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Marilena

Marilena

Yasmine M’Barek: Brauchen wir radikale Kompromisse?

von Marilena 2. März 2022

Mehr und mehr kennzeichnet radikale Kompromisslosigkeit die Diskurse in Politik und Gesellschaft, die das Vorankommen in wichtigen Themen, wie Coronapolitik, Klimawandel oder Rassismus verhindert. Die Fronten sind klar: Ihr oder wir.  Wie lässt sich ein Ausweg aus diesem Dilemma finden? Durch “radikale Kompromisse”, lautet die Antwort von Journalistin Yasmine M’Barek. Aber gibt es nicht Umstände, die radikalere Maßnahmen erfordern – dauert Realpolitik nicht einfach zu lange? Und was unterscheidet gute von faulen Kompromissen? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat Marilena sich Yasmine M’Barek in den Podcast eingeladen.

Shownotes:

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► Yasmine M’Barek findet ihr auf Twitter und Instagram.

► Yasmine M’Barek: “Radikale Kompromisse: Warum wir uns für eine bessere Politik in der Mitte treffen müssen”; Hoffmann & Campe Verlag (03/22).

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✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

2. März 2022

Workism – warum arbeiten wir (heute) so viel?

von Marilena 22. Februar 2022

Beschäftigt zu sein, sei zu einem modernen Narrativ geworden, meint Hans Rusinek. Der kreative Kapitalismus mache Arbeit zu einer neuen Ersatzreligion – und wir machen mit – so Hans These, der seit einigen Jahren unter anderem im Rahmen seines Promotionsstudiums an der Uni St. Gallen zu Sinnfragen in einer sich wandelnden Wirtschafts- und Arbeitswelt forscht und publiziert. Warum arbeiten wir heute noch immer so viel? Welchen Stellenwert hat Lohnarbeit in unserer Gesellschaft? Muss Arbeit Sinn machen? Das sind nur einige der Fragen, über die ich gemeinsam mit Hans Rusinek in dieser Episode gesprochen habe.

Shownotes:

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► Mehr von und mit Hans Rusinek hier.
► ZEIT: “Wenn die Arbeit das Leben ist”, Hans Rusinek (2022). ► ifo-Studie: “Homeoffice im Verlauf der Corona-Pandemie” (2021).
► WSI Report No. 65: “Homeoffice: Was wir aus der Zeit der Pandemie für die zukünftige Gestaltung von Homeoffice lernen können”; Hans-Böckler-Stiftung (2021).
► Cal Newport: “The Stone Carver in an Age of Computer Screens” (2020).
► Quarks: ”Sollten wir alle weniger arbeiten?” (2021).
► Nina Kunz: “Ich denk, ich denk zu viel”. Kein & Aber (2021).  
► David Graeber: “Bullshit Jobs, a Theory” (2019).
► Andreas Reckwitz: “Die Gesellschaft der Singularitäten”. Suhrkamp (2017).
► Oscar Wilde: “Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus“ (1891).

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✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

22. Februar 2022

Laut gedacht: Was trauen wir Männern eigentlich zu?

von Marilena 8. Februar 2022

 

Gesundheitsvorsorge – aber als Porno getarnt – denn “Aufklärung muss dort stattfinden, wo sie die Menschen erreicht”, um es mit den Worten der Techniker Krankenkasse auszudrücken. Die hat kürzlich im Rahmen einer Hodenkrebsvorsorge-Kampagne ein Video veröffentlicht, das im Netz nun für reichlich Aufruhr sorgt. Was daran genau problematisch ist, diskutiert Marilena Berends in dieser Episode gemeinsam mit Journalistin Luisa Thomé und Autor Fikri Anıl Altıntaş. Denn das Video bietet definitiv Anlass, um über Geschlechterrollen, Männlichkeitskonstruktionen und Sexismus zu sprechen.

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► Luisa Thomé schreibt hier und ist auf Twitter und Instagram.
►Fikri Anıl Altıntaş ist auch auf Instagram und hat einen eigenen Newsletter.
► Video der Techniker Krankenkasse “Der life-saving Handjob“.
► Emelie Glaser in der taz: “Krebsvorsorge, aber als Porno”.
► Checkdichselbst – Hodenkrebs Vorsorge-Kampagne.
► Männergesundheitsportal: “Daten und Fakten zur Männergesundheit” (2020).
► Dritter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2020): Geschlechterstereotype und Soziale Medien.

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8. Februar 2022

Fridtjof Detzner: Nachhaltig Investieren, geht das?

von Marilena 1. Februar 2022

 

Kann Geld die Welt retten? Oder ist es nicht gerade das liebe Geld und die Gier nach mehr, die unseren Planeten, zerstören? Eines ist klar: Geld bedeutet Macht. Dass es selten Gutes bedeutet, wenn viel davon in wenigen Händen liegt, zeigen Menschen wie Zuckerberg, Bezos und Co. Aber was, wenn Geld dazu eingesetzt würde, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl zu fördern? In der heutigen Episode spricht Marilena mit Fridtjof Detzner über “nachhaltiges Investment. Er hat “Planet A”  gegründet – ein Impact Investment Fonds, der als Risikokapitalgeber in Ideen und junge Unternehmen investiert, die eine klimapositive Wirtschaft voranbringen wollen.

Shownotes:

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► Mehr von und mit Fridtjof Detzner auf seiner Website.
► Fridtjof auf Instagram und Twitter.
► Planet A
► “Founders Valley” Dokumentation von Deutsche Welle mit Fridtjof Detzner.
► Mehr zum Thema “Verantwortungseigentum” bei Purpose-Economy.

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Ein besonderer Dank gilt den Fördermitgliedern, die Sinneswandel als Pionier*innen mit 10€ im Monat unterstützen: Bastian Groß, Pascale Röllin, Wolfgang Brucker, Petra Berends, Holger Bunz, Eckart Hirschhausen, Isabelle Wetzel, Torsten Sewing, Hartmuth Barché, Dieter Herzmann, Hans Niedermaier, Constanze Priebe-Richter, Julia Freiberg, Dana Backasch, Peter Hartmann, Martin Schupp, Juliane Willing, Andreas Tenhagen, eeden Hamburg Co-creation Space for visionary women*, David Hopp, Jessica Fischer (Universität Paderborn), Ioannis Giagkos, Matthias Niggehoff, Johanna Bernkopf, Holger Berends, Sebastian Hofmann, Do rian, Anita Wilke, Razvan Pufuleti, Daniele Lauriola, Samira Felber und Volker Hoff.

1. Februar 2022

Veganes Mett – warum imitieren wir Fleisch?

von Marilena 18. Januar 2022

Immer mehr Menschen entscheiden sich auf Fleisch zu verzichten und vegetarisch oder sogar vegan zu leben. Aus ökologischer Sicht ist das mehr als sinnvoll – aber auch ökonomisch betrachtet, erweist sich der “Veggie-Boom” als ergiebig. Immer mehr Produkte erobern den Markt, die Steak und Fischstäbchen zu imitieren versuchen – darunter auch “blutende” Burger-Patties. Die kommen auf Konsumentenseite bislang gut an, werfen aber die Frage auf: Warum muss Fleischersatz eigentlich wie das Original schmecken, riechen und aussehen – wozu imitieren wir überhaupt Fleisch?

