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Klimawandel

Zukunft, (un)denkbar?

von Henrietta Clasen 22. Juni 2021

Die alte Zukunft hat keine Zukunft. Und doch scheinen wir sie uns nicht einmal vorstellen zu können – eine bessere Zukunft. Wir lobpreisen die Gegenwart, die Achtsamkeit des Augenblicks – doch wären wir uns wirklich selbst so bewusst, wie wir vorgeben zu sein, müssten wir dann nicht erkennen, dass die Gegenwart nicht zukunftsfähig ist?! Wie kann es sein, dass bis heute, trotz des exponentiellen Anstiegs an Informationen, aus all den Fakten keine Praxis entsprungen ist? Und doch kopieren wir immer wieder das, was wir bereits kennen – aus Angst vor der Zukunft?

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Danke auch an Jonte Mutert, der unseren neuen Jingle produziert hat. Sowie an Hannes Wienert, der uns seine Stimme für die Zitate von Roger Willemsen lieh.

► Roger Willemsen: “Wer wir waren” (2016).
► Springer: “The development of episodic future thinking in middle childhood”(2018).
► PNAS: “Reducing future fears by suppressing the brain mechanisms underlying episodic simulation”(2016).
► Frankfurter Rundschau: “Historisches Urteil zur Klimaklage: Jetzt müssen die Emissionen so schnell wie möglich runter”, (05/2021).
► Dietmar Dath: “Niegeschichte. Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine”, Matthes & Seitz. Berlin (2019).
► Ernst Bloch: “Geist der Utopie”, Suhrkamp (1918).

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: Zukunft, (un)denkbar? – Können wir uns ein besseres Morgen vorstellen?

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Es ist Zeit für einen Wandel! Das haben wir uns auch in der Podcast Redaktion gedacht, und daher vor einigen Wochen einen Aufruf gestartet, in dem wir euch gebeten haben, uns eure Vorschläge für einen neuen Sinneswandel Jingle zu schicken. Vielen Dank an alle, die das getan haben. Wir sind wirklich überwältigt von der Vielfalt an Ergebnissen und davon, wie viel Zeit und Mühe ihr in die Produktion gesteckt habt. Die Auswahl ist uns alles andere als leicht gefallen – aber, wie ihr vermutlich schon gehört habt, ist sie gefallen. Der neue Jingle kommt von Jonte Mutert, der noch in diesem Jahr sein Studium der Filmmusik in Babelsberg aufnehmen wird. Wir hoffen, euch gefällt der neue Sound ebenso gut, wie uns. Schickt uns gern euer Feedback an redaktion@sinneswandel.art.

Um Wandel soll es auch in der heutigen Episode gehen. Oder vielmehr darum, welches Denken die Realisation von Wandel voraussetzt. Bevor wir beginnen, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass wir uns freuen, wenn ihr unsere Arbeit finanziell unterstützt. Bereits 200 Fördermitglieder zählen wir auf Steady – was großartig ist und wofür wir sehr dankbar sind – damit wir aber weiterhin und vor allem langfristig möglichst unabhängig produzieren können, seid ihr gefragt! Unterstützen könnt ihr uns, wie gesagt ganz einfach mit einer Mitgliedschaft über Steady oder auch, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/SinneswandelPodcast schickt – das geht auch schon ab 1€ und steht alles noch mal in den Shownotes. Das war’s, ich wünsche euch viel Freude beim Zuhören!

“Mag die Welt auch vor die Hunde gehen, die Zukunft hat dennoch ein blendendes Image”, schreibt Publizist Roger Willemsen in “Wer wir waren”, der letzten Rede vor seinem viel zu frühen Tod im Februar 2016. “Selbst verkitscht zu Wahlkampf-Parolen, verkauft sie sich so gut, als wäre sie wirklich noch ein Versprechen”. So warb Armin Laschet in seiner Rede für das CDU-Programm zur Bundestagswahl mit einem „Jahrzehnt der Modernisierung“ und die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, sprach auf dem Grünen-Parteitag davon, dass eine Ära zu Ende gehe und wir nun die Chance hätten, eine neue zu begründen. Jetzt sei der Moment, unser Land zu erneuern, so Baerbock. Doch längst nicht nur die Politik hat die Zukunft für sich entdeckt. So warb die niederländische Versandapotheke Doc Morris 2018 mit “Gestalten wir die Zukunft, bevor sie da ist“, einem Slogan, der ebenso gut von einer Partei hätte kommen können. Zukunft ist längst nichts mehr, das einfach passiert. Nicht umsonst zerbrechen sich Zukunftsforscher*innen an renommierten Instituten die Köpfe darüber, in welcher Welt wir einmal leben werden. Das Morgen wird schon heute vorausgedacht. 

Man könnte also den Eindruck gewinnen, die Zukunft stehe vor der Tür. Dabei könnten wir kaum weiter von ihr entfernt sein. Vielmehr stehen wir vor dem Abgrund einer ganz und gar ungewissen Zukunft, was wir nur zu verdrängen scheinen. “Die Zukunft, das ist unser röhrender Hirsch über dem Sofa, ein Kitsch, vollgesogen mit rührender Sehnsucht und Schwindel. Die Zukunft der Plakate existiert losgelöst von den Prognosen unseres Niedergangs und hat in der Kraft ihrer Ignoranz keinen Bewegungsspielraum, sie verharrt hingegen. Was nicht neu ist, das ist die Zukunft”, so Willemsens These. Dabei wissen wir doch eigentlich schon lange, dass es nicht mehr weitergehen kann wie bisher. Und doch kopieren wir immer wieder das, was wir bereits kennen, und pflegen eine nostalgische Beziehung zur Vergangenheit – aus Angst vor der Zukunft? “Where is the wisdom we lost in knowledge?”, fragt T.S. Eliot bereits 1934 in seinem Theaterstück “The Rock”. Wie kann es sein, dass bis heute, trotz des exponentiellen Anstiegs an Informationen, aus all den Fakten keine Praxis entsprungen ist? Ist es das schlechte Gewissen gegenüber künftigen Generationen, was uns schließlich handeln lässt? Oder bedarf es erst der Justiz, die uns ermahnt, die Zukunft mitzudenken? Es bleibt noch abzuwarten, ob auf das erst kürzlich im April getroffene Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge das Klimaschutzgesetz in Teilen verfassungswidrig sei, sprich nicht mit den Grundrechten vereinbar, die gewünschte Umsetzung folgen wird. Als “Zeitenwende. Bahnbrechend. Und wirklich historisch”, bezeichnete Energieökonomin Claudia Kemfert das Urteil.  Denn zum ersten Mal wird auf oberster Ebene Generationengerechtigkeit in puncto Klima juristisch mitgedacht. Worauf sich Karlsruhe dabei beruft, ist das sogenannte Vorsorgeprinzip des Staates laut Grundgesetz Artikel 20a, demzufolge die Regierung verpflichtet ist künftige Generationen vor dem Klimawandel zu schützen und Kosten nicht unnötig auf unsere Enkelkinder schieben darf. Das Urteil konsequent zu Ende gedacht bedeutet: Rasches Handeln ist erforderlich. Nichtstun oder einfach so weitermachen wie bisher, ist deutlich teurer als endlich zu Handeln. Die wahre Schuldenbremse, so Kemfert, sei der Klimaschutz. Was jetzt passieren muss, sei eine 180 Grad Wende: Raus aus dem fossilen Zeitalter und grünes Licht für die erneuerbaren Energien! Wachstum allein, ist längst kein Indikator mehr für Wohlstand und Zufriedenheit – war es vermutlich nie. Was nun zählt, ist Wachstum enkeltauglich zu gestalten. Wachstum, um des Wachstums Willen, das ist ein Relikt der Vergangenheit!

Die alte Zukunft hat keine Zukunft. Und doch scheinen wir sie uns nicht einmal vorstellen zu können, eine bessere Zukunft. Wir lobpreisen die Gegenwart, die Achtsamkeit des Augenblicks – doch wären wir uns wirklich selbst so bewusst, wie wir vorgeben zu sein, müssten wir dann nicht erkennen, dass die Gegenwart nicht zukunftsfähig ist?! “Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, […] randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. […] Wir waren die, die verschwanden. […] So bewegten wir uns in die Zukunft des Futurums II: Ich werde gewesen sein.” So lautet zumindest Roger Willemsens wenig hoffnungsvolle Vision.  

Dabei ist die Zukunft im Kopf durchzuspielen eine zentrale menschliche Fähigkeit, die unser alltägliches Handeln bestimmt. Selbst kleinste Entscheidungen treffen wir, indem wir im Geiste simulieren, was passieren könnte. Etwa wenn wir morgens beim Bäcker an der Theke stehen und  uns fragen, ob wir lieber das Schoko-Croissant oder doch das belegte Dinkelbrötchen wählen sollten. “Zukunftsdenken hilft uns, Ziele zu setzen und zu planen, und gibt uns die Motivation, unsere Pläne auch umzusetzen”, sagt Roland Benoit, Kognitions- und Neurowissenschaftler am Max-Planck-Institut in Leipzig. Forscher*innen gehen davon aus, dass wir bereits im Alter von drei bis fünf Jahren beginnen, über den gegenwärtigen Moment hinaus, in die Zukunft zu denken. Eine besondere Rolle dabei spielt ein Netzwerk, das aus dem Hippocampus und Teilen der Großhirnrinde besteht. Es überlappt sich mit dem sogenannten “Default Mode Network”, also dem Ruhezustandsnetzwerk, das immer dann aktiv wird, wenn wir gerade nichts zu tun haben. Was, wenn wir ehrlich sind, angesichts all der Ablenkungen und Reize unserer vernetzen und schnelllebigen Welt, nur noch allzu selten vorkommt. Im Zeitalter der Zerstreuung seien wir, so Willemsen, nie ganz in der Gegenwart. Auch die Zukunft sei uns damit abhanden gekommen, nur noch rein gegenständlich vorstellbar und reduziert auf Technikutopien, die uns Menschen mehr entmündigten, als befreiten. “Verstand sich der Mensch Anfang des 20. Jahrhunderts eher als Subjekt der Moderne, erkennt er sich hundert Jahre später eher als ihr Objekt. Wie aber soll er, von der Zeit vorangeschoben, unter diesen Bedingungen die Zukunft denken können?” 

Sind wir also, angetrieben durch Effizienzstreben und Wachstumsdrang, defacto zu bequem geworden, uns eine andere Welt, als die bereits Existierende, vorzustellen? Ist dies der Grund, weshalb wir uns schon mit kleinsten Updates zufriedengeben, uns gar euphorisch in die Warteschlange einreihen, wenn die x-te Version des “neuen” iPhones auf dem Markt erscheint? Dabei sollte die Postmoderne doch eigentlich die Moderne ablösen, indem sie ihr zu mehr Vielfalt und Kritik verhilft. “Mehr Demokratie wagen.” Weg von Funktionalität, hin zum kreativen Chaos. Stattdessen scheinen wir gefangen in einer Welt des Machbaren, anstelle des Wünschbaren. Hitzig wird über die Erhöhung von Benzinpreisen diskutiert, die Arm und Reich, so heißt es, weiter werden spalten. Die Zukunft muss mehrheitsfähig sein, um Zukunft zu haben. 

Vielleicht ist es aber auch ein menschlicher “Gen-Deffekt”, ganz einfach Teil unserer menschlichen Natur, dass wir uns die Zukunft nicht vorstellen, sie nicht anders  denken können? Werfen wir einen Blick zurück in die Geschichte, so könnte dieser Eindruck durchaus verstärkt werden:  “Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze auf das Pferd”, verkündete Kaiser Wilhelm II. 1904 stolz. Auch Wilbur Wright, ein Pionier der Luftfahrt, sollte sich irren, als er 1901 sprach: “Der Mensch wird es in den nächsten 50 Jahren nicht schaffen, sich mit einem Metallflugzeug in die Luft zu erheben”. Ebenso, wie im Jahre 1926 Lee De Forest, der Erfinder des Radios: “Auf das Fernsehen sollten wir keine Träume vergeuden, weil es sich einfach nicht finanzieren lässt.” Und auch Thomas Watson, CEO von IBM, konnte sich 1943 scheinbar noch nicht die Welt von heute vorstellen: “Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt. Es gibt keinen Grund, warum jeder einen Computer zu Hause haben sollte.” Die Liste menschlicher Irrungen ließe sich beliebig weiterführen, und es scheint beinahe, als sei der Mensch dort am altmodischsten, wo er versucht, sich selbst zu überschreiten.  Offenbar können wir uns selbst nicht entkommen.

Im Jahr 2016 fanden Neurowissenschaftler*innen des Leipziger Max-Planck-Instituts, gemeinsam mit britischen Kollegen, allerdings heraus, dass es manchmal sogar ratsam sein kann, Zukunftsgedanken zu unterdrücken. Eine Überlebensstrategie gewissermaßen. Die Forscher*innen ließen Probanden zukünftige Szenarien auflisten, die ihnen Sorgen bereiteten. Wer sich diese anschließend im Geiste vorstellen sollte, reagierte deutlich ängstlicher als Teilnehmende, die Gedanken an die negativen Ereignisse bewusst vermieden. Es macht demnach für unsere emotionale und kognitive Grundhaltung, wie auch für unsere Entscheidungen und Handlungspläne, einen großen Unterschied, ob wir mit negativen Vorahnungen in die Zukunft blicken, oder Positiv-Szenarien im Kopf entwerfen. Damit Letztere jedoch nicht in der  “Utopien-Schublade” verstauben, benötigt unser Gehirn ein „Wie“ und ein „Warum“. Die Verortung der eigenen Rolle in der mentalen Simulation, lässt die Zukunft für uns zu einem Möglichkeitsraum werden, in dem wir selbst eine gestalterische Rolle einnehmen. Fühlen wir uns handlungsfähig, lässt der Eindruck nach, von den Ereignissen überrollt zu werden. Ohne aktive kognitive Beteiligung und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, schauen wir hingegen nur passiv vom Zuschauerrand zu. Es ist die emotionale Färbung, die unseren Ausblick auf die Zukunft, aber auch unser Erleben in der Gegenwart bestimmt. Und wie wir wissen, geschieht die Weichenstellung für die Zukunft im Hier und Jetzt.

Science-Fiction ist eigentlich das beste Beispiel dafür, dass es funktioniert. Dass wir Menschen in der Lage sind, uns das schier Unmögliche vorzustellen. Weshalb, das hat Schriftsteller Dietmar Dath in seinem Buch “Niegeschichte” sehr treffend formuliert: „Es gibt nicht nur Dinge, die zwar denkbar sind, aber nicht wirklich, sondern umgekehrt auch solche, die wirklich sind, aber für Menschen schwer bis überhaupt nicht denkbar.“ Science-Fiction zeigt: Was undenkbar ist, muss noch lange nicht unmöglich sein. Das klingt abstrakt, aber abstrakt ist schließlich auch unser Verhältnis zur Welt, in der wir leben. Wer hätte sich vor kurzem schon vorstellen können, dass ein klitzekleines, kronenförmiges Virus das gesamte soziale Leben einmal lahmlegen würde? 

“Nur Zeiten, die viel zu wünschen übrig lassen, sind auch stark im Visionären”, schreibt Roger Willemsen. Hat die Corona-Pandemie, als Zeit der Entbehrung, also vielleicht ein Fenster geöffnet, einen Raum für das Visionäre geschaffen – gar für einen Neuanfang? So oder so, ist jetzt die richtige Zeit, oder vielmehr die letzte Chance, die wir noch haben, um das Neu- und Andersdenken von Zukunft wieder zu erlernen. Wenn es nach dem Schriftsteller Ernst Bloch geht, so sind es Bilder und Fantasien, die den Gedanken vorausgehen, und die Gedanken wiederum den Forderungen und der politischen Praxis. Indem wir uns das Morgen ausmalen, erkennen wir, wo es in der Gegenwart hakt. Die Utopie ist das Hinausgehen über die faktische Welt und auch, wenn sie reine Projektion bleibt, hat allein der Diskurs, der durch das Imaginieren entsteht, die Welt und wie wir sie wahrnehmen, bereits verändert. Denn im offenen Dialog und in immer neuen Selbst-und Weltbeschreibungen werden Vorstellungen vom gelungenen Leben zur Diskussion gestellt. Und dort, wo Entwürfe wünschenswerter Zukünfte entwickelt werden, beginnt auch ihre Realisation. Oder mit Roger Willemsens Worten: “Ja, die Zukunft wird schneller sein, und sie hat längst begonnen.”

