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Selbstentfaltung

Joséphine Sagna: Kann Kunst (uns) befreien?

von Henrietta Clasen 5. April 2021

Joséphine Sagna setzt sich in ihrem künstlerischen Schaffen mit der Identitätsfrage einer Schwarzen Frau in einer weißen Mehrheitsgesellschaft auseinander. Mit Vorurteilen und Rassismus, Fremd- und Eigenwahrnehmung, Intimität und Selbstinszenierung der Dargestellten. In den Mittelpunkt stellt sie den weiblichen Körper, selbstbewusste, starke BIPoC-Frauen, die sich dem westlichen Schönheitsideal entgegenstellen. Joséphine Sagna möchte die Essenz der Figuren darstellen, ihre laute, leise, weiche, starke und freie Art in einem vielschichtigen und fragmentarischen Bild einfangen — Schicht für Schicht, vielfarbig und mit unterschiedlichen Facetten. 

SHOWNOTES:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder  werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Ein besonderer Dank gilt den Fördermitgliedern, die Sinneswandel als Pionier:innen mit 10€ im Monat unterstützen: Anja Schilling, Christian Danner, Bastian Groß, Pascale Röllin, Sebastian Brumm, Wolfgang Brucker, Petra Berends, Holger Bunz, Dirk Kleinschmidt, Eckart Hirschhausen, Isabelle Wetzel, Robert Kreisch, Annette Hündling, Deniz Hartmann, Torsten Sewing, Hartmuth Barché, Dieter Herzmann, Hans Niedermaier, Constanze Priebe-Richter, Birgit Schwitalla, Heinrich Ewe, Julia Freiberg, Dana Backasch, Peter Hartmann, Martin Schupp, Juliane Willing, Andreas Tenhagen, eeden Hamburg Co-creation Space for visionary women*, David Hopp, Jessica Fischer (Universität Paderborn), Ioannis Giagkos, Matthias Niggehoff, Nina Lyne Gangl, Johanna Bernkopf , Holger Berends und Sebastian Hofmann.

► Website Joséphine Sagna.
► Joséphine Sagna auf Instagram.
► Doku My Body – My Art. Frauen. Körper. Kunst. auf 3sat u.a. mit Joséphine Sagna.

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5. April 2021

Recht auf Faulheit: Zeit & Muße demokratisieren?

von Ricarda Manth 12. Januar 2021

Der Faulenzer hat einen eher schlechten Ruf. In einer Gesellschaft, die Arbeit und Leistung glorifiziert, gilt er als unproduktiv und nutzlos. Doch dies war keineswegs immer so. Zumindest wurde in der Antike noch der Müßiggang hochgehalten, als notwendiger Rückzug zur Charakterbildung. Und auch später in der Geschichte erhoben sich immer wieder Stimmen, wie die Bertrand Russells oder Paul Lafargues, die ein „Recht auf Faulheit“ proklamierten. Doch worin besteht eigentlich das emanzipatorische Potenzial der Muße?

Shownotes:

► Bertrand Russell: Lob des Müßiggangs. (1935).
► Paul Lafargue: Das Recht auf Faulheit. (1883).
► Joachim Schultz und Gerhard Köpf: Lob der Faulheit. Geschichten und Gedichte. Insel Verlag (2004).
► Ottokar Wirth: Lob des Nichtstuns oder die Kunst der Muße und der Faulheit. Sanssouci (1973).
► Virginia Woolf: Ein Zimmer für sich allein. (1929).
► Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern. (1945).
► Martin Heidegger: Die Grundbegriffe der Metaphysik: Welt, Endlichkeit, Einsamkeit (1929).
► Iwan Gontscharow: Oblomow. (1859).
► John Maynard Keynes: „Die ökonomische Zukunft unserer Enkel”. (1930).
► Deutschlandfunk: Faulheit – Todsünde oder Tugend?. André Rauch im Gespräch mit Michael Magercord.
► Zeit-online: Reformation: Martin Luther, der Vater des Arbeitsfetisch. Patrick Spät.

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Transkript: Recht auf Faulheit: Zeit & Muße demokratisieren?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Bevor wir einsteigen, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Denn in das Recherchieren des Podcast stecken wir eine ganze Menge Zeit. Damit wir uns das weiterhin leisten können, brauchen wir eure Unterstützung. Als Fördermitglieder, die ihr schon ab 1€ sein könnt, sorgt ihr nicht nur dafür, dass wir weiterhin unabhängig und werbefrei produzieren können, ihr nehmt zudem regelmäßig an Buchverlosungen teil. Wie ihr uns und unsere Arbeit unterstützen könnt, erfahrt ihr in den Shownotes. Dort habe ich alles verlinkt. Vielen Dank.

“Donnerstag, den 5. Auftrag bekommen, Plauderei “Über die Faulheit” zu schreiben. Liegestuhl gekauft. Darin in entspannter Lage über das Thema nachgedacht. Dabei eingeschlafen. […]

Samstag, den 7. Diese Notizen ins Tagebuch eingetragen. Davon erschöpft, deshalb freien Nachmittag eingelegt. […]

Donnerstag, den 12. Erkenntnis: Faulheit ist der Humus des Geistes. Erhabene Gedanken gedeihen nur in körperlichem Ruhezustand. […] man muss sich ohne schlechtes Gewissen zur Faulheit bekennen.”

Diese Worte stammen von dem deutschen Schriftsteller und Satiriker Thaddäus Troll. Und, seien wir ehrlich, dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Hier könnte meine Arbeit beendet sein. Denn, ist es nicht paradox an sich, Zeit und Muße auf einen Essay über das Faulenzen, die vita contemplativa, das dolce far niente, das süße Nichtstun zu verwenden? Gelangt man nicht schlussendlich, wie auch Thaddäus Troll, an den Punkt, dass es viel lohnender ist, sich dieser hinzugeben, statt sich unnötig den Kopf über sie zu zerbrechen?

Nicht unbedingt. Es kommt ganz darauf an, wie wir “Faulheit” definieren wollen. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden eine Reihe an Begriffen, die diesem ähnlich sind, oft synonym verwendet. Dabei besteht zwischen diesen, bei genauerer Betrachtung, ein kleiner, aber feiner Unterschied. So ist die Faulheit nicht zu verwechseln mit dem bloßen Nichtstun. Denn das Nichtstun, sofern es überhaupt möglich ist, beschränkt sich auf einen Zustand des Verharrens, die Unbeweglichkeit. Auch die Langeweile, die oft mit dem Nichtstun in Verbindung gebracht wird, ist keineswegs identisch mit der Faulheit. So findet sich das Subjekt in der Langeweile dem Nichts ausgeliefert. Es ist ein Zustand, der selbst kaum herbeizuführen ist, einen vielmehr überkommt. Nicht immer freiwillig. Die tiefe Langeweile als die verborgene Grundstimmung, ist die Leergelassenheit als Ausgeliefertheit des Daseins, wie es der Philosoph Martin Heidegger in “Die Grundbegriffe der Metaphysik” beschreibt. Der Begriff der “Muße” hat aber wohl die größte Ähnlichkeit mit dem Faulenzertum. Sie bezeichnet die Zeit, über die eine Person nach eigenem Wunsch verfügen kann. Ein etwas altertümliches Wort, das peu a peu durch Begriffe, wie “Freizeit” oder “quality time” abgelöst wurde. Wenngleich diese heute wohl anders in der Praxis gelebt werden, als die Denker der Antike einst die Muße definierten, die vor allem als otium cum dignitate, die als mit philosophischer Betätigung verbrachte würdevolle Muße in Zurückgezogenheit, verstanden wurde. Und eben darin liegt vielleicht auch der Unterschied zwischen Muße und Langeweile: “Müßiggang. Da ist in der letzten Silbe immer noch einer unterwegs. Er sucht nach Arbeit”, argumentiert der Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre. “Muße hat den entscheidenden Nachteil. Sie impliziert die Frage wofür.”

