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Gefühle

Laut gedacht: Unterschätzen wir die Freundschaft?

von Marilena 12. April 2022

“Die Freundschaft gehört zum Notwendigsten in unserem Leben. Denn ohne Freunde möchte niemand leben, auch wenn er die übrigen Güter alle zusammen besäße.”, schreibt Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik. Für den Philosoph ist sie die „Urzelle des Politischen“, weil sie überhaupt erst Zusammenleben schafft. Aber was macht gute Freundschaft eigentlich aus? Was unterscheidet sie von romantischen Beziehungen? Und wie verändert sich unser Verständnis von Freundschaft in Zeiten von Social Media und Co.? Um dem Wesen der Freundschaft auf die Spur zu kommen, hat sich Marilena zwei bereits bekannte Gäste in den Podcast eingeladen: Die Journalistin Luisa Thomé und den Autor Fikri Anıl Altıntaş.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

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► Luisa Thomé schreibt hier und ist auf Twitter und Instagram.
►Fikri Anıl Altıntaş ist auch auf Instagram und hat einen eigenen Newsletter.
► Aristoteles: “Nikomachischen Ethik” Kapitel VIII: Freundschaft.
► Jacques Derrida: “Politik der Freundschaft”. Suhrkamp (2002).
► Mareike Nieberding: “Warum man auch zu Freunden »Ich liebe dich« sagen sollte” im SZ Magazin (2018).
► Şeyda Kurt: “Radikale Zärtlichkeit – Warum Liebe politisch ist”. Harper Collins (2021).
► Sinneswandel Podcast: “Şeyda Kurt: Was macht (die) Liebe politisch?”
► bell hooks: “All About Love: New Visions” (1999).
► Robin Dunbar: “Friends – Understanding The Power Of Our Most Important Relationships”. Little Brown (2021).

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► sinneswandel.art

12. April 2022

Je digitaler die Welt, desto analoger die Träume?

von Marilena 15. März 2022

Florian Kaps, der von allen nur Doc genannt wird, liebt das scheinbar Unmögliche. Deshalb hat er 2008 nicht nur sein gesamtes Vermögen riskiert und damit die letzte Polaroid-Fabrik vor dem Aussterben gerettet, sondern auch das „Supersense“ eröffnet. Eine Manufaktur, die analoge Technologien vor dem Verschwinden bewahrt. Denn Doc ist fest davon überzeugt, dass Analoges auch in einer digitalen Gesellschaft seinen Nutzen hat – vielleicht sogar mehr denn je. Wieso und, was es mit der Sehnsucht nach dem vermeintlich “Echten” auf sich hat, darüber hat sich Marilena in Wien mit Florian Kaps unterhalten.

Shownotes:

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► Supersense: Home of Analog Delicacies / Wien.
► “An Impossible Project” – Ein Dokumentarfilm von Jens Meurer (2022).
► Hartmut Rosa: Resonanz. Suhrkamp (2016).

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15. März 2022

kæte mayor: (W/H)ANDELN

von Henrietta Clasen 14. Dezember 2021

Ich habe lange überlegt, mit welchen Worten ich Sinneswandel in diesem Jahr verabschieden möchte. Am Ende sind es nicht mal meine Eigenen geworden – aber irgendwie auch doch. Denn gibt es etwas Schöneres, als sich in den Gedanken eines anderen wiederzufinden? In ihrem Gedicht bewegt sie sich kæte mayor von “friedlicher Zerrissenheit”, Umkehrschlüssen, Wagnissen auf der Reise durchs “kosmische Chaos”, das sich Leben nennt. Ein stetiges “(W/H)ANDELN”.

Shownotes:

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► Mehr von kæte mayor gibt es auf ihrem Instagram Kanal.
► Juliane Liebert: lieder an das große nichts. gedichte. Suhrkamp (03/21).

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Transkript: kæte mayor: (W/H)ANDELN – Von Abschieden, Neuanfängen und stetem Wandel

Wie beendet man ein Jahr wie dieses? Wie endet man überhaupt ein Jahr? Abschied, Neuanfang. Loslassen, einlassen. Wieso eigentlich ausgerechnet am Jahresende? Nachdem 12 Monate, 52 Wochen, 365 Tage und 8.760 Stunden verstrichen sind – ist es jetzt soweit? Wofür eigentlich? Für Neujahrsvorsätze, die gebrochen werden wollen? Nach einem Jahr, das ohnehin wenig von dem halten konnte, was es versprochen hat, dafür aber mit anderen Überraschungen um die Ecke kam? Welche, die ich nicht haben wollte, aber auch solche, von denen ich noch nicht wusste, dass ich sie nicht mehr werde missen wollen. Vieles ist anders gekommen, als geplant. Weil das Leben – Obacht, es wird pathetisch – nicht planbar ist. Zumindest nicht in den Zeiten, die von Leben geprägt sind. Vom Stolpern, Fallen(-)Lassen, Aufrappeln, Taumeln, noch schlaftrunken, manchmal übermütig – oft wankelmütig, zeitweise berauschend. Leben – etwas, für das es keine Anleitung, kein Richtig und Falsch gibt. Nur ein Versuchen. Sich darauf einlassen, loslassen. Von Vorstellungen, wie es auszusehen hat. Wie es geht, wohin es führt. Vertrauen trotz Verschwommenheit. Aller Ambivalenzen zum Trotz – im Innen wie im Außen. Oder wie Juliane Liebert schreibt: “wir brauchen strohfeuer, leuchtbotschaften, die einsamen, die lauten, die leichten dinge: herzrasen, wasserstoffbomben, popcorn”.

Ich habe lange überlegt, mit welchen Worten ich Sinneswandel in diesem Jahr verabschieden möchte. Am Ende sind es nicht mal meine Eigenen geworden – aber irgendwie auch doch. Denn gibt es etwas Schöneres, als sich in den Gedanken eines anderen wiederzufinden? Wenn die Resonanz von Worten zu einer Vibration der eigenen Seele führt? Du bist Reflexion, die mich reflektiert. Und wer weiß, wohin das führt. Wie weit die Strahlkraft trägt. Wir erfahren es nur, wenn wir uns tragen lassen. Wie das gelingen kann, davon erzählt kæte mayor. In ihrem Gedicht bewegt sie sich von “friedlicher Zerrissenheit”, Umkehrschlüssen, Wagnissen auf der Reise durchs “kosmischen Chaos”, das sich Leben nennt. Ein stetiges “(W/H)ANDELN”. Davon erzählt kæte mayor – die mich nicht nur als (Lebens-)Künstlerin inspiriert, sondern auch als Freundin immer wieder lehrt, trotz oder vielleicht auch gerade der Tiefen wegen, immer wieder die Leichtigkeit zu entdecken. ich danke dir kæte. Und danke euch, dass ihr uns euer Ohr schenkt. Danke, dass ihr Sinneswandel möglich macht.

