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Philosophie

Workism – warum arbeiten wir (heute) so viel?

von Marilena 22. Februar 2022

Beschäftigt zu sein, sei zu einem modernen Narrativ geworden, meint Hans Rusinek. Der kreative Kapitalismus mache Arbeit zu einer neuen Ersatzreligion – und wir machen mit – so Hans These, der seit einigen Jahren unter anderem im Rahmen seines Promotionsstudiums an der Uni St. Gallen zu Sinnfragen in einer sich wandelnden Wirtschafts- und Arbeitswelt forscht und publiziert. Warum arbeiten wir heute noch immer so viel? Welchen Stellenwert hat Lohnarbeit in unserer Gesellschaft? Muss Arbeit Sinn machen? Das sind nur einige der Fragen, über die ich gemeinsam mit Hans Rusinek in dieser Episode gesprochen habe.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Mehr von und mit Hans Rusinek hier.
► ZEIT: “Wenn die Arbeit das Leben ist”, Hans Rusinek (2022). ► ifo-Studie: “Homeoffice im Verlauf der Corona-Pandemie” (2021).
► WSI Report No. 65: “Homeoffice: Was wir aus der Zeit der Pandemie für die zukünftige Gestaltung von Homeoffice lernen können”; Hans-Böckler-Stiftung (2021).
► Cal Newport: “The Stone Carver in an Age of Computer Screens” (2020).
► Quarks: ”Sollten wir alle weniger arbeiten?” (2021).
► Nina Kunz: “Ich denk, ich denk zu viel”. Kein & Aber (2021).  
► David Graeber: “Bullshit Jobs, a Theory” (2019).
► Andreas Reckwitz: “Die Gesellschaft der Singularitäten”. Suhrkamp (2017).
► Oscar Wilde: “Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus“ (1891).

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✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

22. Februar 2022

I’ll be your mirror

von Henrietta Clasen 30. November 2021

Spiegelneuronen – ohne die Nervenzellen in unseren Gehirnen wären wir vielleicht nicht in der Lage, uns in andere hineinzuversetzen. Reflexion, sich spiegeln – im Außen, wie im Innen. Dafür braucht es Substanz – etwas, auf dem sich Projizieren lässt, sonst sehen wir nicht. Wie ein Diaprojektor, den man in die Leere richtet. Nichts. Betrachten wir Kunst, werden wir einerseits mit uns selbst konfrontiert, wie auch mit der Künstlerin – eine Synthese zweier Blicke. Inspiriert durch den Besuch der Ausstellung “Klasse Gesellschaft” in der Hamburger Kunsthalle mit den Künstlern Lars Eidinger und Stefan Marx, ist dieser kurze Impuls entstanden.  

Shownotes:

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► Ausstellung [“Klasse Gesellschaft – Alltag im Blick niederländischer Meister” mit Lars Eidinger und Stefan Marx – in der Hamburger Kunsthalle bis 27. März 2022.
► Die Zitate von Lars Eidinger stammen aus der Aufzeichnung der Ausstellungseröffnung am 25. November 2021 in der Hamburger Kunsthalle.
► Lars Eidinger auf Instagram.
► Stefan Marx auf Instagram.

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Transkript: I’ll be your mirror – Der Blick der Anderen, ein Spiegel?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

“I’ll be your mirror” – weiß auf schwarz, in dicken Lettern leuchtet es mir von der Wand entgegen. Es ist ein Donnerstagabend im November, an dem ich in der Hamburger Kunsthalle stehe. Herbei gelockt von der Einladung zweier Künstler zu ihrer Vernissage. “I’ll be your mirror” – der Schriftzug, der auf der Leinwand vor mir prangt, stammt von dem Zeichner Stefan Marx. Zusammen mit Schauspieler und Künstler Lars Eidinger sind seine Werke Teil der Ausstellung “Klasse Gesellschaft”. Ich stehe gut einen Meter von dem besagten Bild entfernt. Es hat in etwa die Größe eines Badezimmerspiegels. Vielleicht ein bisschen größer. Ich könnte mich zumindest bis zum Bauchnabel darin sehen. Aber das möchte mir das Kunstwerk wohl kaum vermitteln. Obwohl – wieso nicht? Selbst, wenn diese Assoziation nahe liegt, bei dem Wort “mirror” an einen Spiegel zu denken, so ist der Gedanke, das Bild zumindest in mir, bei der Betrachtung des Kunstwerks entstanden. Ob der Künstler nun genau das bezwecken wollte, ist erst einmal zweitrangig. Denn vielleicht hat es ja auch gar nicht den einen Zweck zu erfüllen. Nicht die eine message, die es den Kunstschauenden vermitteln möchte – vielleicht geht es um etwas ganz anderes. Ich denke an die Worte zurück, die Lars Eidinger ein paar Minuten zuvor in der Eröffnungsrede an das Publikum gerichtet hat: “‘I’ll be your mirror’ ist in gewisser Weise missverständlich, weil Sie sind natürlich auch mein Spiegel. Ich brauche Sie ja unbedingt sozusagen, um mich zu begreifen. […] Und ich unterstelle Ihnen mal, oder anders gesagt, es wäre schön, wenn Sie gar nicht wegen mir hier sind, sondern wegen sich. Und, dass es um Sie geht heute Abend und, dass Sie was über sich verstehen wollen.”

I’ll be your mirror. Spiegelneuronen – ohne die Nervenzellen in unseren Gehirnen wären wir im Zweifel nicht in der Lage, uns in andere hineinzuversetzen. Reflexion. Sich spiegeln – im Außen, wie im Innen. Dafür braucht es Fläche, Substanz. Etwas, auf dem sich Projizieren lässt. Sonst sehen wir nicht. Wie ein Diaprojektor, den man in die Leere richtet. Nichts. Betrachte ich also die Bilder in der Ausstellung, werde ich einerseits mit mir selbst konfrontiert, wie auch mit dem Künstler. In gewisser Weise eine Synthese zweier Blicke: “Ich würde immer beschreiben, dass ich die Bilder benutze, um mich zu sehen, um mich darin wiederzuerkennen. Ich will die Bilder nicht zeigen, sondern mich selbst erkennen. Und ich möchte das Gegenüber dazu bringen, sich in diesen Bilder wiederzufinden und zu erkennen. Und das klingt vielleicht banal, aber es ist immer wieder interessant, was die Leute in den Bildern sehen und was das über sie erzählt. […] Wenn Sie da nach unten in den Raum gehen und meine Bilder sehen, dann zeige ich Ihnen wie es in mir aussieht.”

Absurd. Verstörend. Rührend. Mir fallen viele Wörter ein, mit denen sich die Fotografien von Lars Eidinger beschreiben ließen. Einige kenne ich bereits von seinem Instagram Kanal. Es sind Alltags Eindrücke, im weitesten Sinne – ready mades, wie Eidinger sie selbst bezeichnet. Früher hätte man wohl “Schnappschüsse” gesagt – aber im Zeitalter der Digitalität und Smartphone Fotos, klingt das zu antiquiert. Ready mades also. Ich stehe vor einem solchen. Die Fotografie zeigt ein älteres Paar, wie es sich gebannt Schmuck im Schaufenster ansieht, zu ihren Füßen liegt ein vermutlich Wohnungsloser, dessen Kopf zum Nickerchen auf einer Plastiktüte ruht. Ein anderes Bild zeigt zwei Männer. Der Größere von beiden hält einen Pappkarton über den Kleineren, um ihn vor dem Regen zu schützen. Er selbst trägt eine Papiertüte über dem Kopf. Die vollkommene Absurdität des menschlichen Seins und Tuns zeigt sich aber vermutlich in den Abbildungen, in denen nicht einmal Menschen anwesend sind – ihre Gegenwärtigkeit aber unübersehbar ist. So auf der Fotografie, die den Ast eines Baumes zeigt, der sich über die Errichtung eines Gartenzauns hinwegsetzt, indem er sich seine Wege sucht. Oder eine Treppe, die ins Nichts führt. “Vollendete Gegenwart”, nennt Eidinger diese Reihe. Nicht weil der Mensch in seinen Augen die Realität vervollkommnet – eher im Gegenteil: “…die Erkenntnis, dass der vermeintliche Zufall oder das Uninszenierte sich in einer Perfektion präsentiert, wie sie unnachahmlich ist. Ich kann diese Bilder nicht inszenieren. Und der Versuch ist immer erbärmlich. Und das interessiert mich auch an den Bildern, wo keine Menschen zu sehen sind. Weil man sieht, wie der Mensch versucht, etwas Natürliches, Kreatürliches zu imitieren und dabei so grandios scheitert. Und auch in der Abwesenheit des Menschen begreife ich den Menschen. Also die Bilder auf denen niemand zu sehen ist, sagen teilweise für mich mehr über die Menschheit aus, als Bilder auf denen Leute abgebildet sind.”

Und da wären wir wieder, bei der Konfrontation, dem Sehen und Gesehenwerden. „Der Blick des Anderen formt meinen Leib in seiner Nacktheit, läßt ihn entstehen, modelliert ihn, bringt ihn hervor, wie er ist, sieht ihn, wie ich ihn nie sehen werde“, schreibt Philosoph Jean-Paul Sartre in seinem Werk Das Sein und das Nichts. Weniger meinte er damit die Fotografie, als vielmehr den tatsächlichen Blick des Anderen, der mich spaltet: in Subjekt und Objekt zugleich. Weil ich mich erst in jenem Moment der Betrachtung eines Andern selbst erkenne und im selben Augenblick zum Gegenstand der Betrachtung werde, der sich meiner eigenen Beurteilung entzieht. Aber auch hier zeigt sich das, wovon Eidinger spricht, wenn er von Menschen erzählt, die Kunst betrachten. Was sie darin sehen, sagt oft mehr über sie selbst aus, als über das Objekt ihrer Betrachtung. Und gilt selbiges nicht auch, wenn wir Menschen beobachten? Sagt nicht unser Urteil, die Bewertung, die wir abgeben, mehr über uns aus, als über die Person, die in unser Blickfeld geraten ist? Es kann schmerzlich sein von anderen gesehen zu werden. Vor allem, wenn das Urteil anders ausfällt als unser eigenes oder, als wir es uns wünschen würden. Und doch liegt darin ein Potential verborgen. Natürlich nicht insofern, als dass wir jedes Bild, das uns widergespiegelt wird, ungefiltert und unhinterfragt in uns aufnehmen. Aber angeregt durch den Blickwinkel des Anderen, die eigene Perspektive zu hinterfragen, sich selbst oder die Welt und die Dinge in ihr in einem anderen Licht sehen zu können, das sind Erfahrungen, die uns als Einzelne nur schwer zugänglich sind: “Und dieses Verstehen und Begreifen, sich Erkennen, ist tatsächlich glaube ich die einzige Möglichkeit für den Menschen sich weiterzuentwickeln. Und wie oft schaffen wir es eigentlich gar nicht, in den Spiegel zu schauen. Vor allem nicht so zu schauen, oder sich so zu betrachten, wie wir eigentlich sind. Also wie oft schützen wir uns durch eine Maskerade oder spielen uns selbst was vor. Und das führt letztendlich immer zu einem großen Missverständnis und wahrscheinlich in letzter Konsequenz zu einer Form von Selbsthass oder Verachtung. Und dieses sich selbst Annehmen, das merke ich für mich, das ist der eigentliche Antrieb. Das ist das Ziel.”

Es liegt also auch etwas Versöhnliches, im Erkennen und Erkanntwerden. Wenn wir begreifen, dass wir nicht die einzigen sind, die an Banalitäten scheitern, deren Probleme weltlich sind und deren Leben überhaupt ziemlich trivial ist. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb wir uns so sehr nach Authentizität sehnen. Weshalb wir gebannt Reality Shows verfolgen und uns auf Instagram durch die Stories von Fremden und Freunden klicken. Immer auf der Suche nach dem Ungefilterten, dem Alltäglichen – was dort in Wirklichkeit natürlich nicht zu finden ist. Und doch ziehen sie uns an, die sozialen Netzwerke. Weil sie bedienen, wonach wir suchen: Bestätigung. Weil wir sehen und gesehen werden. Plötzlich Einblicke in die Leben anderer Menschen erhalten, die uns eigentlich so fern scheinen. Wir ziehen Vergleiche – was natürlich nicht immer dienlich ist Vor allem, wenn wir, außer dem teils inszenierten und kuratierten Alltag der Menschen dort, kaum etwas über sie wissen. Aber eben in jener Ambivalenz erkennt Eidinger die Schönheit für sich: “Ich schöpfe immer aus dem Widerspruch. Der Satz von Brecht: “Die Widersprüche sind unsere Hoffnung”, das ist mein Credo. Und ich merke, dass im Widerspruch alles an Potential steckt, was man mit Talent für sich nutzbar machen kann. Und ein Begriff, wie “Soziale Netzwerke”, ist ein klassisches Oxymoron. Es gibt keinen Ort, der asozialer ist, als diese Netzwerke. Und trotzdem bin ich davon alles andere als fasziniert. Ich bin davon fasziniert angewidert. Und wahrscheinlich in letzter Konsequenz einfach nur hochgradig abhängig.”
Insofern lasst uns lieber den Blick vom Bildschirm lösen. Manchmal muss man auch nicht alles sehen und gesehen haben. Außer die Ausstellung “Klasse Gesellschaft”, die möchte ich an dieser Stelle doch noch kurz empfehlen. Ein kurzer Blick in die Shownotes genügt, da findet ihr mehr Infos. Wenn euch die Episode gefallen hat, freuen auch wir uns natürlich über Bestätigung jeder Art. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast!

