sinneswandel.art
  • Home
  • Podcast
  • Episoden
    • Allzumenschliches
    • Mensch & Natur
    • New Economy
    • Zusammenleben gestalten
    • Zukünfte denken
  • Unterstützen
  • Über
sinneswandel.art
  • Home
  • Podcast
  • Episoden
    • Allzumenschliches
    • Mensch & Natur
    • New Economy
    • Zusammenleben gestalten
    • Zukünfte denken
  • Unterstützen
  • Über

Sinn

Sinn-Flation: Warum Un-Sinn sinnvoll ist

von Marilena 1. Oktober 2025

Gefühlt muss heute alles Sinn machen: Yoga für die Selfcare, Reisen für die Horizonterweiterung, sogar Schlaf wird zum Biohacking. Aber manchmal nervt genau dieser permanente Sinn-Overload. In dieser Folge frage ich mich, ob wir nicht mehr Unsinn brauchen. Vom TikTok-Trend “German Brainrot” über dadaistische Lautgedichte bis hin zu Albert Camus: Kann das Sinnlose nicht manchmal das Sinnvollste sein?

Shownotes

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► David auf Instagram und Spotify

► der blaue reiter – Ausgabe 8 (1998): Sinn – Unsinn
► Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos (1942)
► German Brainrot auf TikTok: schnecke_123 ; gauzi ; kaanomeg
►YouTube: ZEIT-Kritiker reagiert auf “German Brainrot”
►PNAS (2021): Emotion and humor as misinformation antidotes
► Dadaistisches Lautgedicht von Hugo Ball (1917): Karawane

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art


Hi und herzlich willkommen im Sinneswandel-Podcast. Ich bin Marie-Lena und ich freue mich sehr, dass ihr heute dabei seid.

Erstmal möchte ich mich bedanken zur Rückmeldung, die zur letzten Laut-gedacht-Folge gekommen ist. Hat mich auf jeden Fall mega doll gefreut, dass euch das Format gefällt, selber zum Nachdenken bringt. Und es wird auf jeden Fall weitere Laut-gedacht-Folgen geben mit neuen Gästen, Gästinnen aus meinem Bekanntenkreis. Oder, falls ihr jemanden kennt, der oder die Lust hat, hier mal zu Gast zu sein, dann schreibt mir gerne. Diese Folge wird allerdings keine Laut-gedacht-Folge sein. Es gibt keinen Gast, sondern ich habe mal wieder selber alleine laut nachgedacht. Und zwar heißt dieser Podcast ja nicht umsonst Sinneswandel. Das Thema Sinn beschäftigt mich schon sehr lange. Also ich glaube, ich bin damit nicht die Einzige. Aber ich würde sagen, dieser Podcast heißt auch Sinneswandel, weil ich selbst einige Sinneswandel erlebt habe. Auch immer wieder kleinere und größere Sinnkrisen im weitesten Sinne.

Vielleicht geht es euch ähnlich. Manchmal fühlt sich das Leben voller Bedeutung an, eben sinnstiftend. Und man fühlt sich richtig am Platz. Und dann gibt es wieder Zeiten, wo man sich leer und vielleicht sogar entfremdet fühlt. Und ich habe mich immer wieder gefragt, warum ist dieses Thema Sinn so allgegenwärtig? Also auch quasi in der Gesellschaft, in der es auch immer wieder darum geht, das Leben sinnstiftend zu machen und das nicht nur auf einer Ebene von, okay, ich möchte irgendwie ein Leben fühlen, was sich gut anfühlt, sondern irgendwie in einer Form der Selbstverwirklichung. Also nur als Beispiel Yoga ist oder Sport plötzlich nicht nur Bewegung, sondern Selfcare. Wenn man verreist, dann ist das nicht einfach Urlaub, sondern es ist eine Horizonterweiterung und selbst Schlaf wird dann irgendwie zum Biohacking. Und damit ist irgendwie alles aufgeladen und alles muss irgendwie sinnvoll sein.

Und ich habe mich gefragt, macht das das Leben wirklich sinnvoller oder nicht nur einfach anstrengender? Und klar, wir brauchen Sinn, weil er uns Sicherheit, Zugehörigkeit, Bedeutung gibt. Und früher wurde Sinn vor allem natürlich irgendwie durch Religion, Tradition, gesellschaftliche Gewissheiten gestiftet. Man hat sich das vielleicht auch gar nicht so häufig gefragt. Und heute bricht eben vieles davon weg durch Individualisierung, aber auch durch solche Dinge wie die Klimakrise, Kriege. Vieles an vermeintlichen Gewissheiten wie Frieden ist halt irgendwie in Frage gestellt. Und einerseits klingt die Freiheit über seinen eigenen Sinn zu verfügen und ihn selber quasi zu stiften erstmal nach Freiheit, ist es natürlich auch. Aber natürlich liegt darin in dieser Deutungshoheit über das eigene Leben auch ein großer Druck. Also es ist eben nicht nur Selbstermächtigung, sondern eben auch ein Druck. Und ich habe mich gefragt, ob wir nicht aber gerade trotzdem, weil das Thema so allgegenwärtig ist, eine Art Sinnflation erleben. Ich bin ein bisschen stolz auf dieses Wortspiel.

Und die Frage ist, ob vielleicht nicht noch mehr Sinn die Lösung ist, sondern vielleicht mehr Unsinn. Und genau darum geht es in dieser Folge.

Einspieler: „German Brainrot“

Bestimmt haben einige von euch das schon mal gehört oder auch gesehen, eher gesagt. Denn das, was ihr jetzt gerade nur gehört habt, das nennt sich German Brain Rot. Das sind KI-generierte Videos, meistens in eher geringer Qualität. Und TikTok-Accounts wie Schnecke_123, gauzi oder kaanomeg haben damit Millionen von Views mit rotierenden Fischen, sprechenden Pinguinen oder eben tragbaren Katzen generiert. „Brainrot“ heißt wortwörtlich übersetzt so was wie Gehirnverfall. Also ist eigentlich Content, bei dem man erstmal so denkt, wow, irgendwie kompletter Nonsens. Und trotzdem kann man aber halt einfach nicht wegschauen. Und ich finde das irgendwie ganz spannend. Das ist ja so ein Trend gewesen, vor allem Anfang des Jahres. Es gibt mittlerweile auch Italian Brainrot, also wahrscheinlich auf sehr vielen, in sehr vielen Kulturen. Und dieser Unsinn ist halt irgendwie total zeitgeistig. Es ist unterhaltsam und es verbindet, wenn man irgendwie drüber spricht und gemeinsam lacht. Nietzsche würde vielleicht irgendwie so was sagen wie, das Gefühl von Sinnlosigkeit macht uns einerseits haltlos. Und gerade deshalb stürzen wir uns vielleicht auch in solche Ablenkungen, in Rausch, Ekstase, aber eben auch in solchen Unsinn.

Weil ich habe mich gefragt, vielleicht hilft uns so ein Unsinn auch dann gerade, wenn Sinn zu viel wird oder es irgendwie so brüchig erscheint. Und was ich auch ganz interessant fand, Zeitjournalist Joma Mangold, der hat sich solche Brain Rot Clips auch angeschaut und mit der Feuilletonbrille kommentiert. Hier ein kleiner Ausschnitt.

Ijoma Mangold – ZEIT Kritiker: „Ja, das ist natürlich ganz fantastisch, weil manchmal meint man Sinnzusammenhänge zu haben und dann ist es doch wieder ein Non-Sequitur, dass das Nächste aus dem Vorhergegangenen überhaupt nicht folgt. Und mit diesem Bruch arbeitet dieser Clip natürlich die ganze Zeit. Man fragt sich natürlich die ganze Zeit, vielleicht ruft es ja Anspielungshorizonte ab, die mir leider unbekannt sind. Also der Ehrgeiz, kein Zeichen zu übersehen und die, die man wahrnimmt, richtig zu deuten, ist sehr groß. Man würde gerne diesem dadaistischen Spiel auf höchster Ebene gerecht werden.“

Ja, Unsinn schafft irgendwie auf eine Art Abstand, Perspektivwechsel verbindet, auch die Forschung zeigt, Humor, Memes, Absurditäten helfen nachweislich, dass wir mit Unsicherheiten und Krisen besser umgehen können. Und Unsinn kann eben sogar auch eine Art Kritik sein an Normen, Erwartungen oder auch Machtstrukturen. Und das ist eigentlich gar nichts Neues, weil schon vor über 100 Jahren haben KünstlerInnen damit gearbeitet.

