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Identität

Laut gedacht: Was wäre gewesen, wenn…?

von Marilena 3. September 2025

Gleichzeitigkeit – ein Konzept, das zunächst abstrakt wirkt, im Alltag aber ständig präsent ist. Wir erleben Dinge parallel, denken an Vergangenes, während wir in der Gegenwart handeln, und nehmen Welten wahr, die scheinbar im Widerspruch zueinanderstehen. Mit meinem Freund David spreche ich darüber, wie diese Gleichzeitigkeit unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst – und warum es manchmal befreiend sein kann, Widersprüche einfach nebeneinander existieren zu lassen.

Shownotes

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► David auf Instagram und Spotify

► Terra X Lesch & Co: Wie funktioniert Quantenmechanik? Quantenphysik erklärt Teil 1
► Filmempfehlung: Everything, Everywhere All At Once von Daniel Kwan und Daniel Scheinert

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art


Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel-Podcast. Ich bin Marilena – schön, dass ihr dabei seid.

Vielleicht habt ihr’s gemerkt: Es hat mal wieder ein kleines bisschen länger gedauert, bis diese neue Folge online gegangen ist. Das lag nicht daran, dass mir nichts eingefallen wäre – im Gegenteil. Aber ich habe in den letzten Wochen gleichzeitig an einem anderen Projekt gearbeitet. Das hat zwar nichts mit meinem Podcast zu tun, ist aber auch ziemlich aufregend. Und genau das passt natürlich perfekt als Überleitung zum Thema: Gleichzeitigkeit.

Allerdings wird diese Folge etwas anders als gewohnt. Und zwar dachte ich: Vergangenes muss ja nicht immer schlecht sein. Deswegen hab ich ein altes Format aus der Schublade gekramt: “Laut Gedacht”. Das gab es während der Corona Pandemie schon mal. Es ist eigentlich ganz simpel: Ich setze mich mit einer Person – meistens eine, die ich persönlich kenne und die mich in irgendeiner Form inspiriert – zusammen und wir denken gemeinsam laut nach. Die Themen können banal und alltäglich sein, wenn man länger darüber nachdenkt, haben sie aber eigentlich immer eine tiefere Ebene.

Und für diese Folge habe ich jemanden eingeladen, mit dem ich sowieso ständig laut nachdenke: meinen Freund David. David ist Musiker. Und das Thema, über das wir sprechen, begleitet ihn schon etwas länger, würde ich sagen. Wieso erzählt er gleich selbst.

Aber die Gleichzeitigkeit der Dinge ist nicht nur ein persönliches, sie ist auch ein politisches  Thema. Während an einem Ort Krieg herrscht, wird anderswo gefeiert. Vieles fühlt sich im Moment unglaublich widersprüchlich an, finde ich.

Bevor wir mit dem Nachdenken beginnen, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ihr meine Arbeit unterstützten könnt, wenn sie euch gefällt. Das geht ganz einfach via Steady oder über Paypal.me/SinneswandelpodcastMehr dazu in den Shownotes.

Marilena: Hallo David.

David:  Hallo, Marilena.

Marilena: Bisschen ungewohnt, so auf die Art zu reden, oder?

David: Ziemlich.

Marilena: Ich habe mir gedacht, laut nachdenken kann man am allerbesten, wenn man relaxed ist. Deswegen habe ich dir was mitgebracht, was du sehr gerne magst, und zwar ein Bierchen, ein helles.

David: Ha, das ist ja süß.

Marilena: Vielen Dank. Hast du was zum Aufmachen? Merci.

David: Ja, danke dir. Cheers!

Marilena: Wo wir das geklärt haben und jetzt, während wir sprechen, gleichzeitig ein Bierchen trinken können, habe ich mir gedacht, dass wir zum Anfang als kleine Icebreaker quasi gleichzeitig das Wort sagen, was uns als erstes einfällt, wenn wir an das Thema der Folge, nämlich Gleichzeitigkeit, denken. Ja. Also ich zähle auf drei runter und dann sagen wir einfach gleichzeitig ein Wort. Ready?

David: Ja.

Marilena: Drei, zwei, eins, Quantenmechanik. Was hast du gesagt?

David: Ich hab Entspannung gesagt.

Marilena: Ich glaube, wir könnten auf jeden Fall kaum weiter auseinanderliegen. Alright, dann starte du. Ich bin gespannt, was Entspannung mit Gleichzeitigkeit zu tun hat.

David: Ja, voll gerne. Also, wir haben ja in den vergangenen Monaten häufig mal darüber gesprochen, und das ist ja auch der Grund, warum wir jetzt hier sitzen und vor allem, warum wir genau darüber jetzt miteinander sprechen. Ich finde das irgendwie auf eine Art manchmal total beruhigend zu wissen, dass überall auf der Welt so viel Kram gleichzeitig los ist. Also im Detail hier um die Ecke irgendwer jetzt Eis essen, Wäsche waschen, Sport machen, egal, das gibt mir irgendwie eine totale Ruhe. Das ist immer eine Möglichkeit kurz raus zu zoomen und sich einfach irgendwie zu entspannen, weil man weiß, die eigenen Probleme sind so klein und es gibt so viele Probleme.

Marilena: Meinst du so, dass quasi, also ich kenne das, wenn ich an Leuten vorbeilaufe und quasi so Gesprächsfetzen.

David: Ja, ja, ja.

Marilena: Dann bin ich so, ah krass, okay, die Person hat sich gerade getrennt, bei der ist gerade das los, also nicht, dass ich mich irgendwie an dem Leid anderer ergötze, aber so, dass man merkt, ah ja, krass, na klar, irgendwie andere Menschen haben auch gleichzeitig ihr eigenes Leben, obwohl es die hat.

David: Total. Ich finde, auf eine Art ist mir das spät erst aufgefallen und jetzt finde ich es dann umso faszinierender. Ich habe einfach früher noch nie darüber nachgedacht und ich hatte irgendwann so einen Moment wie so eine Epiphanie, wo ich dann einfach das so ganz extrem gemerkt habe und es hat mich irgendwie einfach seitdem begleitet mich das total. Es ist einfach immer so ein positiver Ort im Kopf, an den ich zurückkommen kann, der mich entspannt.

Marilena: Voll interessant, weil als ich über das Thema nachgedacht habe, oder das heißt das Thema, aber über Gleichzeitigkeit und die Gleichzeitigkeit der Dinge nachgedacht habe, ist mir vor allem erst mal auch eingefallen, so boah, irgendwie passiert so viel gleichzeitig und ich finde das stressig. Also wenn ich mir überlege, so Menschen, die vor uns aufgewachsen sind, also ich meine, wir sind immerhin schon mit dem Internet aufgewachsen, so ungefähr, dann war da noch viel weniger gleichzeitig. Also wenn eine Nachricht rausgekommen ist, dann kamen die halt mit der Zeitung am nächsten Tag oder klar, irgendwie auch mit dem Fernseher, aber wir bekommen halt alles im Zweifelsfall irgendwie über Social Media, über X oder was weiß ich mit und mich stresst das schon irgendwie auch ziemlich doll.

David: Auf jeden Fall, vor allem man, es gibt ja jetzt nicht mehr nur eine Art von Nachrichten, die man konsumieren kann, also es ist ja, selbst da passiert ja so viel gleichzeitig und da stimme ich dir zu, es ist auf jeden Fall mega widersprüchlich, dass ein, das Tempo, was unsere Welt jetzt hat, so entspannen kann, aber irgendwie macht es das eigentlich auf eine Art mit mir und ja, ich meine gleichzeitig, gleichzeitig ist zum Beispiel so in Bezug auf unsere heutige Arbeitswelt und wie jetzt Leute aufwachsen, das ist natürlich einfach so ein Tempo da reingekommen, selbst in unserer eigenen Lebenszeit, wie sich die Dinge halt verändert haben, das ist auf jeden Fall, ja, ein Unterschied und das ist natürlich keine Entspannung, das ist einfach nur mega stressig.

Marilena: Allein, also ich meine, ich kenne dich relativ gut, du kennst mich relativ gut. Ich würde sagen, wir sind beides Menschen, die nicht besonders gut Dinge an sich, also eine Sache zur Zeit machen können. Auch das ist ja, also so Stichwort Multitasking, auch ein bisschen banal, aber ist ja auch eine Gleichzeitigkeit irgendwie. Es fällt mir so schwer, also wenn, wenn du nicht dabei bist und ich irgendwie versuche einen Film oder eine Serie oder so zu gucken, dann bin ich immer an meinem Handy am Rumdaddeln und ich schaffe es einfach nicht, irgendwie so eine Sache so richtig zu machen, sondern irgendwie immer irgendwas gleichzeitig, ist auch ein bisschen…

David: Irgendwie spannend, dass es manchmal so schwer ist, was zu tun, was gut für einen selbst ist. Weil ich meine, man fühlt sich ja einfach nur beschissen, wenn man eine Stunde lang auf drei Screens hin und her irgendwas geguckt hat. Das ist ja einfach eine schlechte Zeit, die man da hat. Ich glaube, das hat teilweise fast was mit Aushalten zu tun auf eine komische Art und dass unsere Konzentrationsspannen einfach ein bisschen geschrumpft sind. Und jetzt zum Beispiel so in Bezug auf die Arbeit oder auch Kreativität. Ich finde es verrückt, weil ich früher eigentlich immer irgendwie irgendwas so schreiben konnte und mittlerweile brauche ich da einfach so Uhrzeiten für. Ich weiß genau, wenn ich zum Beispiel abends im Studio bin oder ich mache Musik, dann ist es halt für mich mega cool, weil dann weiß ich, mein Handy klingelt nicht, es kommen keine E-Mails rein. Natürlich kann ich den ganzen Quatsch auch ausmachen, aber das ist dieses Ding von Dringlichkeit versus Wichtigkeit. Man hat einfach häufig irgendjemanden, der sich dann doch oder die sich dann doch meldet und dann ist man so, ja okay, gehe ich kurz ran, beantworte ich kurz, erledige ich, dann ist es ja erledigt. Und das eigentlich wichtige Ding, wo man von Anfang an vorhatte, das will ich heute schaffen, das bleibt irgendwie dann manchmal auf der Strecke oder wird wieder unterbrochen und so. Und das ist sauschwierig. Also ich bewundere Menschen, die das so richtig krass unter Kontrolle haben.