30. November 2021

Florian Illies: (Braucht es mehr) Liebe in Zeiten des Hasses?

von Henrietta Clasen 23. November 2021

Es sei nicht möglich, eindeutige Lehrsätze aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu ziehen, aber jede Generation solle versuchen Fragen an die Geschichte zu stellen – weil das Überraschende sei, so Florian Illies, dass die Geschichte uns dann ganz neue Antworten gebe. In seinem neuen Buch “Liebe in Zeiten des Hasses” erkundet der Autor und Kunsthistoriker die “Goldenen Zwanziger” anhand ihrer Beziehungskonstellationen. Denn die Liebe, so Illies, eröffne uns neue Perspektiven auf die Zeit. Was wir aus der Geschichte und durch die Gefühlseindrücke der Protagonisten aus der Berliner und Pariser Boheme lernen können, darüber hat Marilena Berends mit dem Autor selbst gesprochen.

Shownotes:

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► Florian Illies: “Liebe in Zeiten des Hasses – Chronik eines Gefühls 1929 – 1939”, S. Fischer 2021.
► Helmuth Lethen: “Verhaltenslehre der Kälte”, Suhrkamp 2014.
► Hörenswert: “Augen zu” – der Kunstpodcast der ZEIT mit Florian Illies und Giovanni di Lorenzo.

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23. November 2021

Helmut Milz: Ist uns die Sinnlichkeit abhanden gekommen?

von Henrietta Clasen 2. November 2021

Seit jeher existiert in den Geisteswissenschaften ein reger Diskurs über die Frage nach der menschlichen Existenz und was sie ausmacht. Beseelter Leib? Beleibte Seele? Auch Mediziner und Publizist Helmut Milz unternimmt in seinem Buch „Der eigen-sinnige Mensch“ eine Reise durch die Sinnwelten unseres menschlichen Seins, die uns vom Leib über Körperbilder, bis zum “Quantified Self” der Postmoderne führt. Um einer Vergeistigung und gleichzeitigen Entsinnlichung der Welt entgegenzuwirken, plädiert Helmut Milz für eine Förderung “sinnlicher Intelligenz”. Nicht nur des eigenen Wohlbefindens wegen, sondern auch, weil ohne diese Fähigkeit kein gesellschaftlicher Sinnes-wandel möglich sei. Was das genau bedeutet, darum soll es in dieser Episode gehen.

Shownotes:

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► Website von Prof. Dr. med. Helmut Milz.
► Buch: “Der eigen-sinnige Mensch – Körper, Leib & Seele im Wandel”, AT Verlag (2019).
► Vortrag: “Sinnes-wandel”, Grazer Leib-Symposium (01/20).

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2. November 2021

Kennt Google uns besser, als wir selbst?

von Henrietta Clasen 5. Oktober 2021

Laufen wir im Sand, hinterlassen wir Fußabdrücke. Gleiches gilt für die digitale Welt. Nur sind wir uns, anders als im analogen Leben, selten darüber bewusst, welche Spuren wir hier hinterlassen. Geschweige denn, wer unsere digitalen Fußabdrücke zurückverfolgen kann und welche Rückschlüsse daraus gezogen werden können. Erleben wir vielleicht heute schon einen digitalen Kontrollverlust? Die Künstler*innengruppe Laokoon hat sich auf eine digitale Spurensuche begeben und anhand eines interaktiven Datenexperiments eindrucksvoll veranschaulicht, wie weitreichend die Einblicke in unser Seelenleben und unsere intimsten Geheimnisse sind, die wir Google, Facebook und Co. jeden Tag gewähren. Gemeinsam mit Moritz Riesewieck von der Laokoon Gruppe hat sich Marilena Berends in dieser Episode die Frage gestellt, ob das Internet wohl mehr über uns weiß, als wir selbst.

Shownotes:

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Diese Episode wird präsentiert von Braineffect. Wer große Ambitionen und lange To-Do Listen hat, braucht Energie, um diese verwirklichen zu können. Braineffect unterstützt euch dabei mit dem richtigen „Mind Food“ – für besseren Schlaf, mehr Konzentration und Wohlbefinden. Zum Beispiel mit dem Vitamin D3 Öl. Weitere Infos findet ihr in unseren Shownotes und auf brain-effect.com.

► Besucht die interaktive Website der digitalen Spurensuche ‘Made To Measure’ der Laokoon Gruppe.
► Die Filmdokumentation zu ‘Made to Measure ist bis 30.08.2022 in der ARD Mediathek verfügbar.
► Hier erfahrt ihr mehr über die Künstler*innengruppe Laokoon.
► Mehr Infos über die Kulturstiftung des Bundes und deren Veranstaltungsreihe ‘Labore des Zusammenlebens’.

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5. Oktober 2021

Laut gedacht: Wieviel Idealismus ist realistisch?

von Henrietta Clasen 21. September 2021

Wir alle haben Ideale oder zumindest eine Idee davon, wie die Welt aussehen sollte. Eine Welt ohne eine Ideale, ist schwer vorstellbar, prägen sie doch ganz entscheidend die Wirklichkeit – zumindest, wenn es nach den Idealisten geht. Doch inwieweit lassen sich Ideen verwirklichen? Oder noch ein Schritt zurück: Wieviel Raum ist überhaupt vorhanden, um Ideen zu entwickeln? Braucht es dazu nicht zumindest Zeit und Muße? Zwingt uns der Kapitalismus gar zum Realismus? Als Sinneswandel Redaktion, haben wir uns unter anderem diese Fragen gestellt und gemeinsam laut darüber nachgedacht. Zu diesem Gedankenexperiment möchten wir, Ariane, Katharina, Edu und ich, euch heute einladen. 

Shownotes:

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Die heutige Episode wird präsentiert von Vodafone. Ihr könnt ab jetzt mit bis zu 1000 grünen Mbit/s im Vodafone Netz surfen – mit Strom aus 100 % erneuerbaren Energien – ab 39,99€ dauerhaft. Mehr Infos auf vodafone.de/greengigabit und im Vodafone Shop.

► Avishai Margalit: Über Kompromisse – und faule Kompromisse, Suhrkamp (2011).
► Gerhard Gamm: Der Deutsche Idealismus – Eine Einführung in die Philosophie von Fichte, Hegel und Schelling, Reclam.
► Jacques Derrida: Gesetzeskraft: Der »mystische Grund der Autorität«, Suhrkamp (1991).
► Isaiah Berlin: Freiheit – Vier Versuche, Fischer Verlag (2006).

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21. September 2021

Zukunft, (un)denkbar?

von Henrietta Clasen 22. Juni 2021

Die alte Zukunft hat keine Zukunft. Und doch scheinen wir sie uns nicht einmal vorstellen zu können – eine bessere Zukunft. Wir lobpreisen die Gegenwart, die Achtsamkeit des Augenblicks – doch wären wir uns wirklich selbst so bewusst, wie wir vorgeben zu sein, müssten wir dann nicht erkennen, dass die Gegenwart nicht zukunftsfähig ist?! Wie kann es sein, dass bis heute, trotz des exponentiellen Anstiegs an Informationen, aus all den Fakten keine Praxis entsprungen ist? Und doch kopieren wir immer wieder das, was wir bereits kennen – aus Angst vor der Zukunft?

Shownotes:

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Danke auch an Jonte Mutert, der unseren neuen Jingle produziert hat. Sowie an Hannes Wienert, der uns seine Stimme für die Zitate von Roger Willemsen lieh.

► Roger Willemsen: “Wer wir waren” (2016).
► Springer: “The development of episodic future thinking in middle childhood”(2018).
► PNAS: “Reducing future fears by suppressing the brain mechanisms underlying episodic simulation”(2016).
► Frankfurter Rundschau: “Historisches Urteil zur Klimaklage: Jetzt müssen die Emissionen so schnell wie möglich runter”, (05/2021).
► Dietmar Dath: “Niegeschichte. Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine”, Matthes & Seitz. Berlin (2019).
► Ernst Bloch: “Geist der Utopie”, Suhrkamp (1918).

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Transkript: Zukunft, (un)denkbar? – Können wir uns ein besseres Morgen vorstellen?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Es ist Zeit für einen Wandel! Das haben wir uns auch in der Podcast Redaktion gedacht, und daher vor einigen Wochen einen Aufruf gestartet, in dem wir euch gebeten haben, uns eure Vorschläge für einen neuen Sinneswandel Jingle zu schicken. Vielen Dank an alle, die das getan haben. Wir sind wirklich überwältigt von der Vielfalt an Ergebnissen und davon, wie viel Zeit und Mühe ihr in die Produktion gesteckt habt. Die Auswahl ist uns alles andere als leicht gefallen – aber, wie ihr vermutlich schon gehört habt, ist sie gefallen. Der neue Jingle kommt von Jonte Mutert, der noch in diesem Jahr sein Studium der Filmmusik in Babelsberg aufnehmen wird. Wir hoffen, euch gefällt der neue Sound ebenso gut, wie uns. Schickt uns gern euer Feedback an redaktion@sinneswandel.art.

Um Wandel soll es auch in der heutigen Episode gehen. Oder vielmehr darum, welches Denken die Realisation von Wandel voraussetzt. Bevor wir beginnen, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass wir uns freuen, wenn ihr unsere Arbeit finanziell unterstützt. Bereits 200 Fördermitglieder zählen wir auf Steady – was großartig ist und wofür wir sehr dankbar sind – damit wir aber weiterhin und vor allem langfristig möglichst unabhängig produzieren können, seid ihr gefragt! Unterstützen könnt ihr uns, wie gesagt ganz einfach mit einer Mitgliedschaft über Steady oder auch, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/SinneswandelPodcast schickt – das geht auch schon ab 1€ und steht alles noch mal in den Shownotes. Das war’s, ich wünsche euch viel Freude beim Zuhören!

“Mag die Welt auch vor die Hunde gehen, die Zukunft hat dennoch ein blendendes Image”, schreibt Publizist Roger Willemsen in “Wer wir waren”, der letzten Rede vor seinem viel zu frühen Tod im Februar 2016. “Selbst verkitscht zu Wahlkampf-Parolen, verkauft sie sich so gut, als wäre sie wirklich noch ein Versprechen”. So warb Armin Laschet in seiner Rede für das CDU-Programm zur Bundestagswahl mit einem „Jahrzehnt der Modernisierung“ und die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, sprach auf dem Grünen-Parteitag davon, dass eine Ära zu Ende gehe und wir nun die Chance hätten, eine neue zu begründen. Jetzt sei der Moment, unser Land zu erneuern, so Baerbock. Doch längst nicht nur die Politik hat die Zukunft für sich entdeckt. So warb die niederländische Versandapotheke Doc Morris 2018 mit “Gestalten wir die Zukunft, bevor sie da ist“, einem Slogan, der ebenso gut von einer Partei hätte kommen können. Zukunft ist längst nichts mehr, das einfach passiert. Nicht umsonst zerbrechen sich Zukunftsforscher*innen an renommierten Instituten die Köpfe darüber, in welcher Welt wir einmal leben werden. Das Morgen wird schon heute vorausgedacht. 

Man könnte also den Eindruck gewinnen, die Zukunft stehe vor der Tür. Dabei könnten wir kaum weiter von ihr entfernt sein. Vielmehr stehen wir vor dem Abgrund einer ganz und gar ungewissen Zukunft, was wir nur zu verdrängen scheinen. “Die Zukunft, das ist unser röhrender Hirsch über dem Sofa, ein Kitsch, vollgesogen mit rührender Sehnsucht und Schwindel. Die Zukunft der Plakate existiert losgelöst von den Prognosen unseres Niedergangs und hat in der Kraft ihrer Ignoranz keinen Bewegungsspielraum, sie verharrt hingegen. Was nicht neu ist, das ist die Zukunft”, so Willemsens These. Dabei wissen wir doch eigentlich schon lange, dass es nicht mehr weitergehen kann wie bisher. Und doch kopieren wir immer wieder das, was wir bereits kennen, und pflegen eine nostalgische Beziehung zur Vergangenheit – aus Angst vor der Zukunft? “Where is the wisdom we lost in knowledge?”, fragt T.S. Eliot bereits 1934 in seinem Theaterstück “The Rock”. Wie kann es sein, dass bis heute, trotz des exponentiellen Anstiegs an Informationen, aus all den Fakten keine Praxis entsprungen ist? Ist es das schlechte Gewissen gegenüber künftigen Generationen, was uns schließlich handeln lässt? Oder bedarf es erst der Justiz, die uns ermahnt, die Zukunft mitzudenken? Es bleibt noch abzuwarten, ob auf das erst kürzlich im April getroffene Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge das Klimaschutzgesetz in Teilen verfassungswidrig sei, sprich nicht mit den Grundrechten vereinbar, die gewünschte Umsetzung folgen wird. Als “Zeitenwende. Bahnbrechend. Und wirklich historisch”, bezeichnete Energieökonomin Claudia Kemfert das Urteil.  Denn zum ersten Mal wird auf oberster Ebene Generationengerechtigkeit in puncto Klima juristisch mitgedacht. Worauf sich Karlsruhe dabei beruft, ist das sogenannte Vorsorgeprinzip des Staates laut Grundgesetz Artikel 20a, demzufolge die Regierung verpflichtet ist künftige Generationen vor dem Klimawandel zu schützen und Kosten nicht unnötig auf unsere Enkelkinder schieben darf. Das Urteil konsequent zu Ende gedacht bedeutet: Rasches Handeln ist erforderlich. Nichtstun oder einfach so weitermachen wie bisher, ist deutlich teurer als endlich zu Handeln. Die wahre Schuldenbremse, so Kemfert, sei der Klimaschutz. Was jetzt passieren muss, sei eine 180 Grad Wende: Raus aus dem fossilen Zeitalter und grünes Licht für die erneuerbaren Energien! Wachstum allein, ist längst kein Indikator mehr für Wohlstand und Zufriedenheit – war es vermutlich nie. Was nun zählt, ist Wachstum enkeltauglich zu gestalten. Wachstum, um des Wachstums Willen, das ist ein Relikt der Vergangenheit!