Wenn der Faulheit, das lässt sich kaum leugnen, ähnlich, wie auch der “Trägheit”, eine gewisse Negativität, eine Abwertung anhaftet, so ist der Aspekt, der für das Faulenzen ganz fundamental scheint, jener der Selbstbestimmung. Trifft doch der Mensch aus eigener Kraft, sofern es sich nicht um lähmende Antriebslosigkeit handelt, wie beispielsweise bei einer Depression, die Entscheidung, sich einer auferlegten Arbeit zu widersetzen, um sich stattdessen etwas zu widmen, das ihm dienlicher scheint. Ein Akt der Rebellion schlechthin: “Jemand der faul ist, nimmt sich seine Freiheit. Faulheit ist der höchste Grad der Freiheit: Ich tue nicht, was du von mir willst, ich tue, was ich für mich entscheide!” , argumentiert der französische Philosoph André Rauch im Deutschlandfunk. Und er führt pointiert fort: „Faulheit ist der Pazifismus in der Ersten Person Singular – und ist es nicht dieser gelebte Pazifismus, der erst jenen im Plural möglich machen würde?!“

Kein Wunder also, dass diese Form der stillen Revolte, die Gefahr, die durch das emanzipatorische Potenzial der Faulheit geboren wird, nicht von allen gutgeheißen wurde und wird. Vor allem nicht von den Reichen und Mächtigen. “Der Gedanke, daß die Unbemittelten eigentlich auch Freizeit und Muße haben sollten, hat die Reichen stets empört”, schreibt der britische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell 1935 in seinem Aufsatz “Lob des Müßiggangs”. Und weshalb, ließe sich fragen, sollte denn nicht jeder das Recht und den Anspruch auf etwas Zeit für sich haben? Wieso diese Mißgunst? Nun ja, das lässt sich recht leicht erklären, fährt Russell fort: “Dieser Gedanke stößt bei den Wohlhabenden auf entrüstete Ablehnung, weil sie davon überzeugt sind, die Armen wüßten nichts Rechtes mit soviel Freizeit anzufangen. […] Wer Zeit seines Lebens täglich lange gearbeitet hat, wird sich langweilen, wenn er plötzlich untätig sein muss.” Und, wie heißt es im Volksmund nicht so schön: “Müßiggang ist aller Laster Anfang”. Die Arbeit sollte also das einfache Volk davon abhalten sich sinnlos zu betrinken und Unfug zu treiben. Diese vordergründigen Sorgen um das Wohlergehen der Armen verschleiern jedoch, was eigentlich hinter  den vermeintlich guten Absichten steht. So schreibt Russell: “Historisch gesehen war der Begriff der Pflicht ein Mittel, das die Machthaber dazu benützen, andere Menschen dazu zu veranlassen, zum Nutzen ihrer Herren statt zum eigenen Vorteil zu leben […] und tatsächlich ist ihr Streben nach angenehmem Müßiggang der historische Ursprung des ganzen Evangeliums der Arbeit.” Die Armen durften also nicht “unzufrieden werden, was die Reichen veranlaßte, jahrtausendelang Wert und Würde der Arbeit zu predigen.”

Denn eines war klar, einer musste ja arbeiten, um den anderen das gute Leben zu ermöglichen. Nicht umsonst hatten in der Antike bei den alten Griechen und Römern hierfür die Sklaven herzuhalten. Während die vita contemplativa nur den edlen Herren, den freien Bürgern vergönnt war und als erstrebenswertes Ideal galt, wurde die vita activa, also die schwere, meist körperliche Arbeit, den Unfreien, den Sklaven überlassen. Irgendeiner musste ja Colloseum und Akropolis errichten und den Wein anbauen, an dem sich die Denker in den Stunden der Muße ergötzten. Wenngleich diese Aufteilung maßlos ungerecht sein mag, so lässt sich dennoch über die Antike sagen, sie hatte ein äußerst wohlwollendes Bild von der Muße, sofern sie sinnvoll, im Sinne der Charakterbildung, eingesetzt wurde. 

Doch dann tauchte Martin Luther im 15. Jahrhundert auf der Spielfläche auf und sprach: “Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen. Müßiggang ist Sünde wider Gottes Gebot, der hier Arbeit befohlen hat.” Der Dienst am Herrn war geboren. Als also plötzlich die Faulheit gleichgesetzt wurde mit Nichtstun und Untätigkeit, wurde der Faule zugleich jemand, dem es an Bürgersinn mangelte. Während der Protestantismus mit Luther die Arbeit hochhielt, wandte er sich gegen jeden Müßiggang. Die protestantische Ethik, so Max Weber, sei zu einer wesentlichen Grundlage des Frühkapitalismus geworden. Und Luther, so ließe sich ergänzen, der Vater des modernen Arbeitsfetisch, des homo oeconomicus, als der wir heute noch, wie die emsigen Ameisen, rastlos ackern und rackern.

“Die Faulheit”, so Philosoph André Rauch, sei “ja auch deshalb so interessant, weil sie uns unser Hin- und Hergerissensein zeigt. Sie spiegelt, wie jede Epoche, jede Zeit, jede Gesellschaft oder auch jede Nation sich selbst sieht, sie zeigt uns unsere Phantasmen. Und auch, was uns und unsere stetig fortschreitenden Gesellschaften wirklich antreibt. Denn wenn es ein Gegenstück zum Fortschritt gibt, dann ist es die Faulheit.” Die Geschichte der Faulheit, als eine Geschichte der herrschenden Moral?

Was sagt es also über unsere heutige Gesellschaft aus, die, trotz aller technischer Innovationen, die in den vergangenen Jahren hervorgebracht wurden, sich dennoch an dem Wert von Arbeit manisch festzuklammern scheint? Sie vielleicht mehr denn je lobpreist und glorifiziert. Hatte der britische Ökonom John Maynard Keynes doch bereits 1930 prognostiziert, dass sich die Menschen in 100 Jahren längst an einer 15-Stunden erfreuen würden. Doch selbst, wenn uns bis 2030 noch ein paar Jahre übrig bleiben, so ist zu bezweifeln, ob eine Kehrtwende, welche die Loslösung von Arbeit und Leistung als Maßstab für Produktivität und Sinn voraussetzte, noch denkbar ist. Beruhen die Identitäten postmoderner Subjekte doch genau auf jenen Tätigkeiten, mit denen sie ihr täglich Brot verdienen. Und auch die Utopie einer Vollbeschäftigung scheint längst nicht hinter uns gelassen – insbesondere nicht in einer Krisen geprägten Zeit, wie der unseren. Eine Abkehr vom Arbeitsethos, wie eine Hinwendung zu Müßiggang, wenn dies gelingen soll, bedarf einen wahrhaftigen Sinneswandel. Eine Neubetrachtung des Menschen, unseres Selbstbildes, als auch der Ziele einer Gesellschaft. Denn, wer über die Verfügbarkeit und den Nutzen von Zeit spricht, der stellt zugleich die Frage nach dem guten Leben. Und so wird die Faulheit, also die Frage der Nutzung von Lebenszeit, zur Kernfrage des Lebens schlechthin.