Einspieler: Dadaistisches Lautgedicht „Karawanen“ von Hugo Ball

Ich gebe zu, ich kannte dieses Lautgedicht auch vorher nicht, bevor ich es hier mir angehört habe. Es klingt erst mal nach Kauderwalsch und genau das ist es irgendwie auch, weil dieses Lautgedicht von Hugo Ball, das ist einfach reine Klangkunst. Wörter, die nichts bedeuten, sondern einfach nur aus Lautfolgen bestehen. Und entstanden ist dieses Gedicht im Umfeld des Dadaismus. Hat Jomar Mangold eben auch hier gerade schon kurz erwähnt. Das ist eine künstlerische Bewegung, die 1916 in Zürich entstanden ist und sich dann verbreitet hat. Und der Hintergrund ist, wir befinden uns mitten im Ersten Weltkrieg. Millionen Menschen sterben und das Vertrauen quasi in Vernunft, in die Menschheit war verständlicherweise ziemlich tief erschüttert. Und die Dadaisten wollten genau mit diesem Glauben an Sinn, an Ordnung, an Fortschritt brechen. Und sie haben das Absurde, das Sinnlose, das Willkürliche eben bewusst als Kunst eingesetzt. Und tatsächlich ist sogar der Name Dada eine Art Zufall, weil er wurde einfach aus einem Wörterbuch gezogen und hatte keinerlei feste oder hat keinerlei feste Bedeutung außer eben natürlich jetzt, seitdem es diese Bewegung gibt. Und die Botschaft dahinter ist eigentlich ziemlich simpel, nämlich Sinn ist nichts, was einfach da ist, sondern Sinn wird gemacht, konstruiert. Und er kann genauso gut wieder dekonstruiert werden.

1 [0:08:37] :

Und genau da wird es, finde ich, super spannend, weil vielleicht ist das, was wir als Unsinn abtun, in Wahrheit gar kein Gegenteil von Sinn, sondern eben was ganz Eigenes. Weil ich finde, ich habe mir so ein bisschen Gedanken darüber gemacht, obwohl es wie, und Unsinn ist, finde ich, nicht zu verwechseln mit Sinnlosigkeit, also eben zum Beispiel einem ziemlich lärmenden Gefühl, wie wir es zum Beispiel bei einer Depression erleben können. Das ist nochmal etwas anderes als der Unsinn, den ich hier in dieser Folge thematisiere. Und Unsinn ist, glaube ich, auch nicht einfach das Gegenteil von Sinn, also es ist auch nicht ein Nicht-Sinn, sondern irgendwie eine Art Raum dazwischen, so eine Art spielerische Auflösung. Und genau das haben auch verschiedene PhilosophInnen schon versucht zu erklären.

Einer davon ist Albert Camus, kennen bestimmt auch einige, vor allem vom Mythos des Sisyphos. Zu dem komme ich auch gleich noch. Und Camus hat mal gesagt oder eher gesagt geschrieben in dem Mythos des Sisyphos, das Absurde entsteht aus der Gegenüberstellung des Menschen, der fragt und der Welt, die vernunftwidrig schweigt. Das ist natürlich aus dem Französischen übersetzt und das wiederum übersetzt in unsere Sprache bedeutet so was wie die Welt hat keinen vorgegebenen Sinn und sie schweigt auf die Sinnfragen von uns Menschen, was dann eben zu so einer Erfahrung des Absurden führt. Also dass wir im Leben eben Dinge erfahren, für die wir auch einfach keine richtige Erklärung haben. Das ist auch immer wieder auch selbst so, so was wie Schicksalsschläge passieren. Menschen, die zum Beispiel noch nie geraucht haben, bekommen nun Krebs. Jetzt nur als ziemlich hartes Beispiel, aber es passieren viele Dinge, für die es erstmal keine direkte Erklärung gibt.

Und genau, der Mythos von Sisyphos, den Camus 1942 aufgeschrieben hat, ist irgendwie auch so ein Beispiel, was er so ein bisschen metaphorisch dafür nutzt. Und zwar rollt Sisyphos ja immer wieder einen, ich glaube Marmorstein war es, den Berg rauf und der rollt jedes Mal, wenn er da oben angekommen ist, wieder runter. Und das ist ein Sinnbild eigentlich für die menschliche Sinnsuche in einer ansonsten ziemlich sinnlosen Welt. Und Camus hat trotzdem gesagt, dass man sich Sisyphos nicht als einen unglücklichen Menschen vorstellen kann, sollte, sondern eigentlich als einen glücklichen. Weil er sagt, dass der Mensch eigentlich nur dann frei ist in der Revolte gegen das Absurde.

Weil die Erfahrung von Unsinn im Leben ist für Camus eine Art Ausgangspunkt für Freiheit und Wertschöpfung. Also der Mensch kann trotz oder eben gerade wegen des Absurden ein selbstbestimmtes und wertvolles und glückliches Leben führen. Eben zum Beispiel, indem er sich dagegen auflehnt, durch Humor und durch das Akzeptieren von Unsinn. Und ich finde, das passt irgendwie auf eine Art auch so ein bisschen auf diese Brainrod-Geschichten damit zusammen. Und interessant fand ich auch den Satz, dass wir Sinn zwar stiften, ins Absurde geraten wir. Das wird uns auch immer wieder passieren, aber wir können eben aus dem Absurden, aus dem Unsinn etwas Sinnvolles schaffen.

Und dann wiederum in meiner Recherche zu diesem Thema, ihr merkt schon, ich bin in so ein kleines Rabbit Hole gefallen, aus dem ich dann echt ein bisschen gebraucht habe, bis ich wieder rauskomme, weil ich da irgendwie mich immer so, ich könnte mich da immer weiter reingraben. Und zwar habe ich mir eine Ausgabe von Blauen Reiter, das ist so ein Philosophie Magazin. Ich hatte tatsächlich den Gründer davon, Siegfried Reusch, auch schon mal hier zu Gast, schon ein paar Jahre her. Ich verlinke euch die Folge mal in den Shownotes, auch wenn es da um ein ganz anderes Thema geht. Und zwar ist diese Blaue Reiter Ausgabe von 1998, also schon eine ganze Weile her, noch vor den 2000ern.

Und die Ausgabe ist genau über das Thema Sinn und Unsinn. Und daran schreibt Frank Augustin, der lustigerweise wiederum der Gründer vom Agora 42, auch einem Philosophie Magazin ist, was ich auch sehr gerne lese. Und der hat darin einen Artikel geschrieben und schreibt, nicht Mangel, sondern Übermaß an Sinn ist das Problem. Nur Unsinn, Nichtsinn und Widersinn helfen, das auszuhalten. Klingt jetzt irgendwie erst mal, also ich hab gedacht, das passt ja irgendwie perfekt zu meiner Folge, aber was meint er denn eigentlich damit? Und das erklärt er natürlich zum Glück auch in diesem Artikel. Und zwar kommt er so ein bisschen darauf, dass wir Menschen suchen nach Sinn im Leben, aber eigentlich gibt es sozusagen nicht diesen einen vorgefertigten Sinn. Sondern er sagt, dass der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Also das Leben an sich ist sinnvoll so. Und weil sein eigener Sinn, weil das Leben sein eigener Sinn ist, ist es vom Sinn durchdrängt. Der Sinn umgibt uns sozusagen wie so eine Art Atmosphäre um uns herum. Und die Frage ist einfach nur, wozu, was geben wir eine Bedeutung? Weil Sinn bedeutet ja auch immer eigentlich Verbindung, dass wir eine Verbindung schaffen, etwas eine Bedeutung geben und dann wird es für uns quasi sinnvoll. Und dadurch, dass Frank-Augustin sagt, das Leben sei sinnvoll an sich, fragt er sich, sind wir dann nicht irgendwie zum Sinn verurteilt und macht uns das nicht auf eine Art sogar unfrei.

Denn je mehr ich sozusagen versuche, mein Leben sinnvoll zu gestalten, dem Leben Sinn zu verleihen, es zu ordnen, er sagt, desto mehr Schranken baue ich mir eigentlich auf. Weil der, der ständig nach dem Sinn des Lebens sucht, merkt irgendwann gar nicht mehr, dass er mitten im Sinn feststeckt. Also so ein bisschen wie dieses Beispiel, der Fisch schwimmt im Wasser und weiß eigentlich gar nicht, dass er im Wasser ist oder er weiß nicht, was Wasser ist, weil das eigentlich schon was anderes ist, aber egal.

