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Henrietta Clasen

Henrietta Clasen

kæte mayor: (W/H)ANDELN

von Henrietta Clasen 14. Dezember 2021

Ich habe lange überlegt, mit welchen Worten ich Sinneswandel in diesem Jahr verabschieden möchte. Am Ende sind es nicht mal meine Eigenen geworden – aber irgendwie auch doch. Denn gibt es etwas Schöneres, als sich in den Gedanken eines anderen wiederzufinden? In ihrem Gedicht bewegt sie sich kæte mayor von “friedlicher Zerrissenheit”, Umkehrschlüssen, Wagnissen auf der Reise durchs “kosmische Chaos”, das sich Leben nennt. Ein stetiges “(W/H)ANDELN”.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Mehr von kæte mayor gibt es auf ihrem Instagram Kanal.
► Juliane Liebert: lieder an das große nichts. gedichte. Suhrkamp (03/21).

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: kæte mayor: (W/H)ANDELN – Von Abschieden, Neuanfängen und stetem Wandel

Wie beendet man ein Jahr wie dieses? Wie endet man überhaupt ein Jahr? Abschied, Neuanfang. Loslassen, einlassen. Wieso eigentlich ausgerechnet am Jahresende? Nachdem 12 Monate, 52 Wochen, 365 Tage und 8.760 Stunden verstrichen sind – ist es jetzt soweit? Wofür eigentlich? Für Neujahrsvorsätze, die gebrochen werden wollen? Nach einem Jahr, das ohnehin wenig von dem halten konnte, was es versprochen hat, dafür aber mit anderen Überraschungen um die Ecke kam? Welche, die ich nicht haben wollte, aber auch solche, von denen ich noch nicht wusste, dass ich sie nicht mehr werde missen wollen. Vieles ist anders gekommen, als geplant. Weil das Leben – Obacht, es wird pathetisch – nicht planbar ist. Zumindest nicht in den Zeiten, die von Leben geprägt sind. Vom Stolpern, Fallen(-)Lassen, Aufrappeln, Taumeln, noch schlaftrunken, manchmal übermütig – oft wankelmütig, zeitweise berauschend. Leben – etwas, für das es keine Anleitung, kein Richtig und Falsch gibt. Nur ein Versuchen. Sich darauf einlassen, loslassen. Von Vorstellungen, wie es auszusehen hat. Wie es geht, wohin es führt. Vertrauen trotz Verschwommenheit. Aller Ambivalenzen zum Trotz – im Innen wie im Außen. Oder wie Juliane Liebert schreibt: “wir brauchen strohfeuer, leuchtbotschaften, die einsamen, die lauten, die leichten dinge: herzrasen, wasserstoffbomben, popcorn”.

Ich habe lange überlegt, mit welchen Worten ich Sinneswandel in diesem Jahr verabschieden möchte. Am Ende sind es nicht mal meine Eigenen geworden – aber irgendwie auch doch. Denn gibt es etwas Schöneres, als sich in den Gedanken eines anderen wiederzufinden? Wenn die Resonanz von Worten zu einer Vibration der eigenen Seele führt? Du bist Reflexion, die mich reflektiert. Und wer weiß, wohin das führt. Wie weit die Strahlkraft trägt. Wir erfahren es nur, wenn wir uns tragen lassen. Wie das gelingen kann, davon erzählt kæte mayor. In ihrem Gedicht bewegt sie sich von “friedlicher Zerrissenheit”, Umkehrschlüssen, Wagnissen auf der Reise durchs “kosmischen Chaos”, das sich Leben nennt. Ein stetiges “(W/H)ANDELN”. Davon erzählt kæte mayor – die mich nicht nur als (Lebens-)Künstlerin inspiriert, sondern auch als Freundin immer wieder lehrt, trotz oder vielleicht auch gerade der Tiefen wegen, immer wieder die Leichtigkeit zu entdecken. ich danke dir kæte. Und danke euch, dass ihr uns euer Ohr schenkt. Danke, dass ihr Sinneswandel möglich macht.

(W/H)ANDELN von kæte mayor

INTRO_____

der Herbst hat mal wieder 
alles gegeben 
und tanzt aufs neue
mit der Vergänglichkeit 
feuerrot 
dem silbern schimmernden 
Kälteeinbruch entgegen

gespaltene Gefühle 
während dieser Übergangszeit
irgendwas 
zwischen euphorischer Melancholie
tobender Ruhe
und friedlicher Zerrissenheit

Manchmal 
nimmt der Tag kein Ende 
dann ziehen sich 
die vierundzwanzig Stunden ewig

Manchmal 
kann der Tag 
vor lauter Vorfreude 
auf den nächsten Tag
nicht schnell genug enden

Und manchmal 
ist die Magie zu schön 
und zu intensiv
um den Tag durch den Schlaf
zu beenden

Genau dann
fliegt die Zeit zu schnell vorbei
und wir wünschen uns 
nichts sehnlicher
als ein paar zusätzliche 
Sternstunden herbei

ÜBERWINTERN——

der kühle Winter naht 
und bejaht 
zum Ende des Kalenderjahrs 
mit frischer Klarheit 
den schillernden Neustart

auf dem Papier wird bald 
ein einschneidender Zahlensprung notiert 
und damit 
eine anstehende Veränderung
assoziiert

so motiviert 
werden neue Vorsätze und Wünsche 
auf die Sekunde genau 
datiert

die inneren Stimmen
zählen zusammen 
den Countdown 
schreien 
nach einem Neubeginn

..

neue Runde 
neues Glück
neue Hoffnung
und neue Erwartungen 
die das neue Kalenderjahr schmückt 

..

IN(S)HIDE____

Sehen wir wirklich 
unsere funkelnde Zukunft vor uns?
oder handelt es sich 
bei dem vermeintlichen Neustart 
nur um einen 
eigens kreierten Trugschluss?

Wir sehnen uns zwar
nach einem neuen Abschnitt 
vor lauter Euphorie 
Vernachlässigen wir allerdings
die Anteilnahme am Abschied 

Einmal im Jahr wird 
kurz mal eben drüber nachgedacht
„Was wurde so gemacht„
„mit wem hat man 
eine schöne Zeit verbracht“

die positiven Eindrücke werden 
auf dem Zahlenstrahl aufsummiert
und am Jahresende
durch die Anzahl aller erlebten Tage dividiert

Kurz 
durch den Überschuss an Serotonin verführt
kurz 
die vergangenen Erinnerungen gefühlt
kurz 
durch die warmen Gedanken berührt

Das Sammelsurium 
an bedrückenden Erfahrungen  
wird oft bei der Abschlussrechnung ausgeklammert
und überdurchschnittlich unterdimensioniert

Der Schmerz im Minus Bereich
sprengt zwar die Skala 
wenn man die Zahlen 
allerdings quadriert
werden diese 
durch den Vorzeichenwechsel 
im Positivum relativiert

Durch die Gleichung 
lässt sich eins erkennen:
unterm Strich
bildet der Durchschnitt 
die Randbedingung 
die wird unbemerkt
in unseren Alltag integrieren

ganz unbemerkt
werden Stillstand und Gewohnheit 
die Konstanten 
des eigenen Lebenswerk

die Vergangenheit zu verdrängen
Ist dementsprechend eine Verzweiflungstat
geleitet durch die Begierde 
die Wirklichkeit zu verändern

In die Gegenwart zurückgekehrt
verbleiben die Gefühle unstrukturiert
Und die verblassenden Erinnerungen
scheinen der einzige Halt 
nach Sicherheit

UEBERWINDUNG_____

Dabei äußern sich Veränderungen 
Lediglich in Unterschieden
zu den bereits gemachten Erfahrungen

abhängig der Umstände 
birgt es immer ein Restrisiko
mit der Zukunft
Verhandlungen zu führen
Wenn wir uns 
die Konsequenzen bildlich 
vor Augen führen

bei Gegenwind 
bedarf es großen Mutes und Überwindung 
gemischt mit Blindvertrauen
in das eigene Können
um die Kraft der inneren Stärke 
kennenzulernen

Wegen der Befürchtung vor

etwaiger Konsequenzen

geben wir uns 
unserer alten Routine hin
anstelle unsere Prioritäten 
klar zu setzen
brechen wir
unsere eigenen Versprechen

Der Umkehrschluss 
ergibt sich daraus,
dass sich der gegenwärtige Zustand 
etwas zieht, 
und die lang ersehnte Abfahrt 
In Richtung Einklang
sich nach hinten verschiebt 

durch die Warterei 
und die Ungewissheit 
Werden Selbstzweifel geschürt 
“Denn was, 
wenn das was kommt 
Uns nicht genügt?“

Wie soll der Neustart aussehen,
mit dem Wunsch nach
gleichzeitig der Furcht vor 
Veränderungen?


Wie können wir die Veränderungen
für uns nutzen und lenken
um leichter Entscheidungen zu fällen
und die Zukunft mit Zuversicht entgegenzunehmen?

Was bedeutet schon Scheitern?
Wie wird Erfolg bemessen?
Und wie entlarven sich 
unsere Fehlentscheidung?