Die alte Zukunft hat keine Zukunft. Und doch scheinen wir sie uns nicht einmal vorstellen zu können, eine bessere Zukunft. Wir lobpreisen die Gegenwart, die Achtsamkeit des Augenblicks – doch wären wir uns wirklich selbst so bewusst, wie wir vorgeben zu sein, müssten wir dann nicht erkennen, dass die Gegenwart nicht zukunftsfähig ist?! “Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, […] randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. […] Wir waren die, die verschwanden. […] So bewegten wir uns in die Zukunft des Futurums II: Ich werde gewesen sein.” So lautet zumindest Roger Willemsens wenig hoffnungsvolle Vision.  

Dabei ist die Zukunft im Kopf durchzuspielen eine zentrale menschliche Fähigkeit, die unser alltägliches Handeln bestimmt. Selbst kleinste Entscheidungen treffen wir, indem wir im Geiste simulieren, was passieren könnte. Etwa wenn wir morgens beim Bäcker an der Theke stehen und  uns fragen, ob wir lieber das Schoko-Croissant oder doch das belegte Dinkelbrötchen wählen sollten. “Zukunftsdenken hilft uns, Ziele zu setzen und zu planen, und gibt uns die Motivation, unsere Pläne auch umzusetzen”, sagt Roland Benoit, Kognitions- und Neurowissenschaftler am Max-Planck-Institut in Leipzig. Forscher*innen gehen davon aus, dass wir bereits im Alter von drei bis fünf Jahren beginnen, über den gegenwärtigen Moment hinaus, in die Zukunft zu denken. Eine besondere Rolle dabei spielt ein Netzwerk, das aus dem Hippocampus und Teilen der Großhirnrinde besteht. Es überlappt sich mit dem sogenannten “Default Mode Network”, also dem Ruhezustandsnetzwerk, das immer dann aktiv wird, wenn wir gerade nichts zu tun haben. Was, wenn wir ehrlich sind, angesichts all der Ablenkungen und Reize unserer vernetzen und schnelllebigen Welt, nur noch allzu selten vorkommt. Im Zeitalter der Zerstreuung seien wir, so Willemsen, nie ganz in der Gegenwart. Auch die Zukunft sei uns damit abhanden gekommen, nur noch rein gegenständlich vorstellbar und reduziert auf Technikutopien, die uns Menschen mehr entmündigten, als befreiten. “Verstand sich der Mensch Anfang des 20. Jahrhunderts eher als Subjekt der Moderne, erkennt er sich hundert Jahre später eher als ihr Objekt. Wie aber soll er, von der Zeit vorangeschoben, unter diesen Bedingungen die Zukunft denken können?” 

Sind wir also, angetrieben durch Effizienzstreben und Wachstumsdrang, defacto zu bequem geworden, uns eine andere Welt, als die bereits Existierende, vorzustellen? Ist dies der Grund, weshalb wir uns schon mit kleinsten Updates zufriedengeben, uns gar euphorisch in die Warteschlange einreihen, wenn die x-te Version des “neuen” iPhones auf dem Markt erscheint? Dabei sollte die Postmoderne doch eigentlich die Moderne ablösen, indem sie ihr zu mehr Vielfalt und Kritik verhilft. “Mehr Demokratie wagen.” Weg von Funktionalität, hin zum kreativen Chaos. Stattdessen scheinen wir gefangen in einer Welt des Machbaren, anstelle des Wünschbaren. Hitzig wird über die Erhöhung von Benzinpreisen diskutiert, die Arm und Reich, so heißt es, weiter werden spalten. Die Zukunft muss mehrheitsfähig sein, um Zukunft zu haben. 

Vielleicht ist es aber auch ein menschlicher “Gen-Deffekt”, ganz einfach Teil unserer menschlichen Natur, dass wir uns die Zukunft nicht vorstellen, sie nicht anders  denken können? Werfen wir einen Blick zurück in die Geschichte, so könnte dieser Eindruck durchaus verstärkt werden:  “Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze auf das Pferd”, verkündete Kaiser Wilhelm II. 1904 stolz. Auch Wilbur Wright, ein Pionier der Luftfahrt, sollte sich irren, als er 1901 sprach: “Der Mensch wird es in den nächsten 50 Jahren nicht schaffen, sich mit einem Metallflugzeug in die Luft zu erheben”. Ebenso, wie im Jahre 1926 Lee De Forest, der Erfinder des Radios: “Auf das Fernsehen sollten wir keine Träume vergeuden, weil es sich einfach nicht finanzieren lässt.” Und auch Thomas Watson, CEO von IBM, konnte sich 1943 scheinbar noch nicht die Welt von heute vorstellen: “Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt. Es gibt keinen Grund, warum jeder einen Computer zu Hause haben sollte.” Die Liste menschlicher Irrungen ließe sich beliebig weiterführen, und es scheint beinahe, als sei der Mensch dort am altmodischsten, wo er versucht, sich selbst zu überschreiten.  Offenbar können wir uns selbst nicht entkommen.

Im Jahr 2016 fanden Neurowissenschaftler*innen des Leipziger Max-Planck-Instituts, gemeinsam mit britischen Kollegen, allerdings heraus, dass es manchmal sogar ratsam sein kann, Zukunftsgedanken zu unterdrücken. Eine Überlebensstrategie gewissermaßen. Die Forscher*innen ließen Probanden zukünftige Szenarien auflisten, die ihnen Sorgen bereiteten. Wer sich diese anschließend im Geiste vorstellen sollte, reagierte deutlich ängstlicher als Teilnehmende, die Gedanken an die negativen Ereignisse bewusst vermieden. Es macht demnach für unsere emotionale und kognitive Grundhaltung, wie auch für unsere Entscheidungen und Handlungspläne, einen großen Unterschied, ob wir mit negativen Vorahnungen in die Zukunft blicken, oder Positiv-Szenarien im Kopf entwerfen. Damit Letztere jedoch nicht in der  “Utopien-Schublade” verstauben, benötigt unser Gehirn ein „Wie“ und ein „Warum“. Die Verortung der eigenen Rolle in der mentalen Simulation, lässt die Zukunft für uns zu einem Möglichkeitsraum werden, in dem wir selbst eine gestalterische Rolle einnehmen. Fühlen wir uns handlungsfähig, lässt der Eindruck nach, von den Ereignissen überrollt zu werden. Ohne aktive kognitive Beteiligung und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, schauen wir hingegen nur passiv vom Zuschauerrand zu. Es ist die emotionale Färbung, die unseren Ausblick auf die Zukunft, aber auch unser Erleben in der Gegenwart bestimmt. Und wie wir wissen, geschieht die Weichenstellung für die Zukunft im Hier und Jetzt.

Science-Fiction ist eigentlich das beste Beispiel dafür, dass es funktioniert. Dass wir Menschen in der Lage sind, uns das schier Unmögliche vorzustellen. Weshalb, das hat Schriftsteller Dietmar Dath in seinem Buch “Niegeschichte” sehr treffend formuliert: „Es gibt nicht nur Dinge, die zwar denkbar sind, aber nicht wirklich, sondern umgekehrt auch solche, die wirklich sind, aber für Menschen schwer bis überhaupt nicht denkbar.“ Science-Fiction zeigt: Was undenkbar ist, muss noch lange nicht unmöglich sein. Das klingt abstrakt, aber abstrakt ist schließlich auch unser Verhältnis zur Welt, in der wir leben. Wer hätte sich vor kurzem schon vorstellen können, dass ein klitzekleines, kronenförmiges Virus das gesamte soziale Leben einmal lahmlegen würde? 

“Nur Zeiten, die viel zu wünschen übrig lassen, sind auch stark im Visionären”, schreibt Roger Willemsen. Hat die Corona-Pandemie, als Zeit der Entbehrung, also vielleicht ein Fenster geöffnet, einen Raum für das Visionäre geschaffen – gar für einen Neuanfang? So oder so, ist jetzt die richtige Zeit, oder vielmehr die letzte Chance, die wir noch haben, um das Neu- und Andersdenken von Zukunft wieder zu erlernen. Wenn es nach dem Schriftsteller Ernst Bloch geht, so sind es Bilder und Fantasien, die den Gedanken vorausgehen, und die Gedanken wiederum den Forderungen und der politischen Praxis. Indem wir uns das Morgen ausmalen, erkennen wir, wo es in der Gegenwart hakt. Die Utopie ist das Hinausgehen über die faktische Welt und auch, wenn sie reine Projektion bleibt, hat allein der Diskurs, der durch das Imaginieren entsteht, die Welt und wie wir sie wahrnehmen, bereits verändert. Denn im offenen Dialog und in immer neuen Selbst-und Weltbeschreibungen werden Vorstellungen vom gelungenen Leben zur Diskussion gestellt. Und dort, wo Entwürfe wünschenswerter Zukünfte entwickelt werden, beginnt auch ihre Realisation. Oder mit Roger Willemsens Worten: “Ja, die Zukunft wird schneller sein, und sie hat längst begonnen.”

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22. Juni 2021

Sich selbst neu erfinden, geht das?

von Henrietta Clasen 10. Juni 2021

Ist es Fluch oder Segen, dass der Mensch im Besitz der Freiheit ist, sich selbst entwerfen zu können? Die vermutlich zentralste Frage der Existenzialisten, nach deren Philosophie der Mensch ohne jeden Kompass zu einer angsteinflößenden und zugleich berauschenden Freiheit verdammt ist, die ihm die totale Verantwortung für sein Leben aufbürdet. Heißt das nun, dass wir uns im Leben selbst erfinden – im Zweifel immer wieder von Neuem? Gibt es so etwas wie eine abschließende Identität des Selbst, die sich verwirklichen ließe? Oder sind wir nicht vielmehr hybride und wandlungsfähige Wesen, deren Identitäten unabgeschlossen bleiben?

Shownotes:

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► Mira Lobe, Susi Weigel: “Das kleine Ich-bin-Ich”. Jungbrunnen, 1972.
► Sternstunde Philosophie: “Lars Eidinger – Das Leben als Kunstwerk”. SRF Kultur.
► Erving Goffman: “Wir alle spielen Theater”, 1956.
► Slavoj Žižek: “Lacan – Eine Einführung”. Fischer, 2008.
► Johan Huizinga: “Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel”, 1938.
► Helmuth Plessner: “Die Stufen des Organischen und der Mensch”, 1928.
► Martin Heidegger: “Sein und Zeit”, 1927.
► Karl Jaspers: “Existenzphilosophie”, 1938.
► Jean-Paul Sartre: “Das Sein und das Nichts”, 1943.

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Transkript: Sich selbst neu erfinden, geht das? – Über Rollenwandel & Identitäts-Pluralismus

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Auf der bunten Blumenwiese geht ein buntes Tier spazieren, wandert zwischen grünen Halmen, wandert unter Schierlingspalmen, freut sich, dass die Vögel singen, freut sich an den Schmetterlingen, freut sich, dass sich’s freuen kann. Aber dann… Aber dann stört ein Laubfrosch seine Ruh, und fragt das Tier: „Wer bist denn du?“ Da steht es und stutzt, und guckt ganz verdutzt dem Frosch ins Gesicht: „Das weiss ich nicht“. Der Laubfrosch quakt und fragt: „Nanu? Ein namenloses Tier bist du? Wer nicht weiss, wie er heißt, wer vergisst, wer er ist, der ist dumm! Bumm!”

Als ich neulich durch die Buchhandlung meines Vertrauens, auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für meinen bald 8-jährigen Neffen schlenderte, stieß ich auf die Geschichte des kleinen Ich-bin-Ichs. Eine unerwartete Wiederbegegnung, mit der ich nicht gerechnet hatte und die noch mehr in mir auslösen sollte, als ich in der Buchhandlung zu erwarten hoffte. In diesem Moment, das Bilderbuch in der Hand haltend, fühlte ich mich augenblicklich zurück katapultiert in die dritte Klasse meiner Grundschulzeit. Ich trage eine bunte Leggins, ein noch bunteres T-Shirt und habe jeweils eine gepunktete Socke an meinen Ohren baumeln. Es ist der große Tag der Aufführung – und ich spiele das kleine Ich-bin-Ich aus Mira Lobes gleichnamigen Kinderbuch. Aufgeregt laufe ich zwischen meinen Klassenkameraden, die als Papageien, Nilpferde und Hunde verkleidet sind, hin und her. Stelle ihnen abwechselnd die immer gleich Frage, ob sie wissen, wer oder was ich bin – doch finde keine Antwort. 