Und dann kommt er zu dem Punkt, dass Sinn sich eigentlich nur dann abzeichnet, wenn das Gegenteil erkennbar bleibt, nämlich der Unsinn oder auch der Nichtsinn oder der Widersinn. Das sind natürlich nochmal so irgendwie Unterkategorien, aber wenn alles sinnvoll ist, dann ist ja eigentlich nichts mehr sinnvoll. Und trotzdem ist das Leben an sich für sich sinnvoll. Und Augustins Pointe, so habe ich es zumindest verstanden, ist, dass wir vielleicht gerade deshalb den Unsinn brauchen, damit da sozusagen so diesen übermächtigen Sinn, der wie so ein Demoklesschwert über uns schwebt, aufbricht und uns eigentlich wieder so ein bisschen Luft zum Atmen schafft.

Und das passt auch, finde ich, sehr gut zu dieser Brainrot-Geschichte, weil irgendwie, ich kenne das selber total gut, man versucht ja auch in der Form, sein Leben sinnvoll zu gestalten, dass man sich eine Art Identität aufbaut. Also auf mich bezogen, ich bin die Journalistin, ich mache diesen Podcast, ich mag Philosophie, ich mag irgendwie Kunst, ich mag irgendwie Gesellschaftskritik, mich damit zu beschäftigen. Das heißt, ich gehe dann irgendwie ins Theater, ich trinke auch gerne meinen bescheuerten Flat White mit Hafermilch, also darum ist ja schon eine gewisse Identität konstruiert, die irgendwie auch so kuratiert ist.

Und wenn ich aber immer alles so sinnvoll in dieses Muster weiter einordne, ist das irgendwie auch ganz schön anstrengend und langweilig und irgendwie tut es auch gut, daraus mal auszubrechen. Also zu sagen, okay, warum muss ich denn jetzt immer exakt das machen, was sozusagen stimmig und passend ist dazu, sondern wenn man unberechenbar bleibt und eigentlich sich öfter mal auf etwas einlässt, so keine Ahnung, warum nicht mal nach Malle an den Ballermann irgendwie fahren? Auch wenn das vielleicht nicht so in das Konstrukt meiner Identität passt, was ich mir da irgendwie erschaffen habe, aber es kann ja was passieren, was total interessant ist.

Und das ist so ein bisschen das, was ich sagen würde, was ich auch aus der Folge für mich mitnehme, weil ich in der Recherche ja selber immer eigentlich auf neue Gedanken stoße und da war noch viel, viel mehr dabei, aber ich dachte mir, ich will diese Folge auch nicht überladen mit Sinn. Ich mache dann einfach noch eine weitere Folge und ich weiß jetzt noch nicht, ob ich irgendwie an den Ballermann fahre, aber es gibt ja auch andere Formen von öfter mal Nonsens machen, der keinen Sinn ergibt. Mir fällt jetzt spontan nicht unbedingt was ein, aber ich kenne das zum Beispiel auch aus dem Impro-Theater. Da ist es ja auch so, dass es erst dann häufig komisch und gut wird, wenn es eigentlich keinen Sinn ergibt. Wenn man was macht, wenn A nicht auf B folgt, äh B nicht auf A folgt, sondern halt Y so. Und ja, vielleicht ist das so ein bisschen das, was ich aus dieser Folge mitgeben möchte auch als Gedanke.

Outro

Spannend fände ich auch die Frage an euch, welcher Unsinn, ja, gibt euch Sinn? Schreibt mir gerne Gedanken, entweder per Mail an redaktion@sinneswandel.art oder per Insta oder per Brieftaube oder welchen Weg ihr auch immer findet. Und falls euch meine Arbeit gefällt, dann freue ich mich natürlich, wenn ihr mich unterstützt. Das geht entweder, indem ihr den Podcast teilt oder auch natürlich über Steady. Da könnt ihr Mitgliedschaften abschließen oder über PayPal. Da habe ich alles in den Shownotes zu verlinkt. Natürlich auch alle Quellen, weil nicht alles davon wüsste ich, bevor ich diese Folge gemacht habe. Ja, und damit verabschiede ich mich. Danke an euch fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal im Sinneswandel-Podcast.

1. Oktober 2025

Wozu das alles? Über kreative Krisen und Sinnfragen

von Marilena 2. Juni 2025

In dieser Folge reflektiere ich über meine aktuelle kreative Krise und frage, wie Kreativität und Sinn zusammenhängen. Zwischen Zweifel und dem Wunsch nach echtem Ausdruck suche ich nach einem freieren Umgang mit Kreativität – und danach, was unsere Gesellschaft und das System mit dieser Suche zu tun haben.

Shownotes:

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► Rick Rubin: kreativ. Die Kunst zu sein, Droemer Knaur*, 2023
► SWR kultur: Kreativ werden Lebenskunstphilosoph Wilhelm Schmid, 2022
► Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität, Suhrkamp, 2012
► Theodor W. Adorno, Max Horkheimer: Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug, Hrsg. von Ralf Kellermann, Reclam
► Institut für Ludologie

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art



Transkript:

Hi und herzlich willkommen bei Sinneswandel! Ich bin Marilena und ich freue mich, dass ihr heute dabei seid.

Diese Folge hat mich ehrlich gesagt einiges gekostet. Und ich meine damit vor allem Überwindung. Gefühlte hundert Anläufe hat es gebraucht, bis ich überhaupt wusste, wie ich beginne. Weil ich über etwas sprechen möchte, das mir fehlt.

Über Kreativität. Und über das Gefühl, wenn sie einem plötzlich abhanden kommt.

Ich habe in den letzten Monaten viel gezweifelt. Nicht nur an meiner Arbeit, sondern vor allem an mir selbst. Ich funktioniere, produziere, liefere – aber in letzter Zeit oft ohne inneren Antrieb. Als hätte sich das Warum langsam aus dem Wie verflüchtigt.

Und ehrlich gesagt war das war mal anders. Als ich Sinneswandel vor bald acht Jahren gestartet habe, war da vor allem Neugier. Ich bin losgelaufen mit einer Idee im Kopf. Habe Gespräche geführt, gefragt, geschrieben, gestaltet. Ohne großen Plan und festes Ziel.

Aber mit der Zeit habe ich mich immer mehr aus dem Projekt herausgezogen. Nicht mal bewusst – aber spürbar. Ich habe weniger persönliche Gedanken geteilt. Mich nicht mehr gefragt: Was bewegt mich eigentlich gerade wirklich? Sondern eher: Was ist relevant? Welche Themen performen? Und genau das hat die Verbindung zu meinem eigenen Projekt leise gekappt. Es wurde mehr Pflicht als Freude. Mehr Aufgabe als Ausdruck.

Ich glaube, wenn man sich selbst aus etwas herausnimmt, verliert man auch ein Stück Resonanz – mit dem, was man tut, aber auch mit sich selbst. Denn Kreativität ist für mich mehr als ein Werkzeug – sie ist eine Art, mich mit der Welt zu verbinden. Wenn dieser Zugang blockiert ist, dann fehlt nicht nur der Ausdruck. Dann fehlt etwas Grundlegendes.

Wie hängen Kreativität und Sinn zusammen? 

Der Philosoph Wilhelm Schmid sagt: Kreativität schafft Sinn. Weil wir durch das Kreativsein neue Verbindungen schaffen. Indem wir Dinge, die bisher getrennt waren, in eine neue Beziehung setzen. Wenn wir kreativ sind, bringen wir Ordnung ins Chaos – oder stellen gewohnte Ordnungen in Frage. Wir schaffen etwas, das vorher nicht da war. Und wir tun das, weil wir uns selbst und die Welt besser verstehen wollen. 

Für Wilhelm Schmidt ist Kreativität eine Lebenskunst. Eine Art, mit dem Leben umzugehen, es tiefer zu durchdringen. Kreativität stillt einen inneren Hunger – nach Bedeutung, nach Ausdruck, nach Verbindung. Und wenn uns das gelingt, dann erleben wir manchmal diesen besonderen Zustand, den der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi „Flow“ genannt hat: Wir gehen ganz in einer Tätigkeit auf, verlieren das Zeitgefühl, vergessen alles um uns herum. Und genau da entsteht oft Sinn.

Aber was passiert, wenn dieser Zugang plötzlich nicht mehr da ist? Wenn der kreative Strom versickert – oder blockiert ist? 

