärtigung für Anwesenheit, Differenz und Bedürfnis. Einen Beat, der uns herausfordert, an unseren Gewohnheiten und Ansichten zu arbeiten und das gleichzeitige Existieren unterschiedlicher Bedürfnisse auszuhalten. Denn es sind letztlich die Vielfalt der Stimmen, der Streit um Differenz, die etwas bewegen können.

»What we need is awareness, we can’t get careless«, lauten zwei Zeilen aus Fight the Power des US-Amerikanischen Hip-Hop Kollektivs Public Enemy. Auch, wenn der Song bereits 1989 geschrieben wurde, besitzt er für mich auch heute noch Aktualität. Denn er besagt etwas so Einfaches und Wichtiges zugleich: Aufmerksamkeit, »awareness« ist das Gebot der Stunde. Gegenüber sozialer Ungleichheit, Unterdrückung und Entrechtung. Aber auch Aufmerksamkeit gegenüber einer Solidarität, die statt Vielfalt nur das vermeintlich Gleiche schützt. Die exkludiert, statt zu vereinen. Wir sollten uns bewusst sein, dass sich solidarisches Handeln gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Kontexten immer wieder anpassen muss. Für mich heißt das auch, dass wir mehr solidarische Beziehungen über nationalstaatliche Grenzen und Differenzen hinweg brauchen, im Kampf für eine gerechte Gesellschaft. Solidarität braucht ein Fundament, um nicht nur Phrase zu sein. Sie braucht einen Beat.    

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn der Beitrag euch gefallen hat, dann teilt ihn gerne mit Freunden und Bekannten. Darüber hinaus, würden wir uns besonders freuen, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt, damit wir auf Werbung verzichten und gute Inhalte für euch kreieren können. Supporten könnt ihr uns ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Das geht schon ab 1€. Alle weiteren Infos findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast.

16. August 2022

Antonis Schwarz: Ist Erben (un)gerecht?

von Marilena 14. Juni 2022

Während eine gängige Redewendung lautet, “Über Geld spricht man nicht, man hat es”, wird genau das heute getan. Und zwar mit Antonis Schwarz, den Marilena in München besucht hat, um zu erfahren, was der Millionenerbe mit der Initiative “tax me now” zu bewegen hofft. Denn eines ist klar: Die soziale Schere und Vermögensungleichheit wird immer größer: Allein in Deutschland besitzen die reichsten 10 Prozent mehr als die Hälfte aller Vermögen. Und das bedeutet auch Macht. Macht, die Welt massiv zu beeinflussen – ist das (noch) demokratisch?

Shownotes:

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► Bewegungsstiftung
► Netzwerk Steuergerechtigkeit
► Bürgerbewegung Finanzwende e.V.
► Leseempfehlungen: “Der Code des Kapitals” – Katharina Pistor; “ “Kapital und Ideologie” – Thomas Piketty; “Haben und Nichthaben. Eine kurze Geschichte der Ungleichheit” – Branko Milanović; “Wir Erben. Was Geld mit Menschen macht” – Julia Friedrichs.
► Oxfam-Studie (2021): „Carbon Inequality in 2030: Per capita consumption emissions and the 1.5C goal.“

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14. Juni 2022

Toxische Positivität – ist zu viel Optimismus schädlich?

von Marilena 29. März 2022

“Kopf hoch! Einfach positiv denken!” Wer hat diesen oft gut gemeinten Rat nicht schon einmal gehört? Ja, es stimmt, manchmal hilft es, nicht zu verzagen. Aber manchmal eben auch nicht. Weil wir längst nicht alles in den Händen haben, auch, wenn uns das diverse Selbsthilfe Ratgeber suggerieren. Glück sei zum modernen Fetisch geworden, so die These der Politologin und Autorin Juliane Marie Schreiber. In ihrem Buch “Ich möchte lieber nicht”, schreibt sie von der “Rebellion gegen den Terror des Positiven”. Denn der nerve, belaste und schwäche den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Weil wir Glück als Prestige betrachten und eigentlich politische Probleme als persönliches Versagen verstehen. Eine fatale Entwicklung, gegen die nur Rebellion hilft. Denn die Welt wurde nicht von den Glücklichen verändert, sondern von den Unzufriedenen.