Eins haben wir gelernt
nämlich 
dass der Gewohnheit zu verfallen
das Leben erschwert
und um jeden Preis 
gefallen zu wollen
über kurz oder lang 
zum Fall der Authentizität führt 

Egal wie oft wir das Blatt drehen
und versuchen uns 
den Veränderungen zu entziehen
können wir der süßen Versuchung des Wandels 
nicht widerstehen

WANDELN___

Wandel ist ein
Prozess  aus Dynamiken 
die Miteinander 
im Wechselspiel agieren 
Wandel ist grenzenlos
und viel mehr 
als nur eine wage 
Änderung der Konturen

Wandel ist weitaus größer 
als eine zeitabhängige Verwandlung
in einem beschränkten Rahmen
unter erdrückenden Randbedingungen
zwischen Dezember und Januar 

Wandel ist allgegenwärtig 
und unumgänglich
Wandel formt den Sinn
und ist für den Erhalt seiner selbst 
Lebens notwendig 

Wandel ist permanent 
mal mehr mal weniger existent
zu Beginn 
bekommen wir jedoch wenig
von dem Wandel mit
aufgrund seiner unterschwelligen Präsenz

In unserem Kosmos 
haben wir Einfluss auf den Wandel 
denn dieser wird verstärkt 
und angetrieben 
durch selbstbestimmtes Handeln 

HANDELN____

wir sind am Zug 
„etwas zu tun“
anstatt 
„nur so zu tun“
ansonsten bleibt der Wandel 
durch den Neubeginn 
lediglich eine Illusion

die Karten werden neu gemischt

allerdings nicht 
durch den Beginn 
eines neuen Kalenderjahres
sondern durch Eingeständnis 
der selbst bestimmten 
und eigenen Versäumnis 

Es geht darum aktiv
die Chancen zu ergreifen 
anstatt verpassten Gelegenheiten 
atemlos hinterher zu eilen 

wir sind mitverantwortlich 
für eine Veränderung 
Zugunsten unserer Zufriedenheit 

anstatt in ungünstigen Momenten
die Angst zu forcieren
können wir uns 
mit unserem Bewusstsein in Verbindung setzen
Gar verschmelzen
und als Teil eines größeren Ganzen 
fungieren
und schließlich 
beim Verblassen der Grenzen 
Frieden finden

Wir können
bleiben und lernen
auszuharren und zu verweilen
an Orten die einen einst 
zur Flucht verleiten

wir haben die Möglichkeit 
aus unserer Vergangenheit zu lernen
aus den Wunden die offen lagen 
die wir selber erschufen
und die wir stetig
zu flicken versuchen

Wir können lernen 
uns auf die Lektionen des Lebens
vorzubereiten
Lernen zu verstehen, 
nicht zu verstehen,
worum es im Leben geht.

wir besitzen die geistige Freiheit
mit unserem Verstand 
in der Zukunft zu leben
und sind in der Lage zu bestimmen
in welche Richtung 
wir uns in Zukunft bewegen

wir haben die Option
und damit das Privileg 
unseren Weg zu wählen
anstatt nur zuzusehen

Anstatt auf den Wandel zu warten
handelt das Leben viel mehr davon 
die volle Schönheit
und den vollen Genuss
an diesem Ort
zu einem späteren Zeitpunkt 
auszukosten 
und mitzugestalten

denn die Schönheit des Augenblicks
offenbart sich erst im Anschluss 
wenn die Zufriedenheit
tief in unsere Seele blickt

Lasst uns spüren und erleben, 
um noch intensiver zu Fühlen,
wie das Leben sich entwickeln kann
durch die unzählbaren Möglichkeiten 
die bestehen
mit der Option 
leichter durchs Leben zu schweben.

Es ist egal welche Taktik wir fahren, 
und was unsere Vorsätze besagen
solange wir unsere Ziele benennen 
und versuchen unsere Träume zu jagen 
Werden wir in prächtigen Farben baden. 

Einfach mal vom Leben 
durch die Gegenwart leiten lassen
statt zu flüchten
gelegentlich 
die Gegenwart vom Leben verleiten lassen

AUSSICHT____

Wem es verwehrt ist
die volle Schönheit des Lebens zu erleben 
und mit ihr im Sternenmeer unterzugehen
wird zum hellsten Stern
der ewigen Nacht
im tiefen Blau 
über dem Horizont
der jeher 
über alle von uns wacht

sie ertappen uns dabei
wie wir in ihren Sternbildern verloren gehen
ohne sie 
wären wir bloß etwas Leben 
ohne jeglichen Sinn

Mit leuchtenden Augen
dem Licht zugewandt,
schweben wir dahin
wie auf Wolken,
In schmeichelnder Wärme,
gehüllt in einen Umhang
aus Glückseligkeit,
Freude,
Liebe
und Leichtigkeit.

___

(NEU)JA

Die Liste meiner Vorsätze
endet nicht
sondern füllt sich
und ergänzt sich stetig

Sie erinnert mich 
An die Lektionen
die waren,
mich unerwartet überkamen
und mich auch zukünftig noch 
erwarten

Ich sage
„Ja ich will“

Dankbar sein 
und Einsicht zeigen,

andere Gefühle respektieren
die eignen gewaltfrei kommunizieren
und dabei ehrlich bleiben

Ich will
versuchen zu sehen
aktiv zuhören
besser verstehen

Stärken zusprechen
Und Schwächen annehmen

Ich will
Fokus legen
Und Pläne schmieden 
Optionen Abwägen
die Karten offen legen
und mit offenen Armen bereit stehen

endlich von dem Ballast lösen
und fallen lassen 
vom Boden der Tatsachen abheben
die Kontrolle abgeben 

„Ja ich will“ mich auf die Reise 
ins kosmischen Chaos begeben.

Freie fahrt
der Ungewissheit 
und unendlichen Möglichkeiten 
entgegentreten.

Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, dass kætes Worte auch mit euch auf die ein oder andere Art räsonieren. Wenn euch die Episode gefallen hat, dann freuen wir uns natürlich sehr, wenn ihr sie mit Freunden teilt. Ganz besonders bedanken möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal bei allen, die uns das Jahr über via Steady als Fördermitglieder unterstützt und damit erst Sinneswandel möglich gemacht haben. Das ist alles andere als selbstverständlich und macht mich unglaublich dankbar und glücklich. Wenn ihr uns also ein kleines Weihnachtsgeschenk machen möchtet, dann unterstützt uns gerne via Steady oder, ihr schickt uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast. Das steht aber auch alles noch mal in den Shownotes. Ich wünsche euch allen einen erholsamen Jahresausklang, seid gut zu euch und anderen. Wir sehen uns in 2022 im Sinneswandel Podcast!

14. Dezember 2021

I’ll be your mirror

von Henrietta Clasen 30. November 2021

Spiegelneuronen – ohne die Nervenzellen in unseren Gehirnen wären wir vielleicht nicht in der Lage, uns in andere hineinzuversetzen. Reflexion, sich spiegeln – im Außen, wie im Innen. Dafür braucht es Substanz – etwas, auf dem sich Projizieren lässt, sonst sehen wir nicht. Wie ein Diaprojektor, den man in die Leere richtet. Nichts. Betrachten wir Kunst, werden wir einerseits mit uns selbst konfrontiert, wie auch mit der Künstlerin – eine Synthese zweier Blicke. Inspiriert durch den Besuch der Ausstellung “Klasse Gesellschaft” in der Hamburger Kunsthalle mit den Künstlern Lars Eidinger und Stefan Marx, ist dieser kurze Impuls entstanden.  

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Ausstellung [“Klasse Gesellschaft – Alltag im Blick niederländischer Meister” mit Lars Eidinger und Stefan Marx – in der Hamburger Kunsthalle bis 27. März 2022.
► Die Zitate von Lars Eidinger stammen aus der Aufzeichnung der Ausstellungseröffnung am 25. November 2021 in der Hamburger Kunsthalle.
► Lars Eidinger auf Instagram.
► Stefan Marx auf Instagram.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: I’ll be your mirror – Der Blick der Anderen, ein Spiegel?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

“I’ll be your mirror” – weiß auf schwarz, in dicken Lettern leuchtet es mir von der Wand entgegen. Es ist ein Donnerstagabend im November, an dem ich in der Hamburger Kunsthalle stehe. Herbei gelockt von der Einladung zweier Künstler zu ihrer Vernissage. “I’ll be your mirror” – der Schriftzug, der auf der Leinwand vor mir prangt, stammt von dem Zeichner Stefan Marx. Zusammen mit Schauspieler und Künstler Lars Eidinger sind seine Werke Teil der Ausstellung “Klasse Gesellschaft”. Ich stehe gut einen Meter von dem besagten Bild entfernt. Es hat in etwa die Größe eines Badezimmerspiegels. Vielleicht ein bisschen größer. Ich könnte mich zumindest bis zum Bauchnabel darin sehen. Aber das möchte mir das Kunstwerk wohl kaum vermitteln. Obwohl – wieso nicht? Selbst, wenn diese Assoziation nahe liegt, bei dem Wort “mirror” an einen Spiegel zu denken, so ist der Gedanke, das Bild zumindest in mir, bei der Betrachtung des Kunstwerks entstanden. Ob der Künstler nun genau das bezwecken wollte, ist erst einmal zweitrangig. Denn vielleicht hat es ja auch gar nicht den einen Zweck zu erfüllen. Nicht die eine message, die es den Kunstschauenden vermitteln möchte – vielleicht geht es um etwas ganz anderes. Ich denke an die Worte zurück, die Lars Eidinger ein paar Minuten zuvor in der Eröffnungsrede an das Publikum gerichtet hat: “‘I’ll be your mirror’ ist in gewisser Weise missverständlich, weil Sie sind natürlich auch mein Spiegel. Ich brauche Sie ja unbedingt sozusagen, um mich zu begreifen. […] Und ich unterstelle Ihnen mal, oder anders gesagt, es wäre schön, wenn Sie gar nicht wegen mir hier sind, sondern wegen sich. Und, dass es um Sie geht heute Abend und, dass Sie was über sich verstehen wollen.”