(W/H)ANDELN von kæte mayor

INTRO_____

der Herbst hat mal wieder 
alles gegeben 
und tanzt aufs neue
mit der Vergänglichkeit 
feuerrot 
dem silbern schimmernden 
Kälteeinbruch entgegen

gespaltene Gefühle 
während dieser Übergangszeit
irgendwas 
zwischen euphorischer Melancholie
tobender Ruhe
und friedlicher Zerrissenheit

Manchmal 
nimmt der Tag kein Ende 
dann ziehen sich 
die vierundzwanzig Stunden ewig

Manchmal 
kann der Tag 
vor lauter Vorfreude 
auf den nächsten Tag
nicht schnell genug enden

Und manchmal 
ist die Magie zu schön 
und zu intensiv
um den Tag durch den Schlaf
zu beenden

Genau dann
fliegt die Zeit zu schnell vorbei
und wir wünschen uns 
nichts sehnlicher
als ein paar zusätzliche 
Sternstunden herbei

ÜBERWINTERN——

der kühle Winter naht 
und bejaht 
zum Ende des Kalenderjahrs 
mit frischer Klarheit 
den schillernden Neustart

auf dem Papier wird bald 
ein einschneidender Zahlensprung notiert 
und damit 
eine anstehende Veränderung
assoziiert

so motiviert 
werden neue Vorsätze und Wünsche 
auf die Sekunde genau 
datiert

die inneren Stimmen
zählen zusammen 
den Countdown 
schreien 
nach einem Neubeginn

..

neue Runde 
neues Glück
neue Hoffnung
und neue Erwartungen 
die das neue Kalenderjahr schmückt 

..

IN(S)HIDE____

Sehen wir wirklich 
unsere funkelnde Zukunft vor uns?
oder handelt es sich 
bei dem vermeintlichen Neustart 
nur um einen 
eigens kreierten Trugschluss?

Wir sehnen uns zwar
nach einem neuen Abschnitt 
vor lauter Euphorie 
Vernachlässigen wir allerdings
die Anteilnahme am Abschied 

Einmal im Jahr wird 
kurz mal eben drüber nachgedacht
„Was wurde so gemacht„
„mit wem hat man 
eine schöne Zeit verbracht“

die positiven Eindrücke werden 
auf dem Zahlenstrahl aufsummiert
und am Jahresende
durch die Anzahl aller erlebten Tage dividiert

Kurz 
durch den Überschuss an Serotonin verführt
kurz 
die vergangenen Erinnerungen gefühlt
kurz 
durch die warmen Gedanken berührt

Das Sammelsurium 
an bedrückenden Erfahrungen  
wird oft bei der Abschlussrechnung ausgeklammert
und überdurchschnittlich unterdimensioniert

Der Schmerz im Minus Bereich
sprengt zwar die Skala 
wenn man die Zahlen 
allerdings quadriert
werden diese 
durch den Vorzeichenwechsel 
im Positivum relativiert

Durch die Gleichung 
lässt sich eins erkennen:
unterm Strich
bildet der Durchschnitt 
die Randbedingung 
die wird unbemerkt
in unseren Alltag integrieren

ganz unbemerkt
werden Stillstand und Gewohnheit 
die Konstanten 
des eigenen Lebenswerk

die Vergangenheit zu verdrängen
Ist dementsprechend eine Verzweiflungstat
geleitet durch die Begierde 
die Wirklichkeit zu verändern

In die Gegenwart zurückgekehrt
verbleiben die Gefühle unstrukturiert
Und die verblassenden Erinnerungen
scheinen der einzige Halt 
nach Sicherheit

UEBERWINDUNG_____

Dabei äußern sich Veränderungen 
Lediglich in Unterschieden
zu den bereits gemachten Erfahrungen

abhängig der Umstände 
birgt es immer ein Restrisiko
mit der Zukunft
Verhandlungen zu führen
Wenn wir uns 
die Konsequenzen bildlich 
vor Augen führen

bei Gegenwind 
bedarf es großen Mutes und Überwindung 
gemischt mit Blindvertrauen
in das eigene Können
um die Kraft der inneren Stärke 
kennenzulernen

Wegen der Befürchtung vor

etwaiger Konsequenzen

geben wir uns 
unserer alten Routine hin
anstelle unsere Prioritäten 
klar zu setzen
brechen wir
unsere eigenen Versprechen

Der Umkehrschluss 
ergibt sich daraus,
dass sich der gegenwärtige Zustand 
etwas zieht, 
und die lang ersehnte Abfahrt 
In Richtung Einklang
sich nach hinten verschiebt 

durch die Warterei 
und die Ungewissheit 
Werden Selbstzweifel geschürt 
“Denn was, 
wenn das was kommt 
Uns nicht genügt?“

Wie soll der Neustart aussehen,
mit dem Wunsch nach
gleichzeitig der Furcht vor 
Veränderungen?


Wie können wir die Veränderungen
für uns nutzen und lenken
um leichter Entscheidungen zu fällen
und die Zukunft mit Zuversicht entgegenzunehmen?

Was bedeutet schon Scheitern?
Wie wird Erfolg bemessen?
Und wie entlarven sich 
unsere Fehlentscheidung?

Eins haben wir gelernt
nämlich 
dass der Gewohnheit zu verfallen
das Leben erschwert
und um jeden Preis 
gefallen zu wollen
über kurz oder lang 
zum Fall der Authentizität führt 

Egal wie oft wir das Blatt drehen
und versuchen uns 
den Veränderungen zu entziehen
können wir der süßen Versuchung des Wandels 
nicht widerstehen

WANDELN___

Wandel ist ein
Prozess  aus Dynamiken 
die Miteinander 
im Wechselspiel agieren 
Wandel ist grenzenlos
und viel mehr 
als nur eine wage 
Änderung der Konturen

Wandel ist weitaus größer 
als eine zeitabhängige Verwandlung
in einem beschränkten Rahmen
unter erdrückenden Randbedingungen
zwischen Dezember und Januar 

Wandel ist allgegenwärtig 
und unumgänglich
Wandel formt den Sinn
und ist für den Erhalt seiner selbst 
Lebens notwendig 

Wandel ist permanent 
mal mehr mal weniger existent
zu Beginn 
bekommen wir jedoch wenig
von dem Wandel mit
aufgrund seiner unterschwelligen Präsenz

In unserem Kosmos 
haben wir Einfluss auf den Wandel 
denn dieser wird verstärkt 
und angetrieben 
durch selbstbestimmtes Handeln 

HANDELN____

wir sind am Zug 
„etwas zu tun“
anstatt 
„nur so zu tun“
ansonsten bleibt der Wandel 
durch den Neubeginn 
lediglich eine Illusion

die Karten werden neu gemischt

allerdings nicht 
durch den Beginn 
eines neuen Kalenderjahres
sondern durch Eingeständnis 
der selbst bestimmten 
und eigenen Versäumnis 

Es geht darum aktiv
die Chancen zu ergreifen 
anstatt verpassten Gelegenheiten 
atemlos hinterher zu eilen 

wir sind mitverantwortlich 
für eine Veränderung 
Zugunsten unserer Zufriedenheit 

anstatt in ungünstigen Momenten
die Angst zu forcieren
können wir uns 
mit unserem Bewusstsein in Verbindung setzen
Gar verschmelzen
und als Teil eines größeren Ganzen 
fungieren
und schließlich 
beim Verblassen der Grenzen 
Frieden finden

Wir können
bleiben und lernen
auszuharren und zu verweilen
an Orten die einen einst 
zur Flucht verleiten

wir haben die Möglichkeit 
aus unserer Vergangenheit zu lernen
aus den Wunden die offen lagen 
die wir selber erschufen
und die wir stetig
zu flicken versuchen

Wir können lernen 
uns auf die Lektionen des Lebens
vorzubereiten
Lernen zu verstehen, 
nicht zu verstehen,
worum es im Leben geht.

wir besitzen die geistige Freiheit
mit unserem Verstand 
in der Zukunft zu leben
und sind in der Lage zu bestimmen
in welche Richtung 
wir uns in Zukunft bewegen

wir haben die Option
und damit das Privileg 
unseren Weg zu wählen
anstatt nur zuzusehen

Anstatt auf den Wandel zu warten
handelt das Leben viel mehr davon 
die volle Schönheit
und den vollen Genuss
an diesem Ort
zu einem späteren Zeitpunkt 
auszukosten 
und mitzugestalten

denn die Schönheit des Augenblicks
offenbart sich erst im Anschluss 
wenn die Zufriedenheit
tief in unsere Seele blickt

Lasst uns spüren und erleben, 
um noch intensiver zu Fühlen,
wie das Leben sich entwickeln kann
durch die unzählbaren Möglichkeiten 
die bestehen
mit der Option 
leichter durchs Leben zu schweben.

