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Antirassismus

Wie solidarisch sind wir wirklich?

von Marilena 16. August 2022

Die Forderung nach Solidarität hat seit Jahren Hochkonjunktur. Sie ist zu einem Schlüsselbegriff, zum Leitwort gegenwärtiger Krisen geworden: Ob im Zuge der Pandemie, des Klimawandels oder des Angriffskriegs auf die Ukraine. Und zweifelsohne ist Solidarität in bewegten Zeiten wie diesen elementar. Zeitgleich zeigen sich auch ihre Begrenzungen. In ihrem Kommentar stellt Gastautorin Isabell Leverenz den Solidaritätsbegriff auf die Probe und kommt zu dem Ergebnis: Solidarität braucht einen Beat, den wir gemeinsam ausgestalten und komponieren müssen.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Azimipour, Sanaz (2022): Rassismus als Infrastruktur. Missy Magazine. 54-58.
► Missy Magazine (2022): Krieg und Flucht. 47-60.
► Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst (2019): Was heisst »#Unteilbar« für eine Sammlungsbewegung? Interview mit Hengameh Yaghoobifarah. Belltower News.
► Struwe, Alexander (2019): Was ist emanzipatorische Solidarität?
► Lessenich, Stephan (2019): Grenzen der Demokratie. Teilhabe als Verteilungsproblem. Reclam. 
► Susemichel, Lea; Kastner Jens (2021): Unbedingte Solidarität. Unrast. 7-11.
► Hausbichler, Beate (2022): Lea Susemichel und Jens Kastner: „Identitätspolitik war zunächst eine Notwehrreaktion“. Der Standard.
► ELES (2021): Plurale Erinnerungskultur: Gemeinsames Erinnern in einer vielfältigen Gesellschaft?, YouTube.
► Arendt, Hannah (1981): Vita activa oder Vom tätigen Leben. R. Piper & Co. Verlag. 173.
► Hark, Sabine (2021): Flucht und Migration. Wir brauchen ein neues Ethos der Solidarität. Deutschlandfunk Kultur.
► Jaeggi, Rahel (2021): Solidarität und Gleichgültigkeit. In: Susemichel, Lea; Kastner Jens: Unbedingte Solidarität. Unrast. 49-66.

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► sinneswandel.art

 

Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

“Solidarität (von lateinisch solidus “echt, fest“) […] bezeichnet eine zumeist in einem ethisch-politischen Zusammenhang benannte Haltung der Verbundenheit mit […] Ideen, Aktivitäten und Zielen anderer. Sie drückt ferner den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte aus. Der Gegenbegriff zur Solidarität ist die Konkurrenz.” So lautet zumindest die Definition auf Wikipedia. Gleichgesinnte oder Gleichgestellte, für sie gilt also das Prinzip der Solidarität. Aber was macht uns zu “Gleichen”? Was verbindet uns? Und zeigen wir uns als Menschen wirklich nur dann solidarisch mit anderen, wenn sie uns ähneln – ob aufgrund der Herkunft, des Geschlechts, der Sprache oder politischen Einstellung?

Angesichts einer Omnipräsenz der Forderung nach Solidarität, hat sich Kulturwissenschaftlerin Isabell Leverenz gefragt, wie solidarisch wir aktuell wirklich sind. Ob Solidarität tatsächlich eine Praxis unter “Gleichen” sein muss oder, ob sie nicht viel weiter gehen kann und sollte? Wie ließe sich eine Solidarität denken, die für alle gilt? Dabei kommt sie zu dem Schluss: Solidarität braucht einen Beat, den wir gemeinsam ausgestalten und komponieren müssen. Was das genau bedeutet, erzählt Isabell Leverenz in ihrem Kommentar.

Es ist Sonntag und ich blättere durch die neue Ausgabe des Missy Magazins. Mein Blick bleibt an einer Fotografie der Fotojournalistin Sitara Thalia Ambrosio hängen. Darauf zu sehen, ist ein Bus. Dort, wo für gewöhnlich die Nummer der Buslinie oder ihre Endstation zu lesen ist, steht in orangefarbener Schrift: »Gemeinsam mobil für eine solidarische Welt«. Der Bus wurde von einem Zusammenschluss gemeinnütziger Organisationen bereitgestellt, der Geflüchtete aus der Ukraine nach Berlin bringt, wie die Bildunterschrift verrät. Der orange leuchtende Schriftzug erinnert mich an den Slogan »Defend Solidarity« der Organisation Sea Watch, die sich der zivilen Seenotrettung von Flüchtenden an Europas Grenzen verschrieben hat. Ob »Gemeinsam mobil für eine solidarische Welt« oder »Defend Solidarity«: Beide Slogans eint, dass Solidarität buchstäblich in Bewegung zu kommen scheint – oder in Bewegung kommen muss?! 

Zumindest habe ich den Eindruck, dass die Forderung nach Solidarität seit Jahren Hochkonjunktur hat. Sie ist zu einem Schlüsselbegriff, zum Leitwort gegenwärtiger Krisen geworden: Ob im Zuge der Pandemie, des Klimawandels oder des Angriffskriegs auf die Ukraine: Sie wird als unabdingbar erklärt, sie wird proklamiert, sie wird getwittert. Und zweifelsohne ist Solidarität in bewegten Zeiten wie diesen elementar. Zeitgleich zeigen sich auch ihre Begrenzungen. Darin, dass überfüllte Lager für Geflüchtete zu Beginn der Pandemie, wenn überhaupt, nur schleppend evakuiert werden oder sich an den Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter*innen in Schlachthöfen nichts ändert. Dass man Überlastetem Gesundheitspersonal durch Beifall Sympathie zuträgt, anstatt sich für eine Verbesserung von deren Arbeitsbedingungen einzusetzen. Dass man Studierende of Color ohne ukrainische Staatsbürgerschaft während ihrer Flucht vor Polens Grenzen abweist. Indes ist man sich aber europaweit einig, dass die Menschen aus der Ukraine Solidarität verdienen und ihnen schnellstmöglich und unbürokratisch geholfen werden muss. Dabei stoße ich immer wieder auf das gleiche Argument: »Die sind wie wir«, heißt es. Ich höre es beim Gespräch über den Gartenzaun, lese es im politischen Feuilleton und finde es in sozialen Netzwerken. Ukrainerinnen und Ukrainer seien schließlich Europäer*innen. Im gesellschaftlichen Common Sense scheint Solidarität eine Praxis unter Gleichen zu sein. Aber ist das wirklich so? 

Wie Sand zerrinnt mir diese Argumentation zwischen den Fingern: Wer ist denn eigentlich dieses solidarische »Wir«, von dem die Rede ist? Schließlich ist die Bevölkerung Deutschlands ja in sich bereits heterogen und vielfältig. In der selben Ausgabe des Missy Magazins, ein paar Seiten weiter geblättert, warnt die Aktivistin und Autorin Sanaz Azimipour vor dem entstandenen paneuropäischen Nationalismus, der die Ukraine als Vielvölkerstaat ausblendet und die Menschen und das Land als weiß und christlich labelt. Und ich erinnere mich, dass auch taz-Kolumnist*in Hengameh Yaghoobifarah vor einigen Jahren, aus meiner Sicht zurecht, beklagte, dass in Deutschland vor allem die weiße und nicht die antirassistische, feministische und anti-antisemitische Solidarität überwiege. 

Mir scheint, Solidarität ist hier selektiv, sie gilt nicht für alle im selben Maße. Das, was gesamtgesellschaftlich als Tugend aufgefasst wird und wie ein »schillernder Gegenbegriff« zu Phänomenen der Krise wirkt, ist vielmehr selbst Teil einer regressiven Praxis. Solidarität drohe, so schreibt der Soziologe Stephan Lessenich bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie, zu einer folgenlosen »sozialen Wohlfühlkategorie« zu verkommen. Zu einer Worthülse, die nur bedingt hält, was sie verspricht. Kuschelkurs statt Schlagweite. Es stimmt, Krisen fordern den sozialen Zusammenhalt heraus und damit die Notwendigkeit, Solidarität im Kontext dieser Herausforderungen neu zu formulieren. Daher frage ich mich: Wie ließe sich eine Solidarität denken, die für alle gilt? 