“Wenn ich der Gesellschaft meine Vormittage und meine Nachmittage verkaufte, wie es offenbar die meisten tun”, schreibt Henry David Thoreau, “würde für mich gewiss nichts mehr übrig bleiben, für das es sich lohnt zu leben.” Nun war Thoreau auch jener Schriftsteller, der den Rückzug in die Wälder und das einfache Leben postulierte. Am 4. Juli 1845 bezog Thoreau eine selbstgebaute Blockhütte am Walden-See. Hier verbrachte er allein, wenn auch nicht gänzlich abgeschieden, zwei Jahre. „Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näher zu treten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte. […] Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so hart und spartanisch leben, dass alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschlagen wurde.“

Damit beschreibt Thoreau ein Gefühl, das dem heutigen Wunsch nach Entschleunigung, dem Ruf nach weniger und Einfachheit, wohl ziemlich nahe kommt. Unübersehbar, quillen die Regale von Fachzeitschriften Händlern über, mit Illustrierten, deren Cover Titel, wie “Hygge”, “Landlust” und “slow” schmücken. Selbsthilfe Ratgeber fluten den Markt mit immer neuen Strategien für mehr Gelassenheit und Lebensglück. Meditation, Yoga, Wellness – hauptsache mal runterkommen. Endlich mal Zeit für sich haben. Doch der Verdacht wird schnell laut, dass auch die Übung in Achtsamkeit, das bewusste Besinnen, am Ende doch nur dem Zweck, die eigene Produktivität und damit das Rad der Wirtschaft am Laufen zu halten, dient. 

Denn Schritt für Schritt hat sich auch die Idee der Freizeit von der des Faulenzens freigemacht. Und wurde eingenommen von der Vorstellung, Muße sei eine Zeit voller Beschäftigung, in der Faulheit keinen Platz mehr habe. Eine Zeit des Konsums, des Zweckgerichteten, des Geschäftigen und Umtriebigen. Aber, immerhin ist sie doch selbstbestimmt, oder etwa nicht?! Nichtsdestotrotz scheint die moderne Wellness- und Mindfulness-Kultur nur noch wenig mit dem klassischen Begriff der Muße gemeinsam zu haben. Hat sich die Freizeit also, ohne, dass wir es bemerkten, etwa auch dem Zwang des “um zu”, der Nutzen-Logik kapitalistischen Wirtschaftens unterworfen? Ist dies der Grund, weshalb wir, trotz der maßlosen Fülle an Freizeitangeboten, uns dennoch getrieben und nahezu überfressen fühlen?

Der Geist “muß, um eigentlich zu philosophieren, […] wahrhaftig müßig sein: er muss keine Zwecke verfolgen”, schrieb Arthur Schopenhauer. Es scheint, solange alles, selbst Freizeit und Muße, dem Dogma der Produktivität unterliegen, werden wir wohl kaum in den Geschmack eines gutes Lebens kommen. “Wer nun weiter kommen will auf dem Weg zu einer nachhaltigen Moderne – mit und mithilfe der Faulheit – muss nach vorne schauen, muss Faulheit in die Zukunft überführen, muss Faulsein als Vision für eine zukünftige Welt entwerfen”, so der Philosoph André Rauch. 

Dieser Überzeugung war auch schon der französische Sozialist und Arzt, Paul Lafargue. In seinem bekannten Werk von 1883, “Das Recht auf Faulheit”, eine Widerlegung des “Rechtes auf Arbeit”, schreibt er: “O Faulheit, erbarme dich unseres langen Elends! O Faulheit, Mutter der Künste und der Tugenden, sei der Balsam für die Leiden des Menschen!” Wie kam Lafargue zu einer solchen, insbesondere für die damalige Zeit, radikalen Einsicht? Was ließ ihn davon überzeugt sein, dass, wie er es selbst ausdrückte, “Alles individuelle und soziale Elend […] seiner Leidenschaft für die Arbeit” entstamme”?

Nun, ganz ähnlich, wie auch später Bertrand Russell, beobachtete schon Lafargue mit großem Argwohn die wachsende Ungleichheit, die er insbesondere auf die Ausbeutung des Proletariats, der Arbeiter durch die Bourgeoisie, also die Kapitalisten, zurückzuführte. Lafargue stellte nichts geringeres, als den Fortschritt, der durch die Industrialisierung erhofft wurde, in Frage, dabei jedoch nicht selten zynisch und mit einer Prise Humor. So schrieb er: “es wäre besser, man vergiftete Brunnen, man säte die Pest, als inmitten einer ländlichen Bevölkerung kapitalistische Fabriken zu errichten.” Auch er plädierte für eine Reduzierung der Arbeitszeit. Nicht nur zum Schutz der Arbeitenden, sondern auch, da er davon überzeugt war, dass durch die Überproduktion, durch das zu viel an Arbeit, ein Konsumzwang entstünde. Also das, was wir heute erleben. Wir müssen wachsen. Immer weiter wachsen. Über die planetaren Grenzen hinaus. Indem wir schuften und das, was wir erarbeiten, in unserer Freizeit konsumieren. Ein ewiger Teufelskreis.

Könnte mehr Muße, mehr Faulheit also vielleicht sogar die Zukunft sein? Der neue Fortschritt?  “Ohne die Klasse der Müßiggänger wären die Menschen heute noch Barbaren”, rief Bertrand Russell aus. Und in einer Ansprache anlässlich des Festes von Sankt Faulpelz  im Jahre 1949 – ja, das gibt es wirklich – hieß es: “Das Faulenzen – es ist doch das Fundament jedes Fortschritts der Menschheit! […] Würde man alle Arbeitsstunden zusammenzählen, die auf die Herstellung aller Maschinen zur … Vermeidung von Arbeit, zur Erlangung einiger Augenblicke Müssiggangs verwendet worden sind, so käme man mit Sicherheit zum Ergebnis, dass die Faulheit die Mutter der Arbeit ist.”

Seien wir also ehrlich, der Mensch versucht schon seit jeher der Arbeit zu entkommen. Nicht nur, indem er vor ihr flüchtet, sondern auch oder vor allem, durch Innovationen, durch Ideen, die er hervorbringt, die das Leben genüsslicher machen. Der im 18. Jahrhundert lebende deutsche Schriftsteller und Satiriker Karl Julius Weber, war sogar der Auffassung, der Mensch sei faul von Natur aus. Die Faulheit sei sogar “der Vater unserer geselligen Verbindungen”, wie er schreibt. Kein Wunder also, dass heute immer häufiger von einer Vereinsamung der Gesellschaft gesprochen wird. In der keiner Zeit mehr für den anderen hat. In der selbst Muße zu Freizeitstress mutiert ist. Wie sollen aus diesem Zustand allgemeiner Gereiztheit und Isolation, unter permanenter Berieselung von Konsum, noch gescheite Gedanken, geschweige denn Gemeinschaftssinn entstehen?

Wenn Faulheit tatsächlich der “Humus des Geistes” ist, wie Thaddäus Troll proklamiert, dann sollten wir sie endlich von ihrem Bann befreien. Von dem Fluch der Unproduktivität erlösen, und ihr die Ehre zuteil werden lassen, die ihr eigentlich gebührt, als Mutter aller Künste. Faulheit und Müßiggang stellen nicht etwa das Gegenteil von Arbeit dar, sondern bilden erst die Voraussetzung für jedes kreative Schaffen und Schöpfen. Faulenzen und Muße, als das Gegenteil von Fremdbestimmung und Verwertungszwang, heben zugleich die Trennung auf: von Freizeit und Arbeit, von Denken und Fühlen, von Sein und Sinn.