Es ist egal welche Taktik wir fahren, 
und was unsere Vorsätze besagen
solange wir unsere Ziele benennen 
und versuchen unsere Träume zu jagen 
Werden wir in prächtigen Farben baden. 

Einfach mal vom Leben 
durch die Gegenwart leiten lassen
statt zu flüchten
gelegentlich 
die Gegenwart vom Leben verleiten lassen

AUSSICHT____

Wem es verwehrt ist
die volle Schönheit des Lebens zu erleben 
und mit ihr im Sternenmeer unterzugehen
wird zum hellsten Stern
der ewigen Nacht
im tiefen Blau 
über dem Horizont
der jeher 
über alle von uns wacht

sie ertappen uns dabei
wie wir in ihren Sternbildern verloren gehen
ohne sie 
wären wir bloß etwas Leben 
ohne jeglichen Sinn

Mit leuchtenden Augen
dem Licht zugewandt,
schweben wir dahin
wie auf Wolken,
In schmeichelnder Wärme,
gehüllt in einen Umhang
aus Glückseligkeit,
Freude,
Liebe
und Leichtigkeit.

___

(NEU)JA

Die Liste meiner Vorsätze
endet nicht
sondern füllt sich
und ergänzt sich stetig

Sie erinnert mich 
An die Lektionen
die waren,
mich unerwartet überkamen
und mich auch zukünftig noch 
erwarten

Ich sage
„Ja ich will“

Dankbar sein 
und Einsicht zeigen,

andere Gefühle respektieren
die eignen gewaltfrei kommunizieren
und dabei ehrlich bleiben

Ich will
versuchen zu sehen
aktiv zuhören
besser verstehen

Stärken zusprechen
Und Schwächen annehmen

Ich will
Fokus legen
Und Pläne schmieden 
Optionen Abwägen
die Karten offen legen
und mit offenen Armen bereit stehen

endlich von dem Ballast lösen
und fallen lassen 
vom Boden der Tatsachen abheben
die Kontrolle abgeben 

„Ja ich will“ mich auf die Reise 
ins kosmischen Chaos begeben.

Freie fahrt
der Ungewissheit 
und unendlichen Möglichkeiten 
entgegentreten.

Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, dass kætes Worte auch mit euch auf die ein oder andere Art räsonieren. Wenn euch die Episode gefallen hat, dann freuen wir uns natürlich sehr, wenn ihr sie mit Freunden teilt. Ganz besonders bedanken möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal bei allen, die uns das Jahr über via Steady als Fördermitglieder unterstützt und damit erst Sinneswandel möglich gemacht haben. Das ist alles andere als selbstverständlich und macht mich unglaublich dankbar und glücklich. Wenn ihr uns also ein kleines Weihnachtsgeschenk machen möchtet, dann unterstützt uns gerne via Steady oder, ihr schickt uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast. Das steht aber auch alles noch mal in den Shownotes. Ich wünsche euch allen einen erholsamen Jahresausklang, seid gut zu euch und anderen. Wir sehen uns in 2022 im Sinneswandel Podcast!

14. Dezember 2021

Florian Illies: (Braucht es mehr) Liebe in Zeiten des Hasses?

von Henrietta Clasen 23. November 2021

Es sei nicht möglich, eindeutige Lehrsätze aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu ziehen, aber jede Generation solle versuchen Fragen an die Geschichte zu stellen – weil das Überraschende sei, so Florian Illies, dass die Geschichte uns dann ganz neue Antworten gebe. In seinem neuen Buch “Liebe in Zeiten des Hasses” erkundet der Autor und Kunsthistoriker die “Goldenen Zwanziger” anhand ihrer Beziehungskonstellationen. Denn die Liebe, so Illies, eröffne uns neue Perspektiven auf die Zeit. Was wir aus der Geschichte und durch die Gefühlseindrücke der Protagonisten aus der Berliner und Pariser Boheme lernen können, darüber hat Marilena Berends mit dem Autor selbst gesprochen.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Florian Illies: “Liebe in Zeiten des Hasses – Chronik eines Gefühls 1929 – 1939”, S. Fischer 2021.
► Helmuth Lethen: “Verhaltenslehre der Kälte”, Suhrkamp 2014.
► Hörenswert: “Augen zu” – der Kunstpodcast der ZEIT mit Florian Illies und Giovanni di Lorenzo.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

23. November 2021

Helmut Milz: Ist uns die Sinnlichkeit abhanden gekommen?

von Henrietta Clasen 2. November 2021

Seit jeher existiert in den Geisteswissenschaften ein reger Diskurs über die Frage nach der menschlichen Existenz und was sie ausmacht. Beseelter Leib? Beleibte Seele? Auch Mediziner und Publizist Helmut Milz unternimmt in seinem Buch „Der eigen-sinnige Mensch“ eine Reise durch die Sinnwelten unseres menschlichen Seins, die uns vom Leib über Körperbilder, bis zum “Quantified Self” der Postmoderne führt. Um einer Vergeistigung und gleichzeitigen Entsinnlichung der Welt entgegenzuwirken, plädiert Helmut Milz für eine Förderung “sinnlicher Intelligenz”. Nicht nur des eigenen Wohlbefindens wegen, sondern auch, weil ohne diese Fähigkeit kein gesellschaftlicher Sinnes-wandel möglich sei. Was das genau bedeutet, darum soll es in dieser Episode gehen.

Shownotes:

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► Website von Prof. Dr. med. Helmut Milz.
► Buch: “Der eigen-sinnige Mensch – Körper, Leib & Seele im Wandel”, AT Verlag (2019).
► Vortrag: “Sinnes-wandel”, Grazer Leib-Symposium (01/20).

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2. November 2021

Ciani-Sophia Hoeder: Mit Wut zur Veränderung?

von Henrietta Clasen 27. September 2021

Die Wut ist wohl eine der grundlegendsten, menschlichen Emotionen – doch wird sie selten als positives Gefühl angesehen, als vielmehr für ihren manchmal destruktiven Charakter verschmäht. Das gilt ganz besonders für wütende Frauen: als hysterisch, zu emotional oder gar inkompetent werden sie häufig bezeichnet. Wut ist untrennbar mit Macht verknüpft und ihre Unterdrückung daher keineswegs belanglos oder zufällig, schreibt die Autorin und Journalistin Ciani-Sophia Hoeder in ihrem Buch “Wut und Böse”. Mehr “Wut zur Veränderung”, lautet ihr Plädoyer. Welche transformative Kraft in der Emotion steckt und, wie sie zum positiven Katalysator der Veränderung werden kann, darum soll es in dieser Episode gehen.