Grundsätzlich, so fasst es die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi zusammen, kann Solidarität als eine Praxis des »Füreinandereinstehens« verstanden werden. Wird an die Solidarität appelliert, wird ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Haltung erwartet. Doch scheint sich Solidarität dabei bislang vor allem in der Gleichheit zu entfalten. Sie wird damit exklusiv. Bereits in den 90ern plädierte die feministische Denkerin Diane Elam für eine sogenannte »groundless solidarity«, eine unbegründete Solidarität, die nicht der Gleichheit, sondern Vielfalt und Diversität Rechnung trägt. Sie zielt darauf ab, kein vorgegebenes Wir, keine Gemeinschaft zur Voraussetzung von Solidarität zu machen. Gemeint ist hiermit nicht, sich stets vollkommen grundlos solidarisch verhalten zu müssen, sondern, dass gemeinsame Erfahrungen nicht vorausgesetzt werden sollten. »Unbedingte Solidarität«, so schreiben auch Lea Susemichel und Jens Kastner in ihrem gleichnamigen Sammelband, beruhe nicht auf Gleichheit, sondern auf Differenzen. Es ginge nicht um die Parteinahme für Meinesgleichen, sondern darum, mit Menschen in solidarische Beziehung zu treten, mit denen ich gerade nicht den Berufszweig, das Milieu, die sexuelle Orientierung, das Geschlecht oder die ethnische Zuschreibung teile. Eine emanzipatorische Solidarität, entkoppelt von ökonomischen, politischen und kulturellen Grundlagen. Und wer meint, bei dieser Perspektive handle es sich um eine Utopie, dem rate ich einen Blick in die Geschichte der Solidarität: Bereits die Abolitionismus-Bewegung, also der Kampf gegen die Sklaverei, wurde nicht allein von Versklavten geführt; ebenso, wie sich auch Männer für Frauenrechtsforderungen einsetzten; der Kampf gegen die Apartheid in Südafrika wurde auch von westeuropäischen Weißen unterstützt; die Organisation Lesbians and Gays Support the Miners bestärkten den britischen Bergarbeiterstreik Mitte der 80er Jahre. Umgekehrt marschierten die Minenarbeiter bei der Lesbian and Gay Pride Parade in London mit. 

Diese Solidarität ohne gemeinsamen Grund, betont Lea Susemichel, könne moralisch, humanistisch oder sozialrevolutionär motiviert sein. Nicht aber durch Ähnlichkeit oder Gleichheit. Es gehe vielmehr um den Einsatz für andere und um die gemeinsame Verantwortung für strukturelle und soziale Ungerechtigkeit. Auch dann, wenn man selbst vordergründig nicht davon zu profitieren scheint. Solidarität ist keine Gegebenheit von Natur aus, sie entwickelt sich nicht ‚ganz natürlich‘. Solidarität ist eine Entscheidung, sie ist politisch. Als Beziehung zwischen Menschen muss sie immer wieder aufs Neue ausgehandelt, gelernt und gelebt werden. Ähnlich wie Demokratie, die nicht einfach gegeben ist, sondern die es gegenüber antidemokratischen Strukturen und Ideologien immer wieder zu verteidigen gilt. Eine solidarische Haltung erschöpft sich dabei nicht in Form einer emotionalen Anteilnahme am Leid anderer oder in der Hilfe sogenannter »Schwächerer«. Es geht vielmehr darum, gemeinsam und auf Augenhöhe Strukturen zu transformieren, die Ungleichheiten hervorbringen oder bereits Bestehende manifestieren.  

Vor kurzem lauschte ich einer Rede des Judaisten Frederek Musall. Darin ging es um die Frage, wie Vergangenheit neu erzählt werden kann, um die Vielfalt der gegenwärtigen Gesellschaft sichtbar zu machen. Dies gelinge, so Musall, wenn Erzählkulturen in ihren Unterschiedlichkeiten und Verletzlichkeiten ernst genommen würden. Diese  Voraussetzungen, bin ich der Meinung, lassen sich ebenso gut auf solidarisches Handeln übertragen. Um Veränderungen zu erzielen, müsse die etablierte Ordnung der Dinge durcheinander gebracht werden: »Es wird dringend Zeit für einen Remix« sagt Musall. Seine Wortwahl rührt daher, dass er sich der Hip-Hop Musik bekannter Kollektive als philosophischem Denkbild bedient, um seinen Standpunkt zu untermalen. Die mitgeführte Hip-Hop-Metapher lässt sich, meiner Auffassung nach, auch treffend auf Solidarität, die ebenso einen solchen Remix nötig hätte, übertragen. Denn Hip-Hop war und ist Protest. Er vermag es, Solidarität mit benachteiligten oder ausgegrenzten Menschen zu verkörpern. Nicht zufällig wurde Rap-Musik nach der Ermordung von George Floyd am 25. Mai 2020 zum Soundtrack der Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus. In der frühen Rap-Kultur diente Hip-Hop Minderheiten als Sprachrohr, deren Geschichten nur wenig oder keine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfuhren. Er kann stellvertretend dafür stehen, wie emanzipatorische Solidarität aussehen kann. In einem Hip-Hop-Song, an dem mehrere Künstler*innen beteiligt sind, so Musall, komme eine »narrative Polyphonie« zum Ausdruck, in der unterschiedliche Erzählungen aufeinandertreffen. Oder anders gesagt: In einem Song können Erzählungen aufeinandertreffen, die jeweils aus verschiedenen Perspektiven und Erfahrungshorizonten erzählt werden. Arrangiert ergeben sie eine Komposition. Das, was die unterschiedlichen Parts eines Songs miteinander verbindet, so Musall, sei weder Inhalt noch Form, sondern ein Arrangement, strukturiert durch Beat und Rhythmus. Sich als Musiker*in in einen Beat einzubringen, erfordert nicht nur Timing und Präzision, auch Achtsamkeit im Hinblick auf Stimme, Betonung und Takt – ein Gefühl für den Flow. Sowohl für den Eigenen, als auch für den der anderen Beteiligten. Wer im Flow ist, kann in die Hookline, den Refrain, einstimmen und durch das Hinzufügen der eigenen Stimme die Aussage der anderen verstärken. 

Folgen wir der Metapher der Polyphonie, so gründet solidarische Praxis nicht auf gemeinsamer Identität, sondern bringt diese überhaupt erst hervor – und das durch gleichberechtigtes und wechselseitiges Ein- und Mitmischen aller Beteiligten. Solidarität erfordert demnach eine Hinwendung zum Anderen als selbstbestimmtes, eigenständiges Subjekt. Dessen Differenz und Autonomie erst anerkannt werden muss, bevor gemeinsame Ziele formuliert werden können. Diese Ziele wiederum, ergeben ein gemeinsames Interesse, oder das, was die politische Philosophin Hannah Arendt als »inter-est« bezeichnet. Der Begriff ist durch einen Bindestrich getrennt; die einzelnen Bestandteile »inter« (zwischen) und »est« (sein) werden durch ihn aber gleichzeitig als zusammengehörig, als »interest«, markiert. Arendt zeichnet ein symbolisches Bild, um zu verdeutlichen, was sie mit »inter-est« meint: Darauf abgebildet, ist ein runder Tisch, der diejenigen, die an ihm Platz gefunden haben, sowohl voneinander trennt, als auch miteinander verbindet. Durch den Tisch entsteht ein Dazwischen, ein Bezugssystem, in dem Menschen ihren Interessen nachgehen. Wenn wir solidarisch handeln wollen, dürfen wir uns demnach nicht mit Polyphonie als bloßem Nebeneinander begnügen. Vielmehr sollten wir gezielt danach suchen, wie die unterschiedlichen Stimmen und Perspektiven aufeinander bezogen werden können. Wenn man so will, dann braucht Solidarität einen Beat, den wir gemeinsam ausgestalten und komponieren müssen. Ein Bewusstsein und Vergegenwärtigung für Anwesenheit, Differenz und Bedürfnis. Einen Beat, der uns herausfordert, an unseren Gewohnheiten und Ansichten zu arbeiten und das gleichzeitige Existieren unterschiedlicher Bedürfnisse auszuhalten. Denn es sind letztlich die Vielfalt der Stimmen, der Streit um Differenz, die etwas bewegen können.