Marilena: Weil total, für mich sind das die Morgenstunden, das für dich die Abendspaziergänge.

David: Ja, aber es ist ja eigentlich die gleiche Geschichte. Es ist einfach nur quasi halt, bevor alle anderen am Start sind.

Marilena: Weißt du, was mir auch noch eingefallen ist, eigentlich gerade wirklich erst, wo wir darüber sprechen, dass wir ja nicht nur in einer Zeit leben, wo eben viel gleichzeitig passiert, sondern auch, dass es sozusagen mehrere, auf eine Art mehrere Wahrheiten gibt. Also natürlich gab es auch schon früher so mehr Menschen mit verschiedenen Sichten auf die Welt, aber jetzt auch allein durch KI oder so, also wie viel Fake News es gibt, es gibt ja so ein bisschen diesen Begriff irgendwie der, wie heißt das noch, der Post-Wahrheit oder so. Oh Gott, mir fällt der Name gerade nicht richtig ein, aber ich recherchiere das nochmal. Dass es sozusagen eben nicht mehr diese eine Wahrheit gibt, sondern mehrere, dass man damit halt viel stärker noch konfrontiert wird, ob das jetzt halt, also in Konflikten irgendwie auf der Welt ist, so natürlich gibt es verschiedene Sichten da drauf, irgendwie auf Kriege oder alles Mögliche, aber dass man noch viel stärker eben mit so Fake-Realitäten auch konfrontiert ist.

David:  Ja, checke ich. Also irgendwie ist vielleicht die in Anführungsstrichen objektive Wahrheit in ihrem Wert so ein bisschen weniger oder die ist so geschrumpft, weil Leute einfach mit so offensichtlich falschen Dingen einfach durchkommen. Das war früher, glaube ich, schon echt anders, jedenfalls eine Zeit lang.

Marilena: Und auch gleichzeitig gibt es ja viele AI-Welten, in denen man halt auch oder generell so andere Welten, in denen man untertauchen kann irgendwie, in der man als ganz anderer Mensch jetzt in so einem Cyberspace halt irgendwie auch leben kann und eine andere Identität halt irgendwie auch dadurch bekommt.

David: Ja, das wiederum ist ja eigentlich ganz schön aufregend, Metaverse und so, also ehrlich gesagt bisher noch nicht so besonders reizvoll für mich, aber ich glaube, man muss sich da manchmal auch so ein bisschen einfach drauf einlassen und davon überraschen lassen, was da noch so auf uns zurollt.

Marilena: Und das Schöne ist ja eigentlich tatsächlich dabei, sich zu überlegen, okay, vielleicht gibt es eben nicht nur die eine Wahrheit, sondern es gibt unterschiedliche Wahrheiten, weil ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich finde im Alltag ist es schon sehr häufig so, dass man merkt, okay, viele Menschen wünschen sich irgendwie so eine Wahrheit oder sind so, nee, es gibt das eine oder das andere schwarz-weiß und ertragen nicht, dass es halt irgendwie eine gewisse Ambivalenz oder Ambiguität eben auf der Welt gibt. Und irgendwie haben wir diese Ambiguitäts-Toleranz scheinbar einfach so ein bisschen verloren oder es fällt vielen Menschen schwer und das Verrückte ist, und deswegen habe ich vorhin, als wir runtergezählt haben, das Wort Quantenmechanik gesagt, dass es tatsächlich eben in der Quantenmechanik genau das gibt. Also ich erkläre gar nicht noch, was Quantenmechanik ist, also nicht, dass ich mich damit auskennen würde, aber da ist es tatsächlich so, dass eine Gleichzeitigkeit existiert, also eben nicht nur theoretisch, sondern wirklich auf einer physikalischen Ebene. Und weißt du, was Quantenmechanik ist?

David:  Vielleicht wusste ich’s mal, ich kann mich absolut gar nicht mehr daran erinnern.

Marilena: Ist auch ehrlich gesagt ziemlich kompliziert. Ich würde einfach mal sagen, Harald Lesch, den viele wahrscheinlich kennen, der kann das viel besser erklären und das überlasse ich jetzt mal ihm.

Harald Lesch: Ja, die Quantenmechanik scheint ja so eine ganz geheimnisvolle Geschichte zu sein. Wenn man die zu lange betreibt, so sagen einige, dann würde man irre werden. Es gibt so Sätze wie, wer behauptet, die Quantenmechanik verstanden zu haben, der hat sie nicht verstanden. Im Bermuda-Dreieck der Quantenmechanik sind ja schon viele verloren gegangen, aber es gibt eine Rettungsinsel. Und das ist die Natur.

Marilena: Okay, ich gebe zu, das erklärt jetzt noch nicht so wahnsinnig viel, aber vielleicht ganz kurz gefasst. Die Quantenmechanik ist quasi so ein Teilgebiet von der Quantenphysik und die beschreibt eben die Bewegung und das Verhalten von so ganz, ganz, ganz, ganz kleinen Teilchen, die man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, auf so einer ganz kleinen Ebene, also so Atome, Elektronen, Photonen. Das sind so Begriffe, die man vielleicht schon mal irgendwie im Physikunterricht gehört hat. Und diese Teilchen, die entsprechen nicht wirklich mehr den Regeln, die halten sich nicht an die Regeln, die wir hier in der Welt kennen, sondern die folgen ganz, ganz anderen Regeln. Und ohne diese quantenmechanischen Regeln, die es gibt, würde die Welt, in der wir hier leben, in der wir existieren, das ist das Krasse, nicht existieren. Also die Quantenmechanik brauchen wir, ganz, ganz dringend, das habe ich zumindest irgendwie verstanden. Und laut dieser Quantenmechanik ist es so, dass eins dieser kleinen Miniteilchen an mehreren Orten gleichzeitig existieren kann. Das ist so ein bisschen, kannst du dir vorstellen, wie wenn du einen Lichtschalter hast und dieser Lichtschalter kann sowohl auf an als auch auf aus sein und das zur gleichen Zeit. Und allein das, ich weiß nicht wie es dir geht, aber das ist ja eigentlich für uns nicht vorstellbar.

David: Genau, das macht einfach keinen Sinn.

Marilena: Genau, ja. Also das, was Harald Lesch auch meint, ist irgendwie, also man versteht es nicht. Und dieser Zustand, den nennen die PhysikerInnen dann Superposition. Das heißt, auch weiter gedacht, dass das, was wir hier in dieser Welt, in der wir leben, verstehen, erleben, also mit unseren Sinnen erleben, ist nur ein kleiner Teil von dem, was halt tatsächlich wirklich da draußen in der Welt passiert. Also eben, wir erleben eigentlich nur eine begrenzte Realität. Und es gibt halt total viele Filme, die das halt aufgreifen, so diese Gleichzeitigkeit auch in der Quantenwelt so ein bisschen oder diese Möglichkeit, dass da draußen noch was anderes gleichzeitig existiert.

David: Ja, genau. Ich meine, einer der Filme, den ich ja wirklich liebe und irgendwann werde ich dich noch dazu bringen, den auch zu Ende zu gucken mit mir ist Everything, Everywhere, All at Once, der das Thema in gewisser Form behandelt, weil es geht so um Universen und Sprünge zwischen verschiedenen Welten, wo ein und dieselbe Person völlig andere Fähigkeiten hat. Wahrscheinlich kennen viele Personen, die hier zuhören auch diesen Film, aber es geht eigentlich um eine Familie, die einen Waschsalon betreiben und ein völlig gewöhnliches Leben führen und bei einer Steuerprüfung passiert irgendwas Unvorhergesehenes und die Hauptdarstellerin springt dann plötzlich zwischen den Universen und muss, jetzt so sehr runtergebrochen, sie muss die Welt retten und es ist einfach ein unfassbar charmanter, kreativer und lustiger Film, der sich ja schon irgendwie mit der Gleichzeitigkeit der Dinge beschäftigt, weil man irgendwie anhand des Films so ein bisschen auf eine sehr spielerische Weise gezeigt bekommt, wäre man alles gewesen sein könnte, hätte man an einer anderen Stelle andere Entscheidungen getroffen, wäre vielleicht an einem anderen Ort auf die Welt gekommen und so weiter und so fort.