Ich kann nicht behaupten, dass ich mich damals schon bewusst mit der meinen, oder Identität überhaupt, auseinandergesetzt hätte – ich meine, ich war vielleicht acht oder neun Jahre alt – aber das Gefühl von Zugehörigkeit, oder eben auch der Abwesenheit von ihr, das kannte ich wohl. Und ich ahnte, dass diese Frage, die für das kleine Ich-bin-Ich so schwer zu beantworten war, eine wichtige sein wird. Als Kinder, wenn vielleicht eher unbewusst, beschäftigen wir uns, so glaube ich, schon früh mit unserer eigenen Identität oder sind zumindest durch Erfahrungen mit ihr konfrontiert. Als “Spiegelstadium” bezeichnete der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan den Moment, in dem sich ein Kind durch die Reflexion im Spiegel zum ersten Mal als ganzheitliche Gestalt, mit der es sich identifiziert, wahrnimmt. Und dies geschieht, so Lacan, bereits zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat. Aber spätestens, vermute ich, wenn wir von neugierigen Eltern und Verwandten gefragt werden, wer wir denn eigentlich einmal sein wollen, wenn wir einmal groß sind. Ich habe mir fest vorgenommen, meinem Kind später diese Frage nicht zu stellen. Ich weiß ja selbst bis heute keine kluge Antwort darauf zu geben. 

“Haben Sie auch schon mal darüber nachgedacht, ob Sie Ihre Rolle im Leben gefunden haben? Nicht auch jemand ganz anderes oder viel mehr in sich tragen, als nur eine Person?”  fragt Wolfram Eilenberger sein Publikum in Sternstunde Philosophie und ich nicke innerlich mit dem Kopf. Nicht nur einmal. Immer wieder. In letzter Zeit sehr oft. Wenn diese Frage sich ihre Wege durch meine Synapsen in mein Bewusstsein bahnt, so ahne habe ich meist bereits, dass die Unruhe, die mich dann packt, der Vorbote eines anstehenden Wandels sein könnte. Bildlich stelle ich mich in diesen Phasen manchmal wie einen noch lebenden Aal vor, der sich in der Pfanne windet. Nicht, dass ich das schon mal wirklich miterlebt hätte, aber die Erzählungen meiner Mutter aus ihrer Kindheit waren sehr anschaulich. Vielleicht trifft es aber auch eher das Bild eines Chamäleons, dass erleichtert seine Haut abstreift, weil sie ihm eines Tages zu eng geworden ist. Was ich damit sagen will, ist, dass ich immer wieder diese Momente erlebe, in denen ich am liebsten alles hinwerfen und mich neu erfinden möchte. In denen sich einfach so gar nichts mehr stimmig anfühlt. Und das, obwohl eigentlich von außen betrachtet, alles gut ist, manchmal sogar besser als gut. Aber vielleicht macht mich genau das skeptisch? War es das jetzt schon? Bin das wirklich ich? Könnte ich nicht auch noch ganz wer anderes sein? Meistens sind das auch die Momente, in denen ich mich frage, ob ich damals nicht doch hätte zur Schauspielschule gehen sollen oder, ob ich diesen Weg vielleicht sogar heute noch wagen sollte. Einmal habe ich mich, in der Aufbruchsstimmung einer solchen Krise, sogar spontan zu einem Vorsprechen angemeldet. Nur, um es dann doch nicht anzutreten. Denn was wäre, wenn es wirklich klappt?

“Ich würde behaupten, dass ich in der “Verwandlung”, in dem Moment wo ich eine Rolle spiele, mehr ich selbst bin, als, wenn ich hier alltäglich vor Ihnen sitze. […] Ich habe für mich gemerkt, dass dieser Moment des Ausdrucks dazu führt, dass ich ein anderes Verständnis von mir selbst erlange. Und, dass ich Gefühle, die ich sonst nicht ausdrücken kann, aus welchen Gründen auch immer, mit der Rolle zum Ausdruck bringen kann.” Was Schauspieler Lars Eidinger in Sternstunde Philosophie beschreibt, kann ich nur allzu gut nachempfinden. Nicht nur, weil ich das Spiel mit Rollen auf der Theaterbühne selbst so liebe, sondern auch hinsichtlich der alltäglich erlebten Realität. Manchmal muss ich mich von mir selbst, räumlich im Außen, wie auch im Innen, distanzieren, Abstand gewinnen, um mir selbst wieder näher kommen zu können. Gerade in pandemischen Zeiten ist das nicht immer einfach. In den eigenen vier Wänden sitzend, reduziert auf die Rolle als erwerbstätige Bürgerin, bleibt nicht viel Raum zur Entfaltung der eigenen Facetten. 

“Aber habe ich das richtig verstanden? Sie sehen das als eine Art therapeutische Erfahrung, in eine Rolle zu gehen, die vielleicht sehr weit weg von sich ist, um eine Spiegelung von sich selbst damit zu bewirken?”, fragt Wolfram Eilenberger Lars Eidinger. Ich glaube nicht mal, dass es nur die Schauspielerinnen und Schauspieler sind, die in unterschiedliche Rollen schlüpfen. “Wir alle spielen Theater”, wenn es nach dem Soziologen Erving Goffman geht. Für ihn gleicht die soziale Welt einer großen Bühne und wir alle spielen in der Interaktion mit anderen verschiedene Rollen. Was nicht bedeutet, dass wir alle unauthentisch wären, sondern vielmehr, dass wir in unterschiedlichen Situationen, ob auf der Arbeit, zu Hause mit der Familie oder mit Freunden, eben anderen Anforderungen und Erwartungen gerecht werden müssen, weswegen wir uns mehrere Rollen aneignen. Und auch bei Friedrich Schiller lässt sich schon nachlesen: “Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.” Der Mensch, ein homo ludens, wie ihn der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga bezeichnete. 

Heißt das denn nun, dass wir uns im Leben selbst erfinden – im Zweifel immer wieder von Neuem? Gibt es dann überhaupt so etwas wie eine abschließende Identität des Selbst, die sich verwirklichen ließe? Oder sind wir nicht vielmehr hybride und wandlungsfähige Wesen, deren Identitäten unabgeschlossen bleiben?

“Der Mensch steht gleichsam hinter sich selbst, ortlos, im Nichts”, heißt es bei dem Philosophen Helmuth Plessner. “Nichts” im Sinne des nicht festgelegten Seins, im Gegensatz zu anderen Lebewesen, wie den Tieren. Was den Menschen zu einem zur Freiheit genötigten Wesen mache, das immer nach Neuem strebe. Auch bei Martin Heidegger, dem Begründer der Existenzialontologie, ist der Mensch aufgefordert, sich selbst zu entwerfen. Das Dasein ist zwar in die Welt “geworfen”, wird aber nicht auf ein bestimmtes So-Sein festgelegt. Es muss sich vielmehr selbst und immer wieder aufs Neue zu dem machen, was es sein will. Doch wie ich mein persönliches So-Sein finde, auf diese Frage gibt Heidegger keine Antwort.

Wissenschaft kann zwar erkennen, was der Fall ist, aber sie wird uns nie sagen können, was wir wollen sollen, so drückt es wiederum Karl Jaspers aus, der Heideggers Philosophie zur eigentlichen Existenzphilosophie führte. Hinter jedem Horizont öffnet sich ein weiterer Horizont ins Unendliche. Dies gilt auch für uns selbst, die wir immer nur Teilaspekte unseres Daseins erkennen können, aber nie wissen, wer oder was wir letztlich im Ganzen unseres Wesens sind. Spannend an einer solchen Vorstellung ist, dass die Idee des Ganzen zu einer Art Fluchtpunkt wird, auf den wir uns zwar zu bewegen könne, die Suche jedoch als Unabgeschlossenes akzeptieren müssen und selbst dann nicht aufgeben sollten, wenn wir uns einmal des Weges irren. Jaspers zufolge seien es gerade die Grenzerfahrungen, denen wir uns stellen müssen, um zu einer Persönlichkeit zu werden und in der Auseinandersetzung mit ihnen unsere Identität zu entwickeln.

Ist es da überhaupt ein Privileg oder nicht vielleicht sogar eher eine Bürde, so viel Freiheit zu besitzen, sich selbst entwerfen zu können, wie es uns als Menschen zusteht? Das ist  die zentrale Frage der Existenzialisten, nach deren Philosophie der Mensch ohne jeden Kompass zu einer angsteinflößenden und zugleich berauschenden Freiheit verdammt ist, die ihm die totale Verantwortung für sein Leben aufbürdet. Der lebendige, auf die Zukunft gerichtete Mensch ist ein Nichts an Sein, ein Werden, dass das, was es eben noch war, schon wieder ausradiert hat, wenn es sich vorwegnimmt, so Jean-Paul Sartre. Der Mensch ist nie identisch mit sich selbst. Und unser Bewusstsein kann auf die quälende Frage „Wer bin ich?“ keine endgültige Antwort geben. Diese Unbestimmtheit aber ist genau das, worin Sartre die eigentliche Freiheit erkennt.

Vielleicht geht es am Ende auch viel weniger darum, eine abschließende Antwort auf die Frage “Wer bin ich?” zu finden, als vielmehr zu ergründen, wer man alles sein könnte. Wozu selbstverständlich auch gehört, Erfahrungen zu machen, in denen ich das Gefühl habe, nicht ich selbst sein zu können, entfremdet zu sein. Wie Lars Eidinger beschreibt, sind es manchmal sogar jene Rollen, die uns zunächst am unähnlichsten scheinen, die uns näher zu uns selbst führen. In dem Sinne, dass sie unsere Existenz, das was wir glauben zu sein, ein Stück weit in die Ferne rücken lassen. Wir können Abstand zu uns selbst gewinnen, was zugleich Raum schafft, neue Seiten an uns zu entdecken. Wir schlüpfen bildlich gesprochen aus unserer Haut, die sich, wie die eines Chamäleons, manchmal zu klein anfühlt, um über uns hinauswachsen zu können. Was nicht heißt, dass dieser Prozess der Seins-Werdung einem linearen Wachstum gleicht. Vermutlich ist es eher ein Vor und Zurück. Ein Ruckeln und Zuckeln. Oder eben ein Kostümwechsel, ein stetiges An-und Ausprobieren. Ein manchmal auch unangenehmer und kräfteraubender Akt der Entdeckung des eigenen Facettenreichtums und der inneren Widersprüche. “Ambiguitätstoleranz”: wir sollten einander mehr Vielfalt zugestehen, Pluralität schätzen lernen und Offenheit und Toleranz kultivieren, heißt es doch so oft. Aber weshalb nur den anderen und nicht auch uns selbst gegenüber? Dafür, dass es in Ordnung ist, sich umzuentscheiden, neue Wege zu gehen, sich auszuprobieren, ganz gleich ob mit 18 oder 80. Eine offene und tolerante Gesellschaft, ermöglicht es in meinen Augen, jedem Menschen gleichermaßen, die eigene Existenz zu erforschen. Im Miteinander mit anderen selbstverständlich, und nicht auf deren Kosten. Sie erlaubt es Menschen, sich in verschiedenen Rollen auszuprobieren, frei und ohne Zwang.

“Werde der, der du bist”, zitiert Nietzsche den griechischen Lyriker Pindar. Was nach einer Hymne moderner Selbstverwirklichung klingt, könnte, etwas weiter gefasst, eine Einladung sein, die eigene Vielheit der Identität, das Facettenreichtum in sich selbst und damit auch in anderen, anzuerkennen. Ohne, dass es dafür eine Erklärung bedarf, wie es auch das kleine Ich-bin-Ich voller Erleichterung feststellt:

„So, jetzt weiss ich, was ich bin! Kennt ihr mich? ICH BIN ICH!“ Alle Tiere freuen sich, niemand sagt zu ihm: „Nanu?“ Schaf und Ziege, Pferd und Kuh, alle sagen: „Du bist du!“ Auch der Laubfrosch quakt ihm zu: „Du bist du! Und wer das nicht weiss, ist dumm! Bumm!”

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10. Juni 2021

Rutger Bregman: Wieso sollten wir an das Gute im Menschen glauben? (EN)

von Ricarda Manth 26. Januar 2021

Homo homini lupus – der Mensch ist dem Mensch ein Wolf. Der Philosoph Thomas Hobbes war längst nicht der Einzige, der fest davon überzeugt war, der Mensch sei im Grunde schlecht – ein im innersten Kern wildes und grausames Wesen. Eines, dass stets sein eigenes Interesse voranstellt und im Zweifel bereit ist, andere dafür zu unterdrücken. Ein homo oeconomicus, das Bild des Eigennutzenmaximierers, das auch heute noch die moderne Welt und Wirtschaft bestimmt. Doch was, wenn all diese Annahmen falsch wären? Wenn wir gar nicht so übel, sondern gar im Grunde gut wäre? Was würde ein solches, neues, vielleicht sogar realistischeres Menschenbild für unsere Zukunft bedeuten? Diese Frage hat sich auch der niederländische Historiker, Autor und Aktivist, Rutger Bregman gestellt und sich, um Antworten zu finden, auf eine lange Reise begeben. In seinem Buch plädiert er für einen “neuen Realismus”, der damit beginnt, dass wir vom Guten ausgehen. 

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SHOWNOTES:

  • Rutger Bregman: Im Grunde gut Rowolth Verlag (03/2020).
  • Website von Rutger Bregman.
  • Rutger Bregman auf Twitter.

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Transkript: Rutger Bregman: Wieso sollten wir an das Gute im Menschen glauben? Übersetzung des Gesprächs auf Deutsch


Marilena Berends: Glauben Sie, dass es in unserer heutigen Welt schwieriger ist, ein Optimist zu sein als ein Pessimist?

