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Klimawandel

Fridtjof Detzner: Nachhaltig Investieren, geht das?

von Marilena 1. Februar 2022

 

Kann Geld die Welt retten? Oder ist es nicht gerade das liebe Geld und die Gier nach mehr, die unseren Planeten, zerstören? Eines ist klar: Geld bedeutet Macht. Dass es selten Gutes bedeutet, wenn viel davon in wenigen Händen liegt, zeigen Menschen wie Zuckerberg, Bezos und Co. Aber was, wenn Geld dazu eingesetzt würde, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl zu fördern? In der heutigen Episode spricht Marilena mit Fridtjof Detzner über “nachhaltiges Investment. Er hat “Planet A”  gegründet – ein Impact Investment Fonds, der als Risikokapitalgeber in Ideen und junge Unternehmen investiert, die eine klimapositive Wirtschaft voranbringen wollen.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

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► Mehr von und mit Fridtjof Detzner auf seiner Website.
► Fridtjof auf Instagram und Twitter.
► Planet A
► “Founders Valley” Dokumentation von Deutsche Welle mit Fridtjof Detzner.
► Mehr zum Thema “Verantwortungseigentum” bei Purpose-Economy.

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✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Ein besonderer Dank gilt den Fördermitgliedern, die Sinneswandel als Pionier*innen mit 10€ im Monat unterstützen: Bastian Groß, Pascale Röllin, Wolfgang Brucker, Petra Berends, Holger Bunz, Eckart Hirschhausen, Isabelle Wetzel, Torsten Sewing, Hartmuth Barché, Dieter Herzmann, Hans Niedermaier, Constanze Priebe-Richter, Julia Freiberg, Dana Backasch, Peter Hartmann, Martin Schupp, Juliane Willing, Andreas Tenhagen, eeden Hamburg Co-creation Space for visionary women*, David Hopp, Jessica Fischer (Universität Paderborn), Ioannis Giagkos, Matthias Niggehoff, Johanna Bernkopf, Holger Berends, Sebastian Hofmann, Do rian, Anita Wilke, Razvan Pufuleti, Daniele Lauriola, Samira Felber und Volker Hoff.

1. Februar 2022

Veganes Mett – warum imitieren wir Fleisch?

von Marilena 18. Januar 2022

Immer mehr Menschen entscheiden sich auf Fleisch zu verzichten und vegetarisch oder sogar vegan zu leben. Aus ökologischer Sicht ist das mehr als sinnvoll – aber auch ökonomisch betrachtet, erweist sich der “Veggie-Boom” als ergiebig. Immer mehr Produkte erobern den Markt, die Steak und Fischstäbchen zu imitieren versuchen – darunter auch “blutende” Burger-Patties. Die kommen auf Konsumentenseite bislang gut an, werfen aber die Frage auf: Warum muss Fleischersatz eigentlich wie das Original schmecken, riechen und aussehen – wozu imitieren wir überhaupt Fleisch?

Shownotes:

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► Dr. Harald Lemke: “Ethik des Essens. Einführung in die Gastrosophie”, (S.377-404) in “Aufklärung und Kritik” (1/2004): “Feuerbachs Stammtischthese oder zum Ursprung des Satzes: ‘Der Mensch ist, was er isst’”.
► Deutschlandfunk Nova: „Es gibt überall die Norm, dass Fleisch zu einer Ernährung dazugehört“.
► pbp (12/2021): “Vom Wohlstands- zum Krisensymbol. Eine Kulturgeschichte des Nahrungsmittels Fleisch”.
► Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse 2021: “Nachhaltigkeit: Themenzyklus oder tiefgreifender Wandel von Lebensweisen und Konsumentscheidungen?”.
►Statista-Dossier zu Vegetarismus und Veganismus in Deutschland (2021).
► WWF-Studie: “Klimawandel auf dem Teller” (2012).
► BMEL Ernährungsreport 2020.
► Handelsblatt (8/2020): “Rügenwalder Mühle: Veggie-Fleisch überholt erstmals klassische Wurst”.
► Handelsblatt (6/2019): “Beyond Burger im Test: weder gesund noch nachhaltig!”. 
► Transparenz Gentechnik: “Veganer Fleischersatz – perfekt dank Gentechnik”.
► The Wall Street Journal (10/2014): “So, What Does a Plant-Blood Veggie Burger Taste Like?”] .
► Spiegel (2/2017): „Am wichtigsten ist der Geruch nach Blut“.
► Quarks (1/2020): “Insekten: Die Proteinquelle der Zukunft”.

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18. Januar 2022

Samira El Ouassil: Können Geschichten die Welt verändern?

von Henrietta Clasen 16. November 2021

Eine Geschichte kann die Welt retten, ebenso, wie sie zerstören. Eine Geschichte kann Wahlen entscheiden, Kriege auslösen, aber auch Menschen miteinander verbinden. Das behaupten zumindest Samira El Ouassil und Friedemann Karig. Die zwei Autor*innen haben ein Buch geschrieben: „Erzählende Affen“. Es handelt von Mythen, Lügen, Utopien – eben Geschichten, die unser Leben bestimmen. Früher, als wir noch um das Lagerfeuer herum saßen und unsere Erlebnisse teilten, wie auch heute, wenn wir twittern oder Zeitung lesen. Der Mensch sei nun mal ein “homo narrans”, so lautet Samiras und Friedemanns These. Mit ihrem neuen Buch wollen sie aufzeigen, welche kollektiven Erzählungen uns heute gefährden und weshalb es an der Zeit ist für neue Narrative. 

Shownotes:

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Der Sponsor der heutigen Episode ist FLSK. Unter dem Motto „Made for movement“ produziert FLSK innovative und designorientierte Trinkflaschen und seit kurzem auch den CUP Coffee to go-Becher. Mit dem könnt ihr euren Kaffee unterwegs nachhaltiger genießen. Mit „sinneswandel15“ erhaltet ihr bis Ende diesen Jahres 15 Prozent auf alle FLSK-Produkte, ohne Mindestbestellwert.

► Samira El Ouassil, Friedemann Karig: “Erzählende Affen – Mythen, Lügen, Utopien – wie Geschichten unser Leben bestimmen”, Ullstein (2021).
►Samira und Friedemann findet ihr auch auf Twitter.
►Hörenswert: Piratensender Powerplay, der wöchentlich am Samstag erscheinende Podcast von Samira und Friedemann.

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16. November 2021

Michael Brüggemann: Wie neutral kann Journalismus wirklich sein?

von Henrietta Clasen 19. Oktober 2021

Bereits in der letzten Episode haben wir über den sogenannten “Transformativen Journalismus” gesprochen. Also Journalismus, der neben der Problembeschreibung auch Lösungsansätze präsentiert und versucht, Akteure die eine nachhaltige Transformation begünstigen, durch Sichtbarkeit zu stärken. Da wir das Thema für sehr spannend halten und euch die Möglichkeit geben wollen etwas mehr in die Tiefe zu gehen, präsentieren wir euch heute das Gespräch mit dem Kommunikationswissenschaftler Michael Brüggemann in ganzer Länge. Thema ist nicht nur, wie der Klimawandel bisher in der Medienlandschaft repräsentiert wird, sondern auch, welcher Umgang in Medien mit Klimaskeptikern und -leugnern sinnvoll ist.

Shownotes:

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Die heutige Episode wird präsentiert von der ZDF-Dokureihe plan b. Darin geht es um Menschen, die einfach mal machen: ob Licht aus Brot, Lachs aus Möhren oder Leder aus Kaktus. Klingt schräg – wenn Ihr wissen wollt, wie’s funktioniert, dann schaut in der ZDF-Mediathek auf planb.zdf.de vorbei.

► Episode 98 zum Thema “Transformativer Journalismus” könnt ihr hier nachhören.
►Hier erfahrt ihr mehr über Prof. Michael Brüggemann und seine Forschungsarbeit.
► Michael Brüggemann, Sven Engesser: Falsche Ausgewogenheit? Eine journalistische Berufsnorm auf dem Prüfstand in: “Verantwortung – Gerechtigkeit – Öffentlichkeit: Normative Perspektiven auf Kommunikation”, S. 51-63 (2016).
► the consensus project of skeptical science.
► S4F: Handbuch zum Klimakonsens – kostenlos als PDF.
► IPCC: Sixth Assessment Report (08/2021).
► Artikel des WELT-Wissenschaftsjournalisten Axel Bojanowski sind hier nachzulesen.

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Ein besonderer Dank gilt den Fördermitgliedern, die Sinneswandel als Pionier*innen mit 10€ im Monat unterstützen: Bastian Groß, Pascale Röllin, Wolfgang Brucker, Petra Berends, Holger Bunz, Dirk Kleinschmidt, Eckart Hirschhausen, Isabelle Wetzel, Torsten Sewing, Hartmuth Barché, Dieter Herzmann, Hans Niedermaier, Constanze Priebe-Richter, Julia Freiberg, Dana Backasch, Peter Hartmann, Martin Schupp, Juliane Willing, Andreas Tenhagen, eeden Hamburg Co-creation Space for visionary women*, David Hopp, Jessica Fischer (Universität Paderborn), Ioannis Giagkos, Matthias Niggehoff, Nina Lyne Gangl, Johanna Bernkopf, Holger Berends, Sebastian Hofmann, Do rian, Anita Wilke, Razvan Pufuleti, Daniele Lauriola und Samira Felber.

19. Oktober 2021

“Klimajournalismus” – ist das schon Aktivismus?

von Henrietta Clasen 12. Oktober 2021

Ist der Begriff “Klimawandel” zu schwach? Sollten Journalist*innen lieber Begriffe, wie “Klimakrise” oder “Klimanotstand” verwenden – oder ist das vielleicht sogar eher kontraproduktiv? Immer häufiger wird über die Frage diskutiert, wie neutral oder objektiv Journalist*innen und Medienschaffende in der Berichterstattung von Klimafakten sein sollten. Darf man sich wirklich unter keinen Umständen mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer Guten? In dieser Episode betrachten wir unterschiedliche Perspektiven auf den “Transformativen Journalismus” – u.a. mit Kommunikationsforscher Prof. Michael Brüggemann.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Die heutige Episode wird präsentiert von der ZDF-Dokureihe plan b. Darin geht es um Menschen, die einfach mal machen: ob Licht aus Brot, Lachs aus Möhren oder Leder aus Kaktus. Klingt schräg – wenn Ihr wissen wollt, wie’s funktioniert, dann schaut in der ZDF-Mediathek auf planb.zdf.de vorbei.

► The Club of Rome: Die Grenzen des Wachstums (1972), bpb.
► Sechster IPCC-Sachstandsbericht (AR6) – Teil 1 (08/2021).
► Studie von Sven Engesser und Michael Brüggemann: Falsche Ausgewogenheit? Eine journalistische Berufsnorm auf dem Prüfstand, (02/20).
► IOP Science-Studie: Quantifying the consensus on anthropogenic global warming in the scientific literature, (2013).
► Studie der World Weather Attribution: Heavy rainfall which led to severe flooding in Western Europe made more likely by climate change, (08/21). 
► the consensus project by Skeptical Science.
► Wissenschaft im Dialog: Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR.
► Blog Postwachstum: Konstruktiven Journalismus neu denken von Uwe Kröger.  
► Übermedien: Journalist:innen, nehmt die Klimakrise ernst!, offener Brief von Sara Schurmann (09/20).
► taz: Zur Sprache des Klimajournalismus – Vorschläge für die Verwendung alter und neuer Schlüsselbegriffe von Torsten Schäfer.
► Initiative Covering Climate Now.
► Netzwerk Klimajournalismus Deutschland.
► Online-Plattform Grüner Journalismus.
► Initiative KLIMA vor acht.
► RTL: Klima Update.
► Tweet Bernd Ulrich (7.9.2020).
► Tweet Teresa Bücker (7.9.2020).
► WELT: Der unappetitliche Klima-Bluff von Axel Bojanowski (09/21).
► WELT: Die unterschätzte Macht der grünen Lobby von Axel Bojanowski (04/21).

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Transkript: “Klimajournalismus” – ist das schon Aktivismus?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

*Werbung* Unser Podcast wird heute präsentiert von der ZDF-Dokureihe „plan b“. plan b ist Fernsehen mal anders: nämlich mit positivem Ansatz, nach dem Motto: Wo ist eigentlich die Lösung? Die Dokureihe handelt von Menschen, die einfach mal machen: ob in Sachen Klimaschutz, Technik oder Gesellschaft. Licht aus Brot, Lachs aus Möhren oder Leder aus Kaktus. Klingt schräg – wenn Ihr wissen wollt, wie’s funktioniert, dann schaut  in der ZDF-Mediathek auf planb.zdf.de vorbei. Da gibt es jede Menge Geschichten von Andersmacher*innen und Stories die zeigen, was alles möglich ist. *Werbung Ende*

Nein, das war nicht die Tagesschau von gestern Abend – hätte es aber durchaus sein können. Das war eine Ausstrahlung von 1995. Bereits 1972 allerdings, veröffentlichte der Club of Rome die “Grenzen des Wachstums”. Darin heißt es: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ Noch sind zwar keine hundert Jahre seitdem vergangen, doch hat die Bedrohlichkeit dieser Warnung keinesfalls an Dringlichkeit verloren – ganz im Gegenteil. Erst kürzlich stellte das Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC, Teil eins des Sechsten Weltklimaberichts vor. 1990 erschien der Erste, der als Basis für die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen diente. Seitdem fassen die Berichte regelmäßig den aktuellen wissenschaftlichen Stand über die Beeinflussung des Erdsystems durch uns Menschen zusammen und, welche Konsequenzen daraus möglicherweise folgen. Es ist nicht irgendeine Studie, sondern der Bericht, auf dessen Erscheinen weltweit – hingefiebert wäre vermutlich zu viel gesagt – ihn aber doch mit Spannung erwartet hat. Nicht umsonst wird er auch als “Realitätscheck” gehandelt. Und der fällt gar nicht mal allzu gut aus, betrachtet man eine der zentralen Kernaussagen der Leitautor*innen, die lautet: “Die Menschheit wird die Pariser Klimaziele verfehlen, wenn die Treibhausgasemissionen nicht schnell und drastisch reduziert werden.” Konkret bedeutet das: Wenn nicht alle Länder der Welt ihre Emissionen reduzieren, wird es schon bald unmöglich sein, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Und das wiederum würde mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dramatische Folgen für künftige Generationen haben. Der Bericht zeigt aber zugleich: Noch liegt es in unserer und vor allem politischer Hand, den fahrenden Zug aufzuhalten, bevor es zu spät ist und die Realität uns in Form drohender Kipppunkte, einholen wird. Es sind alarmierende aber durchaus auch ermutigende Ergebnisse, wenn man den Handlungsspielraum betrachtet, der offensichtlich noch vorhanden ist. Wäre das allein nicht Grund genug, weltweit und mit Nachdruck medial davon zu berichten? Zumal sich diese Krise, laut Wissenschaft, auch nur in globaler Zusammenarbeit lösen lässt.