Marilena: Den Gedanken finde ich so spannend. Das stelle ich mir ganz oft als Frage. Also nicht, dass ich so irgendwas krass bereuen würde, aber eher so wirklich so, oh mein Gott, ich habe schon überlegt, darüber würde ich eigentlich gerne meine Geschichte oder irgendwie ein Buch schreiben.

David: Eventualitäten, quasi.

Marilena: Ja, genau, also so die Lebensverläufe, weil manchmal sind es ja wirklich Kleinigkeiten, die entscheiden, wo man irgendwie abbiegt und die einen dann auch irgendwie total prägen oder das Leben halt krass entscheiden, also ob das jetzt so schicksalhafte Dinge sind, ja auch nicht schöne Dinge im Leben, aber manchmal ja auch einfach kleine, mini Dinge.

David: Ja, das und was ich auch voll krass daran finde, ist, dass ich war noch nie eine Person, der jetzt so Dinge so mega zugeflogen sind und ich war so von einem auf den anderen Moment hat, was so mega funktioniert, aber dadurch bin ich ein riesen Verfechter von so Beständigkeit, einfach zu wissen, okay, wenn ich jeden Tag ein kleines bisschen näher an mein Ziel komme, dann bin ich halt irgendwann auch da. Das bedeutet ja aber wiederum auch, wenn ich jetzt die Entscheidung treffe, dass ich halt jeden Tag mich in die Richtung bewege, dann führe ich ein völlig anderes Leben, als wenn ich in die Richtung gehe und so und das ist halt irgendwie faszinierend, was das quasi nicht von heute auf morgen, aber von heute auf in fünf Jahren für einen krassen Impact auf das eigene Leben haben kann. Selbst wenn es nur, das klingt jetzt irgendwie so Coach-mäßig, 30 Minuten am Tag oder so irgendwas machen, ich finde das gerade voll faszinierend, weil ich auch wieder Bock habe, so mehr Sachen zu lernen, also weil man damit im Erwachsenenleben manchmal auch fast so wieder aufhört, weil man irgendwie denkt, ja, mein Gott, ich kann jetzt ja irgendwie genug, ich kann jetzt ja damit Geld verdienen, dann ist doch alles fine, aber an sich ist es doch das Geilste überhaupt, so ein halbes Jahr zurückzugucken und zu denken, hey, keine Ahnung, ich kann jetzt. Tanzen oder irgendwas. Irgendwie muss man einmal so ein bisschen über diese Schwelle von sich trauen, da jetzt reinzugehen, halt rüber, aber dann ist es ja das Beste auf der Welt.

Marilena: Ja, und weißt du, was mich manchmal richtig krass frustriert? Dass ich quasi, also ich würde sagen, ich bin jemand, der schon viele unterschiedliche Interessen hat, so. Und ich war noch nie eine Person, die sofort im Leben wusste, ah, ich möchte genau diese eine Sache machen. Und irgendwie frustriert es mich halt manchmal total doll, dass ich nicht irgendwie ständig was anderes machen kann. Also ich kann zum Glück in dem, was ich tue, kann ich sehr viel von dem, was mich interessiert, unterbringen. So als Journalistin kann ich halt sehr vielfältig arbeiten, und mache auch ganz unterschiedliche Sachen, kann mich, das ist halt auch ultrageil, mit ganz vielen unterschiedlichen Themen auseinandersetzen. Und Menschen, ja. Ja, und deswegen liebe ich auch diesen Podcast, weil wie viele Menschen ich gleichzeitig hier schon irgendwie kennenlernen durfte, oder auch mich mit Themen beschäftigen konnte, das ist halt einfach richtig, richtig, richtig toll. Aber ja, es frustriert mich, dass ich nicht ständig meine Identität oder meine Rolle halt verändern kann.

David: Ja, wobei es wird ja jetzt heutzutage irgendwie so moderner, das ist vielleicht ja auch so ein Aspekt von Gleichzeitigkeit, dass man das eine und auch das andere sein kann, teilweise leider auch sein muss, aber ich meine…

Marilena: Stimmt, so Rollen.

David: Rollen, ja, genau. Ich meine jetzt erst mal so ganz basic, um auf das, was du vorher gesagt hattest, einzugehen. Wir sind jetzt halt in einer Zeit, wo wir selber haben in unserem Umfeld so viele Leute, die halt mit Anfang 30 sagen, fuck it, nee, das war’s nicht, jetzt so. Und da wird ja nicht mit dem Finger draufgezeigt oder irgendwas, sondern eigentlich wird’s gefeiert. So, weil das so toll ist, wenn Leute irgendwie diesen Mut haben, sich einfach nochmal da reinzuwerfen und sich zu fragen, ja, wer bin ich diesmal? Und das ist ja einfach nur aufregend für alle, dabei zu sein.

Marilena: Wobei es natürlich auch ein krasses Privileg ist, diese Entscheidung nochmal so treffen zu können.

David: Das stimmt natürlich. Das ist völlig richtig. Ja, und dann dieser andere Aspekt von Arbeit, dass man halt, weiß ich nicht, ich meine, ich mache Kunst, also Musik, und ich bringe die Musik raus. Das heißt, ich muss mich da irgendwie hinstellen und halt auch sagen, hey, hat ihr Bock, das zu hören und so weiter und so fort? Was bedeutet, ich bin plötzlich quasi aus der Rolle vom Studio hier alles aufnehmen, raus und muss das promoten? Durch die sozialen Medien ist das ja auch, keine Ahnung, vor zehn Jahren, wo ich so richtig, oder noch länger her, angefangen habe, Musik zu veröffentlichen. Da hat das bedeutet, du machst ein Musikvideo, lädst das hoch und dann können die Leute sich das anhören. Und dann schaut man mal in einem halben Jahr, wie es so lief, aber so richtig viel mehr gab es gar nicht. Und jetzt ist es ja quasi, irgendwann gab es dann Storys und bla, und dann ist man irgendwann so, okay, ich kann eigentlich gar nicht mehr genug tun. Aber diese Rollen alle irgendwie gleichzeitig auszufüllen, ist echt challenging, vor allem, wenn man dann ja auch noch Freundschaften hat und so weiter und so fort. Das ist auf jeden Fall eine sehr draining Zeit, was das angeht.

Marilena: Ja, apropos Kunst, Musik, wann kommt denn eigentlich dein Song raus zum Thema Gleichzeitigkeit?

David: Ja, äh, das ist ne gute Frage.

Marilena: Oh Gott, das klingt jetzt wie ein Werbepitch.

David: Nee, nee. Das Ding ist, das war ja so ein bisschen die Basis. Ich wollte so gerne ein Lied darüber schreiben und ehrlich gesagt, das, was ich damit ausdrücken wollte, habe ich noch nicht ganz geschafft. Deswegen weiß ich gar nicht, ob der überhaupt rauskommt am Ende.

Marilena: Duality, oder?

David: Duality, ja. Ich finde das Wort Duality ist cool, weil ansonsten, also eigentlich ist es ja nicht die direkte Übersetzung, aber irgendwie so simultaneous oder so, das kannst du halt nicht singen. Das klingt ja arsch. Und deswegen, mal schauen, ob der überhaupt rauskommt. Ich habe irgendwie so ein Gefühl gehabt aus dieser Epiphanie-Situation heraus, die ich eben meinte, wo ich dachte, okay, ich will dieses Gefühl irgendwie in Form von einem Song festhalten und jetzt ist es mega kitschig geworden, viel zu kitschig und dann muss ich mal gucken, ob ich es irgendwie noch gedreht bekomme.

Marilena: Kitsch muss nicht schlecht sein. Kitsch muss nicht schlecht sein.

David:  Muss gar nicht schlecht sein, aber gleichzeitig ist es irgendwie auch manchmal, wenn man nicht so richtig überzeugt von was ist, viel cooler von vorne anzufangen, als so jetzt noch 100 Jahre darin rumzubasteln.

Marilena: Ich bin voll gespannt. Ich habe eine Idee noch für den Abschluss unseres Laut-Nachdenkens. Und zwar dachte ich, man kann ja auch vor allem viele Gefühle gleichzeitig haben. Also man kann fröhlich und wütend zugleich sein oder traurig oder lachen und weinen gleichzeitig. Also alles mögliche irgendwie. Und ich dachte mir, dass wir zum Abschluss einfach – ich zähle nochmal runter. 3, 2, 1. Und wir sagen jeder ein Wort, ein Gefühl, wie wir uns jetzt fühlen. Oder zwei auch. Zwei ist auch okay. Weil wir können ja was gleichzeitig fühlen.

David: Mhm. Ja, machen wir. Okay. Finde ich super.

Marilena: Willst du diesmal runterzählen?

David: 3, 2, 1

Marilena: Erleichtert und dankbar.

David: Ich sag nur eins.

Marilena: Okay, cool. Ich bin auch hier schon, muss ich sagen, fast mit meinem Bierchen durch, aber ich würde nochmal hier anstoßen. Ich danke dir, dass du dieses Experiment gewagt hast.

David: Ja, gerne.

Outro

Ich danke euch fürs Zuhören. Wenn ihr Ideen habt, über welche Themen ich in diesem Format mal nachdenken sollte – oder ihr vielleicht sogar selbst Lust habt, dabei zu sein: schreibt mir einfach an redaktion@sinneswandel.art oder über Social Media. Und wenn euch die Folge gefallen hat, freue ich mich, wenn ihr meine Arbeit weiterempfehlt oder supported. Alle Infos dazu findet ihr in den Shownotes. Das war’s, bis bald im Sinneswandel-Podcast.