»What we need is awareness, we can’t get careless«, lauten zwei Zeilen aus Fight the Power des US-Amerikanischen Hip-Hop Kollektivs Public Enemy. Auch, wenn der Song bereits 1989 geschrieben wurde, besitzt er für mich auch heute noch Aktualität. Denn er besagt etwas so Einfaches und Wichtiges zugleich: Aufmerksamkeit, »awareness« ist das Gebot der Stunde. Gegenüber sozialer Ungleichheit, Unterdrückung und Entrechtung. Aber auch Aufmerksamkeit gegenüber einer Solidarität, die statt Vielfalt nur das vermeintlich Gleiche schützt. Die exkludiert, statt zu vereinen. Wir sollten uns bewusst sein, dass sich solidarisches Handeln gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Kontexten immer wieder anpassen muss. Für mich heißt das auch, dass wir mehr solidarische Beziehungen über nationalstaatliche Grenzen und Differenzen hinweg brauchen, im Kampf für eine gerechte Gesellschaft. Solidarität braucht ein Fundament, um nicht nur Phrase zu sein. Sie braucht einen Beat.    

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16. August 2022

Ciani-Sophia Hoeder: Mit Wut zur Veränderung?

von Henrietta Clasen 27. September 2021

Die Wut ist wohl eine der grundlegendsten, menschlichen Emotionen – doch wird sie selten als positives Gefühl angesehen, als vielmehr für ihren manchmal destruktiven Charakter verschmäht. Das gilt ganz besonders für wütende Frauen: als hysterisch, zu emotional oder gar inkompetent werden sie häufig bezeichnet. Wut ist untrennbar mit Macht verknüpft und ihre Unterdrückung daher keineswegs belanglos oder zufällig, schreibt die Autorin und Journalistin Ciani-Sophia Hoeder in ihrem Buch “Wut und Böse”. Mehr “Wut zur Veränderung”, lautet ihr Plädoyer. Welche transformative Kraft in der Emotion steckt und, wie sie zum positiven Katalysator der Veränderung werden kann, darum soll es in dieser Episode gehen.

Shownotes:

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Die heutige Episode wird präsentiert von Vodafone. Ihr könnt ab jetzt mit bis zu 1000 grünen Mbit/s im Vodafone Netz surfen – mit Strom aus 100 % erneuerbaren Energien – ab 39,99€ dauerhaft. Mehr Infos auf vodafone.de/greengigabit und im Vodafone Shop.

► Ciani-Sophia Hoeder: Wut und Böse. Hanser Literaturverlag (09/21).
► Ihr findet Ciani auch auf Twitter und Instagram.
► RosaMag: Online Lifestyle Magazin für Schwarze Frauen in Deutschland.
►Rosapedia: Was ist die “Angry Black Woman”?, RoseMag (12/2019).

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27. September 2021

Künstliche Intelligenz – Fluch oder Segen?

von Henrietta Clasen 14. September 2021

“Künstliche Intelligenz” – ein Begriff, der den meisten von uns schon mal begegnet sein dürfte. Obwohl wir ihnen nicht in persona begegnen, durchwalten sie unseren Alltag – ob hinter Social Media Plattformen oder Dating Apps. Was das aber genau ist, KI, scheint vielen von uns gar nicht so bewusst zu sein. Dazu kommt, dass bildgewaltige, meist dystopische Filme von bösen Maschinen erzählen, die drohen die Menschheit auszulöschen. Ist das der Grund, weshalb wir Künstlicher Intelligenz tendenziell eher skeptisch gegenüberstehen? Kulturwissenschaftler Edu Alcaraz hat sich in seinem Essay aus philosophischer Perspektive heraus mit KI befasst und, inwiefern sie ein Thema ist oder viel mehr sein sollte, das uns alle betrifft und nicht bloß Informatiker*innen. 

Shownotes:

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Die heutige Episode wird präsentiert von Vodafone. Ihr könnt ab jetzt mit bis zu 1000 grünen Mbit/s im Vodafone Netz surfen – mit Strom aus 100 % erneuerbaren Energien – ab 39,99€ dauerhaft. Mehr Infos auf vodafone.de/greengigabit und im Vodafone Shop.

►Hans-Georg Gadamer: “Das Selbstverständliche ist das Rätselhafte”.
►Martin Heidegger und Bhikkhu Maha Mani: “Interview 1964”.
►Kenza Ait Si Abbou: “Keine Panik, ist nur Technik” Gräfe und Unzer.
► AlgorithmWatch.
► Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme: “Künstliche Intelligenz in der Medizin”.
► “Künstliche Intelligenz für Umwelt- und Klimaschutz” BMU.
► “Fünf-Punkte-Programm des Bundesumweltministeriums für Künstliche Intelligenz” BMU.
► “Mit Künstlicher Intelligenz Klima und Umwelt schützen” BMU.

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14. September 2021

Rente und Rebellion – (wie) passt das zusammen?

von Henrietta Clasen 17. August 2021

Wer ist eigentlich Schuld am Klimawandel. Die älteren Generationen, weil sie, obwohl der Club of Rome bereits 1972 die “Grenzen des Wachstums” prophezeite, nicht handelten? Oder sind es nicht gerade die Großeltern, die noch wussten, was Maß und Mitte bedeutet? Ganz im Gegensatz zu den jüngst geborenen Generationen, die in einer Welt des Überflusses aufwachsen. Wie nachhaltig und sinnvoll ist die Suche nach einem Sündenbock? Geht es nicht vielmehr darum, gemeinsam Lösungen zu finden? Für eine Welt, die aus den Fugen geraten ist, deren Kipppunkte schon bald drohen überschritten zu werden – ist da nicht vielmehr sofortiges, generationsübergreifendes Handeln gefragt?

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Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos erhaltet ihr hier.

► Erfahrt mehr über die Initiative Omas gegen Rechts.  
► Ihr findet Annika Rittmann und Monika Salzer auch auf Twitter.
► Ihr wollt aktiv werden? Wie wäre es bei den Parents For Future oder den Omas For Future?
► Greta Thunberg’s Rede auf dem Climate Action Summit 2019.
► “Klimaschutz ist was für Profis” Christian Lindner im Interview mit der BILD am Sonntag.
► “Sie gründete die ‘Omas For Future’: Leipzigerin (62) zieht in den Klimakampf” Cordula Weimann im Interview mit Tag24.
► Initiative #WirStimmenZusammen.

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Transkript: Rente und Rebellion – (wie) passt das zusammen?

“Natürlich ist man für Protest nie zu alt – es gibt kein Alter für Protest und ich glaube, dass Menschen, die ihr Leben gelebt haben, über sehr viel Erfahrung zurückblicken können und mutig sein können. Wir können sagen was wir uns denken – denn wir haben nichts zu verlieren. Und wir sind verantwortlich für die kommenden Generationen.”

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

*Werbung”: Der Partner unserer heutigen Episode ist OTTO, die ihre Warenrücksendungen auf Tüten aus wildem Plastik umstellen wollen. Dafür arbeiten sie mit dem Hamburger Start-Up Wildplastic zusammen: “Wildes Plastik, das sind Kunststoffe, die wir zusammen mit zertifizierten Organisationen aus der Natur sammeln und – in Ländern ohne eigene Recycling Strukturen – dafür sorgen, dass es erst gar nicht in der Umwelt landet. Die Aufgabe, die Umwelt von Kunststoffen zu befreien, ist gewaltig. Wir sehen das aber nicht nur als unsere kollektive Verantwortung, sondern auch als riesiges Potenzial. Wenn wir es schaffen, die Wertstoffe zurück in den Produktionskreislauf zu bringen, ersetzen wir gleichzeitig die Herstellung von neuem Plastik und reduzieren die Abhängigkeit einer Co2 intensiven fossilen Herstellung”, so Mitgründer Christian Sigmund. Gemeinsam sorgen Wildplastic und OTTO dafür, dass wir Systeme und Recycling-Kreisläufe neu denken. *Werbung Ende* 

[Mood: Der WDR Kinderchor singt „Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“ (27.12.2019)] 0:00-0:16