Kurz nach Erscheinen des Sechsten IPCC-Berichts am 9. August diesen Jahres, hätte man den Eindruck gewinnen können, dass genau das geschieht. Vielerorts, auf öffentlich-rechtlichen als auch privaten Sendern, Zeitungen und Plattformen wurden die Ergebnisse Weltklimarats geteilt. Doch bereits nach wenigen Tagen ebbte die Aufmerksamkeitsflut wieder ab und andere Themen rückten in den Vordergrund. Lag es an der Komplexität der Sachzusammenhänge, waren die Ergebnisse des Berichts nicht “catchy” genug, oder liegt der Grund vielmehr in der Beschaffenheit unserer heutigen Medienlandschaft? Es ist gewissermaßen eine Kombination aus beidem, sagt Kommunikationswissenschaftler Prof. Michael Brüggemann, der an der Universität Hamburg erforscht, wie der Klimawandel in Medien und Wissenschaft thematisiert und rezipiert wird: “Dem Journalismus gerät der Klimawandel immer wieder aus dem Blick, weil er nicht den  Aufmerksamkeitskriterien genügt, die Journalist*innen anlegen. Der Journalismus ist fokussiert auf kurze Ereignisse. Und der Klimawandel ist ein langsamer, über Jahrzehnte oder sogar über Jahrhunderte laufender Prozess. Und das ist praktisch die Brille, die Journalisten auf haben, die sehen die strukturellen Probleme dann nur sehr schlecht und vergessen dann kontinuierlich darüber zu berichten.”  Das könnte sich natürlich ändern, wenn die Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel mit großer Wahrcheinlichkeit vermehrt auftreten werden, sich künftig häufen – aber will man es darauf ankommen lassen? Hinzu kommt, dass es nicht nur an Frequenz hinsichtlich der Berichterstattung zum Klimawandel und seinen Auswirkungen bisher mangelt, auch inhaltlich wird dem Thema, zumindest, wenn es nach einer ganzen Reihe an Medienschaffenden wie auch Wissenschaftler*innen geht, nicht Genüge getragen. 

Aus diesem Anlass veröffentlichte die Journalistin Sara Schurmann im September letzten Jahres einen offenen Brief, in dem sie ihre Kolleg*innen dazu aufforderte, die Klimakrise endlich ernst zu nehmen – ergo sich in der Verantwortung zu sehen, häufiger und mit mehr Nachdruck über sie zu berichten. In diesem Brief heißt es: “Nicht nur die Klimaleugner:innen sind das Problem, auch wir sind es. Solange eine kritische Masse an Journalist:innen das nicht verstanden hat und ihre Arbeit nicht danach ausrichtet, solange werden auch Politiker:innen nicht entsprechend handeln.” In Schurmann’s Worten schwingt eine gewisse Verzweiflung, zugleich aber auch Hoffnung mit. Was sie mit ihrem Appell keineswegs bezwecken will, ist eine pauschale Kritik an allen Journalist*innen, derzufolge sie ihrer Verantwortung nicht gerecht würden. Es gibt viele exzellente Berichte über die Klimakrise und Journalist*innen, die seit Jahren unermüdlich vor den Auswirkungen warnen. Allerdings, so Schurmann, sei die Klimakrise “weit mehr als ein Fall für Fachjournalist:innen”. Sie betreffe alle Bereiche unseres Lebens und damit auch des Journalismus: “Mit ist selbst erst vor über einem Jahr bewusst geworden wie akut die Klimakrise eigentlich ist. Einer der Anlässe damals war, dass die Berichterstattung über dieses EU Corona Finanzpaket, das die Wirtschaft ankurbeln soll nach der Corona-Krise, das die Klimakrise nicht mitgedacht hat. […] Mir war zu dem Zeitpunkt relativ klar, das sind genau die 7 Jahre, in dem wir das Geld für klassische Wirtschaftsförderung ausgeben wollen, sind genau der Zeitraum in dem wir noch Zeit haben unsere Emissionen drastisch zu reduzieren und das geht nicht zusammen. Klassische Wirtschaftsförderung und Emissionen reduzieren ist im moment noch nicht kompatibel, da Emissionen und Wirtschaftswachstum nicht völlig voneinander entkoppelt sind. Als das so wenig mitgedacht wurde in den Artikeln, ging mir auf “wow, vermutlich wird Klima auch bei anderen Sachen vernachlässigt”. Das war der Punkt, in dem mir aufging, dass wir die Klimakrise im Gesamtbild, im medialen, nicht adäquat darstellen. Das war der Anlass, dass ich diesen offenen Brief geschrieben und publiziert habe.” 50 Journalist*innen unterstützen den Aufruf initial, rund 250 Menschen weltweit haben ihn mittlerweile unterzeichnet. Ganz allein steht Sara Schurmann keinesfalls mit ihrer These da. Auch Kommunikationswissenschaftler Brüggemann ist der Auffassung, der Klimawandel dürfe kein Nischenthema für Fachexpert*innen bleiben und damit in Umweltressorts – sofern diese überhaupt existieren – verbleiben. Vielmehr sei die Klimaberichterstattung ein “Querschnittsthema”. Konkret bedeutet das: Wird über das neue Iphone berichtet, so sei es wünschenswert, würde darin auch die Rohstoffgewinnung oder die Recyclingfähigkeit eine Rolle spielen. Gleiches gilt für Themen, wie das Reisen, Architektur, Film, Verkehr oder Mode. Natürlich ist es nicht immer möglich, in jedem einzelnen Artikel oder jeder Sendung differenziert auf die klimatischen Aspekte im Zusammenhang einzugehen, aber zumindest sollte es grundsätzlich mitgedacht und nicht an die Redakteur*innen der Wissenschaftsressorts ausgelagert werden. Aus diesem Grund gründete Sara Schurmann auch gemeinsam mit Kolleg*innen ein ressort- und  medien-übergreifendes Netzwerk: “Wir haben das “Netzwerk Klimajournalismus Deutschland” gegründet, um Kolleg*innen zusammenzubringen, die sich entweder schon mit Klimajournalismus beschäftigen oder die sich mehr damit beschäftigen wollen, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Wir wollen sowohl Inputs und einen fachlichen Austausch bieten, als auch einen redaktionellen Austausch. Gerade auch für Kolleg*innen, die frei arbeiten und nicht so viel Gelegenheit haben sich mit anderen auszutauschen oder auch Kolleg*innen, die in ihrer Redaktion Klima- oder Biodiversität alleine beackern als Thema. Wir haben das Netzwerk sehr bewusst Netzwerk Klimajournalismus Deutschland genannt und nicht “Journalists For Future”, weil uns schon klar ist, dass diese aktivistische Vermischung und sich in die FF-Bewegung einzureihen journalistisch so nicht geht. Man muss, auch zu dieser Bewegung, eine Distanz waren. Auch wenn ich grundsätzlich ihre Forderungen, dass wir unsere Lebensgrundlage erhalten, unterstütze. Aber natürlich müssen wir als Journalist*innen auch über diese Bewegung kritisch berichten können und ich finde insgesamt sich mit Bewegungen gemein zu machen, von denen man nicht weiß, wie sie sich entwickeln und welche Wendungen die noch nehmen, journalistisch schwierig. Von daher gibts dafür auch nicht die Notwendigkeit. Es geht, wie gesagt, erstmal um den Austausch, darum, Leute zusammenzubringen und sie dadurch vielleicht auch zu motivieren weiter zu machen, weil es auch ganz schön deprimierend sein kann, sich die ganze Zeit mit Klima und den Krisen alleine zu beschäftigen. Schon allein auch ein emotionaler Austausch unter Kolleg*innen kann da wahnsinnig viel wert sein.” 

Teil des Gründungsteams ist auch der Umweltjournalist und Hochschulprofessor Torsten Schäfer. Bis heute leitet er das Online-Portal “Grüner Journalismus” und erstellte im September vergangenen Jahres für die taz ein Konzept für eine “klimagerechte Sprache” – denn auch die forme, wie die taz schreibt, unser Denken und damit auch unser Klimabewusst-Sein. Die Empfehlungen Schäfer’s beziehen sich dabei insbesondere auf das Framing, also den Rahmen in dem der Inhalt medial eingebettet wird. Ist der Begriff “Klimawandel” zu schwach? Sollten Journalist*innen lieber Begriffe, wie “Klimakrise” oder gar “Klimanotstand” verwenden – oder ist das vielleicht sogar eher kontraproduktiv? Ziel der Empfehlungen einer “klimagerechten Sprache” sei es nicht, Sprachverbote oder Regeln aufzustellen. Vielmehr sei sie “Ausdruck von Vielfalt und sollte daher auch journalistisch offen bleiben, dies freilich in einem Rahmen, den normative Kontexte wie Demokratie und planetare Grenzen setzen”, so Schäfer. Der Diskurs um die mediale Berichterstattung der Klimakrise, der in Deutschland gefühlt erst jetzt Fahrt aufnimmt, hat international bereits vor einigen Jahren begonnen. Resultat daraus ist unter anderen die Initiative  “Covering Climate Now”, initiiert von dem renommierten Fachmagazin Columbia Journalism Review. Im Sommer 2019 riefen diese Medien in aller Welt dazu auf, sich an einer Klima-Themenwoche zu beteiligen. Vom 16. bis 23. September, also bis zum Auftakt des UN-Klimagipfels, der 2019 in New York stattfand, beteiligten sich rund 200 Medien weltweit an der Aktion. Der Guardian, die Nachrichtenagentur Bloomberg, die Huffington Post, ebenso, wie die taz, verpflichteten sich, “in dieser Woche mit Wucht über dieses doch eigentlich journalistisch so undankbare Thema zu berichten”, wie es der SPIEGEL formulierte. Ziel der Initiative “Covering Climate Now”, die aufgrund der großen Resonanz bis heute weitergeführt wird, ist es, neben der Prominenz und Sichtbarkeit, die dem Klimathema dadurch gewidmet wird, die Geschichten auch so zu erzählen, dass die Menschen sie auch begreifen. Es ginge nicht darum, den Leuten vorzuschreiben, was sie publizieren oder senden, wie die Initiatoren immer wieder betonen. Vielmehr ginge es darum, die Öffentlichkeit zu informieren und Debatten zu ermöglichen, da das Thema uns alle anginge. 

Für einige Medienschaffende geht das allerdings zu weit. Ganz im Sinne des deutschen Journalisten und ehemaligen Tagesthemen Moderators Hans Joachim Friedrichs, von dem die Worte stammen: „Ein Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten“, sehen sie eine Gefahr in diesem Verständnis von Journalismus. Dieser habe den Grundsatz der Objektivität zu erfüllen – wer Überzeugungsarbeit leisten will, der soll sich den Aktivist*innen anschließen, so der Tonus einige Kritiker*innen. Worauf sich diese beziehen, ist der Anspruch des Journalismus auf Ausgewogenheit. Sprich, der Pluralismus in den Medien soll durch die Präsentation verschiedener Meinungen und Perspektiven erhalten bleiben. Klingt sinnvoll, ist es auch! Aber was bedeutet das eigentlich im Hinblick auf die Berichterstattung zum Klimawandel? Ist die Konsequenz daraus, dass Journalist*innen ihre Leser- oder Hörerschaft nicht vom menschengemachten Klimawandel überzeugen dürfen? Wenn man überhaupt von überzeugen sprechen kann, wenn sich mehr als 97 Prozent der führenden Wissenschaft längst darin einig sind, dass dieser menschengemacht ist und wir etwas gegen sein Voranschreiten tun müssen. Oder ist mit Ausgewogenheit gemeint, dass, wenn über den Klimawandel berichtet wird, unterschiedliche Perspektiven aufgezeigt werden müssen? Wer eine Umweltwissenschaftlerin in eine Talkshow einlädt, muss er ihr gegenüber dan einen Klimaskeptiker oder gar -leugner platzieren? Gerade das sollte tunlichst vermieden werden, sagt Kommunikationswissenschaftler Michael Brüggemann. Er hat gemeinsam mit Kolleg*innen zur sogenannten “Falschen Ausgewogenheit” geforscht und kam zu folgenden Erkenntnissen: “Zu Recht wollen Journalist*innen die Vielfalt der Meinungen darstellen und ausgewogen berichten. Und ‘falsche Ausgewogenheit’ ist dann, wenn man über eine wissenschaftliche Faktenfrage, über die Konsens herrscht, wie, dass es den anthropogenen Klimawandel gibt oder, dass Impfungen bei bestimmten Erkrankungen eine sehr wichtige und unschädliche Sache sind, da, wo es also gar keine Debatte, sondern einen Konsens gibt unter denen, die sich da auskennen, dass dann manche Journalisten denken: “Ich muss da jetzt meine Ausgewogenheit machen. Deshalb brauche ich immer jemanden, der bestreitet, dass der Klimawandel ein ernstzunehmendes Problem ist oder der bestreitet, dass die Menschen den Klimawandel verursachen.” Was dann wie eine 50:50-Balance aussieht, ist aber eigentlich eher ein 97:3-Verhältnis, zumindest, wenn wir vom Klimawandel sprechen. Das bedeutet nicht, dass keine Kritik an diesem Thema geäußert werden könne, nur müsse das Verhältnis zwischen solchen, die extreme und meist in der Minderheit vorhandene Meinungen vertreten und jenen die den wissenschaftlichen Konsens vertreten, entsprechend dargestellt werden. “Und so müsste es dann eigentlich sein, dass man sagt: ‘Okay, ich lade mir jetzt die 97 Experten ein, die sagen, dass es den Klimawandel gibt und die drei, sogenannten Experten, die das bestreiten’.”  Wichtig sei es vor allem die Thesen in den Kontext einzuordnen, insbesondere, wenn sogenannte “Klimaskeptiker” zu Wort kämen. Dies werde auch bereits von vielen Journalist*innen so gehandhabt, wie Brüggemann und sein Forschungsteam herausfanden: “Was wir in unserer Studie gesehen haben, in verschiedenen Ländern in der Qualitätspresse und in führenden Online-Angeboten, dass das zum Glück ein bisschen nachgelassen hat, dass der Journalismus was gelernt hat und die Leute, die das wirklich wider jeglicher Vernunft abstreiten, dass es den Klimawandel gibt, dass die weniger neutral zu Wort kommen, sondern, dass in der Regel Journalist*innen das kontextualisieren und sagen: “Hier gibt es den Bericht des Weltklimarats, wo der Forschungsstand gut zusammengefasst wird. Und dann gibt es aber auch Leute, die das bezweifeln.” Empfehlen würde Brüggemann grundsätzlich jedoch, Extrempositionen zu vermeiden, auch, wenn diese oft zu höheren Klickraten führen.