3. September 2025

Kilian Trotier: Kann die Suche nach Sinn [un]glücklich machen?

von Marilena 12. November 2024

Was passiert, wenn die Sinnfrage zur (Sinn)Krise wird? ZEIT-Journalist Kilian Trotier beschäftigt sich in seinem neuen Buch “Sinn finden Warum es gut ist, das Leben zu hinterfragen” mit den großen Fragen. Im Gespräch mit Marilena Berends erzählt er von der wachsenden „Sinn-Branche“ und darüber, ob diese Suche wirklich glücklich macht oder vielleicht doch mehr Druck schafft.

Shownotes:

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► Kilian Trotier,Tatjana Schnell: Sinn finden Warum es gut ist, das Leben zu hinterfragen, Ullstein 10/24
► Tatjana Schnell: (Lebens-)Sinn – etwas Kollektives, 11/2021
► Kilian Trotier auf X
► ZEIT: Sinn – Wofür leben wir?

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast! Ich bin Marilena Berends und freue mich, dass ihr wieder dabei seid.

Heute geht’s um ein Thema, das perfekt zum Sinneswandel passt: der Sinn im Leben. 

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kenne das aus eigener Erfahrung, dass ich immer wieder in verschiedenen Lebensphasen meinen Weg hinterfragt und manchmal auch neu justiert habe. Eine Prozess, der vermutlich nie endet und den viele von uns kennen.

Aber wie sinnvoll ist es eigentlich, ständig über den eigenen Lebenssinn nachzudenken? Kann das vielleicht sogar unglücklich machen? 

Über genau diese Fragen habe ich mit meinem heutigen Gast gesprochen: Kilian Trotier. Kilian ist Journalist bei der ZEIT, wo er das Projekt “Sinn – wofür leben wir?” mit gegründet hat. Und er hat vor kurzem gemeinsam mit der Psychologin Tatjana Schnell das Buch Sinn finden – Warum es gut ist, das Leben zu hinterfragen geschrieben.

Tatjana war übrigens schon drei Jahren hier im Podcast zu Gast. Ich kann euch das Gespräch auf jeden Fall sehr ans Herz legen. Nicht nur, weil Tatjana eine absolute Sinn-Expertin ist, sondern auch, weil wir damals über ganz grundlegende Fragen rund um Sinn, Glück und Erfolg gesprochen haben. Also eine super Grundlage für die heutige Episode. Ich verlink euch das Gespräch mit Tatjana in den Shownotes.

Heute könnt ihr übrigens zwei Exemplare von Sinn finden gewinnen. Alle, die meinen Podcast auf Steady unterstützen, sind automatisch bei der Verlosung dabei. Alle Infos dazu findet ihr wie immer in den Shownotes.

Und jetzt: Viel Spaß beim Gespräch mit Kilian Trotier!

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn euch diese Folge mit Kilian gefallen hat, teilt sie gerne mit euren Freundinnen und Freunden. Und falls ihr meine Arbeit finanziell supporten wollt, könnt ihr das ganz einfach via Steady oder, indem ihr mir einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. In den Shownotes findet ihr wie immer alle Infos und Links zur Folge. Das war’s von mir! Bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

12. November 2024

Kim de l’Horizon: Wie brechen wir das Schweigen?

von Marilena 1. Juli 2024

Wer bin ich? Und wie bin ich zu dem Menschen geworden, der ich heute bin? Weil ich es wollte, weil ich es so gelernt habe oder weil ich es musste? Auch von diesen Fragen handelt das Blutbuch von Autor*in Kim de I’Horizon. 2022 gewann Kim damit als erste nonbinäre Person den Deutschen und Schweizer Buchpreis. In dieser Podcast Folge spreche ich mit Kim über das Menschsein, ob Schreiben heilen kann/sollte und über Hexerei.

Shownotes:

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► Kim de l’Horizon auf Instagram
► Blutbuch von Kim de l’Horizon, Dumont 07/22

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast! Ich bin Marilena Berends und freue mich sehr, dass ihr heute dabei seid.

Wer bin ich? Und wie bin ich zu der Person geworden, die ich heute bin? Weil ich es wollte, weil ich es so gelernt habe oder weil ich es musste? Unsere Identität formt sich nicht im luftleeren Raum. Sie besteht aus vielen kleinen und miteinander verbundenen Fragmenten – aus unserem Erbe, unseren Träumen, Erwartungen und Geschichten. Am Ende finden wir vielleicht keinen festen Kern, sondern etwas Lebendiges, Veränderliches.

Das mag jetzt etwas abstrakt klingen, aber im Zusammenhang mit meinem heutigen Gast wird es klarer. Ich freue mich nämlich sehr, dass ich die Gelegenheit hatte, mit der Autor*in Kim de l’Horizont zu sprechen. Kim hat 2022 mit dem „Blutbuch“ als erste genderfluide Person den Deutschen und Schweizer Buchpreis gewonnen. Und ich kann gut nachvollziehen, warum die Jury diese Wahl getroffen hat. Ich habe jedenfalls noch nie etwas Vergleichbares gelesen. Sehr verkürzt gesprochen handelt es von der nonbinären Figur Kim und ihrem Aufbegehren gegen das Schweigen, das oft von Generation zu Generation weitervererbt wird.

In unserem Gespräch ging es aber nicht nur um das „Blutbuch“. Selbst wenn ihr das Buch noch nicht gelesen habt, bin ich sicher, dass ihr aus dieser Folge etwas mitnehmen werdet. Kim und ich haben unter anderem darüber gesprochen, warum wir oft versuchen, es anderen recht zu machen, ob Schreiben heilen kann und um Hexerei ging es auch.

Bevor wir beginnen, noch ein Hinweis: Wenn euch das Gespräch gefällt, schaut am besten in die Shownotes. Unter allen, die Sinneswandel via Steady unterstützen, verlose ich nämlich ein Exemplar von Kims „Blutbuch“. Und jetzt wünsche ich euch viel Freude beim Zuhören!

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn euch diese Folge mit Kim gefallen hat, teilt sie gerne mit euren Freundinnen und Freunden. Und falls ihr meine Arbeit finanziell supporten wollt, könnt ihr das ganz einfach via Steady oder, indem ihr mir einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Unter allen Unterstützer*innen verlose ich dieses Mal ein Exemplar vom Blutbuch. Also schaut am besten in den Shownotes vorbei, da findet ihr alle Infos und Links zur Folge. Das war’s von mir! Bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

1. Juli 2024

Sophia Fritz: Gibt es Toxische Weiblichkeit?

von Marilena 19. März 2024

Über toxische Männlichkeit wird längst in Büchern, Talkshows und beim Abendbrot diskutiert. Aber was ist mit toxischer Weiblichkeit – gibt es die überhaupt? Autorin Sophia Fritz hat sich ausgiebig mit diesem Phänomen beschäftigt und herausgefunden, dass toxisch weibliches Verhalten vor allem Frauen selbst schadet. Sie plädiert für ein neues feministisches Miteinander, das erst entstehen kann, wenn wir unsere eigene Sozialisierung verstehen. Wie das gelingen kann, darüber spricht Marilena mit Sophia in dieser Folge.

Shownotes:

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► Sophia Fritz auf Instagram
► Toxische Weiblichkeit, Hanser Berlin 03/24

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in dieser Episode zu begrüßen.

Toxische Männlichkeit – diesen Begriff haben vermutlich die meisten von uns schon mal gehört und vielleicht das ein oder andere Mal selbst verwendet. Wenn zum Beispiel ein breitbeinig Mann im Zug vor uns sitzt oder, wenn ein Kollege mal wieder glaubt etwas mansplainen zu müssen. Toxische Männlichkeit wird längst in Büchern, Talkshows und beim Abendessen mit Freunden diskutiert. Aber was ist mit toxischer Weiblichkeit? Gibt es die überhaupt? Und falls ja, was hat es damit auf sich?

Diese Frage hat sich auch Sophia Fritz gestellt, als sie zum ersten Mal von diesem Phänomen gehört hat. Toxische Weiblichkeit – das klingt erstmal nicht nach einem Kompliment und schon gar nicht empowernt. Wozu also ein Begriff, der Frauen, die im Patriarchat eh schon den Kürzeren gezogen haben, auch noch in die Kritik nimmt? Ganz einfach, weil wir uns vor allem selbst schaden, wenn wir uns toxisch weiblich verhalten, wenn wir zum Beispiel ständig unsere Wut unterdrücken und stattdessen immerzu lächeln und ja sagen. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls Sophia Fritz. Sie ist Autorin und beschäftigt sich in ihrem neuen Buch “Toxische Weiblichkeit” intensiv mit den Facetten dieses Phänomens. Was mich beim Lesen besonders beeindruckt hat, ist, dass Sophia dabei auch ihre eigenen Prägungen kritisch unter die Lupe nimmt und gleichzeitig einen sehr versöhnlichen Blick auf uns alle wirft. Denn ihr geht es vor allem darum aufzuzeigen, dass, wenn wir uns ein neues feministisches Miteinander wünschen, wir auch unsere eigene Sozialisierung in den Blick nehmen müssen.