Ich habe gemerkt, wie sehr mich dieser subtile, aber ständige Druck hemmt, etwas liefern zu müssen. Sichtbar zu bleiben. Relevanz zu beweisen. Dazu kommt der ständige Vergleich. Ich scrolle mich durch Social Media und denke: Das gibt es alles schon. Nur in krasser. Was soll ich dem noch hinzuzufügen? Und je mehr ich mich vergleiche, desto stiller wird mein eigener Impuls. Die Lust, überhaupt noch anzufangen, weicht einer zähen Schwere. Statt innerem Drang nur noch Zweifel. Und das frustriert nicht nur – es verunsichert tief. Weil es an meinem Selbstbild rüttelt, das lange Halt gegeben hat: Ich bin eine, die schreibt. Die gestaltet. Die etwas schafft. Und wenn das plötzlich nicht mehr geht, frage ich mich: Wer bin ich dann?

Viele Kreative kennen diesen Zustand – Schreibblockaden sind nur die offensichtliche Form davon. Aber dahinter steckt oft etwas Tieferes: das Gefühl, den Zugang zu sich selbst verloren zu haben. Denn Kreativität ist für viele nicht nur Ausdruck. Sie ist Selbstvergewisserung. Eine Art, sich im Tun zu spüren, sich zu verorten. Und wenn das nicht mehr funktioniert, wenn der Schaffensprozess stockt oder sinnlos erscheint, dann gerät mehr ins Wanken als nur das nächste Projekt.

Was ist Kreativität überhaupt? 

Oft wird Kreativität mit Kunst verwechselt. Mit großen Ideen, genialen Werken, außergewöhnlichen Menschen. Dabei sind wir alle kreativ. Täglich. Wenn wir Probleme lösen, improvisieren, neue Wege finden, etwas ausprobieren.

Kreativität bedeutet, etwas anders zu machen – nicht um des Neuen willen, sondern um etwas Ausdruck zu verleihen. Und zwar durch die ganz eigene Sicht. Und genau darin entsteht Verbindung: Weil wir aus unserem Inneren etwas nach außen bringen – und sichtbar machen, was sonst vielleicht ungesagt geblieben wäre. Im kreativen Ausdruck zeigt sich, was uns bewegt. Und wenn andere sich darin wiederfinden, entsteht Resonanz. Nicht, weil es perfekt ist – sondern weil es ehrlich ist.

Kreativität ist nicht das große Werk. Es ist oft das Kleine. Das Gewöhnliche neu gesehen.

Rick Rubin: kreativ. Die Kunst zu sein 

Ich habe kürzlich ein Buch gelesen, das schon länger in meinem Regal stand: kreativ. Die Kunst zu sein von Rick Rubin, einem US-amerikanischen Musikproduzenten.

Rubin beschreibt Kreativität nicht als Talent oder Technik, sondern als einen Zustand des Seins. Kreativ ist nicht, wer besonders viel produziert – sondern wer sich selbst offen begegnet. Wer bereit ist, nicht zu wissen. Nicht zu kontrollieren. Wer sich dem Prozess anvertraut, statt nur auf das Ergebnis zu schielen.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine seiner Thesen: Rubin spricht viel über das Spiel. Über Neugier. Über den Mut, Dinge auszuprobieren, ohne zu wissen, wohin sie führen. Kreativität beginnt für ihn dort, wo wir statt zu performen beginnen, zu entdecken. Und das gelingt nur, wenn wir uns selbst nicht zu ernst nehmen – aber ernst genug, um hinzuhören, wenn etwas in uns leise anklopft.

Kreativität als Spielraum: Improvisation & Ludologie 

Ich selbst spiele gelegentlich Improtheater – leider zu selten. Aber wenn ich es schaffe, bin immer wieder erstaunt, wie viel Kreativität in mir steckt, wenn ich einfach “Ja” sage. Zu einer Idee. Einer Situation. Einer absurden Wendung. 

Das Spiel schafft einen Freiraum. Einen Raum des Als-ob. In dem nichts festgelegt ist, aber alles möglich. 

Johan Huizinga, ein niederländischer Kulturhistoriker, sah im Spiel sogar die Grundlage aller Kunst und Kultur. Weil das Spiel ein Raum ist, in dem wir Regeln testen, neue Bedeutungen schaffen und bestehende Ordnungen in Frage stellen.

Auch Kreativität braucht diese Räume. In denen nicht alles sofort bewertet wird.  Die Zweckfreiheit. Und den Mut, zu scheitern.

Kreativität und Kapitalismus: Adorno, Reckwitz & Co. 

Aber genau diese Freiräume werden heute kleiner.  Immer häufiger steht nicht mehr der Prozess im Mittelpunkt, sondern das Ergebnis. Nicht mehr die Suche, sondern die Sichtbarkeit. Kreativität wird messbar: in Reichweite, Klickzahlen, Verkäufen. Und so verschiebt sich der Fokus – von der inneren Bewegung hin zur äußeren Wirkung.

Der Philosoph Theodor W. Adorno hat diese Entwicklung schon analysiert – lange bevor es TikTok oder YouTube gab. In den 1940ern in seiner Kritik an der „Kulturindustrie“ kritisiert er, wie Kunst und Kultur zur massentauglichen Ware wird – berechenbar, glatt, konsumierbar. Was verstört, was sich entzieht, so Adorno, verliert an Wert. Dabei liegt gerade in der Irritation oft die eigentliche Kraft von Kunst: Sie soll nicht nur gefallen, sondern aufrütteln. Neue Perspektiven zu öffnen.

Heute ist oft von den „Creative Industries“ die Rede. Und das klingt erst einmal gut. Kreativität gilt als Zukunftskompetenz. Als Lösung für alles – von Produktdesign bis Politik. Nicht mehr nur Künstler*innen sollen kreativ sein, sondern auch Start-ups, Unternehmen, ganze Städte. Kreativität wird zur Ressource – für Innovation, für Wachstum, für gesellschaftlichen Fortschritt.

Aber genau da beginnt das Problem. Denn wenn Kreativität zur Leistung wird, zur Erwartung, zur Pflicht – verliert sie ihre Offenheit. Der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt das als „ästhetischen Kapitalismus“: eine Gesellschaft, in der nicht nur Produkte, sondern auch Lebensstile, Erfahrungen und Identitäten ständig gestaltet und bewertet werden. Alles soll besonders sein. Einzigartig. Authentisch. Wer das nicht liefert, fällt durchs Raster. Und so entsteht ein Widerspruch: Kreativität wird gefeiert – und gleichzeitig normiert.

Wir sehen das besonders deutlich auf Plattformen wie TikTok, Instagram oder Spotify. Sie machen es möglich, kreativ zu sein – und gleichzeitig schwer, es zu bleiben. Denn was sichtbar wird, entscheidet nicht mehr nur die Qualität oder Tiefe, sondern der Algorithmus. Und viele Kreative verlieren dabei irgendwann das Gefühl für den eigenen Impuls: Mache ich das, weil es mir entspricht – oder weil ich weiß, dass es gut ankommen wird?

Systemische Gedanken: Was braucht Kreativität? 

Vielleicht liegt das Problem also nicht nur in uns. Sondern im System. Kreativität braucht Zeit. Raum. Sicherheit. Und sie braucht Menschen, die sich nicht ständig beweisen müssen.

Wenn wirtschaftlicher Druck existenzielle Ängste auslöst, bleibt kaum Spielraum für kreatives Denken. Rick Rubin schreibt: Der kreative Zustand entsteht in Freiheit – nicht im Überlebensmodus.

Was also müsste sich gesellschaftlich ändern? Vielleicht bräuchte es mehr Anerkennung für kreative Prozesse, die nicht sofort „verwertbar“ sind. Eine Wertschätzung von Prozessen, nicht nur von Ergebnissen. Und eine Bildung, die Neugier belohnt – nicht Anpassung. Vielleicht sogar: ein Recht auf Langeweile.

Fazit: Was mir hilft (und vielleicht auch euch) 

Ich habe lange überlegt, ob ich diese Folge überhaupt machen soll. Ob das reicht, was ich zu sagen habe. Ob es originell genug ist. Ob es irgendwen interessiert.

Aber dann habe ich mich erinnert, warum ich Sinneswandel eigentlich angefangen habe: Weil ich gerne laut denke. Weil das Fragen manchmal mehr verbindet als das Wissen.

Was bedeutet das alles jetzt für den Podcast, fragt ihr euch vielleicht?! 

Ich möchte mir wieder mehr erlauben, einfach loszugehen – auch wenn noch nicht alles fertig durchdacht ist. Aber genau das möchte ich mir zugestehen: dass dieser Podcast ein Ort bleibt, an dem ich suchen darf. Und zweifeln. Und spielen.

Mich interessiert sehr, wie es euch damit geht: Was hilft euch, kreativ zu bleiben – oder wieder ins Tun zu kommen? Schreibt mir gern, wenn ihr mögt. Ich freue mich, von euch zu hören.