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► Dr. Harald Lemke: “Ethik des Essens. Einführung in die Gastrosophie”, (S.377-404) in “Aufklärung und Kritik” (1/2004): “Feuerbachs Stammtischthese oder zum Ursprung des Satzes: ‘Der Mensch ist, was er isst’”.
► Deutschlandfunk Nova: „Es gibt überall die Norm, dass Fleisch zu einer Ernährung dazugehört“.
► pbp (12/2021): “Vom Wohlstands- zum Krisensymbol. Eine Kulturgeschichte des Nahrungsmittels Fleisch”.
► Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse 2021: “Nachhaltigkeit: Themenzyklus oder tiefgreifender Wandel von Lebensweisen und Konsumentscheidungen?”.
►Statista-Dossier zu Vegetarismus und Veganismus in Deutschland (2021).
► WWF-Studie: “Klimawandel auf dem Teller” (2012).
► BMEL Ernährungsreport 2020.
► Handelsblatt (8/2020): “Rügenwalder Mühle: Veggie-Fleisch überholt erstmals klassische Wurst”.
► Handelsblatt (6/2019): “Beyond Burger im Test: weder gesund noch nachhaltig!”. 
► Transparenz Gentechnik: “Veganer Fleischersatz – perfekt dank Gentechnik”.
► The Wall Street Journal (10/2014): “So, What Does a Plant-Blood Veggie Burger Taste Like?”] .
► Spiegel (2/2017): „Am wichtigsten ist der Geruch nach Blut“.
► Quarks (1/2020): “Insekten: Die Proteinquelle der Zukunft”.

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18. Januar 2022

Dominik Erhard: Wozu spielen wir eigentlich?

von Marilena 11. Januar 2022

Wir alle tun es, haben es seit jeher getan. Als Kinder, wie als Erwachsene – selbst Tiere tun es: wir alle spielen. Aber wozu eigentlich? Nicht nur, um uns die Zeit zu vertreiben, wenn es nach dem Kulturhistoriker Johan Huizinga geht. Spielen ist Weltzugang. Und doch gilt das “Daddeln” nicht selten als sinnloser Zeitvertreib. Außer, wer aus dem Spiel Kapital schlägt, ob als Fußballprofi, Schachmeister*in oder Online-Gamer*in. Aber ist das dann überhaupt noch ein Spiel? Zeichnet das Spiel nicht gerade seine Absichtslosigkeit aus? In der Hoffnung, eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten, hat sich Marilena mit Dominik Erhard, Redakteur beim Philosophie Magazin,  getroffen.

Shownotes:

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Anzeige: Sponsor dieser Episode ist Blinkist. Blinkist bringt die Kernaussagen von Wissensformaten auf euer Smartphone – in nur 15 Minuten pro Titel. Testet die App 7 Tage kostenlos und erhaltet 25% auf das Jahresabo Blinkist Premium unter: www.blinkist.de/sinneswandel.

► Dominik Erhard auf Instagram.
► Philosophie Magazin.
► Johan Huizinga: “Homo Ludens – Vom Ursprung der Kultur im Spiel” (1938).
► Friedrich Schiller “Über die ästhetische Erziehung des Menschen” (1795).
► Institut für Ludologie an der design akademie Berlin.

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11. Januar 2022

Pandemiemüde? Let’s talk about Mental Health!

von Marilena 22. April 2021

Wem geht es eigentlich gerade wirklich gut? Gefühlt sind alle “müde”. Wenn auf Wikipedia bereits der Eintrag “Pandemiemüdigkeit” zu finden ist, wieso reden wir so wenig darüber? Warum werden zwar täglich die Zahlen der Neuinfektionen bekannt gegeben, aber nicht über die “seelische Inzidenz” gesprochen? Diese Episode handelt, neben den Auswirkungen von einem Jahr Pandemie auf die menschliche Psyche, auch von der Art und Weise, wie generell in der Gesellschaft über Mental Health gesprochen – oder eben auch nicht gesprochen wird. Es geht darum, wie die kapitalistische Logik, sich auch das Feld der psychischen Gesundheit einverleibt hat und damit seelische Erkrankungen zu rein privaten Angelegenheiten verkehrt. Wie lässt sich ein gesunder Ausweg finden, jenseits von toxischer Positivität und individueller Self-Care-Routine? 

Shownotes:

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► Kostenlose Telefonberatung der BZgA (08002322783).
► Das kostenlose Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe: 08003344533.
► SeeleFon für Flüchtlinge für Geflüchtete oder deren Angehörigen – kultursensibel und möglichst in der Sprache der Betroffenen (022871002425).
► Wichtige Anlaufstellen bei psychischer Belastung sind Hausärzt*innen und Psychotherapeut*innen. Die Arztsuche der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bietet die Möglichkeit gezielt nach diesen zu suchen.

Quellen:
► Bundes Psychotherapeuten Kammer: Corona Pandemie und psychische Erkrankungen – BPtK Hintergrund zur Forschungslage (2020).
► Spektrum: Psyche und Corona: Der zweite Lockdown belastet mehr.
► WHO: Mental Health in workplace.
► Merkur: Demenz und Depression  kosten knapp 15 Milliarden Euro im Jahr.
►Allianz: Depression kostet Volkswirtschaft jährlich bis zu 22 Milliarden Euro.
► Deutschlandfunk: Zum Tod des Kulturtheoretikers Mark Fisher.
► Eva Illouz: Die Errettung der modernen Seele. Suhrkamp (2011).
► Nina Kunz: Ich denk, ich denk zu viel . Kein und aber (2021).
► Arte-Serie: In Therapie. 
►Deutschlandfunk-Nova: Timur über toxische Feelgood-Vibes.  
►Benjamin Maack: Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein . Suhrkamp (2020). 

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Transkript: Pandemiemüde? Let’s talk about Mental Health!

“Es wird schon wieder – irgendwann.” 
“Ja, muss ja”, gebe ich zurück. 
“Fühl dich umarmt.”

Wie ich diesen Satz nicht mehr hören kann. Wie soll man sich umarmt fühlen? Wer hat sich diese Floskel überhaupt ausgedacht? Um mich umarmt zu fühlen, müsste ich mir erstmal dieses Gefühl, wenn zwei Körper in einem Moment zu einem einzigen verschmelzen, wieder ins Gedächtnis rufen. Und ich meine eine “richtige” Umarmung. Ohne Zögern und Zweifel, ob man das denn jetzt wirklich tun sollte oder, ob man dann nicht Gefahr laufe, sein Gegenüber potenziell umzubringen. Ja, nach solchen innigen Umarmungen, mal wieder so richtig fest gedrückt zu werden, danach sehne ich mich. Darum mag ich, wenn mal wieder jemand zu mir sagt, “fühl dich umarmt”, mich auch nicht daran zurückerinnern. Es scheint mir dann in noch weitere Ferne zu rücken – fast unerreichbar.

Und dann ist sie da wieder. Diese innere Stimme, die mir leise, aber unüberhörbar in mein Ohr raunt: “Come on, jetzt hab dich nicht so! Hör auf dich in deiner Nostalgie, deinem Selbstmitleid zu sudeln und reiß dich gefälligst mal zusammen! Anderen geht es viel schlechter als dir. Hast du dich mal umgesehen? Du hast eine Wohnung, genug zu Essen im Kühlschrank, einen Job, Freunde und vor allem, du bist gesund.” Etwas in mir nickt, fühlt sich ertappt und ekelt sich ein bisschen vor mir, angesichts dieses Ausflusses an Selbstmitleid, trotz meiner doch ganz offensichtlich privilegierten Situation. 

