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Marilena

Marilena

Braucht es wirklich mehr Achtsamkeit?

von Marilena 23. Juni 2020

Die Welt dreht sich gefühlt immer schneller. Die Umdrehungen pro Minuten nehmen zu, dass einem schwindelig wird. Alles verdichtet sich, wird mehr und damit komplexer. Soziologen, wie Hartmut Rosa, sprechen von der “Beschleunigten Gesellschaft”. Und der Mensch, das Subjekt in Mitten des Karussells, das sich fortwährend mit zunehmender Geschwindigkeit dreht. Da kann man schon mal seine innere Mitte verlieren. Aber ehe wir uns versehen haben, war auch für diese sich anbahnende Gefahr des überforderten Subjekts, bereits eine Lösung gefunden: Mindfulness oder auf deutsch Achtsamkeit.

Eben dieses Phänomen wollen wir in der heutigen Episode etwas genauer betrachten. Wollen uns anschauen, wo sie ihre Ursprünge hat, was Achtsamkeit verspricht leisten zu können, wo ihre Grenzen und vielleicht sogar Probleme in der Anwendung liegen. Und wir wollen uns die Frage stellen, ob wir sie gerade heute wirklich so dringend brauchen, wie es oft propagiert wird.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

SHOWNOTES:

  • Mach (einen) Sinneswandel möglich und werde Mitglied. Unterstützen kannst du auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319.
  • Quellennachweise: Der Hype um die Achtsamkeit: Ein Interview mit dem Psychologen Thomas Joiner im Spektrum Magazin; Buch: „Achtsamkeit: Fortschritte der Psychotherapie“. Band 48 (2012). Prof. Dr. Johannes Michalak ; Aufsatz: Matthias Michal: Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychoanalyse. In: Thomas Heidenreich, Johannes Michalak (Hrsg.): Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie. Ein Handbuch ; Buch: „Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse“, in: Erich-Fromm-Gesamtausgabe Band 12 (1974) ; Buddhismus als Popkultur: Thomas Metzinger im Gespräch mit Marietta Schwarz; Fachartikel von Doris Kirch.: Was ist Achtsamkeit?.
  • Sehenswert: ARTE Re: Doku: Moderne Spiritualität: Der Traum vom optimierten Ich; Sternstunde Philosophie: Im Interview mit Jon Kabat-Zinn: Achtsamkeit – die neue Glücksformel? und Sternstunde Philosophie: Im Interview mit Theodore Zeldin: Alle meditieren – wer verändert die Welt?.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

TRANSKRIPT:

Hallo und herzlich Willkommen zum Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich euch in der heutigen Sendung begrüßen zu dürfen. Heute in Co-Produktion mit Edu Alcaraz.

Die Welt dreht sich gefühlt immer schneller. Die Umdrehungen pro Minuten nehmen zu, dass einem schwindelig wird. Alles verdichtet sich, wird mehr und damit komplexer. Soziologen, wie Hartmut Rosa, sprechen von der “Beschleunigten Gesellschaft”. Die sich auf unterschiedlichen Ebenen bemerkbar macht: einer technischen, einer des sozialen Wandels und des Lebenstempos. Und der Mensch, das Subjekt in Mitten des Karussells, das sich fortwährend mit zunehmender Geschwindigkeit dreht. Da kann man schon mal seine innere Mitte verlieren. Aber ehe wir uns versehen haben, war auch für diese sich anbahnende Gefahr des überforderten Subjekts, bereits eine Lösung gefunden: Mindfulness oder auf deutsch Achtsamkeit.   

Ein Begriff unter dem sich mittlerweile vermutlich die meisten etwas vorstellen können. Achtsamkeit begegnet uns im Alltag, auf der Arbeit, in der Werbung. Der Begriff der Achtsamkeit spielt für die in den letzten Jahren rasant gewachsene Szene moderner Spiritualität und Selbsthilfe eine große Rolle. So lassen sich rund um den Achtsamkeits Begriff eine ganze Reihe von Coaching-, Meditations und Dienstleistungsprogrammen finden, welche schon lange in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Achtsamkeit im Alltag, bei der Arbeit oder in der Freizeit soll helfen, Stress zu reduzieren, das Leben zu entschleunigen, die psychische Verfassung zu stärken und Bewusstsein für sich und die Umwelt zu schaffen. Aber auch im Gesundheitssektor existiert bereits ein großer Markt diverser Achtsamkeits-Angebote. Für Burnout-Patienten, gestresste Manager*innen oder in Form präventiver Anti-Stress Programme zur Erkennung von Frühwarnzeichen. Natürlich von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannt und bezahlt.

Schon in den 70er Jahren entwickelte der amerikanische Biologe Jon Kabat-Zinn das sogenannte „Mindfulness-based Stress Reduction” Programm, kurz: MBSR, zur Stressbewältigung. Es gibt mittlerweile einige Studien über die Entspannungswirkung dieser Technik, die sogar bei Depressionen helfen soll. Dabei ist der Kern von MBSR gar nicht mal neu, sondern es greift auf eine altbewährte Tradition zurück: die Lehren des Buddhismus. 

In einem hyper-beschleunigten Zeitalter, in einer vernetzten Welt wo alles schneller, effektiver, besser ablaufen soll, wirkt es da nicht beinahe Paradox die jahrhunderte alte Lehre Buddhistischer Lehrmeister wieder stark zu machen?

Andererseits, in Anbetracht der in den letzten zehn Jahren um das 18-Fache gestiegenen Zahl an Arbeitsunfähigkeitstagen in Deutschland, bedingt durch Burnout, kann es da nicht sein, dass die technisierte und hyper-beschleunigte Moderne auf unser Wohlbefinden schlägt und den Anstieg psychischer Krankheiten zu verantworten hat? Ist Achtsamkeit, dann nicht vielleicht die Möglichkeit dem Sog der Geschwindigkeit zu entfliehen?

Die Vermutung liegt nahe, beschäftigen die Menschen sich in der heutigen Gesellschaft doch eh am liebsten mit sich selbst. Suchen und finden Problem und Lösung zugleich in ihrem Inneren verborgen. Als sei sie schon immer dort gewesen und man habe sie nur kurz vergessen. Das moderne Subjekt ist Urheber von allem und damit zugleich gottähnlich dazu befähigt, sich selbst aus dem Schlamassel zu holen. Ganz getreu dem Motto: “Alle Kraft steckt bereits in dir, du musst sie nur erkennen. Und damit dir dies gelingt, lerne deine Gedanken konzentrieren. Je mehr du trainierst, umso besser wirst du. Und umso effizienter, desto… gelassener” – oder war das nicht die Selbstoptimierung?

In der heutigen Episode wollen wir das Phänomen der Achtsamkeit etwas genauer betrachten. Wollen uns anschauen, wo sie ihre Ursprünge hat, was Achtsamkeit verspricht leisten zu können wo ihre Grenzen und vielleicht sogar Probleme in der Anwendung liegen. Und wir wollen uns die Frage stellen, ob wir sie gerade heute wirklich so dringend brauchen, wie es oft propagiert wird.
Bevor wir in das Thema einsteigen, möchte ich kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Der Podcast ist nämlich werbefrei, was er allerdings nur mit eurer Hilfe bleiben kann. Als Fördermitglieder ermöglicht ihr dem Team und mir die Produktion des Podcast. Unterstützen könnt ihr z.B. via paypal.me/sinneswandelpodcast. Das geht schon ab 1€. Ansonsten schaut einfach in die Shownotes, dort habe ich euch alle weiteren Möglichkeiten verlinkt. Nun wünsche ich viel Freude beim Zuhören.


Wenn Achtsamkeit nicht neu ist, wo hat es dann seinen Ursprung?
Zwar haben die alten Griechen und Römer eine ganze Menge erfunden, die Achtsamkeit geht jedoch nicht auf sie zurück. Vielmehr fand diese Tradition in Indien, in den Lehren des Buddhismus, ihren Ursprung. In der indischen Literatursprache Pali bedeutet Achtsamkeit „Sati“ und dies beschreibt einen Zustand des Geistes, der sich in vollem Umfang dessen gewahr ist, was in ihm gegenwärtig ist. Das, was wir heute oft als Konzentration umschreiben. Für die Buddhistische Lehre nimmt Achtsamkeit seit jeher eine zentrale Rolle ein. Sie bildet das siebte Glied des sogenannten “edlen Achtfachen Pfades”, der wiederum eine der “Vier Edlen Wahrheiten” des Siddhartha Gautama, also des Buddha entspricht und den Buddhisten als der Pfad zum Nirwana, also der Erlösung dient.