Rutger Bregman: Nun, wissen Sie, ich habe das Wort Optimismus nie wirklich gemocht. Denn für mich suggeriert es eine Form von Selbstgefälligkeit, bei der man sagt: “Weißt du, mach dir keine Sorgen, die Dinge werden sich schon zum Guten wenden, sei einfach ein Optimist! Schaut euch all dieses wunderbare Wachstum an, das zeigt, dass die extreme Armut zurückgeht, schaut euch all diese außergewöhnlichen Innovationen und den technischen Fortschritt an. Alles wird gut werden, mach dir keine Sorgen.” Und ich glaube, diese Art von Erzählung macht die Menschen faul. Nun ist das Gegenteil von Optimismus, Pessimismus, vielleicht auch eine Form von Faulheit, besonders wenn Pessimismus zu Zynismus wird. Dann kommt man in die Position, wo man sagt: “Weißt du, es ist sowieso sinnlos. Die Dinge gehen bergab, wir können die Welt nicht retten, lass uns einfach unser Leben genießen, solange es noch geht.” Worüber ich also gerne mehr sprechen möchte, ist die Bedeutung der Hoffnung. Ich denke, dass Hoffnung wirklich das richtige Wort ist und dass wir die Hoffnung dem Optimismus und Pessimismus vorziehen sollten. Denn Hoffnung hat mit der Möglichkeit der Veränderung zu tun. Es ist die Erkenntnis, dass die Dinge anders sein können. Dass es nicht so sein muss. Dass wir unsere Gesellschaft wirklich neu organisieren können. Unsere Wirtschaft reorganisieren. Dass es nichts Unvermeidliches am Status quo gibt. Und das ist auch der Grund, warum ich denke, dass die Geschichte die subversivste aller Sozialwissenschaften ist, weil sie immer und immer wieder zeigt, dass die Dinge anders sein können. Dass es nichts Natürliches an der gegenwärtigen Ordnung der Dinge gibt, an der Art und Weise, wie wir sie im Moment arrangiert haben. Wenn man ein bisschen raus zoomt und sich die Besteuerung in den 50er und 60er Jahren ansieht, als wir Grenzsteuersätze für Reiche von 80 oder 90 % hatten – da denkt man: “Hm, ich dachte, das ist unmöglich?!”. Die Ökonomen haben mir immer gesagt, dass die Wirtschaft zerstört werden würde, wenn wir das machen. Aber tatsächlich haben wir das in den 50er und 60er Jahren gemacht, und wir hatten damals viel mehr Fortschritt im Wirtschaftswachstum. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Geschichte und Hoffnung uns von der Gegenwart befreien und uns zeigen können, dass es anders sein kann.

MB: Wenn Sie also der Überzeugung sind, dass sowohl Optimismus als auch Pessimismus uns faul machen, würden Sie sich dann als “Possibilisten” bezeichnen? Also jemand, der nicht naiv ist, aber auch nicht rein realistisch, der sich mit einem Sinn für Realismus ein Fenster zum Träumen offen hält?

RB: Ja, ich habe das Wort “Possibilist” immer gemocht, aber es funktioniert in beide Richtungen. Also, wenn man sich anschaut, was zum Beispiel in den USA passiert, ist es für viele Leute schwer vorstellbar, aber was wir hier sehen, ist der Zusammenbruch eines ganzen demokratischen Systems. Denn, wissen Sie, die Demokratie stirbt nicht just in einem Monet. Sie bekommt keinen Herzinfarkt und dann bumm! ist sie weg. Es passiert allmählich, dass die Gesellschaft vergiftet wird, dass die Menschen die Rechtsstaatlichkeit aufgeben und dass das Misstrauen wächst und wächst. Wenn Sie den Deutschen in den 1920er Jahren gesagt hätten, wo sie in den 1940er Jahren landen würden, ich meine, viele Leute hätten es nicht geglaubt.  Aber wenn man viele kleine Schritte macht, dann hat man am Ende eine große Strecke zurückgelegt. Der Fortschritt funktioniert auf die gleiche Weise. So war es für viele Menschen in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts unvorstellbar, dass es einen Tag geben würde, an dem wir die Sklaverei abgeschafft, eine parlamentarische Demokratie eingeführt, die Gleichberechtigung von Mann und Frau etabliert haben und sogar über Tierrechte nachdenken würden – das wäre für viele der Philosophen der Aufklärung unvorstellbar gewesen, obwohl sie schon darüber sprachen, aber wirklich zu glauben, dass es in der Praxis passieren könnte, das ist eine andere Sache. Ich denke also, dass es wirklich wichtig ist, das im Hinterkopf zu behalten. Und auch hier hilft einem die Geschichte, denn sie hilft einem, heraus zu zoomen. Ich glaube, wir überschätzen zu oft das Ausmaß der Veränderungen, die in den nächsten paar Monaten oder vielleicht in den nächsten zwei Jahren passieren können, aber wir unterschätzen das Ausmaß der Veränderungen, die in einem oder zwei Jahrzehnten passieren können. 

MB: Bevor wir darüber sprechen, welche Art von Veränderung Ihrer Meinung nach notwendig ist, möchte ich Sie zunächst etwas Privates fragen. Was glauben Sie, hat Sie dazu gebracht, in Ihrem Leben mehr zu einem Optimisten mit Realitätssinn, also einem Possibilisten, zu werden?

RB: Ich denke, meine religiöse Erziehung hat etwas damit zu tun. Mein Vater ist ein protestantischer Pfarrer hier in den Niederlanden, aber er ist kein dogmatischer Mensch. Er sagt nicht: “Oh, Jesus ist am Kreuz für seine Sünden gestorben, und du solltest an dies und das glauben, und wenn du das nicht tust, kommst du in die Hölle.” Er ist nicht diese Art von Mann, aber von klein auf wurde ich mit dem Gefühl erzogen, dass es wichtige, große Fragen über das Leben gibt und dass manchmal das, was wir glauben, auch wahr werden kann, weil wir es glauben, das, was Soziologen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung nennen. Als ich etwa 18 oder 19 Jahre alt war, war ich sehr besessen von der Frage, ob ich an Gott glauben soll, ja oder nein? Und damals las ich diese sogenannten „neuen Atheisten“, Leute wie Christopher Hitchens und Richard Dawkins, der Biologe, die alle darüber sprachen, dass Religion so etwas Schlechtes sei und dass sie unsere Gesellschaft vergiftet und ich war damals sehr angetan davon. Aber als ich älter wurde, interessierte ich mich mehr, nicht nur für die Frage „Was ist Wahrheit?“ – Sie wissen schon, „ist dies eine Tatsache? Existiert Gott? Gibt es ein Leben nach dem Tod?“, sondern auch, welche Auswirkungen es hätte, wenn wir an dieses oder jenes glauben würden. Die performative Kraft von Ideen. Das ist etwas, das man besonders bei Theorien über die menschliche Natur sieht. Wenn wir davon ausgehen, dass die meisten Menschen egoistisch sind, dann werden wir eine Gesellschaft schaffen, in der die Menschen sehr egoistisch sein werden, weil wir alles darum herum entwerfen. Wir werden Schulen und Demokratien und sogar Gefängnisse schaffen, die das Schlimmste in den Menschen hervorrufen werden. Wenn man das nun umdreht, wenn man davon ausgeht, dass die meisten Menschen tief im Inneren recht anständig sind und dass es etwas gibt, das man zum Beispiel „survival of the friendliest“ nennt, dann könnte das tatsächlich wahr werden, wenn man es annimmt. Ich bin an beiden Seiten interessiert, wie man die Wahrheit und Ideen betrachten kann. Auf der einen Seite ist mein Buch eine Art Überblick über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die wir über die menschliche Natur haben und über die sich verändernde Wissenschaft, die wirklich in die Richtung weist, dass wir nicht so schlecht sind, wie wir dachten. Aber es geht auch darum, was passieren kann, wenn wir es tatsächlich glauben und dass es sogar noch wahrer werden könnte, sobald wir diese Idee umsetzen. Ich denke, dass dieser Ansatz etwas mit meiner religiösen Erziehung zu tun haben könnte.  

MB: Sie sagen also, Ihr Buch sei eine Art Analyse des Bildes, das wir bisher von der Menschheit gezeichnet haben. Etwas, das ich beim Lesen Ihres Buches „Im Grunde gut“ sehr interessant fand, ist, dass es keineswegs nur von dem Guten im Menschen handelt. Ein sehr großer Teil erzählt sogar von dem Gegenteil: Von Gewalt, Kriegen, Massenmorden. Und mir scheint, als gäbe es weitaus mehr Hinweise auf die Grausamkeit von Menschen, als Zeugnisse des Guten in uns, oder täuscht mich meine Wahrnehmung?

RB: Nun, das ist natürlich die Ironie! Wenn man ein Buch über den menschlichen Anstand schreibt, muss man sich zunächst hunderte von Seiten mit all den Gräueltaten in der breiten Geschichte befassen. Es gibt natürlich eine gewisse Voreingenommenheit bei der Auswahl. Ich meine, Historiker sind hauptsächlich an Kriegen interessiert, wissen Sie, manchmal scheint es, als ob das Studium der Geschichte das Studium von Krieg, Krieg, Krieg und noch mehr Krieg ist und wenn es keinen Krieg gibt, nennen wir es das “Interbellum” – die Zeit zwischen den Kriegen. Es ist ein bisschen wie mit den Nachrichten. In den Nachrichten geht es meist um die Ausnahmen, um Dinge, die schief laufen. Korruption, Krisen, Terrorismus et cetera. Wenn man also die Nachrichten verfolgt, könnte man den Eindruck gewinnen, die meisten Menschen seien egoistisch und die Regierungen korrupt. Dafür gibt es sogar einen Begriff. Psychologen sprechen vom „Böse-Welt-Syndrom“, bei dem man, weil man viel Nachrichten sieht, das Gefühl bekommt, dass die Menschen schlecht seien und man wird immer ängstlicher und depressiver. Die Nachrichten sind wirklich eine Gefahr für die psychische Gesundheit. Und manchmal sehe ich einen ähnlichen Mechanismus in der Geschichte. Es ist so, dass die Leute oft depressiv werden, weil sie Geschichte studieren und nicht merken, dass sie sich auf einen sehr kleinen Teil von allem konzentrieren, was in den letzten 300.000 Jahren passiert ist. Also, ja, ich versuche, ein bisschen heraus zu zoomen. Aber Sie haben absolut Recht, ich muss mich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass wir nicht nur eine der kooperativsten Spezies im Tierreich sind, sondern auch ganz klar die grausamste Spezies. Wir tun furchtbare Dinge. Krieg, Völkermord, “ethnische Säuberung” – Dinge, die allen Tieren nicht im Traum einfallen würden. Ich habe noch nie von einem Pinguin gehört, der sagt: „Lasst uns eine Gruppe von Pinguinen einsperren, lasst sie uns alle ausrotten!”. Das ist eine sehr menschliche Sache. Wie ich schon sagte,es ist eine der Ironien, wenn man ein Buch über menschlichen Anstand schreibt, dass man sich damit auseinandersetzen muss. Und ich habe keine einfache Erklärung, ich habe eine sehr vielschichtige Erklärung. Was ich versuche zu zeigen, ist, dass die Erklärung, die so lange gegeben wurde, dass Menschen so etwas einfach tun, weil sie schlecht sind, weil wir uns so entwickelt haben, dass wir egoistisch sind – dass das eindeutig falsch ist. Tatsächlich tun wir sehr oft furchtbare Dinge im Namen des Guten. Weil wir denken, dass wir eigentlich anderen Menschen oder zumindest den eigenen Leuten helfen. Wir begehen Gräueltaten oder beteiligen uns an Kriegen im Namen der Loyalität, im Namen der Kameradschaft und Freundschaft – das ist wirklich eine sehr dunkle Seite der menschlichen Natur. 

MB: Über die Natur des Menschen, die Sie auch ansprechen, wird ja bereits seit vielen Jahren diskutiert. Ein Zitat in diesem Zusammenhang, das vielen bekannt sein dürfte, lautet „homo homini lupus“. Also, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, des Philosophen Thomas Hobbes, über den Sie auch in Ihrem Buch schreiben. Er ging davon aus, dass die Menschen im Naturzustand im Grunde wie wilde Tiere sind, die sich gegenseitig bekämpfen und nur ein starker Staat in Form eines Königs, den Hobbes “Leviathan” tauft, Frieden unter die Menschen bringen kann. Warum überzeugt Sie Hobbes Bild des menschlichen Naturzustands nicht?

RB: Nun, lassen Sie uns zunächst etwas über die Wölfe sagen, denn Wölfe sind eigentlich sehr kooperative Wesen. Sie sind wirklich gut darin, zusammenzuarbeiten und sich umeinander zu kümmern. Daher dachte ich immer, es sei ironisch, dass Wölfe als diese egoistischen Bestien gesehen werden, die nur töten und morden wollen – die meisten Biologen würden dem widersprechen. Nun, diese Ansicht, dass Menschen tief im Inneren nur egoistisch sind oder noch schlimmer, dass wir tief im Inneren Bestien sind – geht in der westlichen Kultur sehr weit zurück. Es gibt einen Primatenforscher namens Frans de Waal, der das als „Fassaden-Theorie“ bezeichnet, also die Vorstellung, dass unsere Zivilisation nur eine dünne Fassade ist, eine dünne Schicht, und dass darunter die rohe menschliche Natur liegt. Dass, wenn man das “zivilisierte Leben” entfernt, es einen Bürgerkrieg oder eine Naturkatastrophe gibt und die Institutionen zusammenbrechen. Dass Menschen dann zeigen, wer sie wirklich sind, dass wir tief im Inneren nur Bestien und egoistisch sind. Dass sie beginnen zu plündern und zu brandschatzen und sehr gewalttätig werden. Diese Idee kommt immer und immer wieder zurück. Und ich glaube, eines der wichtigsten Beispiele dafür war in der Tat der Philosoph Thomas Hobbes, der im 17. Jahrhundert das Buch geschrieben Leviathan geschrieben hat,  in dem er argumentiert, dass wir im Naturzustand, in der Zeit, als wir noch Nomaden waren, einen so genannten „Krieg aller gegen alle“ geführt haben und das Leben damals „fies, brutal und kurz“ gewesen sein soll. Und davor wurden wir laut Hobbes bewahrt, weil wir irgendwann sozusagen einen Leviathan gewählt haben, einen allmächtigen Herrscher, benannt nach einem biblischen Seeungeheuer. Ich denke, die Idee hier ist, dass wir wählen müssen. Dass wir zwischen Freiheit und Sicherheit wählen müssen und dass wir nicht beides haben können. Wenn man also Freiheit hat, sind die Ergebnisse schrecklich, denn wenn man den Menschen Freiheit gibt, benehmen sie sich daneben, sie zeigen, wer sie “wirklich” sind. Was es demnach braucht, ist, seine Freiheit aufzugeben, und dafür bekommt man Sicherheit. Das ist sozusagen das klassische Hobbessche Argument. Man sagt, wir brauchen Hierarchien, Manager, CEOs, Prinzen, Prinzessinnen, Könige und Königinnen, weil sie die Bevölkerung kontrollieren. Denn wenn es keine Kontrolle gibt, dann gibt es Anarchie, was angeblich schrecklich ist. Denn dann geschehen all diese Gräueltaten. Also ja, man könnte mein Buch quasi als ein großes Argument gegen die “Fassadentheorie” zusammenfassen.