Genauso enden in letzter Zeit auch häufig Gespräche mit Freunden und Kollegen. Man diskutiert über die aktuelle Lage, die neuesten politischen Maßnahmen und erkundigt sich, wie es den anderen denn so damit gehe. “Ach du, weißt du, es ist nicht einfach, aber, es könnte auch schlimmer sein. So richtig beschweren kann ich mich nicht. Aber so richtig gut, gehts mir irgendwie auch nicht.” So ähnlich klingt das dann. Eigentlich hätte man auch nichts sagen können. Denn, was steckt hinter dieser Aussage? Alles und nichts. Das eigene Unwohlsein wird noch im selben Atemzug revidiert. Anderen geht es nun mal gerade schlechter. Da ist jetzt kein Raum für das eigene Leid, das mit dem der anderen verglichen so lächerlich klein und Wohlstands-privilegiert erscheint. Sicherlich ist da irgendwie etwas Wahres dran, denn Fakt ist, dass Menschen, die bevor C. in unser aller Leben trat, bereits in prekären Verhältnissen lebten, es nun doppelt oder gar dreifach so schwer haben. Die Pandemie fungiert wie eine Lupe, ein Brennglas, dass Missstände, die zuvor bereits existierten, nur weiter vergrößert, wie es im Feuilleton so oft zu lesen ist. Auf der anderen Seite frage ich mich: Wer hat etwas davon, wenn irgendwer seinen eigenen Schmerz und, mag er im Vergleich noch so klein erscheinen, zurückstellt oder gar negiert? Nur, um nicht als asozial oder unempathisch zu gelten. Hat nicht jedes Leid seine Berechtigung? Müssen wir selbst in dieser Situation, in eine Art Wettkampf, wer das Schlimmste zu erdulden hat, eintreten? Das ist doch absurd! Natürlich ergibt es Sinn, anderen Menschen zur Seite zu stehen. Das zeichnet schließlich eine Gesellschaft, die zusammenhält aus. Dass man auch mal bereit ist, sich selbst zurückzustellen und für andere einzusetzen. Ich glaube, da sind wir uns einig. Aber heißt das auch, dass ich, wenn ich nicht “genug” Leid zu tragen habe, es sich nicht mehr ziemt, dieses zu äußern? Hat es dann keine Berechtigung mehr? Wenn mein Glas halb voll ist, darf ich dann nicht mehr den Wunsch haben, es wäre randvoll, sprich, dass es mir wieder gut geht?

Allein diese Worte auszusprechen fühlt sich irgendwie egoistisch an. Ich brauche Ablenkung und scrolle durch meinen Instagram Feed und stoße dabei auf einen Post von Anna Mayr, Autorin und Journalistin. Sie schreibt darin: “Wenn Menschen sich einer Gefahr ausgesetzt sehen, wenn sie Angst haben und sich machtlos fühlen, dann verfallen sie in einen fight-or-flight-Modus. […] Jede_r schaut dann nur noch auf sich, auf die eigenen Bedürfnisse, auf die eigene Sicherheit. Das ist, glaube ich, was gerade passiert. Mir zumindest. […] Hauptsache, ich komme irgendwie durch, mental und physisch. Nur noch Kraft, mich selbst zu retten, niemanden sonst. Das ist natürlich total scheiße und zeigt, dass das Reden von „Eigenverantwortung“, wenn man in Wirklichkeit „Ungerechtigkeit“ meint, niemanden weiterbringt, auch die Glücklichen nicht. Denn ich fühle mich ja auch mies damit, sogar nach zwei Stunden Balkonsonne, wie alle, wahrscheinlich.” 

Immerhin bin ich nicht allein mit diesem Gefühl, denke ich mir und scrolle weiter. Paul Bokowski, ebenfalls Autor und Journalist, hat eine Story geteilt. Darin steht: “Ich habe vor ein paar Tagen angefangen meinen Nachrichtenkonsum drastisch zu reduzieren. Nach einem Jahr der absoluten Monothematik geht mir die ständige Berichterstattung über Covid mittlerweile ganz massiv an die Substanz. Ich akzeptiere die unverrückbare Bedeutung dieses Themas, aber […] ich merke schleichend, dass es lebenswichtig für mich sein könnte, mich um weniger psychische Toxizität zu bemühen. […] Das heißt, dass ich bis auf Weiteres auf alle Nachrichten-Apps, auf Twitter, aber auch auf Instagram und Facebook verzichten möchte.” Und damit ist er wohl offline. Ist das jetzt selfcare oder selfish? Ich fühle mich überfordert und lege mein Handy beiseite.

Wem geht es eigentlich gerade wirklich gut? Gefühlt sind alle “müde”. Wenn auf Wikipedia bereits der Eintrag “Pandemiemüdigkeit” zu finden ist, wieso reden wir so wenig darüber? Warum werden zwar täglich die Zahlen der Neuinfektionen bekannt gegeben, aber nicht über die “seelische Inzidenz” gesprochen, über die Menschen, die psychisch erkranken oder gar Suizid begehen? Da gibt es doch bestimmt schon Statistiken zu?! Ich klappe meinen Laptop auf, öffne Ecosia und beginne zu recherchieren: Laut einer 2020 veröffentlichten Studie von Yang und Kollegen, in der an Corona erkrankte Patient*innen, die stationär isoliert wurden, mit Krankenhauspatient*innen mit einer Lungenentzündung sowie mit Gesunden verglichen wurden, weisen Corona-Erkrankte drastisch erhöhte Angst- und Depressionswerte auf. Ähnliches wird in zwei Übersichtsarbeiten über die psychischen Folgen von Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen berichtet (Hossain et al., 2020; Purssell et al., 2020). In manchen Studien berichteten über 70 Prozent der Patient*innen, ängstlich und depressiv, hilflos und reizbar zu sein und ein niedriges Selbstwertgefühl zu haben. Auch für Angehörige ist es oft unerträglich, erkrankte Eltern oder Großeltern nicht persönlich helfen zu können, da Kontakt verboten ist (vor-veröffentlichte Online-Befragung von mehr als 18.000 Personen: Rossi et al., 2020). ie Versorgungssituation hinsichtlich psychologischer Betreuung hat sich, laut Spektrum Magazin auch verschlechtert. So gaben 22 Prozent der an Depressionen leidenden Befragten an, in einer akuten depressiven Phase keinen Behandlungstermin bekommen zu haben. Natürlich muss berücksichtigt werden, dass viele Daten, die notwendig wären, um die Frage nach der psychischen Belastung durch die Corona-Pandemie umfassend beantworten zu können, noch längst nicht vollständig sind. Wenn jedoch Krankenkassen, wie die KKH bereits im ersten Halbjahr 2020 rund 26.700 Krankmeldungen wegen seelischen Leidens unter ihren etwa 1,7 Millionen Versicherten zu registrieren hatten – gut 80 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum – dann scheint die Pandemie nicht folgenlos an uns vorbeizuziehen.

Warum sprechen wir dann dennoch so wenig über das Thema? Mein Kopf rattert. Plötzlich beginne ich zu verstehen. Na klar, das System, die Realität in der wir leben, hat ja auch sonst eher wenig Interesse daran, dass wir “ausfallen”, sprich nicht “funktionieren”. Das Rad muss weiterlaufen. Das gilt auch für pandemische Zeiten. Kein Wunder, dass kaum über Mental Health gesprochen wird. Nachher würden Menschen noch beginnen, gegen jene Strukturen aufbegehren, die sie tagtäglich bis zur völligen Erschöpfung im Hamsterrad laufen lassen. Auf der anderen Seite frage ich mich, ob diese Sichtweise nicht zu verkürzt ist. Mag schon sein, dass Menschen, die immerzu vorgeben, zu funktionieren, diesen Schein eine ganze Weile aufrechterhalten können, aber zu welchem Preis am Ende? Nichts ist umsonst – das ist schon mal klar! Jetzt bin ich angefixt. Was kostet es wohl den Staat, all die Menschen wieder “aufzupäppeln”, die ausbrennen oder anderweitig seelisch erkranken?

