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Arbeit

Klimakrise, Burn-out- alles eine Frage der Zeit?

von Henrietta Clasen 16. März 2021

Es gibt Dinge die bemerkt man lange Zeit nicht, bevor man zu wenig oder zu viel davon hat. Eines dieser Phänomene ist “die Zeit”. Sie ist das Wasser, in dem wir schwimmen. Die Luft, die wir atmen. Immer da und doch nicht greifbar. Nur als Jenes, das verrinnt. Vor unseren Augen als Zeiger, die fortlaufend das Ziffernblatt der Uhr umrunden. Sekunde um Sekunde, Minute um Minute, Stunde für Stunde. Und das, ganz gleich, ob es uns beliebt oder nicht. Die Zeit lässt sich nicht stoppen, nicht unter Kontrolle bringen. Eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass der Mensch noch keine Technik erfunden hat, die eben dies bewirkt. Doch, wenn sich die Zeit schon nicht kontrollieren lässt, so doch wenigstens der Umgang mit ihr. Man könnte sagen, der moderne Mensch IST Zeit. Er hat sie sich in solchem Maße angeeignet, dass sie Teil seines Selbst geworden ist – oder er Teil von ihr.

SHOWNOTES:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder  werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Alles eine Frage der Zeit: Harald Lesch, Karlheinz A. & Jonas Geißler. oekom Verlag.
► Momo: Michael Ende.
► Ist es radikal, nach Corona lange Ferien zu machen? Teresa Bücker in “Freie Radikale: Die Ideenkolumne” des sz-Magazins.
► 24 Jahre schlafen: Dafür geht unsere Lebenszeit drauf: Stern.de.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: Klimakrise, Burn-out- alles eine Frage der Zeit?

„Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit. Es gibt Kalender und Uhren, um sie zu messen, aber das will wenig besagen, denn jeder weiß, dass einem eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen – je nachdem, was man in dieser Stunde erlebt. Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“ So steht es in Michael Endes Kinderbuch Momo. 

Es gibt Dinge die bemerkt man lange Zeit nicht, bevor man zu wenig oder zu viel davon hat. Ansonsten kommen sie einem wie das Selbstverständlichste der Welt vor. Eines dieser Phänomene ist “die Zeit”. Sie ist das Wasser, in dem wir schwimmen. Die Luft, die wir atmen. Immer da und doch nicht greifbar. Nur als Jenes, das verrinnt. Vor unseren Augen als Zeiger, die fortlaufend das Ziffernblatt der Uhr umrunden. Sekunde um Sekunde, Minute, um Minute, Stunde für Stunde. Tag für Tag, Jahr um Jahr. Und das, ganz gleich, ob es uns beliebt oder nicht. Die Zeit lässt sich nicht stoppen. Nicht unter Kontrolle bringen. Eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass der Mensch noch keine Technik erfunden hat, die eben dies bewirkt. Die Zeit, wie in Michael Endes Roman Momo, zum Stoppen bringt. Doch wenn sich die Zeit schon nicht kontrollieren lässt, so doch wenigstens der Umgang mit ihr. Man könnte sagen, der moderne Mensch IST Zeit. Er hat sie sich in solchem Maße angeeignet, internalisiert, dass sie Teil seines Selbst geworden ist – oder er Teil von ihr. Um sie, also die Zeit, unter Kontrolle zu bringen, stehen dem postmodernen Subjekt ein reichhaltiges Repertoire  von Strategien zur Verfügung, die es zur Anwendung bringen kann: von Speed-Reading, über One-Day-Delivery, Fast-Food-Ketten, Intermittent-Fasting, bis hin zur akribischen Tagesplanung, To-do-Listen und dem Leistungs-Tracking mittels moderner Technik. All dies gibt den Menschen das Gefühl ihr Leben und damit die verstreichende Zeit, unter Kontrolle zu haben. “Es liegt allein in deiner Hand”, scheint der Zeiger auf der Uhr uns mahnend entgegen zuraunen. Time is money! Oder, wie Seneca einst schrieb: “Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.” 