MB: Überrascht es Sie dann, dass jetzt, während der Corona-Krise, viel über die Möglichkeit von Home-Office gesprochen wird und einige Unternehmen gerade jetzt erkennen, dass sie ihren Mitarbeitern mehr Freiheiten zumuten können, als sie dachten? Überrascht Sie das?

RB: Nun, es gibt hier offensichtlich eine Spannung, denn es geht in beide Richtungen. In den ersten Wochen der Pandemie kam die Fassadentheorie wieder auf, als alle über Leute sprachen, die Toilettenpapier hamstern und die Leute darüber nachdachten, wie lange wir wohl in der Lage wären, das zu tun. Ich habe ziemlich viele Artikel gelesen, die sagten „nur ein paar Monate Pandemie und die Zivilgesellschaft bricht zusammen“, es ist übrigens lustig, diese Artikel jetzt wieder zu lesen. Aber in der Tat, ich denke, für viele Arbeitgeber*innen war es vielleicht ein bisschen überraschend, dass man seine Mitarbeiter*innen zu Hause lassen kann und sie tatsächlich weiterarbeiten. Eigentlich war das Problem in vielen Fällen sogar eher, dass die Menschen zu viel arbeiten, wenn sie dies von zu Hause aus tun, weil der Unterschied zwischen Ihrem Arbeitsleben und Ihrem Privatleben verschwindet. Grundsätzlich, denke ich, ist es aber ein gutes Zeichen. Es gibt eine Verschiebung in der Management-Philosophie, weg von der Idee, dass man seine Mitarbeiter*innen kontrollieren und ihnen ständig Anweisungen geben muss und dass sie, wenn man nicht da ist, nichts tun. Es gibt inzwischen viele Beispiele von Unternehmen rund um den Globus, die ihren Mitarbeiter*innen viel mehr Freiheiten lassen und die sich mehr auf das verlassen, was Psycholog*innen „intrinsische Motivation“ nennen. Dass man etwas nicht nur wegen des Geldes oder des Status tun will, sondern weil es einem wichtig ist. Weil Sie neugierig sind, weil Sie etwas beitragen wollen, weil Sie anderen Menschen helfen wollen. Einfach für das Wohl der Sache selbst. Nun ist natürlich die Frage, wie bedeutsam diese Bewegung ist, und manchmal sind so etwas wie selbstgesteuerte Teams oder dass man den Leuten die Möglichkeit gibt, von zu Hause aus zu arbeiten, nicht so bedeutsam, weil man den Leuten im Grunde mehr Freiheit gibt, sich zu Tode zu arbeiten. Ich muss hier also ein bisschen kritisch sein, aber es ist ein interessantes Phänomen. 

MB: Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1762) lässt sich gewissermaßen als die Antithese zu Hobbes beschreiben. Für ihn war es gerade der Staat, die Kultur, die Sozialisierung, die den Menschen verdirbt. Nur seine eigentlich Natur, die hinter der Maske verborgen ist, sei Rousseau zufolge gut. Aber, ist es nicht gerade der gesellschaftliche Wohlstand, der auch dazu geführt hat, dass wir Menschen heute friedlicher miteinander umgehen und uns nicht permanent niedermetzeln? 

RB: Nun, zum einen haben Sie absolut Recht, dass wir im Moment in der friedlichsten aller Zeiten leben und wahrscheinlich hat der Wohlstand viel damit zu tun. Wir haben ein unglaubliches Wirtschaftswachstum und eine verbesserte Gesundheit rund um den Globus erlebt, und das macht es viel einfacher, friedlich zu sein. Es ist jedoch interessant, dass, wenn wir zur Hobbesschen Weltsicht zurückgehen, dass wir im Naturzustand, damals, als wir nomadische Völker waren, diese unglaublich gewalttätigen Leben führten und uns in einem “Krieg aller gegen alle” befanden. Tatsächlich ist das, was Archäologen jetzt denken, das Gegenteil. Sie haben in zahlreichen Studien bewiesen, dass der Krieg eine relativ neue “Erfindung” der letzten 10.000 Jahre ist und dass wir während des größten Teils der Menschheitsgeschichte, als wir als nomadische Völker den Globus durchstreiften, nicht wirklich in Gruppengewalt verwickelt waren. Natürlich gab es auch dann bereits Aggression und diese Dinge, wie man kann sie bei Tieren sehen kann. Gewalt ist also keine neue Erfindung, aber die Gräueltaten, die Gruppengewalt, der Völkermord usw. scheinen wirklich recht neue Phänomene zu sein. Wenn ich mir also die Geschichte des Krieges oder die Geschichte der menschlichen Gewalt anschaue, dann sehe ich etwas anderes als viele andere, denke ich. Für eine sehr lange Zeit haben wir die Geschichte dieses Marsches des Fortschritts gemalt, bei dem wir als Wilde anfingen, aber dann wurden wir allmählich zivilisierter. Zuerst wurden wir sesshaft, dann erfanden wir die Landwirtschaft, dann zogen wir in die Städte, dann erfanden wir das Rad. Jeder Schritt war ein Mäuseschritt der Zivilisation, den wir feiern können. Ich denke, dass die Geschichte der Zivilisation eigentlich so ziemlich das Gegenteil davon ist, wo der größte Teil der Geschichte oder der Zivilisation eigentlich eine totale Katastrophe war. Über Jahrtausende hinweg hatten wir ein relativ friedliches Leben. Wir wissen, dass wir als Nomaden relativ friedlich waren, wenn Sie zum Beispiel zeitgenössische Nomadenvölker studieren. Und auch wenn man sich die archäologischen Aufzeichnungen ansieht, gibt es sehr wenig oder so gut wie keine Beweise für Gruppengewalt zum Beispiel. Wir wissen auch, dass diese Gesellschaften ziemlich egalitär waren, ziemlich gleichberechtigt zwischen den Geschlechtern, man kann sie sogar proto-feministisch nennen. Die Menschen waren relativ gesund. Sie hatten zum Beispiel keine Infektionskrankheiten wie die Pest, Masern und COVID-19, denn diese Infektionskrankheiten sind das Produkt von Menschen, die zu nahe an Tieren leben, oft an domestizierten Tieren. Irgendwann wurden die Menschen sesshaft und sie erfanden die Landwirtschaft, was zum Beispiel der Geograf Jared Diamond als „den schlimmsten Fehler der Menschheitsgeschichte“ bezeichnet hat. Die Folgen davon waren einfach schrecklich. Die Lebenserwartung sank, das Gebiet der Kriegsführung wurde eingeweiht, die Menschen wurden viel kränklicher. Es gab viel mehr Hierarchie, der Bereich des Proto-Feminismus ging zu Ende, und man bekam all diese Infektionskrankheiten. Die meisten dieser Infektionskrankheiten sind relativ neu aus den letzten 10.000 Jahren entstanden. Das war der Zustand der Welt für etwa 10.000 Jahre. Wenn Sie die Möglichkeit hätten zu wählen, ob Sie als Nomade oder als zivilisierter Mensch leben wollen, dann ist es besser, das Nomadenleben zu wählen, denn offensichtlich haben wir zwar enorme Fortschritte gemacht, aber das ist erst seit kurzem der Fall. Global gesehen sind es erst die letzten paar Jahrzehnte. Aber noch vor zwei Jahrhunderten war fast jeder, global gesehen, von der gesamten Weltbevölkerung, der Sklave eines anderen. War ein Diener, war in irgendeiner Weise Untertan eines mächtigen Herrschers. Wenn man es aus historischer Perspektive betrachtet, ist das eigentlich noch gar nicht so lange her. 

MB: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist es weder die Vergesellschaftung, also das, was wir als modernen Fortschritt bezeichnen, noch ist es der Mensch an sich, den Sie als böse bezeichnen, sondern es gibt so etwas wie einen dritten Weg, in dem Sie das Bild des Menschen rekonstruieren möchten. Gibt es Ihrer Meinung nach überhaupt eine “ursprüngliche menschliche Natur”, die entweder gut oder böse ist, oder existiert eine Art dritte Möglichkeit?

RB: Ich denke, das ist tatsächlich eine sehr interessante und schwer zu beantwortende Frage. Sehr lange Zeit haben vor allem Denker auf der Linken gesagt, dass die menschliche Natur als solche nicht wirklich existiert. Dass wir eher eine Art unbeschriebenes Blatt sind. Dass alles von den Umständen und der Kultur und den Machtverhältnissen usw. abhängt und dass es sogar gefährlich sei, über die menschliche Natur zu sprechen. Ich denke, einer der Gründe dafür war, dass uns die evolutionäre Anthropologie vor allem in den 70er Jahren eine ziemlich düstere Botschaft darüber vermittelte, was „survival of the fittest“ bedeutete. Damals gab es ein Buch, „Das egoistische Gen“ von Richard Dawkins. Und ich schätze, dass viele Leute das auf eine ziemlich dunkle Weise interpretiert haben. Ich meine, Dawkins hat das selbst in einem der ersten Kapitel seines Buches gesagt, wo es heißt, dass wir den Menschen Großzügigkeit und Altruismus beibringen müssen, weil wir egoistisch geboren werden. Dann bekamen die Leute Angst, dass die evolutionäre Anthropologie benutzt werden könnte, um den Kapitalismus zu bekämpfen. Wo man sagen würde: „Nun, die Menschen sind einfach grundsätzlich egoistisch und so ist es nun mal. Lasst uns die Regierung aus dem Weg schaffen und einfach die Herrschaft der Märkte einführen“. Deshalb hielt man es wohl lange Zeit für verdächtig, über die menschliche Natur zu sprechen. Aber das hat sich geändert. Es hat eine massive Verschiebung in der evolutionären Anthropologie und Biologie gegeben, wo jetzt Biologen argumentieren, dass das, was den Menschen besonders macht, nicht ist, dass wir so klug sind, oder, dass wir so mächtig oder stark sind. Nein, es ist, dass wir freundlich sind. Sie sprechen sogar vom „survival of the friendliest“. Es gibt starke Beweise, die zeigen, dass seit Jahrtausenden tatsächlich die Freundlichsten unter uns, die meisten Kinder hatten und damit die größte Chance, ihre Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Und dass dies uns zu einer Fähigkeit der Kooperation befähigt hat, die kein anderes Tier hat. Das lässt immer noch eine riesige Menge an Raum für Kultur. Man könnte sogar sagen, dass es in der menschlichen Natur liegt, kulturell zu sein. Denn es liegt in der menschlichen Natur, voneinander zu lernen, einander zu imitieren, miteinander zu kopieren, sich aber auch voneinander zu unterscheiden. Und genau das sieht man, wenn man Nomadenvölker rund um den Globus studiert. Auf der einen Seite sieht man auffallende Unterschiede in ihren Kulturen; die Art, wie sie die Welt sehen, die Art der Religionen, die sie haben, wie sie sich verhalten, die Beziehungen, das ist alles sehr unterschiedlich. Andererseits gibt es auch auffällige Gemeinsamkeiten. Es gibt zum Beispiel einen Anthropologen namens Christopher Böhm, der mehr als dreihundert Nomadenvölker rund um den Globus untersucht hat und herausgefunden hat, dass so ziemlich alle von ihnen ein politische System hatten, das sehr egalitär war. Er nennt es eine „umgekehrte Dominanzhierarchie“, bei der die Gruppe die Anführer sozusagen kontrolliert und es für die Anführer absolut wichtig ist, so bescheiden wie möglich zu sein, wenn sie an der Macht bleiben wollen. Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir heute in vielen Ländern erleben. Also, es ist eine komplexe Frage. Ich denke, es gibt so etwas wie die menschliche Natur. Es liegt in der menschlichen Natur, neugierig zu sein, sich nach Verbindung zu sehnen, dass wir nicht einsam sein wollen, dass wir Teil einer größeren Gruppe sein wollen. Das sind alles Dinge, die in uns stecken, von einem sehr frühen Alter an. Aber das lässt dann immer noch sehr viel Raum für unterschiedliche menschliche Kulturen.