Laut Statistischem Bundesamt seien psychische Krankheiten inzwischen ein großer Kostenfaktor für das Gesundheitssystem: Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen (37 Milliarden Euro) und Krankheiten des Verdauungssystems (34,8 Milliarden Euro) rangieren psychische Erkrankungen auf Platz drei unter den sogenannten “Volkskrankheiten”: 2008 lagen die Kosten bei knapp 28,7 Milliarden Euro. In den USA, laut WHO, lagen die Kosten im Jahr 2019 sogar bei 1 Billion US-Dollars. Die Allianz hebt noch einmal differenziert hervor, dass allein zwischen 2002 und 2008 die direkten Krankheitskosten für Depressionen, um ein Drittel auf 5,2 Milliarden Euro gestiegen seien. Und, dass 9,3 Milliarden Euro indirekte Kosten allein darauf zurückzuführen seien, dass an Depressionen erkrankte Menschen häufig dennoch zur Arbeit gehen, anstelle sich krankschreiben und behandeln zu lassen. Das klingt jetzt ziemlich makaber, aber damit stellen die durch verminderte Produktivität depressiver Arbeitnehmer*innen am Arbeitsplatz verursachten Kosten den mit Abstand größten volkswirtschaftlichen Schaden dar, so formuliert es die Allianz.

Mag sein, natürlich sind die wirtschaftlichen Einbußen, auch jene, die aktuell während der Pandemie verzeichnet werden, keineswegs irrelevant. Aber, was ist mit den Seelischen, den menschlichen Schäden? So oft denke ich mir in letzter Zeit: Was ist das bitte für ein Leben, das fast ausschließlich in Arbeit besteht? Normalerweise liegt ja die Wiedergutmachung dafür, dass wir den halben Tag schuften, darin, dass wir das wohlverdiente Geld in Bespaßung eintauschen können: Ob Kino, Rave, Museum, Malle, für jede*n ist auf dem Konsummarkt was dabei. Das meiste davon fällt aktuell allerdings weg. Außer vielleicht Netflix und Online-Shopping. Aber auch das wird schnell öde. Die neoliberale Belohnungsstrategie geht nicht mehr auf. Die Ablenkung fehlt und die Menschen, die zuvor im Konsumrausch schwebten, nüchtern langsam aus und werden missmutig.

Aber kann es denn Sinn der Sache sein, Menschen ruhig und bei Laune zu halten? Wenn wir schonmal dabei sind, alle Karten offen auf den Tisch zu legen, warum reden wir dann nicht mal ganz grundsätzlich über die Ziele und Vorstellungen davon, wo wir als Gesellschaft eigentlich hin wollen? Und vor allem auch, auf welchem Weg, mit welchen Mitteln? Längst sind sich viele Expert*innen, wie Joseph Stiglitz, Maja Göpel und Amartya Sen in dem Punkt einig, dass das BIP allein als Indikator für Fortschritt und Wohlstand nicht mehr zeitgemäß ist. Schon gar nicht, um so etwas wie Lebensfreude und Zufriedenheit innerhalb der Bevölkerung zu messen. Denn die Bedingungen, unter denen das BIP entsteht, werden nicht berücksichtigt. Ob jemand seine Arbeit entspannt und mit viel Freude erledigt oder ob dies unter großem physischen bzw. psychischen Druck und ohne jede Freude geschieht, spielt für das Wohlbefinden eine große Rolle – selbst wenn am Ende in beiden Fällen das gleiche Einkommen herausspringt. Für die Berechnung des BIP sind beide Fälle hingegen vollkommen gleichwertig. Es ist also dringend an der Zeit, dass wir radikal umdenken und uns von alten Konzepten verabschieden. Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt gibt es bereits eine ganze Handvoll: So hat die OECD den „Better Life Index“ entwickelt, um das gesellschaftliche Wohlergehen anhand von elf Themenfeldern, u.a. Bildung, Sicherheit und Work-Life-Balance zu ermitteln und international zu vergleichen. 

Ein weiteres Beispiel liefert der “Happy Planet Index” (HPI), dessen Ausgangspunkt die Überlegung darstellt, dass Reichtum für eine Vielzahl von Menschen nicht das oberste Ziel ist, sondern ein glückliches und gesundes Leben an erster Stelle steht. 

Die Einführung eines solchen Maßstabs wäre vermutlich auch nicht mehr vereinbar, mit der Privatisierung des Gesundheitswesens und dem zeitgleichen Abbau des Sozialsystems, wie man es auch in Deutschland beobachten kann. Laut dem Bundesverband Deutscher Privatkliniken, sind von 1950 Krankenhäusern mittlerweile rund 37 %, also mehr als ein Drittel, in privater Trägerschaft. Das mag sich zwar teilweise positiv auf die Wachstumszahlen und Gewinnprognosen der Krankenhäuser auswirken, bewirkt jedoch im Großen und Ganzen, dass das Gesundheitswesen zu einer Gesundheitswirtschaft mutiert, in der ganz andere Gesetze gelten als in einem Sozialsystem. Sie wird zur Quelle neuen Reichtums für Investoren und macht Gesundheit zu einem handelbaren Gut, in welcher der Mensch zur Ware degradiert wird. Hallo Kapitalismus! 

Dass das gesamte kapitalistische Wirtschaftssystem, das aus dem Ruder geraten ist, uns krank macht, davon war der britische Kulturtheoretiker und Publizist Mark Fisher überzeugt, der sich 2017, im Alter von 48 Jahren das Leben nahm. Seine Depressionen, die ihn sein Leben lang begleiteten, verortete er nicht als rein individuelles Schicksal, sondern als eine massenhaft auftretende Reaktion auf die kapitalistischen Verhältnisse in denen wir leben. Für Fisher stellte die Entpolitisierung von Depression sowie die Privatisierung von psychischen Krankheiten ein gesellschaftliches Problem dar: “Hohes Arbeitsaufkommen, Zunahme der Unsicherheit, Gehaltskürzung – all diese Dinge machen depressiv, und wir müssen immer häufiger alleine mit ihnen fertig werden. Im Zeitalter der Kollektivität gab es noch Mediatoren wie Gewerkschaften, die dir dabei geholfen haben, aber heute wirst du zu keiner Gewerkschaft geschickt, sondern zu einem Therapeuten, oder nimm doch einfach Antidepressiva. Das ist die Geschichte der letzten 30 Jahre.” So Fisher in einem Interview mit Deutschlandfunk. Wir alle werden im Kapitalismus zu “Unternehmer*innen unser Selbst”, die sich bloß noch mehr anstrengen müssen, wenn es mal Probleme gibt. Jede und jeder ist schließlich seines eigenen Glückes Schmied – ein Hoch auf Individualismus und Leistungsfetischismus!

Je mehr ich drüber nachdenke, desto klarer und bewusster wird mir, wie sehr psychische Gesundheit in unserer Gesellschaft zu persönlichen, rein privaten Angelegenheiten gemacht werden. Dabei sind die höchst politisch – da stimme ich Fisher zu. Psychische Gesundheit ist nicht von den gesellschaftlichen Verhältnissen zu trennen, innerhalb derer sie entstehen. Vermutlich auch einer der Gründe, weshalb das Sprechen über mentale Gesundheit nach wie vor mit Scham besetzt ist und Menschen, die öffentlich über psychische Krankheiten sprechen, häufig noch stigmatisiert werden. Nicht, dass noch bekannt werden könnte, dass nicht allein individuelles Versagen der Grund für Depressionen, Angststörungen, Magersucht oder Burnout seien. Das wäre ja absurd, wenn doch tatsächlich die moderne Gesellschaft mit ihren fragwürdigen Schönheitsidealen, der Lobpreisung des permanenten Busy-seins und der Arbeit im Allgemeinen, dem never-ending Patriarchat, überhaupt den strukturellen Unterdrückungsmechanismen einen Anteil daran hätte, das Menschen psychisch erkranken. Ne ne, das haben wir uns alles selbst zu verdanken, weil wir uns eben einfach nicht genug angestrengt haben. Nicht genug an uns gearbeitet haben, wie es uns doch von der Persönlichkeitsentwicklungs-Branche geraten wird. Und im Zweifel eben ab zur Therapie! Ist doch heutzutage nichts Besonderes oder gar verwerfliches mehr.