24 Jahre seines Lebens verschläft der durchschnittliche Deutsche angeblich. 12 Jahre sieht er fern – zu Corona-Lockdown-Zeiten sind es vermutlich noch mehr. 374 Tage verbringt der Mensch angeblich wartend – an Ampeln, im Stau, an Flughäfen, in Schlangen, an der Kasse, beim Arzt… Doch wer beurteilt eigentlich, ob diese Zeit sinnvoll oder vergeudet ist? Wer, außer uns selbst, kann diese Bewertung vornehmen? In einer idealen Welt, wäre das vielleicht auch so, in der es uns, wovon Marx schon träumte, frei stünde „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren”. Oder vielleicht auch einfach mal nichts zu tun? Gut, das hätte Marx vielleicht anders gesehen. Aber, was ich damit sagen will, ist: Es ist leider nicht ganz so einfach. Denn Zeit ist leider nicht rein individuell zu betrachten. Sowohl in Bezug darauf, welchen Stellenwert sie für uns einnimmt, als auch, welchen Zugang wir zu ihr besitzen. Genau das ist nämlich immer schon unweigerlich mit dem Zeitgeist, der Gesellschaft und Kultur, in der wir leben, verbunden. Und, oh Wunder, was macht es wohl mit Menschen, die in einer Welt leben, in der Zeit wichtigste und knappste Ressource zugleich ist? Von Effizienz und Optimierungszwang getrieben, eilt das moderne Subjekt von A nach B. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie vielleicht weniger in geografischer Hinsicht, aber doch weiterhin, und sei es zwischen Home-Office Laptop und Kinderzimmer. Es gibt so viel zu tun, zu sehen, zu lesen zu wissen und vor allem so viel, zu dem man seinen Senf hinzugeben könnte. Meinung ist heute alles! Wer keine Meinung hat, hat verloren. Manchmal frage ich mich jedoch, wie ich mir überhaupt eine Meinung bilden soll, wenn alles an mir vorbeirauscht, die Twitter Meldungen nach 3 Sekunden schon veraltet sind und jeden Tag ein neuer Skandal auf dem Titelblatt steht. Wann soll ich die Zeit finden, mir darüber mal wirklich Gedanken zu machen? Mich mal intensiv mit etwas auseinandersetzen? Geschweige denn, mal anderen wirklich zuhören? Eine “Empörungskultur” erlaubt das nicht. Hier zählt nur das ausgesprochene oder ausgeschriebene Wort – möglichst schnell und am besten laut.

“Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat”, schrieb einst der Physiker und Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg. Ich erinnere mich noch, wie zu Anfang des ersten Corona-Lockdowns davon gesprochen wurde, wie viel mehr Zeit uns doch nun zur Verfügung stünde. Und, ach, welch ein Privileg! Was soll man nur mit ihr anstellen? Mit all der überflüssigen Zeit, die doch keinesfalls vergeudet werden durfte. Doch irgendwie habe ich das Gefühl, dass dieser kurze Moment des Zeitwohlstands, der vermutlich auch nur einer sehr sehr kleinen Gruppe von Menschen vergönnt blieb, schnell vorüberging. Heute höre ich zumindest nur noch selten von Menschen auf der Suche nach neuen Hobbys, wie dem Puzzeln, Sauerteigbrot backen oder Stricken. Corona hat eines ganz bestimmt nicht vermehrt, die Zeit. Die Journalistin und Autorin Teresa Bücker schreibt in ihrer Kolumne für das Magazin der Süddeutschen Zeitung: “Der Corona-Bonus, den alle verdienen, ist mehr freie Zeit. Wir brauchen Corona-Sonderurlaub auch nach der Pandemie, damit wir nach einer langen Zeit, in der neben der Arbeit kaum etwas stattfand, wieder spüren können, warum wir auf der Welt sind.” Auch, wenn kritisch zu diskutieren wäre, um wen es sich bei diesem kollektiven “wir”, das Bücker anspricht, handelt, so kann ich mich ihrem Punkt, den sie damit vermutlich setzen will, nicht ganz entziehen. Denn ein Leben, das primär aus Arbeit, genauer gesagt, Lohnarbeit und oft unbezahlter Care-Arbeit besteht, ist ziemlich anstrengend, wenn nicht sogar ermüdend. Hinzu kommt die psychische Belastung der Situation an und für sich. Die Unvorhersehbarkeit der Zukunft. Was bleibt einem da anderes übrig, als sich voll und ganz der Arbeit hinzugeben? Der nächste Urlaub rückt schließlich eh in immer weitere Ferne.