Shownotes:

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Die heutige Episode wird präsentiert von Vodafone. Ihr könnt ab jetzt mit bis zu 1000 grünen Mbit/s im Vodafone Netz surfen – mit Strom aus 100 % erneuerbaren Energien – ab 39,99€ dauerhaft. Mehr Infos auf vodafone.de/greengigabit und im Vodafone Shop.

► Ciani-Sophia Hoeder: Wut und Böse. Hanser Literaturverlag (09/21).
► Ihr findet Ciani auch auf Twitter und Instagram.
► RosaMag: Online Lifestyle Magazin für Schwarze Frauen in Deutschland.
►Rosapedia: Was ist die “Angry Black Woman”?, RoseMag (12/2019).

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27. September 2021

Emilia Roig & Mohamed Amjahid: Wie lässt sich Rassismus verlernen?

von Henrietta Clasen 13. Mai 2021

“Was ich nicht sehe – existiert nicht.” Mit dieser verkürzten Sichtweise, wie Scheuklappen vor den Augen, laufen nicht wenige Menschen durch die Welt. In einer sicheren, weißen Blase, ausgepolstert mit Privilegien, die das Leben komfortabel machen, haben sie sich eingenistet. Mohamed Amjahid, nennt sie “Parallelgesellschaften” – Räume, die sozial segregiert sind, in denen sich Communities bilden. An und für sich erstmal nichts Schlimmes. Problematisch wird es erst dann, wenn diese Blasen dafür sorgen, dass Menschen sich und ihr Handeln nicht mehr in Frage stellen. Um eben diesen Perspektivwechsel und die Dekonstruktion dessen, was viele Weiße für die „Normalität“ halten, geht es Emilia Roig in ihrem Buch „Why We Matter“. Gemeinsam mit Mohamed Amjahid, dem Autor von “Der Weiße Fleck” habe ich mich unter anderem darüber unterhalten, wie sich eine antirassistische Haltung erlernen lässt, was es mit dem Begriff der “Intersektionalität” auf sich hat und, wie privilegierte Menschen, zum Ally werden können.

Shownotes:

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► Emilia Roig: Why We Matter: Das Ende der Unterdrückung, Aufbau Verlag.
► Mohamed Amjahid: Der Weiße Fleck: Eine Anleitung zu antirassistischem Denken, Piper Verlag.
► Emilia auf Twitter und Instagram.
► Mohamed auf Twitter und Instagram.

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13. Mai 2021

Şeyda Kurt: Was macht (die) Liebe politisch?

von Henrietta Clasen 6. Mai 2021

“Viel zu selten sprechen wir darüber, wie unser Miteinander anders sein könnte”, schreibt  Şeyda Kurt in ihrem Buch “Radikale Zärtlichkeit: Warum Liebe politisch ist.” Liebe geschieht nicht im luftleeren Raum, sonder ist eingebunden in ein komplexes Geflecht aus Macht und Ansprüchen und wird seit jeher im Kapitalismus absichtlich als Mythos konstruiert. Indem wir jedoch erkennen, dass Liebe eine höchst politische Angelegenheit ist, erklären wir sie zugleich als veränderbar, als von uns gestaltbar. Wie ein neue Narrativ der Liebe, jenseits patriarchaler, rassistischer und kapitalistischer Tradierungen aussehen könnte, darüber hat sich Marilena Berends ausführlich mit Autorin und Journalistin Şeyda Kurt unterhalten.

Shownotes:

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► Şeyda Kurt: Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist. Erschienen bei Harper Collins (04/21).
► Mehr von und über Şeyda Kurt auf ihrer Website .
► Şeyda auf Twitter und Instagram.

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6. Mai 2021

Pandemiemüde? Let’s talk about Mental Health!

von Marilena 22. April 2021

Wem geht es eigentlich gerade wirklich gut? Gefühlt sind alle “müde”. Wenn auf Wikipedia bereits der Eintrag “Pandemiemüdigkeit” zu finden ist, wieso reden wir so wenig darüber? Warum werden zwar täglich die Zahlen der Neuinfektionen bekannt gegeben, aber nicht über die “seelische Inzidenz” gesprochen? Diese Episode handelt, neben den Auswirkungen von einem Jahr Pandemie auf die menschliche Psyche, auch von der Art und Weise, wie generell in der Gesellschaft über Mental Health gesprochen – oder eben auch nicht gesprochen wird. Es geht darum, wie die kapitalistische Logik, sich auch das Feld der psychischen Gesundheit einverleibt hat und damit seelische Erkrankungen zu rein privaten Angelegenheiten verkehrt. Wie lässt sich ein gesunder Ausweg finden, jenseits von toxischer Positivität und individueller Self-Care-Routine? 

Shownotes:

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► Kostenlose Telefonberatung der BZgA (08002322783).
► Das kostenlose Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe: 08003344533.
► SeeleFon für Flüchtlinge für Geflüchtete oder deren Angehörigen – kultursensibel und möglichst in der Sprache der Betroffenen (022871002425).
► Wichtige Anlaufstellen bei psychischer Belastung sind Hausärzt*innen und Psychotherapeut*innen. Die Arztsuche der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bietet die Möglichkeit gezielt nach diesen zu suchen.

Quellen:
► Bundes Psychotherapeuten Kammer: Corona Pandemie und psychische Erkrankungen – BPtK Hintergrund zur Forschungslage (2020).
► Spektrum: Psyche und Corona: Der zweite Lockdown belastet mehr.
► WHO: Mental Health in workplace.
► Merkur: Demenz und Depression  kosten knapp 15 Milliarden Euro im Jahr.
►Allianz: Depression kostet Volkswirtschaft jährlich bis zu 22 Milliarden Euro.
► Deutschlandfunk: Zum Tod des Kulturtheoretikers Mark Fisher.
► Eva Illouz: Die Errettung der modernen Seele. Suhrkamp (2011).
► Nina Kunz: Ich denk, ich denk zu viel . Kein und aber (2021).
► Arte-Serie: In Therapie. 
►Deutschlandfunk-Nova: Timur über toxische Feelgood-Vibes.  
►Benjamin Maack: Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein . Suhrkamp (2020). 

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Transkript: Pandemiemüde? Let’s talk about Mental Health!

“Es wird schon wieder – irgendwann.” 
“Ja, muss ja”, gebe ich zurück. 
“Fühl dich umarmt.”

Wie ich diesen Satz nicht mehr hören kann. Wie soll man sich umarmt fühlen? Wer hat sich diese Floskel überhaupt ausgedacht? Um mich umarmt zu fühlen, müsste ich mir erstmal dieses Gefühl, wenn zwei Körper in einem Moment zu einem einzigen verschmelzen, wieder ins Gedächtnis rufen. Und ich meine eine “richtige” Umarmung. Ohne Zögern und Zweifel, ob man das denn jetzt wirklich tun sollte oder, ob man dann nicht Gefahr laufe, sein Gegenüber potenziell umzubringen. Ja, nach solchen innigen Umarmungen, mal wieder so richtig fest gedrückt zu werden, danach sehne ich mich. Darum mag ich, wenn mal wieder jemand zu mir sagt, “fühl dich umarmt”, mich auch nicht daran zurückerinnern. Es scheint mir dann in noch weitere Ferne zu rücken – fast unerreichbar.