Nicht umsonst heißt es, “in der Ruhe liegt die Kraft”. Gäben wir den Menschen mehr freie Zeit, die Erlaubnis, sie nach Lust und Liebe zu “verplempern”, so eröffneten sich uns vielleicht gar neue, nachhaltigere Formen des Wachsens und Gedeihens. So schreibt Friedrich Schlegel in seiner “Idylle über den Müßiggang”: “alles Gute und Schöne ist schon da und erhält sich durch seine eigene Kraft. Was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? […] Nichts ist es, dieses leere unruhige Treiben, als eine nordische Unart und wirkt auch nichts als Langeweile, fremde und eigene. […] Und also wäre ja das höchste vollendetste Leben nichts als ein reines Vegetieren.”

Nun, wir müssen es vielleicht nicht gleich übertreiben, wie Oblomow, der sich gänzlich der Passivität hingibt und in den ersten 100 Seiten Iwan Gontscharows gleichnamigen Romans, nicht einmal zum Aufstehen bequemt. Vielmehr liegt das emanzipatorische Potenzial der Faulheit in dem Akt der Selbstbestimmung. Einer Demokratisierung von Zeit und Muße, die wohl kaum eine Gesellschaft träger Oblomows produzieren würde, als vielmehr Menschen, die wieder Freude fänden am kreativen Schaffen, am Leben jenseits der Verwertungslogik. So schreibt keine geringere, als Virginia Woolf in ihrem Essay “Ein Zimmer für sich allein”: “gerade wenn wir untätig sind, wenn wir träumen, taucht die versunkene Wahrheit manchmal auf.” 

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn die Episode euch gefallen hat, dann teilt sie doch gerne mit anderen. Und natürlich würden wir uns besonders freuen, wenn auch ihr als Fördermitglieder auf Steady unsere Arbeit unterstützt. Oder auch ganz einfach, indem ihr uns einen kleinen Obulus an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle weiteren Infos, wie auch weiterführende Literatur und Quellenhinweise, findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast.

12. Januar 2021

Anna Mayr: Warum sind Arbeitslose systemrelevant?

von Marilena 5. Januar 2021

Kann es sein, dass Arbeitslosigkeit gewollt ist? Dass das Elend vieler Menschen in Kauf genommen wird, um ein Paradigma aufrechtzuerhalten, das wir seit geraumer Zeit befolgen? Das Dogma des: Ich arbeite, also bin ich. Anna Mayr ist davon überzeugt. In ihrem Buch „Die Elenden“, plädiert Anna Mayr dafür, dass wir uns von Leistungsidealen, dem Glauben an Bildungsgerechtigkeit und unserem Arbeitsfetisch verabschieden sollten. Und für eine Welt, in der wir die Elenden nicht mehr brauchen, um unseren Leben Sinn zu geben.

Shownotes:

► Anna Mayr: Die Elenden: Warum unsere Gesellschaft Arbeitslose verachtet und sie dennoch braucht. Hanser Literaturverlage, 08/2020.
► Virginia Woolf: A Room of One’s Own. 1929.
► Spiegel.de: »Hillbilly Elegy« auf Netflix: Hollywoods Hilflosigkeit. Hannah Pilarczyk.
► Boston Globe: ‘Hillbilly Elegy’: welcome to hard times. Ty Burr.

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5. Januar 2021

JJ Bola: Was bedeutet Mannsein heute? (EN)

von Ricarda Manth 3. Dezember 2020

JJ Bola zufolge, befindet sich das Bild „des Mannes“ nach wie vor in einer Krise – vielleicht sogar mehr denn je. In Zeiten von Trump, #MeToo und den Incels, scheint Männlichkeit kein positiver Begriff mehr zu sein. Darum sucht der im Kongo geborene Autor und Aktivist nach Auswegen aus dieser Krise. In seinem Buch “Mask off – Masculinity redefined” versucht er aufzuzeigen, wie vielfältig und fluide Maskulinität sein kann. Dabei hebt er immer wieder hervor, dass obgleich Männer in einem patriarchalen System in vielerlei Hinsicht privilegiert sind, dennoch massiv unter selbigem leiden. Weil auch sie in Rollenbilder sozialisiert werden, die es ihnen nicht immer erlauben, die Art Mann/Mensch zu sein, der sie sein wollen. Feminismus ist also bei weitem keine reine “Frauenangelegenheit”, so JJ Bola. Denn auch Männer würden von dem Durchbrechen patriarchaler Strukturen profitieren. Wie ein Weg in eine gleichberechtigte Gesellschaft, sich frei entfaltender Individuen aussehen kann, darüber hat Marilena Berends sich mit dem in London lebenden Autor JJ Bola ausführlich unterhalten.

Shownotes:
► Sei kein Mann von JJ Bola, erschienen 08/2020 bei Hanser Literaturverlage.
► Leseempfehlung: Judith Butler: Gender Trouble.
► Pro_feministischer Blog, der sich insbesondere mit Kritischer Männlichkeit befasst.
► Hilfetelefon für von Gewalt betroffenen Männern sowie Angehörigen.

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3. Dezember 2020

Rebekka Reinhard: Wie gelingt uns Vielfalt im Denken?

von Marilena 3. November 2020

In unsicheren Zeiten wächst die Sehnsucht nach Einfachheit und Entweder-oder-Denken. Das ist verständlich, aber nicht zeitgemäß, argumentiert die Philosophin Rebekka Reinhard. Unsere Vernunft wach zu machen und offen zu sein für das Vieldeutige und Widersprüchliche, weitet unseren Blick für andere Möglichkeiten – und für Reichtum und Schönheit einer vielfältigen Welt. Das »wache Denken« begegnet der Vereinfachung mit einer Lust am Spiel, am Experiment, am Wagemut. Und das brauchen wir, laut Rebekka Reinhard, heute dringend, um zu neuem Wissen zu finden, zu einer intelligenten Verbindung von Verstand und Emotion, von Hirn und Herz.

Shownotes:
► Wach Denken: Für einen zeitgemäßen Vernunftgebrauch von Rebekka Reinhard. Erschienen 09/2020 im Verlag der Körber Stiftung.
► Mehr von und über Rebekka Reinhard auf ihrer Website.

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3. November 2020

Elisabeth von Thadden: Vereinsamen wir unfreiwillig?

von Marilena 15. Oktober 2020

Abstand wahren, Kontakte einschränken, Körperkontakt vermeiden. Gerade die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf unser Miteinander, hat uns zwei Dinge vor Augen geführt: Ersten, wie wichtig und überlebensnotwendig Berührungen für uns Menschen sind. Und zweitens, wie verletzbar wir doch als leiblichen Wesen sind. Sehnsucht nach Abstand. Angst vor Einsamkeit. Diese Ambivalenz scheint dem Bedürfnis nach Nähe und Berührung innezuwohnen – aber, was bedeutet das für den Menschen?

In Ihrem Buch „Die berührungslose Gesellschaft“ stellt sich die Journalistin und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth von Thadden eben diese Frage. Und versucht zu ergründen, wie individuelle Freiheiten, der Wunsch nach Nähe, Solidarität und gesellschaftliches Miteinander in einer immer schnelllebigeren Welt miteinander vereinbar sind.