Mit der Gleichsetzung von Zeit mit Geld verblasste die Bedeutung ökologischer wie kultureller System- und Eigenzeiten immer mehr. “Dafür zahlen nicht nur die heute lebenden Menschen, sondern vor allem die Natur und die künftigen Generationen einen hohen Preis”, so der Zeitforscher Karlheinz Geißler in dem Buch Alles eine Frage der Zeit, welches just am heutigen Tage erscheint. Er und seine zwei Co-Autoren, Harald Lesch und Jonas Geißler eröffnen darin eine weitere Perspektive auf das Phänomen Zeit, die eigentlich von größter Relevanz für uns alle sein sollte. Nämlich die Frage, wie viel Zeit uns noch bleibt, um unseren Planeten und damit auch die Menschheit zu retten. Sprich, wie viele Jahre oder Jahrzehnte, bleiben uns noch, um die Klimakrise abzuwenden? Um das Schlimmste zu verhindern oder gar das Blatt zu wenden und eine lebenswertere Zukunft zu gestalten? “Klimakrise, Artensterben, Burn-out? Alles eine Frage der Zeit!”, sagt Harald Lesch. “Zeitnot und Hektik prägen unsere Gesellschaft. Gemäß dem Motto »Zeit ist Geld« kämpfen wir gegen alles Langsame, Bedächtige oder Pausierende, oft bis zur Erschöpfung. Dafür zahlt auch die Natur einen hohen Preis: Unsere Nonstop-Gesellschaft forciert die ökologische Krise. Was die Natur in Jahrtausenden erzeugt hat, wird in kürzester Zeit »verwertet«, ja regelrecht verbrannt.” Was es den Autoren zufolge bedarf, ist eine “nachhaltige Zeitkultur”, “in der das Diktat der Verrechnung von Zeit in Geld überwunden ist und wir nicht länger uns und unsere Umwelt verschleißen. [Denn nichts] hat keine Zeit, alles aber hat seine Zeit! Verändern wir unser Verhältnis und Verständnis zur Zeit, dann fördern wir die Zukunftsfähigkeit unserer Lebensformen.” Es ist wirklich an der Zeit, so könnte man sagen!

Ein Blick auf die Politik erweckt jedoch eher den Eindruck, als lebe sie in einem anderen Raum-Zeit-Kontinuum, zu der die existenzielle Dringlichkeit der klimatischen Veränderungen noch nicht vorgedrungen ist. Oder aber, es gilt, was Ernst Ferstl einst schrieb: “An Zeit fehlt es uns vor allem dort, wo es uns am Wollen fehlt.” Nur ist das wiederum der Natur ziemlich einerlei, ob wir wollen oder nicht. Der Klimawandel wird sich weiter vollziehen, wenn wir den Kurs nicht ändern. Und damit ist nicht nur die Umsetzung der Maßnahmen des Pariser Klimaabkommens gemeint, sondern auch das Überdenken unseres Verständnisses von uns Menschen in der Welt und damit auch in der Zeit. Autor und Berater Jonas Geißler empfiehlt dazu folgendes: “Eine gute Möglichkeit, sich selbst auf die Spur zu kommen, ist, statt “Zeit einmal “Leben” zu sagen und zu beobachten, was dann passiert. Unsere Wahrnehmung verändert sich augenblicklich: ›Ich habe kein Leben?‹ ›Ich leide unter Lebensknappheit?‹ ›Ich habe Lebensprobleme?‹ Es wird deutlich, wie unser Denken und Sprechen über die Zeit uns dazu verführt, auf einer bestimmten Ebene zu bleiben und die dahinter liegenden Probleme nicht zu erfassen. Wenn wir sagen: ›Ich habe keine Zeit‹, scheint das etwas zu sein, was außerhalb unserer Verantwortung liegt. Wenn wir sagen: ›Ich habe kein Leben‹, sprechen wir von uns.”

Sicherlich, das Hinterfragen individuellen Zeitverständnisses und -gebrauchs ist ein wichtiger Schritt – dabei belassen sollten wir es jedoch nicht. Ein sehr viel grundsätzlicheres Umdenken, insbesondere auf ökonomischer Ebene sei vonnöten, so der Zeitforscher Karlheinz Geißler: “Der vom Messen besessene Kapitalismus sieht in der Natur eine endlos verfügbare Ressource, der man sich, ohne sich um die Reproduktion zu kümmern, nach Belieben bedienen kann. Zeit ist aber ebenso wenig eine Ressource wie das Leben selbst. »Ressource« ist sie nur in der ökonomischen Systemlogik. Wir tun gut daran, deshalb auch nur im Rahmen ökonomischer Diskurse der Zeit Ressourcencharakter zuzuschreiben. Geht’s um Zeit in Kultur, Kunst, Politik oder in Bildung und Erziehung, ist die Ressourcenperspektive fehl am Platze. In der Ökonomie muss man Zeit gewinnen, in der Erziehungs- und der Bildungsarbeit, wie auch in der Kunst, Zeit in kreativer Art und Weise verlieren.”

Es gilt also bewusster und zugleich “verschwenderischer” mit Zeit umzugehen. Für einen neuen Zeitwohlstand, der allen zugutekommt, Mensch, wie Natur. Die Zeit dafür ist mehr als reif! Nehmen wir sie uns!