Und dann ist sie da wieder. Diese innere Stimme, die mir leise, aber unüberhörbar in mein Ohr raunt: “Come on, jetzt hab dich nicht so! Hör auf dich in deiner Nostalgie, deinem Selbstmitleid zu sudeln und reiß dich gefälligst mal zusammen! Anderen geht es viel schlechter als dir. Hast du dich mal umgesehen? Du hast eine Wohnung, genug zu Essen im Kühlschrank, einen Job, Freunde und vor allem, du bist gesund.” Etwas in mir nickt, fühlt sich ertappt und ekelt sich ein bisschen vor mir, angesichts dieses Ausflusses an Selbstmitleid, trotz meiner doch ganz offensichtlich privilegierten Situation. 

Genauso enden in letzter Zeit auch häufig Gespräche mit Freunden und Kollegen. Man diskutiert über die aktuelle Lage, die neuesten politischen Maßnahmen und erkundigt sich, wie es den anderen denn so damit gehe. “Ach du, weißt du, es ist nicht einfach, aber, es könnte auch schlimmer sein. So richtig beschweren kann ich mich nicht. Aber so richtig gut, gehts mir irgendwie auch nicht.” So ähnlich klingt das dann. Eigentlich hätte man auch nichts sagen können. Denn, was steckt hinter dieser Aussage? Alles und nichts. Das eigene Unwohlsein wird noch im selben Atemzug revidiert. Anderen geht es nun mal gerade schlechter. Da ist jetzt kein Raum für das eigene Leid, das mit dem der anderen verglichen so lächerlich klein und Wohlstands-privilegiert erscheint. Sicherlich ist da irgendwie etwas Wahres dran, denn Fakt ist, dass Menschen, die bevor C. in unser aller Leben trat, bereits in prekären Verhältnissen lebten, es nun doppelt oder gar dreifach so schwer haben. Die Pandemie fungiert wie eine Lupe, ein Brennglas, dass Missstände, die zuvor bereits existierten, nur weiter vergrößert, wie es im Feuilleton so oft zu lesen ist. Auf der anderen Seite frage ich mich: Wer hat etwas davon, wenn irgendwer seinen eigenen Schmerz und, mag er im Vergleich noch so klein erscheinen, zurückstellt oder gar negiert? Nur, um nicht als asozial oder unempathisch zu gelten. Hat nicht jedes Leid seine Berechtigung? Müssen wir selbst in dieser Situation, in eine Art Wettkampf, wer das Schlimmste zu erdulden hat, eintreten? Das ist doch absurd! Natürlich ergibt es Sinn, anderen Menschen zur Seite zu stehen. Das zeichnet schließlich eine Gesellschaft, die zusammenhält aus. Dass man auch mal bereit ist, sich selbst zurückzustellen und für andere einzusetzen. Ich glaube, da sind wir uns einig. Aber heißt das auch, dass ich, wenn ich nicht “genug” Leid zu tragen habe, es sich nicht mehr ziemt, dieses zu äußern? Hat es dann keine Berechtigung mehr? Wenn mein Glas halb voll ist, darf ich dann nicht mehr den Wunsch haben, es wäre randvoll, sprich, dass es mir wieder gut geht?

Allein diese Worte auszusprechen fühlt sich irgendwie egoistisch an. Ich brauche Ablenkung und scrolle durch meinen Instagram Feed und stoße dabei auf einen Post von Anna Mayr, Autorin und Journalistin. Sie schreibt darin: “Wenn Menschen sich einer Gefahr ausgesetzt sehen, wenn sie Angst haben und sich machtlos fühlen, dann verfallen sie in einen fight-or-flight-Modus. […] Jede_r schaut dann nur noch auf sich, auf die eigenen Bedürfnisse, auf die eigene Sicherheit. Das ist, glaube ich, was gerade passiert. Mir zumindest. […] Hauptsache, ich komme irgendwie durch, mental und physisch. Nur noch Kraft, mich selbst zu retten, niemanden sonst. Das ist natürlich total scheiße und zeigt, dass das Reden von „Eigenverantwortung“, wenn man in Wirklichkeit „Ungerechtigkeit“ meint, niemanden weiterbringt, auch die Glücklichen nicht. Denn ich fühle mich ja auch mies damit, sogar nach zwei Stunden Balkonsonne, wie alle, wahrscheinlich.” 

Immerhin bin ich nicht allein mit diesem Gefühl, denke ich mir und scrolle weiter. Paul Bokowski, ebenfalls Autor und Journalist, hat eine Story geteilt. Darin steht: “Ich habe vor ein paar Tagen angefangen meinen Nachrichtenkonsum drastisch zu reduzieren. Nach einem Jahr der absoluten Monothematik geht mir die ständige Berichterstattung über Covid mittlerweile ganz massiv an die Substanz. Ich akzeptiere die unverrückbare Bedeutung dieses Themas, aber […] ich merke schleichend, dass es lebenswichtig für mich sein könnte, mich um weniger psychische Toxizität zu bemühen. […] Das heißt, dass ich bis auf Weiteres auf alle Nachrichten-Apps, auf Twitter, aber auch auf Instagram und Facebook verzichten möchte.” Und damit ist er wohl offline. Ist das jetzt selfcare oder selfish? Ich fühle mich überfordert und lege mein Handy beiseite.

Wem geht es eigentlich gerade wirklich gut? Gefühlt sind alle “müde”. Wenn auf Wikipedia bereits der Eintrag “Pandemiemüdigkeit” zu finden ist, wieso reden wir so wenig darüber? Warum werden zwar täglich die Zahlen der Neuinfektionen bekannt gegeben, aber nicht über die “seelische Inzidenz” gesprochen, über die Menschen, die psychisch erkranken oder gar Suizid begehen? Da gibt es doch bestimmt schon Statistiken zu?! Ich klappe meinen Laptop auf, öffne Ecosia und beginne zu recherchieren: Laut einer 2020 veröffentlichten Studie von Yang und Kollegen, in der an Corona erkrankte Patient*innen, die stationär isoliert wurden, mit Krankenhauspatient*innen mit einer Lungenentzündung sowie mit Gesunden verglichen wurden, weisen Corona-Erkrankte drastisch erhöhte Angst- und Depressionswerte auf. Ähnliches wird in zwei Übersichtsarbeiten über die psychischen Folgen von Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen berichtet (Hossain et al., 2020; Purssell et al., 2020). In manchen Studien berichteten über 70 Prozent der Patient*innen, ängstlich und depressiv, hilflos und reizbar zu sein und ein niedriges Selbstwertgefühl zu haben. Auch für Angehörige ist es oft unerträglich, erkrankte Eltern oder Großeltern nicht persönlich helfen zu können, da Kontakt verboten ist (vor-veröffentlichte Online-Befragung von mehr als 18.000 Personen: Rossi et al., 2020). ie Versorgungssituation hinsichtlich psychologischer Betreuung hat sich, laut Spektrum Magazin auch verschlechtert. So gaben 22 Prozent der an Depressionen leidenden Befragten an, in einer akuten depressiven Phase keinen Behandlungstermin bekommen zu haben. Natürlich muss berücksichtigt werden, dass viele Daten, die notwendig wären, um die Frage nach der psychischen Belastung durch die Corona-Pandemie umfassend beantworten zu können, noch längst nicht vollständig sind. Wenn jedoch Krankenkassen, wie die KKH bereits im ersten Halbjahr 2020 rund 26.700 Krankmeldungen wegen seelischen Leidens unter ihren etwa 1,7 Millionen Versicherten zu registrieren hatten – gut 80 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum – dann scheint die Pandemie nicht folgenlos an uns vorbeizuziehen.