Outro

Aber erstmal vielen Dank fürs Zuhören. Wenn euch diese Folge gefallen hat, dann teilt sie gerne mit euren Freunden. Und falls ihr meine Arbeit finanziell unterstützen wollt, könnt ihr das ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle weiteren Infos findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast.

2. Juni 2025

Kilian Trotier: Kann die Suche nach Sinn [un]glücklich machen?

von Marilena 12. November 2024

Was passiert, wenn die Sinnfrage zur (Sinn)Krise wird? ZEIT-Journalist Kilian Trotier beschäftigt sich in seinem neuen Buch “Sinn finden Warum es gut ist, das Leben zu hinterfragen” mit den großen Fragen. Im Gespräch mit Marilena Berends erzählt er von der wachsenden „Sinn-Branche“ und darüber, ob diese Suche wirklich glücklich macht oder vielleicht doch mehr Druck schafft.

Shownotes:

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► Kilian Trotier,Tatjana Schnell: Sinn finden Warum es gut ist, das Leben zu hinterfragen, Ullstein 10/24
► Tatjana Schnell: (Lebens-)Sinn – etwas Kollektives, 11/2021
► Kilian Trotier auf X
► ZEIT: Sinn – Wofür leben wir?

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast! Ich bin Marilena Berends und freue mich, dass ihr wieder dabei seid.

Heute geht’s um ein Thema, das perfekt zum Sinneswandel passt: der Sinn im Leben. 

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kenne das aus eigener Erfahrung, dass ich immer wieder in verschiedenen Lebensphasen meinen Weg hinterfragt und manchmal auch neu justiert habe. Eine Prozess, der vermutlich nie endet und den viele von uns kennen.

Aber wie sinnvoll ist es eigentlich, ständig über den eigenen Lebenssinn nachzudenken? Kann das vielleicht sogar unglücklich machen? 

Über genau diese Fragen habe ich mit meinem heutigen Gast gesprochen: Kilian Trotier. Kilian ist Journalist bei der ZEIT, wo er das Projekt “Sinn – wofür leben wir?” mit gegründet hat. Und er hat vor kurzem gemeinsam mit der Psychologin Tatjana Schnell das Buch Sinn finden – Warum es gut ist, das Leben zu hinterfragen geschrieben.

Tatjana war übrigens schon drei Jahren hier im Podcast zu Gast. Ich kann euch das Gespräch auf jeden Fall sehr ans Herz legen. Nicht nur, weil Tatjana eine absolute Sinn-Expertin ist, sondern auch, weil wir damals über ganz grundlegende Fragen rund um Sinn, Glück und Erfolg gesprochen haben. Also eine super Grundlage für die heutige Episode. Ich verlink euch das Gespräch mit Tatjana in den Shownotes.

Heute könnt ihr übrigens zwei Exemplare von Sinn finden gewinnen. Alle, die meinen Podcast auf Steady unterstützen, sind automatisch bei der Verlosung dabei. Alle Infos dazu findet ihr wie immer in den Shownotes.

Und jetzt: Viel Spaß beim Gespräch mit Kilian Trotier!

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn euch diese Folge mit Kilian gefallen hat, teilt sie gerne mit euren Freundinnen und Freunden. Und falls ihr meine Arbeit finanziell supporten wollt, könnt ihr das ganz einfach via Steady oder, indem ihr mir einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. In den Shownotes findet ihr wie immer alle Infos und Links zur Folge. Das war’s von mir! Bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

12. November 2024

El Hotzo: Wofür schämst du dich [nicht]?

von Marilena 9. Mai 2023

Seine Tweets erreichen täglich Millionen Menschen. Darin geht es um Haferschleim, der im Gewand des Porridge ein Comeback feiert. Nicht selten handeln sie aber auch von Selbstzweifeln und Depressionen. Auf jeden Fall schwingt in seinen Worten oft eine Gesellschaftskritik mit, was beweist, dass Humor alles andere als belanglos sein oder auf Kosten anderer gehen muss. Die Rede ist von Sebastian Hotz – besser bekannt als El Hotzo. Mit ihm hat Marilena Berends über Selbstfindung, Selbstzweifel und seinen Debüt Roman “Mindset” gesprochen.

Shownotes:

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► El Hotzo auf Instagram und Twitter
► Sebastian Hotz: “Mindset”, Kiwi-Verlag 04/23

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

 



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich zum ersten Mal auf seine Tweets gestoßen bin. Es muss aber irgendwann zu den tiefsten Zeiten der Corona-Pandemie gewesen sein. Und ich erinnere mich noch, dass ich wohl nicht die einzige gewesen sein muss, die sich in diesen unterhaltsamen Zweizweilern wiederfinden konnte. Zumindest wurden sie mir als Repost immer häufiger in meinen Feed gespült. Heute erreicht er allein mit seinem Instagram Kanal mehr als 1 Million Menschen. Die Rede ist von Sebastian Hotz – besser bekannt als El Hotzo. Bestimmt habt ihr einen seiner Tweets schon gelesen: manchmal geht es darin um Haferschleim, der im Gewand des Porridge ein Comeback feiert. Nicht selten handeln sie aber auch von Selbstzweifeln und Depressionen – oder vielmehr unserem gesellschaftlichen Umgang damit. Auf jeden Fall schwingt in seinen Worten oft eine Gesellschaftskritik mit, was beweist, dass Humor alles andere als belanglos sein oder auf Kosten anderer gehen muss.

Eher habe ich den Eindruck, dass in Sebastians Tweets auch etwas Selbsttherapeutisches liegt. Jeden Tag ein Post, wie ein Tagebucheintrag. Und es gibt scheinbar genug Stoff, der zur Reflexion anregt. Jetzt hat es sogar für ein ganzes Buch gereicht. “Mindset”, heißt Sebastians Debüt Roman, der vor wenigen Wochen erschienen ist. Der ist nicht minder komisch und erzählt unter anderem von Selbstverwirklichungs-Coaches, Krypto-Fantasien und zu engen Slim-Fit Anzügen.

Aber, was hat das alles mit Sebastian selbst zu tun? Der ist 1996 in einem kleinen Ort in Oberfranken groß geworden. Und war, wie er selbst sagt, nicht gerade ein “Gewinner-Typ”. Und irgendwie fragt er sich manchmal selbst auch, wie er überhaupt zu dem werden konnte, der er heute ist: Autor, Comedian, Schauspieler. Ehrlich gesagt interessiert mich weniger, wie er das genau geschafft hat, so erfolgreich zu werden. Vielmehr möchte ich wissen, welchen Sinneswandel Sebastian durchlaufen ist, was ihn bewegt, woran er glaubt und zweifelt.

Deswegen haben wir genau darüber im Podcast gesprochen. Kurz vorweg: Wenn ihr den Podcast gerne hört, dann freue ich mich natürlich, wenn ihr meine Arbeit unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder indem ihr mir an Paypal.me/Sinneswandelpodcast einen Betrag eurer Wahl schickt. Unter allen Unterstützer*innen verlosen wir außerdem ein Exemplar von Sebastians Buch “Mindset”. Alle Links dazu findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank!

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank euch fürs Zuhören. Wenn euch das Gespräch mit Sebastian gefallen hat, teilt es gerne mit euren Freunden. Und falls ihr meine Arbeit via Steady oder Paypal supporten wollt, findet ihr in den Shownotes alle Links und Infos. Das war’s von mir! Danke an euch fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

9. Mai 2023

Markus Gabriel: [Why] are we animals? [live]

von Marilena 3. November 2022

„What is to be human?“, this question Kant already asked himself hundreds of years ago. And exactly this question, the philosopher Markus Gabriel raises again in his new book, “Der Mensch als Tier” (“The Human animal – Why we still do not fit into nature”). Because it is on this question, or rather its answer, that our life depends on. Why, the author explains in this podcast episode, which was recorded  on the 26th of October 2022 during a live event at THE NEW INSTITUTE in Hamburg.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Markus Gabriel: “Der Mensch als Tier. Warum wir trotzdem nicht in die Natur passen”. Ullstein 10.22.
► THE NEW INSTITUTE Hamburg.

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

 

Transkript:

Hello and welcome to the Sinneswandel Podcast. My name is Marilena Berends and I’m happy that you decided to listen to today’s episode.