Shownotes:

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► Mehr von und mit Juliane Marie Schreiber.
► Juliane Marie Schreiber: “Ich möchte lieber nicht – Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven”; Piper-Verlag (03/22).

Kontakt:
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29. März 2022

Yasmine M’Barek: Brauchen wir radikale Kompromisse?

von Marilena 2. März 2022

Mehr und mehr kennzeichnet radikale Kompromisslosigkeit die Diskurse in Politik und Gesellschaft, die das Vorankommen in wichtigen Themen, wie Coronapolitik, Klimawandel oder Rassismus verhindert. Die Fronten sind klar: Ihr oder wir.  Wie lässt sich ein Ausweg aus diesem Dilemma finden? Durch “radikale Kompromisse”, lautet die Antwort von Journalistin Yasmine M’Barek. Aber gibt es nicht Umstände, die radikalere Maßnahmen erfordern – dauert Realpolitik nicht einfach zu lange? Und was unterscheidet gute von faulen Kompromissen? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat Marilena sich Yasmine M’Barek in den Podcast eingeladen.

Shownotes:

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► Yasmine M’Barek findet ihr auf Twitter und Instagram.

► Yasmine M’Barek: “Radikale Kompromisse: Warum wir uns für eine bessere Politik in der Mitte treffen müssen”; Hoffmann & Campe Verlag (03/22).

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2. März 2022

Laut gedacht: Wieviel Idealismus ist realistisch?

von Henrietta Clasen 21. September 2021

Wir alle haben Ideale oder zumindest eine Idee davon, wie die Welt aussehen sollte. Eine Welt ohne eine Ideale, ist schwer vorstellbar, prägen sie doch ganz entscheidend die Wirklichkeit – zumindest, wenn es nach den Idealisten geht. Doch inwieweit lassen sich Ideen verwirklichen? Oder noch ein Schritt zurück: Wieviel Raum ist überhaupt vorhanden, um Ideen zu entwickeln? Braucht es dazu nicht zumindest Zeit und Muße? Zwingt uns der Kapitalismus gar zum Realismus? Als Sinneswandel Redaktion, haben wir uns unter anderem diese Fragen gestellt und gemeinsam laut darüber nachgedacht. Zu diesem Gedankenexperiment möchten wir, Ariane, Katharina, Edu und ich, euch heute einladen. 

Shownotes:

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► Avishai Margalit: Über Kompromisse – und faule Kompromisse, Suhrkamp (2011).
► Gerhard Gamm: Der Deutsche Idealismus – Eine Einführung in die Philosophie von Fichte, Hegel und Schelling, Reclam.
► Jacques Derrida: Gesetzeskraft: Der »mystische Grund der Autorität«, Suhrkamp (1991).
► Isaiah Berlin: Freiheit – Vier Versuche, Fischer Verlag (2006).

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21. September 2021

Carla Reemtsma: Ist die Klimabewegung zu elitär?

von Henrietta Clasen 23. August 2021

Carla Reemtsma, Pressesprecherin von Fridays For Future Deutschland, spricht nicht von Klimaschutz, sondern von “Klimagerechtigkeit” – also der Vereinbarkeit einer ökologischen und sozialen Transformation – die den Aktivist*innen besonders am Herzen liegt. Doch interessanterweise wird Carla und ihren Mitstreiter*innen von Fridays For Future immer wieder zum Vorwurf gemacht, die Bewegung selbst sei eine “Rebellion der Privilegierten”. Wie viel steckt tatsäch an dem Vorwurf, es handle sich bei den Klimaaktivist*innen vor allem um weiße Akademiker*innen-Kinder? Und, kann Netzaktivismus vielleicht dabei helfen, den Protest zugänglicher zu machen?