Warum sprechen wir dann dennoch so wenig über das Thema? Mein Kopf rattert. Plötzlich beginne ich zu verstehen. Na klar, das System, die Realität in der wir leben, hat ja auch sonst eher wenig Interesse daran, dass wir “ausfallen”, sprich nicht “funktionieren”. Das Rad muss weiterlaufen. Das gilt auch für pandemische Zeiten. Kein Wunder, dass kaum über Mental Health gesprochen wird. Nachher würden Menschen noch beginnen, gegen jene Strukturen aufbegehren, die sie tagtäglich bis zur völligen Erschöpfung im Hamsterrad laufen lassen. Auf der anderen Seite frage ich mich, ob diese Sichtweise nicht zu verkürzt ist. Mag schon sein, dass Menschen, die immerzu vorgeben, zu funktionieren, diesen Schein eine ganze Weile aufrechterhalten können, aber zu welchem Preis am Ende? Nichts ist umsonst – das ist schon mal klar! Jetzt bin ich angefixt. Was kostet es wohl den Staat, all die Menschen wieder “aufzupäppeln”, die ausbrennen oder anderweitig seelisch erkranken?

Laut Statistischem Bundesamt seien psychische Krankheiten inzwischen ein großer Kostenfaktor für das Gesundheitssystem: Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen (37 Milliarden Euro) und Krankheiten des Verdauungssystems (34,8 Milliarden Euro) rangieren psychische Erkrankungen auf Platz drei unter den sogenannten “Volkskrankheiten”: 2008 lagen die Kosten bei knapp 28,7 Milliarden Euro. In den USA, laut WHO, lagen die Kosten im Jahr 2019 sogar bei 1 Billion US-Dollars. Die Allianz hebt noch einmal differenziert hervor, dass allein zwischen 2002 und 2008 die direkten Krankheitskosten für Depressionen, um ein Drittel auf 5,2 Milliarden Euro gestiegen seien. Und, dass 9,3 Milliarden Euro indirekte Kosten allein darauf zurückzuführen seien, dass an Depressionen erkrankte Menschen häufig dennoch zur Arbeit gehen, anstelle sich krankschreiben und behandeln zu lassen. Das klingt jetzt ziemlich makaber, aber damit stellen die durch verminderte Produktivität depressiver Arbeitnehmer*innen am Arbeitsplatz verursachten Kosten den mit Abstand größten volkswirtschaftlichen Schaden dar, so formuliert es die Allianz.

Mag sein, natürlich sind die wirtschaftlichen Einbußen, auch jene, die aktuell während der Pandemie verzeichnet werden, keineswegs irrelevant. Aber, was ist mit den Seelischen, den menschlichen Schäden? So oft denke ich mir in letzter Zeit: Was ist das bitte für ein Leben, das fast ausschließlich in Arbeit besteht? Normalerweise liegt ja die Wiedergutmachung dafür, dass wir den halben Tag schuften, darin, dass wir das wohlverdiente Geld in Bespaßung eintauschen können: Ob Kino, Rave, Museum, Malle, für jede*n ist auf dem Konsummarkt was dabei. Das meiste davon fällt aktuell allerdings weg. Außer vielleicht Netflix und Online-Shopping. Aber auch das wird schnell öde. Die neoliberale Belohnungsstrategie geht nicht mehr auf. Die Ablenkung fehlt und die Menschen, die zuvor im Konsumrausch schwebten, nüchtern langsam aus und werden missmutig.

Aber kann es denn Sinn der Sache sein, Menschen ruhig und bei Laune zu halten? Wenn wir schonmal dabei sind, alle Karten offen auf den Tisch zu legen, warum reden wir dann nicht mal ganz grundsätzlich über die Ziele und Vorstellungen davon, wo wir als Gesellschaft eigentlich hin wollen? Und vor allem auch, auf welchem Weg, mit welchen Mitteln? Längst sind sich viele Expert*innen, wie Joseph Stiglitz, Maja Göpel und Amartya Sen in dem Punkt einig, dass das BIP allein als Indikator für Fortschritt und Wohlstand nicht mehr zeitgemäß ist. Schon gar nicht, um so etwas wie Lebensfreude und Zufriedenheit innerhalb der Bevölkerung zu messen. Denn die Bedingungen, unter denen das BIP entsteht, werden nicht berücksichtigt. Ob jemand seine Arbeit entspannt und mit viel Freude erledigt oder ob dies unter großem physischen bzw. psychischen Druck und ohne jede Freude geschieht, spielt für das Wohlbefinden eine große Rolle – selbst wenn am Ende in beiden Fällen das gleiche Einkommen herausspringt. Für die Berechnung des BIP sind beide Fälle hingegen vollkommen gleichwertig. Es ist also dringend an der Zeit, dass wir radikal umdenken und uns von alten Konzepten verabschieden. Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt gibt es bereits eine ganze Handvoll: So hat die OECD den „Better Life Index“ entwickelt, um das gesellschaftliche Wohlergehen anhand von elf Themenfeldern, u.a. Bildung, Sicherheit und Work-Life-Balance zu ermitteln und international zu vergleichen. 

Ein weiteres Beispiel liefert der “Happy Planet Index” (HPI), dessen Ausgangspunkt die Überlegung darstellt, dass Reichtum für eine Vielzahl von Menschen nicht das oberste Ziel ist, sondern ein glückliches und gesundes Leben an erster Stelle steht. 

Die Einführung eines solchen Maßstabs wäre vermutlich auch nicht mehr vereinbar, mit der Privatisierung des Gesundheitswesens und dem zeitgleichen Abbau des Sozialsystems, wie man es auch in Deutschland beobachten kann. Laut dem Bundesverband Deutscher Privatkliniken, sind von 1950 Krankenhäusern mittlerweile rund 37 %, also mehr als ein Drittel, in privater Trägerschaft. Das mag sich zwar teilweise positiv auf die Wachstumszahlen und Gewinnprognosen der Krankenhäuser auswirken, bewirkt jedoch im Großen und Ganzen, dass das Gesundheitswesen zu einer Gesundheitswirtschaft mutiert, in der ganz andere Gesetze gelten als in einem Sozialsystem. Sie wird zur Quelle neuen Reichtums für Investoren und macht Gesundheit zu einem handelbaren Gut, in welcher der Mensch zur Ware degradiert wird. Hallo Kapitalismus! 

Dass das gesamte kapitalistische Wirtschaftssystem, das aus dem Ruder geraten ist, uns krank macht, davon war der britische Kulturtheoretiker und Publizist Mark Fisher überzeugt, der sich 2017, im Alter von 48 Jahren das Leben nahm. Seine Depressionen, die ihn sein Leben lang begleiteten, verortete er nicht als rein individuelles Schicksal, sondern als eine massenhaft auftretende Reaktion auf die kapitalistischen Verhältnisse in denen wir leben. Für Fisher stellte die Entpolitisierung von Depression sowie die Privatisierung von psychischen Krankheiten ein gesellschaftliches Problem dar: “Hohes Arbeitsaufkommen, Zunahme der Unsicherheit, Gehaltskürzung – all diese Dinge machen depressiv, und wir müssen immer häufiger alleine mit ihnen fertig werden. Im Zeitalter der Kollektivität gab es noch Mediatoren wie Gewerkschaften, die dir dabei geholfen haben, aber heute wirst du zu keiner Gewerkschaft geschickt, sondern zu einem Therapeuten, oder nimm doch einfach Antidepressiva. Das ist die Geschichte der letzten 30 Jahre.” So Fisher in einem Interview mit Deutschlandfunk. Wir alle werden im Kapitalismus zu “Unternehmer*innen unser Selbst”, die sich bloß noch mehr anstrengen müssen, wenn es mal Probleme gibt. Jede und jeder ist schließlich seines eigenen Glückes Schmied – ein Hoch auf Individualismus und Leistungsfetischismus!