Shownotes:
► Die berührungslose Gesellschaft von Elisabeth von Thadden. Erschienen 2018 im C.H.Beck Verlag.
► Elisabeth von Thadden ist verantwortliche Redakteurin des Feuilleton der ZEIT und schreibt hier.

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15. Oktober 2020

Ich poste, also bin ich? Instagram und das Selbst

von Marilena 1. Oktober 2020

‘Identität’ ist die Antwort auf die Frage “Wer bin ich”. Es ist der Prozess der Seins-Werdung, um seinen Platz in der Welt zu finden, der so bezeichnend ist für uns Menschen. In den hiesigen Zeiten wird diese Entwicklung nicht unwesentlich von den sozialen Medien mitbestimmt und beeinflusst. Sie stellen uns gewissermaßen eine Plattform, ja eine Bühne zur Selbstinszenierung bereit. Auf der wir uns nach Lust und Laune austoben und unsere Identität oder viel mehr Identitäten formen können. Gelingt dieser Prozess, so erhalten wir Likes, gelten als ‘authentisch’ – zumindest von außen betrachtet. Denn ohne den Blick der anderen, ohne Publikum, kann die Inszenierung auf Instagram und Co. gar nicht gelingen. Sie bleibt ungesehen, unvollständig. Ich poste, also bin ich.

Shownotes:
► Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts
► Erik H. Erikson: Das Stufenmodell
► Erving Goffman: Wir alle spielen Theater
► Andreas Reckwitz: Gesellschaft der Singularitäten
►Geschichte Instagrams Quellen: Basic thinking Blog, Promodeo, Wikipedia

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Transkript: Ich poste, also bin ich? Instagram und das Selbst

‘Identität’ ist die Antwort auf die Frage “Wer bin ich”. Es ist der Prozess der Seins-Werdung, um seinen Platz in der Welt zu finden, der so bezeichnend ist für uns Menschen. In den hiesigen Zeiten wird diese Entwicklung nicht unwesentlich von den sozialen Medien mitbestimmt und beeinflusst. Sie stellen uns gewissermaßen eine Plattform, ja eine Bühne zur Selbstinszenierung bereit. Auf der wir uns nach Lust und Laune austoben und unsere Identität oder viel mehr Identitäten formen können. Gelingt dieser Prozess, so erhalten wir Likes, gelten als ‘authentisch’ – zumindest von außen betrachtet. Denn ohne den Blick der anderen, ohne Publikum, kann die Inszenierung auf Instagram und Co. gar nicht gelingen. Sie bleibt ungesehen, unvollständig. Ich poste, also bin ich. Wirklich? Welchen Einfluss haben soziale Medien und insbesondere Instagram als eine beliebte Plattform der Inszenierung, auf die Seinsbildung und -werdung, auf unsere Identitätskonstruktion? Mit dieser Frage wollen wir uns heute gedanklich befassen. Aus einer philosophischen, psychologischen aber auch aus einer persönlichen Sicht Warte heraus. Denn um die komme ich, als aktive Nutzerin der Plattform gewiss nicht umhin. Und ist mit Sicherheit auch einer der Gründe, weshalb mich diese Frage selbst beschäftigt und bewegt.

Bevor wir allerdings beginnen, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Denn in das Recherchieren und Produzieren des Podcast stecke ich nicht nur viel Zeit sondern auch Geld. Und es wäre schön, wenn der Podcast eines Tages auf stabilen Beinen stünde. Als Fördermitglieder ermöglicht ihr mir die werbefreie Produktion des Podcast. Außerdem nehmt ihr automatisch an Buchverlosungen teil. Wie ihr Mitglied werdet und teilnehmt, erfahrt ihr in den Shownotes. Dort habe ich alles verlinkt. Nun wünsche ich viel Freude beim Lauschen.


Ich spaziere gedankenverloren durch die Straßen. Beginne leise vor mich hinzusummen: “Well, if you want to sing out, sing out. And if you want to be free, be free. ‚Cause there’s a million things to be. You know that there are.” Plötzlich entdecke ich zwei Augen, die auf mich gerichtet sind. Die Augen eines Andern. Die mich neugierig mustern. Mich ungefragt aus meinem ‘an sich’ Sein herauskatapultieren und mich bewusst werden lassen, dass ich nicht alleine bin. Ich fühle mich irgendwie ertappt und seltsam beschämt.

In dem Moment, in dem mich ein anderer Mensch erblickt, werde ich meiner selbst bewusst. Ich bin Objekt für einen Andern, der selbst Subjekt ist. Denn indem der Andere mich als einen Gegenstand wahrnimmt, beraubt er mich im selben Moment meiner Subjektivität. Mein Wesen wird im Blick des Andern geschaffen, doch mein Sein ist von ihm abhängig, durch ihn bestimmt. Ich bin nicht ‘an sich’, denn ich bin mehr als nur gegenständlich, und nicht ‘für sich’, denn ich bin nur, insofern ich ‘für andere’ bin. Ich bin mein eigenes Nichts. So lautet die These des Philosophen und Existenzialisten Jean-Paul Sartre in seinem Werk Das Sein und das Nichts. Erst im Blick des Andern erkenn ich mich selbst, werde mir meiner Existenz bewusst. Und zugleich, in diesem Moment der Freiheit, geht mir meine Identität verlust, da sie gebunden ist an die Wahrnehmung des Anderen. Zugleich ermöglicht mir der Vorgang des Betrachtet-werdens, mich selbst mit den Augen des Anderen zu sehen. Die begrenzte Welt meiner Selbstwahrnehmung zu verlassen und neue Einsichten über die Möglichkeiten meines Seins zu erlangen. Es scheint also eine Ambivalenz in diesem Verhältnis zu liegen. Etwas Befreiendes, wie auch etwas Beschneidendes. Wir sind auf die Wahrnehmung der Anderen angewiesen und zugleich berauben sie uns ein Stück weit unsere Illusion dessen, wer wir glauben zu sein.

‘Identität’ ist die Antwort auf die Frage “Wer bin ich”, behauptet der dänische Psychoanalytiker Erik Erikson, ein Schüler Sigmund Freuds. Es ist der Prozess der Seins-Werdung, um seinen Platz in der Welt zu finden, der so bezeichnend ist für uns Menschen. In seinem “Stufenmodell” beschreibt Erikson die Gesamtheit aller psychosozialen Entwicklungen des Menschen, die sich im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen und Wünschen als Individuum und den sich im Laufe der Entwicklung permanent verändernden Anforderungen der sozialen Umwelt entfaltet. Die Konstruktionsleistung der Identität wird als Passung von innerer und äußerer Welt verstanden, die im Fall des Gelingens als kohärent, also als stimmig erlebt wird. 

Wenn Sartre also behauptet, der Mensch sei dazu verurteilt, sich selbst zu wählen, sich also eine Existenz zu geben, dann ist dieser Prozess der Identitätsbildung allerdings nicht unabhängig von der ihn umgebenden Umwelt zu betrachten. Ist diese nicht gar konstitutiv für das Menschsein? So lautet zumindest die These des Philosophen und Gesellschaftstheoretikers Karl Marx. Individualität ist für ihne eine Form von Sozialität. So besteht immer eine Wechselwirkung zwischen Subjekt und Welt. Beides bedingt sich gegenseitig. Im Prozess der Selbstwerdung gestaltet das Individuum die Welt und wird zugleich von ihr gestaltet. Wir können uns also nicht komplett frei selbst erfinden, sondern müssen immer zugleich mit dem arbeiten, was wir vorfinden. Was mitunter kein bewusster, sondern zumeist ein unbewusster Prozess ist. Bei Identitätsarbeit geht es also nicht um ein Entweder-Oder, sondern es ist als ein integrativer Prozess zu verstehen, eine Passung zwischen Innen- und Außenwelt. Damit beinhaltet er, wie es bereits bei Sartre anklingt, befreiende wie ‘entfremdende’ Elemente. 