MB: Da bereits das Wort “Kapitalismus” fiel – was ich mich frage, ist, wie wirken sich die Institutionen, die wir in unserer heutigen Welt haben, mit der Zeit auf das Bild aus, das wir von uns selbst haben? Wenn ich an den homo oeconomicus denke – das Bild des Menschen als Eigennutzenmaximierer, dann hat das doch sicherlich Auswirkungen auf das, was wir über uns selbst und andere denken und wie wir miteinander und mit der Natur umgehen?! Als Antithese dazu etablieren Sie den Begriff „homo puppy“, der ziemlich niedlich und domestiziert klingt – was wollen Sie mit diesem Wort ausdrücken? Ist der “homo puppy” das Gegenteil vom homo oeconomicus?

RB: Auf jeden Fall. Wenn man sich die Geschichte dieses Konzepts, des homo oeconomicus, ansieht, ist es wirklich interessant. Es ist eigentlich eine Theorie, die aus den Wirtschaftswissenschaften stammt, die aber lange Zeit nicht empirisch nachgewiesen wurde. Also bauten die Ökonomen eine ganze Kathedrale von Theorien auf, und sie hatten alle möglichen politischen Rezepte, die auf dieser Theorie basierten, wie die Menschen wirklich seien. Wir haben viele Gesetze, die heute noch in Kraft sind, die im Grunde alle auf dieser Sicht der menschlichen Natur beruhen. Erst im Jahr 2000 hat ein Anthropologe, Joseph Hendrik, er ist wirklich einer der größten Anthropologen unserer Zeit, diese faszinierende Studie gemacht, in der er anfing, eine Art kognitiver Tests mit Menschen aus der ganzen Welt durchzuführen, mit Bauern, Nomadenvölkern, Menschen, die in reichen Städten lebten, und er versuchte zu sehen, ob sich die Menschen nach dem Standardmodell des homo oeconomicus verhalten, das heißt – ob sie egoistisch genug sind. Und das Lustige ist, dass er nirgendwo auf der Welt Menschen finden konnte, die sich so verhielten, wie die Ökonomen sagten, dass wir uns verhalten sollten, gemäß ihren Modellen und Theorien. Er schien nicht wirklich zu existieren. Lustigerweise gelang es ihm ein paar Jahre später, den homo oeconomicus zu finden, aber es stellte sich heraus, dass es sich um eine andere Spezies handelte – Schimpansen verhalten sich meist nach den Modellen der Ökonomen, aber nicht wir Menschen. Das ist ziemlich lustig. Er machte die Bemerkung, dass die ganze theoretische Arbeit nicht umsonst war, wir haben sie nur auf die falsche Spezies angewendet. Aber offensichtlich ist die Tragödie hier, dass wir seit Jahrzehnten einer Theorie der menschlichen Natur verhaftet sind, die einfach falsch ist. In der Tat sollten wir zu einer anderen, realistischeren, genaueren, wissenschaftlicheren Sichtweise dessen, was wir sind, übergehen. Und wie Sie bereits erwähnt haben, ist eine der aufregendsten neuen Theorien hier die Theorie der “Selbstzähmung”. Diese Vorstellung, dass wir uns als Spezies selbst domestiziert haben, dass wir uns gewissermaßen selbst verdorben haben, dass wir im Vergleich zu unseren hominiden Vorfahren die Welpen sind. Was Wölfe für Hunde sind, das sind wir im Vergleich zu den Neandertalern. Wir sind einfach diese Wesen, die sich wirklich nach Verbundenheit und Freundschaft sehnen und zusammenarbeiten wollen und das ist nicht unsere Schwäche, es ist unsere Superkraft. Denn es ermöglicht uns eine Fähigkeit zur Kooperation, die keine andere Spezies im Tierreich hat. 

MB: Denken Sie nicht, dass vielleicht der Wohlstand, der auch mit dem Kapitalismus kam, natürlich nicht nur Wohlstand, aber denken Sie nicht, dass dieser Prozess auch dazu geführt hat, dass wir heute domestizierter sind und vielleicht mehr einem homo puppy, als ein homo oeconomicus ähneln?

RB: Offensichtlich ist der Kapitalismus ein sehr junges Phänomen. Zumindest der moderne Kapitalismus, so wie wir ihn jetzt haben, also nach der industriellen Revolution, ist eine Sache, die wir erst seit zwei Jahrhunderten haben. Der war offensichtlich nicht in der Lage, die menschliche Natur zu verändern, weil Evolution nicht so schnell passiert. Evolution kann ziemlich schnell passieren, Sie können zum Beispiel Veränderungen im menschlichen Genom sehen, das dauert nur ein paar Jahrtausende, aber zweihundert Jahre sind wirklich nichts. Wie sollten wir das betrachten? Es ist sehr seltsam. Auf der einen Seite haben wir diesen unglaublichen Fortschritt gemacht, wie ich schon sagte. Wir sind reicher, wir sind wohlhabender, wir sind gesünder als je zuvor. Ich meine, wir sind im Moment sehr besorgt über diese Pandemie, aber noch einmal, aus historischer Sicht ist es erstaunlich, dass die Wissenschaftler*innen so schnell mit mehreren Impfstoffen aufwarten konnten. Impfstoffe sind übrigens wahrscheinlich die großartigste Erfindung in der gesamten Menschheitsgeschichte, denn unter Pandemien leiden wir schon seit Jahrtausenden. Wir haben alle von der Pest gehört, sie hat im Mittelalter ein Drittel der Bevölkerung in Europa getötet. Und jetzt, in nur einem Jahr, können wir mehrere Impfstoffe entwickeln. Die Frage ist allerdings, wie nachhaltig dieser Fortschritt wirklich ist. Tanzen wir auf dem Gipfel eines Vulkans? Das ist die eigentliche Frage, denn wir wissen auch, was mit dem Klima passiert, und wir wissen, was mit den Arten passiert, dass wir uns in einem Aussterbeprozess befinden. Es ist also im Grunde das größte “Glücksspiel” der Menschheitsgeschichte – das ist die Zivilisation, und es ist einfach zu früh, um das zu sagen. Wir wissen noch nicht, ob es eine gute Idee war. Vielleicht hätten wir im Zustand der nomadischen Völker bleiben sollen. Schließlich überleben sie seit Hunderttausenden von Jahren durch Jagen und Sammeln. Den Homo Erectus gab es schon vor einer Million Jahren. Vielleicht haben wir nur ein Experiment gestartet und sind in hundert Jahren weg, oder in zwei Jahrhunderten. Und dann, wenn man heraus zoomt, war es offensichtlich der schlimmste Fehler in der gesamten Menschheitsgeschichte.  

MB: Was ich mich frage, ist auch, dass Sie in Ihrem Buch schreiben, dass die Distanz zu einer größeren Bereitschaft führt, skrupellos zu sein. Wie in Kriegen, wenn wir Bomben aus der Ferne schießen. Würden Sie sagen, dass die Globalisierung dazu geführt hat, dass wir eher bereit sind, Menschen auszubeuten? Zum Beispiel diejenigen, die im globalen Süden leben. Und ein anderes Beispiel wäre, dass wir uns als Menschen von der Natur entfernt haben, uns nicht mehr als Teil von ihr sehen und deshalb bereit sind, sie schamlos auszubeuten. Das wäre eine These. Was denken Sie darüber?

RB: Die Globalisierung ist natürlich ein mehrseitiges Phänomen. Man könnte auch argumentieren, dass sie die Distanz zwischen den Menschen verringert hat. Gerade jetzt passiert etwas Schreckliches im Libanon, und wir alle hören sofort in den Nachrichten davon. Das ermöglicht uns, mehr Empathie für Menschen zu empfinden, die viel weiter von uns entfernt sind. Aber auf der anderen Seite stimme ich absolut zu, dass, wenn man sich zum Beispiel den globalen Markt anschaut, diese neoliberale Form der Globalisierung es uns wirklich ermöglicht hat, ziemlich schreckliche Dinge zu tun, ohne dass wir uns deswegen schlecht fühlen. Wir tragen also Kleidung, die oft auf ganz kriminelle Weise produziert wird. Wo Kinderarbeit involviert ist oder noch Schlimmeres. Ich denke, das gilt auch besonders, wenn wir uns anschauen, wie wir mit Tieren umgehen. Die wenigsten Menschen würden noch Fleisch essen wollen, wenn sie ein Video von dem Tier sehen müssten, das sie essen. Sie könnten es einfach nicht tun, aber wir haben sozusagen ein System geschaffen, bei dem man nicht mehr darüber nachdenken muss. Man sieht das Tier nicht mehr wirklich. Es gibt einige Leute wie Yuval Noah Harari zum Beispiel, der argumentiert, dass die globale Fleischindustrie das größte Verbrechen in der modernen Menschheitsgeschichte ist. Und ich denke, dafür kann man wirklich gute Argumente anführen, denn wenn man nur an das unglaubliche Ausmaß an Leid denkt und wenn man auch an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Kognition von Tieren denkt, dass sie viel klüger und viel raffinierter sind, als wir lange Zeit dachten. Es ist wirklich schrecklich, sich das vorzustellen, allein das Ausmaß des Verbrechens.

MB: Wäre die Lösung dann nicht mehr Empathie? Wenn wir uns besser in die Lage anderer Menschen versetzen könnten? Würde das nicht zu einem friedlicheren Miteinander führen, das sich letztlich auch positiv auf unser Menschenbild auswirken könnte?

RB: Die Schwierigkeit ist, dass Empathie eine so begrenzte Emotion oder eine begrenzte Fähigkeit des Menschen ist. Auch hier sind also Tiere ein gutes Beispiel. Eine Menge Leute lieben ihre Haustiere. Menschen, die Haustiere haben, lieben ihre Haustiere. Sie würden es schrecklich finden, wenn ihr Hund oder ihre Katze so eingesperrt würde, wie wir unsere Kühe einsperren und gequält, misshandelt und ermordet werden. Sie würden das schrecklich finden. Aber sie haben kein Problem damit, Kühe zu essen, die auf diese Weise behandelt wurden. Ich denke, das zeigt, dass Empathie wie ein Scheinwerfer funktioniert, wie ein Suchscheinwerfer. Man konzentriert sich einfach auf die Dinge, die einem nahe sind, die einen emotional erregen. Was wir tatsächlich brauchen, ist vielleicht eine rationalere oder distanziertere Haltung, bei der wir heraus zoomen und uns nicht nur von unseren Emotionen leiten lassen, von dem, was wir für diejenigen empfinden, die uns nahe stehen – unsere Haustiere, unsere Freunde, unsere Mitarbeiter*innen, Nachbarn, sondern wir erkennen tatsächlich, dass die gesamte Menschheit unser Mitgefühl verdient.

MB: Halten Sie das für realistisch? Ich meine, ist das mit unserer Psychologie der menschlichen Natur möglich?

RB: Ich will hier ehrlich sein. Es ist schwer. Und in gewisser Weise geht es gegen die menschliche Natur. Auf der einen Seite haben wir uns entwickelt, um freundlich zu sein, kooperativ zu sein, zusammenzuarbeiten, aber die dunkle Seite der menschlichen Natur ist offensichtlich unsere Tendenz zum “Stammesdenken”. Wir neigen dazu, in einer Gruppe gegen eine andere Gruppe zu denken, und weil man zu dieser Gruppe gehört, mag man die andere Gruppe nicht. Das kann man schon bei Babys sehen, ab dem Alter von einem Jahr. Es gibt verschiedene psychologische Studien, die zeigen, dass es wirklich etwas tief in der menschlichen Natur liegt. Wir haben fremdenfeindliche Tendenzen, ganz tief in uns. Das ist nicht unvermeidlich. Es gibt Möglichkeiten, das zu umgehen. Kontakt hilft wirklich, mehr Vielfalt im Leben, wenn Sie mehr kulturelle Vielfalt in Ihren Institutionen oder Schulen haben, dann gewöhnen sich Menschen an Unterschiede. Sie werden viel weniger fremdenfeindlich. Und, wenn man sich die Geschichte anschaut, haben wir es geschafft, einige Fortschritte zu machen, ob wir nun über die Emanzipation der Sklaven sprechen oder auch über die Art und Weise, wie wir über Tiere sprechen. Es gibt einen Philosophen, Peter Singer, der das den „effective altruism“ nennt – es geht darum, dass wir im Laufe der Menschheitsgeschichte einen neuen Kreis geschaffen haben. Zuerst haben wir uns hauptsächlich um unseren eigenen Stamm gekümmert, dann haben wir uns auf die Stadt ausgeweitet und dann auf einen Nationalstaat, und jetzt haben wir Kollektive von Nationalstaaten, die zusammenarbeiten, wie die EU usw. Jetzt ist der nächste Schritt die Ausweitung auf alle Lebewesen. Also, ja, Fortschritt ist möglich, aber wie ich am Anfang unseres Gesprächs sagte, er ist nicht dauerhaft und er ist nicht unvermeidlich, er ist etwas, das immer erneuert und aufrechterhalten werden muss.

MB: Was, glauben Sie, braucht es dazu? Was brauchen Menschen und Gesellschaften, um diesen Paradigmenwechsel, diesen „Sinneswandel“ voranzutreiben? Um einen Nährboden zu schaffen, auf dem er gedeihen kann?