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Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos erhaltet ihr hier.

► Ihr findet Carla auch auf Twitter.
► Am 24. September ist globaler Klimastreik von Fridays For Future .
► Ifo: “Wie fair ist die Energiewende? Verteilungswirkungen in der deutschen Energie- und Klimapolitik” (06/21).
► taz: “Spritpreis ist sozialer als sein Image” (06/21).
► Der Gradmesser Klimapodcast des Tagesspiegel: “Kluger Klimaschutz schafft soziale Gerechtigkeit” (06/21).
► Clemens Traub “Future For Fridays? ​​Streitschrift eines jungen „Fridays for Future“-Kritikers” (02/20).
► taz: “Diversität beim Klimaprotest: Zu jung, zu weiß, zu akademisch” (12/19).
► taz: “Nominierte 2020: Black Earth Kollektiv: Klimagerechtigkeit intersektional denken”.
► Maik Fielitz und Daniel Staemmler: “Hashtags, Tweets, Protest? Varianten des digitalen Aktivismus”, Forschungsjournal Soziale Bewegungen (2020).

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Transkript: Carla Reemtsma – Ist die Klimabewegung zu elitär?

“Wer sich nach einem 40-Stunden Tag als alleinerziehende Mutter noch um Kinder kümmern muss und wo das Einkommen nicht immer 100pro gesichert ist, hat erstmal andere Prioritäten in seinem Alltag, als sich politisch zu engagieren.”

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

*Werbung*: Diese Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Online bestellen ist bequem. Aber wie nachhaltig ist der Versand eigentlich? OTTO legt besonderen Wert darauf, dass die Retourenabwicklung CO2-schonender wird. Durch sorgfältige Prüfung können mittlerweile 95% aller Retoure-Artikel wieder aufbereitet und weiterverkauft werden, anstelle einfach entsorgt zu werden. Damit Retouren im besten Fall erst gar nicht entstehen, erhalten Kund*innen bei OTTO bereits vorab kompetente Beratung beim Einkauf, damit sie bewusstere und damit nachhaltigere Entscheidungen treffen können. *Werbung Ende*

Als im Juni diesen Jahres die Grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ankündigte, die Spritpreise müssten bis 2023 schrittweise um 16 Cent pro Liter Benzin erhöht werden, war die Empörung groß: “Unsozial! Überheblich! Den kleinen Leuten werde in die Tasche gegriffen”, hieß es. Klimaschutz dürfe kein Privileg der Besserverdiener*innen werden.

Mal ganz unabhängig davon, dass die Bundesregierung ihrerseits schon längst beschlossen hatte, dass Benzin teurer werden müsse – auch SPD und Union stimmten dem zu – ist die Aufregung um die Frage nach der Vereinbarkeit von nachhaltiger Klimapolitik und sozialer Gerechtigkeit alles andere als neu – und nicht ganz unberechtigt. Denn Klimapolitik kann durchaus die soziale Ungleichheit vergrößern. Wissenschaftler*innen sprechen dann von sogenannten “negativen Verteilungseffekten”. Bedeutet, Klimaschutzinstrumente, wie eine CO2-Bepreisung, belasten zunächst Geringverdienende stärker als wohlhabende Haushalte. Hinzu kommt ein Stadt-Land-Gefälle: Wer in Großstädten, wie Berlin oder Hamburg mit einem relativ gut ausgebautem öffentlichen Nahverkehr lebt, ist nicht notwenigerweise auf ein eigenes Auto angewiesen, und daher auch oft weniger von steigenden Spritpreisen betroffen. Ganz im Gegensatz zu Menschen, die auf dem Land wohnen, wo vielleicht zwei Mal am Tag ein Bus vorbeikommt – wenn überhaupt.