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16. März 2021

Recht auf Faulheit: Zeit & Muße demokratisieren?

von Ricarda Manth 12. Januar 2021

Der Faulenzer hat einen eher schlechten Ruf. In einer Gesellschaft, die Arbeit und Leistung glorifiziert, gilt er als unproduktiv und nutzlos. Doch dies war keineswegs immer so. Zumindest wurde in der Antike noch der Müßiggang hochgehalten, als notwendiger Rückzug zur Charakterbildung. Und auch später in der Geschichte erhoben sich immer wieder Stimmen, wie die Bertrand Russells oder Paul Lafargues, die ein „Recht auf Faulheit“ proklamierten. Doch worin besteht eigentlich das emanzipatorische Potenzial der Muße?

Shownotes:

► Bertrand Russell: Lob des Müßiggangs. (1935).
► Paul Lafargue: Das Recht auf Faulheit. (1883).
► Joachim Schultz und Gerhard Köpf: Lob der Faulheit. Geschichten und Gedichte. Insel Verlag (2004).
► Ottokar Wirth: Lob des Nichtstuns oder die Kunst der Muße und der Faulheit. Sanssouci (1973).
► Virginia Woolf: Ein Zimmer für sich allein. (1929).
► Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern. (1945).
► Martin Heidegger: Die Grundbegriffe der Metaphysik: Welt, Endlichkeit, Einsamkeit (1929).
► Iwan Gontscharow: Oblomow. (1859).
► John Maynard Keynes: „Die ökonomische Zukunft unserer Enkel”. (1930).
► Deutschlandfunk: Faulheit – Todsünde oder Tugend?. André Rauch im Gespräch mit Michael Magercord.
► Zeit-online: Reformation: Martin Luther, der Vater des Arbeitsfetisch. Patrick Spät.

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Transkript: Recht auf Faulheit: Zeit & Muße demokratisieren?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Bevor wir einsteigen, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Denn in das Recherchieren des Podcast stecken wir eine ganze Menge Zeit. Damit wir uns das weiterhin leisten können, brauchen wir eure Unterstützung. Als Fördermitglieder, die ihr schon ab 1€ sein könnt, sorgt ihr nicht nur dafür, dass wir weiterhin unabhängig und werbefrei produzieren können, ihr nehmt zudem regelmäßig an Buchverlosungen teil. Wie ihr uns und unsere Arbeit unterstützen könnt, erfahrt ihr in den Shownotes. Dort habe ich alles verlinkt. Vielen Dank.

“Donnerstag, den 5. Auftrag bekommen, Plauderei “Über die Faulheit” zu schreiben. Liegestuhl gekauft. Darin in entspannter Lage über das Thema nachgedacht. Dabei eingeschlafen. […]

Samstag, den 7. Diese Notizen ins Tagebuch eingetragen. Davon erschöpft, deshalb freien Nachmittag eingelegt. […]

Donnerstag, den 12. Erkenntnis: Faulheit ist der Humus des Geistes. Erhabene Gedanken gedeihen nur in körperlichem Ruhezustand. […] man muss sich ohne schlechtes Gewissen zur Faulheit bekennen.”

Diese Worte stammen von dem deutschen Schriftsteller und Satiriker Thaddäus Troll. Und, seien wir ehrlich, dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Hier könnte meine Arbeit beendet sein. Denn, ist es nicht paradox an sich, Zeit und Muße auf einen Essay über das Faulenzen, die vita contemplativa, das dolce far niente, das süße Nichtstun zu verwenden? Gelangt man nicht schlussendlich, wie auch Thaddäus Troll, an den Punkt, dass es viel lohnender ist, sich dieser hinzugeben, statt sich unnötig den Kopf über sie zu zerbrechen?

Nicht unbedingt. Es kommt ganz darauf an, wie wir “Faulheit” definieren wollen. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden eine Reihe an Begriffen, die diesem ähnlich sind, oft synonym verwendet. Dabei besteht zwischen diesen, bei genauerer Betrachtung, ein kleiner, aber feiner Unterschied. So ist die Faulheit nicht zu verwechseln mit dem bloßen Nichtstun. Denn das Nichtstun, sofern es überhaupt möglich ist, beschränkt sich auf einen Zustand des Verharrens, die Unbeweglichkeit. Auch die Langeweile, die oft mit dem Nichtstun in Verbindung gebracht wird, ist keineswegs identisch mit der Faulheit. So findet sich das Subjekt in der Langeweile dem Nichts ausgeliefert. Es ist ein Zustand, der selbst kaum herbeizuführen ist, einen vielmehr überkommt. Nicht immer freiwillig. Die tiefe Langeweile als die verborgene Grundstimmung, ist die Leergelassenheit als Ausgeliefertheit des Daseins, wie es der Philosoph Martin Heidegger in “Die Grundbegriffe der Metaphysik” beschreibt. Der Begriff der “Muße” hat aber wohl die größte Ähnlichkeit mit dem Faulenzertum. Sie bezeichnet die Zeit, über die eine Person nach eigenem Wunsch verfügen kann. Ein etwas altertümliches Wort, das peu a peu durch Begriffe, wie “Freizeit” oder “quality time” abgelöst wurde. Wenngleich diese heute wohl anders in der Praxis gelebt werden, als die Denker der Antike einst die Muße definierten, die vor allem als otium cum dignitate, die als mit philosophischer Betätigung verbrachte würdevolle Muße in Zurückgezogenheit, verstanden wurde. Und eben darin liegt vielleicht auch der Unterschied zwischen Muße und Langeweile: “Müßiggang. Da ist in der letzten Silbe immer noch einer unterwegs. Er sucht nach Arbeit”, argumentiert der Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre. “Muße hat den entscheidenden Nachteil. Sie impliziert die Frage wofür.”