So weit so gut, aber wie fand die Achtsamkeit nun ihren Weg in die Moderne und in unsere heutige Zeit?

Über Umwege fand Achtsamkeit ihren Weg nach Europa. Die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Achtsamkeits Begriff nahm im 20ten Jahrhundert die Psychoanalyse vor. Zum Beispiel Sigmund Freud, welcher im Zusammenhang mit Psychotherapie von „kritikloser Selbstbeobachtung“ schrieb oder bei Erich Fromm, welcher den Begriff der Achtsamkeit direkt aus dem Zen-Buddhismus entnahm. Dieser sah im Zen-Buddhismus das Potential, dass über intensive Selbstkonfrontation Verdrängungen aufgehoben werden und Einsicht möglich machen könnte.

In seinem Buch “Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse” schreibt Fromm: „Achtsamkeit ist das, was ich unter „Gewahrsein“ und „Gewahrwerden“ verstehe. Achtsamkeit bedeutet, dass ich in jedem Augenblick meines eigenen Körpers ganz gewahr bin, einschließlich meiner Körperhaltung und dessen, was in meinem Körper vor sich geht, und dass ich ganz gewahr bin meiner Gedanken, also dessen, was ich denke. Ich bin genau dann ganz konzentriert, wenn ich zu diesem Gewahrsein fähig bin.“ So stellt Achtsamkeit für Fromm eine dienliche Methode dar, um mit sich selbst und seinen Mitmenschen gelingende Beziehungen zu führen.

Heutzutage sind Programme zur Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion, wie das von  Jon Kabat-Zinn entwickelte, so bekannt, dass sie sogar Einzug ins Europaparlament gefunden haben. Es heißt, solche Praktiken seien eine wichtige Unterstützung für Parlamentarier*innen, denn ihre Arbeit birgt große Anforderungen. Sie entscheiden über das Leben vieler Menschen, von Tieren und der Pflanzenwelt. Da kann ein wenig Achtsamkeit sicher nicht schaden. So gibt es regelmäßige überparteiliche Kurse für Meditation und Yoga. Für die Anbieter solcher Programme entfaltet sich dabei die Kraft der zeitlosen buddhistischen Psychologie, mit Hilfe derer, die beschleunigten Herausforderungen unserer Zeit besser zu bewältigen seien. Wenn uns jetzt beim Schlendern durch unsere Lieblingsbuchhandlung Titel, wie  „Im Alltag Ruhe finden – Meditationen für ein gelassenes Leben.” ins Auge springen, Achtsamkeit in Parlamenten praktiziert wird und ganze Institutionen rund um die Achtsamkeit existieren, sollten wir dann nicht vielleicht genauer verstehen:

Was moderne Achtsamkeit als Praxis eigentlich genau bewirken möchte? Was verspricht sie jenen, die ihren Rat befolgen? 
Die Erwartungstrommel wird hierbei kräftig gerührt. Denn, wer es schafft Achtsamkeit regelmäßig und ernsthaft zu betreiben, dem wird bei manchen Programmen nicht weniger als das pure Glück und wahre Lebensfreude versprochen. Beides sei nicht von äußeren Faktoren und Bedingungen abhängig, sondern im Menschen selbst angelegt. Durch Achtsamkeit entwickle sich ein klarer, stabiler und widerstandsfähiger Geist, durch den es möglich sein, in jeder Situation mit der Kraft der eigenen inneren Ressourcen verbunden zu sein. Damit aber nicht genug. Versprochen wird ein klares Verständnis über das eigene Leben und des Selbst. Außerdem soll es einen lehren, mit sich selbst und anderen geduldiger, mitfühlender und verständnisvoller umzugehen. Die alltäglichen kleinen wie großen Hindernisse werden dabei aus sich selbst heraus mit Leichtigkeit überwunden und dies soll angeblich zu einem selbstbestimmten und selbstbewussten Leben führen. Negative Emotionen und Gedanken werden dabei in sinnvolle Kanäle geleitet, um am Ende zu Gleichgewicht, Souveränität, Stabilität und Lebensfreude zu führen. Wir haben hier ein All-In-One Paket also. Das sogar den Umgang mit anderen umfasst. Konflikte lassen sich angeblich leichter lösen, Ängste reduzieren und Belastungen sollen erfolgreich gemeistert werden. Durch Achtsamkeit sollen wir nicht bloß Ruhe in uns selbst entwickeln, sondern auch Mitgefühl und Verständnis für andere. Es scheint sich also wirklich um einen Multi-Problemlöser für beinahe alle Übel zu handeln.

Und fraglich ist tatsächlich, ob sich die meisten Probleme unserer Zeit nicht durch einen Abbau von Ignoranz und gleichzeitigem Aufbau von Verständnis meistern ließen.

Gleichgewicht im Zeitalter der Turbulenz. Es scheint so als hätten Medizin, Psychoanalyse und östliche Philosophie zusammen eine Antwort auf die Herausforderungen eines hyper-beschleunigten Zeitalters gefunden. Das bewusste Lenken auf den Augenblick, urteilsfrei verharren und erkennen. Und schrieb nicht schon der Schriftsteller Leo Tolstoi in seinem Märchen „Die drei Fragen“, dass nur der Augenblick zähle: „Merke dir also, dass der wichtigste Zeitpunkt stets nur der eine ist: der gegenwärtige Augenblick.“

Was könnte man schon gegen Gleichgewicht und Gelassenheit einwenden? Sollte man es überhaupt? Müssten wir die Folge nicht an dieser Stelle beenden und ganz einfach in das Plädoyer für Achtsamkeit mit einstimmen? Oder gibt es vielleicht doch, wie bei fast allem, eine zweite Seite der Medaille – gar eine Schattenseite?

Natürlich finden sich bereits einige, die ein kritisches Auge, auf diesen Trend um Achtsamkeit geworfen haben. Für den Psychologen Thomas Joiner, Professor an der Florida State University, ist die Achtsamkeitsmeditation zu einer kommerziellen Industrie verkommen und der ursprüngliche Geist verloren gegangen, in einem Interview mit Steve Ayan vom Magazin Spektrum Psychologie, geht er sogar weiter und sagt, das heutige Überangebot verkehre und pervertiere die eigentliche Idee der Achtsamkeit. Im Vordergrund steht für Joiner das Problem, dass es bei der ursprünglichen Idee der Achtsamkeit, nicht um das Ego, ständige Selbstbeschäftigung und Konzentration auf das eigene Denken und Fühlen ginge, sondern gerade um das Gegenteil dessen. Bei der buddhistischen Lehre von Achtsamkeit geht es ihm zufolge um Demut, ein Moment der Distanz und Bescheidenheit. Das sogenannte Selbst, sei hierbei nicht besonders wichtig, sondern „ein Staubkorn im Universum“. Weder stehe es im Mittelpunkt, noch möchte es seine Belange im Vordergrund wissen. Für Joiner mangle es heutigen Achtsamkeitstrainings an eben diesem Moment der Demut. Sie würden den Einzelnen und seine Befindlichkeiten in den Mittelpunkt stellen. Für Joiner ist dies nur ein weiterer Versuch der Selbstoptimierung.

In der buddhistischen Lehre existiert die Vorstellung eines „Ichs“, eines Selbst oder einer Seele nicht. Für sie ist diese Vorstellung bereits eine grundlegende Täuschung über das Wesen der Wirklichkeit. Das was die Menschen als ihr Selbst oder ihre Seele beschreiben, ist für die buddhistische Lehre, ein ständig im Wandel begriffenes Zusammenspiel. Außerdem ist Achtsamkeit kein einfaches Meditieren zwischendurch, sondern bedarf jahrelanges intensives Training und Anleitung, falsch angewendet kann Achtsamkeitsmeditation auch negative Effekte haben, sogar kontraproduktiv wirken. Für manche Menschen ist Ablenkung gerade wichtig und zu viel Selbstfokussierung schadet ihnen.