Klingt erstmal wie ein klassisches Dilemma – die Sache lässt sich allerdings lösen, wenn man sie einmal genauer betrachtet: Um negativen Verteilungseffekten entgegenzuwirken, darf Klimapolitik nämlich nicht isoliert gedacht werden, vielmehr muss sie in einen umfassenderen, Politikansatz eingebettet werden. Gelingt das, kann sie sogar zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sprich positiven Verteilungseffekten, führen. Das hat auch eine Gruppe von Wis­sen­schaft­le­r*in­nen des Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) erst im Juni diesen Jahres in einer Studie festgestellt. Darin heißt es: „Ein CO2-Preis als Aufschlag auf den Spritpreis, bei dem die kompletten Einnahmen in eine einheitliche Pro-Kopf-Rückerstattung fließen, ist mit Abstand die fairste Form von Klimaschutz im Verkehrssektor“. Also das, was die Grünen fordern, nämlich ein sogenanntes „Energiegeld“ in Höhe von jeweils 75 Euro, das an jede Bürgerin und jeden Bürger aus den staatlichen Steuereinnahmen ausgezahlt wird. Ein solcher Sozialausgleich hätte den Berechnungen der Wissenschaftler*innen nach zur Folge, dass nur das reichste Fünftel draufzahlt – die ohnehin statistisch gesehen den höchsten CO2-Verbrauch haben. Der Rest würde genauso viel oder sogar mehr zurückerhalten, wie er oder sie das Jahr über gezahlt hat. Könnte damit also das gern gebrachte Argument, Gesetze und Verbote seien zwar weniger effektiv als eine CO2-Bepreisung, aber dafür zumindest sozial gerecht, als widerlegt angesehen werden? Energieökonomin Claudia Kemfert sprach sich im Klimapodcast des Tagesspiegels „Der Gradmesser“ jedenfalls fürs eine solche Taktik aus: “Kluger Klimaschutz ist nicht nur etwas für sogenannte Eliten, sondern er schafft im Gegenteil soziale Gerechtigkeit”. Aktuell zahlen für Umwelt- und Klimaschäden am wenigsten die Verursacher*innen, sondern vor allem die Steuerzahlenden. Deshalb brauche es endlich wahre Kostentransparenz. Die Ideen, so Kemfert, lägen bereits auf dem Tisch, es hapere nur an der Umsetzung. 

Apropos Umsetzung, das ist es auch, was die Aktivist*innen von Fridays For Futurevon Beginn an, seit ihren ersten Demonstrationen 2019 fordern. Eine unter ihnen ist die heute 23-jährige Carla Reemtsma. Neben ihrem Studium der Ressourcenökonomie in Berlin, ist sie bundesweite Sprecherin von Fridays For Future Deutschland – vielleicht ist es aber auch eher andersherum, wenn man bei ihrem Einsatz einmal Bilanz ziehen würde. Sie ist von Anfang an mit dabei und trommelt, bewegt von der Rede Greta Thunbergs auf der UN-Klimakonferenz in Katowice 2018, eine Gruppe Menschen zusammen, die schließlich die Fridays For Future Münster gründen: 

“Für mich gibt es nicht den einen Moment der mich für Klimagerechtigkeit und den Aktivismus politisiert hat. Es war vielmehr eine Abfolge von: man trifft seine ersten Konsumentscheidungen, stellt dann fest “Hey, meine Uni investiert Millionen in RWE Aktien”, dann stand ich vor dem Tagebau Hambach in dem rheinischen Braunkohlerevier, wo ein Loch im Boden ist das 300 Meter nach unten geht – man sieht das Ende gar nicht – und das alles für einen Energieträger, der der dreckigste der Welt ist und der die Klimakrise immer weiter anfeuert. Da dachte ich zum ersten Mal, dieser doch etwas pathetisch wirkende Satz “wir beuten unseren Planeten aus”, hat vielleicht einen wahren Kern. Dann aber auch immer andere Aktivist*innen und Aktionen, die wir organisiert haben, haben einen immer weiter politisiert und haben dafür gesorgt, dass ich Aktivistin bin und für Klimagerechtigkeit kämpfe und das auch weiter tue.”  