Some of you are probably already wondering: Why all of a sudden in English? First of all, this is an exception. The reason is that today’s episode was recorded during an event with international guests – a live podcast sort of thing. And my guest at this event was none other than the philosopher Markus Gabriel. Since he just recently published his new book, „The Human Animal. Why we still do not fit into nature,“ there was a public book launch at THE NEW INSTITUTE in Hamburg. And I had the pleasure of hosting it. After the talk, a vivid discussion followed, which we however are not allowed to publish due to data protection rights. But I’m sure, the conversation with Markus Gabriel already offers a lot. We will get to that in a moment. First of all, I would like to apologize for the sound quality. Due to the location, there is a bit more noise than usual. But I hope you will excuse that and you can nevertheless or maybe because of that dive deeper into the atmosphere of the conversation.

If you want to delve deeper into the topic: We are giving away a personally signed copy of „The Human Animal“ among all those who support Sinneswandel and thus also me and my work, as Steady members. For more information and how you can participate, please check out the show notes. And now let’s begin!

Outro:

Thank you very much for listening. I hope you could take something away from the conversation with Markus Gabriel and get a small impression of what he is talking about in his book. If so, I would be happy if you support my work by sharing this podcast and/or by supporting it financially. You can do that easily via Steady or Paypal. More info on that is found in the show notes. That’s it for today. See you next time at the Sinneswandel Podcast.

3. November 2022

Sinnkrise: Wer bin ich, ohne meinen Job?

von Marilena 27. September 2022

“Tu, was du liebst und du musst nie wieder arbeiten” oder “Erschaffe dir ein Leben, von dem du keinen Urlaub mehr brauchst”, Zitate wie diese lassen sich reihenweise finden. Ob als Inspiration in Sozialen Netzwerken oder zur Motivation und Orientierung in Selbsthilferatgebern – es gilt (s)einen Sinn im Job zu finden und sich in ihm selbst zu verwirklichen. Work-Life-Balance war gestern – vielmehr sollen sie verschmelzen, die Grenzen zwischen Leben und Arbeit. Sich vereinen, vom Beruf zur Berufung werden, die alles in sich vereint: Geld und Passion. Doch was passiert, wenn der Job zum einzigen Lebensinhalt wird? Und bis zu welchem Grad ist die Identifikation mit dem Beruf überhaupt gesund?

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Nina Kunz: Ich denk, ich denk zu viel, Kein&Aber 2021.
► Tatjana Schnell: Von Lebenssinn und Sinn in der Arbeit: Sinn erleben – Arbeit und Gesundheit, Fehlzeiten-Report 2018.
► Christian Uhle: Wozu das alles? Eine philosophische Reise zum Sinn des Lebens, Fischer 2022.
► Anna Mayr: Die Elenden, Hanser 2020.
► Sabine Donauer: “Faktor Freude: Wie die Wirtschaft Arbeitsgefühle erzeugt”, Körber  2015.
► Hannah Arendt: “Vita activa oder Vom tätigen Leben”, 1958.

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

 

Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Eigentlich ist es ziemlich ironisch und mittlerweile kann ich darüber auch schmunzeln. Vor ein paar Wochen war das allerdings noch nicht der Fall. Da saß oder lag ich vielmehr ziemlich aufgelöst in meinem Bett. Das Handy klebte schon von selbst an meiner tränenfeuchten Wange. Am anderen Ende der Leitung, eine Freundin, die mir beschwichtigende Worte ins Ohr flüstert, die ich aber eigentlich gar nicht hören will. Denn natürlich weiß ich, dass sie Recht hat: Eine Absage ist noch lange kein Weltuntergang – passiert uns allen mal – ist mir schon klar! Trotzdem fühlt es sich so beschissen an, dass ich mich gerade nur in meinem Selbstmitleid sudeln und unter der Decke verkriechen will.

Falls ihr euch fragt, wer oder was mich da so aus der Fassung gebracht hat: nein, es war kein Date, das mich geghostet hat, keine Liebeskummer-Tränen, die vergossen wurden. Grund für die Krise war ganz einfach mein Job. Ich hatte einen Artikel veröffentlichen wollen, der allerdings auch nach der dritten Korrekturschleife nicht den Anforderungen entsprach und somit in der Tonne landete. Bis heute. Denn zweimal dürft ihr raten, worum es in dem Text ging: Um Selbstverwirklichung im Job und darum, dass es gar nicht mal so erstrebenswert ist, wenn man eins mit seinem Beruf wird. Warum? Das durfte ich in diesem Moment am eigenen Leib erfahren. Eine einzige verdammte Absage und ich stellte nicht nur mein Können, sondern gleich mein ganzes Leben in Frage: Hatte ich mich geirrt, konnte ich gar nicht schreiben? Wie zur Hölle war ich überhaupt auf die Idee gekommen, Journalistin werden zu wollen? Vielleicht sollte ich etwas ganz anderes machen, was Handfestes? Aber, wer wäre ich dann noch?

Meine Krise – eigentlich der beste Beweis dafür, dass an meiner These etwas dran war, aber das half mir in dem Moment auch nicht weiter. Mein Selbstbewusstsein war geknickt und es mussten erstmal ein paar Tage, vielleicht sogar Wochen, verstreichen, bis ich die Ironie in der Geschichte sehen konnte. Denn der ganze Witz daran war: In dem besagten Text kam ich nicht vor. Ich hatte mich bemüht, möglichst distanziert zu schreiben, keine Ich-Perspektive und dafür reihenweise Quellen. Ich wollte nicht schon wieder aus meinem eigenen Nähkästchen plaudern, nicht mein Innerstes nach außen kehren. Lieber wollte ich die ach so neutrale Autorin sein, die das Thema ganz souverän und nüchtern betrachtet. Heute weiß ich, ich hatte einfach Angst. Vielleicht, weil ich bereits ahnte, wie viel das Thema mit mir selbst zu tun hat und, dass ich ihm alles andere als neutral gegenüberstand. Aber eigentlich hatte das ja auch keiner von mir erwartet. Ganz im Gegenteil, ist Betroffenheit nicht eigentlich die beste Voraussetzung für eine gute Geschichte?

Da mir diese ganze Geschichte zumindest nicht aus dem Kopf gegangen ist und ich nach wie vor das Gefühl habe, dass an der Sache etwas dran ist, möchte ich sie mit euch teilen. Aber dieses Mal ohne Distanz. Denn das weiß ich heute, gelingt mir eher so mittelmäßig. Das hatte ich nun davon, damals bewusst nach einem Beruf gesucht zu haben, der etwas mit mir zu tun hat, in dem ich mich, wie es so schön heißt, selbst verwirklichen konnte. Arbeit zum reinen Broterwerb, nine-to-five? Das war für mich als klassischer Millennial unvorstellbar. Spätestens seit es uns gibt, heißt es immerhin überall: “Tu, was du liebst und du musst nie wieder arbeiten” oder “Erschaffe dir ein Leben, von dem du keinen Urlaub brauchst”. Work-Life-Balance war gestern – vielmehr sollen sie verschmelzen, die Grenzen zwischen Leben und Arbeit. Sich vereinen, vom Beruf zur Berufung werden, die alles in sich vereint: Geld und Passion.

Damals dachte ich: klingt ziemlich nice! Unter keinen Umständen wollte ich einer dieser Menschen sein, der sich tagtäglich ins Büro schleppt, obwohl er innerlich bereits gekündigt hatte. Und, wenn wir mal ehrlich sind, möchte doch eigentlich niemand einen Großteil seiner Zeit mit Dingen verbringen, die sich nach Qual anfühlen, selbst wenn man dafür bezahlt wird. Es gibt sogar Untersuchungen, die zeigen, dass Langeweile und ein Gefühl von Sinnlosigkeit im Job krank machen können – “Bore-Out”, nennt das Psychologin Tatjana Schnell. Empfinden wir unsere Arbeit allerdings als sinnstiftend und bedeutsam, wirkt sich das positiv auf unser psychisches und physisches Wohlbefinden aus. Dass ich nach einer Art Berufung, wenn man es so nennen will, gesucht habe, ist also durchaus nachvollziehbar. Eigentlich ist es sogar ein menschliches Bedürfnis, wie mir Philosoph Christian Uhle erzählt: “Menschen arbeiten eben nicht nur des Geldes wegen, sind nicht rein egoistisch, sondern haben auch den Wunsch, sich sinnvoll einzubringen.” (Wozu das Alles. 2022, S.163). Dazu kommt, dass uns Arbeit, in einer ziemlich krisenanfälligen Zeit – [Hust] Corona – Halt und Struktur bieten kann. Während die Welt da draußen unterzugehen scheint – und es vermutlich sogar tut – sitze ich hier und schreibe meine Texte. Eine Mischung aus Eskapismus und einem kleinen Fünkchen Hoffnung, doch etwas bewirken zu können.