Für Prof. Joiner ist es außerdem problematisch, dass Achtsamkeit in den Dienst einer Leistungsorientierten beschleunigten Gesellschaft gestellt wird. Oder anders ausgedrückt: Achtsamkeit wird zur Verlängerung eines Selbstoptimierungs-Paradigmas. Das heißt Menschen versuchen zehn Minuten Meditation zu praktizieren, damit sie sich danach umso erfolgreicher, umso schneller, umso fitter, innovativer, gesünder fühlen. Das heißt Achtsamkeit wird als Moment in einer Logik eingesetzt, mit einer Steigerungslogik, die das Problem verursacht und es deshalb nicht überwinden kann. Das Ego wird für den Arbeitsalltag gestärkt, nur um bessere Leistungen erbringen zu können. Wenn Achtsamkeit in diesem Sinne die Funktion erhält, als Mittel zur Selbstoptimierung und zur ungehemmten Beschäftigung mit dem eigenen Befinden zu dienen, ist dies für Joiner Verrat an einer guten Idee und er bezeichnet es als Auswuchs einer wachsenden Kultur der Selbstbespiegelung. Der Soziologe Hartmut Rosa reiht sich in dieser Kritik insofern ein, als dass er die Achtsamkeit Bewegung zudem als unpolitisch beschreibt und ihr vorwirft, sie schiebe das Problem, sich in einer beschleunigten Welt zu behaupten, dem einzelnen Individuum zu. Die Frage nach dem gelingenden Weltverhältnis wird ausschließlich als Persönlichkeitseigenschaft verstanden.

Grundsätzlich können aber beide, der Soziologe Rosa, ebenso, wie der Psychologe Joiner, der Idee von Achtsamkeit dennoch etwas abgewinnen. Indem sie angewendet in Form einer Achtsamkeitstherapie zum Beispiel einem depressiven Patienten helfen kann, mit belastenden Gedanken besser klarzukommen. Joiner empfindet zudem die grundlegende Einsicht, dass unsere Gefühle und Gedanken nicht der Realität entsprechen, sondern diese nur subjektiv widerspiegeln, als durchaus hilfreich. Allerdings gilt für ihn, dass Achtsamkeit nicht als einziger wahrer Weg zur Heilung betrachtet werden solle, da dies nur zu neuen Grenzen führen würde. Logisch! Welche Ideologie tut das nicht?

Wer glaubt, diese zwei eher zurückhaltenden Kritiker seien die einzigen, der hat sich getäuscht. Der Philosoph Thomas Metzinger, Professor für Theoretische Philosophie an der Uni Mainz, setzt noch einen oben drauf indem er eine noch drastischere Position vertritt. Metzinger hält westliche Meditationspraktiken für eine „unglaubliche Verwässerung“ buddhistischer Positionen und buddhistische Motive für einen Teil der Popkultur. Ihm zufolge würden religiöse und philosophische Praktiken angewandt ohne ein tiefes Verständnis für das was diese eigentlich bedeuten und woher sie kommen. So sei Meditation nicht bloß eine Praxis, sondern stelle auch eine ethische Haltung dar. Dies Würde verkehrt, wenn zum Beispiel beim Militär Scharfschützen Achtsamkeitstraining praktizieren, um effektiver zu werden. Oder Unternehmensberaterinnen ihre Pausen für Power-Yoga und Gong-Meditation nutzen, um danach doppelt so schnell in die Tastaturen ihrer Laptops hacken zu können. Auch Metzinger kritisiert in diesem Fall, dass die Achtsamkeits-Bewegung so zu einem Teil der kapitalistischen Verwertungslogik würde und ihre Praxis im Grunde nur noch eine Form von Selbstoptimierung sei. Google zum Beispiel versuchte auf überarbeitete, gestresste und ausgelaugte Mitarbeiter zu reagieren. Da solche, scheinbar, weniger produktiv sind musste Google sich etwas überlegen. Reduzierte Arbeitszeiten, weniger Konkurrenzdruck am Arbeitsplatz oder mehr Urlaub zum Beispiel?. Nein, nicht bei Google. Ihre Lösung: Kollektives Achtsamkeitstraining. Schweigen beim Mittagessen, Meditation am Morgen. “Suche in die Selbst” wurde als Lösung ausgegeben. Moment? Soll das bedeuten, wer Probleme mit dem stetig wachsenden Arbeitspensum hat, ist am Ende vielleicht selbst schuld, weil er noch nicht die richtigen Techniken zu deren Bewältigung gelernt hat? Genau ein solches Denken kritisiert Metzinger. Aber auch er wendet sich nicht komplett gegen Achtsamkeit, er plädiert für einen sinn- und maßvollen Einsatz von Achtsamkeits Praktiken. Und zwar an Schulen und Universitäten. Denn längst wissen wir, dass die mediale Überflutung unserer Zeit zu verkürzten Aufmerksamkeitsspannen und sogar Leseschwierigkeiten führt. Probleme, mit denen Studierende und Schülerinnen, ebenso wie deren Lehrbeauftragte, täglich zu kämpfen haben. Laut Metzinger könne Achtsamkeit hier ein geeignetes Werkzeug sein, um diesem Trend entgegenzuwirken. Er plädiert dafür, dass sich im Westen eine neue Bewusstseinskultur entwickeln müsse, damit Kinder von klein auf lernen können, ihre geistige Autonomie zu schützen, um von den vielen Eindrücken unserer Zeit nicht überfordert zu sein. Also quasi Achtsamkeit als Pflicht-Schulfach? Ist das die Lösung?

Was bedeutet das jetzt?
Bei der Kritik an Achtsamkeit oder Achtsamkeits Praktiken, steht nun natürlich die Frage im Raum, ob man sie deswegen gleich vollständig verwerfen muss. Nein, das vermutlich nicht. Denn die berechtigte Kritik, manche Programme würden buddhistische Praxis und östliche Philosophie verfremden, lenkt den Blick auf eben diese Herkünfte und kann auch als Einladung zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit eben dieser, verstanden werden. Außerdem haben alle Kritiker auch klar die Möglichkeiten in der Anwendung von Achtsamkeit benannt. Der Einsatz bei bestimmten Krankheiten, wie Burnout oder Depressionen sowie der Stärkung geistiger Autonomie. Dennoch ist es wichtig, dass ein kommerzielles Programm, nicht als Allheilmittel beworben werden sollte. Obwohl es sehr nützliches sein kann, hilft es eben nicht allen. Und obwohl gute Intentionen hinter jedem dieser Programme stecken mögen, hat Achtsamkeit eine östliche Tradition, die nicht verklärt oder zu Gunsten der Selbstoptimierung innerhalb kapitalistischer Verwertungslogik verfälscht werden sollte. Dabei soll nicht darum gehen, Achtsamkeits Programmen grundsätzlich vorzuwerfen sie würden Geld mit ihrem Tun verdienen. Nein, ein bewusster und respektvoller Umgang mit der buddhistischen Tradition ist unproblematisch. Zwischen rücksichtsloser Aneignung und respektvollem Umgang mit religiösen und philosophischen Praktik existiert ein großer Unterschied. Insofern, dass die Achtsamkeit im Buddhismus, Demut und Bescheidenheit lehren möchte und nicht zur Bereicherung Einzelner dienen möchte.

Zuletzt lässt sich die Frage stellen, ob sich der Begriff der Achtsamkeit nicht für andere Fragen stark machen ließe. So zeigt uns die Corona-Pandemie beispielsweise, wie wichtig Umsicht, Nachtsicht und auch Achtsamkeit für sich selbst und andere sein können. In dieser Situation war es wichtig, sich Bewusstsein über eine Situation zu verschaffen, sowie über die Folgen von egoistischem und rücksichtslosem Handeln reflektieren.