Ich denke nach. Tatsächlich, die meisten meiner Freunde, inklusive mir selbst, sind oder waren schon mal beim Therapeuten. Und nein, nicht alle stammen aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Eigentlich finde ich das ja gut, dass es diese Möglichkeit gibt. Ich selbst wüsste nicht, wo ich heute ohne professionelle, seelische Begleitung stehen würde. Wäre ich noch am Leben? Vermutlich schon. Ich würde die Gespräche dennoch nicht missen wollen. Zugleich hinterfrage ich das Konstrukt der Therapie immer wieder ganz massiv. Sehe insbesondere die reine Rückführung auf die Patientin oder den Patienten kritisch, wenn das Leid nicht auch im gesellschaftlichen Kontext betrachtet wird. Klar, es gibt wirklich gute Therapeut*innen, die das machen, hab ich selbst erlebt, aber viele eben auch nicht. Dann rücken Selbstreflexion und -pathologie an die Stelle von Gesellschaftskritik. Wo es doch eigentlich beides bedarf.

Laut der israelischen Soziologin Eva Illouz, hat das therapeutische Denkmodell inzwischen alle Lebensbereiche erfasst, wie sie in ihrem Buch, “Die Errettung der modernen Seele” (2011) beschreibt. Allerdings versteht Illouz darunter nicht nur die konkrete Therapie-Situation, sondern die ganze Palette der ratgeberhaften und emotionsorientierten Gegenwartskultur – von Weight Watchers über Eheberatung und Mentalcoaching der Fußballmannschaft. Galten früher psychische Krisen als “Defekt”, den man schamhaft versteckte, kommt heute kaum eine Promi-Biographie ohne eine solche Krise und deren therapeutische Bewältigung aus. Ob in Cathy Hummels “Mein Umweg zum Glück”, in der die Moderatorin offen über ihre Depressionen spricht, in  „Born to run“, der Autobiographie der Rocklegende Bruce Springsteen oder in “Zayn”, in der der gleichnamige Sänger Zayn Malik – früher Teil der Band “One Direction” – über seine Angst- und Essstörung schreibt. Man könnte auch sagen, der vermeintlich tiefe Einblick in die Seele gilt heute als notwendiger Karriereschritt, um Privilegierte ein klein bisschen menschlicher erscheinen zu lassen. Generell würde ich sagen, ist jedes Bekennen psychischer Erkrankungen nur zu begrüßen. Fragwürdig bleibt die Motivation von Menschen, die ohnehin in der Öffentlichkeit stehen und ihre Leiden scheinbar als Chance sehen, mehr Filme, Bücher oder Alben zu verkaufen. Aber, mal ganz ehrlich: “Who am I to judge?” Es lässt sich nicht leicht beurteilen, wo die Grenze verläuft, zwischen öffentlichem Bekenntnis und Selbstvermarktung.

Und dann denke ich mir: “Hey, ist doch eigentlich auch eine gute Sache, wenn wir offener über unsere issues reden. Oder nicht?” Ich fühle mich zumindest besser, wenn ich beispielsweise lese, dass auch andere Menschen, ob Henning May, Sänger der Band AnnenMayKantereit, die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht, Rapper Curse oder der Autor Benjamin von Stuckrad-Barre, alle mit ihren Päckchen zu kämpfen haben und dazu stehen. Wobei “mich besser fühlen” vermutlich der falsche Ausdruck ist. Es geht mir eher um das Gefühl, nicht allein zu sein. Mich verstanden zu fühlen. Nicht perfekt und makellos sein zu müssen in dieser Welt.

Genau das Gefühl hatte ich auch beim Lesen von “Ich denk, ich denk zu viel”, der erst kürzlich erschienenen Kolumnensammlung der Schweizer Journalistin Nina Kunz. Vielleicht liegt es daran, dass wir beide im selben Jahr geboren wurden, also derselben Generation angehören, dass ich mich in vielen ihrer Worte wiederfinden konnte. So schreibt sie darin beispielsweise: “Alles begann damit, dass ich anfing, über meine Alltagsängste nachzudenken. […] Warum da diese Enge in meiner Brust ist und der Stress-Tinnitus in den Ohren pfeift, obwohl ich all diese Privilegien hab.” Es ist eine Mischung aus Tagebuch und Theoriesammlung, in der Nina Kunz ihre persönlichen Gedankengänge offenlegt und zugleich mit einer Kritik an den gesellschaftlichen Umständen verbindet. Die einen wiederum einlädt, sich einerseits selbst sanftmütiger und wohlwollender zu begegnen, andererseits gegen die einengenden und begrenzenden Strukturen, ob Patriarchat, binäre-Geschlechterkonstrukte oder Rassismus vorzugehen. “Dieses Buch ist eine Einladung in meine Gedankenwelt. [… Es] ist ein kleiner Puzzleteil in der Debatte um Leistungsdruck und Mental Health. Es sind Notizen aus dem Jetzt, ehrlich aufgeschrieben. In der Hoffnung, dass sie weitere Gedanken anstoßen.” Das haben Ninas Worte bei mir in jedem Fall bewirkt. Besonders hängen geblieben ist auch folgendes Zitat aus dem ersten Text:: “Workism beschreibt […] etwas, das mir schon länger Sorgen macht: Es ist der Glaube, dass Arbeit nicht mehr eine Notwendigkeit darstellt, sondern den Kern der eigenen Identität. […] Ein zentrales Ziel im Leben soll sein, einen Job zu finden, der weniger Lohnarbeit ist als vielmehr Selbstverwirklichung. Darum […] habe ich heute keine Schreib-, sondern Lebenskrisen, wenn ich im Job versage.” Oh ja, fühl ich sehr! Genauso wie die Ambivalenz, die Nina gegenüber dem Internet, insbesondere den sozialen Medien verspürt: “Das Internet ist ein gefräßiges Monster, das alle meine Lebensenergie verschlingt […]. Ich hasse das Internet, weil es mir das Gefühl gibt, zu langsam zu sein, zu schwach, zu wenig schön. […] Ich hasse den Fakt, dass mir Likes ein gutes Gefühl geben. Ich hasse denk Fakt, dass ich Angst habe vor der Stille und mich permanent mit Informationen berieseln lasse. Beim Kochen höre ich Podcasts, beim Joggen brauche ich die Nike App, und im Zug beantworte ich Mails. […] Es gibt Studien, die belegen, dass Menschen Zeit allein verbringen müssen, um empathisch zu sein, daher bin ich besorgt, wie schlecht ich mich mittlerweile selbst aushalte.” “Manchmal fühlt sich das Leben im Internet an, als würde ich verhungern, obwohl mir die ganze Zeit jemand das Maul stopft. […] Ich hasse das Internet, weil ich Angst habe, dass ich in fünfzig Jahren sagen werde: Fuck, ich hab mein Leben online vergeudet.”