Am 27. Dezember 2019 veröffentlicht der WDR ein Video auf Facebook. Darin zu sehen, der Kinderchor des Senders, der eine umgeschriebene Variante des Kinderlied-Klassikers “Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad”, trällert. Nur anstelle der Originalzeilen singen die Kinder „Meine Oma fährt im SUV beim Arzt vor, sie überfährt dabei zwei Opis im Rollator, meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“. Was eigentlich als Satire gedacht war, löst unerwartet einen mächtigen Shitstorm aus, der nun über den Sender hinweg fegt. Selbst der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet twittert einen Tag darauf: „Die Debatte um den besten Klimaschutz wird von manchen immer mehr zum Generationenkonflikt eskaliert“. Der WDR habe mit dem Lied “Grenzen des Stil und des Respekts gegenüber Älteren überschritten. Jung gegen Alt zu instrumentalisieren” sei nicht akzeptabel, so Laschet. Andere Twitter-Nutzer*innen hingegen nehmen den Kinderchor in Schutz, merken an, dass in einem Satire-Video nicht „Umweltsau“ gesagt werden dürfe, zugleich im Parlament, verwendet dort jemand das N-Wort, ungestraft davon komme. Es entfacht ein sich selbst verstärkendes Twitter-Bashing, in dem einerseits der Boomer-Generation, also jenen, die während des “Baby-Booms” in den 50er und 60er Jahren geboren wurden, vorgeworfen wird, keinen Spaß zu verstehen. Und andererseits wird den jüngeren Generationen Y und Z Undankbarkeit und mangelnder Respekt vor ihren Großeltern zur Kritik gemacht. Es dauert nicht lange, bis der WDR das Video löscht und eine Sondersendung zur Klarstellung ankündigt, in der sich sogar WDR-Intendant Tom Buhrow zu Wort meldet. Das Video sei ein Fehler gewesen, für das er sich “ohne Wenn und Aber” entschuldige, so Buhrow. Mit der Entscheidung das Video zu löschen, habe man lediglich die Reaktionen empörter Senior*innen und Enkelkindern berücksichtigt, die zahlreich beim WDR angerufen hätten.

Das missglückte Satire-Video des Westdeutschen Rundfunks ist nur ein Beispiel für die angespannte Lage, wenn es um die Frage geht, wer eigentlich Schuld ist am Klimawandel. Die älteren Generationen, weil sie, obwohl bereits 1972 der Club of Rome die “Grenzen des Wachstums” prophezeite, nicht handelten und stattdessen weiterhin Treibhausgase in die Atmosphäre pustete, als handle es sich dabei um Seifenblasen oder bunte Luftballons? Oder sind es nicht gerade die Großeltern, die noch wussten, was Maß und Mitte bedeutet, die ganz selbstverständlich ihre Socken stopften, statt sich Neue zu kaufen und nur das auf den Tisch kam, was die Saison hergab? Ganz im Gegensatz zu den jüngst geborenen Generationen, die in einer Welt des Überflusses aufwachsen und kaum noch gewohnt sind, selbst zu kochen, geschweige denn Socken zu stopfen, wenn es weitaus günstiger ist, sich ein neues Paar online zu bestellen. Wie man es auch dreht und wendet, es lassen sich Argumente für die eine, als auch für die andere Seite finden. Zugleich stellt sich die Frage, wie nachhaltig und sinnvoll die Suche nach einem Sündenbock überhaupt ist. Geht es nicht vielmehr darum, gemeinsam Lösungen zu finden? Für eine Welt, die nunmal aus den Fugen geraten ist, deren Kipppunkte schon bald drohen überschritten zu werden – ist da nicht vielmehr sofortiges, generationsübergreifendes Handeln gefragt? Auch die 18-jährige Annika Rittmann, Pressesprecherin von Fridays For Future Hamburg, hält nichts von den ewigen Vorwürfen gegenüber älteren Generationen:  

“Natürlich sehen wir, dass die vergangene Generation verpasst hat zu handeln. Wir wissen seit über 40 Jahren, dass die Klimakrise ein Problem ist und eine Bedrohung und Gefahr für unsere Zukunft. Doch jede Generation hat ihre Kämpfe zu schlagen und auch vergangene Generationen haben bereits für Klima und Umwelt demonstriert. Enttäuscht bin ich jetzt von der Generation der Politiker*innen, die jetzt gerade unsere Zukunft verfeuern und konsequent Klimaschutz blockieren.”

Vielmehr sieht Annika, die bereits mit 16 Jahren begann sich bei FFF zu engagieren, die Chancen in einer generationsübergreifenden Solidarisierung im Kampf gegen den Klimawandel. Immerhin gibt es ja auch die Parents for Future, die sich schon im Februar 2019 aus Eltern, die bereits die Schülerproteste von Fridays For Future unterstützten, zusammenschlossen. Schnell entsteht ein solides Basisteam, das als Reaktion auf angedrohte Sanktionen des nordrhein-westfäischen Schulministeriums beschließt, die jungen Menschen in ihrem Protest aktiv zu stärken. Die 62-jährige Leipzigerin Cordula Weimann, wollte auch nicht länger untätig zuschauen und gründete deshalb die “Omas For Future”, mit der sie “die Generation 50plus mit ins Boot holen” will. Denn die trage, so Weimann im Interview,  “oft unbewusst – besonders stark zur Erderwärmung bei. Mit Überzeugungsarbeit, praktischen Tipps und ‘über die Liebe zu Kindern und Enkeln’ will sie gerade bei Älteren das Bewusstsein fürs Klima schärfen.” Mittlerweile zählt Omas For Future mehr als 40 Regionalgruppen und ist sogar in Ungarn und Österreich vertreten. Das Engagement bleibt auch bei jüngeren Aktivist*innen, wie Annika Rittmann, nicht ungesehen:

“Mir gibt es unglaublich viel Kraft, dass sich die “Parents and Grandparents” gegründet und solidarisiert haben. Dass sich die Entrepreneurs, also Unternehmer*innen, hinter uns stellen, denn das zeigt, dass wir eine Transformation in der gesamten Gesellschaft brauchen und wir alle von der Klimakrise betroffen sind, aber auch, dass wir alle bereit sind dafür zu kämpfen, dass jetzt was passiert und das wir etwas verändern wollen. Und natürlich brauchen wir noch mehr Menschen auf der Straße und müssen noch breiter in die Gesellschaft wachsen, aber wir sehen tagtäglich, wie sich uns mehr Menschen anschließen, wie wir größer werden und wie viel mehr Menschen jetzt konsequentes Handeln fordern.”

Dass sich die jüngeren Generationen, die mit großer Wahrscheinlichkeit viele der sich verstärkenden Auswirkungen des Klimawandels am eigenen Leib erfahren werden, politisieren und auf die Straße gehen, erscheint logisch. Doch wie viel Verantwortung kann und sollte man Kindern und Jugendlichen eigentlich zumuten? Von der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg stammt zwar das Zitat “Man ist nie zu jung, um etwas zu bewegen”. Doch zugleich kritisierte sie in ihrer Rede auf dem Climate Action Summit 2019 in New York: „This is all wrong. I shouldn’t be up here. I should be back in school on the other side of the ocean. Yet you all come to us young people for hope. How dare you! […] You are failing us. But the young people are starting to understand your betrayal. The eyes of all future generations are upon you. And if you choose to fail us, I say: We will never forgive you.” Greta sieht keine andere Wahl, als ihre Jugend dem Kampf gegen den Klimawandel zu widmen, denn Kindern zuzuhören und sich von ihnen belehren zu lassen, das sind Politiker*innen nicht gewohnt. So kommentierte FDP-Vorsitzende Christian Lindner im März 2019 in der BILD am Sonntag: “Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen.“ Das sei vielmehr „eine Sache für Profis“, so Lindner. Aber was, wenn die ihren Job nicht machen oder ihm zumindest nicht gerecht werden? Dann reicht man eben eine Klage ein, wie es mehrere Aktivist*innen 2020 gemeinsam mit Umweltverbänden taten. Sie reichten eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, mit der Forderung, das Klimaschutzgesetz nachzuschärfen. Und siehe da, Karlsruhe gab erst kürzlich, am 29. April diesen Jahres, den Aktivist*innen Recht und verpflichtet damit die Bundesregierung zu Nachbesserungen beim Klimaschutz. Insbesondere mit Artikel 20a des Grundgesetzes, das den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch in Verantwortung für künftige Generationen vorschreibt, sei das bisherige Klimaschutzgesetz nicht vereinbar, da es die Gefahren des Klimawandels zulasten der Folgegenerationen verschiebe, so die Richter. 