I’ll be your mirror. Spiegelneuronen – ohne die Nervenzellen in unseren Gehirnen wären wir im Zweifel nicht in der Lage, uns in andere hineinzuversetzen. Reflexion. Sich spiegeln – im Außen, wie im Innen. Dafür braucht es Fläche, Substanz. Etwas, auf dem sich Projizieren lässt. Sonst sehen wir nicht. Wie ein Diaprojektor, den man in die Leere richtet. Nichts. Betrachte ich also die Bilder in der Ausstellung, werde ich einerseits mit mir selbst konfrontiert, wie auch mit dem Künstler. In gewisser Weise eine Synthese zweier Blicke: “Ich würde immer beschreiben, dass ich die Bilder benutze, um mich zu sehen, um mich darin wiederzuerkennen. Ich will die Bilder nicht zeigen, sondern mich selbst erkennen. Und ich möchte das Gegenüber dazu bringen, sich in diesen Bilder wiederzufinden und zu erkennen. Und das klingt vielleicht banal, aber es ist immer wieder interessant, was die Leute in den Bildern sehen und was das über sie erzählt. […] Wenn Sie da nach unten in den Raum gehen und meine Bilder sehen, dann zeige ich Ihnen wie es in mir aussieht.”

Absurd. Verstörend. Rührend. Mir fallen viele Wörter ein, mit denen sich die Fotografien von Lars Eidinger beschreiben ließen. Einige kenne ich bereits von seinem Instagram Kanal. Es sind Alltags Eindrücke, im weitesten Sinne – ready mades, wie Eidinger sie selbst bezeichnet. Früher hätte man wohl “Schnappschüsse” gesagt – aber im Zeitalter der Digitalität und Smartphone Fotos, klingt das zu antiquiert. Ready mades also. Ich stehe vor einem solchen. Die Fotografie zeigt ein älteres Paar, wie es sich gebannt Schmuck im Schaufenster ansieht, zu ihren Füßen liegt ein vermutlich Wohnungsloser, dessen Kopf zum Nickerchen auf einer Plastiktüte ruht. Ein anderes Bild zeigt zwei Männer. Der Größere von beiden hält einen Pappkarton über den Kleineren, um ihn vor dem Regen zu schützen. Er selbst trägt eine Papiertüte über dem Kopf. Die vollkommene Absurdität des menschlichen Seins und Tuns zeigt sich aber vermutlich in den Abbildungen, in denen nicht einmal Menschen anwesend sind – ihre Gegenwärtigkeit aber unübersehbar ist. So auf der Fotografie, die den Ast eines Baumes zeigt, der sich über die Errichtung eines Gartenzauns hinwegsetzt, indem er sich seine Wege sucht. Oder eine Treppe, die ins Nichts führt. “Vollendete Gegenwart”, nennt Eidinger diese Reihe. Nicht weil der Mensch in seinen Augen die Realität vervollkommnet – eher im Gegenteil: “…die Erkenntnis, dass der vermeintliche Zufall oder das Uninszenierte sich in einer Perfektion präsentiert, wie sie unnachahmlich ist. Ich kann diese Bilder nicht inszenieren. Und der Versuch ist immer erbärmlich. Und das interessiert mich auch an den Bildern, wo keine Menschen zu sehen sind. Weil man sieht, wie der Mensch versucht, etwas Natürliches, Kreatürliches zu imitieren und dabei so grandios scheitert. Und auch in der Abwesenheit des Menschen begreife ich den Menschen. Also die Bilder auf denen niemand zu sehen ist, sagen teilweise für mich mehr über die Menschheit aus, als Bilder auf denen Leute abgebildet sind.”

Und da wären wir wieder, bei der Konfrontation, dem Sehen und Gesehenwerden. „Der Blick des Anderen formt meinen Leib in seiner Nacktheit, läßt ihn entstehen, modelliert ihn, bringt ihn hervor, wie er ist, sieht ihn, wie ich ihn nie sehen werde“, schreibt Philosoph Jean-Paul Sartre in seinem Werk Das Sein und das Nichts. Weniger meinte er damit die Fotografie, als vielmehr den tatsächlichen Blick des Anderen, der mich spaltet: in Subjekt und Objekt zugleich. Weil ich mich erst in jenem Moment der Betrachtung eines Andern selbst erkenne und im selben Augenblick zum Gegenstand der Betrachtung werde, der sich meiner eigenen Beurteilung entzieht. Aber auch hier zeigt sich das, wovon Eidinger spricht, wenn er von Menschen erzählt, die Kunst betrachten. Was sie darin sehen, sagt oft mehr über sie selbst aus, als über das Objekt ihrer Betrachtung. Und gilt selbiges nicht auch, wenn wir Menschen beobachten? Sagt nicht unser Urteil, die Bewertung, die wir abgeben, mehr über uns aus, als über die Person, die in unser Blickfeld geraten ist? Es kann schmerzlich sein von anderen gesehen zu werden. Vor allem, wenn das Urteil anders ausfällt als unser eigenes oder, als wir es uns wünschen würden. Und doch liegt darin ein Potential verborgen. Natürlich nicht insofern, als dass wir jedes Bild, das uns widergespiegelt wird, ungefiltert und unhinterfragt in uns aufnehmen. Aber angeregt durch den Blickwinkel des Anderen, die eigene Perspektive zu hinterfragen, sich selbst oder die Welt und die Dinge in ihr in einem anderen Licht sehen zu können, das sind Erfahrungen, die uns als Einzelne nur schwer zugänglich sind: “Und dieses Verstehen und Begreifen, sich Erkennen, ist tatsächlich glaube ich die einzige Möglichkeit für den Menschen sich weiterzuentwickeln. Und wie oft schaffen wir es eigentlich gar nicht, in den Spiegel zu schauen. Vor allem nicht so zu schauen, oder sich so zu betrachten, wie wir eigentlich sind. Also wie oft schützen wir uns durch eine Maskerade oder spielen uns selbst was vor. Und das führt letztendlich immer zu einem großen Missverständnis und wahrscheinlich in letzter Konsequenz zu einer Form von Selbsthass oder Verachtung. Und dieses sich selbst Annehmen, das merke ich für mich, das ist der eigentliche Antrieb. Das ist das Ziel.”

Es liegt also auch etwas Versöhnliches, im Erkennen und Erkanntwerden. Wenn wir begreifen, dass wir nicht die einzigen sind, die an Banalitäten scheitern, deren Probleme weltlich sind und deren Leben überhaupt ziemlich trivial ist. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb wir uns so sehr nach Authentizität sehnen. Weshalb wir gebannt Reality Shows verfolgen und uns auf Instagram durch die Stories von Fremden und Freunden klicken. Immer auf der Suche nach dem Ungefilterten, dem Alltäglichen – was dort in Wirklichkeit natürlich nicht zu finden ist. Und doch ziehen sie uns an, die sozialen Netzwerke. Weil sie bedienen, wonach wir suchen: Bestätigung. Weil wir sehen und gesehen werden. Plötzlich Einblicke in die Leben anderer Menschen erhalten, die uns eigentlich so fern scheinen. Wir ziehen Vergleiche – was natürlich nicht immer dienlich ist Vor allem, wenn wir, außer dem teils inszenierten und kuratierten Alltag der Menschen dort, kaum etwas über sie wissen. Aber eben in jener Ambivalenz erkennt Eidinger die Schönheit für sich: “Ich schöpfe immer aus dem Widerspruch. Der Satz von Brecht: “Die Widersprüche sind unsere Hoffnung”, das ist mein Credo. Und ich merke, dass im Widerspruch alles an Potential steckt, was man mit Talent für sich nutzbar machen kann. Und ein Begriff, wie “Soziale Netzwerke”, ist ein klassisches Oxymoron. Es gibt keinen Ort, der asozialer ist, als diese Netzwerke. Und trotzdem bin ich davon alles andere als fasziniert. Ich bin davon fasziniert angewidert. Und wahrscheinlich in letzter Konsequenz einfach nur hochgradig abhängig.”
Insofern lasst uns lieber den Blick vom Bildschirm lösen. Manchmal muss man auch nicht alles sehen und gesehen haben. Außer die Ausstellung “Klasse Gesellschaft”, die möchte ich an dieser Stelle doch noch kurz empfehlen. Ein kurzer Blick in die Shownotes genügt, da findet ihr mehr Infos. Wenn euch die Episode gefallen hat, freuen auch wir uns natürlich über Bestätigung jeder Art. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast!

30. November 2021

Florian Illies: (Braucht es mehr) Liebe in Zeiten des Hasses?

von Henrietta Clasen 23. November 2021

Es sei nicht möglich, eindeutige Lehrsätze aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu ziehen, aber jede Generation solle versuchen Fragen an die Geschichte zu stellen – weil das Überraschende sei, so Florian Illies, dass die Geschichte uns dann ganz neue Antworten gebe. In seinem neuen Buch “Liebe in Zeiten des Hasses” erkundet der Autor und Kunsthistoriker die “Goldenen Zwanziger” anhand ihrer Beziehungskonstellationen. Denn die Liebe, so Illies, eröffne uns neue Perspektiven auf die Zeit. Was wir aus der Geschichte und durch die Gefühlseindrücke der Protagonisten aus der Berliner und Pariser Boheme lernen können, darüber hat Marilena Berends mit dem Autor selbst gesprochen.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Florian Illies: “Liebe in Zeiten des Hasses – Chronik eines Gefühls 1929 – 1939”, S. Fischer 2021.
► Helmuth Lethen: “Verhaltenslehre der Kälte”, Suhrkamp 2014.
► Hörenswert: “Augen zu” – der Kunstpodcast der ZEIT mit Florian Illies und Giovanni di Lorenzo.