Für mich war Sophias Buch auf jeden Fall sehr eye opening, weil ich mich in vielen der von ihr beschriebenen Verhaltensweisen wiederfinden konnte. Auch, wenn das nicht immer ganz schmerzfrei ist. Aber es lohnt sich – und das übrigens nicht nur für Frauen oder weiblich gelesene Personen. Denn toxisch weiblich können wir uns alle verhalten, ganz gleich ob wir uns als Frauen, Männer oder nicht-binär identifizieren. Worin sich das zeigt, darüber habe ich mit Sophia gesprochen.

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn euch das Gespräch mit Sophia gefallen hat, teilt es gerne mit euren Freundinnen und Freunden. Und falls ihr meine Arbeit finanziell supporten wollt, könnt ihr das ganz einfach via Steady oder, indem ihr mir einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Unter allen Unterstützer*innen verlose ich dieses Mal ein Exemplar von “Toxische Weiblichkeit”. Also schaut am besten in den Shownotes vorbei, da findet ihr alle Infos und Links zur Folge. Das war’s von mir! Bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

19. März 2024

Laura Cazés: Was bedeutet Jüdischsein [in Deutschland]?

von Marilena 5. Februar 2024

Wenn in Deutschland über jüdisches Leben gesprochen wird, dann vor allem bezogen auf die Shoah und Antisemitismus. Ihr eigenes Leben mit all seinen Realitäten taucht in gesellschaftlichen Diskursen kaum auf. Warum ist das so? Und welche Auswirkungen hat das? Gemeinsam mit Laura Cazés, Herausgeberin von “Sicher sind wir nicht geblieben”, spricht Marilena über die vielfältigen Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland. Aber auch darüber, wie wir Antisemitismus besser erkennen und bekämpfen können und was ihn so anschlussfähig macht.

Shownotes:

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► Laura Cazés auf Instagram und X
► Sicher sind wir nicht geblieben, Fischer 2022
► Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland
► ARD, Freitagnacht Jews mit Daniel Donskoy
► ZDF, Die Spur: Links – und antisemitisch?, 2024

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► sinneswandel.art



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der mittlerweile 150. Episode zu begrüßen.

Bevor wir zum Thema der Folge kommen, würde ich sagen, lassen wir erstmal anlässlich dieser Jubiläums-Folge die Korken knallen [Plop]. Ich hätte jedenfalls selbst nie gedacht, dass es diesen Podcast einmal so lange geben wird. Und ich würde sagen, ihr seid daran nicht ganz unbeteiligt. Also vielen Dank fürs Reinhören und für euren Support!

Tja, wie gelingt mir nun der Übergang zu einem doch etwas ernsteren Thema…?! Versuchen wir es mal so: Seit dem 7. Oktober 2023, dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, wird in Deutschland viel über wachsenden Antisemitismus gesprochen. Allein in den knapp hundert Tagen seit dem Angriff kam es, laut Bundeskriminalamt, zu mehr als 2000 antisemitischen Straftaten. Wie sicher sind jüdische Menschen noch in Deutschland, waren sie es jemals? Diese Fragen werden nun zurecht gestellt. Und doch wissen die wenigsten, wie sich das Leben von Jüdinnen und Juden seit Beginn des Krieges wirklich verändert hat. Geschweige denn, wie sie sich fühlen. 

Was ich damit sagen will: Ich habe mir in den letzten Wochen viele Gedanken um dieses Thema gemacht und mich gefragt, welchen Beitrag ich – abseits von Solidaritätsbekundungen auf Social Media oder auf den Straßen – leisten kann. Dabei habe ich festgestellt, dass ich eigentlich ziemlich wenig über jüdisches Leben weiß. Denn wenn in Deutschland darüber gesprochen wird, dann vor allem bezogen auf die Shoah und Antisemitismus. Ihr eigenes Leben mit all seinen Realitäten taucht in gesellschaftlichen Diskursen kaum auf.

Diese Feststellung hat mich dann zu Laura Cazés geführt. Oder zuerst einmal zu ihrem Buch, “Sicher sind wir nicht geblieben”. Zwölf jüdische Autorinnen und Autoren, darunter Mirna Funk oder Daniel Donskoy, beschreiben darin, was “Jüdischsein” für sie bedeutet. In ihren Essays geht es um Erwartungen, Unbehagen, Schmerz, aber auch um Chancen und Perspektiven.

Ich selbst habe durch das Lesen der Texte sehr viel gelernt und habe mir sofort gedacht: Ich möchte Laura unbedingt in meinen Podcast einladen. Und siehe da, jetzt sitzt sie hier. Laura ist nicht nur Autorin, sie ist auch Psychologin und Leiterin der Abteilung Kommunikation und Digitalisierung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Gemeinsam mit ihr habe ich über die Diversität jüdischer Lebenswelten in Deutschland und deren Wahrnehmung gesprochen. Und darüber, weshalb Antisemitismus eigentlich so anschlussfähig ist, was ihn ausmacht und wie wir ihn besser erkennen und klar benennen können.

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank fürs Zuhören. Wenn euch der Sinneswandel Podcast gefällt und ihr meine Arbeit unterstützen möchtet, könnt ihr das ganz einfach via Steady oder, indem ihr einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/SinneswandelPodcast schickt. Alle weiteren Infos und Links zur Folge findet ihr wie immer in den Shownotes. Das war’s von mir! Bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

 

5. Februar 2024

Stevie Schmiedel: Warum brauchen wir [k]einen “Genderwahn”?

von Marilena 7. November 2023

Der Feminismus ist gespalten, so Stevie Schmiedel. Das sei vor allem ein Generationenproblem, sagt die Genderforscherin und Gründerin von Pinkstinks Germany. Zwischen jungen, “radikalen” und alten, “gemäßigteren” Feminist*innen versucht sie eine Brücke zu schlagen. Wie und ob ihr das gelingt, darüber hat Marilena Berends mit Stevie Schmiedel gesprochen.

Shownotes:

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► Mehr Infos zu Stevie Schmiedel auf ihrer Website
► Stevie Schmiedel: Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne. Warum uns ein bisschen Genderwahn guttut; Kösel 05/23
► Pinkstinks Germany
► re:publica x Reeperbahn Festival 2023: Stevie Schmiedel & Marilena Berends – Neue Strategien für den Feminismus
► Mehr zum “Selbstbestimmungsgesetz” erfahrt ihr auch in der Podcast Folge mit Trans Autor Linus Giese

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Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in dieser Episode zu begrüßen.

“Liebe Frau Berends, seitdem Sie im Sinneswandel Podcast gendern, oder wie diese Beleidigung der deutschen Sprache heißt, kann oder vielmehr will ich Ihnen nicht mehr folgen. Diese Genderwahn-Ideologie gebe ich mir nicht mehr! Schade, ich habe den Podcast wirklich gerne gehört.”

Es ist schon eine Weile her, dass mich diese E-Mail eines erzürnten Hörers, oder vielmehr ehemaligen Hörers, erreicht hat. Und ich möchte mich an dieser Stelle aufrichtig für diesen “Genderwahn” entschuldigen. Nein, Quatsch, das tue ich natürlich nicht. Auch, wenn es mir tatsächlich Leid tut, dass der Podcast für einige Menschen dadurch scheinbar unhörbar geworden ist.

Generell – und das ist wohl kaum ein Geheimnis – scheinen sich viele Menschen an dem Angebot, eine inklusivere Sprache zu etablieren, ob mit Sternchen, Doppelpunkt oder wie auch immer, ganz schön aufzureiben. Und damit meine ich nicht nur BILD- und Welt-Abonnenten. Selbst innerhalb des Feminismus scheiden sich hier die Geister. 

Nicht nur im Bezug auf das Gendern, generell sei die Stimmung unter Feminist*innen gerade sehr angespannt, sagt Stevie Schmiedel. Stevie ist promovierte Genderforscherin und Gründerin von “Pinkstinks Germany”, einer Bildungsorganisation gegen Sexismus, deren Vorsitzende sie bis 2020 war. Stevie ist schon eine ganze Weile im Feminismus aktiv und hat den Eindruck, dass die Bewegung sich immer weiter spaltet – in “Woke” und “Boomer”, in “Jung” und “Alt”, in “Radikale” und “Gemäßigte”… Und dieses Auseinanderdriften sorgt dafür, so Stevie, dass wir nicht weiter vorankommen. Dass wir Menschen, die wir eigentlich mitnehmen müssten, auf dem Weg verlieren.

Aber wie lässt sich das Dilemma auflösen und wie die Wogen glätten? Darüber hat Stevie laut in ihrem Buch „Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne. Warum uns ein bisschen Genderwahn guttut”, nachgedacht. Wir brauchen eine neue Debattenkultur, sagt Stevie, eine, die es uns erlaubt, Differenzen, die es wohl immer geben wird, auszuhalten. Und sie schlägt vor, dass wir die Bezeichnungen “Mann” und “Frau” – also Geschlecht – einfach über Bord werfen sollten. Klingt ziemlich radikal. Ob es das auch ist, das erfahrt ihr im Gespräch, das ich mit Stevie geführt habe.

Noch ganz kurz vorweg: Wenn ihr meinen Podcast – trotz Gendern – gerne hört, dann freue ich mich, wenn ihr meine Arbeit unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder indem ihr mir an Paypal.me/Sinneswandelpodcast einen Betrag eurer Wahl schickt. Unter allen Unterstützer*innen verlose ich dieses Mal ein Exemplar von Stevies Buch „Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne”. Mehr dazu in den Shownotes. Vielen Dank!