Ganz beantwortet ist die Frage, ob sich der Journalismus wirklich angreifbar macht, indem er der Klimaberichterstattung eine gewisse Priorisierung einräumt und damit vermeintlich weniger objektiv dasteht, allerdings noch nicht. Die Journalistin Sara Schurmann schreibt in ihrem besagtem offenen Brief, viele Medienschaffende würden zu Recht den Unterschied von Aktivismus und Journalismus betonen. Aber “die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels als vierte Gewalt zu kontrollieren”, sei kein Aktivismus, als vielmehr “wissenschaftlich, menschlich und journalistisch geboten”, so Schurmann. Für Umweltjournalist Torsten Schäfer hat Nachhaltigkeit sogar die gleiche Bedeutung wie etwa Meinungsvielfalt und Bürgerrecht, für deren Erhalt sich innerhalb von Demokratien Journalist*innen auch problemlos einsetzen können. Warum dann nicht auch für die Bekämpfung des Klimawandels? Weshalb macht man sich hier als Journalist*in schnell des Aktivismus verdächtig? Ist es so abwegig, dass einem das Thema und damit der Erhalt von Mensch und Erde, am Herzen liegt? Wie objektiv können Journalist*innen im Hinblick auf die Klimakrise überhaupt sein, wenn sie doch uns alle betrifft? Sara Schurmann hat darauf für sich eine recht klare Antwort gefunden: “Hier ist natürlich die Frage was man unter Neutralität oder Objektivität versteht. Ich würde darunter erstmal verstehen, dass man sich an wissenschaftliche Fakten hält. Ich glaube nicht, dass man sich als Journalist neutral zwischen die Option Klimaschutz oder kein Klimaschutz stellen kann. Denn, dass es Klimaschutz unbedingt braucht, ist wissenschaftlich absolut eindeutig, wenn wir den nicht machen, gefährden wir die Menschheit. Von daher ist das glaube ich nicht die Position der Neutralität, die man einnehmen kann. Neutral wäre es eher, sich an einen wissenschaftlichen Konsens zu halten und diesen hochzuhalten – und der fordert auf jeden Fall Klimaschutz.”

Wissenschaft braucht guten Journalismus, der in der Lage ist die Ergebnisse für ein Publikum aufzubereiten, das in der Regel nicht so tief in den Themen steckt. Dafür müssen Journalist*innen häufig, einerseits aus Platzmangel und, um Komplexität zu reduzieren, Abstriche machen. Ansonsten könnten sie ja auch einfach die wissenschaftlichen Paper bei sich eins zu eins abdrucken lassen. Aber wer hat schon Zeit und Muße die oft hunderte Seiten füllenden Berichte zu studieren? Die wenigsten von uns vermutlich. Daher vereinfachen Journalist*innen in der Regel in der Klimaberichterstattung die Modelle, die Wissenschaftler*innen verwenden, um Zusammenhänge und Wahrscheinlichkeiten zu erklären. 

Genau dieses Vorgehen allerdings kritisiert der Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski von der WELT immer wieder, dass angeblich in Berichten über Klimaprognosen deren Unsicherheiten verschwiegen würden. Erst kürzlich übte er Kritik an der medialen Berichterstattung einiger Journalist*innen, welche die Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen auf die Folgen des Klimawandels zurückführten. Für Bojanowski bestätigt sich darin seine These, derzufolge ein gewisser Anteil an Journalist*innen, wie auch Wissenchaftler*innen sich der sogenannten “noble cause corruption”, also der Korruption für den guten Zweck verdächtig machten. In seinen Augen würden diese zugunsten der Risiken, die Unsicherheiten die der Klimaforschung zugrunde liegen, verschweigen: “Viele haben einfach noch nie davon gehört, dass die Klimawissenschaft komplex ist und immer mit erheblichen Unsicherheiten arbeiten muss. Wenn ich dann einen Artikel schreibe, indem ich schreibe, dass Vieles nicht so klar ist in Sachen Klimawandel, wirkt das für manche wie Provokation. Dabei ist die Vermittlung von Unsicherheiten ganz entscheidend, um sich verantwortungsvoll vorbereiten zu können auf die Folgen der globalen Erwärmung.” Bojanowski meint dabei zwei Gruppen beobachten zu können, welche sich im Hinblick auf die Berichterstattung von Klimafakten gegenüberstünden und die er für problematisch hält: “Die “Risikenverschweiger” gehen gerne über die erheblichen Risiken der globalen Erwärmung hinweg. Diese Leute werden gerne oft auch als “Klimaskeptiker” bezeichnet. Die “Unsicherheitenverschweiger”, wie ich sie nennen, ignorieren die gewaltigen Unsicherheiten im Klimasystem, häufig um die Risiken zu unterstreichen. Sie werden gemeinhin auch gerne als “Alarmisten” bezeichnet. Beide Gruppen verschweigen also jeweils eine wesentliche Realität – entweder die Risiken des Klimawandels oder die Unsicherheiten des Klimawissens.” Nun lässt sich keineswegs leugnen, dass Wissenschaft immer Unsicherheiten mit sich bringt. Sonst wäre sie keine Wissenschaft, sondern Ideologie. Selbst die Wettervorhersage für übermorgen ist mit Unsicherheiten verbunden. Sich jedoch auf die Komplexität der Klimawissenschaft zu berufen, um dadurch zu begründen, weshalb diese angeblich keine Ergebnisse hervorbringe, auf die man sich mit einer gewissen Sicherheit stützen könne, sei schlichtweg irreführend und falsch, wie mir Prof. Dr. Pao-Yu Oei,  Klimawissenschaftler an der Europa-Universität Flensburg erzählt. Unsicher sei lediglich die Tragweite der Katastrophe, nicht aber, dass es durch den Menschen zu extremen irreversiblen Veränderungen kommen wird. Mindestens 97 Prozent aller veröffentlichten wissenschaftlichen Paper, die den  Klimawandel behandeln, stimmen darin überein, dass dieser menschengemacht ist. Die Anzahl der veröffentlichten Paper, die dem widersprechen, ist im Vergleich dazu verschwindend gering, wie auch das sogenannte “consensus project” offenlegt. Es ist richtig, dass die Intensität einiger Szenarien, wenn es beispielsweise um irreversible Kipppunkten geht, nicht exakt prognostiziert werden kann – was der IPCC-Bericht allerdings auch transparent offenlegt – jedoch muss man sich doch fragen, ob diese zum Teil marginalen Unsicherheiten, Grund genug darstellen, sie gegenüber den Risiken hervorzuheben, die in vielen Fällen dramatische Auswirkungen haben können. Ist es wirklich ratsam, bis zum letzten Moment zu warten, bis man sich zu 100 Prozent sicher sein kann – was allerdings der Wissenschaft widerspräche – um Menschen adäquat zu informieren oder, wenn nötig, zu warnen? Im Fall der Hochwasserkatastrophe in Mitteldeutschland in diesem Sommer wäre es, wie eine Studie der „World Weather Attribution“-Initiative (WWA) herausfand, ratsam gewesen, früher auf die Gefahren hinzuweisen, die auch im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung stehen. Transparenz gehört zu guter Kommunikation dazu, auch oder ganz besonders bei der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das hebt auch der Meteorologe Franz Ossing, der Teil des Koordinationsteams der Scientists for Future ist, hervor. Guter Wissenschaftsjournalismus “stärkt das Bewusstsein und den Respekt für die Positionen aller Beteiligten […], fördert den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft […] und arbeitet faktentreu.” Das heißt, er “übertreibt nicht in der Darstellung der Forschungserfolge und verharmlost oder verschweigt keine Risiken. [… Er] unterstützt und organisiert den Dialog über Chancen und Risiken von wissenschaftlichen Methoden und Ergebnissen”, wie sich in den “Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR” der Initiative “Wissenschaft im Dialog” (WiD) nachlesen lässt. Das scheint prinzipiell auch mit den Forderungen von Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski übereinzustimmen, dieser sieht jedoch nach wie vor eine besondere Gefahr in jenen Journalist*innen, die seiner Meinung nach “Überzeugungsarbeit” leisten würden: “Prinzipiell finde ich es gut, wenn Journalisten unterschiedliche Perspektiven aufzeigen – das ist ja der Pluralismus, der die Sache vorantreibt. Gute Sache, würde ich sagen. Ich halte es aber für höchst problematisch, wenn Medien Überzeugungsarbeit leisten wollen. Medienforschung hat gezeigt, dass sich die Leser abwenden, wenn sie mit Überzeugungsarbeit konfrontiert werden – nur Sympathisanten macht man glücklich mit “Wach-rüttel-Journalismus”. Fraglich ist jedoch, was seine eigene Form der Kommunikation auszeichnet. Wer, wie Bojanowski, Artikel veröffentlicht, in denen er vor einer “unterschätzen Macht der grünen Lobby” warnt oder die Idee einer täglichen Klimasendung im Fernsehen als “ideologisch” bezeichnet, ist der wirklich so neutral, wie er vorgibt zu sein? 

“Der am weitesten verbreitete Aktivismus unter Journalisten ist wohl die Parteinahme für eine Normalität, die es nicht mehr gibt, also der #Normalismus als Ideologie. Womit dann eine begrenzte Wahrnehmung und verfälschende Gewichtung von Realität einher geht” twitterte  der deutsche Journalist und stellvertretende Chefredakteur der ZEIT, Bernd Ulrich, Anfang September letzten Jahres: Eine Antwort oder vielleicht eher Ergänzung auf den Tweet der Journalistin und Autorin Teresa Bücker, die mit einem Zwinkern schrieb: “Vielleicht sollte man mal anfangen, gewisse Menschen als […] ‘Aktivist für Umweltzerstörung’ […] zu betiteln.” Vertreten wir nicht immer irgendwie unsere Interessen? Und ist der Einsatz für den Erhalt des Status-quo nicht auch in gewisser Weise “Aktivismus”? Zumindest steckt dahinter eine Überzeugung, eine Haltung und Werte. Diese transparent zu machen, ganz gleich, wofür man auch stehe, darin liege die Krux, so Medienwissenschaftler Brüggemann: “Es gibt einfach ein klassisches verständnis des Journalismus das sagt: Der Journalist ist ein neutraler, distanzierter Beobachter, der ganz objektiv davon berichtet, wie die Welt ist. Dann gibt es die Vorstellung, die eher in den Sozialwissenschaften vorherrscht, dass eigentlich niemand in der Lage ist neutral und ohne Meinung zu berichten. Dass also alle Menschen bestimmte Meinungen und Werte, Vorstellungen und Weltsichten haben. Und diese Weltsichten prägen immer alles was sie sagen. Wenn man von dieser Position ausgeht, dann fällt die künstliche Gegenüberstellung von Aktivisten und Journalisten in sich zusammen. Weil es dann nur noch ein Mehr oder Weniger gibt, beziehungsweise einen Unterschied zwischen denen, die ihre Werte und Meinungen transparent machen und die so tun, als ob sie neutral sind, es aber nicht sind. Das machen die ja gar nicht unbedingt absichtlich. […] Also, wenn ich jetzt alle möglichen Journalist*innen fragen würde, ist Pressefreiheit ein Wert für den sie streiten, auch in ihrer Arbeit – Meinungsfreiheit, Demokratie – dann würden die meisten vermutlich ja sagen. Es gibt so bestimmte Werte, die eben doch viele Journalisten in unserer Gesellschaft teilen und da ist ja auch kein grundsätzliches Problem dabei. Solange man sich dessen bewusst ist. Es ist eigentlich schlauer, wenn man sich selber hinterfragt, was sind denn eigentlich meine Werte? Warum mache ich denn eigentlich Klimajournalismus? Doch nicht, weil im Wirtschaftsjournalismus kein Job frei war? […] Und ein Autojournalist interessiert sich doch vielleicht auch für Autos und fährt gerne Auto. Und diese eigene bias, die Menschen nun mal haben, transparent zu machen, das finde ich besser, als das einfach abzustreiten und zu tun: “Ich bin der, der neutral ist und sag wie die Fakten sind und die anderen sind praktisch die Aktivisten.”

Grundsätzlich können wir wohl erstmal festhalten, dass den meisten Journalist*innen, die ihren Beruf ernst nehmen, Meinungsvielfalt und Pluralismus am Herzen liegt. Wieso sollte es daher schaden, wenn auch der Journalismus selbst eine neue, nennen wir es “Strömung” erhält? Könnte ihm das nicht sogar gut tun? Als sogenannter “Transformativer” oder “Konstruktiver Journalismus” wird diese Art der Berichterstattung auch bezeichnet. Also Journalismus, der neben der Problembeschreibung auch Lösungsansätze präsentiert und versucht, Akteure die eine nachhaltige Transformation begünstigen, durch Sichtbarkeit zu stärken. Eine Reihe von spezialisierten Medien, wie das enorm-Magazin, Perspective Daily oder die klimareporter pflegen diesen journalistischen Ansatz bereits. Von strategischer Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit grenze sich der Transformative Journalismus jedoch dadurch ab, dass er institutionell und mental unabhängig von den Akteur*innen des Wandels agiere, so Dr. Uwe Kröger, Medien- und Kommunikationswissenschaftler an der Universität Leipzig. Neutral ist Transformativer Journalismus demnach zwar nicht, aber objektiv kann und soll er durchaus sein. Wichtig für die Legitimation einer solchen Berichterstattung sei ein allgemeines Bewusstsein, dass das Herstellen von Öffentlichkeit für jegliche Themen oder Akteur*innen immer ein politischer Akt und nie wertfrei sei, meint Kröger. Dies gilt auch, wenn die ARD vor der Tagesschau die „Börse vor acht“ sendet oder ein konstruktiv-transformatives Format namens „KLIMA vor acht“. So nennt sich eine Initiative die eine “Primetime fürs Klima” fordert, in der regelmäßig und wissenschaftlich fundiert über die Klimakrise berichtet werden soll. Bisher wurde die Sendezeit von den öffentlich-rechtlichen Sendern jedoch nicht zur Verfügung gestellt. Pressesprecherin von KLIMA vor acht, Friederike Mayer, sagt zu dieser Entscheidung: “Man könnte spekulieren, ob es daran liegt, dass diese Idee von außen an den Sender herangetragen wurde oder ob es daran liegt, das Klimaberichterstattung oft noch, fälschlicherweise, als “grünes” Thema gesehen wird bzw. parteipolitisch verknüpft wird und sich die Sender deswegen scheuen so ein Format umzusetzen. Ich persönlich denke, dass die Dimension der Krise, mit der wir es hier zu tun haben, von den öffentlich-rechtlichen bis heute noch nicht richtig verstanden wurde. Denn hätten sie das verstanden, wäre es eigentlich gar keine Frage, dass so ein Format entwickelt wird und auch auf einem prominenten Sendeplatz läuft.” Einen kleinen Erfolg konnte die Initiative jedoch kürzlich verzeichnen, als der TV-Sender RTL bekannt gab, dass immer donnerstags und samstags auf die Hauptausgabe von „RTL Aktuell“ ein „Klima Update“ folgen werde. In den 90 Sekunden informieren die Meteorologen Christian Häckl und Bernd Fuchs über Hintergrundwissen und Fakten zum Klimawandel sowie aktuellen Forschungsergebnissen. Bei der Premiere am 8. Juli sahen immerhin fast drei Millionen Menschen zu, erzählt Friederike Mayer: “Die Reaktionen auf das Klima-Update waren eigentlich durchwegs positiv. Wir haben uns sehr gefreut, das mit RTL ein privater Sender unsere Idee aufgegriffen hat und wir freuen uns natürlich auch über die Reichweite, die ein solches Format über einen prominenten Sendeplatz bekommen hat. Grundsätzlich würden wir uns natürlich ein etwas längeres Format wünschen und auch Eins, das täglich ausgestrahlt wird, aber es ist auf jeden Fall ein guter Anfang.” 