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn euch der Podcast gefällt, teilt ihn gerne mit Freunden oder hinterlasst uns eine positive Bewertung auf iTunes. Und, wie gesagt, freuen wir uns besonders, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt, damit wir weiterhin für euch produzieren können. Supporten könnt ihr uns ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Alle weiteren Infos und Quellen zur Episode findet ihr, wie immer, in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast. 

22. Juni 2021

Die Zerstörung (m)einer Illusion – ein Erfahrungsbericht

von Henrietta Clasen 20. Mai 2021

Fast jede*r weiß um die Dringlichkeit der Klimakrise. Doch weshalb wird sie nach wie vor nicht ernst genommen? Bewusstsein um einen Zusammenhang allein, hat leider nur geringen Einfluss auf unser tatsächliches Handeln. Nicht zu wenig Wissen, sondern ein mangelndes Gefühl an Betroffenheit ist die Ursache. Betrifft uns etwas persönlich, entsteht Betroffenheit. Heißt das, wir müssen erst selbst Erfahrungen machen, damit wir uns betroffen und handlungsfähig fühlen? Geht es nicht auch anders? Gastautorin Julia Gaidt glaubt daran, dass es möglich ist. indem wir Geschichten erzählen. Geschichten, die es uns ermöglichen, Erlebtes nachzufühlen. Die uns die Augen öffnen und aktivieren. Eine solche Geschichte hat Julia Gaidt zu erzählen. Von einem Erlebnis, das sie selbst und ihr Weltbild erschüttert hat und das sie in dem Wunsch teilt, dass es auch andere berührt und ermutigt, sich für eine lebenswerte Zukunft einzusetzen. 

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► IPCC Report on Global Warming of 1.5°.
► Luisa Neubauer & Alexander Repenning: Vom Ende der Klimakrise.
► Vortrag Luise Tremel: „Aufhören. Warum, wie, wer und wann am Besten was“.
► 1,5°C-Ziel Machbarkeitsstudie.
► bpb.de: Wie hängen Pandemie, Umweltzerstörung und Klimawandel zusammen?.
► Greta Thunberg: Ich will das ihr in Panik geratet!.
► Carbon Clock des MCC.

Kontakt:
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Transkript: Die Zerstörung (m)einer Illusion – ein Erfahrungsbericht

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Betrifft uns etwas persönlich, entsteht Betroffenheit. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes berührt, fühlen mit und nicht selten empfinden wir das Bedürfnis, uns zu involvieren. Oft erst, wenn wir etwas selbst mit unseren eigenen Sinnen gesehen und erlebt haben, können wir das Ausmaß der Dinge begreifen. Wie der Backpacker, der auf Reisen beim Surfen im Müll schwamm und infolgedessen ein Unternehmen zur Bekämpfung von Plastik gründete. Oder die Schülerin, die in einer Tier-Doku sah, wie die Wurst, die sie täglich auf dem Pausenbrot aß, eigentlich hergestellt wird und danach zur Umwelt- und Tierschutzaktivistin wurde. Es gibt viele Beispiele, wie diese. Doch manchmal frage ich mich, ob es wirklich immer erst diese persönliche Betroffenheit, das eigene Erleben bedarf, um sich involviert und infolgedessen handlungsfähig zu fühlen? Gibt es überhaupt irgendetwas, das uns nicht betrifft – in einer globalisierten und vernetzten Welt, wie unserer? Zumal in der Natur eh kein “Dein” und “Mein”, kein intern und Extern existiert – alles ist mit allem verwoben. Nicht umsonst sprechen Expert*innen, wie der Klimawissenschaftler Mojib Latif immerzu von der Gefahr drohender Kipppunkte. Treibhausgase lassen die Temperaturen ansteigen, die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt an, Wetterextreme häufen sich, Dürren entstehen, Ernten bleiben aus… ein globaler Kreislauf, in dem kein Teil isoliert von einem anderen zu betrachten ist. Und doch leben wir heute so, als mache es einen Unterschied, wenn der globale Norden seine Emissionen und seinen Müll einfach im globalen Süden ablädt. Und solange die Näherinnen unserer hierzulande billig erworbenen T-Shirts, im gefühlt weit entfernten Bangladesh sitzen und wir ihr Elend nicht sehen können, scheint die Welt für viele heil zu sein. Kein Grund etwas zu ändern. Selbst, wenn wir uns insgeheim dessen bewusst sind, dass nicht alles mit rechten Dingen geschieht.

Doch das Bewusstsein um einen Zusammenhang allein hat nur geringen Einfluss auf das tatsächliche Handeln. Nicht zu wenig Wissen, sondern ein mangelndes Gefühl an Betroffenheit sei die Ursache,  so Klimapsychologin Janna Hoppmann. Letztendlich gehe es vor allem darum, nicht nur den Kopf anzusprechen, sprich Faktenwissen zu vermitteln, sondern auch über das Gefühl der Betroffenheit das emotionale Erleben des Themas mit einzubeziehen, damit ein Prozess des Umdenkens und Hinterfragens losgetreten werden könne. Diese Theorie untermalt auch der Philosoph Kwame Anthony Appiah in seinem Buch “Eine Frage der Ehre”, demzufolge fünf Phasen existieren, innerhalb derer sich “moralische Revolutionen” vollziehen, wie sie Appiah bezeichnet. So wird in Phase eins das Problem, nehmen wir mal den Klimawandel, gänzlich ignoriert, in Phase zwei wird es immerhin anerkannt, jedoch fehlt der persönliche Bezug, um etwas zu ändern. In Phase drei wird schließlich auch die persönliche Betroffenheit anerkannt, allerdings werden noch genug Ausreden gefunden, weshalb ein Handeln unmöglich ist – vermutlich die Phase, in der wir uns gegenwärtig im Bezug auf die Bewältigung der Klimakrise befinden – erst in Phase vier wird schließlich das Problem angepackt. Und in Phase fünf blickt man schließlich mit einem Kopfschütteln zurück und fragt sich, wie man überhaupt so lange warten konnte.

Müssen wir wirklich selbst Erfahrungen machen, die uns wachrütteln, damit wir uns betroffen und infolgedessen handlungsfähig fühlen? Ich hoffe es nicht. Denn nicht nur haben wir nicht die Zeit dafür, auch wünsche ich es keinem Menschen, erst Leid am eigenen Körper oder der Nahestehender erfahrungen zu müssen, damit sich etwas bewegt. Geht es nicht auch anders? Kann es vielleicht auch gelingen, dass wir miteinander mitfühlen, Betroffenheit jenseits geografischer Distanzen und nationaler Grenzen empfinden, das uns dazu befähigt uns für andere und damit zugleich für uns selbst einzusetzen?

Gastautorin Julia Gaidt glaubt daran, dass es möglich ist. Vor allem, indem wir Geschichten erzählen. Geschichten, die es uns ermöglichen, Erlebtes nachzufühlen. Selbst, wenn wir nicht live mit dabei waren. Geschichten, die uns die Augen öffnen und aktivieren, statt lähmen. Die uns Mut machen und Hoffnung geben. Eine solche Geschichte hat Julia Gaidt zu erzählen. Von einem Erlebnis, das sie selbst und ihr Weltbild erschüttert hat und das sie vor allem in dem Wunsch teilt, dass es auch andere berührt und ermutigt, sich für eine lebenswerte Zukunft einzusetzen. 

Bevor wir beginnen, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Denn in die Recherche und Produktion stecken wir eine Menge Zeit und Energie. Und, damit wir das weiterhin tun können, brauchen wir eure Unterstützung. Das geht z.B. ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns an Paypal.me/Sinneswandelpodcast einen freien Betrag schickt. Wie ihr uns unterstützen könnt, steht in den Shownotes. Vielen Dank.

Die “Apokalypse” war für mich bisher ein diffuser und allenfalls mit Science Fiction verbundener Begriff. Über den Klimawandel wusste ich als Akademikerin, Anfang 30 natürlich Bescheid. Aber ich muss mir beschämt eingestehen, dass dieses Wissen geschichtenlos war. Einigermaßen gut verdrängt und weit weg, in der fernen Zukunft. Beides hat sich im vergangenen Jahr grundlegend geändert. Ich habe jetzt eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, die mein Leben erschüttert und mich wachgerüttelt hat. Und ich erzähle sie, in der Hoffnung, es werde auch anderen allein beim Hören so gehen. In der Hoffnung, dass sich damit meine Vermutung, dass nur durch die Erfahrung persönlichen Leids, eine grundlegende Transformation zu erreichen sei, die dem fortschreitenden Klimawandel ein Ende setzt, als falsch bewahrheitet.   

Ich lebe vorübergehend in den USA, genauer gesagt, in der Bay Area bei San Francisco, in Kalifornien. 2020 war hier ein sehr schwieriges Jahr. Zu den massiven Einschränkungen durch die Corona-Pandemie kam eine diffuse Angst aufgrund der politischen Situation und der Tatsache, dass wir das Land zwar hätten verlassen können, aber nicht hätten zurückkehren können. Konkret bedeutet das bis heute, unsere Freund*innen und Familien in Deutschland seit über einem Jahr nicht gesehen zu haben. Und als wäre das nicht genug, war der Sommer extrem trocken, mit mehreren Hitzewellen und in der Folge einer ab Mitte August verheerenden Waldbrandsaison. Letztere bedeutete für uns über zwei Monate lang ungesunde bis schwer schädliche Luft mit nur wenigen Atempausen. Und, da unser 18 Monate alter Sohn noch keine Maske hätte tragen können, die vor den Rauchpartikeln geschützt hätte, waren wir die meiste Zeit in unserer Wohnung gefangen. Unser Luftreinigungsgerät lief auf Hochtouren. Eine von Tag zu Tag weiter fortschreitende Ausnahmesituation, die irgendwann zur absurden “Normalität” wurde. Und in diesen Zustand hinein platzte völlig unerwartet “der Weltuntergang”. Er kündigte sich schon am Vortag durch eine kaum noch leuchtende, blutrote Sonne inmitten eines senfgelben Himmels an. Aber was am nächsten Morgen, dem 9. September 2020 auf uns wartete, hätte ich mir nicht im Traum ausmalen können.

Der Morgen dämmert viel später als gewohnt, und in orange. Das klingt erst mal malerisch-schön. Wir alle kennen diese bunt gefärbten Himmel bei Sonnenauf- und -untergang. Aber schon beim zweiten Hinsehen, und vor allem mit fortschreitender Tageszeit wird klar, dass hier etwas ganz anderes, ganz und gar nicht Schönes geschieht. Der Himmel ist von einer so dicken Rauchdecke durch die Waldbrände bedeckt, dass das Tageslicht nur als rötlicher Schimmer durchdringt und ich von Licht im engeren Sinne eigentlich gar nicht sprechen kann. Mitten in das dämmerige Orange wird es ab vormittags zehn Uhr immer röter – und dunkel. Nicht so finster, wie in einer sternenklaren Nacht ohne Mond, aber doch so dunkel, dass wir in der Wohnung Licht brauchen, um die Hand vor Augen erkennen zu können. Draußen sieht es auf den ersten Blick aus, als befänden wir uns mitten in der Nacht, inmitten einer Großstadt: bewölkter Himmel, es hat gerade frisch geschneit und die niedrige Wolkendecke und die Schneedecke werfen sich abwechselnd das Licht der Straßenlaternen zu. Erst fasziniert es mich, dass es mitten am Tag so dunkel sein kann und es nach drei Tagen mit 35 Grad jetzt auf einmal nur noch 16 Grad sind. Aber es bleibt und bleibt dunkel. Es wird immer beengender. Angsteinflößender. Rausgehen geht nur für wenige Minuten. Die Luftqualität ist unzumutbar. Kurz für ein Foto wage ich mich aber dennoch ins Freie. Dabei fällt mir auf, dass in dieser dunkelroten Atmosphäre, auf Dachziegeln, Autos und jedem einzelnen Blatt, ein gräulicher Schatten liegt. Und spätestens da ist der Vergleich mit der friedlich, weißen Schneenacht hinüber. Die Welt ist von Asche bedeckt. Ein toxisch und leblos wirkender fahler Anstrich. Und es schneit tatsächlich, wenn ich im Scheinwerferlicht genau hinsehe – aber, was da vom Himmel rieselt, ist Asche. Wir ziehen uns in die letzte Herberge die bleibt zurück: unsere Wohnung, in der es noch Strom gibt. Also Licht. Und etwas zu Essen. Und dank der Kombination aus Strom und Luftreinigungsgerät auch saubere Luft zum Atmen. Die Welt draußen ist auf einmal so lebensfeindlich, wie ich sie mir nur vorstellen kann. Wobei das nicht ganz stimmt. Ich konnte mir so etwas vorher nicht vorstellen. Und sicher geht es noch viel schlimmer. Langsam aber sicher bekomme ich eine Idee davon, wie es auf dem Mars oder der Venus sein muss: Unbelebbar. Die dicke Rauchschicht über uns und um uns herum erstickt jedes Gefühl von Hoffnung. Lässt vergessen, dass darüber tatsächlich die Sonne scheinen muss. Es wird unvorstellbar, dass irgendwo auf der Welt der Himmel gerade blau ist. Es scheint räumlich und zeitlich kein Ende der Dunkelheit in Sicht. Nach sozialer Isolation und Bewegungseinschränkung durch ein Virus über Monate und Verlust der Luftqualität über Wochen, ist nun auch das Tageslicht verschwunden. 

Es ist kein Geheimnis, dass das große Ausmaß der Waldbrände in Kalifornien dem menschengemachten Klimawandel zuzuschreiben ist. Und mit diesem Wissen und dem für mich bisher abstrakten Wissen, dass diese Extreme in den kommenden Jahren immer weiter zunehmen werden (1), wird für mich in der roten Dunkelheit auf einmal eine grauenhafte Zukunft der Erde sichtbar: Ich sehe mein Kind in dieser Dunkelheit aufwachsen, drinnen, ohne Sonnenschein, ohne frische Luft, ohne die Möglichkeit mit anderen Kindern lachend über einen Spielplatz zu rennen. Ich sehe, dass unter dieser Rauchdecke faktisch kein Leben möglich sein wird, denn ohne Licht kein Pflanzenwachstum. Ich sehe das Leben der Menschen auf unserem einst so grünen Planeten, in dieser blutroten Dunkelheit verschwinden. Ich sehe all das, wie durch eine Glaskugel, und bekomme Angst. Eine existentielle Angst, wie ich sie noch nie gefühlt habe. Ein „normales“ Leben scheint auf dieser Welt mit fortschreitender Zerstörung unserer Lebensgrundlage nicht mehr möglich zu sein. Mein Leben war gut bisher. Ich könnte das verkraften, klar, auch wenn es viel zu betrauern gäbe. Aber mein anderthalbjähriger Sohn wird nie ein „normales“ Leben kennenlernen.

Meine Zukunftsvision hält nur für einige Minuten, vielleicht einige Stunden an, die Dunkelheit für einen Tag und die wirklich schlechte Luftqualität für eine Woche. Danach wird das Unvorstellbare wahr: Wir können zum ersten Mal nach sieben Tagen wieder vorübergehend lüften, das Haus verlassen, und die Sonne scheint. Ich muss mich vergewissern, dass die Welt da draußen tatsächlich noch existiert. Und ich lebe an einem so privilegierten Ort, dass sie das für mich auch tut. Ich bin weder evakuiert worden, noch ist mein Haus abgebrannt, noch habe ich Angehörige oder mein eigenes Leben in den Flammen verloren, wie so viele andere. Aber etwas in mir ist zerstört worden. Der Glaube daran, dass die Welt einfach immer weiter so existieren wird, wie ich sie kenne. Dass mögliche politische Unruhen die größten Unsicherheitsfaktoren in meinem Leben seien. Dass ich weiterhin ein Leben in Frieden fernab von Kriegen und Naturkatastrophen führen würde. Dass es wirklich wieder eine echte “Normalität” nach der Pandemie geben wird. Es ist, als wäre ich aus einem Traum aufgewacht, nur beginnt da erst der Albtraum. Meine bisherige „Normalität“ hat sich als Illusion entpuppt. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich in meinem Glauben, dass alles immer irgendwie gut werden wird, erschüttert.