Carla spricht nicht von Klimapolitik oder Klimaschutz, sondern von “Klimagerechtigkeit” – also der Vereinbarkeit einer ökologischen und sozialen Transformation. Doch interessanterweise wird ihr und ihren Mitstreiter*innen von Fridays For Future immer wieder zum Vorwurf gemacht, die Bewegung selbst sei eine “Rebellion der Privilegierten”. So bezeichnet sie zumindest Clemens Traub. Der 24-jährige Politikstudent aus Karlsruhe, selbst ehemaliger Fridays For Future Aktivist und heute Mitglied der SPD, brachte im vergangenen Jahr, wie er selbst sagt, „die erste Streitschrift in Deutschland eines Jugendlichen selbst über die Klima-Bewegung“ heraus. Seine These darin: Die Fridays For Future Aktivist*innen treiben die soziale Spaltung der Gesellschaft aktiv voran: Auf der einen Seite die gebildeten “Klima-Eliten” – auf der anderen Seite die “Umweltzerstörer”. “Wo ist der Raum für differenzierte Zwischentöne und einen sachlichen Meinungsaustausch?”, fragt Clemens Traub. Klimapolitik müsse sozial gerecht sein. Wer hingegen den gesellschaftlichen Zusammenhalt riskiere, der wird, so Traub, die Welt nicht retten. Doch  wie viel steckt dran, an dem Vorwurf, die Fridays For Future Bewegung sei elitär und bestehe vor allem aus Akademiker*innen-Kindern? Clemens Traub positioniert sich in seinem Buch unmissverständlich: “Das typische Milieu der meisten Fridays-for-Future-Demonstrant*innen kenne ich gut. Es ist in gewisser Weise mein eigenes und das meines jetzigen Freund*innenkreises: großstädtisch, linksliberal, hip. Ärzt*innentöchter treffen darin auf Juristen*innensöhne. Gin-Tasting und Diskussionen über plastikfreies Einkaufen und Zero Waste stehen nebeneinander auf der Tagesordnung. Veganismus zählt ebenso zum unausgesprochenen Kodex des Hip-Seins wie der Einkauf im Secondhandladen. Und der Bioladen um die Ecke wertet die Lage der eigenen Wohnung selbstverständlich auf. Akademiker*innenkinder bleiben unter sich. Ein Querschnitt der Gesellschaft also, den die Klimaproteste abbilden? Weit gefehlt!” 

Und auch die taz titelte bereits im Dezember 2019: “Zu jung, zu weiß, zu akademisch” – mangelnde Diversität beim Klimaprotest! Laut dem Institut für Protest- und Bewegungsforschung (IPB), die während des globalen Klimastreiks im März 2019 Umfragen durchführten, gaben 92 Prozent der Befragten an, mindestens Abitur gemacht zu haben oder einen höheren Bildungsgrad zu besitzen oder diesen anzustreben. Die meisten verorten sich im linken Spektrum. Menschen mit Migrationsgeschichte waren eher unterrepräsentiert – im europäischen Vergleich sei die Bewegung aber, so das Forschungsinstitut, “sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung der Teilnehmer*innen als auch in der Einschätzung von Lösungswegen heterogener als der gemeinsame Rahmen vermuten lässt.” Clemens Traub, der selbst eine Zeit lang bei FFF aktiv war, will von dieser Heterogenität jedoch nichts gemerkt haben: “Die Bewegung war von Anfang an viel zu homogen, viel zu elitär und entsprechend viel zu abgehoben, als dass sie dies selbst überhaupt auch nur bemerkt hätte. Nur wem es materiell gutgeht, der hat letztlich die Zeit und auch die Muße, den Klimaschutz als das persönlich wichtigste und auch einzige politische Thema unserer Zeit zu betrachten und ihm alles andere unterzuordnen.”