Viele der jungen Aktivist*innen wurden besonders durch die sich verschärfende Klimakrise politisiert. So war es auch bei Annika Rittmann: “[…] Politisiert habe ich mich durch FFF. Ich war schon vorher politisch interessiert, habe mich belesen, war auf Veranstaltungen, aber wirklich aktiv geworden, demonstriert und mit Menschen geredet, dass ist durch FFF passiert und es gab nicht diesen einen Moment, sondern ich war ganz lange in dem Glauben, dass die Umweltverbände und die Politik schon unser Klima und unsere Zukunft retten wird und dann waren da diese jungen Menschen auf der Straße. Das hat mich unglaublich mitgenommen und bewegt. […] und dann konnte ich eigentlich gar nicht mehr anders, als selbst bei FFF aktiv zu werden. […] Als ich mich als Pressesprecherin von Hamburg beworben habe und gewählt wurde, da war ich zwar erst 16, aber schon ein halbes Jahr bei FFF aktiv. Und ich habe gesehen, was wir junge Menschen bewegen können und wie gebraucht wir sind für unsere Zukunft einzustehen und zu kämpfen. Dementsprechend fiel es mir nicht wirklich schwer Verantwortung zu übernehmen.” 

Selbstwirksamkeit und die Hoffnung, etwas bewegen zu können, gepaart mit der Einsicht, dass einem diese Aufgabe vermutlich niemand abnehmen wird – so ähnlich ging es auch der heute 73-jährigen Wienerin Monika Salzer, Mitgründerin der Sozialinitiative “Omas gegen Rechts”, die sich für den Erhalt einer demokratischen, freien Gesellschaft stark macht – stets gut erkennbar an ihren bunten Strickmützen als Zeichen des gewaltlosen Widerstands und der Solidarität. In dem Grundsatz der Omas gegen Rechts heißt es: “Die ältere Frau als öffentliche politische Kraft ist nicht in unserem kollektiven Bewusstsein gespeichert. Deshalb müssen Frauen öffentlich auftreten, nicht als Einzelperson und Ausnahme, nicht als Star, sondern als Gruppe, die auffällt. Heraustreten aus der eigenen “small world” und eine gemeinsame starke Stimme für die Zukunft aller Kinder und Enkelkinder bilden ist die Herausforderung der Stunde. Denn vielleicht werden sie uns eines Tages fragen: Was habt ihr getan?”

Bis Monika Salzer in Pension ging, arbeitet sie als evangelische Pfarrerin und Psychotherapeutin. Mit der Gründung von “Omas gegen Rechts”, zunächst als Plattform auf Facebook, wollte sie vor allem ein Zeichen setzen und Menschen jeden Alters ermutigen, auf die Straße zu gehen und die Stimme zu erheben:

“Ich habe im November 2017 die ‘Omas gegen Rechts’ gegründet, weil eine neue, schwarz-blaue Regierung im Anmarsch war und ich der Meinung war, dass es unerträglich ist, nochmal eine derartige rechts-konservative Regierung an der Macht zu sehen. […] Ja, ich war in Pension und viele Omas sind in Pension oder Rente und haben den Tag über manchmal auch viel zu tun, weil sie Enkelkinder haben. Aber wir haben trotz allem Zeit, vielmehr Zeit als berufstätige, junge Frauen und vielmehr als Schülerinnen und Studentinnen. Wir sind die Generation, die Zeit hat und unser politisches Bewusstsein ist eben in den 68er Jahren gewachsen und gebildet worden und deshalb war uns klar, dass wir auch im Alter aktiv sein können und auch eine politische Stimme haben. Einer der ersten Slogans, die ich erfunden habe war ‘Altern heißt nicht stumm sein’.”

Mittlerweile versammeln sich die “Omas gegen Rechts” nicht nur auf Österreichs Straßen, sondern sind auch mit über 70 Ortsgruppen in Deutschland aktiv. ​​Selbst die BBC berichtete über die mutigen “Grannies Against the Right”, die nicht selten Angriffe von Rechten in Kauf nehmen müssen. Monika Salzer allerdings, lässt sich davon keineswegs entmutigen. Sie war schon immer politisch aktiv, ist im Widerstand seitdem sie denken kann, wie sie selbst sagt:

“Ich glaube alle Menschen, die 1948 geboren sind, hatten ein sogenanntes politisches Elternhaus. Der zweite Weltkrieg war zwei Jahre zuvor zu Ende und die Nachwehen hat man eine ganze Generation danach extrem gespürt. Es waren die Geschichten vom Krieg, die Traumatisierung der Eltern und Großeltern – wir haben Geschichten vom Krieg gehört, aber auch, wie sie den Krieg gemeistert haben. Meine Eltern haben vor allem voraus geblickt in die Zukunft, es war alles von einem Aufschwung geprägt. Im Grund mit einem positiven Gefühl, weil die Belastung so schrecklich war, dass jetzt die neue Zeit angebrochen ist. Aufsässig war ich nicht, aber im “Betragen” hatte ich immer ein Gut – das heißt ich war offensichtlich immer sehr lustig und Tratsch freudig in der Schule. Ich war die 68er Generation, das heißt 48 geboren, war ich 68 zwanzig Jahre alt und habe in meiner Jugend, mit meinem 15. Lebensjahr, die ganzen Musikumbrüche erfahren: die Beatles, die Rolling Stones. Die Demonstrationen, wie ich dann studiert habe – das war eine tolle Zeit und eine widerständige Zeit.”

Wie die junge FFF Aktivistin Annika Rittmann sagt, “jede Generation hat ihre Kämpfe zu schlagen”, und die Errungenschaften früherer Generationen zu ignorieren, nicht auf ihre Erfahrungen zurückzugreifen, wäre nicht nur ignorant, sondern auch strategisch fatal. Jede soziale Bewegung hat ihre Historie: ob die Frauenrechtsbewegung, die bereits zur Zeit der Französischen Revolution ihren Ursprung fand, und wohl kaum ohne die queere Bewegung, insbesondere in den USA, so viel Fahrt aufgenommen hätte. Ebenso, wie die Umweltbewegung, deren erste Vorläufer sich bereits in der Epoche der Romantik fanden, die in den 70er Jahren, auch angetrieben von der Anti-Atomkraft Bewegung, immer mehr Zulauf bekam, und in deren Fußstapfen heute Aktivist*inne wie Fridays For Future treten. So, wie jede soziale Bewegung nicht ohne ihre Geschichte, die kleinen und großen Schritte ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger denkbar ist, sind es die Solidarisierungen zwischen Initiativen, die kaum zu unterschätzen sind. Auch ein Grund, weshalb die “Omas gegen Rechts” immer wieder gemeinsam mit den Schüler*innen von Fridays For Future auf die Straße gehen. Bei einigen sind es die eigenen Enkelkinder, die sie dazu ermutigt haben. Denn immerhin ist es ihre Zukunft, die auf dem Spiel steht und viele von ihnen können, im Vergleich zu der großen Anzahl älterer Generationen, noch nicht selbst ihre Stimme bei der Wahl abgeben. Aus diesem Grund hat sich auch eine Initiative gegründet, die unter dem Hashtag #WirStimmenZusammen Enkel ermutigt, mit ihren Großeltern über das Klima und die anstehende Bundestagswahl in den Dialog zu treten. Nach dem Motto: “Bitte, wählt für meine Zukunft!” Auf der Website der Initiative finden sich zudem Ideen, wie Jung und Alt ins Gespräch kommen können: auf einem gemeinsamen “Klima-Spaziergang” zum Beispiel oder beim “klimafreundlichen Kochen und Backen”. Und ganz unabhängig von der Bundestagswahl oder der Klimakrise, scheint es doch keine schlechte Idee zu sein, mehr Zeit miteinander zu verbringen, über Alters- und Generationsgrenzen hinweg. Dieser Meinung ist auch Monika Salzer, die vor allem ihre eigenen Altersgenoss*innen dazu ermutigen will, sich mit den jungen Menschen zu solidarisieren:

“Natürlich ist man für Protest nie zu alt – es gibt kein Alter für Protest und ich glaube, dass Menschen, die ihr Leben gelebt haben, über sehr viel Erfahrung zurückblicken können und mutig sein können – mutiger als junge Menschen, die noch ein Berufsleben vor sich haben, die sich binden müssen, die Risiken eingehen müssen, die nicht einfach in der Zeitung ein Interview machen können, wo sie sagen, was sie sich denken. Wir können sagen was wir uns denken. Aktivismus kennt kein Alter – ganz im Gegenteil. Ich würde die ältere Generation auffordern auf die Straße zu gehen und sich zu Wort zu melden – denn wir haben nichts zu verlieren. Und wir sind verantwortlich für die kommenden Generationen. Wir sind Großeltern, haben erfahren, dass die Erlebnisse unserer Großeltern und unserer Eltern – jetzt haben wir Kinder und Enkelkinder – das heißt wir blicken fünf Generationen zurück und nach vorn und wir sind wissende Frauen im Fall der Omas und politisch erfahren und haben die Solidarität der Generationen. Selbstverständlich auch als junge Menschen, aber jetzt als ältere Menschen ist uns das ein ganz großes Anliegen. Die Solidarität der Generationen ist uns deshalb ein ganz großes Anliegen.” 

Vielen Dank fürs Zuhören. Wie ihr wisst, ist es unser Bestreben, möglichst unabhängig und werbefrei produzieren zu können. Das müssen wir uns allerdings auch leisten können. Daher, wenn ihr Sinneswandel gerne hört, freuen wir uns, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle Infos zur Episode, Quellen und weiterführendes Material findet ihr, wie immer in den Shownotes. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast! 

17. August 2021

Emilia Roig & Mohamed Amjahid: Wie lässt sich Rassismus verlernen?

von Henrietta Clasen 13. Mai 2021

“Was ich nicht sehe – existiert nicht.” Mit dieser verkürzten Sichtweise, wie Scheuklappen vor den Augen, laufen nicht wenige Menschen durch die Welt. In einer sicheren, weißen Blase, ausgepolstert mit Privilegien, die das Leben komfortabel machen, haben sie sich eingenistet. Mohamed Amjahid, nennt sie “Parallelgesellschaften” – Räume, die sozial segregiert sind, in denen sich Communities bilden. An und für sich erstmal nichts Schlimmes. Problematisch wird es erst dann, wenn diese Blasen dafür sorgen, dass Menschen sich und ihr Handeln nicht mehr in Frage stellen. Um eben diesen Perspektivwechsel und die Dekonstruktion dessen, was viele Weiße für die „Normalität“ halten, geht es Emilia Roig in ihrem Buch „Why We Matter“. Gemeinsam mit Mohamed Amjahid, dem Autor von “Der Weiße Fleck” habe ich mich unter anderem darüber unterhalten, wie sich eine antirassistische Haltung erlernen lässt, was es mit dem Begriff der “Intersektionalität” auf sich hat und, wie privilegierte Menschen, zum Ally werden können.

Shownotes:

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► Emilia Roig: Why We Matter: Das Ende der Unterdrückung, Aufbau Verlag.
► Mohamed Amjahid: Der Weiße Fleck: Eine Anleitung zu antirassistischem Denken, Piper Verlag.
► Emilia auf Twitter und Instagram.
► Mohamed auf Twitter und Instagram.

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13. Mai 2021

Şeyda Kurt: Was macht (die) Liebe politisch?

von Henrietta Clasen 6. Mai 2021

“Viel zu selten sprechen wir darüber, wie unser Miteinander anders sein könnte”, schreibt  Şeyda Kurt in ihrem Buch “Radikale Zärtlichkeit: Warum Liebe politisch ist.” Liebe geschieht nicht im luftleeren Raum, sonder ist eingebunden in ein komplexes Geflecht aus Macht und Ansprüchen und wird seit jeher im Kapitalismus absichtlich als Mythos konstruiert. Indem wir jedoch erkennen, dass Liebe eine höchst politische Angelegenheit ist, erklären wir sie zugleich als veränderbar, als von uns gestaltbar. Wie ein neue Narrativ der Liebe, jenseits patriarchaler, rassistischer und kapitalistischer Tradierungen aussehen könnte, darüber hat sich Marilena Berends ausführlich mit Autorin und Journalistin Şeyda Kurt unterhalten.

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► Şeyda Kurt: Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist. Erschienen bei Harper Collins (04/21).
► Mehr von und über Şeyda Kurt auf ihrer Website .
► Şeyda auf Twitter und Instagram.

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6. Mai 2021

Hengameh Yaghoobifarah: Sollten wir wütender sein?

von Henrietta Clasen 28. April 2021

Ein Mensch, der seine Wut nicht auf sich sitzen lässt, sondern ihr Raum gibt, ist Hengameh Yaghoobifarah. Als “Reizfigur” bezeichnete die sz Hengameh kürzlich. Weil angeblich kaum ein* Autor*in im vergangenen Jahr so viel Solidarität und Empörung zugleich auf sich zog. Aber, warum ist das so? Weil Hengameh queer, nicht-binär, migrantisch oder Feminist*in ist? Wir leben noch immer in einer Gesellschaft, in der gewisse Eigenschaften als “normal”, andere als “abnormal” gelten. Nicht selten geht diese Kategorisierung, meist von weißen, cis-Personen vorgenommen, mit Stigmatisierung oder gar blankem Hass einher, der jenen entgegengebracht wird, die von der sogenannten “Norm” abweichen. Kann man angesichts dieser Umstände überhaupt von einer freien Gesellschaft sprechen? Ist diese nicht erst dann erreicht, wenn Menschen sich, ohne Angst vor Diskriminierung haben zu müssen, zu ihrer Identität bekennen können? Über diese und weitere Fragen, hat sich Marilena Berends ausführlich mit Hengameh Yaghoobifarah unterhalten.

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►Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume, Aufbau Verlag (2021).
► Podcast Auf eine Tüte mit Hengameh Yaghoobifarah. 
► Hengameh auf Instagram und Twitter.
►Hengameh’s taz Kolumne Habibitus
► SZ-Magazin: “Reizfigur: Hengameh Yaghoobifarah im Porträt”.

Ein besonderer Dank gilt den Fördermitgliedern, die Sinneswandel als Pionier:innen mit 10€ im Monat unterstützen: Anja Schilling, Christian Danner, Bastian Groß, Pascale Röllin, Sebastian Brumm, Wolfgang Brucker, Petra Berends, Holger Bunz, Dirk Kleinschmidt, Eckart Hirschhausen, Isabelle Wetzel, Annette Hündling, Torsten Sewing, Hartmuth Barché, Dieter Herzmann, Hans Niedermaier, Constanze Priebe-Richter, Birgit Schwitalla, Heinrich Ewe, Julia Freiberg, Dana Backasch, Peter Hartmann, Martin Schupp, Juliane Willing, Andreas Tenhagen, eeden Hamburg Co-creation Space for visionary women*, David Hopp, Jessica Fischer (Universität Paderborn), Ioannis Giagkos, Matthias Niggehoff, Nina Lyne Gangl, Johanna Bernkopf , Holger Berends, Sebastian Hofmann und Elvira-Eisen Walser.

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28. April 2021

Joséphine Sagna: Kann Kunst (uns) befreien?

von Henrietta Clasen 5. April 2021

Joséphine Sagna setzt sich in ihrem künstlerischen Schaffen mit der Identitätsfrage einer Schwarzen Frau in einer weißen Mehrheitsgesellschaft auseinander. Mit Vorurteilen und Rassismus, Fremd- und Eigenwahrnehmung, Intimität und Selbstinszenierung der Dargestellten. In den Mittelpunkt stellt sie den weiblichen Körper, selbstbewusste, starke BIPoC-Frauen, die sich dem westlichen Schönheitsideal entgegenstellen. Joséphine Sagna möchte die Essenz der Figuren darstellen, ihre laute, leise, weiche, starke und freie Art in einem vielschichtigen und fragmentarischen Bild einfangen — Schicht für Schicht, vielfarbig und mit unterschiedlichen Facetten. 