Klar, ich wusste vorher von der „Erderwärmung“. Sie wird auch bekämpft, von den einen ideologisch, von den anderen tatsächlich. Aber insgesamt viel zu wenig. So viel wird klar, wenn ich mich nur wenige Tage mit dem Thema beschäftige. Mit Entsetzen reibe ich mir in diesem Jahr zum wiederholten Male die Augen – was haben wir nur getan? Was tun wir tagtäglich? Und dann wird schnell klar, selbst wenn ich als einzelne Person jetzt versuche, mein Leben komplett umzustellen, wird das im Großen und Ganzen nicht viel ändern. Erst, wenn alle oder ein Großteil der Menschen wirklich etwas ändern würden, wäre diese Krise aufzuhalten. Sprich, es bräuchte einen Sinneswandel – auf allen Ebenen. Aber vor allem systemisch. Ohne diese Kehrtwende ist es nicht möglich, was Luisa Neubauer in ihrem Buch “Vom Ende der Klimakrise” Adorno-like  zusammenfasst: „Es gibt kein nachhaltiges Leben in einer nicht-nachhaltigen Gesellschaft.“ (2 S. 37) Es braucht also einen gesellschaftlichen Wandel. Hin zu einem System, das auch funktioniert, ohne den Planeten dabei zu zerstören. Ein System, das nicht darauf fußt, die natürliche Lebensgrundlage aktueller und zukünftiger Generationen auszubeuten. Uns wird immer wieder gepredigt, wenn es nur genug neue innovative, „grüne“ Techniken gäbe, dann müssten wir uns nicht einschränken und können einfach mit unserem, auf Wachstum aufbauenden System weitermachen. Aber laut dem Ökonomen Niko Paech ist das Unfug. Er plädiert für eine Gesellschaft ohne Wachstum und erklärt mit dem Begriff der “Postwachstumsökonomie”, wie das möglich sei (3). Aus einer etwas anderen Sicht beschreibt die Historikerin und Transformationsforscherin Luise Tremel, wie das „Aufhören“ mit unserem System möglich wäre und vergleicht diesen Prozess mit der Abschaffung der Sklaverei (4). Auch hier war der Wohlstand Vieler von der Ausbeutung, in diesem Falle der Versklavten, abhängig. Heute ist unser Wohlstand von fossilen Infrastrukturen und Energieträgern abhängig, die Gegenwart und Zukunft ausbeuten. Und wie auch die Sklaven damals, wird sich die Erde nicht von selbst von der Ausbeutung befreien können – oder nur in einem Ausmaß, dass vermutlich mit unserem Aussterben einhergeht – sondern wir, die davon profitieren, müssen uns bewusst für diesen Verzicht entscheiden. Es bedarf laut Luise Tremel einer „freiwilligen Selbstdeprivilegierung“ (4). Luisa Neubauer fasst das in ihrem Buch so zusammen: „Es geht also um ein bewusst angestrebtes Weniger: weniger quantitatives Wachstum, weniger Ressourcenverbrauch, weniger Emissionen, weniger Ausbeutung. Im Idealfall würde das Wohlstandsparadigma das Beste beider Welten miteinander vereinbaren: hohe soziale Standards, aber wenig Treibhausgase und Umweltbelastungen. Globalisierung ohne globale Abhängigkeiten. Wachstum, ja, aber nur eines, das auch glücklich macht. Also ein qualitatives Wachstum: an Freiheit, Zufriedenheit, Gesundheit und Unabhängigkeit.“ (5 S.175-176) Klingt eigentlich gar nicht nach Verzicht.

Das ist keine neue Botschaft. Und ich bin auch nicht ihr Urheber. Aber vielleicht konnte ich sie vorher nicht sehen, nicht begreifen, mich nicht aktiv mit ihr beschäftigen, ohne wirklich am eigenen Leib die Erfahrung gemacht zu haben, was diese Zerstörung unserer Lebensgrundlage durch unseren – und damit meine ich vor allem den westlichen – Lebensstil bedeuten wird. Und ich habe „nur“ einen Tag im Dunkeln gesessen. Mir ist bewusst, dass es Millionen von Menschen weltweit gibt, die deutlich drastischere Erfahrungen durchleben, machen mussten und wohl leider machen werden. Warum berichte ich das also alles hier? Ich möchte meine Geschichte erzählen, die Trauer um die möglicherweise verlorene Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder teilen, in der Hoffnung, ein winziges Stück zu ihrer Rettung beizutragen. Ich möchte die kurze Meldung aus der Tagesschau vom „roten Himmel über San Francisco“ erlebbar und fühlbar machen. Erst Monate nach dem Ereignis bin ich auf ein Wort gestoßen, das das Gefühl, die Angst, die ich empfunden habe, als “Solastalgie” benennt. Das ist ein noch relativ neuer Begriff für den Schmerz, die Trauer und die psychische Not, die durch den Stress entstehen, wenn Menschen von Umweltzerstörung z.B. im Rahmen der Klimakrise betroffen sind. Zu wissen, dass es ein Wort für mein Gefühl gibt, tut gut und hilft beim Verstehen. Begreifen werde ich diesen dunklen Tag aber wohl nie in Gänze. 

Ich werde an dieser Stelle keine Fakten zur Klimakrise vortragen. Dass wir unter 1,5 Grad bleiben müssen, ist bekannt (1). Es wurde im Pariser Klimaabkommen auf politischer Ebene sogar beschlossen. Nur umgesetzt wird es bislang nicht. Es liegt an uns, u.a. bei der nächsten Wahl, dafür zu sorgen, dass Deutschland dieses Ziel wieder ernst nimmt und alles erdenklich Mögliche tut, um das zu erreichen. Denn es ist möglich, noch (!), wie eine Studie, die von Fridays for Future beim Wuppertal Institut in Auftrag gegeben wurde, erst kürzlich gezeigt hat (6). Nur wird es nicht reichen, ein bisschen mehr Fahrrad zu fahren, auf Plastikstrohhalme zu verzichten und mit gut gemeinten Floskeln die Menschen zu beruhigen. Ein alternativer, rundum nachhaltiger Lebensstil ist aktuell eher ein Luxus, den sich die meisten Menschen in Deutschland nicht leisten können. Und es wäre unfair, den einzelnen Bürger*innen die Verantwortung dafür zu überlassen. Es wird nicht reichen „Kompromisse zu suchen“, wie so oft propagiert wird, wenn es mal wieder heißt, „es werde ja schon viel getan, aber man müssen ja auch…“. 

Alle Kosten, in allen Bedeutungen des Wortes, werden zweitrangig werden, wenn es die Welt, wie wir sie bisher kennen, so nicht mehr gibt. Wenn Banken „too big to fail“ sind, warum nicht auch unser Planet? Und wer jetzt meint, die Bekämpfung der Corona-Pandemie stünde erstmal im Vordergrund, und danach müsse die Wirtschaft wieder dran sein und für Klimaschutz sei leider keine Zeit, der begeht einen großen Denkfehler: Denn durch unser derzeitiges, auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem, und die dadurch immer weiter fortschreitende Zerstörung des Planeten, entstehen Pandemien, wie die aktuelle überhaupt erst. Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit zum Beispiel warnt davor, dass das Risiko für eine solch rapide und gefährliche Verbreitung von Viren weiter steigen wird, wenn die Menschen nicht aufhören, in den natürlichen Lebensraum von Tieren einzudringen (7). Genau wie bei der Pandemiebekämpfung, gilt auch beim Klimaschutz: Es gibt den ausgehandelten Kompromiss zwischen „dem Problem“ und „der Wirtschaft“ nicht. Sondern auch „die Wirtschaft“ – und eigentlich sollte es doch viel eher „die Menschen“ oder „die Gesellschaft“ heißen – kann nur geschützt werden, wenn das Problem konsequent, sinnvoll, vollständig und vor allem zeitnah angegangen wird. Genauso, wie ein verzögerter und halbherziger Lockdown weder Wirtschaft noch Menschen nützt, wird eine halbherzige Bekämpfung der Klimakrise, die dadurch angestoßenen, sich verselbstständigenden Prozesse nicht aufhalten oder auch nur abmildern können. Eine Vertagung der Lösung in die Zukunft ist in beiden Fällen, mehr als fatal.

Es gibt viele Lösungsansätze und Fachleute, die sich schon lange mit der Bekämpfung der Klimakrise beschäftigen. Die Ressourcen dazu sind längst vorhanden. Sie müssen nur genutzt werden. Es ist zwar klar, dass dies kein leichter und günstiger Weg sein wird. Mir ist jedoch klar geworden, dass es der einzige, bezahlbare Weg ist, der überhaupt die Möglichkeit mit sich bringt, dass unser Planet langfristig so bleibt, wie wir ihn zum Leben benötigen. Die Bekämpfung der Zerstörung unserer Lebensgrundlage muss das Wahlthema 2021 werden, an dem keine Partei vorbeikommt, wenn sie gewählt werden will. Nur so können wir die Katastrophe noch abmildern. Greta Thunberg hat gesagt: „ich will, dass ihr in Panik geratet.“ (8) An diesem schwarz-roten Mittwoch im September habe ich diese Panik erlebt. Sie ist absolut berechtigt und keinesfalls „Angstmache“, als welche sie so gern abgetan wird. Aber sie darf nicht lähmen, sondern sollte uns aktivieren, an dem Zustand etwas zu ändern. Und zwar jetzt! Nach neuesten Berechnungen bleiben der Menschheit, gerechnet ab Ende 2017, noch 420 Gigatonnen CO2, auf Deutschland runtergerechnet 4,2 Gigatonnen, die verbraucht werden dürfen, soll die globale Erhitzung auf maximal 1,5°C begrenzt werden. Was mehr als wünschenswert ist, wenn wir nicht in eine unaufhaltbare Abwärtsspirale rutschen wollen, die unser Leben, so wie wir es kennen, wohl beenden wird (1). Aber was bedeuten diese Zahlen nun? Bei der aktuellen Verbrauchsmenge von 42 Gigatonnen pro Jahr weltweit, ist dieses Budget Stand Mai 2021, in 6 Jahren und 7 Monaten aufgebraucht (9). Das sind keine zwei Legislaturperioden mehr! Und das macht die kommenden Wahlen so wichtig und im wahrsten Sinne des Wortes lebensentscheidend. Für die Menschen in meiner aktuellen Umgebung wird langsam Realität, was an vielen anderen Orten der Erde schon lange gilt und an wieder anderen bald drohen wird: der bisherige Lebensraum, der uns als zu Hause galt, wird zunehmend unbewohnbar, wenn wir weiter verdrängen, was unser maßloser Lebensstil und das ausbeuterische kapitalistische System mit dem Planeten anstellen.

Die Waldbrandsaison ist hier erst einmal vorüber. Der Himmel strahlt wieder in Königsblau, und sollte es doch gelegentlich regnen, spüre ich eine unfassbare Dankbarkeit. Auch die Nächte sind wieder sternenklar. Wenn ich die Planeten direkt neben dem Mond stehen sehe, dann ist für einen kurzen Moment sichtbar und im Raum begreifbar, wie schräg ich auf der Erde gerade durch das Weltall schwebe. Dann ist erahnbar, was Astronaut*innen oft berichten: die Tatsache, dass wir auf der Erde leben können, ist in diesem schwarzen, unendlichen und lebensfeindlichen Weltall etwas ganz Besonderes und Schützenswertes. Es liegt in unseren Händen, sie zu erhalten. Und, wir müssen die Menschen und Parteien wählen und unterstützen, die diese Dringlichkeit verstanden haben. 


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20. Mai 2021

Klimakrise, Burn-out- alles eine Frage der Zeit?

von Henrietta Clasen 16. März 2021

Es gibt Dinge die bemerkt man lange Zeit nicht, bevor man zu wenig oder zu viel davon hat. Eines dieser Phänomene ist “die Zeit”. Sie ist das Wasser, in dem wir schwimmen. Die Luft, die wir atmen. Immer da und doch nicht greifbar. Nur als Jenes, das verrinnt. Vor unseren Augen als Zeiger, die fortlaufend das Ziffernblatt der Uhr umrunden. Sekunde um Sekunde, Minute um Minute, Stunde für Stunde. Und das, ganz gleich, ob es uns beliebt oder nicht. Die Zeit lässt sich nicht stoppen, nicht unter Kontrolle bringen. Eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass der Mensch noch keine Technik erfunden hat, die eben dies bewirkt. Doch, wenn sich die Zeit schon nicht kontrollieren lässt, so doch wenigstens der Umgang mit ihr. Man könnte sagen, der moderne Mensch IST Zeit. Er hat sie sich in solchem Maße angeeignet, dass sie Teil seines Selbst geworden ist – oder er Teil von ihr.

SHOWNOTES:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder  werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Alles eine Frage der Zeit: Harald Lesch, Karlheinz A. & Jonas Geißler. oekom Verlag.
► Momo: Michael Ende.
► Ist es radikal, nach Corona lange Ferien zu machen? Teresa Bücker in “Freie Radikale: Die Ideenkolumne” des sz-Magazins.
► 24 Jahre schlafen: Dafür geht unsere Lebenszeit drauf: Stern.de.

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Transkript: Klimakrise, Burn-out- alles eine Frage der Zeit?

„Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit. Es gibt Kalender und Uhren, um sie zu messen, aber das will wenig besagen, denn jeder weiß, dass einem eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen – je nachdem, was man in dieser Stunde erlebt. Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“ So steht es in Michael Endes Kinderbuch Momo. 

Es gibt Dinge die bemerkt man lange Zeit nicht, bevor man zu wenig oder zu viel davon hat. Ansonsten kommen sie einem wie das Selbstverständlichste der Welt vor. Eines dieser Phänomene ist “die Zeit”. Sie ist das Wasser, in dem wir schwimmen. Die Luft, die wir atmen. Immer da und doch nicht greifbar. Nur als Jenes, das verrinnt. Vor unseren Augen als Zeiger, die fortlaufend das Ziffernblatt der Uhr umrunden. Sekunde um Sekunde, Minute, um Minute, Stunde für Stunde. Tag für Tag, Jahr um Jahr. Und das, ganz gleich, ob es uns beliebt oder nicht. Die Zeit lässt sich nicht stoppen. Nicht unter Kontrolle bringen. Eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass der Mensch noch keine Technik erfunden hat, die eben dies bewirkt. Die Zeit, wie in Michael Endes Roman Momo, zum Stoppen bringt. Doch wenn sich die Zeit schon nicht kontrollieren lässt, so doch wenigstens der Umgang mit ihr. Man könnte sagen, der moderne Mensch IST Zeit. Er hat sie sich in solchem Maße angeeignet, internalisiert, dass sie Teil seines Selbst geworden ist – oder er Teil von ihr. Um sie, also die Zeit, unter Kontrolle zu bringen, stehen dem postmodernen Subjekt ein reichhaltiges Repertoire  von Strategien zur Verfügung, die es zur Anwendung bringen kann: von Speed-Reading, über One-Day-Delivery, Fast-Food-Ketten, Intermittent-Fasting, bis hin zur akribischen Tagesplanung, To-do-Listen und dem Leistungs-Tracking mittels moderner Technik. All dies gibt den Menschen das Gefühl ihr Leben und damit die verstreichende Zeit, unter Kontrolle zu haben. “Es liegt allein in deiner Hand”, scheint der Zeiger auf der Uhr uns mahnend entgegen zuraunen. Time is money! Oder, wie Seneca einst schrieb: “Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.” 