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank euch fürs Zuhören. Wenn euch das Gespräch mit Saralisa gefallen hat, dann freue ich mich, wenn ihr den Podcast mit anderen Menschen teilt. Und falls ihr meine Arbeit via Steady oder Paypal supporten wollt, findet ihr alle Links und Infos dazu in den Shownotes. Das war’s von mir! Bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

7. November 2023

Fikri Anıl Altıntaş: Was bedeutet Männlichkeit [für dich]?

von Marilena 20. April 2023

Was bedeutet Männlichkeit? Das fragt sich Autor Fikri Anıl Altıntaş in seinem Buch, “Im Morgen wächst ein Birnbaum”. Er wächst als Sohn türkischer Eltern in einer hessischen Kleinstadt auf, zerrissen zwischen dem drängenden Wunsch, »deutsch« zu sein und seinen eigenen Weg als türkisch-muslimischer Mann zu finden. Er sehnt sich nach einem Leben jenseits von Klischees, in dem Männlichkeit und Zärtlichkeit keine Gegensätze bilden. In dem er ein türkisch-muslimisch Mann und Feminist sein kann. Für manche passt das nicht zusammen, für Anıl schon.

Welchen Sinneswandel er sich wünscht, wie er heute zu seinem Vater steht und was das alles mit einem Birnbaum zutun hat, darüber hat sich Marilena Berends mit Autor Fikri Anıl Altıntaş unterhalten.

Shownotes:

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► Fikri Anıl Altıntaş
► Im Morgen wächst ein Birnbaum, Penguin Random House

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► sinneswandel.art

 



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Ich war ein totales “Papa-Kind”, als ich klein war. Er war mein großer Held. Und zu einem gewissen Grad ist er das auch heute noch. Aber irgendwann kommt der Moment – bei mir muss das so mit 15 gewesen sein – da habe ich vieles, um nicht zu sagen fast alles, was mein Papa gesagt und getan hat, in Frage gestellt. Ich musste meinen eigenen Weg finden, mich von unausgesprochenen aber latent spürbaren Erwartungen lösen. Ganz normal, werdet ihr vermutlich sagen, das nennt sich Pubertät. Das stimmt. Trotzdem ist es ein schmerzhafter Prozess, der Distanz und Enttäuschung mit sich bringt. 

Er kann aber auch versöhnlich, gar heilsam sein. Davon erzählt Autor Fikri Anıl Altıntaş in seinem Buch, “Im Morgen wächst ein Birnbaum”. Er wächst als Sohn türkischer Eltern in einer hessischen Kleinstadt auf, zerrissen zwischen dem drängenden Wunsch, »deutsch« zu sein und seinen eigenen Weg als türkisch-muslimischer Mann zu finden. Vor allem die Beziehung zu seinem Vater stellt ihn letztlich vor die Frage: Was bedeutet Männlichkeit überhaupt? Inmitten festgefahrener Narrative sucht Anıl nach den Zwischentönen. Er sucht nach Wegen, Herkunft und Zukunft zu verbinden. Er sehnt sich nach einem Leben jenseits von Klischees, in dem Männlichkeit und Zärtlichkeit keine Gegensätze bilden. In dem er ein türkisch-muslimisch Mann und Feminist sein kann. Für manche passt das nicht zusammen, für Anıl schon.

Welchen Sinneswandel er sich wünscht, wie er heute zu seinem Vater steht und was das alles mit einem Birnbaum zutun hat, darüber haben wir uns in der heutigen Sinneswandel-Episode unterhalten.

Wenn ihr den Podcast gerne hört, dann freue ich mich natürlich, wenn ihr meine Arbeit unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder indem ihr mir an Paypal.me/Sinneswandelpodcast einen Betrag eurer Wahl schickt. Unter allen Unterstützer*innen verlosen wir außerdem ein Exemplar von Anıls Buch “Im Morgen wächst ein Birnbaum”. Alle Links dazu findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank!

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank euch fürs Zuhören. Wenn euch das Gespräch mit Fikri Anıl Altıntaş gefallen hat, teilt es gerne mit euren Freunden. Und falls ihr meine Arbeit via Steady oder Paypal supporten wollt, findet ihr in den Shownotes alle Links und Infos. Das war’s von mir! Bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

20. April 2023

Linus Giese: Selbstbestimmt leben, [wie] geht das?

von Marilena 7. März 2023

Wer heutzutage seinen Namen- und Personenstand ändern möchte, muss dafür den Weg über das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) gehen. Obwohl große Teile davon für verfassungswidrig erklärt wurden, existiert es bis heute noch. Das soll sich im Sommer diesen Jahres womöglich ändern, sollte das neue Selbstbestimmungsgesetz eingeführt werden. Ein längst überfälliger Schritt, sagt trans Autor Linus Giese.

Shownotes:

Macht [einen] Sinneswandel möglich, indem ihr Steady Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr meine Arbeit auch via Paypal.me/sinneswandelpodcast. Danke.

► Linus Giese: “Lieber Jonas oder Der Wunsch nach Selbstbestimmung”, Kjona Verlag (2023).
► Linus Giese auf Instagram, Twitter und Tiktok.

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► sinneswandel.art

 



Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Man stelle sich vor, eine Person, nennen wir sie Mia, entscheidet sich eines Tages ihren Namen ändern zu wollen. Sie geht also zum Amt und lässt ihn zu Max ändern. Damit ändert sich auch das Pronomen: aus “sie” wird “er”. Eigentlich gar nicht so kompliziert. Aber wir leben schließlich in Deutschland, warum also unbürokratisch, wenn es auch kompliziert geht? 

Wer heutzutage seinen Namen- und Personenstand ändern möchte, muss dafür den Weg über das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) gehen. Obwohl große Teile davon für verfassungswidrig erklärt wurden, existiert es bis heute noch. Das soll sich im Sommer diesen Jahres womöglich ändern, sollte das neue Selbstbestimmungsgesetz eingeführt werden. Ein längst überfälliger Schritt, sagt trans Autor Linus Giese. In seinem neuen Buch “Lieber Jonas oder Der Wunsch nach Selbst­bestimmung”, entwirft er ein Szenario, wie wir leben würden, wenn das Recht auf Selbstbestimmung für alle nicht nur ideell eingeräumt, sondern auch gesetzlich verankert wäre. Natürlich können Gesetze allein Menschen kein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Entscheidend ist auch das gesellschaftliche Zusammenleben, wie wir uns als Menschen begegnen. 

Als Linus vor fünf Jahren, mit 31, sein eigenes Coming-out als trans Mann hatte, erntete er sowohl Zuspruch als auch Hass. Mit seinem neuen Buch möchte er vor allem jungen Transpersonen Mut machen für die Zukunft. Weshalb ein Ende der Diskriminierung von trans* Menschen für uns alle mehr Freiheit bedeuten würde, darüber habe ich mich mit Linus Giese selbst unterhalten.

Bevor wir beginnen, noch kurz vorweg: Wenn ihr diesen Podcast gerne hört, freue ich mich, wenn ihr meine Arbeit unterstützt. Das geht ganz einfach via Steady oder indem ihr mir an Paypal.me/Sinneswandelpodcast einen Betrag eurer Wahl schickt. Unter allen Unterstützer*innen verlosen wir außerdem ein Exemplar von Linus neuem Buch. Alle Links dazu findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank!

[Gespräch]

Outro

Vielen Dank euch fürs Zuhören. Wenn euch das Gespräch mit Linus gefallen hat, teilt es gerne mit euren Freunden. Und falls ihr meine Arbeit via Steady oder Paypal supporten wollt, findet ihr in den Shownotes alle Links und Infos. Das war’s von mir! Danke an euch fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal im Sinneswandel Podcast.

7. März 2023

Markus Gabriel: [Why] are we animals? [live]

von Marilena 3. November 2022

„What is to be human?“, this question Kant already asked himself hundreds of years ago. And exactly this question, the philosopher Markus Gabriel raises again in his new book, “Der Mensch als Tier” (“The Human animal – Why we still do not fit into nature”). Because it is on this question, or rather its answer, that our life depends on. Why, the author explains in this podcast episode, which was recorded  on the 26th of October 2022 during a live event at THE NEW INSTITUTE in Hamburg.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Markus Gabriel: “Der Mensch als Tier. Warum wir trotzdem nicht in die Natur passen”. Ullstein 10.22.
► THE NEW INSTITUTE Hamburg.

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Transkript:

Hello and welcome to the Sinneswandel Podcast. My name is Marilena Berends and I’m happy that you decided to listen to today’s episode.

Some of you are probably already wondering: Why all of a sudden in English? First of all, this is an exception. The reason is that today’s episode was recorded during an event with international guests – a live podcast sort of thing. And my guest at this event was none other than the philosopher Markus Gabriel. Since he just recently published his new book, „The Human Animal. Why we still do not fit into nature,“ there was a public book launch at THE NEW INSTITUTE in Hamburg. And I had the pleasure of hosting it. After the talk, a vivid discussion followed, which we however are not allowed to publish due to data protection rights. But I’m sure, the conversation with Markus Gabriel already offers a lot. We will get to that in a moment. First of all, I would like to apologize for the sound quality. Due to the location, there is a bit more noise than usual. But I hope you will excuse that and you can nevertheless or maybe because of that dive deeper into the atmosphere of the conversation.