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► sinneswandel.art

23. November 2021

Samira El Ouassil: Können Geschichten die Welt verändern?

von Henrietta Clasen 16. November 2021

Eine Geschichte kann die Welt retten, ebenso, wie sie zerstören. Eine Geschichte kann Wahlen entscheiden, Kriege auslösen, aber auch Menschen miteinander verbinden. Das behaupten zumindest Samira El Ouassil und Friedemann Karig. Die zwei Autor*innen haben ein Buch geschrieben: „Erzählende Affen“. Es handelt von Mythen, Lügen, Utopien – eben Geschichten, die unser Leben bestimmen. Früher, als wir noch um das Lagerfeuer herum saßen und unsere Erlebnisse teilten, wie auch heute, wenn wir twittern oder Zeitung lesen. Der Mensch sei nun mal ein “homo narrans”, so lautet Samiras und Friedemanns These. Mit ihrem neuen Buch wollen sie aufzeigen, welche kollektiven Erzählungen uns heute gefährden und weshalb es an der Zeit ist für neue Narrative. 

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Der Sponsor der heutigen Episode ist FLSK. Unter dem Motto „Made for movement“ produziert FLSK innovative und designorientierte Trinkflaschen und seit kurzem auch den CUP Coffee to go-Becher. Mit dem könnt ihr euren Kaffee unterwegs nachhaltiger genießen. Mit „sinneswandel15“ erhaltet ihr bis Ende diesen Jahres 15 Prozent auf alle FLSK-Produkte, ohne Mindestbestellwert.

► Samira El Ouassil, Friedemann Karig: “Erzählende Affen – Mythen, Lügen, Utopien – wie Geschichten unser Leben bestimmen”, Ullstein (2021).
►Samira und Friedemann findet ihr auch auf Twitter.
►Hörenswert: Piratensender Powerplay, der wöchentlich am Samstag erscheinende Podcast von Samira und Friedemann.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

16. November 2021

Tatjana Schnell: (Lebens-)Sinn – etwas Kollektives?

von Henrietta Clasen 9. November 2021

Es scheint ganz so, als genüge es uns Menschen nicht, einfach nur zu Existieren. Wir brauchen einen Grund weshalb wir uns morgens aufraffen – die Freude am Sein allein, sie mag Mönche und Buddhisten beglücken – den postmodernen Menschen berauscht sie längst nicht mehr. Kein Wunder, möchte man sagen! Sind die Büchereien doch gefüllt mit Ratgeberliteratur, deren Titel uns aufmunternd zurufen: “Finde dich selbst!” Sie ist zum Greifen nah, die Erfüllung, wir müssen nur die Hand ausstrecken und zugreifen. So zumindest lautet das Glücksversprechen des modernen Kapitalismus. Aber ist das wirklich so? Existiert so etwas, wie ein individueller Lebenssinn, eine Art Berufung, die es zu Suchen und Finden gilt? Oder entsteht Bedeutung nicht vielmehr im Kollektiv(en)? Um das herauszufinden, habe ich mich mit Psychologin und Sinnforscherin Prof. Dr. Tatjana Schnell unterhalten.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Sinnforschung.org Sinnforschung an der Universität Innsbruck mit Informationen und Studien zum Thema Lebenssinn.
► Buch: “Psychologie des Lebenssinns”, Springer Verlag (2020).
► Aktuelle Forschungsergebnisse zu psychologischen und existenziellen Aspekten der COVID-19 Pandemie.
► Mihály Csíkszentmihályi: “Flow. Das Geheimnis des Glücks”, Klett-Cotta (2002).
► David Graeber: “Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit”, Klett-Cotta (2009).
► Karl Jaspers: “Leben als Grenzsituation. Eine Biographie in Briefen”, Wallstein (2019).

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

9. November 2021

Helmut Milz: Ist uns die Sinnlichkeit abhanden gekommen?

von Henrietta Clasen 2. November 2021

Seit jeher existiert in den Geisteswissenschaften ein reger Diskurs über die Frage nach der menschlichen Existenz und was sie ausmacht. Beseelter Leib? Beleibte Seele? Auch Mediziner und Publizist Helmut Milz unternimmt in seinem Buch „Der eigen-sinnige Mensch“ eine Reise durch die Sinnwelten unseres menschlichen Seins, die uns vom Leib über Körperbilder, bis zum “Quantified Self” der Postmoderne führt. Um einer Vergeistigung und gleichzeitigen Entsinnlichung der Welt entgegenzuwirken, plädiert Helmut Milz für eine Förderung “sinnlicher Intelligenz”. Nicht nur des eigenen Wohlbefindens wegen, sondern auch, weil ohne diese Fähigkeit kein gesellschaftlicher Sinnes-wandel möglich sei. Was das genau bedeutet, darum soll es in dieser Episode gehen.

Shownotes:

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► Website von Prof. Dr. med. Helmut Milz.
► Buch: “Der eigen-sinnige Mensch – Körper, Leib & Seele im Wandel”, AT Verlag (2019).
► Vortrag: “Sinnes-wandel”, Grazer Leib-Symposium (01/20).

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

2. November 2021

Michael Brüggemann: Wie neutral kann Journalismus wirklich sein?

von Henrietta Clasen 19. Oktober 2021

Bereits in der letzten Episode haben wir über den sogenannten “Transformativen Journalismus” gesprochen. Also Journalismus, der neben der Problembeschreibung auch Lösungsansätze präsentiert und versucht, Akteure die eine nachhaltige Transformation begünstigen, durch Sichtbarkeit zu stärken. Da wir das Thema für sehr spannend halten und euch die Möglichkeit geben wollen etwas mehr in die Tiefe zu gehen, präsentieren wir euch heute das Gespräch mit dem Kommunikationswissenschaftler Michael Brüggemann in ganzer Länge. Thema ist nicht nur, wie der Klimawandel bisher in der Medienlandschaft repräsentiert wird, sondern auch, welcher Umgang in Medien mit Klimaskeptikern und -leugnern sinnvoll ist.

Shownotes:

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Die heutige Episode wird präsentiert von der ZDF-Dokureihe plan b. Darin geht es um Menschen, die einfach mal machen: ob Licht aus Brot, Lachs aus Möhren oder Leder aus Kaktus. Klingt schräg – wenn Ihr wissen wollt, wie’s funktioniert, dann schaut in der ZDF-Mediathek auf planb.zdf.de vorbei.

► Episode 98 zum Thema “Transformativer Journalismus” könnt ihr hier nachhören.
►Hier erfahrt ihr mehr über Prof. Michael Brüggemann und seine Forschungsarbeit.
► Michael Brüggemann, Sven Engesser: Falsche Ausgewogenheit? Eine journalistische Berufsnorm auf dem Prüfstand in: “Verantwortung – Gerechtigkeit – Öffentlichkeit: Normative Perspektiven auf Kommunikation”, S. 51-63 (2016).
► the consensus project of skeptical science.
► S4F: Handbuch zum Klimakonsens – kostenlos als PDF.
► IPCC: Sixth Assessment Report (08/2021).
► Artikel des WELT-Wissenschaftsjournalisten Axel Bojanowski sind hier nachzulesen.

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19. Oktober 2021

“Klimajournalismus” – ist das schon Aktivismus?

von Henrietta Clasen 12. Oktober 2021

Ist der Begriff “Klimawandel” zu schwach? Sollten Journalist*innen lieber Begriffe, wie “Klimakrise” oder “Klimanotstand” verwenden – oder ist das vielleicht sogar eher kontraproduktiv? Immer häufiger wird über die Frage diskutiert, wie neutral oder objektiv Journalist*innen und Medienschaffende in der Berichterstattung von Klimafakten sein sollten. Darf man sich wirklich unter keinen Umständen mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer Guten? In dieser Episode betrachten wir unterschiedliche Perspektiven auf den “Transformativen Journalismus” – u.a. mit Kommunikationsforscher Prof. Michael Brüggemann.

Shownotes:

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Die heutige Episode wird präsentiert von der ZDF-Dokureihe plan b. Darin geht es um Menschen, die einfach mal machen: ob Licht aus Brot, Lachs aus Möhren oder Leder aus Kaktus. Klingt schräg – wenn Ihr wissen wollt, wie’s funktioniert, dann schaut in der ZDF-Mediathek auf planb.zdf.de vorbei.

► The Club of Rome: Die Grenzen des Wachstums (1972), bpb.
► Sechster IPCC-Sachstandsbericht (AR6) – Teil 1 (08/2021).
► Studie von Sven Engesser und Michael Brüggemann: Falsche Ausgewogenheit? Eine journalistische Berufsnorm auf dem Prüfstand, (02/20).
► IOP Science-Studie: Quantifying the consensus on anthropogenic global warming in the scientific literature, (2013).
► Studie der World Weather Attribution: Heavy rainfall which led to severe flooding in Western Europe made more likely by climate change, (08/21). 
► the consensus project by Skeptical Science.
► Wissenschaft im Dialog: Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR.
► Blog Postwachstum: Konstruktiven Journalismus neu denken von Uwe Kröger.  
► Übermedien: Journalist:innen, nehmt die Klimakrise ernst!, offener Brief von Sara Schurmann (09/20).
► taz: Zur Sprache des Klimajournalismus – Vorschläge für die Verwendung alter und neuer Schlüsselbegriffe von Torsten Schäfer.
► Initiative Covering Climate Now.
► Netzwerk Klimajournalismus Deutschland.
► Online-Plattform Grüner Journalismus.
► Initiative KLIMA vor acht.
► RTL: Klima Update.
► Tweet Bernd Ulrich (7.9.2020).
► Tweet Teresa Bücker (7.9.2020).
► WELT: Der unappetitliche Klima-Bluff von Axel Bojanowski (09/21).
► WELT: Die unterschätzte Macht der grünen Lobby von Axel Bojanowski (04/21).