Je mehr ich drüber nachdenke, desto klarer und bewusster wird mir, wie sehr psychische Gesundheit in unserer Gesellschaft zu persönlichen, rein privaten Angelegenheiten gemacht werden. Dabei sind die höchst politisch – da stimme ich Fisher zu. Psychische Gesundheit ist nicht von den gesellschaftlichen Verhältnissen zu trennen, innerhalb derer sie entstehen. Vermutlich auch einer der Gründe, weshalb das Sprechen über mentale Gesundheit nach wie vor mit Scham besetzt ist und Menschen, die öffentlich über psychische Krankheiten sprechen, häufig noch stigmatisiert werden. Nicht, dass noch bekannt werden könnte, dass nicht allein individuelles Versagen der Grund für Depressionen, Angststörungen, Magersucht oder Burnout seien. Das wäre ja absurd, wenn doch tatsächlich die moderne Gesellschaft mit ihren fragwürdigen Schönheitsidealen, der Lobpreisung des permanenten Busy-seins und der Arbeit im Allgemeinen, dem never-ending Patriarchat, überhaupt den strukturellen Unterdrückungsmechanismen einen Anteil daran hätte, das Menschen psychisch erkranken. Ne ne, das haben wir uns alles selbst zu verdanken, weil wir uns eben einfach nicht genug angestrengt haben. Nicht genug an uns gearbeitet haben, wie es uns doch von der Persönlichkeitsentwicklungs-Branche geraten wird. Und im Zweifel eben ab zur Therapie! Ist doch heutzutage nichts Besonderes oder gar verwerfliches mehr.

Ich denke nach. Tatsächlich, die meisten meiner Freunde, inklusive mir selbst, sind oder waren schon mal beim Therapeuten. Und nein, nicht alle stammen aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Eigentlich finde ich das ja gut, dass es diese Möglichkeit gibt. Ich selbst wüsste nicht, wo ich heute ohne professionelle, seelische Begleitung stehen würde. Wäre ich noch am Leben? Vermutlich schon. Ich würde die Gespräche dennoch nicht missen wollen. Zugleich hinterfrage ich das Konstrukt der Therapie immer wieder ganz massiv. Sehe insbesondere die reine Rückführung auf die Patientin oder den Patienten kritisch, wenn das Leid nicht auch im gesellschaftlichen Kontext betrachtet wird. Klar, es gibt wirklich gute Therapeut*innen, die das machen, hab ich selbst erlebt, aber viele eben auch nicht. Dann rücken Selbstreflexion und -pathologie an die Stelle von Gesellschaftskritik. Wo es doch eigentlich beides bedarf.

Laut der israelischen Soziologin Eva Illouz, hat das therapeutische Denkmodell inzwischen alle Lebensbereiche erfasst, wie sie in ihrem Buch, “Die Errettung der modernen Seele” (2011) beschreibt. Allerdings versteht Illouz darunter nicht nur die konkrete Therapie-Situation, sondern die ganze Palette der ratgeberhaften und emotionsorientierten Gegenwartskultur – von Weight Watchers über Eheberatung und Mentalcoaching der Fußballmannschaft. Galten früher psychische Krisen als “Defekt”, den man schamhaft versteckte, kommt heute kaum eine Promi-Biographie ohne eine solche Krise und deren therapeutische Bewältigung aus. Ob in Cathy Hummels “Mein Umweg zum Glück”, in der die Moderatorin offen über ihre Depressionen spricht, in  „Born to run“, der Autobiographie der Rocklegende Bruce Springsteen oder in “Zayn”, in der der gleichnamige Sänger Zayn Malik – früher Teil der Band “One Direction” – über seine Angst- und Essstörung schreibt. Man könnte auch sagen, der vermeintlich tiefe Einblick in die Seele gilt heute als notwendiger Karriereschritt, um Privilegierte ein klein bisschen menschlicher erscheinen zu lassen. Generell würde ich sagen, ist jedes Bekennen psychischer Erkrankungen nur zu begrüßen. Fragwürdig bleibt die Motivation von Menschen, die ohnehin in der Öffentlichkeit stehen und ihre Leiden scheinbar als Chance sehen, mehr Filme, Bücher oder Alben zu verkaufen. Aber, mal ganz ehrlich: “Who am I to judge?” Es lässt sich nicht leicht beurteilen, wo die Grenze verläuft, zwischen öffentlichem Bekenntnis und Selbstvermarktung.

Und dann denke ich mir: “Hey, ist doch eigentlich auch eine gute Sache, wenn wir offener über unsere issues reden. Oder nicht?” Ich fühle mich zumindest besser, wenn ich beispielsweise lese, dass auch andere Menschen, ob Henning May, Sänger der Band AnnenMayKantereit, die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht, Rapper Curse oder der Autor Benjamin von Stuckrad-Barre, alle mit ihren Päckchen zu kämpfen haben und dazu stehen. Wobei “mich besser fühlen” vermutlich der falsche Ausdruck ist. Es geht mir eher um das Gefühl, nicht allein zu sein. Mich verstanden zu fühlen. Nicht perfekt und makellos sein zu müssen in dieser Welt.

Genau das Gefühl hatte ich auch beim Lesen von “Ich denk, ich denk zu viel”, der erst kürzlich erschienenen Kolumnensammlung der Schweizer Journalistin Nina Kunz. Vielleicht liegt es daran, dass wir beide im selben Jahr geboren wurden, also derselben Generation angehören, dass ich mich in vielen ihrer Worte wiederfinden konnte. So schreibt sie darin beispielsweise: “Alles begann damit, dass ich anfing, über meine Alltagsängste nachzudenken. […] Warum da diese Enge in meiner Brust ist und der Stress-Tinnitus in den Ohren pfeift, obwohl ich all diese Privilegien hab.” Es ist eine Mischung aus Tagebuch und Theoriesammlung, in der Nina Kunz ihre persönlichen Gedankengänge offenlegt und zugleich mit einer Kritik an den gesellschaftlichen Umständen verbindet. Die einen wiederum einlädt, sich einerseits selbst sanftmütiger und wohlwollender zu begegnen, andererseits gegen die einengenden und begrenzenden Strukturen, ob Patriarchat, binäre-Geschlechterkonstrukte oder Rassismus vorzugehen. “Dieses Buch ist eine Einladung in meine Gedankenwelt. [… Es] ist ein kleiner Puzzleteil in der Debatte um Leistungsdruck und Mental Health. Es sind Notizen aus dem Jetzt, ehrlich aufgeschrieben. In der Hoffnung, dass sie weitere Gedanken anstoßen.” Das haben Ninas Worte bei mir in jedem Fall bewirkt. Besonders hängen geblieben ist auch folgendes Zitat aus dem ersten Text:: “Workism beschreibt […] etwas, das mir schon länger Sorgen macht: Es ist der Glaube, dass Arbeit nicht mehr eine Notwendigkeit darstellt, sondern den Kern der eigenen Identität. […] Ein zentrales Ziel im Leben soll sein, einen Job zu finden, der weniger Lohnarbeit ist als vielmehr Selbstverwirklichung. Darum […] habe ich heute keine Schreib-, sondern Lebenskrisen, wenn ich im Job versage.” Oh ja, fühl ich sehr! Genauso wie die Ambivalenz, die Nina gegenüber dem Internet, insbesondere den sozialen Medien verspürt: “Das Internet ist ein gefräßiges Monster, das alle meine Lebensenergie verschlingt […]. Ich hasse das Internet, weil es mir das Gefühl gibt, zu langsam zu sein, zu schwach, zu wenig schön. […] Ich hasse den Fakt, dass mir Likes ein gutes Gefühl geben. Ich hasse denk Fakt, dass ich Angst habe vor der Stille und mich permanent mit Informationen berieseln lasse. Beim Kochen höre ich Podcasts, beim Joggen brauche ich die Nike App, und im Zug beantworte ich Mails. […] Es gibt Studien, die belegen, dass Menschen Zeit allein verbringen müssen, um empathisch zu sein, daher bin ich besorgt, wie schlecht ich mich mittlerweile selbst aushalte.” “Manchmal fühlt sich das Leben im Internet an, als würde ich verhungern, obwohl mir die ganze Zeit jemand das Maul stopft. […] Ich hasse das Internet, weil ich Angst habe, dass ich in fünfzig Jahren sagen werde: Fuck, ich hab mein Leben online vergeudet.”