Auch durch die aktuell von der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd in den Mittelgrund gerückte Black Lives Matter Bewegung, drängen sich Begriffe wie Achtsamkeit wieder auf. Achtsamer Umgang miteinander, der gemeinsamen Geschichte und der gemeinsamen Zukunft. Der medialen Überflutung beikommen, mit Momenten der Einkehr. Ob dabei das Selbst oder das Nicht-Selbst im Vordergrund stehen sollten ist nochmal eine ganz eigene Frage. Doch ich glaube, dass gerade in einem Zeitalter der Hyper-Geschwindigkeit, Momente der Ruhe und Entschleunigung, Räume schaffen können um über die Verhältnisse, in denen wir leben, wie wir mit der Natur und unseren Mitmenschen umgehen, nachzudenken und zu reflektieren. Bei all den Herausforderungen, die sich uns Menschen stellen, kann Achtsamkeit eine wichtige Rolle spielen ohne das dabei vergessen wird, woher sie kommt, was sie bedeutete und was sie noch bedeuten kann. So fordern nach wie vor tausende Junge Menschen immer freitags die Regierenden dazu auf, achtsam mit den endlichen Ressourcen unseres Planeten umzugehen. Oder abertausende auf der Welt forderten in den letzten Tagen, dass kein Mensch aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert oder getötet werden dürfe.

Achtsamkeit ist mehr als eine Meditationstechnik, sie ist eine Geisteshaltung. Eine Geisteshaltung von der in einer hyper-beschleunigten Zeit viel zu lernen ist. Denn ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass die Grundsteine für Morgen, immer heute gelegt werden, halte ich für wichtig. Dabei geht es um gesellschaftliche und persönliche Veränderungen. Das Miteinander und das Füreinander. Einen Moment innehalten und eine Einsicht gewinnen. Nicht, dass uns die Zeit dafür irgendwann verloren geht.

Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, ihr konntet etwas aus der Episode mitnehmen. Wenn euch die Episode gefallen hat, teilt sie gerne mit anderen. Und natürlich würde ich mich besonders freuen, wenn auch ihr als Mitglieder einen Sinneswandel möglich macht. Alle infos dazu findet ihr ebenfalls in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald.

23. Juni 2020

Siegfried Reusch: Ist Zweifeln allzu menschlich?

von Marilena 15. Juni 2020

Die Welt wird immer komplexer. Glaubte man einst, wir lebten in einer Wissensgesellschaft, so mag dies vielleicht für das akkumulierte, theoretisch verfügbare Wissen gelten, wissender, im Sinne des Verstehens von Zusammenhängen, sind wir aber nicht im selben Maße geworden. Vielmehr scheinen wir allmählich zu begreifen, dass uns endgültige Gewissheit vermutlich niemals vergönnt sein wird. Dass sich uns dieser seit jeher angestrebte Zustand, immer entziehen, unverfügbar bleiben wird. Und die Kunst besteht vielleicht eben darin, an dieser Einsicht nicht zu verzweifeln. Und überhaupt, muss das Anzweifelbare denn stets etwas Schlechtes sein? Hat es denn nicht auch seine guten Seiten, dass der Mensch zweifelt – die Welt und die Dinge in ihr in Frage stellt? Sollten wir nicht vielleicht sogar denen, die postulieren, eine absolute Wahrheit gefunden zu haben, besonders misstrauisch begegnen? Angesichts der Vielzahl an Verschwörungstheorien ist dies vermutlich kein schlechter Rat. Im Zweifel für den Zweifel? Oder können wir auch zu viel in Frage stellen und am Zweifel selbst gar zugrunde gehen?

Ich freue mich, in der heutigen Episode das Gespräch mit dem Philosophen Siegfried Reusch präsentieren zu können, der mir geduldig meine Fragen über das Zweifeln beantwortet hat.

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  • Leseempfehlung: Das blaue reiter Journal für Philosophie mit dem Zweifel als Thema der aktuellen Jubiläumsausgabe.

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15. Juni 2020

Michael Kopatz: Ist privater Konsumverzicht überhaupt sinnvoll?

von Marilena 2. Juni 2020

Ist es verlogen, für den Klimaschutz zu demonstrieren, wenn man zugleich regelmäßig in ein Flugzeug steigt? Ist scheinheilig, wer mittags konventionelles Fleisch isst und zugleich mehr Tierwohl einfordert? Nein, meint der Umweltwissenschaftler Michael Kopatz: Politischer Protest sei wichtiger als privater Konsumverzicht. Man könne Selbstbegrenzung fordern, ohne sich selbst zu begrenzen. Er plädiert für eine sogenannte “Ökoroutine”, die es uns erst ermöglicht das zu tun, was wir für richtig halten. Verhältnisse ändern das Verhalten, lautet das Zauberwort. Da kollektiv verursachte Probleme nicht individuell gelöst werden können.

Ein besonderer Dank gilt den Fördermitgliedern, die Sinneswandel als PionierInnen mit 10€ im Monat unterstützen:

Anja Schilling, Christian Danner, René Potschka, Pauline Keller, Bastian Groß, Maike Gemba, Pascale Röllin, Sebastian Brumm, Ole Jasper, Wolfgang Brucker, Philip Alexander Scholz, Holger Bunz, Dirk Kleinschmidt, Eckart Hirschhausen, Isabelle Wetzel, Robert Kreisch, Martin Stier, Susanne Längrich, Annette Hündling, Henno Hensen, Denise Sommer, Deniz Hartmann, Romy Widmer, Torsten Sewing, Hartmuth Barché, Arabella Bub, Dieter Herzmann, Hans Niedermaier, Claudia Nicoleta Grimm und Constanze Priebe-Richter.

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  • Leseempfehlung: Das Buch Ökoroutine von Michael Kopatz.

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2. Juni 2020

Über Radikalität und (faule) Kompromisse

von Marilena 25. Mai 2020

“Rettet unsere Erde, wir haben nur diese eine!” “Climate Justice Now!” Sätze, wie diese, liest und hört man seit einiger Zeit häufiger. Auf Plakaten, in Demonstrations-Gesängen, in Talkshows, auf Twitter. Dass es so nicht mehr weitergehen könne. Dass es ein Umdenken und ein entsprechendes Handeln brauche. Und zwar jetzt. Oder am besten schon gestern. Dass wir alles Notwendige tun müssten, um nicht in einem vollständigen Kollaps zu enden. Gibt es Situationen, in denen es legitim ist, radikal zu handeln? Oder sollten wir stets die goldene Mitte suchen? Diesen Fragen möchte ich in der heutigen Episode, insbesondere aus philosophischer Sicht, nachgehen.

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  • Leseempfehlung: Radikale Kompromisse, ein Beitrag aus der Tageszeitung Neues Deutschland
  • Hörempfehlung: Lob der Dissidenz, ein Beitrag von Deutschlandfunkkultur über das Widerständige in unserer Gesellschaft.
  • Klassiker: Der Mensch in der Revolte von Albert Camus (1951).
  • Sehenswert: Die Ausstellung über die radikale Denkerin Hannah Arendt im Deutschen Historischen Museums in Berlin (27.03.-18.10.2020).

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TRANSKRIPT:

Hallo und herzlich Willkommen zum Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich euch in der heutigen Sendung begrüßen zu dürfen.

“Rettet unsere Erde, wir haben nur diese eine!” “Climate Justice Now!” Sätze, wie diese, liest und hört man seit einiger Zeit häufiger. Auf Plakaten, in Demonstrations-Gesängen, in Talkshows, auf Twitter. Dass es so nicht mehr weitergehen könne. Dass es ein Umdenken und ein entsprechendes Handeln brauche. Und zwar jetzt. Oder am besten schon gestern. Dass wir alles Notwendige tun müssten, um nicht in einem vollständigen Kollaps zu enden. 

Aber sollten wir alles dafür tun, wirklich alles? Das klingt doch sehr extrem oder radikal. Denn bedeutete das nicht auch, dass andere Dinge dafür zurückgestellt werden müssten? Wie zum Beispiel unser Streben nach Wachstum. Oder bedeutet es vielleicht sogar, dass andere dafür Leid in Kauf nehmen müssten? Familien sich im Ausland beispielsweise nicht mehr besuchen könnten, da Flüge für sie unerschwinglich geworden sind. 