Manchmal braucht es auch noch oder gar keine Lösung – das Aussprechen von Ängsten und Sorgen, ganz gleich, ob nun angeblich privilegiert oder nicht, wirkt oft befreiend. Ich habe sogar das Gefühl, dass mir in der Therapie das Reden und, dass mir jemand zuhört, oft mehr gebracht hat, als irgendwelche Ratschläge oder Strategien, die mir angeboten wurden. Vielleicht hat mir auch deshalb die Arte-Serie “In Therapie” der französischen Regisseure Olivier Nakache und Éric Toledano so gut gefallen. Jede Folge ist eine Therapiesitzung, in der wir die Entwicklung der wiederkehrenden Patient*innen, die alle durch die Erlebnisse der Terroranschlägein Paris 2015 traumatisiert sind, mitverfolgen können. Dabei ist “In Therapie” allerdings keine Serie über die Terroranschläge, sie handelt vielmehr von den Folgen für die menschliche Psyche, kollektivem Trauma und, dass um mit solch schwerwiegenden Erfahrungen fertig zu werden, es Redebedarf braucht. Es geht um Heilung, Einzelner, aber auch der Gesellschaft. „Die Welt da draußen geht zugrunde.“ Gleich zweimal fällt der Satz in der Serie. „Ja“, antwortet Philippe Dayan, der Therapeut, jedes Mal, „aber das tut sie immer.“ Wir können nur lernen, damit umzugehen. 

Wobei umgehen eben nicht meint, dass wir jetzt alle mal bitteschön wieder klarkommen müssen. Dass wir, wie uns, wie ein mechanisches Glied im Gefüge einer Maschine, wieder an unseren Platz bewegen und funktionieren sollen. Diese Form toxischer Positivität begegnet mir allerdings permanent. Wie so oft, meistens im Internet. Egal, ob pathetische, wohlgemeinte Sprüchlein, wie “Glücklich zu sein bedeutet nicht, das Beste von allem zu haben, sondern das Beste aus allem zu machen.” Oder fast noch schlimmer: “Du kannst nicht negativ denken und positives erwarten.” Würg! Laut Timur, der in einem Interview mit Deutschlandfunk-Nova ganz offen über seine Depression und Angststörung spricht, ist toxische Positivität eng an „toxische Dankbarkeit“ gekoppelt. Er glaubt, dass wir nicht für alles dankbar sein müssen. Vor allem, wenn jemand als Opfer Leid erfährt. Denn nicht alle Dinge sind ein Zugewinn für uns und unser Leben. Seh ich auch so! Wobei ich zugeben muss, dass es mir auch nicht immer leicht fällt, mir einzugestehen, wenn es mir nun einmal gerade nicht gut geht. Vielleicht sogar richtig beschissen. Und dann nicht automatisch in den Optimierungs-Wahn zu verfallen, in dem direkt wieder alles zurechtgebogen wird, damit die Oberfläche wieder aalglatt erscheint. Ich würde solche Zustände gerne öfter auch mal auf mich wirken lassen können, akzeptieren lernen, dass ich nicht permanent “funktionieren” muss. Dass es in Ordnung ist, nicht immer einen Plan zu haben. Dass ich nicht für alles verantwortlich bin, sondern so einiges seine Ursprünge auch in gesellschaftlichen Umständen hat, die sich nicht einfach mal so mit Hilfe von ein bisschen Selfcare und Gesprächstherapie lösen lassen.

Jemand, der genau das ganz wunderbar und prosaisch in Worte zu fassen vermag, ist der Autor Benjamin Maack. In seinem Buch “Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein”, spricht Maack über sein Leben mit Depression und setzt statt auf Verdrängung auf die unmittelbare Konfrontation, stellt sich der Herausforderung. Indem er sich in seiner ganzen Fragilität preisgibt, gelingt es Maack, auf Distanz mit sich selbst zu gehen. Er beobachtet sich gewissermaßen von außen, wodurch er zumindest im Rahmen der schriftlichen Verarbeitung aus dem Strudel der Emotionen und Verzweiflung ausbrechen kann. Das ist nicht nur wirklich lesenswert, sondern schafft auch für all jene ein tieferes Verständnis, die selbst nie mit Depressionen zu kämpfen hatten. Und es nimmt Erkrankten die Angst vor dem Stigma, als verrückt erklärt zu werden oder als schwach und fragil, wenn sie sich öffnen. Denn Fakt ist auch, dass psychische Erkrankungen jede und jeden von uns treffen können. Laut Bundesgesundheitsministerium erkranken schätzungsweise 16 bis 20 von 100 Menschen irgendwann in ihrem Leben mindestens einmal an einer Depression oder einer chronisch depressiven Verstimmung. Also rund ein knappes Fünftel. Und insbesondere seit der Corona-Pandemie wissen wir, wie wenig das oft mit unseren eigenen Entscheidungen zu tun hat. Plötzlich fallen bestimmte Aspekte unseres Lebens weg, die uns bislang Sicherheit und Struktur gegeben haben. Für Menschen, die zuvor schon unter psychischen Erkrankungen gelitten haben, kann diese Situation jetzt ganz besonders schlimm sein. Aber auch für alle anderen ist es eine Belastung, weshalb wir unsere Sorgen, Ängste und Gefühle durchaus ernst nehmen sollten. Darum möchte ich am Ende dieser Episode noch kurz auf die Shownotes verweisen, in denen wir unter anderem die kostenlose Telefonberatung der BZgA und das Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe sowie weitere Hilfsangebote für Betroffene sowie Angehörige von Betroffenen verlinkt haben. 
Last but not least, danke ich euch fürs Zuhören. Wenn der Podcast euch gefällt, dann teilt ihn gerne mit Freunden und Bekannten. Außerdem würden wir uns besonders freuen, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt, damit wir weiterhin gute Inhalte für euch kreieren können. Supporten könnt ihr uns ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Das geht schon ab 1€. Alle weiteren Infos findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast.

22. April 2021

„Pinky Gloves“ – oder pinkfragile Männlichkeit

von Marilena 18. April 2021

Eigentlich sollte es heute um etwas ganz anderes gehen, aber, wie es manchmal so ist, kam etwas dazwischen. Etwas Pinkes. Aus Latex. Etwas, von dem die Welt nicht wusste, dass sie es jemals würde brauchen. Und es vermutlich auch nie wird. Was wohl daran liegen könnte, dass “Pinky Gloves”, von denen hier obviously die Rede ist, von zwei Männern “entwickelt” wurde, die, wie es im Kapitalismus allzu üblich ist, mit ihren Perioden-Handschuhen kein Problem lösen wollten, sondern nur weitere geschaffen oder verstärkt haben: Die Tabuisierung und Schamifizierung der Menstruation. Gastautorin Katharina Walser hat in ihrem Beitrag der aufgestauten Wut und Fassungslosigkeit über die Unwissenheit und Verschleierung der Periode einerseits, als auch über den Kapitalismus, der aus Scham Profit zu schlagen versucht, Raum gegeben. 

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Instagram Profil Yanna Halfering.
► „warum hat instagram das foto einer frau mit menstruationsblut gelöscht?“: Kommentar von Tish Weinstock im vice Magazin.
► “Wie die Intimhygiene-Industrie Frauen verarscht”, Artikel von Katja Lewina bei jetzt .
► Tweet zu Pinky Gloves von Userin Vectoria.

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✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: „Pinky Gloves“ – oder pinkfragile Männlichkeit

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen. 