If you want to delve deeper into the topic: We are giving away a personally signed copy of „The Human Animal“ among all those who support Sinneswandel and thus also me and my work, as Steady members. For more information and how you can participate, please check out the show notes. And now let’s begin!

Outro:

Thank you very much for listening. I hope you could take something away from the conversation with Markus Gabriel and get a small impression of what he is talking about in his book. If so, I would be happy if you support my work by sharing this podcast and/or by supporting it financially. You can do that easily via Steady or Paypal. More info on that is found in the show notes. That’s it for today. See you next time at the Sinneswandel Podcast.

3. November 2022

Sinnkrise: Wer bin ich, ohne meinen Job?

von Marilena 27. September 2022

“Tu, was du liebst und du musst nie wieder arbeiten” oder “Erschaffe dir ein Leben, von dem du keinen Urlaub mehr brauchst”, Zitate wie diese lassen sich reihenweise finden. Ob als Inspiration in Sozialen Netzwerken oder zur Motivation und Orientierung in Selbsthilferatgebern – es gilt (s)einen Sinn im Job zu finden und sich in ihm selbst zu verwirklichen. Work-Life-Balance war gestern – vielmehr sollen sie verschmelzen, die Grenzen zwischen Leben und Arbeit. Sich vereinen, vom Beruf zur Berufung werden, die alles in sich vereint: Geld und Passion. Doch was passiert, wenn der Job zum einzigen Lebensinhalt wird? Und bis zu welchem Grad ist die Identifikation mit dem Beruf überhaupt gesund?

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Nina Kunz: Ich denk, ich denk zu viel, Kein&Aber 2021.
► Tatjana Schnell: Von Lebenssinn und Sinn in der Arbeit: Sinn erleben – Arbeit und Gesundheit, Fehlzeiten-Report 2018.
► Christian Uhle: Wozu das alles? Eine philosophische Reise zum Sinn des Lebens, Fischer 2022.
► Anna Mayr: Die Elenden, Hanser 2020.
► Sabine Donauer: “Faktor Freude: Wie die Wirtschaft Arbeitsgefühle erzeugt”, Körber  2015.
► Hannah Arendt: “Vita activa oder Vom tätigen Leben”, 1958.

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► sinneswandel.art

 

Transkript:

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Eigentlich ist es ziemlich ironisch und mittlerweile kann ich darüber auch schmunzeln. Vor ein paar Wochen war das allerdings noch nicht der Fall. Da saß oder lag ich vielmehr ziemlich aufgelöst in meinem Bett. Das Handy klebte schon von selbst an meiner tränenfeuchten Wange. Am anderen Ende der Leitung, eine Freundin, die mir beschwichtigende Worte ins Ohr flüstert, die ich aber eigentlich gar nicht hören will. Denn natürlich weiß ich, dass sie Recht hat: Eine Absage ist noch lange kein Weltuntergang – passiert uns allen mal – ist mir schon klar! Trotzdem fühlt es sich so beschissen an, dass ich mich gerade nur in meinem Selbstmitleid sudeln und unter der Decke verkriechen will.

Falls ihr euch fragt, wer oder was mich da so aus der Fassung gebracht hat: nein, es war kein Date, das mich geghostet hat, keine Liebeskummer-Tränen, die vergossen wurden. Grund für die Krise war ganz einfach mein Job. Ich hatte einen Artikel veröffentlichen wollen, der allerdings auch nach der dritten Korrekturschleife nicht den Anforderungen entsprach und somit in der Tonne landete. Bis heute. Denn zweimal dürft ihr raten, worum es in dem Text ging: Um Selbstverwirklichung im Job und darum, dass es gar nicht mal so erstrebenswert ist, wenn man eins mit seinem Beruf wird. Warum? Das durfte ich in diesem Moment am eigenen Leib erfahren. Eine einzige verdammte Absage und ich stellte nicht nur mein Können, sondern gleich mein ganzes Leben in Frage: Hatte ich mich geirrt, konnte ich gar nicht schreiben? Wie zur Hölle war ich überhaupt auf die Idee gekommen, Journalistin werden zu wollen? Vielleicht sollte ich etwas ganz anderes machen, was Handfestes? Aber, wer wäre ich dann noch?

Meine Krise – eigentlich der beste Beweis dafür, dass an meiner These etwas dran war, aber das half mir in dem Moment auch nicht weiter. Mein Selbstbewusstsein war geknickt und es mussten erstmal ein paar Tage, vielleicht sogar Wochen, verstreichen, bis ich die Ironie in der Geschichte sehen konnte. Denn der ganze Witz daran war: In dem besagten Text kam ich nicht vor. Ich hatte mich bemüht, möglichst distanziert zu schreiben, keine Ich-Perspektive und dafür reihenweise Quellen. Ich wollte nicht schon wieder aus meinem eigenen Nähkästchen plaudern, nicht mein Innerstes nach außen kehren. Lieber wollte ich die ach so neutrale Autorin sein, die das Thema ganz souverän und nüchtern betrachtet. Heute weiß ich, ich hatte einfach Angst. Vielleicht, weil ich bereits ahnte, wie viel das Thema mit mir selbst zu tun hat und, dass ich ihm alles andere als neutral gegenüberstand. Aber eigentlich hatte das ja auch keiner von mir erwartet. Ganz im Gegenteil, ist Betroffenheit nicht eigentlich die beste Voraussetzung für eine gute Geschichte?

Da mir diese ganze Geschichte zumindest nicht aus dem Kopf gegangen ist und ich nach wie vor das Gefühl habe, dass an der Sache etwas dran ist, möchte ich sie mit euch teilen. Aber dieses Mal ohne Distanz. Denn das weiß ich heute, gelingt mir eher so mittelmäßig. Das hatte ich nun davon, damals bewusst nach einem Beruf gesucht zu haben, der etwas mit mir zu tun hat, in dem ich mich, wie es so schön heißt, selbst verwirklichen konnte. Arbeit zum reinen Broterwerb, nine-to-five? Das war für mich als klassischer Millennial unvorstellbar. Spätestens seit es uns gibt, heißt es immerhin überall: “Tu, was du liebst und du musst nie wieder arbeiten” oder “Erschaffe dir ein Leben, von dem du keinen Urlaub brauchst”. Work-Life-Balance war gestern – vielmehr sollen sie verschmelzen, die Grenzen zwischen Leben und Arbeit. Sich vereinen, vom Beruf zur Berufung werden, die alles in sich vereint: Geld und Passion.

Damals dachte ich: klingt ziemlich nice! Unter keinen Umständen wollte ich einer dieser Menschen sein, der sich tagtäglich ins Büro schleppt, obwohl er innerlich bereits gekündigt hatte. Und, wenn wir mal ehrlich sind, möchte doch eigentlich niemand einen Großteil seiner Zeit mit Dingen verbringen, die sich nach Qual anfühlen, selbst wenn man dafür bezahlt wird. Es gibt sogar Untersuchungen, die zeigen, dass Langeweile und ein Gefühl von Sinnlosigkeit im Job krank machen können – “Bore-Out”, nennt das Psychologin Tatjana Schnell. Empfinden wir unsere Arbeit allerdings als sinnstiftend und bedeutsam, wirkt sich das positiv auf unser psychisches und physisches Wohlbefinden aus. Dass ich nach einer Art Berufung, wenn man es so nennen will, gesucht habe, ist also durchaus nachvollziehbar. Eigentlich ist es sogar ein menschliches Bedürfnis, wie mir Philosoph Christian Uhle erzählt: “Menschen arbeiten eben nicht nur des Geldes wegen, sind nicht rein egoistisch, sondern haben auch den Wunsch, sich sinnvoll einzubringen.” (Wozu das Alles. 2022, S.163). Dazu kommt, dass uns Arbeit, in einer ziemlich krisenanfälligen Zeit – [Hust] Corona – Halt und Struktur bieten kann. Während die Welt da draußen unterzugehen scheint – und es vermutlich sogar tut – sitze ich hier und schreibe meine Texte. Eine Mischung aus Eskapismus und einem kleinen Fünkchen Hoffnung, doch etwas bewirken zu können.

Das heißt aber natürlich längst nicht, dass wir alle gleichermaßen diesen Wunsch teilen und schon gar nicht, dass  jeder einen tieferen Sinn in seiner Arbeit sucht. Und das ist vollkommen legitim, womöglich lebt es sich sogar gesünder. Erst kürzlich kam ich auf einem Geburtstag mit einer Frau ins Gespräch. Abgesehen davon, dass wir wohl ungefähr gleichalt sein mussten, hätten wir kaum unterschiedlicher sein können. Nachdem die obligatorische Frage, “Und, was machst du so?”, gefallen war, erzählte sie mir, dass sie seit kurzem in einem großen Konzern im Marketing arbeite und sich dort richtig wohl fühle. Warum genau, wollte ich wissen. Ihre Antwort: Sie könne immer pünktlich Feierabend machen, denn Überstunden gäbe es keine und so habe sie noch genügend Zeit für ihre Hobbys – Zumba und Kochen. Auf einen Job mit mehr Verantwortung, den sie womöglich auch nach Feierabend noch mit ins Bett nimmt, darauf habe sie keine Lust, erzählt sie mir. Irgendwie bewundere, ja beneide ich diese Frau ein bisschen. Für ihre scheinbar gesunde Distanz zwischen sich und ihrem Job. Und dafür, dass sie scheinbar so gar kein Bedürfnis danach verspürt, mit ihrer Arbeit auszudrücken, wer sie ist. Und gleichzeitig frage ich mich: Warum habe ich eigentlich diesen Geltungsdrang? Es gibt doch auch andere Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen, als über Lohnarbeit. Und schließlich bin auch ich mehr als mein Job – fühlt sich nur manchmal nicht so an. 