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Transkript: “Klimajournalismus” – ist das schon Aktivismus?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

*Werbung* Unser Podcast wird heute präsentiert von der ZDF-Dokureihe „plan b“. plan b ist Fernsehen mal anders: nämlich mit positivem Ansatz, nach dem Motto: Wo ist eigentlich die Lösung? Die Dokureihe handelt von Menschen, die einfach mal machen: ob in Sachen Klimaschutz, Technik oder Gesellschaft. Licht aus Brot, Lachs aus Möhren oder Leder aus Kaktus. Klingt schräg – wenn Ihr wissen wollt, wie’s funktioniert, dann schaut  in der ZDF-Mediathek auf planb.zdf.de vorbei. Da gibt es jede Menge Geschichten von Andersmacher*innen und Stories die zeigen, was alles möglich ist. *Werbung Ende*

Nein, das war nicht die Tagesschau von gestern Abend – hätte es aber durchaus sein können. Das war eine Ausstrahlung von 1995. Bereits 1972 allerdings, veröffentlichte der Club of Rome die “Grenzen des Wachstums”. Darin heißt es: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ Noch sind zwar keine hundert Jahre seitdem vergangen, doch hat die Bedrohlichkeit dieser Warnung keinesfalls an Dringlichkeit verloren – ganz im Gegenteil. Erst kürzlich stellte das Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC, Teil eins des Sechsten Weltklimaberichts vor. 1990 erschien der Erste, der als Basis für die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen diente. Seitdem fassen die Berichte regelmäßig den aktuellen wissenschaftlichen Stand über die Beeinflussung des Erdsystems durch uns Menschen zusammen und, welche Konsequenzen daraus möglicherweise folgen. Es ist nicht irgendeine Studie, sondern der Bericht, auf dessen Erscheinen weltweit – hingefiebert wäre vermutlich zu viel gesagt – ihn aber doch mit Spannung erwartet hat. Nicht umsonst wird er auch als “Realitätscheck” gehandelt. Und der fällt gar nicht mal allzu gut aus, betrachtet man eine der zentralen Kernaussagen der Leitautor*innen, die lautet: “Die Menschheit wird die Pariser Klimaziele verfehlen, wenn die Treibhausgasemissionen nicht schnell und drastisch reduziert werden.” Konkret bedeutet das: Wenn nicht alle Länder der Welt ihre Emissionen reduzieren, wird es schon bald unmöglich sein, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Und das wiederum würde mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dramatische Folgen für künftige Generationen haben. Der Bericht zeigt aber zugleich: Noch liegt es in unserer und vor allem politischer Hand, den fahrenden Zug aufzuhalten, bevor es zu spät ist und die Realität uns in Form drohender Kipppunkte, einholen wird. Es sind alarmierende aber durchaus auch ermutigende Ergebnisse, wenn man den Handlungsspielraum betrachtet, der offensichtlich noch vorhanden ist. Wäre das allein nicht Grund genug, weltweit und mit Nachdruck medial davon zu berichten? Zumal sich diese Krise, laut Wissenschaft, auch nur in globaler Zusammenarbeit lösen lässt.

Kurz nach Erscheinen des Sechsten IPCC-Berichts am 9. August diesen Jahres, hätte man den Eindruck gewinnen können, dass genau das geschieht. Vielerorts, auf öffentlich-rechtlichen als auch privaten Sendern, Zeitungen und Plattformen wurden die Ergebnisse Weltklimarats geteilt. Doch bereits nach wenigen Tagen ebbte die Aufmerksamkeitsflut wieder ab und andere Themen rückten in den Vordergrund. Lag es an der Komplexität der Sachzusammenhänge, waren die Ergebnisse des Berichts nicht “catchy” genug, oder liegt der Grund vielmehr in der Beschaffenheit unserer heutigen Medienlandschaft? Es ist gewissermaßen eine Kombination aus beidem, sagt Kommunikationswissenschaftler Prof. Michael Brüggemann, der an der Universität Hamburg erforscht, wie der Klimawandel in Medien und Wissenschaft thematisiert und rezipiert wird: “Dem Journalismus gerät der Klimawandel immer wieder aus dem Blick, weil er nicht den  Aufmerksamkeitskriterien genügt, die Journalist*innen anlegen. Der Journalismus ist fokussiert auf kurze Ereignisse. Und der Klimawandel ist ein langsamer, über Jahrzehnte oder sogar über Jahrhunderte laufender Prozess. Und das ist praktisch die Brille, die Journalisten auf haben, die sehen die strukturellen Probleme dann nur sehr schlecht und vergessen dann kontinuierlich darüber zu berichten.”  Das könnte sich natürlich ändern, wenn die Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel mit großer Wahrcheinlichkeit vermehrt auftreten werden, sich künftig häufen – aber will man es darauf ankommen lassen? Hinzu kommt, dass es nicht nur an Frequenz hinsichtlich der Berichterstattung zum Klimawandel und seinen Auswirkungen bisher mangelt, auch inhaltlich wird dem Thema, zumindest, wenn es nach einer ganzen Reihe an Medienschaffenden wie auch Wissenschaftler*innen geht, nicht Genüge getragen. 

Aus diesem Anlass veröffentlichte die Journalistin Sara Schurmann im September letzten Jahres einen offenen Brief, in dem sie ihre Kolleg*innen dazu aufforderte, die Klimakrise endlich ernst zu nehmen – ergo sich in der Verantwortung zu sehen, häufiger und mit mehr Nachdruck über sie zu berichten. In diesem Brief heißt es: “Nicht nur die Klimaleugner:innen sind das Problem, auch wir sind es. Solange eine kritische Masse an Journalist:innen das nicht verstanden hat und ihre Arbeit nicht danach ausrichtet, solange werden auch Politiker:innen nicht entsprechend handeln.” In Schurmann’s Worten schwingt eine gewisse Verzweiflung, zugleich aber auch Hoffnung mit. Was sie mit ihrem Appell keineswegs bezwecken will, ist eine pauschale Kritik an allen Journalist*innen, derzufolge sie ihrer Verantwortung nicht gerecht würden. Es gibt viele exzellente Berichte über die Klimakrise und Journalist*innen, die seit Jahren unermüdlich vor den Auswirkungen warnen. Allerdings, so Schurmann, sei die Klimakrise “weit mehr als ein Fall für Fachjournalist:innen”. Sie betreffe alle Bereiche unseres Lebens und damit auch des Journalismus: “Mit ist selbst erst vor über einem Jahr bewusst geworden wie akut die Klimakrise eigentlich ist. Einer der Anlässe damals war, dass die Berichterstattung über dieses EU Corona Finanzpaket, das die Wirtschaft ankurbeln soll nach der Corona-Krise, das die Klimakrise nicht mitgedacht hat. […] Mir war zu dem Zeitpunkt relativ klar, das sind genau die 7 Jahre, in dem wir das Geld für klassische Wirtschaftsförderung ausgeben wollen, sind genau der Zeitraum in dem wir noch Zeit haben unsere Emissionen drastisch zu reduzieren und das geht nicht zusammen. Klassische Wirtschaftsförderung und Emissionen reduzieren ist im moment noch nicht kompatibel, da Emissionen und Wirtschaftswachstum nicht völlig voneinander entkoppelt sind. Als das so wenig mitgedacht wurde in den Artikeln, ging mir auf “wow, vermutlich wird Klima auch bei anderen Sachen vernachlässigt”. Das war der Punkt, in dem mir aufging, dass wir die Klimakrise im Gesamtbild, im medialen, nicht adäquat darstellen. Das war der Anlass, dass ich diesen offenen Brief geschrieben und publiziert habe.” 50 Journalist*innen unterstützen den Aufruf initial, rund 250 Menschen weltweit haben ihn mittlerweile unterzeichnet. Ganz allein steht Sara Schurmann keinesfalls mit ihrer These da. Auch Kommunikationswissenschaftler Brüggemann ist der Auffassung, der Klimawandel dürfe kein Nischenthema für Fachexpert*innen bleiben und damit in Umweltressorts – sofern diese überhaupt existieren – verbleiben. Vielmehr sei die Klimaberichterstattung ein “Querschnittsthema”. Konkret bedeutet das: Wird über das neue Iphone berichtet, so sei es wünschenswert, würde darin auch die Rohstoffgewinnung oder die Recyclingfähigkeit eine Rolle spielen. Gleiches gilt für Themen, wie das Reisen, Architektur, Film, Verkehr oder Mode. Natürlich ist es nicht immer möglich, in jedem einzelnen Artikel oder jeder Sendung differenziert auf die klimatischen Aspekte im Zusammenhang einzugehen, aber zumindest sollte es grundsätzlich mitgedacht und nicht an die Redakteur*innen der Wissenschaftsressorts ausgelagert werden. Aus diesem Grund gründete Sara Schurmann auch gemeinsam mit Kolleg*innen ein ressort- und  medien-übergreifendes Netzwerk: “Wir haben das “Netzwerk Klimajournalismus Deutschland” gegründet, um Kolleg*innen zusammenzubringen, die sich entweder schon mit Klimajournalismus beschäftigen oder die sich mehr damit beschäftigen wollen, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Wir wollen sowohl Inputs und einen fachlichen Austausch bieten, als auch einen redaktionellen Austausch. Gerade auch für Kolleg*innen, die frei arbeiten und nicht so viel Gelegenheit haben sich mit anderen auszutauschen oder auch Kolleg*innen, die in ihrer Redaktion Klima- oder Biodiversität alleine beackern als Thema. Wir haben das Netzwerk sehr bewusst Netzwerk Klimajournalismus Deutschland genannt und nicht “Journalists For Future”, weil uns schon klar ist, dass diese aktivistische Vermischung und sich in die FF-Bewegung einzureihen journalistisch so nicht geht. Man muss, auch zu dieser Bewegung, eine Distanz waren. Auch wenn ich grundsätzlich ihre Forderungen, dass wir unsere Lebensgrundlage erhalten, unterstütze. Aber natürlich müssen wir als Journalist*innen auch über diese Bewegung kritisch berichten können und ich finde insgesamt sich mit Bewegungen gemein zu machen, von denen man nicht weiß, wie sie sich entwickeln und welche Wendungen die noch nehmen, journalistisch schwierig. Von daher gibts dafür auch nicht die Notwendigkeit. Es geht, wie gesagt, erstmal um den Austausch, darum, Leute zusammenzubringen und sie dadurch vielleicht auch zu motivieren weiter zu machen, weil es auch ganz schön deprimierend sein kann, sich die ganze Zeit mit Klima und den Krisen alleine zu beschäftigen. Schon allein auch ein emotionaler Austausch unter Kolleg*innen kann da wahnsinnig viel wert sein.” 