Pressesprecherin von FFF, Carla Reemtsma, kennt diese Kritik und verschließt sich keinesfalls vor ihr, merkt aber auch an: “Fridays For Future stellt insgesamt keinen Querschnitt der Bewegung dar. Es stimmt, dass viele Leute aus dem bürgerlichen Haushalt kommen, aber wir sind, nichtsdestotrotz, sehr breit aufgestellt. Gerade was Stadt- und Land-Herkunft angeht. Natürlich sind wir in großen Städten größer, das ergibt sich aus der Größe der Städte, aber wir sind in 600 bis 700 Orten in Deutschland präsent – das sind dann nicht alles nur Millionenstädte. Ich glaube soziale Herkunft kann eine Rolle spielen, ob man sich aktivistisch aktiviert. Sie ist oft der allererste Grund sich zu politisieren. Wer als POC Rassismus erfährt, kann sich daran politisieren und das als ersten und wichtigsten Kampf für sich finden. Wer ein geringes Einkommen hat und unter schlechten Arbeitsbedingungen arbeiten muss, hat da vielleicht seinen ersten politischen Moment. Ich glaube nicht, das grundsätzlich politisches Engagement abhängt von der sozialen Herkunft, sie kann es aber schwerer machen. Wer sich nach einem 40-Stunden Tag als alleinerziehende Mutter noch um Kinder kümmern muss und wo das Einkommen nicht immer 100pro gesichert ist, hat erstmal andere Prioritäten in seinem Alltag, als sich politisch zu engagieren. Wer Zugang zu Bildung hat, ein geregeltes Einkommen – für den ist es häufig leichter. Nichtsdestotrotz glaube ich nicht, dass es ein ausschlaggebendes Merkmal ist, und in unserem Aktivismus ist immer ganz wichtig, dass Kämpfe, die für eine gerechte und lebenswerte Welt für alle kämpfen, zusammenzubringen. Deswegen sprechen wir auch von “Klimagerechtigkeit” und nicht von “Klimaschutz”. Klimagerechtigkeit als ein Kampf, ein Protest der in der Zukunft nicht auf Kosten von Minderheiten gemacht wird, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das heißt, dass soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit, aber auch antirassistische Forderungen miteinander einhergehen. Das wir die Revolution nicht nur durch E-Autos, sondern durch kostenlosen, öffentlichen Nahverkehr machen. Dass wir den Fortschritt in Richtung Klima nicht nur durch einen CO2-Preis machen, wo sich reiche Menschen immer noch vieles leisten können und soziale Ungerechtigkeiten verstärken, sondern gleichzeitig ein Angebot für alle schaffen.”

Die Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen heißt die Proteste der Fridays-Bewegung zwar gut und sieht deren Bemühungen um Inklusivität, ihr reicht das aber dennoch nicht, weshalb sie sich mittlerweile bei dem Berliner BIPoC-Klimakollektiv „Black Earth“ engagiert, mit dem sie vor allem auf die untrennbare Verbindung von Kolonialismus, Rassismus und der Klimakrise aufmerksam machen. Eine der Gründer*innen, Samie Blasingame, sagte in einem Interview mit der taz: „In der [Klima-]Bewegung wird zu wenig über historische Ungerechtigkeiten gesprochen“. Deshalb hätten sie als Kollektiv beschlossen, “stets zu mindestens drei Vierteln aus BIPoC und zu mehr als der Hälfte aus FLINT* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binären und trans Personen) zu bestehen.” 

Grundsätzlich widersprechen, tun sich die Bewegungen nicht – das Anliegen von Imeh Ituen und dem “Black Earth” Kollektiv zeigt nur abermals, wie essentiell der interkulturelle und Milieu-übergreifende Austausch ist – auch im Klimaprotest. Selbst Autor Clemens Traub sieht in diesem Punkt Hoffnung: “Mehr Vielfalt könnte zu einer großen Chance für Fridays for Future werden: […] Ein neues bodenständigeres Auftreten könnte aus [ihnen] endlich eine Bewegung aus der Mitte unserer Gesellschaft machen. Eine einfühlsame Bewegung. Nicht nur für unseren Planeten, sondern vor allem auch für die Menschen, die auf ihm leben!”