24 Jahre seines Lebens verschläft der durchschnittliche Deutsche angeblich. 12 Jahre sieht er fern – zu Corona-Lockdown-Zeiten sind es vermutlich noch mehr. 374 Tage verbringt der Mensch angeblich wartend – an Ampeln, im Stau, an Flughäfen, in Schlangen, an der Kasse, beim Arzt… Doch wer beurteilt eigentlich, ob diese Zeit sinnvoll oder vergeudet ist? Wer, außer uns selbst, kann diese Bewertung vornehmen? In einer idealen Welt, wäre das vielleicht auch so, in der es uns, wovon Marx schon träumte, frei stünde „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren”. Oder vielleicht auch einfach mal nichts zu tun? Gut, das hätte Marx vielleicht anders gesehen. Aber, was ich damit sagen will, ist: Es ist leider nicht ganz so einfach. Denn Zeit ist leider nicht rein individuell zu betrachten. Sowohl in Bezug darauf, welchen Stellenwert sie für uns einnimmt, als auch, welchen Zugang wir zu ihr besitzen. Genau das ist nämlich immer schon unweigerlich mit dem Zeitgeist, der Gesellschaft und Kultur, in der wir leben, verbunden. Und, oh Wunder, was macht es wohl mit Menschen, die in einer Welt leben, in der Zeit wichtigste und knappste Ressource zugleich ist? Von Effizienz und Optimierungszwang getrieben, eilt das moderne Subjekt von A nach B. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie vielleicht weniger in geografischer Hinsicht, aber doch weiterhin, und sei es zwischen Home-Office Laptop und Kinderzimmer. Es gibt so viel zu tun, zu sehen, zu lesen zu wissen und vor allem so viel, zu dem man seinen Senf hinzugeben könnte. Meinung ist heute alles! Wer keine Meinung hat, hat verloren. Manchmal frage ich mich jedoch, wie ich mir überhaupt eine Meinung bilden soll, wenn alles an mir vorbeirauscht, die Twitter Meldungen nach 3 Sekunden schon veraltet sind und jeden Tag ein neuer Skandal auf dem Titelblatt steht. Wann soll ich die Zeit finden, mir darüber mal wirklich Gedanken zu machen? Mich mal intensiv mit etwas auseinandersetzen? Geschweige denn, mal anderen wirklich zuhören? Eine “Empörungskultur” erlaubt das nicht. Hier zählt nur das ausgesprochene oder ausgeschriebene Wort – möglichst schnell und am besten laut.

“Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat”, schrieb einst der Physiker und Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg. Ich erinnere mich noch, wie zu Anfang des ersten Corona-Lockdowns davon gesprochen wurde, wie viel mehr Zeit uns doch nun zur Verfügung stünde. Und, ach, welch ein Privileg! Was soll man nur mit ihr anstellen? Mit all der überflüssigen Zeit, die doch keinesfalls vergeudet werden durfte. Doch irgendwie habe ich das Gefühl, dass dieser kurze Moment des Zeitwohlstands, der vermutlich auch nur einer sehr sehr kleinen Gruppe von Menschen vergönnt blieb, schnell vorüberging. Heute höre ich zumindest nur noch selten von Menschen auf der Suche nach neuen Hobbys, wie dem Puzzeln, Sauerteigbrot backen oder Stricken. Corona hat eines ganz bestimmt nicht vermehrt, die Zeit. Die Journalistin und Autorin Teresa Bücker schreibt in ihrer Kolumne für das Magazin der Süddeutschen Zeitung: “Der Corona-Bonus, den alle verdienen, ist mehr freie Zeit. Wir brauchen Corona-Sonderurlaub auch nach der Pandemie, damit wir nach einer langen Zeit, in der neben der Arbeit kaum etwas stattfand, wieder spüren können, warum wir auf der Welt sind.” Auch, wenn kritisch zu diskutieren wäre, um wen es sich bei diesem kollektiven “wir”, das Bücker anspricht, handelt, so kann ich mich ihrem Punkt, den sie damit vermutlich setzen will, nicht ganz entziehen. Denn ein Leben, das primär aus Arbeit, genauer gesagt, Lohnarbeit und oft unbezahlter Care-Arbeit besteht, ist ziemlich anstrengend, wenn nicht sogar ermüdend. Hinzu kommt die psychische Belastung der Situation an und für sich. Die Unvorhersehbarkeit der Zukunft. Was bleibt einem da anderes übrig, als sich voll und ganz der Arbeit hinzugeben? Der nächste Urlaub rückt schließlich eh in immer weitere Ferne.

Mit der Gleichsetzung von Zeit mit Geld verblasste die Bedeutung ökologischer wie kultureller System- und Eigenzeiten immer mehr. “Dafür zahlen nicht nur die heute lebenden Menschen, sondern vor allem die Natur und die künftigen Generationen einen hohen Preis”, so der Zeitforscher Karlheinz Geißler in dem Buch Alles eine Frage der Zeit, welches just am heutigen Tage erscheint. Er und seine zwei Co-Autoren, Harald Lesch und Jonas Geißler eröffnen darin eine weitere Perspektive auf das Phänomen Zeit, die eigentlich von größter Relevanz für uns alle sein sollte. Nämlich die Frage, wie viel Zeit uns noch bleibt, um unseren Planeten und damit auch die Menschheit zu retten. Sprich, wie viele Jahre oder Jahrzehnte, bleiben uns noch, um die Klimakrise abzuwenden? Um das Schlimmste zu verhindern oder gar das Blatt zu wenden und eine lebenswertere Zukunft zu gestalten? “Klimakrise, Artensterben, Burn-out? Alles eine Frage der Zeit!”, sagt Harald Lesch. “Zeitnot und Hektik prägen unsere Gesellschaft. Gemäß dem Motto »Zeit ist Geld« kämpfen wir gegen alles Langsame, Bedächtige oder Pausierende, oft bis zur Erschöpfung. Dafür zahlt auch die Natur einen hohen Preis: Unsere Nonstop-Gesellschaft forciert die ökologische Krise. Was die Natur in Jahrtausenden erzeugt hat, wird in kürzester Zeit »verwertet«, ja regelrecht verbrannt.” Was es den Autoren zufolge bedarf, ist eine “nachhaltige Zeitkultur”, “in der das Diktat der Verrechnung von Zeit in Geld überwunden ist und wir nicht länger uns und unsere Umwelt verschleißen. [Denn nichts] hat keine Zeit, alles aber hat seine Zeit! Verändern wir unser Verhältnis und Verständnis zur Zeit, dann fördern wir die Zukunftsfähigkeit unserer Lebensformen.” Es ist wirklich an der Zeit, so könnte man sagen!

Ein Blick auf die Politik erweckt jedoch eher den Eindruck, als lebe sie in einem anderen Raum-Zeit-Kontinuum, zu der die existenzielle Dringlichkeit der klimatischen Veränderungen noch nicht vorgedrungen ist. Oder aber, es gilt, was Ernst Ferstl einst schrieb: “An Zeit fehlt es uns vor allem dort, wo es uns am Wollen fehlt.” Nur ist das wiederum der Natur ziemlich einerlei, ob wir wollen oder nicht. Der Klimawandel wird sich weiter vollziehen, wenn wir den Kurs nicht ändern. Und damit ist nicht nur die Umsetzung der Maßnahmen des Pariser Klimaabkommens gemeint, sondern auch das Überdenken unseres Verständnisses von uns Menschen in der Welt und damit auch in der Zeit. Autor und Berater Jonas Geißler empfiehlt dazu folgendes: “Eine gute Möglichkeit, sich selbst auf die Spur zu kommen, ist, statt “Zeit einmal “Leben” zu sagen und zu beobachten, was dann passiert. Unsere Wahrnehmung verändert sich augenblicklich: ›Ich habe kein Leben?‹ ›Ich leide unter Lebensknappheit?‹ ›Ich habe Lebensprobleme?‹ Es wird deutlich, wie unser Denken und Sprechen über die Zeit uns dazu verführt, auf einer bestimmten Ebene zu bleiben und die dahinter liegenden Probleme nicht zu erfassen. Wenn wir sagen: ›Ich habe keine Zeit‹, scheint das etwas zu sein, was außerhalb unserer Verantwortung liegt. Wenn wir sagen: ›Ich habe kein Leben‹, sprechen wir von uns.”

Sicherlich, das Hinterfragen individuellen Zeitverständnisses und -gebrauchs ist ein wichtiger Schritt – dabei belassen sollten wir es jedoch nicht. Ein sehr viel grundsätzlicheres Umdenken, insbesondere auf ökonomischer Ebene sei vonnöten, so der Zeitforscher Karlheinz Geißler: “Der vom Messen besessene Kapitalismus sieht in der Natur eine endlos verfügbare Ressource, der man sich, ohne sich um die Reproduktion zu kümmern, nach Belieben bedienen kann. Zeit ist aber ebenso wenig eine Ressource wie das Leben selbst. »Ressource« ist sie nur in der ökonomischen Systemlogik. Wir tun gut daran, deshalb auch nur im Rahmen ökonomischer Diskurse der Zeit Ressourcencharakter zuzuschreiben. Geht’s um Zeit in Kultur, Kunst, Politik oder in Bildung und Erziehung, ist die Ressourcenperspektive fehl am Platze. In der Ökonomie muss man Zeit gewinnen, in der Erziehungs- und der Bildungsarbeit, wie auch in der Kunst, Zeit in kreativer Art und Weise verlieren.”

Es gilt also bewusster und zugleich “verschwenderischer” mit Zeit umzugehen. Für einen neuen Zeitwohlstand, der allen zugutekommt, Mensch, wie Natur. Die Zeit dafür ist mehr als reif! Nehmen wir sie uns!


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16. März 2021

Frank Adloff: Denkbar, eine post-neoliberale Welt?

von Ricarda Manth 4. Februar 2021

Wie können wir in Zeiten der Globalisierung miteinander leben, uns unterscheiden und Konflikte haben, ohne uns zu massakrieren? Erst kürzlich, im September 2020, erschien das zweite konvivialistische Manifest, in dem über 300 Intellektuelle aus 33 Ländern für neue Formen des Zusammenlebens und eine „post-neoliberale Welt“ plädieren. Der Soziologe und Mitinitiator Frank Adloff erklärt im Gespräch was es mit dem Konzept des Konvivialismus auf sich hat und welche Ziele es verfolgt. 

Shownotes:

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  • Die Deutsche Website der Konvivialisten.
  • Die Französische Website Convivialisme.
  • Das erste sowie das zweite Konvivialistische Manifest finden sich auf der Website des transcript Verlages als Open Source Dateien zum kostenlosen Download.
  • Das Forschungskolleg “Zukünfte der Nachhaltigkeit” der Universität Hamburg.

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4. Februar 2021

2020: Reflexion einer Welt im Wandel

von Ricarda Manth 28. Dezember 2020

Reflexion, aus dem Lateinischen reflectio, was so viel, wie „Zurückbeugung“ bedeutet, lässt sich im philosophischen Sinne als die Rückwendung des Denkens vom Objekt der Erkenntnis auf die eigene Verstandestätigkeit und das sich daran anknüpfende kritische Nachdenken über das eigene Denken verstehen. Wir versuchen zu einer tieferen Erkenntnis vorzudringen. Die Welt, wie auch unser eigenes Sein und Tun zu verstehen. Genau das erweist sich im Jahr 2020 als schier unmöglich. Einem Jahr, in dem Vieles so wenig nachvollziehbar scheint. Oder gerade doch, nur sehr komplex und verkettet. Abhängigkeit und Verbundenheit. Zwei Seiten einer Medaille.

Shownotes:

► SRF: Sternstunde Philosophie: Annemarie Pieper: Die Wogen des Lebens.
► Wolfram Eilenberger in Deutschlandfunk Kultur: Die Kette(n) des Lebens.
► Hans Rusinek im Politischen Feuilleton von Deutschlandfunk Kultur: Wandel bewältigen. Mit Paul Cézanne neues Denken lernen.
► Sinneswandel Podcast: Maja Göpel: Brauchen wir ein neues Weltbild?.
► Maja Göpel: Unsere Welt neu Denken. Hugendubel (02/2020).
► 3sat Kulturzeit extra: Der philosophische Jahresrückblick 2020.
► Sinneswandel Podcast: Rahel Jaeggi: Können wir uns selbst finden?.
► Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit. Suhrkamp (10/2020).
► Tristan Garcia: Das intensive Leben: Eine moderne Obsession. Suhrkamp (04/2017).
► Sinneswandel Podcast: Kübra Gümüsay: Wie beeinflusst Sprache unser Sein?.
► Tupoka Ogette: exit RACISM. Unrast Verlag (09/2020).
► Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten. Hanser Literaturverlage (09/2019).
► Rutger Bregman: Im Grunde gut. Rowohlt (03/2020).

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Transkript: 2020: Reflexion einer Welt im Wandel

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen, letzten Episode diesen Jahres begrüßen zu dürfen.


Eigentlich war ich der Auffassung, die letzte Episode über das Potenzial des Bruchs eigne sich hervorragend als Abschluss. Um 2020, dieses turbulente Jahr, zu verabschieden. Der Überzeugung bin ich nach wie vor. Nichtsdestotrotz, als ich in den vergangenen Tagen das Jahr für mich noch einmal vor meinem inneren Auge habe vorbeiziehen lassen, hat es mich doch gepackt. Genauer gesagt, der Wunsch, doch noch einmal ein paar persönliche Worte zu verlieren. So möchte ich den Versuch wagen, zumindest ein paar der für mich eindrücklichsten Ereignisse noch einmal Revue passieren und euch an meinen Gedanken teilhaben zu lassen. Zudem möchte ich einen kleinen Ausblick in das noch vor uns liegende 2021 geben. 

Zunächst kann man sich fragen, wozu Reflektieren? Zumindest hat sich mir diese Frage gestellt. Also her mit der begrifflichen Herleitung: Reflexion, aus dem Lateinischen reflectio, was so viel, wie „Zurückbeugung“ bedeutet, lässt sich im philosophischen Sinne als die Rückwendung des Denkens vom Objekt der Erkenntnis auf die eigene Verstandestätigkeit und das sich daran anknüpfende kritische Nachdenken über das eigene Denken verstehen. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Wir versuchen zu einer tieferen Erkenntnis vorzudringen. Die Welt, wie auch unser eigenes Sein und Tun zu verstehen. Soweit uns das möglich ist. So war der Philosoph und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz der Auffassung, “Reflexion [sei] nichts anderes als die Aufmerksamkeit auf das, was in uns ist.“ Platon sprach von der „Erkenntnis der Erkenntnis“ und Aristoteles nannte die Reflexion das „Denken des Denkens“. Beim Reflektieren lassen wir also nochmals das Vorangegangene vor dem geistigen Auge Revue passieren. Wobei dies zumeist weniger ein rein gefühlsmäßiges Erinnern, als vielmehr eine kritische Prüfung der Situation, eine Beleuchtung aus verschiedenen Standpunkten heraus zum Ziel hat.


Mit diesem Wissen im Hinterkopf, scheint es nur noch wenig verwunderlich, dass wir zum Jahresende noch einmal die Geschehnisse reflektieren, sie kritisch hinterfragen und unsere Rolle in ihnen und der Welt an sich zu verstehen suchen. Die Philosophin Annemarie Pieper sagt in der Sternstunde Philosophie im Schweizer Rundfunk: “Man möchte doch eine Antwort, die darauf hinausläuft, dass man sich sicher ist, es war nicht umsonst.” Eine Suche nach Sinnzusammenhängen, nach Kausalitäten und Selbstwirksamkeit durch das eigene Eingebettet Sein im Kosmos. 