Denn als soziale Wesen bleibt uns gewissermaßen nichts anderes übrig, als uns bis zu einem gewissen Grad gesellschaftlichen Erwartungen zu beugen. Zumindest, wenn wir innerhalb dieser anerkannt werden wollen. Und das trifft wohl auf die meisten von uns zu. Um diesen unterschiedlichen, zum Teil sogar widersprüchlichen Erwartungen gerecht zu werden, eignen wir uns Rollen an. Wir spielen gewissermaßen Theater. So bezeichnet es der kanadische Soziologe Erving Goffman. Für ihn gleicht die soziale Welt einer großen Bühne. Und wir alle spielen in der Interaktion mit anderen eine Rolle. Diese Rolle haben wir zuvor auf der “Hinterbühne” – einem Ort, der den anderen natürlich nicht zugänglich ist – gut eingeübt. Präsentiert wird sie dann auf der “Vorderbühne”. Nach Goffman haben wir alle verschiedene Rollen, die wir in unterschiedlichen Situationen spielen, als Repertoire auf dem Kasten. Wie auch im Theater, liegt es zu großen Teilen am Publikum, zu entscheiden, ob die Inszenierung gelingt oder nicht. Ob sie ‘authentisch’ wirkt oder bloß aufgesetzt, wie eine Maske. Das gilt selbst für den Schauspieler oder die Schauspielerin, die natürlich von der von ihr dargestellten Rolle verschieden ist, sich aber dennoch mit ihrem ‘Selbst’ einbringen kann. Sodass die Rolle einen Hauch ihrer Persönlichkeit abbekommt und nicht wie ein übergestülptes, leeres Kostüm wirkt.

Dieser Wunsch nach ‘Authentizität’, nach Übereinstimmung zwischen dem im Außen präsentierten Selbst und dem eigens empfundenen Ich, lässt sich nicht nur im Theater beobachten, sondern seit einiger Zeit auch im Internet. In den Sozialen Medien, könnte man sagen, wird das Theaterspiel, die Inszenierung des Selbst auf die Spitze, ad absurdum getrieben. Plattformen, wie Facebook, Instagram und LinkedIn, öffnen Räume oder, um in der Bildsprache zu bleiben, öffnen uns Bühnen, auf denen wir uns nicht nur inszenieren sondern auch selbst konstruieren können. Auf eine Weise, die von der Selbstgestaltung im analogen Raum noch einmal verschieden ist oder zumindest Besonderheiten aufweist. Und die vor allem, wie es mir scheint, auch einen nicht wegzudiskutierenden Einfluss auf die Identitätsbildung ausübt. Da jede soziale Plattform, von Facebook über Twitter und Co. unterschiedliche Voraussetzungen mit sich bringt und damit auch andere Auswirkungen auf uns hat, kann und möchte ich in dieser Episode lediglich auf Instagram eingehen. Zum einen, da mir diese Plattform vermutlich selbst am vertrautesten ist und zum anderen, da ich meine in ihr ein besonders hohes Maß an Einfluss auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung erkennen zu können.

Bevor ich meine Thesen in den Raum stellen möchte, vielleicht vorab ein paar Worte zur Geschichte von Instagram und wie alles begann: Es waren einmal zwei junge, dynamische ‘Dudes’ in den USA, namens Kevin Systrom und Mike Krieger, die beide schon früh ihre Leidenschaft für das Programmieren und Entwickeln von Software entdeckt hatten. Außerdem waren sie der festen Überzeugung, dass das Teilen von Fotos mit Freunden zu lange dauere und zu umständlich sei. Und zack war die Idee von Instagram geboren. Für alle, die sich schon immer gefragt haben, was der Name eigentlich bedeutet: er setzt sich aus den zwei Begriffen “instant”, also “sofort” und “telegram”, was etwa so viel wie Nachricht bedeutet, zusammen. Aber weiter in der Geschichte: Nach einigen Stunden der Tüftelei schreiben wir nun den 6. Oktober 2010. Den Tag, an dem Instagram live ging. Bereits zwei Jahre später zählte die App bereits 100 Millionen aktive Nutzer:innen. Ihr Konzept schien also aufgegangen. Kevin und Mike waren scheinbar nicht die einzigen, die gerne Fotos mit Bekannten teilten. Das Potential von Instagram hat, wie vermutlich den meisten bekannt ist, kein geringerer als Mark Zuckerberg ziemlich schnell gerochen. Für satte 1 Milliarden US-Dollar wurde Facebook im April 2012 also zum neuen, stolzen Eigentümer der Foto-App. Die zu diesem Zeitpunkt übrigens gerade einmal 12 Mitarbeiter:innen beschäftigte. In der Hand von Zuckerberg wurde Instagram dann auch schnell eine neue Datenschutzerklärung verpasst, die, wie nicht anders zu erwarten war, das Abgreifen von Nutzer:innen-Daten erleichtert. Das war aber natürlich nicht die einzige Änderung: 2013 wird es zusätzlich möglich Werbung auf Instagram zu schalten, über deren Erträge die App sich bis heute finanziert oder besser gesagt dumm und dämlich verdient. Angeblich lag der Umsatz durch Werbeeinnahmen bei sage und schreibe 20 Milliarden US-Dollar im letzten Jahr, also 2019. Aber blicken wir noch einmal ein paar Jahre zurück: 2016 wird der Algorithmus eingeführt sowie Instagram Stories. Während sich anfangs noch viele fragen, welchen Sinn diese Story-Funktion habe, da es doch bereits Snapchat gibt – eine App, auf der man Bilder und Videos für einen begrenzten Zeitraum von 24 Stunden hochladen kann – stellt sich diese Frage heute angesichts deren Beliebtheit kaum noch. Heute sind es bereits mehr als eine Milliarde aktiver Nutzer:innen pro Monat, die sich in der App austoben. Von denen sind rund 60% im Alter zwischen 18 und 24. Die Person mit der größten Reichweite auf Instagram ist übrigens der Fußballer Cristiano Ronaldo, mit sage und schreibe 230 Millionen Followern. Wenn man überlegt, dass die USA rund 328 Millionen Einwohner zählt (Stand 2019), ist das ein ziemlich gewaltiges Publikum. Interessanterweise sind rund 9% der Profile auf Instagram reine Fake-Accounts, also fast jedes 10. Profil. Und, um das beliebteste Lebensmittel, das auf Instagram am häufigsten geteilt wird noch zu nennen: es ist Pizza, gefolgt von Sushi. Wer hätte das gedacht – ein außergewöhnlicher Geschmack.