Der Mehrheit der Journalist*innen, die sich dem Transformativen Journalismus zugehörig fühlen, liegt es wohl fern, ihr Publikum lediglich mit Horrorgeschichten zu alarmieren. Ganz im Gegenteil, geht es vielen, neben dem Anspruch der umfassenden Information, besonders um die Offenlegung von Handlungskorridoren. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit soll gestärkt werden – nicht nur auf individueller Basis, sondern auch hinsichtlich kollektiver Wirkmächte, die wir als Bürgerinnen und Bürger besitzen. Was viele der Publikationen in diesem Feld auszeichnet, ist, dass sie darauf hinweisen, dass auch Alternativen zum Status-quo existieren, dass es, je nach Perspektive, auch anders aussehen könnte. Von “Überzeugungsarbeit” oder gar einer Infantilisierung der Leser- oder Hörerschaft lässt sich in diesen Fällen wohl kaum sprechen. Vielmehr ist es ein Angebot – unter vielen. Denn das zeichnet auch eine plurale Medienlandschaft aus, dass sie Widersprüche und Ambiguitäten toleriert. Auch hinsichtlich der Art und Weise, wie Journalismus interpretiert wird. Darüber diskutiert und gestritten werden, darf gerne – im besten Fall bewirkt das nur, dass Journalist*innen und Medienschaffende am Ende ein noch besseres Verständnis von ihrer Arbeit erlangen – gesetzt den Fall, wir ziehen uns nicht in unsere sicheren “Blasen” zurück, sondern suchen den Austausch: “Also ich finde es gut, wenn es im Journalismus eine gewisse Vielfalt gibt, auch in den Rollenverständnissen. Es ist ja ok, dass es den Nachrichtenjournalisten gibt, der versucht keinerlei Subjektivität einfließen zu lassen. Aber diejenigen, die Journalismus anders machen, solange sie damit transparent umgehen, sind für mich genauso gute Journalisten.” 

Euch hat der Beitrag gefallen? Dann teilt ihn doch gerne mit euren Freunden oder Kolleg*innen. Außerdem freuen wir uns natürlich, wenn ihr Sinneswandel als Fördermitglieder unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle Infos zur Episode, Quellen und Links findet ihr wie immer in den Shownotes. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast! 

12. Oktober 2021

Carla Reemtsma: Ist die Klimabewegung zu elitär?

von Henrietta Clasen 23. August 2021

Carla Reemtsma, Pressesprecherin von Fridays For Future Deutschland, spricht nicht von Klimaschutz, sondern von “Klimagerechtigkeit” – also der Vereinbarkeit einer ökologischen und sozialen Transformation – die den Aktivist*innen besonders am Herzen liegt. Doch interessanterweise wird Carla und ihren Mitstreiter*innen von Fridays For Future immer wieder zum Vorwurf gemacht, die Bewegung selbst sei eine “Rebellion der Privilegierten”. Wie viel steckt tatsäch an dem Vorwurf, es handle sich bei den Klimaaktivist*innen vor allem um weiße Akademiker*innen-Kinder? Und, kann Netzaktivismus vielleicht dabei helfen, den Protest zugänglicher zu machen?

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos erhaltet ihr hier.

► Ihr findet Carla auch auf Twitter.
► Am 24. September ist globaler Klimastreik von Fridays For Future .
► Ifo: “Wie fair ist die Energiewende? Verteilungswirkungen in der deutschen Energie- und Klimapolitik” (06/21).
► taz: “Spritpreis ist sozialer als sein Image” (06/21).
► Der Gradmesser Klimapodcast des Tagesspiegel: “Kluger Klimaschutz schafft soziale Gerechtigkeit” (06/21).
► Clemens Traub “Future For Fridays? ​​Streitschrift eines jungen „Fridays for Future“-Kritikers” (02/20).
► taz: “Diversität beim Klimaprotest: Zu jung, zu weiß, zu akademisch” (12/19).
► taz: “Nominierte 2020: Black Earth Kollektiv: Klimagerechtigkeit intersektional denken”.
► Maik Fielitz und Daniel Staemmler: “Hashtags, Tweets, Protest? Varianten des digitalen Aktivismus”, Forschungsjournal Soziale Bewegungen (2020).

Kontakt:
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Transkript: Carla Reemtsma – Ist die Klimabewegung zu elitär?

“Wer sich nach einem 40-Stunden Tag als alleinerziehende Mutter noch um Kinder kümmern muss und wo das Einkommen nicht immer 100pro gesichert ist, hat erstmal andere Prioritäten in seinem Alltag, als sich politisch zu engagieren.”

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

*Werbung*: Diese Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Online bestellen ist bequem. Aber wie nachhaltig ist der Versand eigentlich? OTTO legt besonderen Wert darauf, dass die Retourenabwicklung CO2-schonender wird. Durch sorgfältige Prüfung können mittlerweile 95% aller Retoure-Artikel wieder aufbereitet und weiterverkauft werden, anstelle einfach entsorgt zu werden. Damit Retouren im besten Fall erst gar nicht entstehen, erhalten Kund*innen bei OTTO bereits vorab kompetente Beratung beim Einkauf, damit sie bewusstere und damit nachhaltigere Entscheidungen treffen können. *Werbung Ende*

Als im Juni diesen Jahres die Grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ankündigte, die Spritpreise müssten bis 2023 schrittweise um 16 Cent pro Liter Benzin erhöht werden, war die Empörung groß: “Unsozial! Überheblich! Den kleinen Leuten werde in die Tasche gegriffen”, hieß es. Klimaschutz dürfe kein Privileg der Besserverdiener*innen werden.

Mal ganz unabhängig davon, dass die Bundesregierung ihrerseits schon längst beschlossen hatte, dass Benzin teurer werden müsse – auch SPD und Union stimmten dem zu – ist die Aufregung um die Frage nach der Vereinbarkeit von nachhaltiger Klimapolitik und sozialer Gerechtigkeit alles andere als neu – und nicht ganz unberechtigt. Denn Klimapolitik kann durchaus die soziale Ungleichheit vergrößern. Wissenschaftler*innen sprechen dann von sogenannten “negativen Verteilungseffekten”. Bedeutet, Klimaschutzinstrumente, wie eine CO2-Bepreisung, belasten zunächst Geringverdienende stärker als wohlhabende Haushalte. Hinzu kommt ein Stadt-Land-Gefälle: Wer in Großstädten, wie Berlin oder Hamburg mit einem relativ gut ausgebautem öffentlichen Nahverkehr lebt, ist nicht notwenigerweise auf ein eigenes Auto angewiesen, und daher auch oft weniger von steigenden Spritpreisen betroffen. Ganz im Gegensatz zu Menschen, die auf dem Land wohnen, wo vielleicht zwei Mal am Tag ein Bus vorbeikommt – wenn überhaupt.

Klingt erstmal wie ein klassisches Dilemma – die Sache lässt sich allerdings lösen, wenn man sie einmal genauer betrachtet: Um negativen Verteilungseffekten entgegenzuwirken, darf Klimapolitik nämlich nicht isoliert gedacht werden, vielmehr muss sie in einen umfassenderen, Politikansatz eingebettet werden. Gelingt das, kann sie sogar zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sprich positiven Verteilungseffekten, führen. Das hat auch eine Gruppe von Wis­sen­schaft­le­r*in­nen des Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) erst im Juni diesen Jahres in einer Studie festgestellt. Darin heißt es: „Ein CO2-Preis als Aufschlag auf den Spritpreis, bei dem die kompletten Einnahmen in eine einheitliche Pro-Kopf-Rückerstattung fließen, ist mit Abstand die fairste Form von Klimaschutz im Verkehrssektor“. Also das, was die Grünen fordern, nämlich ein sogenanntes „Energiegeld“ in Höhe von jeweils 75 Euro, das an jede Bürgerin und jeden Bürger aus den staatlichen Steuereinnahmen ausgezahlt wird. Ein solcher Sozialausgleich hätte den Berechnungen der Wissenschaftler*innen nach zur Folge, dass nur das reichste Fünftel draufzahlt – die ohnehin statistisch gesehen den höchsten CO2-Verbrauch haben. Der Rest würde genauso viel oder sogar mehr zurückerhalten, wie er oder sie das Jahr über gezahlt hat. Könnte damit also das gern gebrachte Argument, Gesetze und Verbote seien zwar weniger effektiv als eine CO2-Bepreisung, aber dafür zumindest sozial gerecht, als widerlegt angesehen werden? Energieökonomin Claudia Kemfert sprach sich im Klimapodcast des Tagesspiegels „Der Gradmesser“ jedenfalls fürs eine solche Taktik aus: “Kluger Klimaschutz ist nicht nur etwas für sogenannte Eliten, sondern er schafft im Gegenteil soziale Gerechtigkeit”. Aktuell zahlen für Umwelt- und Klimaschäden am wenigsten die Verursacher*innen, sondern vor allem die Steuerzahlenden. Deshalb brauche es endlich wahre Kostentransparenz. Die Ideen, so Kemfert, lägen bereits auf dem Tisch, es hapere nur an der Umsetzung. 

Apropos Umsetzung, das ist es auch, was die Aktivist*innen von Fridays For Futurevon Beginn an, seit ihren ersten Demonstrationen 2019 fordern. Eine unter ihnen ist die heute 23-jährige Carla Reemtsma. Neben ihrem Studium der Ressourcenökonomie in Berlin, ist sie bundesweite Sprecherin von Fridays For Future Deutschland – vielleicht ist es aber auch eher andersherum, wenn man bei ihrem Einsatz einmal Bilanz ziehen würde. Sie ist von Anfang an mit dabei und trommelt, bewegt von der Rede Greta Thunbergs auf der UN-Klimakonferenz in Katowice 2018, eine Gruppe Menschen zusammen, die schließlich die Fridays For Future Münster gründen: 

“Für mich gibt es nicht den einen Moment der mich für Klimagerechtigkeit und den Aktivismus politisiert hat. Es war vielmehr eine Abfolge von: man trifft seine ersten Konsumentscheidungen, stellt dann fest “Hey, meine Uni investiert Millionen in RWE Aktien”, dann stand ich vor dem Tagebau Hambach in dem rheinischen Braunkohlerevier, wo ein Loch im Boden ist das 300 Meter nach unten geht – man sieht das Ende gar nicht – und das alles für einen Energieträger, der der dreckigste der Welt ist und der die Klimakrise immer weiter anfeuert. Da dachte ich zum ersten Mal, dieser doch etwas pathetisch wirkende Satz “wir beuten unseren Planeten aus”, hat vielleicht einen wahren Kern. Dann aber auch immer andere Aktivist*innen und Aktionen, die wir organisiert haben, haben einen immer weiter politisiert und haben dafür gesorgt, dass ich Aktivistin bin und für Klimagerechtigkeit kämpfe und das auch weiter tue.”  

Carla spricht nicht von Klimapolitik oder Klimaschutz, sondern von “Klimagerechtigkeit” – also der Vereinbarkeit einer ökologischen und sozialen Transformation. Doch interessanterweise wird ihr und ihren Mitstreiter*innen von Fridays For Future immer wieder zum Vorwurf gemacht, die Bewegung selbst sei eine “Rebellion der Privilegierten”. So bezeichnet sie zumindest Clemens Traub. Der 24-jährige Politikstudent aus Karlsruhe, selbst ehemaliger Fridays For Future Aktivist und heute Mitglied der SPD, brachte im vergangenen Jahr, wie er selbst sagt, „die erste Streitschrift in Deutschland eines Jugendlichen selbst über die Klima-Bewegung“ heraus. Seine These darin: Die Fridays For Future Aktivist*innen treiben die soziale Spaltung der Gesellschaft aktiv voran: Auf der einen Seite die gebildeten “Klima-Eliten” – auf der anderen Seite die “Umweltzerstörer”. “Wo ist der Raum für differenzierte Zwischentöne und einen sachlichen Meinungsaustausch?”, fragt Clemens Traub. Klimapolitik müsse sozial gerecht sein. Wer hingegen den gesellschaftlichen Zusammenhalt riskiere, der wird, so Traub, die Welt nicht retten. Doch  wie viel steckt dran, an dem Vorwurf, die Fridays For Future Bewegung sei elitär und bestehe vor allem aus Akademiker*innen-Kindern? Clemens Traub positioniert sich in seinem Buch unmissverständlich: “Das typische Milieu der meisten Fridays-for-Future-Demonstrant*innen kenne ich gut. Es ist in gewisser Weise mein eigenes und das meines jetzigen Freund*innenkreises: großstädtisch, linksliberal, hip. Ärzt*innentöchter treffen darin auf Juristen*innensöhne. Gin-Tasting und Diskussionen über plastikfreies Einkaufen und Zero Waste stehen nebeneinander auf der Tagesordnung. Veganismus zählt ebenso zum unausgesprochenen Kodex des Hip-Seins wie der Einkauf im Secondhandladen. Und der Bioladen um die Ecke wertet die Lage der eigenen Wohnung selbstverständlich auf. Akademiker*innenkinder bleiben unter sich. Ein Querschnitt der Gesellschaft also, den die Klimaproteste abbilden? Weit gefehlt!” 

Und auch die taz titelte bereits im Dezember 2019: “Zu jung, zu weiß, zu akademisch” – mangelnde Diversität beim Klimaprotest! Laut dem Institut für Protest- und Bewegungsforschung (IPB), die während des globalen Klimastreiks im März 2019 Umfragen durchführten, gaben 92 Prozent der Befragten an, mindestens Abitur gemacht zu haben oder einen höheren Bildungsgrad zu besitzen oder diesen anzustreben. Die meisten verorten sich im linken Spektrum. Menschen mit Migrationsgeschichte waren eher unterrepräsentiert – im europäischen Vergleich sei die Bewegung aber, so das Forschungsinstitut, “sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung der Teilnehmer*innen als auch in der Einschätzung von Lösungswegen heterogener als der gemeinsame Rahmen vermuten lässt.” Clemens Traub, der selbst eine Zeit lang bei FFF aktiv war, will von dieser Heterogenität jedoch nichts gemerkt haben: “Die Bewegung war von Anfang an viel zu homogen, viel zu elitär und entsprechend viel zu abgehoben, als dass sie dies selbst überhaupt auch nur bemerkt hätte. Nur wem es materiell gutgeht, der hat letztlich die Zeit und auch die Muße, den Klimaschutz als das persönlich wichtigste und auch einzige politische Thema unserer Zeit zu betrachten und ihm alles andere unterzuordnen.”