Teil des Gründungsteams ist auch der Umweltjournalist und Hochschulprofessor Torsten Schäfer. Bis heute leitet er das Online-Portal “Grüner Journalismus” und erstellte im September vergangenen Jahres für die taz ein Konzept für eine “klimagerechte Sprache” – denn auch die forme, wie die taz schreibt, unser Denken und damit auch unser Klimabewusst-Sein. Die Empfehlungen Schäfer’s beziehen sich dabei insbesondere auf das Framing, also den Rahmen in dem der Inhalt medial eingebettet wird. Ist der Begriff “Klimawandel” zu schwach? Sollten Journalist*innen lieber Begriffe, wie “Klimakrise” oder gar “Klimanotstand” verwenden – oder ist das vielleicht sogar eher kontraproduktiv? Ziel der Empfehlungen einer “klimagerechten Sprache” sei es nicht, Sprachverbote oder Regeln aufzustellen. Vielmehr sei sie “Ausdruck von Vielfalt und sollte daher auch journalistisch offen bleiben, dies freilich in einem Rahmen, den normative Kontexte wie Demokratie und planetare Grenzen setzen”, so Schäfer. Der Diskurs um die mediale Berichterstattung der Klimakrise, der in Deutschland gefühlt erst jetzt Fahrt aufnimmt, hat international bereits vor einigen Jahren begonnen. Resultat daraus ist unter anderen die Initiative  “Covering Climate Now”, initiiert von dem renommierten Fachmagazin Columbia Journalism Review. Im Sommer 2019 riefen diese Medien in aller Welt dazu auf, sich an einer Klima-Themenwoche zu beteiligen. Vom 16. bis 23. September, also bis zum Auftakt des UN-Klimagipfels, der 2019 in New York stattfand, beteiligten sich rund 200 Medien weltweit an der Aktion. Der Guardian, die Nachrichtenagentur Bloomberg, die Huffington Post, ebenso, wie die taz, verpflichteten sich, “in dieser Woche mit Wucht über dieses doch eigentlich journalistisch so undankbare Thema zu berichten”, wie es der SPIEGEL formulierte. Ziel der Initiative “Covering Climate Now”, die aufgrund der großen Resonanz bis heute weitergeführt wird, ist es, neben der Prominenz und Sichtbarkeit, die dem Klimathema dadurch gewidmet wird, die Geschichten auch so zu erzählen, dass die Menschen sie auch begreifen. Es ginge nicht darum, den Leuten vorzuschreiben, was sie publizieren oder senden, wie die Initiatoren immer wieder betonen. Vielmehr ginge es darum, die Öffentlichkeit zu informieren und Debatten zu ermöglichen, da das Thema uns alle anginge. 

Für einige Medienschaffende geht das allerdings zu weit. Ganz im Sinne des deutschen Journalisten und ehemaligen Tagesthemen Moderators Hans Joachim Friedrichs, von dem die Worte stammen: „Ein Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten“, sehen sie eine Gefahr in diesem Verständnis von Journalismus. Dieser habe den Grundsatz der Objektivität zu erfüllen – wer Überzeugungsarbeit leisten will, der soll sich den Aktivist*innen anschließen, so der Tonus einige Kritiker*innen. Worauf sich diese beziehen, ist der Anspruch des Journalismus auf Ausgewogenheit. Sprich, der Pluralismus in den Medien soll durch die Präsentation verschiedener Meinungen und Perspektiven erhalten bleiben. Klingt sinnvoll, ist es auch! Aber was bedeutet das eigentlich im Hinblick auf die Berichterstattung zum Klimawandel? Ist die Konsequenz daraus, dass Journalist*innen ihre Leser- oder Hörerschaft nicht vom menschengemachten Klimawandel überzeugen dürfen? Wenn man überhaupt von überzeugen sprechen kann, wenn sich mehr als 97 Prozent der führenden Wissenschaft längst darin einig sind, dass dieser menschengemacht ist und wir etwas gegen sein Voranschreiten tun müssen. Oder ist mit Ausgewogenheit gemeint, dass, wenn über den Klimawandel berichtet wird, unterschiedliche Perspektiven aufgezeigt werden müssen? Wer eine Umweltwissenschaftlerin in eine Talkshow einlädt, muss er ihr gegenüber dan einen Klimaskeptiker oder gar -leugner platzieren? Gerade das sollte tunlichst vermieden werden, sagt Kommunikationswissenschaftler Michael Brüggemann. Er hat gemeinsam mit Kolleg*innen zur sogenannten “Falschen Ausgewogenheit” geforscht und kam zu folgenden Erkenntnissen: “Zu Recht wollen Journalist*innen die Vielfalt der Meinungen darstellen und ausgewogen berichten. Und ‘falsche Ausgewogenheit’ ist dann, wenn man über eine wissenschaftliche Faktenfrage, über die Konsens herrscht, wie, dass es den anthropogenen Klimawandel gibt oder, dass Impfungen bei bestimmten Erkrankungen eine sehr wichtige und unschädliche Sache sind, da, wo es also gar keine Debatte, sondern einen Konsens gibt unter denen, die sich da auskennen, dass dann manche Journalisten denken: “Ich muss da jetzt meine Ausgewogenheit machen. Deshalb brauche ich immer jemanden, der bestreitet, dass der Klimawandel ein ernstzunehmendes Problem ist oder der bestreitet, dass die Menschen den Klimawandel verursachen.” Was dann wie eine 50:50-Balance aussieht, ist aber eigentlich eher ein 97:3-Verhältnis, zumindest, wenn wir vom Klimawandel sprechen. Das bedeutet nicht, dass keine Kritik an diesem Thema geäußert werden könne, nur müsse das Verhältnis zwischen solchen, die extreme und meist in der Minderheit vorhandene Meinungen vertreten und jenen die den wissenschaftlichen Konsens vertreten, entsprechend dargestellt werden. “Und so müsste es dann eigentlich sein, dass man sagt: ‘Okay, ich lade mir jetzt die 97 Experten ein, die sagen, dass es den Klimawandel gibt und die drei, sogenannten Experten, die das bestreiten’.”  Wichtig sei es vor allem die Thesen in den Kontext einzuordnen, insbesondere, wenn sogenannte “Klimaskeptiker” zu Wort kämen. Dies werde auch bereits von vielen Journalist*innen so gehandhabt, wie Brüggemann und sein Forschungsteam herausfanden: “Was wir in unserer Studie gesehen haben, in verschiedenen Ländern in der Qualitätspresse und in führenden Online-Angeboten, dass das zum Glück ein bisschen nachgelassen hat, dass der Journalismus was gelernt hat und die Leute, die das wirklich wider jeglicher Vernunft abstreiten, dass es den Klimawandel gibt, dass die weniger neutral zu Wort kommen, sondern, dass in der Regel Journalist*innen das kontextualisieren und sagen: “Hier gibt es den Bericht des Weltklimarats, wo der Forschungsstand gut zusammengefasst wird. Und dann gibt es aber auch Leute, die das bezweifeln.” Empfehlen würde Brüggemann grundsätzlich jedoch, Extrempositionen zu vermeiden, auch, wenn diese oft zu höheren Klickraten führen.

Ganz beantwortet ist die Frage, ob sich der Journalismus wirklich angreifbar macht, indem er der Klimaberichterstattung eine gewisse Priorisierung einräumt und damit vermeintlich weniger objektiv dasteht, allerdings noch nicht. Die Journalistin Sara Schurmann schreibt in ihrem besagtem offenen Brief, viele Medienschaffende würden zu Recht den Unterschied von Aktivismus und Journalismus betonen. Aber “die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels als vierte Gewalt zu kontrollieren”, sei kein Aktivismus, als vielmehr “wissenschaftlich, menschlich und journalistisch geboten”, so Schurmann. Für Umweltjournalist Torsten Schäfer hat Nachhaltigkeit sogar die gleiche Bedeutung wie etwa Meinungsvielfalt und Bürgerrecht, für deren Erhalt sich innerhalb von Demokratien Journalist*innen auch problemlos einsetzen können. Warum dann nicht auch für die Bekämpfung des Klimawandels? Weshalb macht man sich hier als Journalist*in schnell des Aktivismus verdächtig? Ist es so abwegig, dass einem das Thema und damit der Erhalt von Mensch und Erde, am Herzen liegt? Wie objektiv können Journalist*innen im Hinblick auf die Klimakrise überhaupt sein, wenn sie doch uns alle betrifft? Sara Schurmann hat darauf für sich eine recht klare Antwort gefunden: “Hier ist natürlich die Frage was man unter Neutralität oder Objektivität versteht. Ich würde darunter erstmal verstehen, dass man sich an wissenschaftliche Fakten hält. Ich glaube nicht, dass man sich als Journalist neutral zwischen die Option Klimaschutz oder kein Klimaschutz stellen kann. Denn, dass es Klimaschutz unbedingt braucht, ist wissenschaftlich absolut eindeutig, wenn wir den nicht machen, gefährden wir die Menschheit. Von daher ist das glaube ich nicht die Position der Neutralität, die man einnehmen kann. Neutral wäre es eher, sich an einen wissenschaftlichen Konsens zu halten und diesen hochzuhalten – und der fordert auf jeden Fall Klimaschutz.”