Jede Entscheidung, ganz gleich wofür, bringt Konsequenzen mit sich. Und manchmal frage ich mich, ob wirklich alle Entscheidungen gut durchdacht sind. Denn bei aller Kritik an der Radikalität einiger Klimaaktivist*innen, müssen nicht auch unter den heutigen Bedingungen, die durch Entscheidungen einst geschaffen wurden, Menschen leiden? Was ist mit all jenen, die sich kein Auto leisten können und dennoch den Feinstaub tagein tagaus inhalieren? Oder den Menschen, die jetzt bereits vor Naturkatastrophen aus ihren Heimatländern flüchten müssen? Sind diese nicht auch Teil eines Kompromisses, der nur weniger offensichtlich scheint, da er seltener thematisiert wird, als potentielle Konsumeinschränkungen?

Da kann man sich doch die Frage stellen, ob es denn überhaupt so etwas wie eine “richtige” bzw. allen dienliche Entscheidung gibt. Eine, in der keine Person oder Gruppe den Kürzeren zieht. Oder gar ein Gefangenendilemma entsteht, in dem beide schlechter abschneiden. Ist das möglich? Oder besteht das Leben eben genau darin, dass wir stets Kompromisse eingehen müssen?

In der heutigen Episode soll es anders, als vielleicht vermutet, nicht um die Klimakrise und ihre Bewältigung gehen. Diese stellt lediglich ein geeignetes Beispiel für die sich immer wieder entfachenden Debatten um die Frage nach dem richtigen Maß zwischen Radikalität und Kompromiss dar. Gibt es Situationen, in denen es legitim ist, radikal zu handeln? Oder sollten wir stets die goldene Mitte suchen? Diesen Fragen möchte ich in der heutigen Episode, insbesondere aus philosophischer Sicht, nachgehen. Ich betone diese Eingrenzung, da ich mir bewusst bin, dass heute bei weitem nicht alle Aspekte, die mit dem Begriff der Radikalität zusammenhängen, angesprochen werden. Insbesondere das Politische des Radikalen,  das dieses Mal nur angerissen werden kann, die Betrachtung aus diesem Blickwinkel, wäre noch einmal eine ganze Sendung wert. Darum wage ich nun erstmal einen Anfang, es ist ein Versuch, sich diesem großen und wichtigen Thema, das unsere Zeit prägt, zu nähern.


Bevor wir in das Thema einsteigen, möchte ich kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Der Podcast ist nämlich komplett werbefrei, was er allerdings nur mit eurer Hilfe bleiben kann. Als Fördermitglieder ermöglicht ihr meinem Team und mir Produktion des Podcast. Unterstützen könnt ihr via Steady, Paypal und Überweisung. Das geht schon ab 1€. Schaut einfach in die Shownotes, dort habe ich alles verlinkt. Nun wünsche ich euch aber viel Freude beim Zuhören.





Was bedeutet Radikalität überhaupt? 

Spannend an dem Begriff der Radikalität ist, dass ihm eine gewisse Ambivalenz anhaftet. In der Kunst und Literatur ist der Begriff des Radikalen zum Beispiel eher positiv konnotiert. Man denke an den Expressionismus oder die Epoche des Sturm und Drang. Das Radikale hat auf der einen Seite etwas sehr Anziehendes, weil es uns aufrüttelt und aus unserem Tiefschlaf erweckt. Auf der anderen Seite kann es auch ungemütlich werden und uns irritieren oder sogar abstoßen weil es mit dem bricht, was wir gewohnt sind. 

Mit am treffendsten hat vielleicht der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Karl Marx ausgedrückt, was “radikal” für ihn bedeutet. Seine Definition bezieht nämlich den Ursprung des Wortes mit ein. „Radikal“ kommt nämlich aus dem Latein, leitet sich von dem Wort radix ab, was „Wurzel“ bedeutet. Und so schreibt Marx „Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst“. Wenn wir also von Radikalität sprechen, dann wird damit oft ein irreversibler Kontinuitätsbruch gemeint. Die Radikalen wollen zum Wesen der Dinge vordringen, anstatt bloß an ihren äußeren Erscheinungen herumzudoktern. Dabei wird das eigene Sein und Tun einem höheren Ziel unterstellt, für das man gegebenenfalls sogar bereit ist sein Leben aufs Spiel zu setzen.

Nun könnte man sich fragen, wenn die Radikalen sogar bereit sind sich für eine Sache aufzuopfern, wie unterscheiden sich diese dann von den Extremisten? Oder sind das einfach zwei Synonyme für dieselbe Sache?

Verfassungsrechtlich wird eine sehr klare Unterscheidung zwischen Radikalität und Extremismus gemacht. So gelten zum Beispiel rechtsextremistische Ideologien mit der demokratischen Grundordnung als unvereinbar, unter anderem durch ihre Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und eine gegen den Gleichheitsgrundsatz gerichtete Fremdenfeindlichkeit. Radikale Strömungen hingegen müssen nicht zwangsläufig gegen die Prinzipien der demokratischen Grundordnung verstoßen. In der Realität verschwimmen die Grenzen jedoch bzw. sie trennscharf voneinander zu unterscheiden ist oft nicht leicht.

Aber auch die Philosophie hat sich mit der Unterscheidung zwischen dem Radikalen und Extremen beschäftigt. Der Philosoph Helmuth Plessner zum Beispiel hat den sogenannten „sozialen Radikalismus“ geprägt. Er glaubte an eine Art Heilkraft des Extremen. So geht es laut Plessner beim radikalen Denken der Philosophie meist um Erneuerung und nicht primär um Zerstörung. René Descartes wäre hier ein Beispiel, der mit seinem radikalen Zweifel einen Neuanfang im philosophischen Denken ermöglichte. “Cogito ergo sum – ich denke, also bin ich”, waren seine Worte. Das heißt, das einzige, dessen er sich glaubte sicher sein zu könne, war der Zweifel selbst. Und, indem er zweifelte, glaubte er zu denken. Also müsse er doch existieren. Eine für damalige Verhältnisse sehr radikale Sichtweise, die vieles in Frage stellte. Geprägt war Decartes eher rationalistische Theorie vor allem von dem Zerbröckeln des christlich-katholischen Glaubensmonopols und dem damit einhergehenden Fokus auf wissenschaftliche Fakten. Vor diesem Hintergrund, dem Zerbrechen eines bislang bekannten Weltbildes, ist Descartes verzweifelte Suche nach Klarheit und nach einem sicheren Fixpunkt des Denkens doch recht nachvollziehbar. 

Das heißt, Radikalität ist durchaus positiv besetzt, als etwas, das Bestehendes hinterfragt und Neues erschafft. Eine schöpferische Kraft. Man könnte auch sagen, die Radikalen sind bereit, sich für seine Idee aufzuopfern und vielleicht sogar zu sterben. Der  Extremist hingegen, um noch einmal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, ist sogar bereit anderen Schaden zuzufügen und sie gar zu töten aufgrund seiner Überzeugung. Das macht vielleicht den mit größten Unterschied aus.

Schön und gut, aber was bedeutet das nun in der Praxis? Gibt es in der Philosophie radikale Denker*innen, die die Dinge an der Wurzel packen und alles auf den Kopf stellen?

Definitiv. Einen radikalen Denker habe ich mit René Descartes ja bereits genannt. Es gab aber auch PhilosophInnen, die als radikal bezeichnet werden können. So beispielsweise die französische Philosophin Simone Weil. Sie hat nicht nur Radikalität theoretisch vertreten, sondern diese auch praktisch gelebt. Sie setzte sich für die Unterdrückten ein, war eigentlich ausgebildete Philosophielehrerin, schuftete aber lieber in Fabriken und verschenkte ihren Lohn. Simone war wild entschlossen, den Sinn des Lebens zu finden und das, was sie als richtig erkannt hatte, umzusetzen –koste es auch ihr eigenes Leben. Was es am Ende tatsächlich tat. Ihr Herz versagte schon im zarten Alter von 34 Jahren, da sie sich geweigert hatte Nahrung zu sich zu nehmen, um sich solidarisch mit ihren Landsleuten zu zeigen, die sich im Krieg befanden. Und das, obgleich sie mit Tuberkulose im Krankenbett lag. Das ist schon sehr radikal kann man sagen.

