sinneswandel.art
  • Home
  • Podcast
  • Episoden
    • Allzumenschliches
    • Mensch & Natur
    • New Economy
    • Zusammenleben gestalten
    • Zukünfte denken
  • Unterstützen
  • Über
sinneswandel.art
  • Home
  • Podcast
  • Episoden
    • Allzumenschliches
    • Mensch & Natur
    • New Economy
    • Zusammenleben gestalten
    • Zukünfte denken
  • Unterstützen
  • Über

Kapitalismus

Fridtjof Detzner: Nachhaltig Investieren, geht das?

von Marilena 1. Februar 2022

 

Kann Geld die Welt retten? Oder ist es nicht gerade das liebe Geld und die Gier nach mehr, die unseren Planeten, zerstören? Eines ist klar: Geld bedeutet Macht. Dass es selten Gutes bedeutet, wenn viel davon in wenigen Händen liegt, zeigen Menschen wie Zuckerberg, Bezos und Co. Aber was, wenn Geld dazu eingesetzt würde, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl zu fördern? In der heutigen Episode spricht Marilena mit Fridtjof Detzner über “nachhaltiges Investment. Er hat “Planet A”  gegründet – ein Impact Investment Fonds, der als Risikokapitalgeber in Ideen und junge Unternehmen investiert, die eine klimapositive Wirtschaft voranbringen wollen.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Anzeige: Mit dem Code “Sinneswandel“ erhaltet ihr von CLARK einen 30€ Amazon Gutschein bei eurer Anmeldung unter clark.de – Österreich goclark.at – oder direkt in der App. Neukunden bekommen 15€ pro jede in die App hochgeladene bestehende Versicherung.

► Mehr von und mit Fridtjof Detzner auf seiner Website.
► Fridtjof auf Instagram und Twitter.
► Planet A
► “Founders Valley” Dokumentation von Deutsche Welle mit Fridtjof Detzner.
► Mehr zum Thema “Verantwortungseigentum” bei Purpose-Economy.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Ein besonderer Dank gilt den Fördermitgliedern, die Sinneswandel als Pionier*innen mit 10€ im Monat unterstützen: Bastian Groß, Pascale Röllin, Wolfgang Brucker, Petra Berends, Holger Bunz, Eckart Hirschhausen, Isabelle Wetzel, Torsten Sewing, Hartmuth Barché, Dieter Herzmann, Hans Niedermaier, Constanze Priebe-Richter, Julia Freiberg, Dana Backasch, Peter Hartmann, Martin Schupp, Juliane Willing, Andreas Tenhagen, eeden Hamburg Co-creation Space for visionary women*, David Hopp, Jessica Fischer (Universität Paderborn), Ioannis Giagkos, Matthias Niggehoff, Johanna Bernkopf, Holger Berends, Sebastian Hofmann, Do rian, Anita Wilke, Razvan Pufuleti, Daniele Lauriola, Samira Felber und Volker Hoff.

1. Februar 2022

Veganes Mett – warum imitieren wir Fleisch?

von Marilena 18. Januar 2022

Immer mehr Menschen entscheiden sich auf Fleisch zu verzichten und vegetarisch oder sogar vegan zu leben. Aus ökologischer Sicht ist das mehr als sinnvoll – aber auch ökonomisch betrachtet, erweist sich der “Veggie-Boom” als ergiebig. Immer mehr Produkte erobern den Markt, die Steak und Fischstäbchen zu imitieren versuchen – darunter auch “blutende” Burger-Patties. Die kommen auf Konsumentenseite bislang gut an, werfen aber die Frage auf: Warum muss Fleischersatz eigentlich wie das Original schmecken, riechen und aussehen – wozu imitieren wir überhaupt Fleisch?

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Dr. Harald Lemke: “Ethik des Essens. Einführung in die Gastrosophie”, (S.377-404) in “Aufklärung und Kritik” (1/2004): “Feuerbachs Stammtischthese oder zum Ursprung des Satzes: ‘Der Mensch ist, was er isst’”.
► Deutschlandfunk Nova: „Es gibt überall die Norm, dass Fleisch zu einer Ernährung dazugehört“.
► pbp (12/2021): “Vom Wohlstands- zum Krisensymbol. Eine Kulturgeschichte des Nahrungsmittels Fleisch”.
► Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse 2021: “Nachhaltigkeit: Themenzyklus oder tiefgreifender Wandel von Lebensweisen und Konsumentscheidungen?”.
►Statista-Dossier zu Vegetarismus und Veganismus in Deutschland (2021).
► WWF-Studie: “Klimawandel auf dem Teller” (2012).
► BMEL Ernährungsreport 2020.
► Handelsblatt (8/2020): “Rügenwalder Mühle: Veggie-Fleisch überholt erstmals klassische Wurst”.
► Handelsblatt (6/2019): “Beyond Burger im Test: weder gesund noch nachhaltig!”. 
► Transparenz Gentechnik: “Veganer Fleischersatz – perfekt dank Gentechnik”.
► The Wall Street Journal (10/2014): “So, What Does a Plant-Blood Veggie Burger Taste Like?”] .
► Spiegel (2/2017): „Am wichtigsten ist der Geruch nach Blut“.
► Quarks (1/2020): “Insekten: Die Proteinquelle der Zukunft”.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