Wissenschaft braucht guten Journalismus, der in der Lage ist die Ergebnisse für ein Publikum aufzubereiten, das in der Regel nicht so tief in den Themen steckt. Dafür müssen Journalist*innen häufig, einerseits aus Platzmangel und, um Komplexität zu reduzieren, Abstriche machen. Ansonsten könnten sie ja auch einfach die wissenschaftlichen Paper bei sich eins zu eins abdrucken lassen. Aber wer hat schon Zeit und Muße die oft hunderte Seiten füllenden Berichte zu studieren? Die wenigsten von uns vermutlich. Daher vereinfachen Journalist*innen in der Regel in der Klimaberichterstattung die Modelle, die Wissenschaftler*innen verwenden, um Zusammenhänge und Wahrscheinlichkeiten zu erklären. 

Genau dieses Vorgehen allerdings kritisiert der Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski von der WELT immer wieder, dass angeblich in Berichten über Klimaprognosen deren Unsicherheiten verschwiegen würden. Erst kürzlich übte er Kritik an der medialen Berichterstattung einiger Journalist*innen, welche die Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen auf die Folgen des Klimawandels zurückführten. Für Bojanowski bestätigt sich darin seine These, derzufolge ein gewisser Anteil an Journalist*innen, wie auch Wissenchaftler*innen sich der sogenannten “noble cause corruption”, also der Korruption für den guten Zweck verdächtig machten. In seinen Augen würden diese zugunsten der Risiken, die Unsicherheiten die der Klimaforschung zugrunde liegen, verschweigen: “Viele haben einfach noch nie davon gehört, dass die Klimawissenschaft komplex ist und immer mit erheblichen Unsicherheiten arbeiten muss. Wenn ich dann einen Artikel schreibe, indem ich schreibe, dass Vieles nicht so klar ist in Sachen Klimawandel, wirkt das für manche wie Provokation. Dabei ist die Vermittlung von Unsicherheiten ganz entscheidend, um sich verantwortungsvoll vorbereiten zu können auf die Folgen der globalen Erwärmung.” Bojanowski meint dabei zwei Gruppen beobachten zu können, welche sich im Hinblick auf die Berichterstattung von Klimafakten gegenüberstünden und die er für problematisch hält: “Die “Risikenverschweiger” gehen gerne über die erheblichen Risiken der globalen Erwärmung hinweg. Diese Leute werden gerne oft auch als “Klimaskeptiker” bezeichnet. Die “Unsicherheitenverschweiger”, wie ich sie nennen, ignorieren die gewaltigen Unsicherheiten im Klimasystem, häufig um die Risiken zu unterstreichen. Sie werden gemeinhin auch gerne als “Alarmisten” bezeichnet. Beide Gruppen verschweigen also jeweils eine wesentliche Realität – entweder die Risiken des Klimawandels oder die Unsicherheiten des Klimawissens.” Nun lässt sich keineswegs leugnen, dass Wissenschaft immer Unsicherheiten mit sich bringt. Sonst wäre sie keine Wissenschaft, sondern Ideologie. Selbst die Wettervorhersage für übermorgen ist mit Unsicherheiten verbunden. Sich jedoch auf die Komplexität der Klimawissenschaft zu berufen, um dadurch zu begründen, weshalb diese angeblich keine Ergebnisse hervorbringe, auf die man sich mit einer gewissen Sicherheit stützen könne, sei schlichtweg irreführend und falsch, wie mir Prof. Dr. Pao-Yu Oei,  Klimawissenschaftler an der Europa-Universität Flensburg erzählt. Unsicher sei lediglich die Tragweite der Katastrophe, nicht aber, dass es durch den Menschen zu extremen irreversiblen Veränderungen kommen wird. Mindestens 97 Prozent aller veröffentlichten wissenschaftlichen Paper, die den  Klimawandel behandeln, stimmen darin überein, dass dieser menschengemacht ist. Die Anzahl der veröffentlichten Paper, die dem widersprechen, ist im Vergleich dazu verschwindend gering, wie auch das sogenannte “consensus project” offenlegt. Es ist richtig, dass die Intensität einiger Szenarien, wenn es beispielsweise um irreversible Kipppunkten geht, nicht exakt prognostiziert werden kann – was der IPCC-Bericht allerdings auch transparent offenlegt – jedoch muss man sich doch fragen, ob diese zum Teil marginalen Unsicherheiten, Grund genug darstellen, sie gegenüber den Risiken hervorzuheben, die in vielen Fällen dramatische Auswirkungen haben können. Ist es wirklich ratsam, bis zum letzten Moment zu warten, bis man sich zu 100 Prozent sicher sein kann – was allerdings der Wissenschaft widerspräche – um Menschen adäquat zu informieren oder, wenn nötig, zu warnen? Im Fall der Hochwasserkatastrophe in Mitteldeutschland in diesem Sommer wäre es, wie eine Studie der „World Weather Attribution“-Initiative (WWA) herausfand, ratsam gewesen, früher auf die Gefahren hinzuweisen, die auch im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung stehen. Transparenz gehört zu guter Kommunikation dazu, auch oder ganz besonders bei der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das hebt auch der Meteorologe Franz Ossing, der Teil des Koordinationsteams der Scientists for Future ist, hervor. Guter Wissenschaftsjournalismus “stärkt das Bewusstsein und den Respekt für die Positionen aller Beteiligten […], fördert den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft […] und arbeitet faktentreu.” Das heißt, er “übertreibt nicht in der Darstellung der Forschungserfolge und verharmlost oder verschweigt keine Risiken. [… Er] unterstützt und organisiert den Dialog über Chancen und Risiken von wissenschaftlichen Methoden und Ergebnissen”, wie sich in den “Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR” der Initiative “Wissenschaft im Dialog” (WiD) nachlesen lässt. Das scheint prinzipiell auch mit den Forderungen von Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski übereinzustimmen, dieser sieht jedoch nach wie vor eine besondere Gefahr in jenen Journalist*innen, die seiner Meinung nach “Überzeugungsarbeit” leisten würden: “Prinzipiell finde ich es gut, wenn Journalisten unterschiedliche Perspektiven aufzeigen – das ist ja der Pluralismus, der die Sache vorantreibt. Gute Sache, würde ich sagen. Ich halte es aber für höchst problematisch, wenn Medien Überzeugungsarbeit leisten wollen. Medienforschung hat gezeigt, dass sich die Leser abwenden, wenn sie mit Überzeugungsarbeit konfrontiert werden – nur Sympathisanten macht man glücklich mit “Wach-rüttel-Journalismus”. Fraglich ist jedoch, was seine eigene Form der Kommunikation auszeichnet. Wer, wie Bojanowski, Artikel veröffentlicht, in denen er vor einer “unterschätzen Macht der grünen Lobby” warnt oder die Idee einer täglichen Klimasendung im Fernsehen als “ideologisch” bezeichnet, ist der wirklich so neutral, wie er vorgibt zu sein? 

“Der am weitesten verbreitete Aktivismus unter Journalisten ist wohl die Parteinahme für eine Normalität, die es nicht mehr gibt, also der #Normalismus als Ideologie. Womit dann eine begrenzte Wahrnehmung und verfälschende Gewichtung von Realität einher geht” twitterte  der deutsche Journalist und stellvertretende Chefredakteur der ZEIT, Bernd Ulrich, Anfang September letzten Jahres: Eine Antwort oder vielleicht eher Ergänzung auf den Tweet der Journalistin und Autorin Teresa Bücker, die mit einem Zwinkern schrieb: “Vielleicht sollte man mal anfangen, gewisse Menschen als […] ‘Aktivist für Umweltzerstörung’ […] zu betiteln.” Vertreten wir nicht immer irgendwie unsere Interessen? Und ist der Einsatz für den Erhalt des Status-quo nicht auch in gewisser Weise “Aktivismus”? Zumindest steckt dahinter eine Überzeugung, eine Haltung und Werte. Diese transparent zu machen, ganz gleich, wofür man auch stehe, darin liege die Krux, so Medienwissenschaftler Brüggemann: “Es gibt einfach ein klassisches verständnis des Journalismus das sagt: Der Journalist ist ein neutraler, distanzierter Beobachter, der ganz objektiv davon berichtet, wie die Welt ist. Dann gibt es die Vorstellung, die eher in den Sozialwissenschaften vorherrscht, dass eigentlich niemand in der Lage ist neutral und ohne Meinung zu berichten. Dass also alle Menschen bestimmte Meinungen und Werte, Vorstellungen und Weltsichten haben. Und diese Weltsichten prägen immer alles was sie sagen. Wenn man von dieser Position ausgeht, dann fällt die künstliche Gegenüberstellung von Aktivisten und Journalisten in sich zusammen. Weil es dann nur noch ein Mehr oder Weniger gibt, beziehungsweise einen Unterschied zwischen denen, die ihre Werte und Meinungen transparent machen und die so tun, als ob sie neutral sind, es aber nicht sind. Das machen die ja gar nicht unbedingt absichtlich. […] Also, wenn ich jetzt alle möglichen Journalist*innen fragen würde, ist Pressefreiheit ein Wert für den sie streiten, auch in ihrer Arbeit – Meinungsfreiheit, Demokratie – dann würden die meisten vermutlich ja sagen. Es gibt so bestimmte Werte, die eben doch viele Journalisten in unserer Gesellschaft teilen und da ist ja auch kein grundsätzliches Problem dabei. Solange man sich dessen bewusst ist. Es ist eigentlich schlauer, wenn man sich selber hinterfragt, was sind denn eigentlich meine Werte? Warum mache ich denn eigentlich Klimajournalismus? Doch nicht, weil im Wirtschaftsjournalismus kein Job frei war? […] Und ein Autojournalist interessiert sich doch vielleicht auch für Autos und fährt gerne Auto. Und diese eigene bias, die Menschen nun mal haben, transparent zu machen, das finde ich besser, als das einfach abzustreiten und zu tun: “Ich bin der, der neutral ist und sag wie die Fakten sind und die anderen sind praktisch die Aktivisten.”