Allerdings, wenn man genauer hinschaut, folgt den meisten radikalen Gedanken der großen Philosoph*innen, meist eine moderate Auslegung. Sie folgt aber nicht, weil diese Denker*innen Angst vor der eigenen Courage hätten. Ganz im Gegenteil. Sie folgt, weil sie den Mut zu ihr haben. Weil sie konsequent genug sind, das zu entfalten, was aus diesen radikalen Gedanken folgt. So steht es mit Kants vermeintlichem moralischen Rigorismus, Nietzsches vermeintlichem Immoralismus,und Adornos vermeintlichem Negativismus. Um nur diese drei zu nennen. Jede wirklich radikale Philosophie verhält sich an den entscheidenden Stellen moderat. Einige würden das sogar als widersprüchlich bezeichnen: Wasser predigen und Wein trinken. Insbesondere in der Klimadebatte wird diese Kritik immer wieder deutlich. Ich denke da an den letzten Sommer zurück, in dem „die Jugend“, die mit FFF auf den Straßen protestierte, angeblich gleichzeitig auf Festivals ihren Müll zurückließ. Oder an die vielen guten Vorsätze, die wir uns machen, von Fleisch- und Flugverzicht, weniger Plastik usw., die wir selten konsequent einhalten. 

Ich vermute, dass es durchaus menschlich ist, das wir uns immer wieder ambivalent verhalten. Da das menschliche Zusammenleben solche Kompromisse erfordert. Der Philosoph und Staatstheoretiker Thomas Hobbes zum Beispiel war der Überzeugung, der Mensch sei im Naturzustand ein wildes Tier, ein Wolf, und nur durch das Zusammenleben mit anderen Menschen könne er die Vorteile der Gemeinschaft und des guten Lebens nutzen. Wie der gute Hobbes das erreichen wollte, sei mal dahingestellt. Aber eine Welt, in der wir alle kompromisslos unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse durchsetzen, hielten vermutlich die wenigsten für eine Wünschenswerte. Insofern kann es ja sogar wohltuend sein, Kompromisse einzugehen, wenn diese das gemeinsame Glück mehren. Jede Form der Beziehung erfordert es, Kompromisse einzugehen. Die Liebe ist da vielleicht als einer der größten zu nennen, da wir unsere Autonomie zugunsten des Zusammenseins zu einem gewissen Teil einschränken.

Nichtsdestotrotz fühlen wir uns häufig hin und hergerissen zwischen dem hedonistischen Streben nach Glück und der Einhaltung unserer moralischen Werte, die sich ja auch mit der Zeit wandeln können. So hat beispielsweise vor ein, zwei Jahren kaum jemand von Flug-Scham gesprochen und heute gehört es beinahe zum Standardvokabular. Was ich damit sagen möchte ist, radikal leben mag ein Vorsatz sein, ihn umzusetzen aber oft alltagsfern. Weil wir als Menschen immer wieder Kompromisse eingehen müssen, um unser Zusammenleben zu gestalten. Einerseits, weil wir intersubjektiv unterschiedliche Bedürfnisse haben, aber eben auch intrasubjektiv, also in uns selbst ambivalent sind.

Damit wir dennoch gemeinschaftlich zusammenleben und Entscheidungen treffen können, braucht es natürlich eine geeignete Form der Kommunikation. Wie so etwas funktionieren kann, damit hat sich unter anderem Jürgen Habermas in seiner Diskursethik beschäftigt. Ihm zufolge kann eine Einigung auf verbindliche Normen, die ein Zusammenleben in Gesellschaft ermöglichen, nur gelingen, wenn aufgeklärte Individuen in der Lage sind, sich austauschen. Ihre eigenen Weltbilder hinterfragen und gemeinsam moralische Werte entwickeln. Und eine verbindliche Norm kann nach Habermas nur dann akzeptiert werden, wenn sie von allen möglichen Betroffenen mit sämtlichen Folgen akzeptiert wird. Allerdings kann man sich nun fragen, ob Konsens und Kompromiss nicht zu unterscheiden sind. Man spricht ja auch gerne von sogenannten „Faulen Kompromissen“. 

Der israelische Philosoph Avishai Margalit hat sich diese Frage gestellt, ob es wohl gute und schlechte Kompromisse gebe. Für ihn gehört der Kompromiss sogar ins Zentrum philosophischer Reflexion, da wir selten genau das bekommen, was wir wollen. Darum sagt Margalit, sollten wir viel stärker anhand unserer Kompromisse beurteilt werden, als anhand unserer Ideale und Normen. Denn Ideale können uns zwar Wichtiges darüber sagen, was wir gern wären, Kompromisse aber verraten uns, wer wir wirklich sind. Und so lässt sich auch Margalits Antwort auf diese Frage als eine Art Kompromiss werten: Denn auch für ihn sind sie unentbehrlich für das soziale Leben. Wenn es aber faule Kompromisse sind, können sie, sagt er, für ein Gemeinwesen tödlich sein.

Mir kommt da sofort das Bild eines „Fähnchens im Wind“. Wenn wir zu offen sind und uns von jeder Woge mitreißen lassen, laufen wir Gefahr, uns selbst zu verlieren. Nicht im Sinne eines festen Kerns unserer Identität. Sondern viel mehr sind wir dann nicht mehr greifbar. Uns fehlt die Standhaftigkeit. Es braucht eine gewisse Positionierung unsererseits, mit der wir uns verorten und dadurch für andere greifbar werden.

Das spricht ja dann wiederum dafür, dass es so etwas, wie eine “goldene Mitte” gebe. Einen Weg zwischen Radikalität und faulem Kompromiss. Eine Balance vielleicht?

Interessant wird diese Frage auch, wenn man sich den Trend hin zur Achtsamkeit und modernen Spiritualität anschaut, der vor allem für mehr Mäßigung plädiert. Wobei ich vermute, dass dieser Wunsch nach Gelassenheit und die Suche nach einer verlorenen Mitte weniger philosophisch, als vielmehr daher rührt, dass unser Privatleben heute durchökonomisiert ist und damit auch dem Effizienz-Paradigma unterliegt. Wir müssen mehr leisten, in immer kürzerer Zeit und sind zugleich angehalten, flexibel auf die sich verändernden Umstände zu reagieren. Kein Wunder, dass man da den Wunsch nach mehr Gelassenheit verspürt. Was ich allerdings für problematisch halte, ist der Aufruf, allem, was dem Selbst schaden und die innere Ruhe aufrütteln könnte, aus dem Weg zu gehen. So predigen einige der sogenannten Mindfulness Coaches, man solle keine Nachrichten konsumieren, da sie nur über negative Schlagzeilen berichten. Diese radikale Abkehr von einem Teilaspekt der Realität halte ich für wenig zielführend, da wir so Gefahr laufen in unserer kleinen Bubble ein verzerrtes Bild der Welt zu entwickeln weil wir keine Kontroversen und Ambivalenzen mehr zulassen. Auf der anderen Seite kann ich verstehen, dass es als zum Teil frustrierend erlebt wird, wie sich die Welt entwickelt und nicht jeder die Zeit und Kraft hat, sein gesamtes Leben dem Gemeinwohl zu widmen. Allerdings bin ich zugleich der Auffassung, dass gerade das Gefühl, Teil von etwas zu sein, sei es in einer Bewegung, wie FFF oder einem Verein,  einen sehr sinnstiftenden Charakter hat, der in unserer heutigen sehr individualistisch geprägten Welt, durchaus hilfreich sein kann. Denn Selbstentfaltung und Gemeinwohl schließen sich keinesfalls aus, sie bedingen sich sogar. Eine Gesellschaft braucht einerseits mündige Subjekte, die sich entwickeln wollen. Andererseits können wir als Menschen alleine nicht überleben und sind auf die Gemeinschaft angewiesen. Insofern denke ich, das es kein entweder oder im Sinne eines Kompromisses darstellt, sondern sich gegenseitig ergänzt und das Leben des Einzelnen sowie uns als Gesellschaft bereichern kann.