Genau das erweist sich im Jahr 2020 als schier unmöglich. Einem Jahr, in dem Vieles so wenig nachvollziehbar scheint. Oder gerade doch, nur sehr komplex und verkettet. Vielleicht ein Grund mehr, weshalb die Philosophie in diesem Jahr ganz besonders gefragt schien. Der Ausbruch des Covid-19 Virus hat uns die eigene menschliche Verletzbarkeit vor Augen geführt, die beinahe in Vergessenheit geraten schien. Sowie, dass wir Teil der Natur sind und nicht über ihr stehen. Was es braucht, sei eine „Politik des Lebens, statt einer Politik der Menschen“, so der Philosoph Wolfram Eilenberger in einem Beitrag des Deutschlandfunk Kultur über die “Die Kette(n) des Lebens”. Und er richtet damit zugleich den Blick auf die Klimakrise, deren Bewältigung, so scheint es manchmal, aufgrund der Pandemie Bekämpfung zu kurz kommt. Munkelten oder hofften einige gar, sie sei durch selbige gelöst, weil man doch weniger fliege und angeblich Delfine im Canale Grande gesichtet habe. Doch der Eindruck trügt. Die Bedrohung durch den Klimawandel ist oder sollte uns gerade durch die Pandemie noch mehr ins Bewusstsein gerückt sein. Eben, weil alles mit allem zusammenhängt. Dass in Wahrheit nichts und niemand nur für sich, unverbunden, atomar isoliert existiert, sondern eingereiht ist in ein Kontinuum, das jedes einzelne Glied mit jedem anderen verbindet und verknüpft. Es geht also um eine neue Betrachtungsweise der Dinge, einen Sinneswandel.

“Probleme wie den Klimawandel werden wir nicht lösen können, wenn wir uns nicht von erstarrtem Denken verabschieden”, meint auch der Philosoph Hans Rusinek im Politischen Feuilleton des Deutschlandfunk Kultur. “Was es braucht, um in der Welt des Wandels zu bestehen, ja sie zu einer besseren zu formen, ist kein krampfhaftes Suchen nach Statik, sondern ein Denken in Dynamik”, führt Rusinek fort. “Mit einem Blick, mit dem sich überhaupt erst reagieren lässt: gelassen, neugierig, bestimmt. Mit dem man sagen kann, dass unser Handeln nicht nur ein reflexhafter Überlebensmechanismus ist, sondern schon eine neue Art zu leben für eine Welt, die sich immer in Entstehung befindet. Eine Welt, die es nicht in den Griff zu kriegen, sondern offen wahrzunehmen gilt. Eine Welt, die nicht aus Dingen besteht, sondern eben aus Kräften, Bindungen und unzähligen Potenzialen – in der nur eines immer sicher ist, dass nichts bleibt, wie es ist.” „Nichts ist so beständig wie der Wandel“, wie schon der antike Philosoph Heraklit von Ephesus feststellte. Nur erscheinen uns die Dinge oft weniger beweglich, manchmal gar festgefahren. Als wäre die Welt nie eine andere gewesen.

Vielleicht ist mir auch aus diesem Grund das Gespräch im Podcast mit der Transformations- und Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel besonders in Erinnerung geblieben. „Ändere die Sicht auf die Welt, und es verändert sich die Welt”, lautet ihr Plädoyer in ihrem in diesem Jahr veröffentlichten Buch “Unsere Welt neu Denken”. „Es sind unsere selbst gemachten Regeln, aus denen die Welt, wie wir sie kennen und uns eingerichtet haben, besteht.“ Es liegt also an uns, so Göpel, den Status-quo zu hinterfragen und unsere Denkmuster auf ihre Tauglichkeit für die Gegenwart zu prüfen. „Um in der neuen Realität gut zusammenleben zu können, müssen wir auch unsere Vorstellungen von Fortschritt ändern, sonst verschieben wir Probleme einfach weiter in die Zukunft.“ Das fängt schon damit an, welche Sicht auf die Welt wir den nachwachsenden Generationen vermitteln, meint auch der Philosoph Michael Hampe in einem Interview im Philosophischen Jahresrückblick im Kulturzeit extra. Man solle junge Menschen in Schulen und Universitäten weniger auf die gegenwärtige Gesellschaft vorbereiten, als vielmehr darauf, sie umzugestalten.

Und dafür braucht es Selbstwirksamkeit. „Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist das beste Mittel, um in einer Krise von reaktivem Abwehren auf aktive Lösungsgestaltung zu schalten,“ schreibt auch Maja Göpel. Ein Gefühl, das vielen Menschen abhanden gekommen zu sein scheint. Zumindest ist mir dies nachdrücklich durch das Gespräch im Podcast mit der Philosophin Rahel Jaeggi, in Erinnerung geblieben. Sie ist der Überzeugung, unsere derzeitige kapitalistische Wirtschafts- und Lebensweise verschleiere nicht nur viele Zusammenhänge, sondern erschwere es uns Menschen zudem, selbstbestimmt unsere Lebensentwürfe zu realisieren. Geschweige denn, sie zu hinterfragen. Also laufen wir stur immer weiter geradeaus. Bis wir ganz erschöpft sind, von all der sinnlosen Hetzerei nach Produktivität und Effizienz. Gegen die fortschreitende Entfremdung zwischen Mensch und Welt setzt der Soziologe Hartmut Rosa die Resonanz, als klingende, unberechenbare Beziehung mit einer nicht-verfügbaren Welt. Zur Resonanz kommt es, so Rosa, wenn wir uns auf Fremdes, Irritierendes einlassen, auf all das, was sich außerhalb unserer kontrollierenden Reichweite befindet – ein Moment der Unverfügbarkeit. Eines der Bücher und Gedanken, die mich in diesem Jahr maßgeblich beeinflusst haben.

Wir können also nicht alles besitzen, nicht alles beanspruchen. Sonst geht es uns Verlust, wenn wir den Worten Rosas Glauben schenken. Es braucht Maß und Mitte, Begrenztheit, damit wir das (gute) Leben überhaupt wahrnehmen, geschweige denn genießen können. Ein “immer mehr” im Bezug auf unser Wirtschaftswachstum und den angeblich damit verbundenen Wohlstand für alle, ist den meisten schon als Schwindel aufgeflogen. Doch auch im Hinblick auf unsere eigene Lebensweise, scheinen einige in diesem Jahr auf besondere Art mit dem Reiz des Wenigers in Berührung gekommen zu sein. So war während der ersten Lockdown Phase von einer “wohltuenden Entschleunigung” die Rede. Selbst, wenn sie erzwungen war. Denn die ständige Suche nach Intensität sei auch anstrengend, so der französische Philosoph Tristan Garcia. “Süchtig jagen wir neuen Höhepunkten und Extremen nach, immer unter Strom. Kein Wunder also, dass in unseren »Hochspannungsgesellschaften« das Unbehagen wächst.”
           
Doch schnell wurde deutlich und haben wir gelernt, dass dieses Gefühl einer wohltuenden Entschleunigung, längst nicht allen vergönnt ist. Spätestens, als der Begriff der “Systemrelevanz” in aller Munde war, ist vielen bewusst geworden, dass kein kollektives “Wir” existiert. Auch nicht in der Krise. Denn gerade die hebt die Diskrepanzen hervor. Dass wir längst nicht alle gleichsam von den Auswirkungen der Pandemie betroffen sind. Ebenso, wie die Klimakrise zuerst Arme, Frauen und Kinder trifft, lässt sich dies auch im Hinblick auf das Virus behaupten. Die Pandemie als Brennglas bestehender Missstände, wie es oft betitelt wurde. Dass wir längst nicht alle in einer Gesellschaft mitdenken, lässt sich auch anhand unserer Sprache verdeutlichen, behauptet die Autorin und Aktivistin Kübra Gümüsay, mit der ich mich ebenfalls in diesem Jahr im Podcast unterhielt. Unsere Sprache beeinflusst unser Sein. Wie wir uns in der Welt bewegen. Wie wir denken und handeln. Von einer gleichberechtigten Welt sind wir noch weit entfernt, so Kübra.

Doch lässt sich durchaus behaupten, wir befinden uns zumindest auf einem Weg der Besserung. Wie insbesondere die Black Lives Matter Proteste im Sommer deutlich gemacht haben. Ausgelöst natürlich von einem tragischen Moment, einem grausamen Akt der Gewalt und des Rassismus: Der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten. Die Welle der Empörung sowie Solidarität, die sich im Anschluss an das Geschehen jedoch zutrug, war überwältigend. Und hat viele Menschen dazu bewogen ihr eigenes Denken und Handeln zu hinterfragen. So , waren in diesem Jahr Bücher wie “Exit Racism” der Autorin Tupoka Ogette oder “Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ von Alice Hasters in aller Munde. Und, wir wissen, Bewusstsein ist der erste Schritt zur Veränderung. Wenn auch nicht genug. Taten müssen folgen.

Der Mensch ist ein zoon politikon, so Aristoteles. Was meint, dass der Mensch ein soziales, auf Gemeinschaft angelegtes und Gemeinschaft bildendes Lebewesen ist. Nur scheinen wir das zeitweise zu vergessen. Beziehungsweise, die Welt, in der wir leben, macht es uns nicht immer leicht, uns darüber im Klaren zu sein. Dabei seien wir “im Grunde gut”, schreibt der Autor und Historiker Rutger Bregman, dessen Buch ich erst vor wenigen Tagen las. Und geht man von dieser Prämisse aus, so Bregman, sei es möglich, die Welt und uns Menschen in ihr komplett neu und grundoptimistisch zu denken. Dafür müssten wir uns aber zunächst darüber bewusst werden, wie wir werden konnten, wer wir heute sind. Und da wären wir wieder, bei der Reflexion. Dem Innehalten. Dem kritischen Hinterfragen. Man kann aus der Vergangenheit und aus Fehlern lernen. Wie sich an den Wahlergebnissen im November in den USA sehen lässt. Die Niederlage Trumps, als Sieg der Vernunft?! Vielleicht. Es wird sich zeigen. Aber zumindest, und da pflichte ich Bregman bei, haben wir es zu einem nicht unwesentlichen Teil selbst in der Hand. Den Lauf der Dinge mitzugestalten. “Wir” im Sinne der Gesellschaft, in der wir leben. Wohl auch als Einzelne, aber insbesondere, als Teil des Ganzen, der Zusammenhänge. So schreibt Wolfram Eilenberger: „In Ketten leben“ – zunächst ein Urbild menschlicher Unfreiheit. Auf einer weiteren Bedeutungsebene aber auch kraftvoller Ausdruck einer Vision kosmischer Allverbundenheit”. Das mag für die ein oder andere etwas esoterisch anmuten, beschreibt aber in meinen Augen doch recht treffend das bei mir, in diesem Jahr entstandene, durchaus ambivalente Gefühl. Abhängigkeit und Verbundenheit. Zwei Seiten einer Medaille.


So hat sich mir sogar gezeigt, dass Verbundenheit manchmal durch eine gewisse Abhängigkeit erst entstehen kann. So wäre dieser Podcast nicht möglich, ohne die Menschen, die an ihm mitwirken. Dazu zählt ganz besonders Edu Alcaraz, der als Co-Redakteur nicht nur meine geschriebenen Worte sorgfältig prüft, sondern auch selbst durch seine klugen Gedanken einen wesentlichen Teil beiträgt. Nicht denkbar, wäre der Podcast zudem, ohne die technische Unterstützung durch Jan-Marius, der durch sein Geschick Schnitt und Ton perfektioniert, wie auch Ricarda, die alle technischen Fäden im Hintergrund zieht. Ganz besonders freuen, tut mich auch die noch recht junge Bereicherung des Podcast, durch eine größer werdende Zahl an Gastautorinnen und -autoren. Dazu zählen in diesem Jahr Manuel Scheidegger, Isabell Leverenz und Katharina Walser. Bedanken möchte ich mich zudem bei allen Gästen, die für Gespräche in diesem Jahr zur Verfügung standen. 25 Stimmen waren es insgesamt – ich habe es nachgezählt. Mein größter Dank gilt aber wohl den Hörerinnen und Hörern des Podcast. Euch, die ihr mir und uns euer Ohr wie Zeit schenkt. Ohne euch wäre Sinneswandel quasi sinnbefreit. 

Und, um noch einmal kurz zum Thema Abhängigkeit und Verbundenheit zurückzukommen, 2020 war zudem auch das erste Jahr, in dem wir uns unabhängig von Werbeeinnahmen gemacht haben. Und zwar durch oder eher dank euch. Dank all denen, die sich dazu entschlossen haben, als Fördermitglieder den Podcast finanziell zu unterstützen. Zu diesem Zeitpunkt, an dem ich diese Worte einspreche, zählt Sinneswandel 173 Mitglieder. Nur auf Steady wohlgemerkt. Ebenso dankbar sind wir natürlich auch für die Beiträge, die uns via Paypal oder Überweisung erreichen. Danke, dass ihr (einen) Sinneswandel möglich macht. Dafür verspreche ich auch hoch und heilig, dass wir weiterhin bemüht sein werden, spannende Beiträge, die zum Mitdenken anregen, für euch zu produzieren. 

Vielleicht ein kleiner Ausblick in 2021: Das Jahr einstimmen, werden wir mit einer Lobeshymne auf die Faulheit. Dem folgen, wird ein Plädoyer für Denkräume und neue Narrative wünschenswerter Zukünfte. Gemeinsam werden wir uns fragen, was es eigentlich bedarf, um Wandel voranzutreiben. Dabei werfen wir auch einen Blick in die Welt der Kunst, des Gestaltens schlechthin. Soweit der Plan. Änderungen vorbehalten. Bedeutet auch, wenn ihr Wünsche, Anregungen, Shitstorms und Liebesbrief loswerden möchtet, dann gerne an redaktion@sinneswandel.art. In diesem Sinne, bedanke ich mich fürs Zuhören und wünsche einen hoffentlich erholsamen Ausklang diesen turbulenten Jahres, wie auch einen erfrischenden Auftakt in 2021. Bis dahin, macht’s gut und bis bald, im Sinneswandel Podcast.

28. Dezember 2020

Clara Mayer: Was hat Klimagerechtigkeit mit Feminismus zu tun?

von Marilena 7. Oktober 2020

Zwei Jahre gehen sie nun auf die Straße und protestieren. Lassen dafür sogar die Schule sausen. Weil ihr Anliegen ihnen so wichtig und weitreichend erscheint, dass sie keine Kompromisse eingehen können und wollen. Sie fordern einen radikalen Wandel – jetzt und nicht morgen. Denn die Klimakrise lässt nicht auf sich warten. Doch es geht nur schleppend voran. Die Ziele, die einst im Pariser Klimaabkommen festgelegt wurden, wie auch die Maßnahmen des Klimapakets, scheinen nur zweitrangig zu sein. Dabei müsste Klimagerechtigkeit doch ganz eindeutig an oberster Stelle stehen. Diese Meinung vertritt auch Clara Mayer. Sie ist Pressesprecherin von Fridays For Future Berlin. Bezeichnet sich selbst als Klimaaktivistin und “feminist monster”.

SHOWNOTES:

► Mehr von und über Fridays For Future um informiert zu bleiben.
► Clara Mayer ist auch auf Instagram und Twitter präsent.

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7. Oktober 2020

Über Radikalität und (faule) Kompromisse

von Marilena 25. Mai 2020

“Rettet unsere Erde, wir haben nur diese eine!” “Climate Justice Now!” Sätze, wie diese, liest und hört man seit einiger Zeit häufiger. Auf Plakaten, in Demonstrations-Gesängen, in Talkshows, auf Twitter. Dass es so nicht mehr weitergehen könne. Dass es ein Umdenken und ein entsprechendes Handeln brauche. Und zwar jetzt. Oder am besten schon gestern. Dass wir alles Notwendige tun müssten, um nicht in einem vollständigen Kollaps zu enden. Gibt es Situationen, in denen es legitim ist, radikal zu handeln? Oder sollten wir stets die goldene Mitte suchen? Diesen Fragen möchte ich in der heutigen Episode, insbesondere aus philosophischer Sicht, nachgehen.