Wenn der Faulheit, das lässt sich kaum leugnen, ähnlich, wie auch der “Trägheit”, eine gewisse Negativität, eine Abwertung anhaftet, so ist der Aspekt, der für das Faulenzen ganz fundamental scheint, jener der Selbstbestimmung. Trifft doch der Mensch aus eigener Kraft, sofern es sich nicht um lähmende Antriebslosigkeit handelt, wie beispielsweise bei einer Depression, die Entscheidung, sich einer auferlegten Arbeit zu widersetzen, um sich stattdessen etwas zu widmen, das ihm dienlicher scheint. Ein Akt der Rebellion schlechthin: “Jemand der faul ist, nimmt sich seine Freiheit. Faulheit ist der höchste Grad der Freiheit: Ich tue nicht, was du von mir willst, ich tue, was ich für mich entscheide!” , argumentiert der französische Philosoph André Rauch im Deutschlandfunk. Und er führt pointiert fort: „Faulheit ist der Pazifismus in der Ersten Person Singular – und ist es nicht dieser gelebte Pazifismus, der erst jenen im Plural möglich machen würde?!“

Kein Wunder also, dass diese Form der stillen Revolte, die Gefahr, die durch das emanzipatorische Potenzial der Faulheit geboren wird, nicht von allen gutgeheißen wurde und wird. Vor allem nicht von den Reichen und Mächtigen. “Der Gedanke, daß die Unbemittelten eigentlich auch Freizeit und Muße haben sollten, hat die Reichen stets empört”, schreibt der britische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell 1935 in seinem Aufsatz “Lob des Müßiggangs”. Und weshalb, ließe sich fragen, sollte denn nicht jeder das Recht und den Anspruch auf etwas Zeit für sich haben? Wieso diese Mißgunst? Nun ja, das lässt sich recht leicht erklären, fährt Russell fort: “Dieser Gedanke stößt bei den Wohlhabenden auf entrüstete Ablehnung, weil sie davon überzeugt sind, die Armen wüßten nichts Rechtes mit soviel Freizeit anzufangen. […] Wer Zeit seines Lebens täglich lange gearbeitet hat, wird sich langweilen, wenn er plötzlich untätig sein muss.” Und, wie heißt es im Volksmund nicht so schön: “Müßiggang ist aller Laster Anfang”. Die Arbeit sollte also das einfache Volk davon abhalten sich sinnlos zu betrinken und Unfug zu treiben. Diese vordergründigen Sorgen um das Wohlergehen der Armen verschleiern jedoch, was eigentlich hinter  den vermeintlich guten Absichten steht. So schreibt Russell: “Historisch gesehen war der Begriff der Pflicht ein Mittel, das die Machthaber dazu benützen, andere Menschen dazu zu veranlassen, zum Nutzen ihrer Herren statt zum eigenen Vorteil zu leben […] und tatsächlich ist ihr Streben nach angenehmem Müßiggang der historische Ursprung des ganzen Evangeliums der Arbeit.” Die Armen durften also nicht “unzufrieden werden, was die Reichen veranlaßte, jahrtausendelang Wert und Würde der Arbeit zu predigen.”

Denn eines war klar, einer musste ja arbeiten, um den anderen das gute Leben zu ermöglichen. Nicht umsonst hatten in der Antike bei den alten Griechen und Römern hierfür die Sklaven herzuhalten. Während die vita contemplativa nur den edlen Herren, den freien Bürgern vergönnt war und als erstrebenswertes Ideal galt, wurde die vita activa, also die schwere, meist körperliche Arbeit, den Unfreien, den Sklaven überlassen. Irgendeiner musste ja Colloseum und Akropolis errichten und den Wein anbauen, an dem sich die Denker in den Stunden der Muße ergötzten. Wenngleich diese Aufteilung maßlos ungerecht sein mag, so lässt sich dennoch über die Antike sagen, sie hatte ein äußerst wohlwollendes Bild von der Muße, sofern sie sinnvoll, im Sinne der Charakterbildung, eingesetzt wurde. 