Nun ist aber noch immer nicht die Frage nach der “goldene Mitte” beantwortet, ob es diese gibt und, was es mit diesem Maß auf sich hat. Aristoteles bezeichnet in seiner Nikomachischen Ethik die Tugend als mesótes, also Mittelmäßigkeit zwischen zwei Extremen, die es stets anzustreben gilt. Diese Mitte ist allerdings subjektiv und situationsabhängig durch die Vernunft des Einzelnen bestimmt und kann sich zwischen zwei Personen unterscheiden. Um ein paar Beispiele zu nennen: Freigebigkeit ist für Aristoteles die Mitte zwischen Geiz und Verschwendung. Und die Tapferkeit bewegt sich zwischen den Extremen der Feigheit und der Tollkühnheit – weder die Feigheit ist wünschenswert, noch eine übersteigerte, vernunftlose Tapferkeit, die Aristoteles als Tollkühnheit bezeichnet. Dementsprechend zeigt sich die Vorstellung vom guten Leben als eine mittlere Lebensform. Damit ist die Mitte aber gleichzeitig auch ein Äußerstes, das Beste, das möglich ist. Aristoteles gibt auch selbst zu, dass es sehr schwer ist, die Mitte zu treffen. Wie bei einem Dart-Spiel trifft man eben häufiger daneben. Also ist man aufgefordert ständig abzuwägen, um das richtige Maß zu finden. Übung macht den Meister. Je häufiger wir tugendhaft handeln, desto leichter fällt es uns, bis wir irgendwann gar blind die Mitte treffen.

Jungen Menschen wird ja auch häufig unterstellt, noch nicht so viele Erfahrungen gemacht zu haben, im Vergleich zu jenen, die ein gewisses Alter erreicht haben und damit oft eine gewisse Reife besitzen. Je älter wir werden, desto größer ist unser Repertoire an Erfahrungen, auf das wir als eine Art normativer Maßstab zurückgreifen können. Wir lernen Dinge mit der Zeit in Relation zu setzen. Das hat seine guten, wie schlechten Seiten. Einerseits lassen wir uns dadurch vielleicht nicht mehr so schnell aus der Fassung bringen und können gelassener durchs Leben gehen. Auf der anderen Seite besteht in den Extremen ja auch ein gewisser Reiz. Wir spüren uns dann oft besonders intensiv. Unsere Grenzen weiten sich aus. Diesen Prozess durchlaufen die meisten von uns in der Phase der Pubertät, dem Übergang in die Adoleszenz. Wenn wir radikal das Bestehende in Frage stellen, uns vom Elternhaus Stück für Stück abnabeln und unsere eigenen Wege gehen. Ich denke, dass dieser Prozess, sowohl evolutionär, als auch in sozialer Hinsicht wichtig für unsere Identitätsbildung als Individuum ist. Indem wir auch mal anecken und Widerstände spüren, lernen wir uns selbst besser kennen. Insbesondere was wir nicht wollen und dadurch eben auch, was wir uns stattdessen wünschen. Radikalität, im Sinne einer Etablierung eigener Ideale und Wertvorstellungen, gibt uns ja auch ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Autonomie.

Und, wenn wir mal ganz ehrlich sind, es braucht ein gewisses Maß an Radikalität. Individuell, wie auch im Sinne der Gemeinschaft. Ohne radikale Denker*innen und jene, die bereit waren für Ideale sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen, gäbe es heute wohl kaum Grundgesetz, Frauenwahlrecht, Genossenschaften und wir lebten noch immer unterdrückt von den wenigen Reichen und Mächtigen. Was zugleich bedeutet, dass auch heute nach wie vor radikale Denker*innen und Menschen braucht, die uns immer wieder daran erinnern das Bestehende zu Hinterfragen. Weil noch lange nicht alles gut so ist, wie es ist. Weil Wissen oft nicht ausreicht, um Missstände zu beheben, wie wir beispielsweise in der Klimakrise sehen können.

Da Albert Camus es weitaus besser in Worte fassen kann, als ich, möchte ich abschließend eine kurze Passage aus “Der Mensch in der Revolte” von 1951 lesen: 

“Was ist der Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt. Aber, wenn er ablehnt, verzichtet er doch nicht, er ist auch ein Mensch, der ja sagt aus erster Regung heraus. […] So ruht die Bewegung der Revolte zu gleicher Zeit auf der kategorischen Zurückweisung eines unerträglich empfundenen Eindringens wie auf der dunklen Gewißheit […] des Revoltierenden, <ein Recht zu haben auf…>. […] Er demonstriert hartnäckig, daß es in ihm etwas gibt, das <die Mühe lohnt>, das beachtet zu werden verlangt. […] Gleichzeitig mit dem Widerwillen gegen den Eindringling enthält jede Revolte eine völlig und unmittelbare Zustimmung des Menschen zu einem Teil seiner selbst.”

Insofern, um noch einmal zur Ausgangsfrage zurückzukehren, ob es so etwas, wie einen richtigen Weg, ein gutes Maß gibt, lautet meine persönliche Antwort: Ja und Nein zugleich. Ja, in der Hinsicht, als dass es stets auszuhandeln ist, was eine gute Entscheidung im jeweiligen Kontext ausmacht. Und dabei nicht nur die Konsequenzen für sich selbst, sondern auch für alles um mich herum in Betracht gezogen werden müssen. Im Bezug auf die Klimakrise zum Beispiel zukünftige Generationen, die real noch gar nicht existieren. Und Nein, insofern, dass es keinen allgemeingültigen richtigen Weg gibt, sondern, dass jede Entscheidung in ihren historischen und gesellschaftlichen Kontext eingebettet ist, der sich im stetigen Wandel befindet. 

Es ist und bleibt also kein einfaches Unterfangen. Und im Zweifel fahren wir, indem wir uns im übertragenen Sinne aneinander reiben, unsere Sichtweisen austauschen, wohl am besten. Das erfordert aber, dass wir gewillt sind, uns zu begegnen. Und das wiederum erfordert eine gewisse Haltung. Aber dazu vielleicht ein andern Mal… 

Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, ihr konntet etwas aus der Episode mitnehmen. In den Shownotes habe ich einige weiterführende bzw. interessante Artikel und Beiträge, die im Zusammenhang mit dem heute besprochenen Thema stehen, verlinkt. Wenn euch die Episode gefallen hat, teilt sie gerne mit anderen. Und natürlich würde ich mich besonders freuen, wenn auch ihr als Mitglieder einen Sinneswandel möglich macht. Alle infos dazu findet ihr ebenfalls in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald.
25. Mai 2020

Sabine Nuss: Hätte Marx die Digitalisierung als Chance begriffen?

von Marilena 11. Mai 2020

Vor genau einer Woche, am 5. Mai, jährte sich der Geburtstag von Karl Marx. Stolze 202 Jahre wäre er in diesem Jahr geworden und gehört dennoch zu den aktuellsten und lesenswertesten Vordenker*innen unserer Zeit. Aber, was macht Marx und sein Denken so aktuell? Und, wie hätte dieser wohl die fortschreitende Digitalisierung und damit einhergehende Modernisierung unserer Gesellschaft bewertet? Ob Marx es wohl befürwortet hätte, wenn immer mehr Arbeit von Robotern übernommen wird? Würde er die Digitalisierung als Chance, gar als Befreiung des Menschen, begreifen oder hätte er eher Bedenken? Über diese und weitere Fragen habe ich mit der Autorin, Geschäftsführerin des Karl-Dietz Verlags und Marx Expertin Sabine Nuss, unterhalten.

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  • Du möchtest Marx besser verstehen? Dann schau gerne auf Polyluxmarx.de vorbei. Dies ist ein Bildungsangebot zur Aneignung und Vermittlung der Kritik der Politischen Ökonomie mit einer Sammlung kommentierter PowerPoint-Folien der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
  • Mehr über Sabine Nuss‘ Sein und Tun ist auf ihrer Website erhältlich.
  • Leseempfehlung: Marx und die Roboter, erschienen im Dietz Verlag 2019.