Grundsätzlich können wir wohl erstmal festhalten, dass den meisten Journalist*innen, die ihren Beruf ernst nehmen, Meinungsvielfalt und Pluralismus am Herzen liegt. Wieso sollte es daher schaden, wenn auch der Journalismus selbst eine neue, nennen wir es “Strömung” erhält? Könnte ihm das nicht sogar gut tun? Als sogenannter “Transformativer” oder “Konstruktiver Journalismus” wird diese Art der Berichterstattung auch bezeichnet. Also Journalismus, der neben der Problembeschreibung auch Lösungsansätze präsentiert und versucht, Akteure die eine nachhaltige Transformation begünstigen, durch Sichtbarkeit zu stärken. Eine Reihe von spezialisierten Medien, wie das enorm-Magazin, Perspective Daily oder die klimareporter pflegen diesen journalistischen Ansatz bereits. Von strategischer Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit grenze sich der Transformative Journalismus jedoch dadurch ab, dass er institutionell und mental unabhängig von den Akteur*innen des Wandels agiere, so Dr. Uwe Kröger, Medien- und Kommunikationswissenschaftler an der Universität Leipzig. Neutral ist Transformativer Journalismus demnach zwar nicht, aber objektiv kann und soll er durchaus sein. Wichtig für die Legitimation einer solchen Berichterstattung sei ein allgemeines Bewusstsein, dass das Herstellen von Öffentlichkeit für jegliche Themen oder Akteur*innen immer ein politischer Akt und nie wertfrei sei, meint Kröger. Dies gilt auch, wenn die ARD vor der Tagesschau die „Börse vor acht“ sendet oder ein konstruktiv-transformatives Format namens „KLIMA vor acht“. So nennt sich eine Initiative die eine “Primetime fürs Klima” fordert, in der regelmäßig und wissenschaftlich fundiert über die Klimakrise berichtet werden soll. Bisher wurde die Sendezeit von den öffentlich-rechtlichen Sendern jedoch nicht zur Verfügung gestellt. Pressesprecherin von KLIMA vor acht, Friederike Mayer, sagt zu dieser Entscheidung: “Man könnte spekulieren, ob es daran liegt, dass diese Idee von außen an den Sender herangetragen wurde oder ob es daran liegt, das Klimaberichterstattung oft noch, fälschlicherweise, als “grünes” Thema gesehen wird bzw. parteipolitisch verknüpft wird und sich die Sender deswegen scheuen so ein Format umzusetzen. Ich persönlich denke, dass die Dimension der Krise, mit der wir es hier zu tun haben, von den öffentlich-rechtlichen bis heute noch nicht richtig verstanden wurde. Denn hätten sie das verstanden, wäre es eigentlich gar keine Frage, dass so ein Format entwickelt wird und auch auf einem prominenten Sendeplatz läuft.” Einen kleinen Erfolg konnte die Initiative jedoch kürzlich verzeichnen, als der TV-Sender RTL bekannt gab, dass immer donnerstags und samstags auf die Hauptausgabe von „RTL Aktuell“ ein „Klima Update“ folgen werde. In den 90 Sekunden informieren die Meteorologen Christian Häckl und Bernd Fuchs über Hintergrundwissen und Fakten zum Klimawandel sowie aktuellen Forschungsergebnissen. Bei der Premiere am 8. Juli sahen immerhin fast drei Millionen Menschen zu, erzählt Friederike Mayer: “Die Reaktionen auf das Klima-Update waren eigentlich durchwegs positiv. Wir haben uns sehr gefreut, das mit RTL ein privater Sender unsere Idee aufgegriffen hat und wir freuen uns natürlich auch über die Reichweite, die ein solches Format über einen prominenten Sendeplatz bekommen hat. Grundsätzlich würden wir uns natürlich ein etwas längeres Format wünschen und auch Eins, das täglich ausgestrahlt wird, aber es ist auf jeden Fall ein guter Anfang.” 

Der Mehrheit der Journalist*innen, die sich dem Transformativen Journalismus zugehörig fühlen, liegt es wohl fern, ihr Publikum lediglich mit Horrorgeschichten zu alarmieren. Ganz im Gegenteil, geht es vielen, neben dem Anspruch der umfassenden Information, besonders um die Offenlegung von Handlungskorridoren. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit soll gestärkt werden – nicht nur auf individueller Basis, sondern auch hinsichtlich kollektiver Wirkmächte, die wir als Bürgerinnen und Bürger besitzen. Was viele der Publikationen in diesem Feld auszeichnet, ist, dass sie darauf hinweisen, dass auch Alternativen zum Status-quo existieren, dass es, je nach Perspektive, auch anders aussehen könnte. Von “Überzeugungsarbeit” oder gar einer Infantilisierung der Leser- oder Hörerschaft lässt sich in diesen Fällen wohl kaum sprechen. Vielmehr ist es ein Angebot – unter vielen. Denn das zeichnet auch eine plurale Medienlandschaft aus, dass sie Widersprüche und Ambiguitäten toleriert. Auch hinsichtlich der Art und Weise, wie Journalismus interpretiert wird. Darüber diskutiert und gestritten werden, darf gerne – im besten Fall bewirkt das nur, dass Journalist*innen und Medienschaffende am Ende ein noch besseres Verständnis von ihrer Arbeit erlangen – gesetzt den Fall, wir ziehen uns nicht in unsere sicheren “Blasen” zurück, sondern suchen den Austausch: “Also ich finde es gut, wenn es im Journalismus eine gewisse Vielfalt gibt, auch in den Rollenverständnissen. Es ist ja ok, dass es den Nachrichtenjournalisten gibt, der versucht keinerlei Subjektivität einfließen zu lassen. Aber diejenigen, die Journalismus anders machen, solange sie damit transparent umgehen, sind für mich genauso gute Journalisten.” 

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12. Oktober 2021

Kennt Google uns besser, als wir selbst?

von Henrietta Clasen 5. Oktober 2021

Laufen wir im Sand, hinterlassen wir Fußabdrücke. Gleiches gilt für die digitale Welt. Nur sind wir uns, anders als im analogen Leben, selten darüber bewusst, welche Spuren wir hier hinterlassen. Geschweige denn, wer unsere digitalen Fußabdrücke zurückverfolgen kann und welche Rückschlüsse daraus gezogen werden können. Erleben wir vielleicht heute schon einen digitalen Kontrollverlust? Die Künstler*innengruppe Laokoon hat sich auf eine digitale Spurensuche begeben und anhand eines interaktiven Datenexperiments eindrucksvoll veranschaulicht, wie weitreichend die Einblicke in unser Seelenleben und unsere intimsten Geheimnisse sind, die wir Google, Facebook und Co. jeden Tag gewähren. Gemeinsam mit Moritz Riesewieck von der Laokoon Gruppe hat sich Marilena Berends in dieser Episode die Frage gestellt, ob das Internet wohl mehr über uns weiß, als wir selbst.

Shownotes:

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Diese Episode wird präsentiert von Braineffect. Wer große Ambitionen und lange To-Do Listen hat, braucht Energie, um diese verwirklichen zu können. Braineffect unterstützt euch dabei mit dem richtigen „Mind Food“ – für besseren Schlaf, mehr Konzentration und Wohlbefinden. Zum Beispiel mit dem Vitamin D3 Öl. Weitere Infos findet ihr in unseren Shownotes und auf brain-effect.com.

► Besucht die interaktive Website der digitalen Spurensuche ‘Made To Measure’ der Laokoon Gruppe.
► Die Filmdokumentation zu ‘Made to Measure ist bis 30.08.2022 in der ARD Mediathek verfügbar.
► Hier erfahrt ihr mehr über die Künstler*innengruppe Laokoon.
► Mehr Infos über die Kulturstiftung des Bundes und deren Veranstaltungsreihe ‘Labore des Zusammenlebens’.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
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5. Oktober 2021

Ciani-Sophia Hoeder: Mit Wut zur Veränderung?

von Henrietta Clasen 27. September 2021

Die Wut ist wohl eine der grundlegendsten, menschlichen Emotionen – doch wird sie selten als positives Gefühl angesehen, als vielmehr für ihren manchmal destruktiven Charakter verschmäht. Das gilt ganz besonders für wütende Frauen: als hysterisch, zu emotional oder gar inkompetent werden sie häufig bezeichnet. Wut ist untrennbar mit Macht verknüpft und ihre Unterdrückung daher keineswegs belanglos oder zufällig, schreibt die Autorin und Journalistin Ciani-Sophia Hoeder in ihrem Buch “Wut und Böse”. Mehr “Wut zur Veränderung”, lautet ihr Plädoyer. Welche transformative Kraft in der Emotion steckt und, wie sie zum positiven Katalysator der Veränderung werden kann, darum soll es in dieser Episode gehen.

Shownotes:

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Die heutige Episode wird präsentiert von Vodafone. Ihr könnt ab jetzt mit bis zu 1000 grünen Mbit/s im Vodafone Netz surfen – mit Strom aus 100 % erneuerbaren Energien – ab 39,99€ dauerhaft. Mehr Infos auf vodafone.de/greengigabit und im Vodafone Shop.

► Ciani-Sophia Hoeder: Wut und Böse. Hanser Literaturverlag (09/21).
► Ihr findet Ciani auch auf Twitter und Instagram.
► RosaMag: Online Lifestyle Magazin für Schwarze Frauen in Deutschland.
►Rosapedia: Was ist die “Angry Black Woman”?, RoseMag (12/2019).

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27. September 2021
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