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► Website Joséphine Sagna.
► Joséphine Sagna auf Instagram.
► Doku My Body – My Art. Frauen. Körper. Kunst. auf 3sat u.a. mit Joséphine Sagna.

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5. April 2021

Wandernde Identitäten: Heimat als Raum für Begegnung?

von Henrietta Clasen 2. März 2021

Wenn wir “Heimat” als Chiffre eines Ortes betrachten, der einem vertraut ist, an dem man zuhause und nicht fremd ist, dann ergibt sich daraus eine toxische Mischung. Denn, wie kann ein Mensch an einem Ort nicht fremd sein, an dem er als fremd stilisiert wird? Migration und Identität sind eng miteinander verwoben – an einem Ort fremd und damit gleichzeitig „in der Fremde“ zu sein, zerstört die Selbstverständlichkeit, die Identität eigentlich ausmacht. In Anlehnung an Bloch, der einst schrieb, Heimat sei kein Raum, sondern Perspektive, plädiert Kulturwissenschaftlerin Isabell Leverenz inihrem Gastbeitrag für einen Perspektivwechsel – zu mehr Pluralität in unserer Gesellschaft und die Auflösung statischer und ausgrenzender Begriffspraktiken.

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► “Wandernde Identitäten” Philip Cohen, Reclam
► “Foreigners, please don’t leave us alone with the Danes!”, Superflex
► “Reframing Migration, Diversity and the Arts: The Postmigrant Condition” Moritz Schramm, Sten Pultz Moslund und Anne Ring Petersen, Routledge
► „Vertrauter Fremder“: Autobiografie von Stuart Hall, WDR 5
► “Dossier Migration”, bpb
► “Stuart Hall und der Rassismus. Keine Identität ist garantiert”, FAZ
► “Stuart Hall: ‘Vertrauter Fremder’ Ein Leben zwischen allen Stühlen”, Deutschlandfunk Kultur
► “Ambivalente Identitäten”. Etienne Balibar und Immanuel Wallerstein.
► “Ich bin die Flüchtlinge” Vida Gouma, Der Tagesspiegel
► “Die Geschichten einer Familie – Heimaten in Zeiten von Wandel, Umbrüchen und Migration”. Kübra Gümüşay

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Transkript: Wandernde Identitäten – Heimat als Raum für neue Begegnung?

Vor fast zwei Jahrzehnten, im Jahr 2002, entwickelte das dänische Künstlerkollektiv Superflex eine interventionistische Kampagne als Antwort auf Dänemarks zunehmend reaktionäre Einwanderungspolitik. Auf orangefarbenen, in den Straßen Kopenhagens aushängenden Plakaten, hieß es in schwarzen Großbuchstaben „Foreigners, please don’t leave us alone with the Danes!“ – also „Ausländer:innen, lasst uns nicht mit den Dänen allein!“. Was auf den ersten Blick als bloße Parodie auf politische Plakate mit rassistischen Slogans erscheinen mag, legt auf den zweiten Blick ein komplexes Gefüge frei: „Foreigners, please don’t leave us alone with the Danes!“ Also ein Dreigespann aus dem „Innen“, dem „Außen“ und dem „Dazwischen“. Denn obwohl Superflex mit der direkten Ansprache der sogenannten „Ausländer:innen“ ihren sozialen Stellenwert hervorhebt und damit die populistische Logik umkehrt, wird die binäre Logik zwischen „den Dänen“ und der Kategorie „Ausländer:innen“ reproduziert. Eine Dialektik zwischen den Sesshaften und den Wandernden. Also zweier homogener, identitärer Einheiten, die unvereinbar scheinen. Dazwischen existiert das „Wir“, das die Erklärung auf dem Plakat abgibt; also offenbar gleichzeitig Insider und Outsider der dänischen Gesellschaft ist, und damit eine ambivalente kollektive Position einnimmt. Geöffnet wird mit dieser Konstellation eine Art durchlässiger Zwischenraum, der die Position vieler Menschen mit (oder ohne) Migrationsgeschichte zwischen Staatsbürgerschaft und dem Status oder der Kennzeichnung als Ausländer:innen zu beschreiben vermag. 

Die Botschaft des Slogans, der vor fast 20 Jahren in Kopenhagens Straßen prangte, hat, so meine ich, ihre Aktualität keinesfalls verloren. Und sie beschränkt sich nicht nur auf eine Nation, sondern hat vielmehr transnationalen Gehalt. Sie greift in Dänemark, in Frankreich, in Großbritannien, in Deutschland. Sie greift in jeder postmigrantischen Gesellschaft; also in jeder Gesellschaft, die durch Migration geprägt ist. Es lohnt sich demnach ein genauerer Blick in den genannten „Zwischenraum“. Mit dieser Metapher meine ich keinesfalls einen statischen Raum im Sinne eines „Gefangenseins“ zwischen zwei Kulturen – also zwischen eigener Kultur und jener der Aufnahmegesellschaft, als geschlossene und unveränderbare Systeme – sondern vielmehr einen synthesefähigen Raum. Ist es in diesem Fall überhaupt sinnvoll, von einem „Dazwischen“ zu sprechen? Oder anders gefragt: Wie sind Identität und Migration zusammenzudenken?

Hinter der Kampagne von Superflex lässt sich aus der Perspektive des „Wir“ – also derjenigen, die nicht mit der Aufnahmegesellschaft allein gelassen werden möchten –  eine Solidaritätserklärung gegenüber Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte vermuten. Eine Geste der Inklusion. Das komplexe Gefüge des Slogans formuliert den Wunsch, „Ausländer:innen, bitte bleibt!“, misst ihnen also eine partizipative Rolle zu und kehrt damit zwei prominente rechtspopulistische Formeln um, nämlich „Ausländer raus!“ oder auch „Ausländer nach Hause!“. Was aber ist mit diesem „Zuhause“ gemeint? Der Soziologe Philip Cohen beschreibt die Komplexität und die Unschärfe des Begriffes “Heimat”: Das zu Hause des Engländers, so sagt er, „ist sein Schloss, das Land des Franzosen ist sein Dorf oder seine Region, die Heimat des Deutschen ist der Boden und die Seele der Nation, das Bantustan des Afrikaners ist das Gefängnis der Apartheid“. Heimat ist also nicht gleich Heimat; es ist kein universaler Begriff. Die sogenannten “Heimatländer”, in die die Menschen zurückkehren sollen, sind ihnen zumeist durch innere Entwicklungen oder äußere Einwirkungen fremd gemacht worden. Sie sahen sich gezwungen sich eine Heimat fern der Heimat zu schaffen, sind also  in vielfältigen Geschichten zu Hause. 

„Ich bin zu Hause, aber ich bin nicht zu Hause“, sagte einst der britische, aus Jamaika stammende Soziologe Stuart Hall. Damit legt er nicht nur einen prägenden Zwiespalt (s)einer migrantischen Biographie frei, sondern stellt eine enge Verbindung zwischen Identität und dem Gefühl kollektiver Zugehörigkeit oder eben Nicht-Zugehörigkeit heraus. Eine Erfahrung, die Hall wohl mit Millionen von Menschen teilt, die in der Epoche der Entkolonialisierung aus den ehemaligen Kolonien in ihr altes, sogenanntes “Mutterland” migrierten, als Gastarbeiter:innen nach Deutschland kamen oder im Zuge der globalen Fluchtmigration ihre einstige Heimat verlassen mussten. Migration prägt unsere Gesellschaften. Als Prozess hat sie sich zu einem selbstverständlichen Zeichen unserer globalisierten Gegenwart manifestiert. Leider bedeutet das nicht, dass sie gemeinhin gesellschaftlich akzeptiert ist, wie sich etwa am Entstehen und Erstarken rassistischer Organisationen und Parteien wie der AfD oder der Identitären Bewegung in den letzten Jahren sehen lässt.   

Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert den Begriff “Migration” im weitesten Sinne als einen Wanderungsprozess von Personengruppen im geographischen Raum, als eine langfristige Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes. Verbunden mit dem Begriff der Identität bedeutet Migration folglich: Identitäten in Bewegung. Identitäten, die wandern. Wenn wir uns dieser Begriffsübersetzung aus semantischer Perspektive nähern, gibt sie Aufschluss über ihren Doppelsinn: Denn, wenn Identitäten wandern, sind sie nicht statisch, nicht rein auf ihren ethnischen Ursprung, ihre Wurzeln, reduzierbar. Und Migration meint in diesem Sinne mehr, als einen rein geographischen Wanderungsprozess; der Begriff trägt gleichzeitig einen Neuaustausch und eine Neupositionierung in der Welt mit sich. Räumlich, wie emotional. Identität ist demnach keine feste Gegebenheit. Stuart Hall beschreibt sie als eine „stets unbeendete Unterhaltung“ – „Identität im Singular, wird niemals abschließend erlangt. Identitäten, im Plural, sind die Mittel des Werdens.“ Hiermit unterstreicht er die Prozesshaftigkeit des Identitätsbegriffes. Es wird also problematisch, wenn Identität mit rein essentialistischen Begriffen beschrieben wird, also als feststehend und unveränderlich gilt. Diese Argumentation ist zum Beispiel im Neorassismus prominent: Demnach werden Menschen oder Bevölkerungsgruppen, ihre Lebens- und Verhaltensweisen, ihre Traditionen und religiösen Praktiken unabänderlich durch ihren Ursprung, also ihre “Wurzeln”, bestimmt. Identität wird damit als ein permanentes zuhause, eine unveränderbare Existenzweise in der Welt, aufgefasst. Genau dieser Aspekt macht es so einfach, Migration im Kontrast hierzu als unaufhörlichen Zustand der Heimatlosigkeit zu begreifen. Und gleichzeitig wird Menschen in diesem Kontext ihre Individualität abgesprochen; sie werden gemeinhin als “Fremde”, als die “Anderen” homogenisiert. 2019 veröffentlichte der Tagesspiegel ein Rätsel, in dem es heißt: “Versuchen Sie zu erraten, wer ich bin! Ich bin mehr in den Medien als Donald Trump und seine Tweets, Erdogan und seine Demokratie, Putin und seine Politik. Ich war der Hauptgrund für […] die Erstarkung der Rechten in Europa. Ich bin die große Sorge vieler Bürger in diesem Land, denn ich bin gefährlicher als Altersarmut, […] Klimawandel, Mangel an Pflegekräften und Erzieher. Ich bin derjenige, der sich immer schuldig fühlt für die Fehler anderer Menschen. Menschen, die er gar nicht kennt. Ich bin derjenige, der sich immer schämt, Nachbarn zu begrüßen, wenn wieder irgendwo etwas passiert. Ich hafte für die Fehler jedes einzelnen und fühle mich bedroht von jedem Bericht in den Medien. Habt ihr mich erkannt? Ich bin ‘die Flüchtlinge’!” Verfasst wurde der Beitrag von der aus Syrien geflohenen Juristin Vinda Gouma. “Der Migrant” wird gesellschaftlich als anarchische Figur konstruiert, der die gesellschaftliche Ordnung aus den Fugen bringt. Die Wandernden gegen die Sesshaften. 

Der postkoloniale Theoretiker Homi Bhabha antwortet auf die Frage danach, was geschieht, wenn Kulturen in Kontakt treten, mit der Idee eines migratorischen „Dritten Raums“. Es ist ein metaphorischer Zwischenraum, in dem sich Kulturen nicht nur treffen, sondern gleichzeitig miteinander in Berührung kommen. Sie geraten ineinander, statt aneinander und beeinflussen sich gegenseitig. Ein Raum also, in dem die Geschichten, aus denen er besteht, verdrängt und neue Strukturen aufgebaut werden. Er bricht die homogenisierende, vereinheitlichende Kraft der historischen Identität der Kultur(en) auf. Migration bringt demnach einen symbolischen Prozess der Auflösung mit sich, in dem sich Gemeinschaften und Kulturen durch die Imagination ihrer Mitglieder erneuern; also einen identitären und ideellen Wandel im Laufe der Zeit, im Laufe der Generationen. Identität in diesem Sinne, ist also mehr als die Summe ihrer Teile; sie ist mehr als ein Gemenge gegebener Elemente, ihrer Nationalitäten, die sich einfach addieren oder multiplizieren lassen. Philip Cohen beschreibt Identität in diesem Zusammenhang sehr treffend als die bewegliche Linienführung einer Geschichte, die sich zwar als zusammenhängende Erzählstruktur entfaltet, trotzdem aber offen bleibt für wiederkehrende Neuverhandlungen, die das Ergebnis innerer Konflikte und sozialer Widersprüche sind und fortlaufend bearbeitet werden müssen. Geprägt durch seine eigene Einwanderungsgeschichte, seine “wandernde Identität”, sieht auch Stuart Hall Gesellschaften und Kulturen nicht durch Wurzeln, sondern vielmehr durch Wege bestimmt. Das, was sich derzeit noch sehr stark auf Herkunft oder die „Wurzeln“ konzentriert, vernachlässigt, dass Menschen ebenso aus vielen Imaginationen bestehen; von dem, was noch nicht ist, was noch sein könnte. Anstelle der Frage nach der Herkunft – der “Wurzeln” – der Menschen, sollte nach den Wegen gefragt werden, die sie zu dem gemacht haben, wer sie sind. Und mehr noch – auch Gesellschaften sind durch Wege gezeichnet. Sie haben sie zu dem gemacht, was sie heute ist. Die Journalistin und Autorin Kübra Gümüsay unterstrich im Rahmen eines Vortrags den Stellenwert von Pluralität und pluralem Denken: Wenn wir demnach Pluralität in der Gesellschaft kommunizieren möchten, wenn sie einen selbstverständlichen Platz, oder vielmehr “Raum” in ihr einnehmen soll, dann darf sich diese plurale Hoffnung nicht nur auf die Zukunft beziehen; ein pluraler Blick in die Vergangenheit ist ebenso wichtig: Auf die vielen Menschen, die unsere Gesellschaft mitentwickelt, mitgestaltet haben. Ihre Geschichte ist Teil dessen. Auch Deutschland ist seit Jahrhunderten durch Einwanderung geprägt. Migration und Bewegung sind seit Jeher Teil unserer Erde. Sie ist durch „wandernde Identitäten“ geprägt.

2. März 2021

JJ Bola: Was bedeutet Mannsein heute? (EN)

von Ricarda Manth 3. Dezember 2020

JJ Bola zufolge, befindet sich das Bild „des Mannes“ nach wie vor in einer Krise – vielleicht sogar mehr denn je. In Zeiten von Trump, #MeToo und den Incels, scheint Männlichkeit kein positiver Begriff mehr zu sein. Darum sucht der im Kongo geborene Autor und Aktivist nach Auswegen aus dieser Krise. In seinem Buch “Mask off – Masculinity redefined” versucht er aufzuzeigen, wie vielfältig und fluide Maskulinität sein kann. Dabei hebt er immer wieder hervor, dass obgleich Männer in einem patriarchalen System in vielerlei Hinsicht privilegiert sind, dennoch massiv unter selbigem leiden. Weil auch sie in Rollenbilder sozialisiert werden, die es ihnen nicht immer erlauben, die Art Mann/Mensch zu sein, der sie sein wollen. Feminismus ist also bei weitem keine reine “Frauenangelegenheit”, so JJ Bola. Denn auch Männer würden von dem Durchbrechen patriarchaler Strukturen profitieren. Wie ein Weg in eine gleichberechtigte Gesellschaft, sich frei entfaltender Individuen aussehen kann, darüber hat Marilena Berends sich mit dem in London lebenden Autor JJ Bola ausführlich unterhalten.

Shownotes:
► Sei kein Mann von JJ Bola, erschienen 08/2020 bei Hanser Literaturverlage.
► Leseempfehlung: Judith Butler: Gender Trouble.
► Pro_feministischer Blog, der sich insbesondere mit Kritischer Männlichkeit befasst.
► Hilfetelefon für von Gewalt betroffenen Männern sowie Angehörigen.

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3. Dezember 2020

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