Pressesprecherin von FFF, Carla Reemtsma, kennt diese Kritik und verschließt sich keinesfalls vor ihr, merkt aber auch an: “Fridays For Future stellt insgesamt keinen Querschnitt der Bewegung dar. Es stimmt, dass viele Leute aus dem bürgerlichen Haushalt kommen, aber wir sind, nichtsdestotrotz, sehr breit aufgestellt. Gerade was Stadt- und Land-Herkunft angeht. Natürlich sind wir in großen Städten größer, das ergibt sich aus der Größe der Städte, aber wir sind in 600 bis 700 Orten in Deutschland präsent – das sind dann nicht alles nur Millionenstädte. Ich glaube soziale Herkunft kann eine Rolle spielen, ob man sich aktivistisch aktiviert. Sie ist oft der allererste Grund sich zu politisieren. Wer als POC Rassismus erfährt, kann sich daran politisieren und das als ersten und wichtigsten Kampf für sich finden. Wer ein geringes Einkommen hat und unter schlechten Arbeitsbedingungen arbeiten muss, hat da vielleicht seinen ersten politischen Moment. Ich glaube nicht, das grundsätzlich politisches Engagement abhängt von der sozialen Herkunft, sie kann es aber schwerer machen. Wer sich nach einem 40-Stunden Tag als alleinerziehende Mutter noch um Kinder kümmern muss und wo das Einkommen nicht immer 100pro gesichert ist, hat erstmal andere Prioritäten in seinem Alltag, als sich politisch zu engagieren. Wer Zugang zu Bildung hat, ein geregeltes Einkommen – für den ist es häufig leichter. Nichtsdestotrotz glaube ich nicht, dass es ein ausschlaggebendes Merkmal ist, und in unserem Aktivismus ist immer ganz wichtig, dass Kämpfe, die für eine gerechte und lebenswerte Welt für alle kämpfen, zusammenzubringen. Deswegen sprechen wir auch von “Klimagerechtigkeit” und nicht von “Klimaschutz”. Klimagerechtigkeit als ein Kampf, ein Protest der in der Zukunft nicht auf Kosten von Minderheiten gemacht wird, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das heißt, dass soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit, aber auch antirassistische Forderungen miteinander einhergehen. Das wir die Revolution nicht nur durch E-Autos, sondern durch kostenlosen, öffentlichen Nahverkehr machen. Dass wir den Fortschritt in Richtung Klima nicht nur durch einen CO2-Preis machen, wo sich reiche Menschen immer noch vieles leisten können und soziale Ungerechtigkeiten verstärken, sondern gleichzeitig ein Angebot für alle schaffen.”

Die Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen heißt die Proteste der Fridays-Bewegung zwar gut und sieht deren Bemühungen um Inklusivität, ihr reicht das aber dennoch nicht, weshalb sie sich mittlerweile bei dem Berliner BIPoC-Klimakollektiv „Black Earth“ engagiert, mit dem sie vor allem auf die untrennbare Verbindung von Kolonialismus, Rassismus und der Klimakrise aufmerksam machen. Eine der Gründer*innen, Samie Blasingame, sagte in einem Interview mit der taz: „In der [Klima-]Bewegung wird zu wenig über historische Ungerechtigkeiten gesprochen“. Deshalb hätten sie als Kollektiv beschlossen, “stets zu mindestens drei Vierteln aus BIPoC und zu mehr als der Hälfte aus FLINT* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binären und trans Personen) zu bestehen.” 

Grundsätzlich widersprechen, tun sich die Bewegungen nicht – das Anliegen von Imeh Ituen und dem “Black Earth” Kollektiv zeigt nur abermals, wie essentiell der interkulturelle und Milieu-übergreifende Austausch ist – auch im Klimaprotest. Selbst Autor Clemens Traub sieht in diesem Punkt Hoffnung: “Mehr Vielfalt könnte zu einer großen Chance für Fridays for Future werden: […] Ein neues bodenständigeres Auftreten könnte aus [ihnen] endlich eine Bewegung aus der Mitte unserer Gesellschaft machen. Eine einfühlsame Bewegung. Nicht nur für unseren Planeten, sondern vor allem auch für die Menschen, die auf ihm leben!”

Doch gerade online, wo der Protest, nicht nur von Fridays For Future, Corona-bedingt in den vergangenen Monaten hat hauptsächlich stattfinden müssen, macht diesen Austausch nicht gerade leichter. Einerseits ließe sich natürlich vermuten, dass Cyberaktivismus die Zugangsbarrieren herabsetze, da das Internet ein relativ leicht zugänglicher Ort ist. Außerdem ist Protest online häufig vergleichsweise günstig – auch ein Vorteil. Auf der anderen Seite jedoch, fehlt etwas ganz Essentielles: die Lebensrealität. Die Begegnung im analogen Raum, von Angesicht zu Angesicht. Die Präsenz, mit der auch Emotionen frei werden, die eine Verbindung ohnegleichen zwischen Menschen herstellen können. Nichtsdestotrotz hält auch Carla Reemtsma den Protest im Netz, insbesondere in den Sozialen Medien, für unerlässlich – auch, wenn er die Straßenaktionen nicht ersetzen kann:


“Sich online auf Social Media zu engagieren, ist eine mögliche Form des Aktivismus. Ich glaube, Social Media ist unglaublich wichtig in modernen Zeiten. Einerseits für Debatten, die geführt werden, wo Leute gehört werden, die sonst vielleicht weniger Aufmerksamkeit in traditionellen Medien finden – was natürlich auch seine Schattenseiten hat, wenn wir uns populistische Diskurse angucken. Es ist ein Ort, wo sich Leute einfach zugänglich bilden können über politisch Themen, die weniger Aufmerksamkeit finden. Sei es Rassismus, die Klimakrise, sei es Feminismus – diese Themen können dort besprochen werden, aber es ist eine Form. Es ist genauso valide sich zu engagieren und das nicht auf Social Media darzustellen, genauso wie ich glaube, dass Aktivismus, der “on the ground” stattfindet und immer Leute mitnimmt und Aktionen organisiert, doch noch wichtiger ist und das ist, was wir brauchen, um politisch etwas voranzubringen. Social Media kann eine Multiplikator*innen Wirkung haben, es kann für einen selbst gerade in diesem Bildungsaspekt sehr wichtig sein, und ich glaube, dass es für wirksamen Aktivismus immer den Druck von der Straße braucht.”

Zu diesem Ergebnis kamen auch der Protestforscher Daniel Staemmler von der Berliner Humboldt Universität und Maik Fielitz vom Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in ihrer Studie: “Protestformen online und offline sind längst verknüpft, man sieht das jetzt durch die Krise nur stärker, weil der übliche Demobetrieb wegfällt. Was sich ändert, sind die Plattformen, auf denen sich das vollzieht”, so Staemmler im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Die Forscher sind der Auffassung, dass die Zukunft des Netzaktivismus davon abhänge, “die Leute von einer Plattform auf andere zu bringen, wo sie sich intensiver mit den Inhalten auseinandersetzen können”, um die Kraft dann auf die Straße zu tragen. “Dieses Gemeinschaftsgefühl erleben zu wollen, mit allem, was dazugehört, statt nur ein paar Posts zu teilen, das wird nicht verloren gehen. Ich glaube, es könnte sogar noch an Bedeutung gewinnen”, ergänzt Fielitz. Kein unwahrscheinliches Szenario, gerade nach der langen Pandemie-bedingten analogen Protestpause – vielleicht spielt das ja Bewegungen wie Fridays For Future, sobald Straßenaktionen wieder unbedenklich möglich sind, in die Karten. Es wird sich zeigen.

Vielen Dank fürs Zuhören. Wie ihr wisst, ist es unser Bestreben, möglichst unabhängig und werbefrei produzieren zu können. Das müssen wir uns allerdings auch leisten können. Daher, wenn ihr Sinneswandel gerne hört, freuen wir uns, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle Infos zur Episode, Quellen und weiterführendes Material findet ihr, wie immer in den Shownotes. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast! 

23. August 2021

Jakob Blasel: Sind Politik und Aktivismus (un)vereinbar?

von Henrietta Clasen 10. August 2021

Die jungen Menschen, nicht selten werden sie als “politikverdrossen” bezeichnet – aber stimmt das? Sind es nicht gerade die nachkommenden Generationen, die immer wieder an Politiker*innen appellieren, wenn es um die Einhaltung der Pariser Klimaziele geht? Einer dieser jungen Menschen ist Jakob Blasel. Bereits mit 17  begann seine aktivistische Laufbahn, innerhalb weniger Jahre ist er zu einem der Gesichter von Fridays For Future Deutschland geworden. Heute, drei Jahre später, zieht er von der Straße in den Bundestag. Wir haben mit Jakob darüber gesprochen, wie es zu dieser Entscheidung kam. Stehen Aktivismus und Politik im Konflikt miteinander oder könnten sie gar eine Synthese bilden?   

Shownotes:

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Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos erhaltet ihr hier.

Quellen:

►Tagesspiegel: Vom Marsch auf der Straße zum Marsch durch die Institutionen (25.09.2020).
►Bayerischer Rundfunk: Politik statt Protest (06.02.21).
►Tagesschau: Partei statt Straße? (03.07.21).
► die Welt: Ein Klimaaktivist auf dem Marsch in die Institutionen (15.09.20).
► Der Spiegel: Gehört Fridays for Future auf die Straße – oder in den Bundestag? (24.06.21).
►Die Zeit: Kompromisse funktionieren bei der Klimakrise nicht (25.09.20).
►Die Zeit: Grünen Basis will auf Parteitag höheren Co2 Preis durchsetzen (09.06.21).
► Scientists For Future: Die Flutkatastrophe im Juli 2021 in Deutschland und die Klimakrise – eine Stellungnahme von Wissenschaftler:innen der Scientists for Future (22.07.21).
►  Karl R. Popper: Das Elend des Historizismus. 4. Auflage. Mohr, Tübingen,( ISBN 3-16-532721-1) , S. 7. (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften. Band 3) (1974).

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✉ redaktion@sinneswandel.art
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Transkript: Jakob Blasel: Sind Politik und Aktivismus (un)vereinbar? 

“Alle Menschen, die sagen, den nötigen Wandel werden wir nicht im Parlament schaffen – ja, wo denn sonst? Es darf nicht scheitern. Ohne, dass ich garantieren kann, dass es klappt – ich werd alles dafür geben.”

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

*Werbung*: Wie auch letzte Episode wird die heutige unterstützt von OTTO. In der letzten Episode haben wir berichtet, wie diese ihre Retouren aufbereiten. OTTO versucht aber auch, Retouren im Vorfeld zu vermeiden, etwa durch Online-Videos für Produkte oder persönliche Beratung von Produktexperten über Telefon, WhatsApp, E-Mail oder SMS als zusätzliche Hilfe bei der Kaufentscheidung. Es ist wichtig, dass Unternehmen ihre Recycling-Strukturen optimieren, als auch, dass wir als Verbraucher*innen möglichst bewusste Entscheidungen treffen. *Werbung Ende*

Die jungen Menschen – nicht selten werden sie von älteren Generationen als “politikverdrossen” bezeichnet. Starren angeblich den lieben langen Tag auf Smartphones oder präsentieren die neuesten Dance-Moves ihrer TikTok-Community. In Parlamenten, als Anwärter*innen für politische Posten, da sucht man sie vergeblich. Aber stimmt das? Sind es nicht gerade die nachkommenden Generationen, die immer wieder an Politiker*innen appellieren, insbesondere, wenn es um die Einhaltung der Pariser Klimaziele geht? Oder hat das nichts mit Politik zu tun, ist “nur” Aktivismus? Und, wer junge Menschen als “politikverdrossen” bezeichnet, sollte der sich nicht vielleicht auch fragen, ob es dafür nicht gute Gründe gibt? Ob Politik, wie sie bislang gemacht wird, noch zeitgemäß ist? Sicherlich werden die Entscheidungen, die in Parlamenten getroffen werden, nicht mit dem Tempo und den Forderungen vieler Aktivist*innen mithalten zu können, aber nur, weil etwas schon immer so oder so gehandhabt wurde, muss es noch lange nicht für immer so bleiben. So sehen es zumindest einige jener Aktivist*innen, die sich in den vergangenen Monaten und Jahren dazu entschlossen haben, die Seite zu wechseln, von der Straße in die Reichstagskuppel zu ziehen. Einer von ihnen ist Jakob Blasel. Bis vor kurzem noch einer der führenden Köpfe hinter der deutschen Fridays For Future Bewegung. Aber damit ist jetzt erstmal Schluss! Ariane, aus der Sinneswandel Redaktion, hat Jakob gefragt, was ihn zu dieser Entscheidung bewogen hat. Ob er das Gefühl hat, in der Politik mehr bewirken zu können, als auf der Straße. Und, ob Aktivismus und Politik überhaupt im Konflikt miteinander stehen, einen Gegensatz bilden oder, ob sie nicht gar eine Synthese bilden könnten.

Es ist der 25.01.2019, vor dem Bundeskanzleramt versammeln sich mehr als 10.000 junge Menschen aus ganz Deutschland. Der Wind pfeift an diesem Wintertag durch die Straßen Berlins, doch das Regierungsviertel ist erfüllt von Stimmengewirr und entschlossenen Gesichtern. Am Tag der Aushandlung des Kohlekompromisses fordern die Protestierenden, angesichts der enormen Auswirkungen der Klimakrise, eine engagierte Klimapolitik der Bundesregierung und den Kohleaustritt bis 2030. Zu ambitioniert, zu unrealistisch seien diese Forderungen, heißt es von den Politer*innen: 2038 wird schließlich als Datum für das Ausstiegsabkommen festgelegt – aus Sicht von Fridays For Future ein Kompromiss  gegen die Zukunft. Unter den Demonstrierenden ist auch Jakob Blasel. Der 19-jährige Schüler, zu dieser Zeit Sprecher von Fridays For Future Deutschland, hatte bereits 2018 in Kiel eine der ersten großen Demonstrationen der Bewegung mitorganisiert. Politisiert durch die Klimakrise und die, in seinen Augen, ungenügende Reaktion der deutschen Bundesregierung, tritt er 2017 Greenpeace und der Grünen Jugend bei. Nur zwei Jahre später, 2019, ist Jakob zu einem der bekanntesten Gesichter der jungen Klimabewegung in Deutschland geworden. Aber das allein, scheint nicht sein Ziel gewesen zu sein. 