Das heißt aber natürlich längst nicht, dass wir alle gleichermaßen diesen Wunsch teilen und schon gar nicht, dass  jeder einen tieferen Sinn in seiner Arbeit sucht. Und das ist vollkommen legitim, womöglich lebt es sich sogar gesünder. Erst kürzlich kam ich auf einem Geburtstag mit einer Frau ins Gespräch. Abgesehen davon, dass wir wohl ungefähr gleichalt sein mussten, hätten wir kaum unterschiedlicher sein können. Nachdem die obligatorische Frage, “Und, was machst du so?”, gefallen war, erzählte sie mir, dass sie seit kurzem in einem großen Konzern im Marketing arbeite und sich dort richtig wohl fühle. Warum genau, wollte ich wissen. Ihre Antwort: Sie könne immer pünktlich Feierabend machen, denn Überstunden gäbe es keine und so habe sie noch genügend Zeit für ihre Hobbys – Zumba und Kochen. Auf einen Job mit mehr Verantwortung, den sie womöglich auch nach Feierabend noch mit ins Bett nimmt, darauf habe sie keine Lust, erzählt sie mir. Irgendwie bewundere, ja beneide ich diese Frau ein bisschen. Für ihre scheinbar gesunde Distanz zwischen sich und ihrem Job. Und dafür, dass sie scheinbar so gar kein Bedürfnis danach verspürt, mit ihrer Arbeit auszudrücken, wer sie ist. Und gleichzeitig frage ich mich: Warum habe ich eigentlich diesen Geltungsdrang? Es gibt doch auch andere Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen, als über Lohnarbeit. Und schließlich bin auch ich mehr als mein Job – fühlt sich nur manchmal nicht so an. 

“Workism beschreibt […] etwas, das mir schon länger Sorgen macht: Es ist der Glaube, dass Arbeit nicht mehr eine Notwendigkeit darstellt, sondern den Kern der eigenen Identität. […] Ein zentrales Ziel im Leben soll sein, einen Job zu finden, der weniger Lohnarbeit ist als vielmehr Selbstverwirklichung. Darum […] habe ich heute keine Schreib-, sondern Lebenskrisen, wenn ich im Job versage.”, schreibt Nina Kunz in ihrem Buch Ich denk, ich denk zu viel (2021) – und ich fühle es sehr. Vielleicht liegt es auch an meiner Bubble, in der fast jeder seiner Leidenschaft nachzugehen scheint oder sich zumindest ein kleines Side Business aufgebaut hat, in dem er sich kreativ austoben kann, dass auch ich mich an diesem Ideal abarbeite. Nicht, dass ihr mich falsch versteht, die meiste Zeit liebe ich tatsächlich meinen Job und bin überaus dankbar, mich mit dem Schreiben und Sprechen tatsächlich über Wasser halten zu können. Nichtsdestotrotz wünsche ich mir manchmal nichts sehnlicher, als den Laptop zum Feierabend einfach zu schließen und damit auch alle offenen Tabs in meinem Kopf, die mit meinem Job verbunden sind. Klappt leider selten, ebenso wie mein Vorsatz, weniger zu husseln, wie das ja so gerne genannt wird. Es ist Fluch und Segen zugleich, wenn sich Arbeit nicht nach Arbeit anfühlt. Segen, weil klar, was ich tue, macht mir meistens Spaß und fühlt sich sinnvoll an, was bedeutet, dass ich mich selten dazu aufraffen muss. Jippi! Genau diese intrinsische Motivation macht es aber auch zum Fluch, weil sie immer wieder dazu führt, dass ich nicht nur Hobbies, Freunde oder Familie oft hinten anstelle, sondern auch mich selbst ausbeute. Denn Fakt ist: Wenn wir unsere Arbeit als sinnvoll erleben, sind wir nicht nur motivierter, sondern häufig auch gewillter Kompromisse einzugehen: von (unbezahlten) Überstunden, über prekäre Arbeitsbedingungen, bis hin zum Burn-Out – you name it!

Diese Erkenntnis wissen natürlich auch Unternehmen längst für sich zu nutzen. Und so ist es wenig überraschend, dass in Stellenausschreibungen immer häufiger von “Jobs mit Sinn” zu lesen ist: Wer sich mit seinem Beruf oder einer Marke identifiziert, ist schnell gewillt mehr zu leisten – oft für weniger. Die Historikerin Sabine Donauer bezeichnet das als eine Form der “immateriellen Entlohnung”: Nicht mehr das Gehalt steht im Vordergrund, sondern Anerkennung und Selbstwirksamkeit. Solange wir den Eindruck haben, uns verwirklichen zu können, erleben wir Arbeit seltener als Last, sondern überwiegend als Lust. Das ist zwar grundsätzlich schön, macht es auf der anderen Seite auch deutlich schwieriger, sich selbst Grenzen zu setzen. Stichwort “Mental Health”. Man könnte sagen, es ist fast eine Sucht. Je mehr ich arbeite, desto mehr fühle ich mich in meinem Selbst und Sein bestätigt. Aber, wie ich durch den gescheiterten Artikel wieder einmal lernen durfte, ist das ein ganz schön fragiles Gerüst, wenn es mal ins Wanken gerät.

Trotzdem stelle ich mir die Frage: Wie kann es gelingen, sich von dem gesellschaftlichen Druck nach beruflicher Selbstverwirklichung zu emanzipieren? Es ist ja nicht so, als entstehe dieser Wunsch nur aus mir heraus. Er wird auch oder vor allem durch gesellschaftliche Narrative befeuert. Philosoph Christian Uhle rät dazu, genau hinzuschauen, wo gut gemeinte Ratschläge, wie “Folge deinem Herzen und finde deine Berufung”, in Befehle umschlagen (Wozu das Alles. 2022, S.394). Denn die Schwierigkeit, so Uhle, bestehe gerade darin, dass die Aufforderung zur Selbstverwirklichung grundsätzlich eine positive und emanzipatorische Message sei. Wenn aber eine Wahl zum Imperativ wird und Arbeit den Status einer Ersatzreligion erhält, kann das auch für diejenigen problematisch werden, die vollkommen zufrieden damit sind, einfach „ihren Job zu machen“. Schließlich sehnt sich längst nicht jeder nach einem tieferen Sinn in seiner Arbeit oder hat vielleicht gar nicht erst die Möglichkeit dazu, sich auf die Suche danach zu begeben. 

„Wer nie authentische Bedürfnisse entwickelt, sondern sich immer nur nach den ökonomischen Zwängen richten muss, der entscheidet nicht selbst über seine Identität”, schreibt Autorin Anna Mayr in ihrem Buch Die Elenden (2020). Warum wird es dennoch so dargestellt, als liege es in der alleinigen Verantwortung jedes Einzelnen, seine Berufung zu finden und ihr nachzugehen? Ganz einfach, dann muss das System nicht in Frage gestellt und schon gar nicht verändert werden, wenn jeder mit sich selbst beschäftigt ist. Eine Privatisierung von Sinnansprüchen ignoriert ganz einfach die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die Menschen daran hindern, einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen zu können. Es ist doch auch viel leichter, Menschen die Schuld dafür zu geben, sich nicht genügend anzustrengen, als anzuerkennen, dass es vor allem mangelnde Ressourcen, wie Zeit, Geld oder Gesundheit sind, die sie davon abhalten, sich zu verwirklichen. Womöglich liegt es aber auch gar nicht im Interesse aller, genau das zu ermöglichen? Denn wo kämen wir hin, wenn jeder nur noch den Dingen nachginge, die ihm gefallen? Wer würde dann noch die Arbeit erledigen, um die sich keiner streitet, die aber wichtig – ach ne wartet, dafür gab es ja ein ganz spezielles Wort – systemrelevant ist?

Wie ihr merkt, geht es längst nicht mehr nur um meine eigene Geschichte. Das viel propagierte Ideal von dem Suchen und Finden einer Berufung, einem Job mit Sinn, von dem man angeblich keinen Urlaub mehr braucht, hat viele Facetten. Dass ich die Möglichkeit habe, ihn auszuleben, ist faktisch ein Privileg. Dennoch wollte ich aufzeigen, dass ebendieses Privileg keinesfalls nur Gutes mit sich bringt. Denn, reduziere ich meine eigene Identität darauf, was ich im Beruf leiste, schade ich damit im Zweifel nicht nur mir selbst, ich trage auch dazu bei, dass eine Geschichte fort erzählt wird, in der nur existiert, wer arbeitet – im Sinne von Erwerbsarbeit, versteht sich. Dabei sind wir, bin ich so viel mehr als mein Job. 