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  • Leseempfehlung: Radikale Kompromisse, ein Beitrag aus der Tageszeitung Neues Deutschland
  • Hörempfehlung: Lob der Dissidenz, ein Beitrag von Deutschlandfunkkultur über das Widerständige in unserer Gesellschaft.
  • Klassiker: Der Mensch in der Revolte von Albert Camus (1951).
  • Sehenswert: Die Ausstellung über die radikale Denkerin Hannah Arendt im Deutschen Historischen Museums in Berlin (27.03.-18.10.2020).

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TRANSKRIPT:

Hallo und herzlich Willkommen zum Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich euch in der heutigen Sendung begrüßen zu dürfen.

“Rettet unsere Erde, wir haben nur diese eine!” “Climate Justice Now!” Sätze, wie diese, liest und hört man seit einiger Zeit häufiger. Auf Plakaten, in Demonstrations-Gesängen, in Talkshows, auf Twitter. Dass es so nicht mehr weitergehen könne. Dass es ein Umdenken und ein entsprechendes Handeln brauche. Und zwar jetzt. Oder am besten schon gestern. Dass wir alles Notwendige tun müssten, um nicht in einem vollständigen Kollaps zu enden. 

Aber sollten wir alles dafür tun, wirklich alles? Das klingt doch sehr extrem oder radikal. Denn bedeutete das nicht auch, dass andere Dinge dafür zurückgestellt werden müssten? Wie zum Beispiel unser Streben nach Wachstum. Oder bedeutet es vielleicht sogar, dass andere dafür Leid in Kauf nehmen müssten? Familien sich im Ausland beispielsweise nicht mehr besuchen könnten, da Flüge für sie unerschwinglich geworden sind. 

Jede Entscheidung, ganz gleich wofür, bringt Konsequenzen mit sich. Und manchmal frage ich mich, ob wirklich alle Entscheidungen gut durchdacht sind. Denn bei aller Kritik an der Radikalität einiger Klimaaktivist*innen, müssen nicht auch unter den heutigen Bedingungen, die durch Entscheidungen einst geschaffen wurden, Menschen leiden? Was ist mit all jenen, die sich kein Auto leisten können und dennoch den Feinstaub tagein tagaus inhalieren? Oder den Menschen, die jetzt bereits vor Naturkatastrophen aus ihren Heimatländern flüchten müssen? Sind diese nicht auch Teil eines Kompromisses, der nur weniger offensichtlich scheint, da er seltener thematisiert wird, als potentielle Konsumeinschränkungen?

Da kann man sich doch die Frage stellen, ob es denn überhaupt so etwas wie eine “richtige” bzw. allen dienliche Entscheidung gibt. Eine, in der keine Person oder Gruppe den Kürzeren zieht. Oder gar ein Gefangenendilemma entsteht, in dem beide schlechter abschneiden. Ist das möglich? Oder besteht das Leben eben genau darin, dass wir stets Kompromisse eingehen müssen?

In der heutigen Episode soll es anders, als vielleicht vermutet, nicht um die Klimakrise und ihre Bewältigung gehen. Diese stellt lediglich ein geeignetes Beispiel für die sich immer wieder entfachenden Debatten um die Frage nach dem richtigen Maß zwischen Radikalität und Kompromiss dar. Gibt es Situationen, in denen es legitim ist, radikal zu handeln? Oder sollten wir stets die goldene Mitte suchen? Diesen Fragen möchte ich in der heutigen Episode, insbesondere aus philosophischer Sicht, nachgehen. Ich betone diese Eingrenzung, da ich mir bewusst bin, dass heute bei weitem nicht alle Aspekte, die mit dem Begriff der Radikalität zusammenhängen, angesprochen werden. Insbesondere das Politische des Radikalen,  das dieses Mal nur angerissen werden kann, die Betrachtung aus diesem Blickwinkel, wäre noch einmal eine ganze Sendung wert. Darum wage ich nun erstmal einen Anfang, es ist ein Versuch, sich diesem großen und wichtigen Thema, das unsere Zeit prägt, zu nähern.


Bevor wir in das Thema einsteigen, möchte ich kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Der Podcast ist nämlich komplett werbefrei, was er allerdings nur mit eurer Hilfe bleiben kann. Als Fördermitglieder ermöglicht ihr meinem Team und mir Produktion des Podcast. Unterstützen könnt ihr via Steady, Paypal und Überweisung. Das geht schon ab 1€. Schaut einfach in die Shownotes, dort habe ich alles verlinkt. Nun wünsche ich euch aber viel Freude beim Zuhören.





Was bedeutet Radikalität überhaupt? 

Spannend an dem Begriff der Radikalität ist, dass ihm eine gewisse Ambivalenz anhaftet. In der Kunst und Literatur ist der Begriff des Radikalen zum Beispiel eher positiv konnotiert. Man denke an den Expressionismus oder die Epoche des Sturm und Drang. Das Radikale hat auf der einen Seite etwas sehr Anziehendes, weil es uns aufrüttelt und aus unserem Tiefschlaf erweckt. Auf der anderen Seite kann es auch ungemütlich werden und uns irritieren oder sogar abstoßen weil es mit dem bricht, was wir gewohnt sind. 

Mit am treffendsten hat vielleicht der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Karl Marx ausgedrückt, was “radikal” für ihn bedeutet. Seine Definition bezieht nämlich den Ursprung des Wortes mit ein. „Radikal“ kommt nämlich aus dem Latein, leitet sich von dem Wort radix ab, was „Wurzel“ bedeutet. Und so schreibt Marx „Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst“. Wenn wir also von Radikalität sprechen, dann wird damit oft ein irreversibler Kontinuitätsbruch gemeint. Die Radikalen wollen zum Wesen der Dinge vordringen, anstatt bloß an ihren äußeren Erscheinungen herumzudoktern. Dabei wird das eigene Sein und Tun einem höheren Ziel unterstellt, für das man gegebenenfalls sogar bereit ist sein Leben aufs Spiel zu setzen.

Nun könnte man sich fragen, wenn die Radikalen sogar bereit sind sich für eine Sache aufzuopfern, wie unterscheiden sich diese dann von den Extremisten? Oder sind das einfach zwei Synonyme für dieselbe Sache?

Verfassungsrechtlich wird eine sehr klare Unterscheidung zwischen Radikalität und Extremismus gemacht. So gelten zum Beispiel rechtsextremistische Ideologien mit der demokratischen Grundordnung als unvereinbar, unter anderem durch ihre Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und eine gegen den Gleichheitsgrundsatz gerichtete Fremdenfeindlichkeit. Radikale Strömungen hingegen müssen nicht zwangsläufig gegen die Prinzipien der demokratischen Grundordnung verstoßen. In der Realität verschwimmen die Grenzen jedoch bzw. sie trennscharf voneinander zu unterscheiden ist oft nicht leicht.

Aber auch die Philosophie hat sich mit der Unterscheidung zwischen dem Radikalen und Extremen beschäftigt. Der Philosoph Helmuth Plessner zum Beispiel hat den sogenannten „sozialen Radikalismus“ geprägt. Er glaubte an eine Art Heilkraft des Extremen. So geht es laut Plessner beim radikalen Denken der Philosophie meist um Erneuerung und nicht primär um Zerstörung. René Descartes wäre hier ein Beispiel, der mit seinem radikalen Zweifel einen Neuanfang im philosophischen Denken ermöglichte. “Cogito ergo sum – ich denke, also bin ich”, waren seine Worte. Das heißt, das einzige, dessen er sich glaubte sicher sein zu könne, war der Zweifel selbst. Und, indem er zweifelte, glaubte er zu denken. Also müsse er doch existieren. Eine für damalige Verhältnisse sehr radikale Sichtweise, die vieles in Frage stellte. Geprägt war Decartes eher rationalistische Theorie vor allem von dem Zerbröckeln des christlich-katholischen Glaubensmonopols und dem damit einhergehenden Fokus auf wissenschaftliche Fakten. Vor diesem Hintergrund, dem Zerbrechen eines bislang bekannten Weltbildes, ist Descartes verzweifelte Suche nach Klarheit und nach einem sicheren Fixpunkt des Denkens doch recht nachvollziehbar. 

Das heißt, Radikalität ist durchaus positiv besetzt, als etwas, das Bestehendes hinterfragt und Neues erschafft. Eine schöpferische Kraft. Man könnte auch sagen, die Radikalen sind bereit, sich für seine Idee aufzuopfern und vielleicht sogar zu sterben. Der  Extremist hingegen, um noch einmal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, ist sogar bereit anderen Schaden zuzufügen und sie gar zu töten aufgrund seiner Überzeugung. Das macht vielleicht den mit größten Unterschied aus.

Schön und gut, aber was bedeutet das nun in der Praxis? Gibt es in der Philosophie radikale Denker*innen, die die Dinge an der Wurzel packen und alles auf den Kopf stellen?

Definitiv. Einen radikalen Denker habe ich mit René Descartes ja bereits genannt. Es gab aber auch PhilosophInnen, die als radikal bezeichnet werden können. So beispielsweise die französische Philosophin Simone Weil. Sie hat nicht nur Radikalität theoretisch vertreten, sondern diese auch praktisch gelebt. Sie setzte sich für die Unterdrückten ein, war eigentlich ausgebildete Philosophielehrerin, schuftete aber lieber in Fabriken und verschenkte ihren Lohn. Simone war wild entschlossen, den Sinn des Lebens zu finden und das, was sie als richtig erkannt hatte, umzusetzen –koste es auch ihr eigenes Leben. Was es am Ende tatsächlich tat. Ihr Herz versagte schon im zarten Alter von 34 Jahren, da sie sich geweigert hatte Nahrung zu sich zu nehmen, um sich solidarisch mit ihren Landsleuten zu zeigen, die sich im Krieg befanden. Und das, obgleich sie mit Tuberkulose im Krankenbett lag. Das ist schon sehr radikal kann man sagen.

Allerdings, wenn man genauer hinschaut, folgt den meisten radikalen Gedanken der großen Philosoph*innen, meist eine moderate Auslegung. Sie folgt aber nicht, weil diese Denker*innen Angst vor der eigenen Courage hätten. Ganz im Gegenteil. Sie folgt, weil sie den Mut zu ihr haben. Weil sie konsequent genug sind, das zu entfalten, was aus diesen radikalen Gedanken folgt. So steht es mit Kants vermeintlichem moralischen Rigorismus, Nietzsches vermeintlichem Immoralismus,und Adornos vermeintlichem Negativismus. Um nur diese drei zu nennen. Jede wirklich radikale Philosophie verhält sich an den entscheidenden Stellen moderat. Einige würden das sogar als widersprüchlich bezeichnen: Wasser predigen und Wein trinken. Insbesondere in der Klimadebatte wird diese Kritik immer wieder deutlich. Ich denke da an den letzten Sommer zurück, in dem „die Jugend“, die mit FFF auf den Straßen protestierte, angeblich gleichzeitig auf Festivals ihren Müll zurückließ. Oder an die vielen guten Vorsätze, die wir uns machen, von Fleisch- und Flugverzicht, weniger Plastik usw., die wir selten konsequent einhalten. 

Ich vermute, dass es durchaus menschlich ist, das wir uns immer wieder ambivalent verhalten. Da das menschliche Zusammenleben solche Kompromisse erfordert. Der Philosoph und Staatstheoretiker Thomas Hobbes zum Beispiel war der Überzeugung, der Mensch sei im Naturzustand ein wildes Tier, ein Wolf, und nur durch das Zusammenleben mit anderen Menschen könne er die Vorteile der Gemeinschaft und des guten Lebens nutzen. Wie der gute Hobbes das erreichen wollte, sei mal dahingestellt. Aber eine Welt, in der wir alle kompromisslos unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse durchsetzen, hielten vermutlich die wenigsten für eine Wünschenswerte. Insofern kann es ja sogar wohltuend sein, Kompromisse einzugehen, wenn diese das gemeinsame Glück mehren. Jede Form der Beziehung erfordert es, Kompromisse einzugehen. Die Liebe ist da vielleicht als einer der größten zu nennen, da wir unsere Autonomie zugunsten des Zusammenseins zu einem gewissen Teil einschränken.

Nichtsdestotrotz fühlen wir uns häufig hin und hergerissen zwischen dem hedonistischen Streben nach Glück und der Einhaltung unserer moralischen Werte, die sich ja auch mit der Zeit wandeln können. So hat beispielsweise vor ein, zwei Jahren kaum jemand von Flug-Scham gesprochen und heute gehört es beinahe zum Standardvokabular. Was ich damit sagen möchte ist, radikal leben mag ein Vorsatz sein, ihn umzusetzen aber oft alltagsfern. Weil wir als Menschen immer wieder Kompromisse eingehen müssen, um unser Zusammenleben zu gestalten. Einerseits, weil wir intersubjektiv unterschiedliche Bedürfnisse haben, aber eben auch intrasubjektiv, also in uns selbst ambivalent sind.

Damit wir dennoch gemeinschaftlich zusammenleben und Entscheidungen treffen können, braucht es natürlich eine geeignete Form der Kommunikation. Wie so etwas funktionieren kann, damit hat sich unter anderem Jürgen Habermas in seiner Diskursethik beschäftigt. Ihm zufolge kann eine Einigung auf verbindliche Normen, die ein Zusammenleben in Gesellschaft ermöglichen, nur gelingen, wenn aufgeklärte Individuen in der Lage sind, sich austauschen. Ihre eigenen Weltbilder hinterfragen und gemeinsam moralische Werte entwickeln. Und eine verbindliche Norm kann nach Habermas nur dann akzeptiert werden, wenn sie von allen möglichen Betroffenen mit sämtlichen Folgen akzeptiert wird. Allerdings kann man sich nun fragen, ob Konsens und Kompromiss nicht zu unterscheiden sind. Man spricht ja auch gerne von sogenannten „Faulen Kompromissen“. 

Der israelische Philosoph Avishai Margalit hat sich diese Frage gestellt, ob es wohl gute und schlechte Kompromisse gebe. Für ihn gehört der Kompromiss sogar ins Zentrum philosophischer Reflexion, da wir selten genau das bekommen, was wir wollen. Darum sagt Margalit, sollten wir viel stärker anhand unserer Kompromisse beurteilt werden, als anhand unserer Ideale und Normen. Denn Ideale können uns zwar Wichtiges darüber sagen, was wir gern wären, Kompromisse aber verraten uns, wer wir wirklich sind. Und so lässt sich auch Margalits Antwort auf diese Frage als eine Art Kompromiss werten: Denn auch für ihn sind sie unentbehrlich für das soziale Leben. Wenn es aber faule Kompromisse sind, können sie, sagt er, für ein Gemeinwesen tödlich sein.

Mir kommt da sofort das Bild eines „Fähnchens im Wind“. Wenn wir zu offen sind und uns von jeder Woge mitreißen lassen, laufen wir Gefahr, uns selbst zu verlieren. Nicht im Sinne eines festen Kerns unserer Identität. Sondern viel mehr sind wir dann nicht mehr greifbar. Uns fehlt die Standhaftigkeit. Es braucht eine gewisse Positionierung unsererseits, mit der wir uns verorten und dadurch für andere greifbar werden.

Das spricht ja dann wiederum dafür, dass es so etwas, wie eine “goldene Mitte” gebe. Einen Weg zwischen Radikalität und faulem Kompromiss. Eine Balance vielleicht?