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11. Mai 2020

Warten – Eine Kunst, die wir verlernt haben?

von Marilena 3. Mai 2020

Man sagt, Warten sei eine Kunst. Und, vielleicht stimmt das sogar in Anbetracht des allgegenwärtigen “Sofortismus”: Same Day Delivery, Fast Food, Instant Message. Wer wartet, so sagt man, vergeude seine wertvolle Zeit. Denn heute, gilt vielleicht mehr denn je “Zeit ist Geld”. Und nicht sogar vice versa? Wer im Besitz von Geld ist, kann sich auch Zeit und damit frei kaufen? Bedeutet Zeit dann im Umkehrschluss nicht auch Macht? Sicher ist jedoch, kaum einer wartet gerne. Nicht selten werden wir unruhig. Starren auf den Zeiger unserer Uhr, der sich quälend langsam über das Zifferblatt bewegt. Wir spüren förmlich, wie die Zeit rinnt. Ein luftleeres Vakuum und wir mittendrin. Eine Krönung erhält dieser Zustand des Ausharrens, wenn wir im Ungewissen bleiben, wann das Warten ein Ende haben wird. Und lediglich den Zustand des Abwartens akzeptieren können. Also warten wir und vertreiben uns die Zeit. An Ablenkungen mangelt es keineswegs. Aber, wovon wollen wir uns eigentlich ablenken? Uns selbst? Was macht das Warten so unerträglich?

Diesen Fragen wollen wir, Edu und ich, in der heutigen Episode nachgehen. Wie bereits letztes Mal, formlos und ohne klares Ziel und doch hoffentlich mit einem roten Faden, der durch die gemeinsame Gedankenreise leitet

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3. Mai 2020

Gerald Hüther: Was hilft uns aus der Angst?

von Marilena 20. April 2020

Angst hat vermutlich jede von uns schon einmal empfunden. Sie ist etwas zutiefst menschliches und sogar überlebensnotwendig. Und doch versuchen wir sie eher zu meiden. Außer vielleicht, wenn wir einen Kriminalroman lesen. Aber in unserem eigenen Leben, da suchen wir sie selten freiwillig. Eher überkommt sie uns. Als Gefühl, das wir zuweilen am ganzen Körper spüren können. Aber, wie entsteht sie eigentlich, die Angst? In unserem Kopf? Was ist mit abstrakten Ängsten, wie der Angst vor Ungewissheit? Gerade jetzt, in Zeiten von Corona, ein Zustand, der viele von uns beunruhigt. Was hilft uns mit Ängsten umzugehen?

Diese und weitere Fragen durfte ich dem Neurobiologen und Autor, Gerald Hüther stellen, der viele Jahre als Wissenschaftler in renommierten Einrichtungen, wie dem Max-Planck-Institut geforscht hat. Heute liegt sein Anliegen vor allem darin, Gelegenheiten zu schaffen, bei denen sich Menschen als aktive Gestalter ihres Lebens und ihres Zusammenlebens erfahren. Denn seiner Auffassung nach, sind die Ursachen für die Mehrzahl psychischer Störungen nicht im Gehirn, sondern in den ungünstigen, krankmachenden Beziehungserfahrungen der Patienten zu finden. Gerald Hüther selbst versteht sich als „Brückenbauer“ zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlicher bzw. individueller Lebenspraxis.

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  • Mehr über und von Gerald Hüther erfährst du hier.

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20. April 2020

Denken wir (noch) selbst?

von Marilena 13. April 2020

Wir leben angeblich in einer Wissensgesellschaft. Alles Wissen ist verfügbar und jederzeit abrufbar. Oft nur zwei, drei Klicks entfernt. Apps sagen uns zunehmend was wir brauchen und unter keinen Umständen vergessen sollten. Zudem sind wir permanent beschäftigt – busy nennt sich das heute. Wenn wir nicht im Office arbeiten, arbeiten wir eben an uns selbst. Bleibt da eigentlich noch Zeit zum Denken? Also den Gedanken mal freien Lauf zu lassen. Ohne Reglemente und klares Ziel. In kritische Distanz zu sich selbst und dem Geschehen zu treten. Bei all der Informationsflut, die wir bewusst, wie unbewusst tagtäglich konsumieren, denken wir da eigentlich noch selbst? Haben wir das jemals getan? Gibt es so etwas, wie “eigene Gedanken”? Oder wurde nicht alles schon einmal gedacht? Was bedeutet es selbstständig zu Denken?

Diesen Fragen wollen wir, Edu und ich, in der heutigen Episode, der ersten dieser Art nachgehen. Formlos und ohne klares Ziel und doch hoffentlich mit einem roten Faden, der durch die Gedankenreise leitet.

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13. April 2020

Maja Göpel: Brauchen wir ein neues Weltbild?

von Marilena 6. April 2020

Unsere Welt steht an einem Kipppunkt, und wir spüren es. Einerseits geht es uns in vielerlei Hinsicht so gut wie nie, andererseits zeigen sich Verwerfungen, Zerstörung und Krisen, wohin wir sehen. Ob Umwelt oder Gesellschaft – scheinbar gleichzeitig sind unsere Systeme fragil geworden. Wir ahnen: So wie es ist, wird und kann es nicht weitergehen. Wie finden wir zu einer Lebensweise, die das Wohlergehen des Planeten mit dem der Menschheit versöhnt? Wo liegt der Weg zwischen Ökodiktatur, Wachstumswahn und Technikversprechen? Die Zukunft neu und ganz anders in den Blick zu nehmen, darin besteht die Einladung, die Maja Göpel in ihrem neuen Buch „Die Welt neu denken“ ausspricht. Maja Göpel ist Politökonomin, Transformationsforscherin und Generalsekretärin des WBGU (Wissenschaftlicher Beirat für Globale Umweltveränderungen).

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6. April 2020

Ariadne von Schirach: Krisen als Chance für neues Bewusstsein?

von Marilena 30. März 2020

“Es ist kein Zeichen von Gesundheit, an eine von Grund auf kranke Gesellschaft gut angepasst zu sein”, schrieb einst der indische Philosoph Jiddu Krishnamurti. Wie zutreffend seine Worten auch oder wohl eher gerade heute, noch sein würden, hätte er wohl nicht geahnt. Unsere Welt als “krank” zu bezeichnen, halte ich für keine Übertreibung. Ich beziehe mich in diesem Fall nicht auf die Corona Pandemie, die selbstverständlich auch eine Menge Missstände aufzeigt, die sich uns nun geradezu aufdrängen, wie z.B. die fatalen Einsparungen im Gesundheitssystem. Ich spreche auch von unserem kranken Planeten, dessen Symptome, wie schmelzende Gletscher, das Artensterben, die Waldbrände, nicht zu übersehen sind. Ich spreche aber auch von einer kranken Gesellschaft, die sich durch eine Lebensweise äußert, die ihre Mitglieder, uns Menschen wiederum krank macht. Durch permanente Effizienzsteigerung und Optimierungswahn, durch eine Durchdringung der Wirtschaft nahezu aller Lebensbereiche und einer Tendenz zur Individualisierung, die nicht freie, sondern zunehmend einsame Menschen aus sich hervorbringt.

Die Philosophin und Autorin, Ariadne v. Schirach, nennt dies eine psychotische Gesellschaft. Als Resultat einer kollektiven Identitätskrise. Jedoch sieht sie in ihr zugleich eine Chance unser Menschsein neu zu begreifen. Denn wir brauchen keine andere Welt sonder ein anderes Bewusstsein, dessen, was ist. Und was wir für wünschenswert erachten. Die Welt zu verändern beginnt damit, sie neu zu erzählen. So lautet zumindest ihr Vorschlag.

Klingt gut, aber wie gelangen wir dorthin? Vielleicht sollten wir uns dazu anschauen, wie wir uns überhaupt zu einer psychotischen Gesellschaft entwickelt haben? Diese und weitere Fragen, habe ich der Philosophin Ariadne v. Schirach gestellt und das Gespräch möchte ich dir in der heutigen Podcast Episode präsentieren.

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  • Sehenswert: Das Teaser Video zum Buch Die psychotische Gesellschaft
  • Lesenswert: Martin Hägglund: This Life; Kwame Anthony Appiah: The Honor Code; Donna Haraway: Unruhig Bleiben.

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30. März 2020
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