“Workism beschreibt […] etwas, das mir schon länger Sorgen macht: Es ist der Glaube, dass Arbeit nicht mehr eine Notwendigkeit darstellt, sondern den Kern der eigenen Identität. […] Ein zentrales Ziel im Leben soll sein, einen Job zu finden, der weniger Lohnarbeit ist als vielmehr Selbstverwirklichung. Darum […] habe ich heute keine Schreib-, sondern Lebenskrisen, wenn ich im Job versage.”, schreibt Nina Kunz in ihrem Buch Ich denk, ich denk zu viel (2021) – und ich fühle es sehr. Vielleicht liegt es auch an meiner Bubble, in der fast jeder seiner Leidenschaft nachzugehen scheint oder sich zumindest ein kleines Side Business aufgebaut hat, in dem er sich kreativ austoben kann, dass auch ich mich an diesem Ideal abarbeite. Nicht, dass ihr mich falsch versteht, die meiste Zeit liebe ich tatsächlich meinen Job und bin überaus dankbar, mich mit dem Schreiben und Sprechen tatsächlich über Wasser halten zu können. Nichtsdestotrotz wünsche ich mir manchmal nichts sehnlicher, als den Laptop zum Feierabend einfach zu schließen und damit auch alle offenen Tabs in meinem Kopf, die mit meinem Job verbunden sind. Klappt leider selten, ebenso wie mein Vorsatz, weniger zu husseln, wie das ja so gerne genannt wird. Es ist Fluch und Segen zugleich, wenn sich Arbeit nicht nach Arbeit anfühlt. Segen, weil klar, was ich tue, macht mir meistens Spaß und fühlt sich sinnvoll an, was bedeutet, dass ich mich selten dazu aufraffen muss. Jippi! Genau diese intrinsische Motivation macht es aber auch zum Fluch, weil sie immer wieder dazu führt, dass ich nicht nur Hobbies, Freunde oder Familie oft hinten anstelle, sondern auch mich selbst ausbeute. Denn Fakt ist: Wenn wir unsere Arbeit als sinnvoll erleben, sind wir nicht nur motivierter, sondern häufig auch gewillter Kompromisse einzugehen: von (unbezahlten) Überstunden, über prekäre Arbeitsbedingungen, bis hin zum Burn-Out – you name it!

Diese Erkenntnis wissen natürlich auch Unternehmen längst für sich zu nutzen. Und so ist es wenig überraschend, dass in Stellenausschreibungen immer häufiger von “Jobs mit Sinn” zu lesen ist: Wer sich mit seinem Beruf oder einer Marke identifiziert, ist schnell gewillt mehr zu leisten – oft für weniger. Die Historikerin Sabine Donauer bezeichnet das als eine Form der “immateriellen Entlohnung”: Nicht mehr das Gehalt steht im Vordergrund, sondern Anerkennung und Selbstwirksamkeit. Solange wir den Eindruck haben, uns verwirklichen zu können, erleben wir Arbeit seltener als Last, sondern überwiegend als Lust. Das ist zwar grundsätzlich schön, macht es auf der anderen Seite auch deutlich schwieriger, sich selbst Grenzen zu setzen. Stichwort “Mental Health”. Man könnte sagen, es ist fast eine Sucht. Je mehr ich arbeite, desto mehr fühle ich mich in meinem Selbst und Sein bestätigt. Aber, wie ich durch den gescheiterten Artikel wieder einmal lernen durfte, ist das ein ganz schön fragiles Gerüst, wenn es mal ins Wanken gerät.

Trotzdem stelle ich mir die Frage: Wie kann es gelingen, sich von dem gesellschaftlichen Druck nach beruflicher Selbstverwirklichung zu emanzipieren? Es ist ja nicht so, als entstehe dieser Wunsch nur aus mir heraus. Er wird auch oder vor allem durch gesellschaftliche Narrative befeuert. Philosoph Christian Uhle rät dazu, genau hinzuschauen, wo gut gemeinte Ratschläge, wie “Folge deinem Herzen und finde deine Berufung”, in Befehle umschlagen (Wozu das Alles. 2022, S.394). Denn die Schwierigkeit, so Uhle, bestehe gerade darin, dass die Aufforderung zur Selbstverwirklichung grundsätzlich eine positive und emanzipatorische Message sei. Wenn aber eine Wahl zum Imperativ wird und Arbeit den Status einer Ersatzreligion erhält, kann das auch für diejenigen problematisch werden, die vollkommen zufrieden damit sind, einfach „ihren Job zu machen“. Schließlich sehnt sich längst nicht jeder nach einem tieferen Sinn in seiner Arbeit oder hat vielleicht gar nicht erst die Möglichkeit dazu, sich auf die Suche danach zu begeben. 

„Wer nie authentische Bedürfnisse entwickelt, sondern sich immer nur nach den ökonomischen Zwängen richten muss, der entscheidet nicht selbst über seine Identität”, schreibt Autorin Anna Mayr in ihrem Buch Die Elenden (2020). Warum wird es dennoch so dargestellt, als liege es in der alleinigen Verantwortung jedes Einzelnen, seine Berufung zu finden und ihr nachzugehen? Ganz einfach, dann muss das System nicht in Frage gestellt und schon gar nicht verändert werden, wenn jeder mit sich selbst beschäftigt ist. Eine Privatisierung von Sinnansprüchen ignoriert ganz einfach die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die Menschen daran hindern, einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen zu können. Es ist doch auch viel leichter, Menschen die Schuld dafür zu geben, sich nicht genügend anzustrengen, als anzuerkennen, dass es vor allem mangelnde Ressourcen, wie Zeit, Geld oder Gesundheit sind, die sie davon abhalten, sich zu verwirklichen. Womöglich liegt es aber auch gar nicht im Interesse aller, genau das zu ermöglichen? Denn wo kämen wir hin, wenn jeder nur noch den Dingen nachginge, die ihm gefallen? Wer würde dann noch die Arbeit erledigen, um die sich keiner streitet, die aber wichtig – ach ne wartet, dafür gab es ja ein ganz spezielles Wort – systemrelevant ist?

Wie ihr merkt, geht es längst nicht mehr nur um meine eigene Geschichte. Das viel propagierte Ideal von dem Suchen und Finden einer Berufung, einem Job mit Sinn, von dem man angeblich keinen Urlaub mehr braucht, hat viele Facetten. Dass ich die Möglichkeit habe, ihn auszuleben, ist faktisch ein Privileg. Dennoch wollte ich aufzeigen, dass ebendieses Privileg keinesfalls nur Gutes mit sich bringt. Denn, reduziere ich meine eigene Identität darauf, was ich im Beruf leiste, schade ich damit im Zweifel nicht nur mir selbst, ich trage auch dazu bei, dass eine Geschichte fort erzählt wird, in der nur existiert, wer arbeitet – im Sinne von Erwerbsarbeit, versteht sich. Dabei sind wir, bin ich so viel mehr als mein Job. 

In ihrem Werk Vita activa oder Vom tätigen Leben (1958), spricht die Philosophin Hannah Arendt jedem Menschen ein grundlegendes Bedürfnis nach Aktivität, Beteiligung und Selbstwirksamkeit zu. Dieser Wunsch nach Tätigkeit wird heute aber mehr denn je durch einen Filter der Erwerbsarbeit gepresst. Wenn wir von Arbeit sprechen, meinen wir meistens nur jene, die bezahlt wird. Dabei finden wir Menschen Sinn auf vielen Ebenen unseres Lebens: in der Kunst, der Natur, der Gemeinschaft, der Freundschaft, der Familie, dem Protest und überall sonst, wo wir in Beziehung zu uns selbst und der Welt treten. Care-Arbeit, ehrenamtliche, aktivistische oder künstlerisch-kreative Arbeit fallen, wenn es um Selbstverwirklichung geht, meist aus dem Raster. Aber sind es nicht auch oder gerade diese Tätigkeiten, die Sinn stiften, die unerlässlich sind?

Meinen Beruf oder meine Berufung, wie auch immer man es nennen mag, habe ich nach dieser Geschichte zwar nicht an den Nagel gehängt. Und habe es verrmutlich auch nicht vor. Aber eines habe ich mir bereits vorgenommen: Auf der nächsten Party werde ich die obligatorische Frage, “Und, was machst du so?”, nicht mit meinem Beruf allein beantworten. Vielleicht werde ich stattdessen erzählen, dass ich gerne Theater spiele oder, dass ich das analoge Fotografieren für mich wiederentdeckt habe. Vielleicht erwähne ich auch, dass ich ab und zu schreibe – aber das ist eben nur ein Teil von mir. Oder zumindest arbeite ich daran.

Outro

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27. September 2022
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