Interessant wird diese Frage auch, wenn man sich den Trend hin zur Achtsamkeit und modernen Spiritualität anschaut, der vor allem für mehr Mäßigung plädiert. Wobei ich vermute, dass dieser Wunsch nach Gelassenheit und die Suche nach einer verlorenen Mitte weniger philosophisch, als vielmehr daher rührt, dass unser Privatleben heute durchökonomisiert ist und damit auch dem Effizienz-Paradigma unterliegt. Wir müssen mehr leisten, in immer kürzerer Zeit und sind zugleich angehalten, flexibel auf die sich verändernden Umstände zu reagieren. Kein Wunder, dass man da den Wunsch nach mehr Gelassenheit verspürt. Was ich allerdings für problematisch halte, ist der Aufruf, allem, was dem Selbst schaden und die innere Ruhe aufrütteln könnte, aus dem Weg zu gehen. So predigen einige der sogenannten Mindfulness Coaches, man solle keine Nachrichten konsumieren, da sie nur über negative Schlagzeilen berichten. Diese radikale Abkehr von einem Teilaspekt der Realität halte ich für wenig zielführend, da wir so Gefahr laufen in unserer kleinen Bubble ein verzerrtes Bild der Welt zu entwickeln weil wir keine Kontroversen und Ambivalenzen mehr zulassen. Auf der anderen Seite kann ich verstehen, dass es als zum Teil frustrierend erlebt wird, wie sich die Welt entwickelt und nicht jeder die Zeit und Kraft hat, sein gesamtes Leben dem Gemeinwohl zu widmen. Allerdings bin ich zugleich der Auffassung, dass gerade das Gefühl, Teil von etwas zu sein, sei es in einer Bewegung, wie FFF oder einem Verein,  einen sehr sinnstiftenden Charakter hat, der in unserer heutigen sehr individualistisch geprägten Welt, durchaus hilfreich sein kann. Denn Selbstentfaltung und Gemeinwohl schließen sich keinesfalls aus, sie bedingen sich sogar. Eine Gesellschaft braucht einerseits mündige Subjekte, die sich entwickeln wollen. Andererseits können wir als Menschen alleine nicht überleben und sind auf die Gemeinschaft angewiesen. Insofern denke ich, das es kein entweder oder im Sinne eines Kompromisses darstellt, sondern sich gegenseitig ergänzt und das Leben des Einzelnen sowie uns als Gesellschaft bereichern kann.

Nun ist aber noch immer nicht die Frage nach der “goldene Mitte” beantwortet, ob es diese gibt und, was es mit diesem Maß auf sich hat. Aristoteles bezeichnet in seiner Nikomachischen Ethik die Tugend als mesótes, also Mittelmäßigkeit zwischen zwei Extremen, die es stets anzustreben gilt. Diese Mitte ist allerdings subjektiv und situationsabhängig durch die Vernunft des Einzelnen bestimmt und kann sich zwischen zwei Personen unterscheiden. Um ein paar Beispiele zu nennen: Freigebigkeit ist für Aristoteles die Mitte zwischen Geiz und Verschwendung. Und die Tapferkeit bewegt sich zwischen den Extremen der Feigheit und der Tollkühnheit – weder die Feigheit ist wünschenswert, noch eine übersteigerte, vernunftlose Tapferkeit, die Aristoteles als Tollkühnheit bezeichnet. Dementsprechend zeigt sich die Vorstellung vom guten Leben als eine mittlere Lebensform. Damit ist die Mitte aber gleichzeitig auch ein Äußerstes, das Beste, das möglich ist. Aristoteles gibt auch selbst zu, dass es sehr schwer ist, die Mitte zu treffen. Wie bei einem Dart-Spiel trifft man eben häufiger daneben. Also ist man aufgefordert ständig abzuwägen, um das richtige Maß zu finden. Übung macht den Meister. Je häufiger wir tugendhaft handeln, desto leichter fällt es uns, bis wir irgendwann gar blind die Mitte treffen.

Jungen Menschen wird ja auch häufig unterstellt, noch nicht so viele Erfahrungen gemacht zu haben, im Vergleich zu jenen, die ein gewisses Alter erreicht haben und damit oft eine gewisse Reife besitzen. Je älter wir werden, desto größer ist unser Repertoire an Erfahrungen, auf das wir als eine Art normativer Maßstab zurückgreifen können. Wir lernen Dinge mit der Zeit in Relation zu setzen. Das hat seine guten, wie schlechten Seiten. Einerseits lassen wir uns dadurch vielleicht nicht mehr so schnell aus der Fassung bringen und können gelassener durchs Leben gehen. Auf der anderen Seite besteht in den Extremen ja auch ein gewisser Reiz. Wir spüren uns dann oft besonders intensiv. Unsere Grenzen weiten sich aus. Diesen Prozess durchlaufen die meisten von uns in der Phase der Pubertät, dem Übergang in die Adoleszenz. Wenn wir radikal das Bestehende in Frage stellen, uns vom Elternhaus Stück für Stück abnabeln und unsere eigenen Wege gehen. Ich denke, dass dieser Prozess, sowohl evolutionär, als auch in sozialer Hinsicht wichtig für unsere Identitätsbildung als Individuum ist. Indem wir auch mal anecken und Widerstände spüren, lernen wir uns selbst besser kennen. Insbesondere was wir nicht wollen und dadurch eben auch, was wir uns stattdessen wünschen. Radikalität, im Sinne einer Etablierung eigener Ideale und Wertvorstellungen, gibt uns ja auch ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Autonomie.

Und, wenn wir mal ganz ehrlich sind, es braucht ein gewisses Maß an Radikalität. Individuell, wie auch im Sinne der Gemeinschaft. Ohne radikale Denker*innen und jene, die bereit waren für Ideale sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen, gäbe es heute wohl kaum Grundgesetz, Frauenwahlrecht, Genossenschaften und wir lebten noch immer unterdrückt von den wenigen Reichen und Mächtigen. Was zugleich bedeutet, dass auch heute nach wie vor radikale Denker*innen und Menschen braucht, die uns immer wieder daran erinnern das Bestehende zu Hinterfragen. Weil noch lange nicht alles gut so ist, wie es ist. Weil Wissen oft nicht ausreicht, um Missstände zu beheben, wie wir beispielsweise in der Klimakrise sehen können.

Da Albert Camus es weitaus besser in Worte fassen kann, als ich, möchte ich abschließend eine kurze Passage aus “Der Mensch in der Revolte” von 1951 lesen: 

“Was ist der Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt. Aber, wenn er ablehnt, verzichtet er doch nicht, er ist auch ein Mensch, der ja sagt aus erster Regung heraus. […] So ruht die Bewegung der Revolte zu gleicher Zeit auf der kategorischen Zurückweisung eines unerträglich empfundenen Eindringens wie auf der dunklen Gewißheit […] des Revoltierenden, <ein Recht zu haben auf…>. […] Er demonstriert hartnäckig, daß es in ihm etwas gibt, das <die Mühe lohnt>, das beachtet zu werden verlangt. […] Gleichzeitig mit dem Widerwillen gegen den Eindringling enthält jede Revolte eine völlig und unmittelbare Zustimmung des Menschen zu einem Teil seiner selbst.”

Insofern, um noch einmal zur Ausgangsfrage zurückzukehren, ob es so etwas, wie einen richtigen Weg, ein gutes Maß gibt, lautet meine persönliche Antwort: Ja und Nein zugleich. Ja, in der Hinsicht, als dass es stets auszuhandeln ist, was eine gute Entscheidung im jeweiligen Kontext ausmacht. Und dabei nicht nur die Konsequenzen für sich selbst, sondern auch für alles um mich herum in Betracht gezogen werden müssen. Im Bezug auf die Klimakrise zum Beispiel zukünftige Generationen, die real noch gar nicht existieren. Und Nein, insofern, dass es keinen allgemeingültigen richtigen Weg gibt, sondern, dass jede Entscheidung in ihren historischen und gesellschaftlichen Kontext eingebettet ist, der sich im stetigen Wandel befindet. 

Es ist und bleibt also kein einfaches Unterfangen. Und im Zweifel fahren wir, indem wir uns im übertragenen Sinne aneinander reiben, unsere Sichtweisen austauschen, wohl am besten. Das erfordert aber, dass wir gewillt sind, uns zu begegnen. Und das wiederum erfordert eine gewisse Haltung. Aber dazu vielleicht ein andern Mal… 

Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, ihr konntet etwas aus der Episode mitnehmen. In den Shownotes habe ich einige weiterführende bzw. interessante Artikel und Beiträge, die im Zusammenhang mit dem heute besprochenen Thema stehen, verlinkt. Wenn euch die Episode gefallen hat, teilt sie gerne mit anderen. Und natürlich würde ich mich besonders freuen, wenn auch ihr als Mitglieder einen Sinneswandel möglich macht. Alle infos dazu findet ihr ebenfalls in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald.
25. Mai 2020

Ein etwas anderer Jahresrückblick

von Marilena 5. Januar 2020

2019 also. Ein bewegendes Jahr. In vielerlei Hinsicht. Nicht nur für mich. Lasse ich die vergangenen Monate vor meinem inneren Auge Revue passieren, wird mir bewusst, wie viele politische und gesellschaftliche Ereignisse mich emotional, aber auch physisch bewegt haben: Europawahl im Mai, Brexit Hin und Her, die gewohnte Trump Misere, der Amazonas steht in Flammen, der heißeste Juni weltweit seit Wetteraufzeichnung. Anschlag in Halle, wachsender Rechtspopulismus und auf der anderen Seite der bisher größte Klimastreik in der Weltgeschichte am 20. September. Über 4 Millionen auf den Straßen weltweit. Alleine in Deutschland 1,4 Millionen.

Ich habe viel nachgedacht in 2019. Das klingt, als hätte ich das zuvor nicht getan. Aber ich meine damit nicht ein intentionales Nachdenken, wohlmöglich begleitet von Journalling und Meditation, sondern einfach nur Denken. Das, was eben kommt, wenn man gerade nichts tut. Oder, wenn man wie ich, zwei Wochen alleine wandern geht. In der Natur wird einem einiges bewusst. Wenn man dem Rascheln der Bäume im Wind lauscht, zu den gewaltigen Felswänden hinaufblickt. Dass man doch eigentlich ein Teil von ihr ist. Nichts von der Natur Abgetrenntes. Keine Umwelt, sondern Mitwelt. Nicht Ressource allein, sondern Leben. Wie du und ich.

In dieser Episode erfährst du:

  • Was mich im vergangenen Jahr 2019 bewegt hat.
  • Weshalb die unablässige Beschäftigung mit sich selbst, einen manchmal noch weiter von sich entfernen lässt.
  • Weshalb es ein gemeinsames Narrativ für eine lebenswerte Welt braucht.

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SHOWNOTES:

► Du sollst nicht funktionieren: für eine neue Lebenskunst von Ariadne von Schirach.
► Würde: Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft  von Gerald Hüther.

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TRANSKRIPT:

Es war ein wenig still hier die letze Zeit. Bewusst habe ich mich die verbleibenden Tage im Jahr ein wenig herausgenommen und somit auch den Podcast pausieren lassen. Um einerseits das vergangene Jahr zu reflektieren, Zeit mit meiner Familie zu verbringen und, um mich einfach mal der Muße hinzugeben. Was mir zugegebenermaßen nicht gerade leicht fällt. Andererseits brauchte ich diese Zeit auch, um in mich zu gehen und zu hinterfragen, ob mein Sein und Tun noch mit mir, meiner Weltsicht und Haltung räsoniert. Denn, wie oft habe ich es schon erlebt, dass ich mich so sehr im Geschäftigsein und den alltäglichen To-Do’s verloren habe, gelegentlich sogar untergegangen bin, ohne zu merken, dass es mich in die Tiefe zieht. Oft bin ich erst wieder aufgetaucht, als die Luft bereits knapp und meine Brust wie zugeschnürt war. Aber, ich bin aufgetaucht. Bin wieder zu Bewusstsein gekommen, habe tief durchgeatmet und schon bald eine neue Klarheit verspürt.


Aber, bevor ich in die Tiefe gehe, möchte ich dich gerne hiermit einladen, an meinen Gedankengängen und einem kleinen Ausschnitt meiner Reflexion des letzten Jahres, teilzuhaben. Natürlich ist dies nur ein Aspekt der Wahrheit, nicht zuletzt, da vermutlich ein großer Teil in meinem Unterbewusstsein schlummert und, zum anderen, da ich nicht mein gesamtes Leben auf dem Silbertablett servieren möchte. Ein bisschen vermeintliche Privatsphäre, solange es diese noch gibt und ein paar schmutzige Geheimnisse, möchte auch ich mir bewahren.


2019 also. Ein bewegendes Jahr. In vielerlei Hinsicht. Nicht nur für mich. Lasse ich die vergangenen Monate vor meinem inneren Auge Revue passieren, wird mir bewusst, wie viele politische und gesellschaftliche Ereignisse mich emotional, aber auch physisch bewegt haben: Europawahl im Mai, Brexit Hin und Her, die gewohnte Trump Misere, der Amazonas steht in Flammen, der heißeste Juni weltweit seit Wetteraufzeichnung. Anschlag in Halle, wachsender Rechtspopulismus und auf der anderen Seite der bisher größte Klimastreik in der Weltgeschichte am 20. September. Über 4 Millionen auf den Straßen weltweit. Alleine in Deutschland 1,4 Millionen. 


Es war das Jahr, das mich politisiert hat, wie kein anderes. Das mich aus meiner selbstbezogenen und beinahe fatalistischen Haltung, in der ich es mir reichlich bequem gemach hatte, herausgerissen hat. Und da stand ich nun. Wie nackt im Scheinwerferlicht. Fühlte mich ein wenig ertappt. Beschämt, so viele Jahre meinen Allerwertesten nicht hoch bekommen zu haben. Trotz all der Ungerechtigkeit, die sich zum Teil sogar direkt vor mir abgespielt hat. Von der ich manchmal sogar wusste und dennoch die Augen verschlossen habe. Man will sich ja nicht belasten mit all der Negativität. Die könnte einen ja davon abhalten, das Beste aus seinem Leben zu machen. Und, wie stünde man denn dann da? Wenn man nicht alle die Chancen und Möglichkeiten nutzen würde, die einem zur Verfügung stehen? Wenn man nicht all die Freiheit auskosten und zur besten Version seiner selbst heranwachsen würde? Wenn man nicht permanent an sich selbst arbeiten und sich optimieren würde? Ja wo kämen wir denn da hin? Gute Frage, aber dazu später mehr.


Ich beschließe also, trotz aller Scham, ehrlich mit mir zu sein. Auch, wenn das schmerzlich ist. Sich einzugestehen, nicht immer gut und richtig gehandelt zu haben. Nicht perfekt, sondern ein ganz normaler Mensch zu sein. Kein Gewinner, kein Superstar und auch kein Shero. Vielleicht auch besser so. Dann setzte ich doch lieber dort an, wo ich glaube, dennoch einen Unterschied machen zu können. Nicht alleine, versteht sich. Sondern als Teil. Als Teil von etwas Größerem. Mich nicht mehr als einzigartigen Rohdiamant, den es zu Schleifen und Polieren gilt, zu betrachten, sondern als etwas ganz Gewöhnliches. Vielleicht einen Kieselstein. Und dies nicht als Kränkung zu empfinden, sondern durchaus als entlastend. Denn auch als Teil von etwas bin ich dennoch einzigartig und nicht unbedeutsam. Aber, ich muss mich nicht mehr permanent herausstellen. Nicht tagein tagaus auf ein Podest stellen und auf den Applaus der anderen warten.


Weil man das eben so macht in einer zunehmende ökonomisierten Welt, in der Märkte und Marktstrukturen immer mehr Raum einnehmen. Privaten Raum. Lebensraum. Alles bekommt einen Preis. Auch wir Menschen. Denn wir sind im übertragenen Sinne alle zu KleinunternehmerInnen geworden, die sich selbst zur Ware machen. Dank Instagram und Co. geht das so leicht wie nie zuvor. Man muss nur die richtige Strategie fahren und genügend in sich und seine Persönlichkeitsentwicklung investieren. Das sei das zutiefst Pornographische an unserer Zeit, schreibt die Philosophin und Autorin Ariadne von Schirach in ihrem Buch „Du sollst nicht funktionieren“. Es geht darum, den größtmöglichen Nutzen mit den geringstmöglichen Kosten zu verbinden. Das Leben ist ein Geschenk und der Mensch Humankapital. Und dies gilt es gemäß des Effizienzparadigmas zu nutzen oder nutzbar zu machen. Aus allem lässt sich etwas abgewinnen. Man muss es nur sehen. Es hängt alles von der inneren Einstellung ab. Du bist, was du denkst. Also sei positiv! Mach das Beste draus! Dein Hobby zum Beruf, dein Leben zum Dauerurlaub auf Mallorca oder besser noch Bali.