Manchmal braucht es auch noch oder gar keine Lösung – das Aussprechen von Ängsten und Sorgen, ganz gleich, ob nun angeblich privilegiert oder nicht, wirkt oft befreiend. Ich habe sogar das Gefühl, dass mir in der Therapie das Reden und, dass mir jemand zuhört, oft mehr gebracht hat, als irgendwelche Ratschläge oder Strategien, die mir angeboten wurden. Vielleicht hat mir auch deshalb die Arte-Serie “In Therapie” der französischen Regisseure Olivier Nakache und Éric Toledano so gut gefallen. Jede Folge ist eine Therapiesitzung, in der wir die Entwicklung der wiederkehrenden Patient*innen, die alle durch die Erlebnisse der Terroranschlägein Paris 2015 traumatisiert sind, mitverfolgen können. Dabei ist “In Therapie” allerdings keine Serie über die Terroranschläge, sie handelt vielmehr von den Folgen für die menschliche Psyche, kollektivem Trauma und, dass um mit solch schwerwiegenden Erfahrungen fertig zu werden, es Redebedarf braucht. Es geht um Heilung, Einzelner, aber auch der Gesellschaft. „Die Welt da draußen geht zugrunde.“ Gleich zweimal fällt der Satz in der Serie. „Ja“, antwortet Philippe Dayan, der Therapeut, jedes Mal, „aber das tut sie immer.“ Wir können nur lernen, damit umzugehen. 

Wobei umgehen eben nicht meint, dass wir jetzt alle mal bitteschön wieder klarkommen müssen. Dass wir, wie uns, wie ein mechanisches Glied im Gefüge einer Maschine, wieder an unseren Platz bewegen und funktionieren sollen. Diese Form toxischer Positivität begegnet mir allerdings permanent. Wie so oft, meistens im Internet. Egal, ob pathetische, wohlgemeinte Sprüchlein, wie “Glücklich zu sein bedeutet nicht, das Beste von allem zu haben, sondern das Beste aus allem zu machen.” Oder fast noch schlimmer: “Du kannst nicht negativ denken und positives erwarten.” Würg! Laut Timur, der in einem Interview mit Deutschlandfunk-Nova ganz offen über seine Depression und Angststörung spricht, ist toxische Positivität eng an „toxische Dankbarkeit“ gekoppelt. Er glaubt, dass wir nicht für alles dankbar sein müssen. Vor allem, wenn jemand als Opfer Leid erfährt. Denn nicht alle Dinge sind ein Zugewinn für uns und unser Leben. Seh ich auch so! Wobei ich zugeben muss, dass es mir auch nicht immer leicht fällt, mir einzugestehen, wenn es mir nun einmal gerade nicht gut geht. Vielleicht sogar richtig beschissen. Und dann nicht automatisch in den Optimierungs-Wahn zu verfallen, in dem direkt wieder alles zurechtgebogen wird, damit die Oberfläche wieder aalglatt erscheint. Ich würde solche Zustände gerne öfter auch mal auf mich wirken lassen können, akzeptieren lernen, dass ich nicht permanent “funktionieren” muss. Dass es in Ordnung ist, nicht immer einen Plan zu haben. Dass ich nicht für alles verantwortlich bin, sondern so einiges seine Ursprünge auch in gesellschaftlichen Umständen hat, die sich nicht einfach mal so mit Hilfe von ein bisschen Selfcare und Gesprächstherapie lösen lassen.

Jemand, der genau das ganz wunderbar und prosaisch in Worte zu fassen vermag, ist der Autor Benjamin Maack. In seinem Buch “Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein”, spricht Maack über sein Leben mit Depression und setzt statt auf Verdrängung auf die unmittelbare Konfrontation, stellt sich der Herausforderung. Indem er sich in seiner ganzen Fragilität preisgibt, gelingt es Maack, auf Distanz mit sich selbst zu gehen. Er beobachtet sich gewissermaßen von außen, wodurch er zumindest im Rahmen der schriftlichen Verarbeitung aus dem Strudel der Emotionen und Verzweiflung ausbrechen kann. Das ist nicht nur wirklich lesenswert, sondern schafft auch für all jene ein tieferes Verständnis, die selbst nie mit Depressionen zu kämpfen hatten. Und es nimmt Erkrankten die Angst vor dem Stigma, als verrückt erklärt zu werden oder als schwach und fragil, wenn sie sich öffnen. Denn Fakt ist auch, dass psychische Erkrankungen jede und jeden von uns treffen können. Laut Bundesgesundheitsministerium erkranken schätzungsweise 16 bis 20 von 100 Menschen irgendwann in ihrem Leben mindestens einmal an einer Depression oder einer chronisch depressiven Verstimmung. Also rund ein knappes Fünftel. Und insbesondere seit der Corona-Pandemie wissen wir, wie wenig das oft mit unseren eigenen Entscheidungen zu tun hat. Plötzlich fallen bestimmte Aspekte unseres Lebens weg, die uns bislang Sicherheit und Struktur gegeben haben. Für Menschen, die zuvor schon unter psychischen Erkrankungen gelitten haben, kann diese Situation jetzt ganz besonders schlimm sein. Aber auch für alle anderen ist es eine Belastung, weshalb wir unsere Sorgen, Ängste und Gefühle durchaus ernst nehmen sollten. Darum möchte ich am Ende dieser Episode noch kurz auf die Shownotes verweisen, in denen wir unter anderem die kostenlose Telefonberatung der BZgA und das Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe sowie weitere Hilfsangebote für Betroffene sowie Angehörige von Betroffenen verlinkt haben. 
Last but not least, danke ich euch fürs Zuhören. Wenn der Podcast euch gefällt, dann teilt ihn gerne mit Freunden und Bekannten. Außerdem würden wir uns besonders freuen, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt, damit wir weiterhin gute Inhalte für euch kreieren können. Supporten könnt ihr uns ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Das geht schon ab 1€. Alle weiteren Infos findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast.

22. April 2021

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