Eigentlich sollte es heute um etwas ganz anderes gehen – um Mental Health, also psychische Gesundheit während der Corona-Pandemie. Keine Sorge, die Episode ist natürlich nur vertagt, aber, wie es manchmal so ist, kam etwas dazwischen. Etwas Pinkes. Aus Latex. Etwas, von dem die Welt nicht wusste, dass sie es jemals würde brauchen. Und es vermutlich auch nie wird. Was wohl daran liegen könnte, dass “Pinky Gloves”, von denen hier obviously die Rede ist, von zwei Männern “entwickelt” – wenn man das überhaupt so nennen kann – wurde, die, wie es im Kapitalismus allzu üblich ist, mit ihren Perioden-Handschuhen kein Problem lösen wollten, sondern nur weitere geschaffen haben. Die zwei “Frauenversteher”, Eugen und André, schlagen mit ihrer Jahrhunderterfindung nämlich in eine Kerbe, deren Vertiefung bereits seit vielen Jahrzehnten, insbesondere von Männern, vorangetrieben wird: die Tabuisierung und Schamifizierung der Menstruation. Dieser aufgebauschte Ekel hat sich bei vielen Menstruierenden tief eingebrannt. Insofern ist die heutige Episode auch eine Art “Mental Health Act”. Insofern, als dass Gastautorin Katharina Walser in ihrem Beitrag ihrer aufgestauten Wut und Fassungslosigkeit über die scheinbar noch existierende Unwissenheit und Verschleierung der Periode einerseits, als auch über den Kapitalismus, der aus Scham Profit zu schlagen versucht, Raum gegeben hat.  

Bevor es losgeht, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Denn in die Recherche und Produktion stecken wir eine Menge Zeit und Energie. Damit wir das weiterhin tun können, brauchen wir eure Unterstützung. Das geht zum Beispiel ganz einfach, indem ihr uns einen Betrag euer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Das steht aber auch alles noch mal in den Shownotes. Vielen Dank.

Zu Beginn der Woche, nach einer Runde durch die Zeitung Abonnements, klicke ich mich durch die Instagram Storys von Journalistinnen und Autorinnen, denen ich folge, um mich wie gewohnt auch auf Social Media in aktuellen Diskursen zu orientieren. Dabei entdecke ich einen toten Winkel meiner Mediennutzung wieder: private Fernsehsender. Deren Inhalte sickern meist nur zu mir weiter, wenn etwas allgemeinen Zuspruch bekommt oder einem Skandal gleicht, also Post-Faktor hat. Diesmal ist es mal wieder Skandal, der mich in Form eines Reposts von Yanna Halfering, Redakteurin beim vice Magazin, erreicht. Gezeigt wird ein Bild des Kanals pinky gloves, Repräsentation des gleichnamigen Start-ups, deren Gründer am Montag zu Gast bei der Free TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“ waren und dort im Unternehmer Ralf Dümmel einen Sponsor für ihr Produkt gefunden haben. Das Produkt: Einweghandschuhe aus undurchsichtigem, pinkfarbenem Plastik. Und weiter? Gar nichts weiter. Angewendet soll es werden um Periodenartikel zu entfernen und anschließend darin verschwinden zu lassen. Das soll der große Marketingclou sein. Nach dem Entfernen des Periodenprodukts sollen die Handschuhe umgestülpt werden und anschließend, dafür sorgt eine Art Gefrierbeutel-zipper, luftdicht verschlossen werden. In ihrer Profilbeschreibung auf Instagram schreiben André und Eugen sie produzieren „die clevere Art seinen Tampon zu entsorgen“ und „So fühlst du dich fresh“. In dieser direkten und Vertrauen suggerierenden Ansprache an das vermeintlich bekannte Gegenüber liegt der Ursprungsfehlschluss im gesamten Marketing von pinkygloves: Sie verkaufen sich als „Frauenversteher“. Vom obligatorischen Post zum Internationalen Frauentag bis zur Bildauswahl, die zeigt, wie praktisch ihr Produkt in jede noch so überfüllte Kosmetiktasche passt – sie zeigen deutlich wie überzeugt sie sind etwas gefunden zu haben, dass die Frauen brauchen. Sie erklären, dass die Idee zu den ach-so-notwendigen Handschuhen in der Zeit entstand als Sie in einer „Frauen WG“ wohnten. Ein Begriff der schon für sich eine Erklärung verlangen würde. Ihnen sei nach kurzer Zeit aufgefallen, dass es, „bei der Entsorgung von Binden und Tampons noch keine gute Lösung gibt.“ Woran sie das festmachen? „Um es ehrlich zu sagen, als männliche Mitbewohner waren wir beim Blick in den Badezimmereimer ein wenig … sagen wir ‚verwundert‘. Wir haben dann erfahren, dass unsere Mitbewohnerinnen Probleme mit der Entsorgung von Tampons haben… zuhause und vor allem, wenn sie unterwegs sind.“ Mein erster Impuls: Wer sind diese Frauen? Nach kurzem Nachdenken und mit Blick in die Kommentarspalte verfestigt sich mein Verdacht: Sie sind ausgedachte Figuren im kapitalistischen Kampf um ein Drogerie-Verkaufsregal. Dass die Verwunderung der Männer beim Anblick eines entsorgten Hygieneartikels als Euphemismus für Ekel daher kommt, ist meine zweite Vermutung, die ebenfalls von scheinbar überwältigender Mehrheit in empörten Postings und Kommentaren geteilt wird. Denn von dem alten Toilettenpapier Wickel um den Tampon haben die Herren entweder noch nie etwas gehört oder, was wahrscheinlicher ist: Er ist nicht ausreichend, um die kontaminierende Kraft des entsorgten Tampons einzudämmen. Was da kontaminiert wird, ist bei ihrer ‚Origin Story‘ schnell klar: fragile Männlichkeit, die mit ihrem Produkt sagt: Euer benutzter Tampon muss aus dem Blickfeld verschwinden (daher das blickdichte Plastik), geruchlos sein (daher der Zipper) und ihr müsst auch in der Entsorgung dieses Artikels dem stereotypischen Bild entsprechen, das wir uns von euch gemacht haben (deshalb pink). Aber das Produkt und das Marketing von Damen, die weiße Kleidchen während ihrer Periode tragen und scheinbar an Männergröße angepasste Handschuhmaße, sagen noch mehr: Wir wollen uns überhaupt nicht mit eurer Lebensrealität beschäftigen, sondern lediglich eine Lösung für unser Problem finden. So zeigt auch das Q&A, das die beiden als Highlight gespeichert haben um allen Leser:innen schnell Informationen zu ihrem Start-Up zu liefern, auf allen Ebenen wie Tone Deaf eine solche Vermarktung hinsichtlich des Zeitgeists ist. Aktuelle Diskurse um Periodenarmut werden geradezu verhöhnt, bei einem Päckchen, das 12 Handschuhe zu 2,99 Euro enthält und, nach der Vorstellung der beiden Gründer, nachdem ein Handschuh sowohl zur Entnahme als auch anschließend mit einem zweiten frischen Exemplar auch wieder zur Einführung des neuen Tampons verwendet werden soll, bei den meisten menstruierenden Personen wohl nicht einmal bis Tag 3 der Regelblutung ausreichen würde. Dass ihre Markierung des eigenen Produkts als „nachhaltig“ nur ein müder Witz sein kann, sollte an dieser Stelle auch klar sein. Sie bestehen nach eigener Aussage „aus 100 % Recyclingfähigem Material“. Blödsinn in 2 Schichten: Zunächst kann die Vermarktung eines neuen und überflüssigen Produkts niemals nachhaltig sein, sondern funktioniert nach der alten Leier der Bedürfniserzeugung. Zweitens ist das Produkt spätestens dann nicht mehr recyclingfähig, wenn es seinen angedachten Zweck erfüllt hat, nämlich sobald ein nicht recyclebares Hygieneprodukt darin landet. Und zu guter Letzt sind diese „gloves“ nicht nur in einer pink laminierten Verpackung erhältlich, nein, jeder einzelne Handschuh ist wiederum in ein kleines Plastikteil eingewickelt, als handele es sich dabei um klebende Karamell Bonbons. Der Vergleich zu dem Unternehmen ooia drängt sich geradezu auf, das sich in Herstellung und Marketing von Menstruationsunterwäsche dem Thema Nachhaltigkeit ebenso widmet wie dem „Female Empowerment“ und 2019 ohne einen Sponsorendeal die Höhle der Löwen verlassen hat. Im Übrigen handelt es sich bei der Leitung dieses Unternehmens um zwei Frauen. Doch am stärksten, innerhalb dieser Ignoranz von Bedürfnissen und Interessen menstruierender Personen, fällt ins Gewicht, dass mit der gesamten Selbstinszenierung von pinky gloves ein altes, sehr bekanntes Narrativ antifeministischer Rhetoriken neu entfacht wird: das Märchen um die mangelnde Hygiene im Intimbereich von als Frauen gelesene Personen. Mindestens so alt wie das alte Testament ist diese Vorstellung der Unreinheit der Frau während ihrer Periode, waschen soll sich jeder heißt es darin, der mit dem menstruierenden Körper in Berührung kommt. Und auch heute steht pinky gloves nicht alleine da, Katja Lewina schreibt dazu bei jetzt.de, dass der Großteil der Intimhygiene-Industrie ihre Werbung nach diesem Prinzip auslegt, von der angeblichen Notwendigkeit eines extra entwickelten Waschgels für die Vulva bis zu Parfum Stoffen in Slipeinlagen. 