Angesichts dieses rasanten Wachstums, lässt sich fragen: Was macht die App eigentlich so attraktiv? Und, welche Auswirkungen hat sie auf unser Verhalten? Insbesondere auf unsere Selbstwahrnehmung. Denn kaum eine Plattform, wie Instagram, hat die Inszenierung und Vermarktung der eigenen Person so publik gemacht. Schon lange ist die App zum Teilen von Fotos mit Freunden nicht mehr ein privates, digitales Fotoalbum – zumindest für die wenigsten – sondern vielmehr ein Tool, um sich selbst und die eigene Marke, auch, wenn man gar kein Unternehmen im klassischen Sinne führt, in Szene zu setzen. Doch wer glaubt, die Inszenierung funktioniere nur über ‘Selfies’, der täuscht sich. Nicht nur das eigene ‘Körperkapital’ lässt sich auf Instagram vermarkten, indem beispielsweise Likes für den Adoniskörper oder für das hippe Outfit gesammelt werden. Das ganze Leben wird zur Inszenierung – oft unbewusst. Der Soziologe Andreas Reckwitz nennt dieses Phänomen “Singularisierung”. Damit meint er den Prozess, in welchem sich kulturelle Güter angeeignet werden und zur Darstellung der eigenen Persönlichkeit, der Einzigartigkeit verwendet werden. Im Prinzip kann alles, nicht nur Objekte, sondern auch Erlebnisse, wie Reisen oder der Musikgeschmack einen zum Besonderen erheben. Und wo, wenn nicht in den sozialen Medien, auf Instagram, könnte man diese Auswahl an Singularitäten besonders gut inszenieren?! Wir kuratieren unser Leben und präsentieren das Kunstwerk zur Valorisierung unseren Follower:innen. Denn ohne deren Urteil wäre unsere Kuration ja im Prinzip nutzlos. Sie dient ja gerade dazu, sich abzusondern und zugleich sein Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsgruppe zu kennzeichnen. Ich poste, also bin ich. 

“Wenn ein einzelner vor anderen erscheint, stellt er bewußt oder unbewußt eine Situation dar, und eine Konzeption seiner selbst ist wichtiger Bestandteil dieser Darstellung“ (Goffman 1998, 285). So beschreibt es Erving Goffman in “Wir alle spielen Theater”. Das geschieht natürlich nicht nur im Netz, sondern auch im Analogen und scheint allzu menschlich zu sein. Nach Goffman arbeiten wir aktiv an der Entwicklung unseres eigenen Selbstbilds mit. Das Selbstkonzept wird dann allerdings zum größten Teil über das Fremdbild konstruiert. Insbesondere durch die eigenen Erwartungen darüber, was wir glauben, was andere Menschen über uns denken. Wir stehen also vor der doppelten Herausforderung, einerseits den sozialen Anschluss finden zu wollen, andererseits aber nur dann anerkannter Teil sozialer Interaktionen werden, wenn es uns gelingt, unsere Originalität hervorzuheben. Ganz schön knifflig! Vor allem, da sich unsere aktuelle gesellschaftliche Situation durch Prozesse wie der Globalisierung, Individualisierung und Pluralisierung auszeichnet, was wiederum mit dem Verlust traditioneller Identitätsmodelle einhergeht. “Schaffe schaffe Häusle baue” war gestern. Stabile Orientierungsangebote sind heute eher limitiert: stattdessen besteht die Notwendigkeit der Konstruktion seiner eigenen Identität: “Subjekte erleben sich als Darsteller auf einer gesellschaftlichen Bühne, ohne dass ihnen fertige Drehbücher geliefert werden“ (Keupp 2000, 117) schreibt der Sozialpsychologe Heiner Keupp. Identität muss also als eine kreative Eigenleistung des Individuums verstanden werden. Und diese Eigenleistung impliziert Freiheiten, aber eben auch Unsicherheiten. Identität ist nach diesem Verständnis vergleichbar mit einem Projekt, das sich mithilfe von Selbstreflexion ständig verändern lässt, was wiederum die Selbsterzählung und -inszenierung, wie wir sie von Social Media kennen, in den Mittelpunkt rückt. 

Wir erzählen uns auf Instagram Geschichten von uns selbst, wie wir sind oder vielmehr, wie wir gerne wären. Denn eine 1:1 Darstellung unserer Persönlichkeit ist vermutlich unmöglich. Oder wer würde freiwillig seine “dunklen Seiten”, seine Ecken und Kanten dort zur Schau stellen? Und ich meine damit nicht, um hierfür Anerkennung zu erhalten, weil man den Mut hat seine vermeintlichen Makel und Dellen zu offenbaren. Sondern lediglich, um ein möglichst präzises Bild von sich darzustellen. Nein, wir erzählen lieber davon, wer wir gerne wären. Präsentieren uns von unserer ‘Schoko-Seite’ und in den goldenen Stunden. Vollkommen verständlich. Nur entsteht dadurch natürlich ein ziemlich unrealistisches Bild, dem wir niemals gerecht werden können. “Ist doch klar!”, werden einige jetzt rufen. Es sei doch ganz offensichtlich, dass Instagram nur eine Plattform, ein Sammelsurium der ‘guten Momente’ sei. Darüber müsse man sich eben bewusst sein. Leichter gesagt, als getan. Insbesondere für die jüngeren Generationen, die mit Social Media groß werden und denen das Smartphone quasi in die Wiege gelegt wird, scheint das nicht mehr allzu leicht zu trennen zu sein. Es entsteht Druck. Druck, dem Bild gerecht zu werden, das ich selbst erschaffen habe. Weil andere Menschen nun den Eindruck haben, dass ich wirklich so bin. Dass ich immerzu lächle, glücklich und zufrieden bin – Happyland eben. Es existieren bereits einige Studien, die sich mit den Auswirkungen von Social Media auf unsere Psyche beschäftigen. Damit, wie sich unser Welt- und Selbstbild verändert. Denn wer glaubt, soziale Plattformen, wie Instagram und Co. seien doch nur ‘Kinderkram’ und vollkommen harmlos, der irrt. Sie prägen uns massiv. Ob wir wollen oder nicht. Und die wenigsten, insbesondere jungen Menschen, können sich ihnen entziehen. Weil es eben dazugehört dort präsent zu sein. Und einmal dort, werden wir mit Bildern von scheinbar immerzu glücklichen Menschen, von ‘Traumkörpern’ und fetten Karren überschwemmt, die unsere Schönheitsideale und Vorstellungen von ‘guten Leben’ beeinflussen.

Das muss natürlich per se nicht schlecht sein und ein Verteufeln der Plattformen wäre ebenso Unfug. Wir alle inszenieren uns, auch unabhängig von Social Media und den neuen Möglichkeiten der Selbstdarstellung. Noch lange sind wir nicht persönlichkeitsgestört, weil wir gerne unsere positivsten Seiten zur Schau stellen. Es kommt eben auf die Art der Verwendung ein. So, wie ein Skalpell genutzt werden kann, um einem Menschen das Leben zu retten, so kann es eben auch dazu verwendet werden, Schaden anzurichten oder gar zu töten. Ein bewusster Umgang ist das A und O. Ärgerlich nur, dass dieser bisher eher unzureichend gelehrt und vermittelt wird. Viele Eltern berichten von ihren Unsicherheiten im Umgang mit Social Media. Verbieten können sie ihren Kindern das Liken und Sharen teilweise privater Bilder kaum. Und auch in Schulen wird bisher wenig aufgeklärt.