Doch dann tauchte Martin Luther im 15. Jahrhundert auf der Spielfläche auf und sprach: “Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen. Müßiggang ist Sünde wider Gottes Gebot, der hier Arbeit befohlen hat.” Der Dienst am Herrn war geboren. Als also plötzlich die Faulheit gleichgesetzt wurde mit Nichtstun und Untätigkeit, wurde der Faule zugleich jemand, dem es an Bürgersinn mangelte. Während der Protestantismus mit Luther die Arbeit hochhielt, wandte er sich gegen jeden Müßiggang. Die protestantische Ethik, so Max Weber, sei zu einer wesentlichen Grundlage des Frühkapitalismus geworden. Und Luther, so ließe sich ergänzen, der Vater des modernen Arbeitsfetisch, des homo oeconomicus, als der wir heute noch, wie die emsigen Ameisen, rastlos ackern und rackern.

“Die Faulheit”, so Philosoph André Rauch, sei “ja auch deshalb so interessant, weil sie uns unser Hin- und Hergerissensein zeigt. Sie spiegelt, wie jede Epoche, jede Zeit, jede Gesellschaft oder auch jede Nation sich selbst sieht, sie zeigt uns unsere Phantasmen. Und auch, was uns und unsere stetig fortschreitenden Gesellschaften wirklich antreibt. Denn wenn es ein Gegenstück zum Fortschritt gibt, dann ist es die Faulheit.” Die Geschichte der Faulheit, als eine Geschichte der herrschenden Moral?

Was sagt es also über unsere heutige Gesellschaft aus, die, trotz aller technischer Innovationen, die in den vergangenen Jahren hervorgebracht wurden, sich dennoch an dem Wert von Arbeit manisch festzuklammern scheint? Sie vielleicht mehr denn je lobpreist und glorifiziert. Hatte der britische Ökonom John Maynard Keynes doch bereits 1930 prognostiziert, dass sich die Menschen in 100 Jahren längst an einer 15-Stunden erfreuen würden. Doch selbst, wenn uns bis 2030 noch ein paar Jahre übrig bleiben, so ist zu bezweifeln, ob eine Kehrtwende, welche die Loslösung von Arbeit und Leistung als Maßstab für Produktivität und Sinn voraussetzte, noch denkbar ist. Beruhen die Identitäten postmoderner Subjekte doch genau auf jenen Tätigkeiten, mit denen sie ihr täglich Brot verdienen. Und auch die Utopie einer Vollbeschäftigung scheint längst nicht hinter uns gelassen – insbesondere nicht in einer Krisen geprägten Zeit, wie der unseren. Eine Abkehr vom Arbeitsethos, wie eine Hinwendung zu Müßiggang, wenn dies gelingen soll, bedarf einen wahrhaftigen Sinneswandel. Eine Neubetrachtung des Menschen, unseres Selbstbildes, als auch der Ziele einer Gesellschaft. Denn, wer über die Verfügbarkeit und den Nutzen von Zeit spricht, der stellt zugleich die Frage nach dem guten Leben. Und so wird die Faulheit, also die Frage der Nutzung von Lebenszeit, zur Kernfrage des Lebens schlechthin.

“Wenn ich der Gesellschaft meine Vormittage und meine Nachmittage verkaufte, wie es offenbar die meisten tun”, schreibt Henry David Thoreau, “würde für mich gewiss nichts mehr übrig bleiben, für das es sich lohnt zu leben.” Nun war Thoreau auch jener Schriftsteller, der den Rückzug in die Wälder und das einfache Leben postulierte. Am 4. Juli 1845 bezog Thoreau eine selbstgebaute Blockhütte am Walden-See. Hier verbrachte er allein, wenn auch nicht gänzlich abgeschieden, zwei Jahre. „Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näher zu treten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte. […] Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so hart und spartanisch leben, dass alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschlagen wurde.“

Damit beschreibt Thoreau ein Gefühl, das dem heutigen Wunsch nach Entschleunigung, dem Ruf nach weniger und Einfachheit, wohl ziemlich nahe kommt. Unübersehbar, quillen die Regale von Fachzeitschriften Händlern über, mit Illustrierten, deren Cover Titel, wie “Hygge”, “Landlust” und “slow” schmücken. Selbsthilfe Ratgeber fluten den Markt mit immer neuen Strategien für mehr Gelassenheit und Lebensglück. Meditation, Yoga, Wellness – hauptsache mal runterkommen. Endlich mal Zeit für sich haben. Doch der Verdacht wird schnell laut, dass auch die Übung in Achtsamkeit, das bewusste Besinnen, am Ende doch nur dem Zweck, die eigene Produktivität und damit das Rad der Wirtschaft am Laufen zu halten, dient. 