18. Januar 2022

Kennt Google uns besser, als wir selbst?

von Henrietta Clasen 5. Oktober 2021

Laufen wir im Sand, hinterlassen wir Fußabdrücke. Gleiches gilt für die digitale Welt. Nur sind wir uns, anders als im analogen Leben, selten darüber bewusst, welche Spuren wir hier hinterlassen. Geschweige denn, wer unsere digitalen Fußabdrücke zurückverfolgen kann und welche Rückschlüsse daraus gezogen werden können. Erleben wir vielleicht heute schon einen digitalen Kontrollverlust? Die Künstler*innengruppe Laokoon hat sich auf eine digitale Spurensuche begeben und anhand eines interaktiven Datenexperiments eindrucksvoll veranschaulicht, wie weitreichend die Einblicke in unser Seelenleben und unsere intimsten Geheimnisse sind, die wir Google, Facebook und Co. jeden Tag gewähren. Gemeinsam mit Moritz Riesewieck von der Laokoon Gruppe hat sich Marilena Berends in dieser Episode die Frage gestellt, ob das Internet wohl mehr über uns weiß, als wir selbst.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Diese Episode wird präsentiert von Braineffect. Wer große Ambitionen und lange To-Do Listen hat, braucht Energie, um diese verwirklichen zu können. Braineffect unterstützt euch dabei mit dem richtigen „Mind Food“ – für besseren Schlaf, mehr Konzentration und Wohlbefinden. Zum Beispiel mit dem Vitamin D3 Öl. Weitere Infos findet ihr in unseren Shownotes und auf brain-effect.com.

► Besucht die interaktive Website der digitalen Spurensuche ‘Made To Measure’ der Laokoon Gruppe.
► Die Filmdokumentation zu ‘Made to Measure ist bis 30.08.2022 in der ARD Mediathek verfügbar.
► Hier erfahrt ihr mehr über die Künstler*innengruppe Laokoon.
► Mehr Infos über die Kulturstiftung des Bundes und deren Veranstaltungsreihe ‘Labore des Zusammenlebens’.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

5. Oktober 2021

Eva von Redecker: (Wie) Kann Aktivismus die Welt bewegen?

von Henrietta Clasen 27. Juli 2021

Als Sinneswandel Redaktion wollen wir in den kommenden Wochen unterschiedliche Aktivist*innen vorstellen, die den Status quo nicht hinnehmen, sondern sich für systemische Veränderung stark machen. Zudem möchten wir uns näher damit auseinandersetzen, was genau Aktivismus eigentlich ist, wie sich Protest abgrenzt, aber auch, wo die Trennlinien womöglich verschwimmen. Den Auftakt beginnen wir mit Philosophin Eva von Redecker und Aktivistin Franziska Heinisch, deren kürzlich erschienene Bücher sich dem zivilen Ungehorsam widmen. Beide Frauen verbindet der Glaube daran, dass nur durch ein aktives Aufbegehren Wandel gelingen kann. Denn eine freie Gesellschaft, eine Demokratie existiert nicht einfach, sie muss gelebt werden – und zwar von uns allen.

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder  werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Die heutige Episode wird freundlich unterstützt von OTTO. Mit Ihrer Kampagne unter dem Motto „Veränderung beginnt bei uns“ will das Unternehmen für die Vermeidung von Retouren sensibilisieren – weil es nicht egal ist, wie und wo wir bestellen. Mehr Infos unter https://www.otto.de/shoppages/nachhaltigkeit

► Eva von Redecker: Revolution für das Leben – Philosophie der neuen Protestformen. Fischer Verlage (2020).
► Franziska Heinisch: Wir haben keine Wahl – Ein Manifest gegen das Aufgeben. Blessing (2021).
► Ihr findet Eva von Redecker und Franziska Heinisch auch auf Twitter.
► Erfahrt mehr über die Organisation Justice is Global Europe, die Franziska 2020 mitgegründet hat.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

27. Juli 2021

Die Zerstörung (m)einer Illusion – ein Erfahrungsbericht

von Henrietta Clasen 20. Mai 2021

Fast jede*r weiß um die Dringlichkeit der Klimakrise. Doch weshalb wird sie nach wie vor nicht ernst genommen? Bewusstsein um einen Zusammenhang allein, hat leider nur geringen Einfluss auf unser tatsächliches Handeln. Nicht zu wenig Wissen, sondern ein mangelndes Gefühl an Betroffenheit ist die Ursache. Betrifft uns etwas persönlich, entsteht Betroffenheit. Heißt das, wir müssen erst selbst Erfahrungen machen, damit wir uns betroffen und handlungsfähig fühlen? Geht es nicht auch anders? Gastautorin Julia Gaidt glaubt daran, dass es möglich ist. indem wir Geschichten erzählen. Geschichten, die es uns ermöglichen, Erlebtes nachzufühlen. Die uns die Augen öffnen und aktivieren. Eine solche Geschichte hat Julia Gaidt zu erzählen. Von einem Erlebnis, das sie selbst und ihr Weltbild erschüttert hat und das sie in dem Wunsch teilt, dass es auch andere berührt und ermutigt, sich für eine lebenswerte Zukunft einzusetzen. 