In ihrem Werk Vita activa oder Vom tätigen Leben (1958), spricht die Philosophin Hannah Arendt jedem Menschen ein grundlegendes Bedürfnis nach Aktivität, Beteiligung und Selbstwirksamkeit zu. Dieser Wunsch nach Tätigkeit wird heute aber mehr denn je durch einen Filter der Erwerbsarbeit gepresst. Wenn wir von Arbeit sprechen, meinen wir meistens nur jene, die bezahlt wird. Dabei finden wir Menschen Sinn auf vielen Ebenen unseres Lebens: in der Kunst, der Natur, der Gemeinschaft, der Freundschaft, der Familie, dem Protest und überall sonst, wo wir in Beziehung zu uns selbst und der Welt treten. Care-Arbeit, ehrenamtliche, aktivistische oder künstlerisch-kreative Arbeit fallen, wenn es um Selbstverwirklichung geht, meist aus dem Raster. Aber sind es nicht auch oder gerade diese Tätigkeiten, die Sinn stiften, die unerlässlich sind?

Meinen Beruf oder meine Berufung, wie auch immer man es nennen mag, habe ich nach dieser Geschichte zwar nicht an den Nagel gehängt. Und habe es verrmutlich auch nicht vor. Aber eines habe ich mir bereits vorgenommen: Auf der nächsten Party werde ich die obligatorische Frage, “Und, was machst du so?”, nicht mit meinem Beruf allein beantworten. Vielleicht werde ich stattdessen erzählen, dass ich gerne Theater spiele oder, dass ich das analoge Fotografieren für mich wiederentdeckt habe. Vielleicht erwähne ich auch, dass ich ab und zu schreibe – aber das ist eben nur ein Teil von mir. Oder zumindest arbeite ich daran.

Outro

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn der Beitrag euch gefallen hat, dann teilt ihn gerne mit Freunden und Bekannten. Darüber hinaus, würden wir uns besonders freuen, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt, damit wir auf Werbung verzichten und gute Inhalte für euch kreieren können. Supporten könnt ihr uns ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Das geht schon ab 1€. Alle weiteren Infos findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast.

27. September 2022

Christian Uhle: (Lebens-)Sinn, eine Beziehungssache?

von Marilena 3. Mai 2022

Sinn ist also eine Beziehungssache. Er ist nicht in uns versteckt, liegt nicht irgendwo außerhalb in der Welt verborgen, sondern mitten drin – in den Zwischenräumen. Aber gerade die übersehen wir schnell mal. In der Hektik des Alltags, im Streben, Stratzen und Straucheln, unter all den Anforderungen, die das Leben an uns stellt. Welchen Sinneswandel bedarf es, damit wir heute (wieder) Sinn empfinden können? Mit dieser Frage befasst sich der zweite Teil des Gesprächs mit Philosoph Christian Uhle.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.


► Teil 1 des Gesprächs mit Christian Uhle.
► Mehr von und mit Christian Uhle gibt es hier.
► Christian Uhle: “Wozu das alles? Eine philosophische Reise zum Sinn des Lebens”. S. Fischer Verlage (04/22).

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

3. Mai 2022

Christian Uhle: Wie finden wir (unseren) Sinn?

von Marilena 28. April 2022

Wozu das alles? Wie entsteht eigentlich Sinn? Ist er in uns versteckt, außerhalb von uns, in der Welt – oder wohlmöglich dazwischen? In einer Zeit, in der vielen Menschen der Sinn (im Leben) abhanden zu kommen scheint, erlangt auch die Philosophie plötzlich mehr Aufmerksamkeit. Aber kann sie Antworten auf die Frage nach dem Sinn liefern? Wirft sie nicht eher noch mehr Fragen auf? Um das herauszufinden, hat sich Marilena Berends mit Philosoph Christian Uhle auf eine philosophische Reise zum Sinn des Lebens begeben. Dies ist der erste Teil der Reise.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Anzeige: Auf athleticgreens.com/sinneswandel erhaltet ihr bei eurer AG1 Abo-Erstbestellung einen kostenlosen Jahresvorrat an Vitamin D3+K2 sowie fünf Travel Packs kostenlos dazu.

► Mehr von und mit Christian Uhle gibt es hier.
► Christian Uhle: “Wozu das alles? Eine philosophische Reise zum Sinn des Lebens”. S. Fischer Verlage (04/22).<br>

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

28. April 2022

Je digitaler die Welt, desto analoger die Träume?

von Marilena 15. März 2022

Florian Kaps, der von allen nur Doc genannt wird, liebt das scheinbar Unmögliche. Deshalb hat er 2008 nicht nur sein gesamtes Vermögen riskiert und damit die letzte Polaroid-Fabrik vor dem Aussterben gerettet, sondern auch das „Supersense“ eröffnet. Eine Manufaktur, die analoge Technologien vor dem Verschwinden bewahrt. Denn Doc ist fest davon überzeugt, dass Analoges auch in einer digitalen Gesellschaft seinen Nutzen hat – vielleicht sogar mehr denn je. Wieso und, was es mit der Sehnsucht nach dem vermeintlich “Echten” auf sich hat, darüber hat sich Marilena in Wien mit Florian Kaps unterhalten.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Anzeige: Mit dem Code “Sinneswandel“ erhaltet ihr von DillySocks 15% Rabatt (exkl. Versand) – hier könnt ihr direkt bestellen.

► Supersense: Home of Analog Delicacies / Wien.
► “An Impossible Project” – Ein Dokumentarfilm von Jens Meurer (2022).
► Hartmut Rosa: Resonanz. Suhrkamp (2016).

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

15. März 2022

Workism – warum arbeiten wir (heute) so viel?

von Marilena 22. Februar 2022

Beschäftigt zu sein, sei zu einem modernen Narrativ geworden, meint Hans Rusinek. Der kreative Kapitalismus mache Arbeit zu einer neuen Ersatzreligion – und wir machen mit – so Hans These, der seit einigen Jahren unter anderem im Rahmen seines Promotionsstudiums an der Uni St. Gallen zu Sinnfragen in einer sich wandelnden Wirtschafts- und Arbeitswelt forscht und publiziert. Warum arbeiten wir heute noch immer so viel? Welchen Stellenwert hat Lohnarbeit in unserer Gesellschaft? Muss Arbeit Sinn machen? Das sind nur einige der Fragen, über die ich gemeinsam mit Hans Rusinek in dieser Episode gesprochen habe.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Mehr von und mit Hans Rusinek hier.
► ZEIT: “Wenn die Arbeit das Leben ist”, Hans Rusinek (2022). ► ifo-Studie: “Homeoffice im Verlauf der Corona-Pandemie” (2021).
► WSI Report No. 65: “Homeoffice: Was wir aus der Zeit der Pandemie für die zukünftige Gestaltung von Homeoffice lernen können”; Hans-Böckler-Stiftung (2021).
► Cal Newport: “The Stone Carver in an Age of Computer Screens” (2020).
► Quarks: ”Sollten wir alle weniger arbeiten?” (2021).
► Nina Kunz: “Ich denk, ich denk zu viel”. Kein & Aber (2021).  
► David Graeber: “Bullshit Jobs, a Theory” (2019).
► Andreas Reckwitz: “Die Gesellschaft der Singularitäten”. Suhrkamp (2017).
► Oscar Wilde: “Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus“ (1891).

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

22. Februar 2022
Neuere Beiträge
Ältere Beiträge

Kategorien

  • Episoden (175)
    • Allzumenschliches (79)
    • Mensch & Natur (33)
    • New Economy (24)
    • Zukünfte denken (29)
    • Zusammenleben gestalten (79)

Schlagwörter

Achtsamkeit Aktivismus Antirassismus Arbeit Bildung Corona Demokratie Digitalisierung Diversity Ernährung Feminismus Freiheit Gefühle Geld Gemeinwohl Gender Gesundheit Grenzen Identität Intersektionalität Journalismus Kapitalismus Klimawandel Konsum Kultur Kunst Leistungsgesellschaft LGBTQ Liebe Mental Health Nachhaltigkeit Natur New Work Philosophie Politik Selbstentfaltung Sexualität Sinn Sinneswandel Social Media Sprache Technik Utopie Wirtschaft Zukunft
  • Spotify
  • RSS

Copyright Marilena Berends © 2024 | Impressum | Datenschutzerklärung | Kontakt

Diese Website benutzt Cookies. Wenn du die Website weiter nutzt, gehen wir von deinem Einverständnis aus.