Gut ein Jahr später, am 24. August 2020, twittert Blasel: “Der nächste Bundestag ist der Letzte, welcher die benötigten Gesetze für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziel noch beschließen kann. Wir dürfen keinen Weg unversucht lassen, um diese dort umzusetzen. Deswegen will ich 2021 für die Grünen in den Bundestag einziehen. […] Wir brauchen Leute in den Parlamenten, die – für eine gerechte Welt, für die Interessen meiner Generation und für konsequentes Einhalten von Paris kämpfen. Das kann ich nicht alleine – aber ich kann anfangen.” Ein Tweet, der nicht unkommentiert bleiben wird. Neben viel Zuspruch in der Kommentarspalte, titelt die FAZ wenige Tage später: “Fridays for Future verliert Aktivisten an die Politik” und stellt damit die Frage in den Raum, ob es sinnvoll ist, den Protestmarsch auf der Straße gegen den durch die parlamentarischen Institutionen einzutauschen. Jakob ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit gut zwei Jahren Mitglied bei den Grünen. Allzu überraschend kommt diese Entscheidung also nicht. Doch was hat ihn letztlich davon überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist? Das Gefühl, im Parlament mehr bewegen zu können, als auf der Straße mit Fridays For Future?

“Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich im Bundestag mehr erreichen kann, als bei Fridays For Future. Es ist mehr eine krasse Lücke, die ich gesehen habe. Wir haben wahnsinnig engagierte Leute bei Fridays For Future – ich sehe wie es immer mehr werden und wie nach Corona die Bewegung immer stärker wird. Und gleichzeitig, wenn wir in die Politik gucken, haben wir bei den Grünen auch sehr viel Wissen, wie wir die Klimakrise angehen und andere Parteien könnten zumindest auf das Wissen zugreifen. Die gesellschaftlichen Mehrheiten sind da, aber diese Zugkraft und dieser wirkliche Gestaltungs – und Veränderungswille fehlt in der Politik. Das finde ich total krass: wir haben die gesellschaftlichen Mehrheiten, wir haben die Wissenschaft und trotzdem ist so eine Trägheit und Angst vorhanden, während die Klimakrise immer weiter voranschreitet – und gerade weil es zeitlich so knapp ist – wir werden die Weichen in den nächsten vier Jahren stellen oder halt auch nicht – und das hängt alles an uns.  Deswegen braucht es Menschen in der Politik, die mit Elan und mit dieser Vermittlung von Dringlichkeit, die es in der Klimabewegung schon gibt, dass die auch endlich in der Politik ankommt. Das ist der Grund warum ich für den Bundestag kandidiere. Aber das ist nie ein Entweder-Oder, so wie das manche Medien hochsterilisieren wollen.” 

Wenn man Jakob zuhört, scheint es sich hier um ein Missverständnis zu handeln. Anstatt sich darauf zu beschränken das Parlament und die Regierung für ihre Untätigkeit zu verurteilen, sieht er die Chance vielmehr darin, genau diese Institution mit seiner Kandidatur von innen heraus mit zu verändern. Für Jakob steht fest, dass jene Entscheidungen, die, die von großer Tragweite sind, genau dort, im Parlament gefällt werden, ohne dass das den Aktivismus auf der Straße überflüssig machen würde. 

“Ehrlich gesagt, wenn ich nicht glaube, dass wir das im Parlament umsetzen können, dann würde ich ja auch nicht glauben, dass ich das über Proteste auf der Straße erreichen kann. Das darf kein Widerspruch sein. Alle Menschen, die sagen, den nötigen Wandel werden wir nicht im Parlament schaffen – ja, wo denn sonst? Das ist das zentrale Entscheidungsgremium. Da werden die Weichen gestellt. Es darf nicht scheitern. Das ist der Punkt. Ohne, dass ich garantieren kann, dass es klappt – ich werd alles dafür geben. Ich arbeite mich jetzt schon in die Strukturen von Parlament ein. Auch, wenn ich gar nicht weiß, ob ich in den Bundestag komme oder nicht. Aber ich arbeite jetzt erstmal so. Weil, wenn es klappt, dann möchte ich alles dafür tun, dass die nächste Regierung und der nächste Bundestag die Weichen dafür stelle, dass wir die Klimakrise eindämmen können.” 

Das bewerten allerdings längst nicht alle so, wie Jakob. Ein paar, wenn auch nur wenige seiner ehemaligen aktivistischen Mitstreiter*innen sehen den Weg in die Politik kritisch und halten den Protest auf der Straße für wirkungsvoller. Im Gegensatz zu Blasel, sieht Carla Reemtsma, Pressesprecherin von Fridays for Future Deutschland, die Grünen nicht als Partei, die ein “1,5-Grad -kompatibles Parteiprogramm” vorzuweisen hat. Im Interview mit Zeit Campus stellt sie klar: “Das Problem bei der Klimakrise ist: Politische Kompromisse funktionieren nicht. Es gibt keinen Mittelweg, es geht um die Frage: Schaffen wir es, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ja oder nein?” Auch Soziologe Klaus Hurrelmann äußert sich im Tagesspiegel eher skeptisch: “Für Fridays for Future ist Kompromissfindung Teufelszeug. Ihr Charakteristikum ist die absolute Forderung“, für ihn passt der Sprung einiger Aktivist*innen in die Parlamente nicht zum politischen Tagesgeschäft, das gerade von Kompromissen geprägt sei. Dies könne, so Hurrelmann, “nicht nur zu Spannungen bei den FFF führen, sondern vor allem innerhalb der Parteien, für die ehemaligen Aktivisten antreten.” Idealismus gerät in der Realpolitik nicht selten in die Mühlen der Diplomatie. Viele Nachwuchspolitiker*innen treten ihre Ämter mit hohen Erwartungen an sich selbst an, was sich positiv auf die Gestaltung des Parlaments auswirken kann. Zugleich könnte die erste Legislaturperiode für viele eine Art „Realitäts-Check“ werden. Auf der anderen Seite: Was die Realität betrifft, so ist diese längst nicht in Stein gemeißelt. Kontroverse und Dissens stellen vielleicht sogar den Kern einer jeden Demokratie dar. 

In Jakobs Worten steckt viel Elan, Zuversicht und eine große Portion Idealismus, die ihn als Aktivist bei Fridays For Future wohl auch dorthin gebracht hat – ganz an die Spitze, immer voran. Und das trotz Jura-Studium und Praktikum, das er “nebenher” noch absolviert. Aber wie weit bringt aktivistischer Elan im politischen Tagesgeschäft? Als Aktivist, in der Rolle der Opposition, lassen sich vermutlich radikalere Forderungen stellen, als im Parlament. Wie viel Idealismus lässt sich unter der Kuppel des Reichstags wohl bewahren?

“Wie viel Idealismus in den Bundestag passt? Ich muss ehrlich gesagt sagen, ich weiß es nicht – let’s find out. Ich denke das eher vom Ziel her – Klimapolitik müssen wir aus meiner Sicht immer idealistisch angehen. Wir haben ein, in Anführungsstrichen, “Idealbild” und das ist, das wir das 1,5-Grad Ziel nicht überschreiten. Wenn wir von Idealismus reden, dann implizieren wir ja, das alles andere auch irgendwie OK wäre und das ist bei der Klimakrise nicht so – wir müssen dieses Idealbild erreichen, wir müssen unsere gesamte Industrie und gesamte fossile Industrie innerhalb von 15 Jahren komplett über den Kopf werfen – in Deutschland in 15 Jahren, global in 20-25 Jahren. das ist eine total krasse Aufgabe und ehrlich gesagt müssen wir da am Ende landen – wir haben gar keine Wahl. Da ist, wenn man es so nennen will, Idealismus auf der Straße genauso naiv wie in der Politik, aber in der Politik auch nicht weniger naiv, als auf der Straße, weil letztendlich war es immer das, was wir bei Fridays For Future wollten – wir wollten, dass die Politik umsetzt was wir fordern. Und auch das ohne Kompromisse – es war nicht so, dass wir uns Idealziele ausgedacht haben, damit man sich am Ende auf irgendwas einigen kann, wir sind mit dem gekommen was nötig ist.”

Ob Jakob mit seinem Idealismus in der Politik Erfolg haben wird und in den Bundestag einzieht, steht noch in den Sternen. Die Mühlen der Politik laufen langsam und verfolgen andere Regeln. Schon jetzt musste Blasel eine herbe Niederlage einstecken, als er sich im Juni auf dem Grünen Parteitag für einen höheren CO2-Preis stark machte. Die Antwort lautete: Antrag abgelehnt. Die Parteispitze bleibt bei ihrem Vorschlag von 60 Euro ab 2023. Auch die 25-Jährige Wiebke Winter weiß, wie es sich anfühlt, in einer alteingesessenen Partei gegen Windmühlen zu kämpfen. Auch sie setzt sich für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ein. Allerdings nicht wie Jakob bei den Grünen – was vermutlich am naheliegendsten ist – sondern ausgerechnet bei der CDU, einer Partei, die nicht gerade dafür bekannt ist, Vorreiter im Klimaschutz zu sein. Gerade für die CDU sieht sie allerdings eine Chance, da die Klimafrage auch eine Wirtschaftsfrage und die CDU nun mal “die Wirtschaftspartei” sei, so Winter in den ARD tagesthemen. Also Klimaschutz ohne Kapitalismuskritik, könnte man sagen. Aber ganz gleich, ob in der CDU, bei den Grünen oder Fridays For Future, in einer Sache sind sich die meisten Klimaschützer*innen einig: Die Zeit drängt.

“Wir sehen das jetzt gerade in Kanada – da reichen wir an die 50 Grad, es brennen Ölbohrinseln im Meer – wir sind mitten in einer krassen Krise. Ich mache mir richtig Angst – wenn wir tropische Verhältnisse mitten in Stuttgart haben, dann ist das kein Joke mehr. Das ist krasse Realität, die Klimakrise. Und das was wir gerade erleben, ist nur ein kleiner kleiner Teil von dem, was noch bevorsteht, wenn wir jetzt nicht handeln. Wir müssen alle alles geben – alle, die sich gesellschaftlich beteiligen. Alle, die irgendwie das Gefühl haben, Einfluss zu nehmen – und sei es “nur”, auf eine Demo zu gehen. Aber am besten noch mehr politisch aktiv zu werden. Alle sind gefragt. Das ist eine ziemlich krasse Schicksalszeit gerade. Das hängt am Ende nicht an mir, ob ich was im Parlament erreichen kann – das hängt daran, dass wir gesellschaftliche Mehrheiten schaffen und sichtbar machen. Ob ich oder andere in der Politik was schaffen können – das hängt letztendlich an uns allen. Das darf nie hochgebauscht werden, dass es nur an Einzelnen liegt. Das war auch 2019 so, dass die Leute immer gesagt haben Greta Thunberg wird uns retten – das ist Bullshit. Niemand wird uns retten! Wir müssen alle alles dafür tun und aktiv werden. Ich bin total gespannt, ob das klappt. Ich kämpfe dafür in den nächsten Monaten und Jahren, aber ich hoffe, dass ich nicht der Einzige bin.” 

Jakobs eindringlichen Worte zeigen, es reicht nicht allein von außen auf Parteien Druck auszuüben, sondern um die zum Teil starren und adequierten Strukturen zu verändern, muss Politik auch von innen heraus transformiert werden. Das Reinrufen vom Rand, die Proteste auf den Straßen sind zentral, um Themen in der gesellschaftlichen Mitte und der politischen Arena zu positionieren – aber dann müssen sie dort auch institutionell verankert werden. Sven Giegold, Mitglied des Europaparlaments, der selbst ehemals als Aktivist bei der kapitalismuskritischen Bewegung Attac Deutschland aktiv war, sieht das sehr ähnlich: “FFF hat weltweit die Voraussetzung für den Klimaschutz verbessert, das hätte man aus den Parlamenten heraus nicht geschafft, das zeigt die Kraft einer Bewegung, aber ob dann wieder die richtigen Entscheidungen getroffen werden, das hängt davon ab, ob in den Institutionen auch Leute die gesellschaftliche Kraft aufnehmen”, so Giegold in einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk.

Eben dieses Ziel verfolgt auch die 2019 gegründete Partei Klimaliste, die nicht länger warten will, bis die etablierten Parteien mit dem Klimaschutz ernst machen. Über Direktkandidaten und -kandidatinnen will die Klimaliste auf kommunaler Ebene die Einhaltung des 1,5-Grad Ziels zur obersten Priorität machen. Entstanden ist die Partei aus einzelnen Graswurzelbewegungen, die sich aus Umweltschützer*innen und Wissenschaftler*innen zusammensetzen. Sie alle eint die Überzeugung, dass die etablierten Parteien das 1,5-Grad Ziel mit ihrer Politik nicht erreichen können und es daher ein Bündnis braucht, welches diesem Ziel höchste Priorität einräumt. Offiziell am 21. Juni 2021 gegründet, ist die Partei schon jetzt in fast allen Bundesländern lokal und regional vertreten. Wie Jakob, wollen auch sie “frischen Wind” in die deutsche Umweltpolitik bringen. Co-Vorsitzende Doris Vollmer betont in der Zeit, dass ihr Grundanliegen sei, die Klimabewegung zu stärken, dennoch so Kritiker, könne die Partei den Grünen wichtige Stimmen bei der Bundestagswahl kosten und somit eine konsequente Klimapolitik auf Bundesebene entgegen ihrer Bestrebungen untergraben. Fridays For Future distanzierte sich bereits vor der Landtagswahl in Baden Württemberg von der Klimaliste, obwohl sie doch einige Forderungen mit der Bewegung teilt. „Progressive demokratische Mehrheiten sind essenziell, um in den nächsten fünf Jahren den notwendigen Wandel zu tragen. Kleinstparteien wie die Klimaliste dürfen diese Mehrheit nicht aufs Spiel setzen“ , so Line Niedeggen, Sprecherin von Fridays For Future Heidelberg.

Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, welchen Einfluss die neue Partei auf Bundesebene haben wird. Der Trend hin zu mehr Parteipolitik auf Seiten aktivistischer Bewegungen, zeigt sich aber schon jetzt und wird die etablierten Parteien, aber vor allem die Grünen, unter Druck setzen, sich zu positionieren. Wird es eher ein politische Kompromiss, um für die gemäßigte Mitte attraktiv zu bleiben, oder schlagen sie einen radikaleren Weg ein, wie er von Aktivist*innen und der Klimaliste vorgezeichnet wird? Und die Frage bleibt, können wir uns angesichts der sich häufenden Naturkatastrophen, die laut Wissenschaftler*innen vom menschengemachten Klimawandel angetrieben werden, überhaupt einen gemäßigten Weg leisten? 