Der Kampf um die Enttabuisierung der Menstruation ist an dieser Industrie und diesen beiden Herren scheinbar bisher spurlos vorübergezogen. Ein Kampf, der von Künstler:innen öffentlich stärker geführt wird denn je, man erinnere sich an die einschlagende Wirkung der Fotografie, welche die erfolgreiche Lyrikerin Rupi Kaur mit einem Blutfleck zwischen den Beinen auf ihrem Bett zeigt oder auch ganze Kanäle wie der von artbyauntflow widmen sich mit umfangreicheren Fotoprojekten der optischen Repräsentation der Periode und hoffen durch mehr Sichtbarkeit auf größere Toleranz. „Diskret“ soll das ungut riechende und irritierend aussehende Ding nun verschwinden, aber Himmel sei Dank den cis-männlichen Helden der Geschichte, die einem dieses Verstecken der vermeintlich unangenehmen Seite des Frau-Seins endlich leichter machen. Als Ritter inszenieren sich die Herren, ihr nicht so bescheidener Leitspruch dabei: „Let’s change the world for women“.

Mit ihrem Produkt ist maximal einem realen Mangel geholfen: Den Grund für die eigene die Überforderung mit dem weiblichen Körper in einem Versagen der als Frauen gelesenen Person zu verorten; oder: in ihrem bisherigen Versagen sich so unauffällig und gefällig zu machen, dass man wie der Tampon hinter einer Schicht aus Verschleierungsmaterial unsichtbar wird. Das könnte man alles als nichtige Lappalie abtun, 3 Männer, die in ihrem Drang nach wirtschaftlichem Erfolg grandios ins Klo gegriffen haben und sich nun auf allen möglichen medialen Kanälen die Quittung abholen können. Und ja, die Situation entbehrt, besonders wenn man bereits seit längerem in feministischen Diskursen unterwegs ist, nicht einer gewissen Komik. Noch weniger ernst als das Produkt selbst kann man nämlich das Statement der Gründer zu erhaltener Kritik nehmen: Sie freuen sich, dass, quasi dank ihres Fehlers, der Diskurs um die Periode endlich entfacht worden sei und setzen so der eigenen Überschätzung geschwind noch ein Krönchen auf. Freuen könnte und sollte man sich wohl auch über die atemberaubende Gegenwehr, die zu diesem verteidigenden Statement bewegt haben. Die Stimmen dieser Gegenwehr scheinen geschlossen zu rufen: Wir haben genug von der Stigmatisierung und Kapitalisierung unserer Körper! Aber als fader Nachgeschmack bleibt die Frage nach denjenigen, die nicht in diesen Debatten stecken. Wo Wut und die Artikulation dieser Wut nicht die Reaktion auf ein solches Produkt ist, sondern die Verstärkung der Scham. Und dann kommt die Frage, die ich mir eingangs gestellt habe, wieder auf: Wer sind diese Frauen, mit welchen die Gründer angeblich vor Entwicklung ihres Produkts gesprochen haben? Die Sicherheit, mit der ich behauptet habe, dass sie ein reiner Marketingstreich seien, weicht der Sorge darum, dass sie wirklich so fühlen. Nicht weil sie bisher keinen Zugriff auf ein so sinnbefreites Produkt hatten, sondern weil die Angst unpassend und unrein für den ‚Male Gaze‘ zu sein groß genug ist, um dessen Sinn überhaupt infrage zu stellen. Oder, wie die Twitter-Userin Vectoria (@Vektorianisch) schreibt: „Wisst ihr was das Schlimmste an #pinkygloves ist? Mein Teenager-ich hätte es gekauft“. Solange also auf einer so großen und zugänglichen Plattform wie dem Free-TV zur Prime Time alte Männer so einen Deal für eine gute Idee halten mache ich mir Sorgen um die Erreichbarkeit der Inhalte und um meine eigene inhaltliche Blase, in der ich fast schon überzeugt war, dass so ein unverfrorener Sexismus der Vergangenheit angehört

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18. April 2021

Anna Mayr: Warum sind Arbeitslose systemrelevant?

von Marilena 5. Januar 2021

Kann es sein, dass Arbeitslosigkeit gewollt ist? Dass das Elend vieler Menschen in Kauf genommen wird, um ein Paradigma aufrechtzuerhalten, das wir seit geraumer Zeit befolgen? Das Dogma des: Ich arbeite, also bin ich. Anna Mayr ist davon überzeugt. In ihrem Buch „Die Elenden“, plädiert Anna Mayr dafür, dass wir uns von Leistungsidealen, dem Glauben an Bildungsgerechtigkeit und unserem Arbeitsfetisch verabschieden sollten. Und für eine Welt, in der wir die Elenden nicht mehr brauchen, um unseren Leben Sinn zu geben.

Shownotes:

► Anna Mayr: Die Elenden: Warum unsere Gesellschaft Arbeitslose verachtet und sie dennoch braucht. Hanser Literaturverlage, 08/2020.
► Virginia Woolf: A Room of One’s Own. 1929.
► Spiegel.de: »Hillbilly Elegy« auf Netflix: Hollywoods Hilflosigkeit. Hannah Pilarczyk.
► Boston Globe: ‘Hillbilly Elegy’: welcome to hard times. Ty Burr.

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5. Januar 2021

Rebekka Reinhard: Wie gelingt uns Vielfalt im Denken?

von Marilena 3. November 2020

In unsicheren Zeiten wächst die Sehnsucht nach Einfachheit und Entweder-oder-Denken. Das ist verständlich, aber nicht zeitgemäß, argumentiert die Philosophin Rebekka Reinhard. Unsere Vernunft wach zu machen und offen zu sein für das Vieldeutige und Widersprüchliche, weitet unseren Blick für andere Möglichkeiten – und für Reichtum und Schönheit einer vielfältigen Welt. Das »wache Denken« begegnet der Vereinfachung mit einer Lust am Spiel, am Experiment, am Wagemut. Und das brauchen wir, laut Rebekka Reinhard, heute dringend, um zu neuem Wissen zu finden, zu einer intelligenten Verbindung von Verstand und Emotion, von Hirn und Herz.

Shownotes:
► Wach Denken: Für einen zeitgemäßen Vernunftgebrauch von Rebekka Reinhard. Erschienen 09/2020 im Verlag der Körber Stiftung.
► Mehr von und über Rebekka Reinhard auf ihrer Website.

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3. November 2020
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