RB: Offensichtlich braucht man eine ganze Reihe von Dingen. Man braucht Hoffnung, man braucht den Glauben, dass die Dinge tatsächlich anders sein können. Man braucht auch die Bereitschaft, sich gegen den Status quo zu stellen. Das ist wirklich interessant. In der zweiten Hälfte meines Buches spreche ich über all jene Menschen, die versuchen, diese neue Sicht der menschlichen Natur umzusetzen. In den Schulen, in der Art und Weise, wie wir Demokratie machen, oder am Arbeitsplatz – sie wollen mit einer anderen Sichtweise beginnen, wer wir als Spezies sind. Das Interessante dabei ist, dass die Menschen, die das tun, oft ein bisschen “anders” sind. Sie haben den Mut, sich unbeliebt zu machen. Ich fand es ironisch, dass diese Leute, die diese „homo puppy“-Sicht der Natur umsetzen, selbst keine wirklichen „homo puppies“ sind. Nachdem ich mit dem Schreiben von „Im Grunde gut“ fertig war, habe ich vor allem über den Widerstand während des Zweiten Weltkriegs gelesen und recherchiert. Wie Sie wissen, wurde ein großer Prozentsatz der Juden, auch in den Niederlanden, verschleppt und ermordet, wobei viele Niederländer mitschuldig waren und mit den Nazis zusammenarbeiteten. So begann ich mich wirklich für die Frage zu interessieren: „Wer sind die Menschen, die Widerstand leisteten; was ist ihr psychologisches Profil; was unterscheidet sie vom Rest von uns?“. Lassen Sie mich eine Geschichte über einen Mann namens Arnold Douwes erzählen, der eine der wichtigsten Figuren im niederländischen Widerstand war. Er rettete etwa 300-350 Juden, darunter 100 Kinder, unter großer Gefahr für sein eigenes Leben. Wenn man sich seine Biografie anschaut, sieht man einen Mann, der im Grunde ein schreckliches Leben bis zum Zweiten Weltkrieg führte. Er passte nicht in die Gesellschaft. Niemand mochte ihn, er hat sich mit allen geprügelt. Er beendete seine Schule nicht, er wurde rausgeschmissen, dann zog er für 10 Jahre in die USA, dann wurde er als radikaler Kommunist wieder rausgeschmissen und dann begann der Krieg, und es war die “beste Zeit seines Lebens”. Er baute ein riesige Untergrund Netzwerk auf und half eine Menge Juden zu retten. Hauptsächlich, indem er viele andere Leute schikanierte und sagte: „Du musst diesen Juden mitnehmen, du musst diesen Juden verstecken und wenn du es nicht tust, bist du kein richtiger Christ“. Er hat die Leute immer sehr unangenehm berührt. Dann war der Krieg zu Ende und sein Leben war wieder eine Katastrophe. Er zog nach Südafrika, lebte dort für ein paar Jahre, zog in nur 9 Jahren ungefähr 15 Mal um und endete in Streitereien mit jedem. Im Grunde starb er als verbitterter, wütender Mann. Das war sein Leben und das fasziniert mich, dass ein Mensch, der „in normalen Zeiten nicht funktioniert“, in extremen Zeiten zum “Held” wird. Was lehrt uns das über Mut? Manchmal brauchen wir den Mut, unbeliebt zu sein, und das geht eigentlich gegen unsere menschliche Natur, denn wir alle wollen gemocht werden. Das ist die menschliche Natur, wir wollen Teil einer Gruppe sein. Wir hassen es, einsam zu sein, wir finden das sehr bedrohlich. Aber manchmal ist es genau das, was wir tun müssen. Und wenn es stimmt, dass wir uns jetzt auf einen Klimakollaps zu bewegen, dass unsere Demokratie bedroht ist, dann müssen wir vielleicht ein bisschen mehr wie dieser Typ sein, der Arnold Douwes heißt. Vielleicht nur 5 % mehr Mut, unbeliebt zu sein und gegen unser sehr menschliches Bedürfnis, gemocht zu werden, anzugehen. 

MB: Was hilft Ihnen, den Mut zu haben, unbeliebt zu sein? Ich meine, ich vermute, dass nicht jeder Ihr Buch gut heißt?

RB: Ich weiß nicht wirklich, ob ich ein gutes Beispiel dafür bin. Ich weiß es wirklich nicht. Ich bin ein bisschen misstrauisch, denn eigentlich läuft mein Buch relativ gut, das ist vielleicht kein gutes Zeichen. Es ist einfacher, etwas zu tun, wenn die Leute sagen: „Na ja, es ist toll, was du da machst“, oder?

MB: Was ich meinte, war nicht, dass es Leute gibt, die Ihr Buch nicht mögen – aber meine Vermutung wäre, dass es einige Leute gibt, die den Paradigmenwechsel nicht mögen, der vermutlich mit einer optimistischeren Sichtweise auf die Menschheit und einer egalitären Welt einhergehen würde.

RB: Das ist absolut richtig. Eine hoffnungsvollere Sicht der menschlichen Natur ist für die Machthaber geradezu bedrohlich, denn sie bedeutet, dass wir wahrscheinlich ohne sie auskommen könnten. Und dass wir zu einer egalitären Gesellschaft übergehen können. Das ist der Grund, warum im Laufe der Geschichte diejenigen, die an der Spitze standen, für Zynismus plädiert haben. Zynismus ist das größte Geschenk, das man den Reichen und Mächtigen machen kann. Denn wenn man ein Zyniker ist, wenn man den Menschen nicht trauen kann und wir tief im Inneren einfach egoistisch sind, dann brauchen wir sie. Dann brauchen wir die Könige, die Königinnen, die Monarchen und die Prinzen und die CEOs – sie müssen uns in Schach halten. Aber wenn wir uns tatsächlich gegenseitig vertrauen können, dann – Moment mal – brauchen wir sie vielleicht nicht. Vielleicht können wir eine Revolution starten und zu einer ganz anderen Art von Gesellschaft übergehen. Ich denke, das ist der Grund, warum diejenigen, die in der Geschichte für eine hoffnungsvollere Sicht der Natur eintraten, oft verfolgt wurden. Ich denke, die Anarchisten sind hier das beste Beispiel, weil sie wirklich diese klassische Weltsicht haben, wo sie sagen, die meisten Menschen sind ziemlich anständig, aber Macht korrumpiert, denken Sie an den Anarchisten Peter Kropotkin, den russischen Prinzen, der zum Anarchisten wurde. Er wurde vom russischen Geheimdienst rund um den Globus verfolgt. Er war im Gefängnis, weil er dachte. Denn diese mächtigen Leute wissen genau, was auf dem Spiel steht. Wenn die Menschen anfangen, einander zu sehr zu vertrauen, könnte das bedeuten, dass ihre Macht bedroht ist.

MB: Ich möchte zum Schluss noch einen Absatz aus Ihrem Buch zitieren, den ich sehr interessant finde. Sie schreiben: An unsere Verdorbenheit zu glauben ist auf seltsame Weise beruhigend. Eigentlich werden wir dadurch freigesprochen. Wenn die meisten Menschen böse sind, haben Widerstand und Engagement nicht viel Sinn. […] Wer dagegen behauptet, dass der Mensch im Grunde gut ist, muss viel intensiver darüber nachdenken, warum das Böse besteht. Und er muss selbst initiativ werden, denn dann ergeben Widerstand und Engagement durchaus Sinn. Glauben Sie, dass wir mit einem von grund auf optimistischen Bild des Menschen auch Herausforderungen, wie den Klimawandel oder die Corona-Pandemie besser bewältigen könnten?

RB: Es ist nicht genug. Aber es ist eine absolute Voraussetzung, denn wie sollen wir jemals den Klimawandel lösen, wenn wir nicht wirklich aneinander glauben? In meinem Buch erzähle ich die Geschichte der Osterinsel. Die Osterinsel wird schon lange als Warnung für unsere moderne Zivilisation gesehen. Denn hier haben Sie den abgelegensten Ort der ganzen Welt, an dem die Menschen seit hunderten von Jahren leben. Aber dann haben sie angefangen, all diese verrückten Statuen zu bauen, aber um all diese Statuen zu bauen, mussten sie die Bäume fällen. Es gab eine massive Abholzung, sie konnten nicht mehr genug Nahrung produzieren, ein Bürgerkrieg brach aus, sie wurden Kannibalen und zerstörten ihre Gesellschaft. Das ist die Geschichte, die schon sehr lange über die Osterinsel erzählt wird. Und wird als Gleichnis für unsere Zukunft gesehen, dass uns dasselbe Schicksal droht. Was hier interessant ist, ist, dass Archäologen die Beweise der Osterinsel neu untersucht haben und tatsächlich etwas ganz anderes gefunden haben. Was sie gefunden haben, ist Resilienz. Dass es in der Tat eine Abholzung gab, wahrscheinlich wegen einer Rattenplage und nicht wegen der Statuen, aber dass sie danach innovativ waren. Sie entwickelten neue landwirtschaftliche Praktiken, die die Produktion von Nahrungsmitteln auf der Insel tatsächlich erhöhten. Diese Resilienz ist nicht unvermeidlich. Es ist keine Selbstverständlichkeit. Aber es gibt hoffnungsvolle Anzeichen dafür. Einer der Gründe, hoffnungsvoll zu sein, ist ein Blick auf das, was in den letzten Jahren in Europa passiert ist. Vor nicht allzu langer Zeit war die Europäische Union ein ziemlich deprimierendes Projekt, damals, als vor allem Deutschland und „der kleine Sklave Niederlande“ auf die Griechen einprügelten. Es war eine unglaublich verrückte Zeit, in der wir sagten: „Ihr müsst für eure Schulden bezahlen, deshalb vergrößern wir die Armut in eurem eigenen Land“. Ich fand das sehr deprimierend und habe damals die Hoffnung auf das europäische Projekt verloren. Aber seitdem hat sich viel verändert. Wenn man sich die ehrgeizige Klimagerechtigkeitsbewegung um Greta Thunberg anschaut, dann hat das einen so großen politischen Effekt, dass ich denke, dass die Europäer*innen jetzt die Vorreiter*innen im Kampf gegen den Klimawandel sind. Und wir sind noch nicht annähernd so weit, aber wenn man sich den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen “Green Deal” anschaut – er ist so viel ehrgeiziger. Ehrgeiziger als alles, was sich die Amerikaner ausgedacht haben. Die Amerikaner sind immer sehr gut darin, Reden zu halten, und wir (Deutsche und Niederländer) sind nicht sehr gut darin, Reden zu halten, aber wir sind viel besser darin, tatsächlich etwas zu tun. Deutschland hat mit der Energiewende wirklich das Lehrgeld der Welt bezahlt. Wenn Sie sich den enormen Rückgang der Solarenergie anschauen, haben wir das Deutschland zu verdanken. Wenn man sich die Windenergie anschaut – ohne Dänemark wäre das nicht passiert, sie waren jahrzehntelang ganz vorne dabei. Es gibt Gründe, hier hoffnungsvoll zu sein. Die gibt es wirklich. Und ich glaube auch, dass eine neue Generation heranwächst, die sehr viel fortschrittlicher, gebildeter und vielfältiger ist als die Generation vor ihr. Man könnte also argumentieren, dass Hoffnung der neue Zynismus ist. Oder: Zynismus ist out und Hoffnung ist in. Die Frage ist nur, ob es schnell genug geht. Denn wie Sie wissen – wir haben nicht mehr viel Zeit. Also müssen wir uns beeilen.

MB: Ich denke, das sind wirklich gute letzte Worte. 

26. Januar 2021

Leben, Improvisation(skunst)?

von Ricarda Manth 19. Januar 2021

Improvisation, von dem lateinischen Wort improvisus, bedeutet “unvorhergesehen” oder auch “ohne Vorbereitung”. Aber, bedeutet “ohne Vorbereitung”, dass eine gelungene Improvisation keiner bestimmten Voraussetzungen bedarf? Kann eine Improvisation misslingen? Wo begegnet uns Improvisation im Alltag und ist sie heute in eine Krise geraten, weil wir mehr Wert auf Rationalität, als auf Emotionalität legen? Zum Einen bedarf es großen Improvisationstalents, um die komplexen und diffusen Herausforderungen unserer Zeit, wie die Corona-Pandemie, erfolgreich meistern zu können. Zum Anderen, werden immer wieder Stimmen laut, die fordern, gerade in der Krise müsse Schluss sein mit Improvisation. Es erweckt den Anschein, als stünde das Improvisieren in Krisenzeiten “zwischen den Stühlen”. Sie ist Möglichkeit und Vorwurf zugleich. Improvisation finden wir natürlich auch in Kunst, Theater und Musik. Allein diese wenigen Sätze zeigen, wie vielseitig sie ist und genau aus diesem Grund, haben wir sie uns heute zum Gesprächsthema gemacht.

SHOWNOTES:

Diese Episode wurde mitfinanziert durch Naturata, die biologisch erzeugte und fair gehandelte Lebensmittel vertreiben. Auf naturata-shop.de erhaltet ihr bis zum 15.03.2021 mit dem Code „mehralsbio“ 20% Nachlass auf euren Einkauf, ab einem Bestellwert von 40€.

► Georg W. Bertram (2010): Improvisation und Normativität. In: Bormann, Hans-Friedrich (Hrsg.): Improvisieren. Paradoxie des Unvorhersehbaren. Kunst – Medien – Praxis. Bielefeld.
► Christopher Dell (2002): Prinzip Improvisation.
► Nana Eger (2015): What works? Arbeitsprinzipien zum Gelingen kultureller Bildungsangebote an der Schnittstelle von Kunst und Schule.
► Karl A.S. Meyer (2006): Dissartation. Improvisation als flüchtige Kunst.
► Josef Früchtl und Maria Moog-Grünewald (2014): Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. Schwerpunkt Jazz.
► Spiegel-Online: Genug Improvisiert. Ein Kommentar von Sebastian Fischer.
► Deutschlandfunk: Hartmut Rosa: „Inspiration braucht Irritation“.

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19. Januar 2021
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