Das verheerende Hochwasser in Westdeutschland im Sommer diesen Jahres zeigt, der Klimawandel ist längst in Deutschland angekommen: “Erste Kipppunkte werden jetzt überschritten und Hitzerekorde gebrochen, Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage und wir unsere Zukunft. Politiker*innen, die weiter nur für den guten Ruf “Klimaschutz” betreiben, führen zu einem kompletten Versagen gegenüber meiner Generation. Wir können uns keine weiteren 4 Jahre Versagen leisten”, twittert Jakob bereits am 24. August 2020. Ein Konflikt zwischen Politik und Aktivismus stellt sich nicht, wenn wir die Frage der Klimaerwärmung als gesellschaftliche Frage anerkennen, auf die es, so Blasel, nur eine gesamtgesellschaftliche Antwort geben kann: zu Handeln, und zwar jetzt, bevor es zu spät ist. Dafür brauche es engagierte Menschen innerhalb und außerhalb staatlicher Institutionen. Denn, so Jakob, Greta allein wird uns nicht retten. Doch was bewegt Menschen, aktiv zu werden? Was mobilisiert sie, den Marsch auf der Straße oder durch die Parlamente zu wählen? Beide Wege sind mühselig, erfordern Zeit, Kraft und Ausdauer. Was kann Menschen motivieren, diese “Sisyphusarbeit” dennoch auf sich zu nehmen?   

“Erstmal müssen wir anerkennen, dass die aller aller meisten Menschen eine politische Meinung haben und die allermeisten Menschen auch Veränderung wollen –  in Deutschland und der Welt. Wenn wir schaffen wollen, dass diese dann auch aktiv werden – also von diesem “nicht zustimmen” oder von den Ideen, die die Leute haben – hinkommen wollen zu Protest und zu einem gewissen Gestaltungswillen – also zu einer gesellschaftlichen Mobilisierung – dann müssen wir erstmal eine Geschichte erzählen, warum überhaupt jetzt der richtige Zeitpunkt ist, wie wir was erreichen wollen und dann ist es eigentlich relativ simpel. Es geht dann darum, die eigenen Freunde mitzunehmen, die eigenen Bekannten und die bringen dann wieder ihre Freunde und Bekannte mit. Das ist letztendlich der Schlüssel – ich glaube das ist kein Hexenwerk. Wir müssen gemeinsam agieren und das immer wieder als eine höhere Mission, als nur unsere eigene Vision, erzählen. Bei Fridays For Future ging es zum Beispiel nie darum Fridays For Future groß zu machen, sondern es ging darum, die Klimapolitik der gesamten Regierung zu ändern und diese übergeordnete Geschichte müssen wir allen erzählen von denen wir erwarten, dass sie mit uns mitmachen. Was man da noch tiefer machen soll, weiß ich nicht. Die Methoden sind eigentlich klar, das entsteht vor allem aus einer Motivation und aus uns selber heraus.” 

Ob eine übergeordnetes Narrativ und Gestaltungswille allein, aus uns Aktivist*innen machen und damit die Krisen den 21. Jahrhunderts bewältigt werden, ist fraglich. Aber Hoffnung und eine Erzählung, wofür es sich lohnt zu kämpfen, ist sicherlich kein falscher Weg, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und aktiv die Zukunft mit zu gestalten. Ganz im Sinne Karl Poppers, der Aktivismus als “Die Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens” charakterisierte. In diesem Sinne, schreibt uns gerne unter redaktion@sinneswandel.art, was euch bewegt oder bewogen hat, aktiv zu werden. Könnt ihr Jakobs Entscheidung in die Politik zu gehen nachvollziehen, und was braucht es eurer Meinung nach, um den Weg in eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft zu gestalten? Wir sind gespannt!

Vielen Dank fürs Zuhören. Wie ihr wisst, ist es unser Bestreben, möglichst unabhängig und werbefrei produzieren zu können. Das müssen wir uns allerdings auch leisten können. Daher, wenn ihr Sinneswandel gerne hört, freuen wir uns, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle Infos zur Episode, Quellen und weiterführendes Material findet ihr, wie immer in den Shownotes. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast! 

10. August 2021

Carola Rackete: Wie radikal darf ziviler Ungehorsam sein?

von Henrietta Clasen 3. August 2021

Sie wisse, was sie riskiere und sei bereit für ihre Entscheidungen ins Gefängnis zu gehen, so Aktivistin Carola Rackete, die als Kapitänin der Sea-Watch 3 mit 53 libyschen Geflüchteten im Juni 2019, entgegen den Anweisungen des italienischen Innenministeriums, im Hafen von Lampedusa anlegte. Für die meisten wirkt ihr Verhalten mutig und tapfer, gar lebensmüde. Auch, wenn Racketes Geschichte durch die mediale Präsenz große Bekanntheit erfuhr, so ist sie bei weitem nicht die einzige Aktivistin, die sich gegen das Gesetze auflehnt und damit viel aufs Spiel setzt. Doch sind es Mut und Selbstlosigkeit allein, die Aktivist*innen wie Carola Rackete so weit gehen lassen?    

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos erhaltet ihr hier.

► Carola Rackete: “Handeln statt hoffen: Aufruf an die letzte Generation”. Droemer Knaur (2019).
► Ihr findet Carola auch auf Twitter.
► Rettet Menschenleben, indem ihr die zivile Seenotrettung Sea-Watch e.V. unterstützt!
► Auch hörenswert: Interview im Sinneswandel Podcast mit Erik Marquardt “Kann Solidarität grenzenlos sein? Über Hoffnung auf Europäische Lösungen und Menschlichkeit” (11/2020).

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: Carola Rackete: Wie radikal darf ziviler Ungehorsam sein?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

*Werbung*: Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Ganze 238.000 Tonnen CO2 wurden im deutschen Online-Handel 2018 für vermeidbare Rücksendungen ausgestoßen. Daher werden bei OTTO 95% aller OTTO-eigenen Retouren wieder aufbereitet, da sie neuwertig sind und wieder in den Verkauf gehen können. Lediglich 0,5% aller zurückgeschickten Artikel lassen sich nicht mehr als neuwertig verkaufen und werden dann an Firmen weitergeleitet, die sich auf den Verkauf sogenannter B-Waren spezialisiert haben. Und am besten ist es natürlich, wenn wir Retouren erst gar nicht entstehen lassen. *Werbung Ende*.

Es ist der 29. Juni 2019. Im Hafen von Lampedusa, der südlichsten Insel Italiens, geht eine Frau von Board eines Schiffes. Nicht irgendein Schiff und nicht irgendeine Frau. Es ist die damals 31-jährige Kapitänin und Aktivistin Carola Rackete, welche die Sea-Watch 3 verlässt – allerdings nicht allein. Mit ihr an Bord befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch 40 libysche Geflüchtete. Carola Rackete und ihre Crew hatten die Menschen am 12. Juni aus dem Mittelmeer geborgen, um sie vor dem Ertrinken zu retten. Also bereits 17 Tage, bevor die Sea-Watch 3 in Lampedusa anlegte – ohne Erlaubnis, denn die wurde den Seenotrettern von der italienischen Behörde verweigert. 

Doch anstelle sich von den Worten des damaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini einschüchtern zu lassen, beschließen Carola Rackete und ihre Crew, ungeachtet der Verweigerung der italienischen Behörde, dennoch einzulaufen. Nicht zuletzt, weil die humanitäre Lage an Bord der Sea-Watch 3 sich immer weiter zuspitzt. Da das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen bestimmt, dass Gerettete an einen sicheren Ort gebracht werden müssen, steht für Rackete fest: Sie werden im 250 Seemeilen entfernten italienischen statt dem libyschen Hafen, der nur 47 Seemeilen entfernten ist, anlegen – weil Libyen, wie auch die EU-Kommission erklärt, kein sicherer Ort für Schiffbrüchige sei. Entgegen den Anweisungen der Guardia di Finanza, die noch versucht das Anlegen zu verhindern, läuft die Sea-Watch 3 in der Nacht vom 29. Juni im Hafen von Lampedusa ein. Als die Kapitänin das Boot verlässt, wird sie nicht nur mit Applaus, sondern auch mit Beleidigungen der lokalen Bevölkerung empfangen. Der Kapitänin drohen nun im Zweifel bis zu 50.000 Euro Geldbuße sowie bis zu zehn Jahre Haft. Der Vorwurf lautet: Verweigerung des Gehorsams gegenüber Vollstreckungsbeamten, Leistung von Widerstand gegen ein Kriegssschiff sowie unerlaubtes Einfahren in italienische Hoheitsgewässer. Noch in derselben Nacht wird Carola Rackete verhaftet und unter Hausarrest gestellt, die Sea-Watch 3 beschlagnahmt. Salvini twittert derweil: „Mission erfüllt! Verbrecherische Kapitänin festgenommen, Piratenschiff beschlagnahmt, Höchststrafe für die ausländische Nichtregierungsorganisation.“

Sie wisse, was sie riskiere und sei bereit, für ihre Entscheidungen ins Gefängnis zu gehen, das hatte die Kapitänin bereits am Tag zuvor der taz in einem Interview gesagt. Für die meisten von uns wirkt dieses Verhalten mutig und tapfer, gar lebensmüde – nicht viele würden vermutlich ein solches Risiko eingehen. Zwar wurde am 19. Mai 2021, also fast zwei Jahre danach, das Verfahren gegen Carola Rackete eingestellt – es hieß, die Kapitänin habe mit ihrem Vorgehen ihre Pflicht erfüllt, weshalb das Anlegemanöver nicht als Widerstand gegen ein staatliches Schiff eingestuft werde –  doch dieser Ausgang war keineswegs sicher. Was also hat Carola Rackete dennoch dazu bewogen, dieses Risiko einzugehen? Auch, wenn ihre Geschichte durch die Präsenz in den Medien eine große Bekanntheit erlangte, so ist sie bei weitem nicht die einzige Aktivistin, die sich gegen das Gesetz aufgelehnt hat und damit viel aufs Spiel setzte. Als “ziviler Ungehorsam”, wird der Protest auch bezeichnet, den Menschen im Namen der Gerechtigkeit austragen. Doch sind es Mut und Selbstlosigkeit allein, die Aktivist*innen wie Carola Rackete so weit gehen lassen?    

“Ich glaube, dass es sehr häufig einen Unterschied gibt, zwischen der innen Wahrnehmung und der Außenwahrnehmung so einer Aktion. Wo von außen vielleicht etwas als überraschend wahrgenommen wird, während es innerhalb der Leute, die informiert sind, schon vollkommen klar ist, was passiert. Das heißt, als ich 2019 als Kapitän der Sea-Watch 3 verhaftet wurde, war es so, dass mir natürlich zu Beginn dieser Reise klar war, dass es ein Strafverfahren geben würde. Dieses Strafverfahren ist nicht zufällig entstanden. Der Kapitän, der vor mir an Board war, hat eigentlich genau das gleiche gemacht wie ich, er ist aber unbekannt geblieben und hat auch ein Untersuchungsverfahren gegen sich laufen. Deswegen war es auch, auf Grund der politischen Situation, vollkommen klar, dass es bei mir ähnlich sein würde. Aktivismus erfordert, insbesondere, wenn es sich um Aktionen des zivilen Ungehorsams handelt, gute Vorbereitung. Und zwar sowohl im Inhalt bezüglich der Aktion, als auch juristisch und psychologisch. Man sollte sich wirklich bewusst sein, warum man etwas macht, warum man es wichtig findet und sollte möglichst nicht unbedacht in eine Aktion hineingehen. Ich möchte nochmal das Beispiel von Rosa Parks bringen, die ja selbst in Europa häufig bekannt ist. Sie war während des Civil Rights Movements eine Frau, die dafür bekannt wurde, dass sie als Schwarze Person im Bus saß und dann ihren Platz nicht hergeben wollte, obwohl weiße Fahrgäste zugestiegen sind und dann auch verhaftet wurde. Und in der Folge davon entstanden diese Montgomery Bus Boycotts – das heißt, die gesamte Busfirma wurde boykottiert in der Stadt. Diese Episode war ein wichtiger Teil in der Bürgerrechtsbewegung. Und viele Leute denken, dass Rosa Parks zufällig verhaftet wurde. Dass sie einfach an dem Tag, wo sie verhaftet wurde, in diese Situation geraten ist und sich dann entschieden hätte, nicht aufzustehen. Tatsächlich ist es aber so, dass Rosa Parks über Dekaden in der Bewegung für Rechte Schwarzer Menschen involviert war. Dass sie Training erhalten hat – sie war zum Beispiel am Highlander Institut – ein Institut, wo viele Aktivisten politisiert wurden, wo auch Martin Luther King und andere sehr bekannte Personen der Bürgerrechtsbewegung vor Ort waren und sich mit den Aktivisten fortgebildet haben. Den gleichen Protest hat sie schon einmal versucht und dabei kam es nicht zu einer Reaktion der Zivilgesellschaft. Das heißt, unser Bild von Rosa Parks heute ist sehr weichgespült. Wir sehen das als Zufall, wobei sie politisch organisiert war. Sie war gut vorbereitet, sie hatte Netzwerke und sie wusste ganz genau, was sie getan hat. Und das ist für heutiges politisches Handel, für Aktivismus, essentiell. Wir müssen uns vorbereiten. Wir sollten auf keinen Fall ohne gute Unterstützung in solche Aktionen hinein gehen.”

Was für Außenstehende also oft nach spontaner Aktion, nach mutigen und selbstlosen Held*innen aussehen mag, dahinter stecken in der Realität sehr viel öfter eine ganze Reihe von Menschen mit gut organisierten Strukturen und klar durchdachten Plänen. Bei Extinction Rebellion Deutschland, zu deren Unterstützerinnen auch Carola Rackete gehört, sind es beispielsweise über 110 Ortsgruppen, die eigenständig agieren, Aktionen planen und durchführen. Das Presseteam von Extinction Rebellion arbeitet hochprofessionell, es gibt Chat-Gruppen, die Journalist*innenen über geplante Aktionen informieren. Die Aktivist*innen agieren nicht incognito, sie suchen die Öffentlichkeit, haben sogar eigene Fotografen und Kamerateams dabei. Das können sich längst nicht alle, die aufbegehren und zivilen Ungehorsam betreiben, erlauben. Viele Aktivist*innen kennen wir gar nicht, so Rackete, da sie sich verstecken müssen, um nicht ihr Leben zu riskieren.

“Wichtig ist, dass wir uns unserer Privilegien bewusst sind, die wir als weiße Menschen in Europa haben. Wir sind in Ländern, in denen wir Aktivismus machen können, ohne große Gefahr für unsere Unversehrtheit erwarten zu müssen, wo wir großen Einfluss auf die Industrieländer, nämlich auf die Länder, wo Emissionen verursacht werden, wo die Hauptsitze von Firmen sind, die Übersee Ökosysteme zerstören. WIr haben viel mehr Möglichkeiten uns einzusetzen, als Menschen in anderen Ländern und diese Möglichkeiten müssen wir auch wahrnehmen. […] Ich glaube, dann können wir auch erkennen, dass wir in unserer Situation für Aktivismus gar nicht besonders viel Mut brauchen.” 

Und die Frage ist ja auch, ob Aktivismus immer radikal sein muss. Gerade viele der Aktionen von Extinction Rebellion gehen einigen zu weit. Obwohl ihr oberstes Gebot “strikte Gewaltfreiheit” heißt. Damit knüpft die Bewegung an eine Tradition zivilen Ungehorsams an, die Störungen öffentlicher Ordnung dann als legitim ansieht, wenn sich eine große Anzahl an Bürger*innen ungerecht behandelt fühlt. Radikal ist Extinction Rebellion nur in ihren Forderungen – wobei, sind die Aktivist*innen das wirklich? Ist es radikal, wenn man für das Überleben von Menschen und Umwelt protestiert, oder ist es nicht vielleicht sogar radikaler, einfach stur weiterzumachen wie bisher?