Denn Schritt für Schritt hat sich auch die Idee der Freizeit von der des Faulenzens freigemacht. Und wurde eingenommen von der Vorstellung, Muße sei eine Zeit voller Beschäftigung, in der Faulheit keinen Platz mehr habe. Eine Zeit des Konsums, des Zweckgerichteten, des Geschäftigen und Umtriebigen. Aber, immerhin ist sie doch selbstbestimmt, oder etwa nicht?! Nichtsdestotrotz scheint die moderne Wellness- und Mindfulness-Kultur nur noch wenig mit dem klassischen Begriff der Muße gemeinsam zu haben. Hat sich die Freizeit also, ohne, dass wir es bemerkten, etwa auch dem Zwang des “um zu”, der Nutzen-Logik kapitalistischen Wirtschaftens unterworfen? Ist dies der Grund, weshalb wir, trotz der maßlosen Fülle an Freizeitangeboten, uns dennoch getrieben und nahezu überfressen fühlen?

Der Geist “muß, um eigentlich zu philosophieren, […] wahrhaftig müßig sein: er muss keine Zwecke verfolgen”, schrieb Arthur Schopenhauer. Es scheint, solange alles, selbst Freizeit und Muße, dem Dogma der Produktivität unterliegen, werden wir wohl kaum in den Geschmack eines gutes Lebens kommen. “Wer nun weiter kommen will auf dem Weg zu einer nachhaltigen Moderne – mit und mithilfe der Faulheit – muss nach vorne schauen, muss Faulheit in die Zukunft überführen, muss Faulsein als Vision für eine zukünftige Welt entwerfen”, so der Philosoph André Rauch. 

Dieser Überzeugung war auch schon der französische Sozialist und Arzt, Paul Lafargue. In seinem bekannten Werk von 1883, “Das Recht auf Faulheit”, eine Widerlegung des “Rechtes auf Arbeit”, schreibt er: “O Faulheit, erbarme dich unseres langen Elends! O Faulheit, Mutter der Künste und der Tugenden, sei der Balsam für die Leiden des Menschen!” Wie kam Lafargue zu einer solchen, insbesondere für die damalige Zeit, radikalen Einsicht? Was ließ ihn davon überzeugt sein, dass, wie er es selbst ausdrückte, “Alles individuelle und soziale Elend […] seiner Leidenschaft für die Arbeit” entstamme”?

Nun, ganz ähnlich, wie auch später Bertrand Russell, beobachtete schon Lafargue mit großem Argwohn die wachsende Ungleichheit, die er insbesondere auf die Ausbeutung des Proletariats, der Arbeiter durch die Bourgeoisie, also die Kapitalisten, zurückzuführte. Lafargue stellte nichts geringeres, als den Fortschritt, der durch die Industrialisierung erhofft wurde, in Frage, dabei jedoch nicht selten zynisch und mit einer Prise Humor. So schrieb er: “es wäre besser, man vergiftete Brunnen, man säte die Pest, als inmitten einer ländlichen Bevölkerung kapitalistische Fabriken zu errichten.” Auch er plädierte für eine Reduzierung der Arbeitszeit. Nicht nur zum Schutz der Arbeitenden, sondern auch, da er davon überzeugt war, dass durch die Überproduktion, durch das zu viel an Arbeit, ein Konsumzwang entstünde. Also das, was wir heute erleben. Wir müssen wachsen. Immer weiter wachsen. Über die planetaren Grenzen hinaus. Indem wir schuften und das, was wir erarbeiten, in unserer Freizeit konsumieren. Ein ewiger Teufelskreis.

Könnte mehr Muße, mehr Faulheit also vielleicht sogar die Zukunft sein? Der neue Fortschritt?  “Ohne die Klasse der Müßiggänger wären die Menschen heute noch Barbaren”, rief Bertrand Russell aus. Und in einer Ansprache anlässlich des Festes von Sankt Faulpelz  im Jahre 1949 – ja, das gibt es wirklich – hieß es: “Das Faulenzen – es ist doch das Fundament jedes Fortschritts der Menschheit! […] Würde man alle Arbeitsstunden zusammenzählen, die auf die Herstellung aller Maschinen zur … Vermeidung von Arbeit, zur Erlangung einiger Augenblicke Müssiggangs verwendet worden sind, so käme man mit Sicherheit zum Ergebnis, dass die Faulheit die Mutter der Arbeit ist.”