Ouch! Schon wieder habe ich mich ertappt. Ja, auch diese Denkweise und Haltung habe ich eine ganze Weile selbst propagiert. Wobei ich mir natürlich nicht darüber bewusst war, dass die vermeintliche Befreiung und exzessive Selbstformung zu einem großen Teil eine Reaktion meinerseits auf die gesellschaftliche Verhältnisse war. Felsenfest war ich davon überzeugt, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Den heiligen Gral. Der mich und alle, denen ich es verrate, unmittelbar ins Nirvana, auf Wolke 7 befördern würde. Pustekuchen.


Da saß ich nun Anfang des Jahre auf Bali. In meinem selbsterbauten Schloss oder passender noch, meiner Hängematte, wie es sich für Digitale Nomadinnen gehört, und fühlte mich mutterseelenallein. Einsam. Oft. Sehr oft. Da war viel Leere. Die sich kaum in Worte fassen ließ. Und, die sich erst mit Tränen, einem Eingeständnis mir selbst gegenüber und einer vorzeitigen Rückreise ins heimische Nest, einen Weg nach draußen bahnte. Ich war also immer noch nicht angekommen. Das hatte ich nun verstanden. Erneut. Die Erkenntnis, dass ich das vermutlich nie würde, das brauchte noch eine Weile.


Also beschloss ich Anfang, Mitte des Jahres, den Blick etwas von mir abzuwenden. Nicht mehr unablässig um mich selbst zu kreisen. Nicht permanent jeden Schritt und Tritt zu beobachten, alle Seelenwogen zu durchleuchten und zu analysieren. Nicht für jedes meiner Probleme eine Lösung finden zu müssen, bis sich das nächste Problem am Horizont auftun würde. Das war auch der Zeitpunkt, in dem ich mich zunächst unbewusst, dann bewusster weitestgehend aus der Coaching- und Persönlichkeitsentwicklungszene zurückgezogen habe. Zumindest aus jener, deren Teil auch ich gewesen bin. Die aus den Ängsten und Selbstzweifeln von Menschen Profit macht. Verpackt in eine gute Marketing Strategie klingt das nur halb so scheußlich. Wobei ich natürlich nicht jedem in diesem Feld böse Absichten unterstellen möchte. Manchmal weiß man ja gar nicht so genau, was man da eigentlich tut. Oder merkt es erst später. Für mich habe ich jedoch realisiert, dass diese Weltsicht nicht mit meinem Verständnis von Würde und Menschlichkeit räsoniert. Und, dass ich nicht auf eine Kerbe einschlagen möchte, die ein Paradigma der Selbstoptimierung weiter manifestiert und infolgedessen immer mehr einsame Sinnsucher produziert.


Vor allem durch die intensivere Auseinandersetzung mit politischen, ökologischen und ökonomischen Zusammenhängen, meinem zunehmenden Engagement im Bereich Nachhaltigkeit und der Teilnahme an Demos, wurde mir bewusst, dass es im Leben vor allem um eines geht: Ein Teil von etwas zu sein. Sich zugehörig zu fühlen. Nicht nur eine eigene Vision und Ziele zu verfolgen, sondern ein Anliegen zu haben, das größer ist als man selbst, wie Gerald Hüther, ein Neurobiologe, in seinem Buch „Würde“ schreibt. Eine Vorstellung von einer gemeinsame Zukunft. Als Gesellschaft. Eine Art Utopia. Für das es sich lohnt, aufzustehen und sich einzusetzen. Für ein Besser, nicht im Sinne eines noch schneller, schöner, reicher, effizienter, bequemer… sondern für eine lebenswertere Zukunft. Eine Menschliche. Eine Gerechtere. Eine, in der wir unsere Kinder und Enkelkinder mit gutem Gewissen erwachsen lassen können.


Ich habe viel nachgedacht in 2019. Das klingt, als hätte ich das zuvor nicht getan. Aber ich meine damit nicht ein intentionales Nachdenken, wohlmöglich begleitet von Journalling und Meditation, sondern einfach nur Denken. Das, was eben kommt, wenn man gerade nichts tut. Oder, wenn man wie ich, zwei Wochen alleine wandern geht. In der Natur wird einem einiges bewusst. Wenn man dem Rascheln der Bäume im Wind lauscht, zu den gewaltigen Felswänden hinaufblickt. Dass man doch eigentlich ein Teil von ihr ist. Nichts von der Natur Abgetrenntes. Keine Umwelt, sondern Mitwelt. Nicht Ressource allein, sondern Leben. Wie du und ich.


Wie gesagt, ich habe viel nachgedacht. Ein Ergebnis dessen, war u.a. die Entscheidung noch einmal Philosophie und Politik zu studieren. Das tue ich nun. Und, es war eine gute Entscheidung. So viel kann ich bisher sagen. Es hat zudem den Wunsch in mir geweckt, etwas gemeinschaftliches zu gründen. Ein Kollektiv. Zukunftskunst heißt es. Ein Versuch, Begegnungs- und Gestaltungsräume zu öffnen, die befähigen und ermutigen, gemeinsam nachhaltige und positive Zukunftskonzepte zu entwickeln. Es ist noch in den Kinderschuhen. Aber ich merke, je konkreter es wird, desto mehr hoffe ich, dass es eines Tages mein Baby wird, dem ich all meine Liebe und Aufmerksamkeit widmen kann. Neben dem Podcast, versteht sich.


Ich finde es spannend, welche Umwege und vielleicht sogar Irrwege wir gehen müssen, um uns näher zukommen. Und, dass es oft nicht die eigängige Beschäftigung mit uns und unserem Selbst ist, die uns voranbringt, sondern das Gegenteil. Die Distanz. Indem wir einen Schritt zurücktreten, sehen wir oft klarer. Stellen fest, dass da gar kein Ende in Sicht ist. Dass es vielleicht auch gar nicht darum geht im Leben. Etwas zu finden. Vielleicht ist es ja auch schon die ganze Zeit da gewesen? Wer weiß.


Vermutlich werde ich diese Zeilen eines Tages mit einem ebenso amüsierten Lächeln beäugen, wie alte Tagebucheinträge oder verblichene Polaroids aus Teenie Zeiten. Weil sich schon wieder so viel gewandelt hat. Weil die Welt sich weiter dreht und ich wieder nicht angekommen bin. Die Kunst besteht vermutlich darin, sich diese Irrtüme und Umwege zu verzeihen. So, wie man sich auch Tattooketten, die übergroße Kreolen Ohrringe und die Dauerwelle verziehen hat. So gilt es weiterhin wohlwollend mit sich zu sein. Und sich nicht ganz so ernst und wichtig zu nehmen. Das soll angeblich helfen, habe ich mir sagen lassen.


Zu einem richtigen Jahresrückblick gehört es sich ja üblicherweise, auch einen Blick in die verlockende und aussichtsreiche Zukunft zu werfen. Und sich zu fragen: Wie hätte ich es gerne? Was sollte anders sein? Wie möchte ich mich fühlen? Was kann ich dafür tun? Der ein oder andere schnürt nun ein strammes Paket an Zielen und Vorgaben, die es einzuhalten und zu erreichen gilt. Neujahresvorsätze werden sie auch liebevoll genannt, was einem, im Vergleich zu „richtigen“ Zielen die gesellschaftlich akzeptierte Erlaubnis gibt, sie alsbald wieder zu verwerfen.Um es kurz zu machen, ich mag keine Vorsätze. Auch nicht zum Beginn des Jahres. Was mir hingegen gefällt, ist der Blick in die Glaskugel. Im übertragenen Sinne. Sich auszumalen, wie es anders sein könnte. Sich selbst eine Geschichte zu erzählen. Im Hinblick auf die eigene Zukunft, aber auch auf die Welt, die großen Zusammenhänge, in die wir alle eingebunden sind. Auch, wenn wir das bei all den kleinen und großen alltäglichen Herausforderungen, die es zu meistern gilt, manchmal ausblenden. Dass wir einen Einfluss oder neudeutsch einen Impact haben. Wir können etwas bewegen. Auch, wenn wir noch so klein sind. Wie uns die Klimaaktivistin Greta Thunberg zugleich mahnt und ermutigt. Nicht nur für unser eigenes Leben brauchen wir eine positive Vision und Hoffnung, auch im Bezug auf unsere Gesellschaft ist ein gemeinsames Narrativ notwendig. Eine Geschichte, die wir uns gegenseitig erzählen und an die wir glauben, wie ein besseres und lebenswerteres Morgen aussehen könnte. Ich stelle mir dann manchmal vor, welche Rolle ich in diesem Stück spielen würde. Worin meine Aufgabe bestünde und, was ich tun könnte, um unsere gemeinsame Zukunft mitzugestalten und hoffentlich besser zu machen. 


Vielleicht ein kleiner Einblick, was ich mir da für dieses Jahr notiert habe: Im Bezug auf mein eigenes kleines Universum, möchte ich weiterhin so viel Zeit wie möglich in der Natur verbringen. Die mir keine Fragen stellt. Die kein „Um-zu“ kennt. Sondern nur ein Sein. Ich möchte mehr Zeit auf die Dinge verwenden, die mir wirklich wichtig erscheinen, wie meiner Familie und meinen Freunde. Improtheater spielen, weil ich mich so unglaublich frei fühle, wenn ich mich auf der Bühne zum Affen mache. Weil es einfach egal ist, denn es ist nur eine Rolle, die ich spiele. Eine von vielen. Ich möchte öfter Nein-Sagen. Nein zu Möglichkeiten, Chancen und Optionen, die so köstlich und verlockend klingen. Mir schmeicheln und mich umgarnen. Aber am Ende doch nur wie Zuckerwatte, die sich im Mund langsam mit dem Speichel mischt, vaporisieren. Auflösen. Und was bleibt ist ein klebriger Geschmack und Leere. Ich wünsche mir statt kurzfristigen, erfolgsversprechenden Handlungen, Momente und geteilte Erlebnisse, die etwas hinterlassen, das bleibt. Nachhaltig. Ich möchte meine Leben und meine Zeit, die ich durchaus als Geschenk betrachte, für etwas nutzen, das mir ein Anliegen ist. Nicht einfach den Status-Quo hinnehmen und akzeptieren. Sondern ihn hinterfragen und neue Wege gehen. Nicht nur, weil es in vielerlei Hinsicht nicht mehr anders geht, sondern auch, weil es eine Chance ist. Teil von etwas zu sein. Nicht nur das eigene Leben zu optimieren, seine Persönlichkeit zu entfalten, sondern zugleich das Zusammenleben als Gemeinschaft mitzugestalten und dabei Selbstwirksamkeit  zu erleben. Ich wünsche mir eine Welt, die trotz all der Unterschiede, die uns individuell einzigartig machen, die Gemeinsamkeiten aller Menschen nicht vergisst. Die uns verbinden. Weil wir alle Menschen sind, die sich ein würdevolles Leben wünschen. Die von anderen akzeptiert und geliebt werden und sich als Teil von etwas begreifen wollen. Denn, wer möchte schon alleine auf diesem Planeten sein?! Apropos Planet: Ich wünsche mir für 2020, dass Klimaschutz wirklich ernst genommen wird. Dass auf Worte Taten folgen. Nicht nur heiße Luft und CO2. Dass das Schwarze-Peter-Spielen ein Ende hat. Es ist weder alleine die Politik, die es zu richten hat, noch sind es die Konzerne, die alleine das Ruder rumreißen können. Nur im Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Institutionen und uns kann es gelingen. Einen Masterplan existiert nicht. Abwarten und Tee trinken ist auch nicht die Lösung. Was bleibt uns also übrig, als den ersten Schritt zu gehen. Jede und jeder von uns. Auch, wenn wir noch nicht den genauen Weg kennen. Wie heißt es so schön, Erkenntnis kommt oft vom Tun.


Sollte dir diese Podcast Folge etwas abstrakt vorgekommen sein oder, du hast etwas vollkommen anderes erwartet, dann verzeihe mir. Du hast bereits die nach bestem Gewissen enthedderte und entknäuelte Version meines inneren Gedankenchaos erhalten. In Zukunft wird es wieder etwas geordneter zugehen. Versprochen. In der nächsten Folge, die noch diese Woche erscheinen wird, gibt es eine kleine, große Ankündigung. Surprise, surprise! Also nicht verpassen! Im Anschluss daran läuten wir den Themenschwerpunkt „Wirtschaft neu Denken“ ein, mit einem Interview mit Christian Felber, dem Begründer der Gemeinwohl Ökonomie. Auf den Wunsch einiger HörerInnen wird es aber weiterhin einen Wechsel aus persönlichen Solofolgen und Interviews geben.

5. Januar 2020

Hans Rudolf Herren – Das Ende der Grünen Revolution (Teil 2)

von Marilena 15. Dezember 2019

Wenn man „Grüne Revolution“ liest oder davon hört, könnte man ja eigentlich meinen, es handle sich um ein Bestreben im Sinne der Nachhaltigkeit. In dem Gespräch mit dem Insektenforscher und Experten für Landwirtschaft, Hans Rudolf Herren, durfte ich allerdings erfahren, dass der Schein eher trügt bzw. grün nicht gleich grün bedeutet. Hinter dem Begriff der „Grünen Revolution“ steht ein Konzept aus den 1960er Jahren, dass die modernen landwirtschaftlichen Hochertragssorten und deren erfolgreiche Verbreitung auch in Entwicklungsländern wie Indien vorantreiben sollte. Von den wachsenden Erträgen profitieren einerseits Bauern und KonsumentInnen, auf der anderen Seite wird das Konzept vor allem dafür kritisiert, dass es neben der massiven Umweltschädigung durch den Einsatz chemischer Stoffe, die Bauern in den Entwicklungsländern in eine starke Abhängigkeit von internationalen Konzernen treibt.

Wie eine nachhaltige und enkeltaugliche Zukunft der Landwirtschaft aussehen könnte, habe ich in dem zweiten Teil des Interviews mit dem Schweizer Insektenforscher Hans Rudolf Herren besprochen.

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SHOWNOTES:

► Interview Teil 1: „Eine Welt ohne Bienen, geht das?“
► Website der Stiftung BioVision
► Hintergründe zur „Grünen Revolution“
► Buchempfehlung: „Die Grenzen des Wachstums“ von dem Club of Rome

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► sinneswandel.art

15. Dezember 2019

Hans Rudolf Herren – Eine Welt ohne Bienen, geht das? (Teil 1)

von Marilena 15. Dezember 2019

“Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.” Dieses Zitat stammt angeblich von dem genialen und weltbekannten Wissenschaftler Albert Einstein. Und auch, wenn es nicht geklärt ist, ob er diese Worte einst wirklich in den Mund genommen hat, so ist eines wohl sehr klar: Stirbt die Biene tatsächlich eines Tages aus, so wird es vermutlich gravierende Folgen für unser Ökosystem und damit auch uns Menschen haben.

Einer, der sich bereits seit vielen Jahren für eine Agrarwende und den Erhalt von Biodiversität einsetzt, ist der Schweizer Insektenforscher und Wissenschaftler Hans Rudolf Herren. Und das sogar ziemlich erfolgreich. In den 1980er Jahren bekämpfte er die Schmierläuse in Afrika auf natürliche Weise, sodass eine Hungersnot verhindert werden konnte, von der bis zu 20 Millionen Menschen betroffen gewesen wären. Für seine Arbeit wurde Hans Rudolf Herren bereits mit dem Welternährungspreis sowie 2013 gemeinsam mit seiner Stiftung Biovision mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

Ich bin mit dem Nachtzug von Hamburg nach Zürich gefahren, um mich mit ihm zu treffen. Interessiert hat mich unter anderem, weshalb Artenvielfalt eigentlich so wichtig ist und was ökologische Landwirtschaft wirklich bedeutet. Die Antworten erhältst du in Teil 1 des Interviews.

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SHOWNOTES:
► Website der Stiftung BioVision
► Artenvielfalt-Bericht des Weltbiodiversitätsrat (IPBES)

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15. Dezember 2019
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