Doch gerade online, wo der Protest, nicht nur von Fridays For Future, Corona-bedingt in den vergangenen Monaten hat hauptsächlich stattfinden müssen, macht diesen Austausch nicht gerade leichter. Einerseits ließe sich natürlich vermuten, dass Cyberaktivismus die Zugangsbarrieren herabsetze, da das Internet ein relativ leicht zugänglicher Ort ist. Außerdem ist Protest online häufig vergleichsweise günstig – auch ein Vorteil. Auf der anderen Seite jedoch, fehlt etwas ganz Essentielles: die Lebensrealität. Die Begegnung im analogen Raum, von Angesicht zu Angesicht. Die Präsenz, mit der auch Emotionen frei werden, die eine Verbindung ohnegleichen zwischen Menschen herstellen können. Nichtsdestotrotz hält auch Carla Reemtsma den Protest im Netz, insbesondere in den Sozialen Medien, für unerlässlich – auch, wenn er die Straßenaktionen nicht ersetzen kann:


“Sich online auf Social Media zu engagieren, ist eine mögliche Form des Aktivismus. Ich glaube, Social Media ist unglaublich wichtig in modernen Zeiten. Einerseits für Debatten, die geführt werden, wo Leute gehört werden, die sonst vielleicht weniger Aufmerksamkeit in traditionellen Medien finden – was natürlich auch seine Schattenseiten hat, wenn wir uns populistische Diskurse angucken. Es ist ein Ort, wo sich Leute einfach zugänglich bilden können über politisch Themen, die weniger Aufmerksamkeit finden. Sei es Rassismus, die Klimakrise, sei es Feminismus – diese Themen können dort besprochen werden, aber es ist eine Form. Es ist genauso valide sich zu engagieren und das nicht auf Social Media darzustellen, genauso wie ich glaube, dass Aktivismus, der “on the ground” stattfindet und immer Leute mitnimmt und Aktionen organisiert, doch noch wichtiger ist und das ist, was wir brauchen, um politisch etwas voranzubringen. Social Media kann eine Multiplikator*innen Wirkung haben, es kann für einen selbst gerade in diesem Bildungsaspekt sehr wichtig sein, und ich glaube, dass es für wirksamen Aktivismus immer den Druck von der Straße braucht.”

Zu diesem Ergebnis kamen auch der Protestforscher Daniel Staemmler von der Berliner Humboldt Universität und Maik Fielitz vom Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in ihrer Studie: “Protestformen online und offline sind längst verknüpft, man sieht das jetzt durch die Krise nur stärker, weil der übliche Demobetrieb wegfällt. Was sich ändert, sind die Plattformen, auf denen sich das vollzieht”, so Staemmler im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Die Forscher sind der Auffassung, dass die Zukunft des Netzaktivismus davon abhänge, “die Leute von einer Plattform auf andere zu bringen, wo sie sich intensiver mit den Inhalten auseinandersetzen können”, um die Kraft dann auf die Straße zu tragen. “Dieses Gemeinschaftsgefühl erleben zu wollen, mit allem, was dazugehört, statt nur ein paar Posts zu teilen, das wird nicht verloren gehen. Ich glaube, es könnte sogar noch an Bedeutung gewinnen”, ergänzt Fielitz. Kein unwahrscheinliches Szenario, gerade nach der langen Pandemie-bedingten analogen Protestpause – vielleicht spielt das ja Bewegungen wie Fridays For Future, sobald Straßenaktionen wieder unbedenklich möglich sind, in die Karten. Es wird sich zeigen.

Vielen Dank fürs Zuhören. Wie ihr wisst, ist es unser Bestreben, möglichst unabhängig und werbefrei produzieren zu können. Das müssen wir uns allerdings auch leisten können. Daher, wenn ihr Sinneswandel gerne hört, freuen wir uns, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle Infos zur Episode, Quellen und weiterführendes Material findet ihr, wie immer in den Shownotes. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast! 

23. August 2021
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