Seien wir also ehrlich, der Mensch versucht schon seit jeher der Arbeit zu entkommen. Nicht nur, indem er vor ihr flüchtet, sondern auch oder vor allem, durch Innovationen, durch Ideen, die er hervorbringt, die das Leben genüsslicher machen. Der im 18. Jahrhundert lebende deutsche Schriftsteller und Satiriker Karl Julius Weber, war sogar der Auffassung, der Mensch sei faul von Natur aus. Die Faulheit sei sogar “der Vater unserer geselligen Verbindungen”, wie er schreibt. Kein Wunder also, dass heute immer häufiger von einer Vereinsamung der Gesellschaft gesprochen wird. In der keiner Zeit mehr für den anderen hat. In der selbst Muße zu Freizeitstress mutiert ist. Wie sollen aus diesem Zustand allgemeiner Gereiztheit und Isolation, unter permanenter Berieselung von Konsum, noch gescheite Gedanken, geschweige denn Gemeinschaftssinn entstehen?

Wenn Faulheit tatsächlich der “Humus des Geistes” ist, wie Thaddäus Troll proklamiert, dann sollten wir sie endlich von ihrem Bann befreien. Von dem Fluch der Unproduktivität erlösen, und ihr die Ehre zuteil werden lassen, die ihr eigentlich gebührt, als Mutter aller Künste. Faulheit und Müßiggang stellen nicht etwa das Gegenteil von Arbeit dar, sondern bilden erst die Voraussetzung für jedes kreative Schaffen und Schöpfen. Faulenzen und Muße, als das Gegenteil von Fremdbestimmung und Verwertungszwang, heben zugleich die Trennung auf: von Freizeit und Arbeit, von Denken und Fühlen, von Sein und Sinn.

Nicht umsonst heißt es, “in der Ruhe liegt die Kraft”. Gäben wir den Menschen mehr freie Zeit, die Erlaubnis, sie nach Lust und Liebe zu “verplempern”, so eröffneten sich uns vielleicht gar neue, nachhaltigere Formen des Wachsens und Gedeihens. So schreibt Friedrich Schlegel in seiner “Idylle über den Müßiggang”: “alles Gute und Schöne ist schon da und erhält sich durch seine eigene Kraft. Was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? […] Nichts ist es, dieses leere unruhige Treiben, als eine nordische Unart und wirkt auch nichts als Langeweile, fremde und eigene. […] Und also wäre ja das höchste vollendetste Leben nichts als ein reines Vegetieren.”

Nun, wir müssen es vielleicht nicht gleich übertreiben, wie Oblomow, der sich gänzlich der Passivität hingibt und in den ersten 100 Seiten Iwan Gontscharows gleichnamigen Romans, nicht einmal zum Aufstehen bequemt. Vielmehr liegt das emanzipatorische Potenzial der Faulheit in dem Akt der Selbstbestimmung. Einer Demokratisierung von Zeit und Muße, die wohl kaum eine Gesellschaft träger Oblomows produzieren würde, als vielmehr Menschen, die wieder Freude fänden am kreativen Schaffen, am Leben jenseits der Verwertungslogik. So schreibt keine geringere, als Virginia Woolf in ihrem Essay “Ein Zimmer für sich allein”: “gerade wenn wir untätig sind, wenn wir träumen, taucht die versunkene Wahrheit manchmal auf.” 

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn die Episode euch gefallen hat, dann teilt sie doch gerne mit anderen. Und natürlich würden wir uns besonders freuen, wenn auch ihr als Fördermitglieder auf Steady unsere Arbeit unterstützt. Oder auch ganz einfach, indem ihr uns einen kleinen Obulus an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle weiteren Infos, wie auch weiterführende Literatur und Quellenhinweise, findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast.

12. Januar 2021

Anna Mayr: Warum sind Arbeitslose systemrelevant?

von Marilena 5. Januar 2021

Kann es sein, dass Arbeitslosigkeit gewollt ist? Dass das Elend vieler Menschen in Kauf genommen wird, um ein Paradigma aufrechtzuerhalten, das wir seit geraumer Zeit befolgen? Das Dogma des: Ich arbeite, also bin ich. Anna Mayr ist davon überzeugt. In ihrem Buch „Die Elenden“, plädiert Anna Mayr dafür, dass wir uns von Leistungsidealen, dem Glauben an Bildungsgerechtigkeit und unserem Arbeitsfetisch verabschieden sollten. Und für eine Welt, in der wir die Elenden nicht mehr brauchen, um unseren Leben Sinn zu geben.

Shownotes:

► Anna Mayr: Die Elenden: Warum unsere Gesellschaft Arbeitslose verachtet und sie dennoch braucht. Hanser Literaturverlage, 08/2020.
► Virginia Woolf: A Room of One’s Own. 1929.
► Spiegel.de: »Hillbilly Elegy« auf Netflix: Hollywoods Hilflosigkeit. Hannah Pilarczyk.
► Boston Globe: ‘Hillbilly Elegy’: welcome to hard times. Ty Burr.

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5. Januar 2021
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