“Wir sind im sechsten Massensterben der Arten, das erste was von den industriellen Gesellschaften ausgelöst ist, wir sind in einer Klimakrise – es scheint immer noch so, dass trotz der ganzen Versprechen, die wir überall hören, die großen Konzerne eigentlich nicht wirklich irgendwo im nächsten Jahre ihre Emissionen ändern wollen. Wir steuern also immer noch auf irgendwas zwischen 3-5 Grad zum Ende des Jahrhunderts Erderwärmung zu, was natürlich überhaupt nicht kompatibel ist mit dem Überleben der Gesellschaft, wie wir sie kennen. Und wenn wir sehen, wie dramatisch diese Lage ist, dann ist eigentlich das einzig radikale weiter zu machen, als sei nichts gewesen. Und dann müssen wir uns natürlich fragen, was sind die Machtstrukturen, die es überhaupt ermöglichen, dass diese Art von gesellschaftlichem Leben und Wirtschaften einfach so weitergeht, obwohl sie ganz offensichtlich die Lebensgrundlagen für Menschen und auch nicht menschliche Wesen auf diesem Planeten komplett zerstört und das innerhalb weniger Dekaden. Wenn wir uns das vor Augen führen, welche katastrophalen Konsequenzen es hat, wenn wir nicht handeln, dann ist der Aktivismus auch überhaupt nicht mehr radikal, sondern schlicht notwendig. Es ist wichtig, dass wir uns als Zivilgesellschaft auf verschiedene Art und Weisen. Aber wir können nicht einfach, sehenden Auges, auf dieses Kliff zu laufen, das immer näher kommt, wenn wir nichts tun. Das heißt, der Aktivismus ist in dem Sinne nicht radikal, sondern das einzig Vernünftige. Aktivismus darf meiner Meinung nach radikal sein, denn es gibt natürlich viele verschiedene Möglichkeiten, Aktivismus zu machen – z.B. die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, wir sehen viele Bürgerinitiativen, Verkehrsinitiativen für Radwegeausbau – alles mögliche. Und all diese Initiativen sind wichtig und sollten uns in die Richtung gesellschaftlicher Transformation bringen, die wir brauchen, um die ökologischen- und auch sozialen Probleme, die immer mehr zunehmen, zumindest abzumildern. Allerdings ist die Radikalität wichtig, um den gesamten Diskurs zu verschieben. Das heißt, nur wenn wir Gruppen haben, die auch radikal sind, die z.B. zivilen Ungehorsam nutzen oder wie im Dannenröder Wald Bäume besetzen oder Autobahnen blockieren, dann können wir es schaffen, dass andere Teile der Gesellschaft sich auch weiter in diese Richtung bewegen und sich der Diskurs in diese Richtung verschiebt. Das heißt nicht, dass alle Menschen Bäume besetzen müssen, aber dass es wichtig ist, dass es immer eine radikale Seite einer zivilgesellschaftlichen Bewegung gibt.”

Ob nun radikal oder nicht, für Aktivistin Carola Rackete ist eines unausweichlich: dass wir Handeln. Denn das Nicht-Handeln hätte größere Konsequenzen für uns, werde deutlich teurer, als wenn wir jetzt energisch anpackten.

“Wir müssen mehr darüber nachdenken, was die Konsequenzen davon sind, wenn wir nicht handeln. Häufig sehen wir ja, was uns auch in den Medien präsentiert wird, die angeblichen Kosten von Klimaschutz – weniger wird uns präsentiert, was die Kosten sind, wenn wir gar keinen Klimaschutz machen – das die viel größer und dramatischer sind. Das ist glaube ich ein wichtiger Punkt, dass wir uns bewusst werden, dass auch, wenn wir uns politisch nicht einbringen, dass das Konsequenzen hat und, dass das auch eine Entscheidung ist. Und, dass diese Entscheidung nichts zu Tun oder sich nicht öffentlich zu Äußern, nicht Teil dieser Transformation zu werden, dass das gravierende Konsequenzen hat. Nicht nur für Menschen, die jetzt schon von der Klimakrise betroffen sind, sondern natürlich auch für uns selber. In Deutschland ist die Klimakrise schon spürbar und sie wird immer schlimmer und das wissen wir bereits.”

Aber was bedeutet es überhaupt zu Handeln? Und wie erweist es sich als wirksam? Für die Philosophin Hannah Arendt bedeutete Handeln, als die höchste Form des Tätigseins, immer auch politisches Handeln. In ihrem wohl bekanntesten Werk, „Vita Activa oder Vom tätigen Leben“, geht sie genauer darauf ein, was sie darunter versteht. Politisches Handeln unterscheidet sich bei ihr von „automatischen Prozessen oder zur Gewohnheit gewordenen Verfahrensweisen“, von einer „Welt, in der sich nichts ereignet“. Das politisch handelnde Subjekt allein, ist in der Lage, solche Prozesse zu unterbrechen, von ihm hängt es ab, ob der Raum der Pluralität als politischer Raum erhalten bleibt. Denn die Dinge sich selber zu überlassen, bedeutet, so Arendt, den Ruin von Zivilisation und Kultur. Dabei versteht die Philosophin politisches Handeln, nicht als die Machtergreifung Einzelner. Seit Plato, so Arendts Kritik, wurden Regierungssysteme als Herrschaftsformen verstanden, bei denen wenige über viele herrschen. Die Bestimmung von Politik als Handeln hebt diese Trennungen auf. Nicht Einzelne herrschen, sondern Menschen treten handelnd miteinander in Beziehung. Nichtsdestotrotz stellt politisches Handeln für Arendt keine moralische Verpflichtung, kein Opfer für die Aufrechterhaltung politischen Raums dar. Es ist vielmehr ein Impuls, der von Spontaneität und einer Lust am Handeln geleitet ist. Verantwortung sieht Arendt nicht nur als existenzielle Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit, sondern auch als eine Öffnung über die privaten Interessen hinaus in einer gemeinsamen Welt. Sie schreibt: “Verantwortung heißt im wesentlichen: wissen, dass man ein Beispiel setzt, dass Andere folgen werden; in dieser Weise ändert man die Welt.“

Doch eine Frage bleibt: Was befähigt uns Menschen, diesen Handlungsspielraum zu entdecken, uns der eigenen Selbstwirksamkeit bewusst zu werden? Und ist es ausreichend, wenn wir alle paar Jahre unseren Wahlzettel in die Urne werfen, oder geht politisches Handeln darüber hinaus?

“Jedes Handeln ist politisch. Aber ich glaube eine viel größere Frage ist, ob wir in der Zivilgesellschaft verstehen, dass wir noch viel mehr und auch absichtlich organisiert uns politisch einbringen müssen. In Deutschland und auch Europa wird die politische Debatte eher über Wahlen geführt – also die Aufgabe der Bürger*innen sei es dann zur Wahl zu gehen oder sich selbst für ein politisches Amt zur Verfügung zu stellen und das sei dann die Art und Weise wie man politisch mitwirken könne. Und das ist natürlich grundlegend falsch. Wir sehen, dass es notwendig ist, sich auch anders politisch zu engagieren. Denn, obwohl es wichtig ist, zur Wahl zu gehen – ich kann ja nur für das abstimmen, was überhaupt im Parteiprogramm drin steht – und die Frage, wie ich das Parteiprogramm verändere, von außen, auch wenn ich nicht Mitglied dieser Partei bin, ist ganz essentiell. Wir sehen das hervorragend am Beispiel der Klimabewegung FFF, die in Deutschland ja die Parteiprogramme aller Parteien verändert haben, obwohl sie sich nicht hauptsächlich dadurch engagieren, dass sie in die Parteien eintreten und sie von innen verändern, sondern, dass das auch ein Prozess ist, der von außen passieren muss. Das Ganze wird vielleicht auch klar, wenn wir uns ansehen, wie Frauen an das Wahlrecht gekommen sind – sicher nicht, indem sie dafür selber abgestimmt haben. Insofern ist es glaube ich wichtig, dass wir politisches Handeln viel weiter definieren. Abgesehen von den naturwissenschaftlichen Fakten, mit denen wir in den Medien häufig konfrontiert werden, ist es wichtig uns dessen bewusst zu machen, wie soziale Veränderungen überhaupt funktionieren. Wie die sozialwissenschaftlichen Fakten, sind zur Transformation von Gesellschaften, wie sowas abläuft – dass es kein Umlegen eines Schalters ist, sondern ein Prozess, in dem Veränderung von einer kleinen Gruppe von Leuten angestoßen werden, der sich dann immer mehr Menschen anschließen. Dass es ein Prozess ist, bei dem wir versuchen müssen, dass alle Menschen Teil davon werden; dass alle Menschen etwas zu dieser Transformation, die wir unbedingt brauchen, um unsere Lebensgrundlage auf diesem Planeten zu erhalten, dass sie davon Teil sein müssen. Aber das wir auch umgekehrt die Machtstrukturen abbauen müssen, die dieses aktuelle System an seinem Platz halten. Ich glaube viele Menschen haben das durchaus verstanden, und es ist eher eine Aufgabe der Menschen, die sich engagieren, andere Leute davon zu überzeugen, dass sie etwas verändern können, aber ihnen auch Hilfe zu geben, sich zu engagieren. Es gibt viele psychologische Barrieren und viele Menschen, die zwar das Problem sehen, sich aber Sorgen machen, dass sie nichts erreichen können oder nicht wissen wie. Ich glaube da müssen die Menschen, die schon aktiv sind, versuchen Hilfe zu leisten und auf ganz verschieden Ebenen ermöglichen Leuten dieses Selbstvertrauen zu geben und zeigen, dass sie etwas erreichen können und wie, damit sie anfangen können sich zu engagieren, denn niemand fängt an sich zu engagieren und erreicht aus dem Nichts heraus was Großes. Es ist ein Prozess, indem sich Leute unterstützen und im Regelfall sind wir Teil einer Gruppe und nicht alleine. Das ist glaube ich eine ganz wichtige Komponente – dieses gemeinschaftliche Handeln, das Lernen von anderen Gruppen, um politisch und sozial aktiv zu werden und das ganz dringend auch außerhalb der politischen Parteien und außerhalb der typischen Wahlzyklen.” 

Wenn politisches Handeln im Umfeld vielfältiger Vorstellungen und Interessen entsteht, bedeutet das auch, dass Übereinstimmung nicht erzwungen werden kann. Was wir allerdings tun können, ist an eine mögliche Gemeinsamkeit zu appellieren. Hannah Arendt, die diesen Ansatz vertritt, beruft sich dabei auf den aristotelischen Gedanken, dass für ein freiheitliches Zusammenleben die Freundschaft unter Bürgerinnen und Bürgern nicht unterschätzt werden darf. Durch den Austausch erst entsteht die Welt als das uns Gemeinsame, so Arendt. Wenn wir uns mit anderen zusammentun, um zu handeln, dann geht dem, angesichts der Vielfalt der Mit-Handelnden, eine Entscheidung für etwas Gemeinsames und Neues voraus. Wie Carola Rackete sagt, die größte Hürde liegt vermutlich in dem Gedanken, nichts bewirken zu können. Und, um diesem Trugschluss entgegenzuwirken, liegt es an jeder und jedem Einzelnen, mit Mitmenschen – ob Schwester, Freund, Oma oder Arbeitskollege – ins Gespräch zu kommen. Nicht moralisierend oder gar dogmatisch, als vielmehr, offen, neugierig und, indem wir unsere eigene Begeisterung auf andere übertragen. In der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft.

Vielen Dank fürs Zuhören. Wie ihr wisst, ist es unser Bestreben, möglichst unabhängig und werbefrei produzieren zu können. Das müssen wir uns allerdings auch leisten können. Daher, wenn ihr Sinneswandel gerne hört, freuen wir uns, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle Infos zur Episode, Quellen und weiterführendes Material findet ihr, wie immer in den Shownotes. Mein Name ist Marilena Berends, ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und sage bis bald im Sinneswandel Podcast! 

3. August 2021

Eva von Redecker: (Wie) Kann Aktivismus die Welt bewegen?

von Henrietta Clasen 27. Juli 2021

Als Sinneswandel Redaktion wollen wir in den kommenden Wochen unterschiedliche Aktivist*innen vorstellen, die den Status quo nicht hinnehmen, sondern sich für systemische Veränderung stark machen. Zudem möchten wir uns näher damit auseinandersetzen, was genau Aktivismus eigentlich ist, wie sich Protest abgrenzt, aber auch, wo die Trennlinien womöglich verschwimmen. Den Auftakt beginnen wir mit Philosophin Eva von Redecker und Aktivistin Franziska Heinisch, deren kürzlich erschienene Bücher sich dem zivilen Ungehorsam widmen. Beide Frauen verbindet der Glaube daran, dass nur durch ein aktives Aufbegehren Wandel gelingen kann. Denn eine freie Gesellschaft, eine Demokratie existiert nicht einfach, sie muss gelebt werden – und zwar von uns allen.

Shownotes:

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Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos unter https://www.otto.de/shoppages/nachhaltigkeit

► Eva von Redecker: Revolution für das Leben – Philosophie der neuen Protestformen. Fischer Verlage (2020).
► Franziska Heinisch: Wir haben keine Wahl – Ein Manifest gegen das Aufgeben. Blessing (2021).
► Ihr findet Eva von Redecker und Franziska Heinisch auch auf Twitter.
► Erfahrt mehr über die Organisation Justice is Global Europe, die Franziska 2020 mitgegründet hat.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

27. Juli 2021

Eckart v. Hirschhausen: Macht uns der Klimawandel krank?

von Henrietta Clasen 6. Juli 2021

Spätestens seit der Corona-Pandemie wissen wir, dass unsere Gesundheit nicht nur unbezahlbar, sondern auch bedroht ist. Aber nicht nur Viren, auch die Klimakrise gefährdet unsere Gesundheit. Allein in Deutschland starben nach Berechnungen des Robert-Koch-Instituts in den Rekordhitze-Sommern 2003, 2006 und 2015 rund 20.000 Menschen an den Folgen der Hitze. Wollen wir die Klimakrise noch rechtzeitig abwenden oder zumindest das Schlimmste verhindern, dann müssen wir auch das Gesundheitswesen anpacken. Wie das genau gelingen kann, darüber hat sich Journalistin Marilena Berends mit Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann sowie Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen unterhalten. 

Shownotes:

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► Eckart v. Hirschhausen: Mensch Erde! – Wir könnten es so schön haben. dtv (2021).
► Claudia Traidl-Hoffmann: Überhitzt: Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Was wir tun können. Duden (2021).
► Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen.
► KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.
► Health For Future.

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6. Juli 2021
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