Dabei können Plattformen, wie Instagram auch positiv genutzt werden. Positiv im Sinne von selbst eine aufklärende Funktion übernehmen. So sind beispielsweise viele gemeinnützige Initiativen und Aktivist:innen, wie FFF auch dort vertreten. Auch, um auf Missstände hinzuweisen, wie es bei #MeToo der Fall war oder bei der Ermordnung des Afro Amerikaners George Floyd, haben soziale Medien Potential. Aber natürlich reicht es nicht aus,  ein schwarzes Viereck mit dem Hashtag #BlackLivesMatter zu posten, um sein eigenes Gewissen zu beruhigen, etwas getan zu haben. Dies kann und darf wenn überhaupt erst der Anfang sein, der Anstoß, sich selbst mit Themen, wie Rassismus, Diskriminierung und sozialer Ungerechtigkeit außeinanderzusetzen. Plattformen, wie Instagram können durchaus Bewusstsein schaffen und mobilisieren selbst aktiv zu werden. Nur darf sich eben nicht darauf ausgeruht werden, indem man glaubt, das Posten könne die Teilnahme an einer Demonstration ersetzen. Es braucht beides. 

Indem wir von der Art der Nutzung von Plattformen wie Instagram sprechen, wird auch deutlich, dass, auch, wenn sie in den Händen von übermächtigen, nein viel zu mächtigen Konzernen, wie Facebook liegen, wir sie dennoch mit gestalten können. Instagram lebt von seinen User:innen. Ohne sie wäre die Plattform pleite. Denn irgendwen braucht es ja, der die Werbung, die dort ausgespielt wird, klickt. Und natürlich, um Inhalte zu generieren. Was wir bislang übrigens komplett for free tun. Eigentlich absurd, wenn man sich das mal bewusst vor Augen führt. Uns wird eine Plattform zur Verfügung gestellt und wir befüllen diese umsonst, da es uns als Ort der Selbstkreation und -inszenierung dargestellt wird. Nichtsdestotrotz bleibt es Arbeit. Zeit und Muße, die Menschen in die Kreation dieser Inhalte stecken, ohne welche die Plattform nutzlos wäre. Auch hierüber lohnt es sich vielleicht einmal nachzudenken. Aber zurück zum Punkt der Mitgestaltung. Wir können mitbestimmen. Auch, wenn es einen Algorithmus gibt, der es nicht leichter macht, guten Inhalten eine Reichweite zu geben. Dennoch können wir durch einen bewussten Umgang mit Plattformen wie Instagram Einfluss nehmen. Auf die Gesellschaft und das Weltbild, das nicht starr sondern dynamisch ist. So frage ich mich, wie es beispielsweise immer noch sein kann, dass auf Instagram weibliche Nippel zensiert werden. Gerade in dem großen Einfluss den Social Media ausübt liegt auch das Potential. Es liegt auch an uns, die sozialen Medien kritisch zu hinterfragen und sie nicht einfach nur als Bühne der Inszenierung und Bespaßung zu nutzen. Indem wir Einfluss auf sie ausüben. Eine kritische Distanz zu ihnen einnehmen und einen bewussten Umgang mit ihnen pflegen und vermitteln. Natürlich können weiterhin Selfies und Katzenvideos geteilt werden. Es soll ja schließlich auch Spaß machen. Nur sollten wir uns eben auch bewusst darüber sein, welchen Einfluss wir ausüben, indem wir gewisse Inhalte, Bilder und Geschichten teilen oder auch einfach nur rezipieren. Weil sie unsere Welt und unser miteinander gestalten – bewusst wie unbewusst. 


Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, ihr konntet etwas aus der Episode mitnehmen. Wenn euch die Episode gefallen hat, teilt sie gerne mit Freunden, Kollegen, Verwandten. Und natürlich würde ich mich besonders freuen, wenn auch ihr als Mitglieder auf Steady einen Sinneswandel möglich macht. Alle Infos dazu findet ihr wie immer in den Shownotes.  Dann hoffentlich bis bald, wenn wir uns wiederhören. Bei Sinneswandel, dem Podcast für persönliche und gesellschaftliche Transformation.

1. Oktober 2020

Rahel Jaeggi: Selbstverwirklichung, (wie) geht das? (Teil 2)

von Marilena 24. September 2020

“Finde dich selbst. Sei wer du bist. Authentisch. Dein wahres Ich.” Man könnte meinen, dies sei das Plädoyer, vielleicht sogar der Imperativ unserer Zeit. Sich selbst zu finden, sein volles Potential zur Entfaltung zu bringen, scheint der Motor geworden zu sein, der viele Menschen antreibt. Weg von der Konformität, den gesellschaftlichen Zwängen, hin zu individualität und Einzigartigkeit. Doch, wenn nun von Entfremdung und Authentizität die Rede ist, so müsste man doch davon ausgehen, dass da etwas ist, von dem einer sich entfremdet hat. So etwas, wie ein Wesenskern, eine Natur des Menschen. Die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi spricht sich gegen diese essentialistische Auffassung aus und entwirft stattdessen ein neues Verständnis von Entfremdung, das ohne den Rückgriff auf einen Wesenskern auskommt.

Shownotes:
► Teil 1 des Interviews mit Rahel Jaeggi.
► Mehr von und über Rahel Jaeggi ist auf der Website der HU Berlin zu lesen.
► Lesenswert: Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems von Rahel Jaeggi, erschienen im Suhrkamp Verlag.

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24. September 2020

Rahel Jaeggi: Können wir uns selbst finden? (Teil 1)

von Ricarda Manth 22. September 2020

“Finde dich selbst. Sei wer du bist. Authentisch. Dein wahres Ich.” Man könnte meinen, dies sei das Plädoyer, vielleicht sogar der Imperativ unserer Zeit. Sich selbst zu finden, sein volles Potential zur Entfaltung zu bringen, scheint der Motor geworden zu sein, der viele Menschen antreibt. Weg von der Konformität, den gesellschaftlichen Zwängen, hin zu individualität und Einzigartigkeit. Doch, wenn nun von Entfremdung und Authentizität die Rede ist, so müsste man doch davon ausgehen, dass da etwas ist, von dem einer sich entfremdet hat. So etwas, wie ein Wesenskern, eine Natur des Menschen. Die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi spricht sich gegen diese essentialistische Auffassung aus und entwirft stattdessen ein neues Verständnis von Entfremdung, das ohne den Rückgriff auf einen Wesenskern auskommt.

Shownotes:
► Mehr von und über Rahel Jaeggi ist auf der Website der HU Berlin zu lesen.
► Lesenswert: Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems von Rahel Jaeggi, erschienen im Suhrkamp Verlag.

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22. September 2020

Friedemann Karig: Ist die Monogamie am Ende?

von Marilena 14. September 2020

Die Liebe. Über kaum etwas wird so viel geredet, gegrübelt, Gedichte geschrieben, Lieder komponiert. Sie scheint das Glück auf Erden, der heilige Gral zu sein, wird sie erwidert. Und zugleich treibt sie seit jeher Menschen in die Verzweiflung oder, wie Shakespeares Romeo und Julia gar in den selbstgewählten Tod. Aber, was ist Liebe eigentlich? Ein Gefühl, ein bio-chemischer Cocktail aus Hormonen und Pheromonen, ein Konzept der Werbeindustrie, um mehr Rosen und Pralinen zu verkaufen? Diese Frage hat sich auch mein heutiger Gast gestellt: Friedemann Karig ist Autor des Buches “Wie wir lieben. Vom Ende der Monogamie”.

Shownotes:
► Mehr von und über Friedemann Karig ist auf seiner Website zu lesen.
► Zum Nachlesen: Wie wir lieben: Vom Ende der Monogamie von Friedemann Karig.
► Auch lesenswert: Die Kunst des Liebens von Erich Fromm.

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14. September 2020
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