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► IPCC Report on Global Warming of 1.5°.
► Luisa Neubauer & Alexander Repenning: Vom Ende der Klimakrise.
► Vortrag Luise Tremel: „Aufhören. Warum, wie, wer und wann am Besten was“.
► 1,5°C-Ziel Machbarkeitsstudie.
► bpb.de: Wie hängen Pandemie, Umweltzerstörung und Klimawandel zusammen?.
► Greta Thunberg: Ich will das ihr in Panik geratet!.
► Carbon Clock des MCC.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: Die Zerstörung (m)einer Illusion – ein Erfahrungsbericht

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen.

Betrifft uns etwas persönlich, entsteht Betroffenheit. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes berührt, fühlen mit und nicht selten empfinden wir das Bedürfnis, uns zu involvieren. Oft erst, wenn wir etwas selbst mit unseren eigenen Sinnen gesehen und erlebt haben, können wir das Ausmaß der Dinge begreifen. Wie der Backpacker, der auf Reisen beim Surfen im Müll schwamm und infolgedessen ein Unternehmen zur Bekämpfung von Plastik gründete. Oder die Schülerin, die in einer Tier-Doku sah, wie die Wurst, die sie täglich auf dem Pausenbrot aß, eigentlich hergestellt wird und danach zur Umwelt- und Tierschutzaktivistin wurde. Es gibt viele Beispiele, wie diese. Doch manchmal frage ich mich, ob es wirklich immer erst diese persönliche Betroffenheit, das eigene Erleben bedarf, um sich involviert und infolgedessen handlungsfähig zu fühlen? Gibt es überhaupt irgendetwas, das uns nicht betrifft – in einer globalisierten und vernetzten Welt, wie unserer? Zumal in der Natur eh kein “Dein” und “Mein”, kein intern und Extern existiert – alles ist mit allem verwoben. Nicht umsonst sprechen Expert*innen, wie der Klimawissenschaftler Mojib Latif immerzu von der Gefahr drohender Kipppunkte. Treibhausgase lassen die Temperaturen ansteigen, die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt an, Wetterextreme häufen sich, Dürren entstehen, Ernten bleiben aus… ein globaler Kreislauf, in dem kein Teil isoliert von einem anderen zu betrachten ist. Und doch leben wir heute so, als mache es einen Unterschied, wenn der globale Norden seine Emissionen und seinen Müll einfach im globalen Süden ablädt. Und solange die Näherinnen unserer hierzulande billig erworbenen T-Shirts, im gefühlt weit entfernten Bangladesh sitzen und wir ihr Elend nicht sehen können, scheint die Welt für viele heil zu sein. Kein Grund etwas zu ändern. Selbst, wenn wir uns insgeheim dessen bewusst sind, dass nicht alles mit rechten Dingen geschieht.

Doch das Bewusstsein um einen Zusammenhang allein hat nur geringen Einfluss auf das tatsächliche Handeln. Nicht zu wenig Wissen, sondern ein mangelndes Gefühl an Betroffenheit sei die Ursache,  so Klimapsychologin Janna Hoppmann. Letztendlich gehe es vor allem darum, nicht nur den Kopf anzusprechen, sprich Faktenwissen zu vermitteln, sondern auch über das Gefühl der Betroffenheit das emotionale Erleben des Themas mit einzubeziehen, damit ein Prozess des Umdenkens und Hinterfragens losgetreten werden könne. Diese Theorie untermalt auch der Philosoph Kwame Anthony Appiah in seinem Buch “Eine Frage der Ehre”, demzufolge fünf Phasen existieren, innerhalb derer sich “moralische Revolutionen” vollziehen, wie sie Appiah bezeichnet. So wird in Phase eins das Problem, nehmen wir mal den Klimawandel, gänzlich ignoriert, in Phase zwei wird es immerhin anerkannt, jedoch fehlt der persönliche Bezug, um etwas zu ändern. In Phase drei wird schließlich auch die persönliche Betroffenheit anerkannt, allerdings werden noch genug Ausreden gefunden, weshalb ein Handeln unmöglich ist – vermutlich die Phase, in der wir uns gegenwärtig im Bezug auf die Bewältigung der Klimakrise befinden – erst in Phase vier wird schließlich das Problem angepackt. Und in Phase fünf blickt man schließlich mit einem Kopfschütteln zurück und fragt sich, wie man überhaupt so lange warten konnte.

Müssen wir wirklich selbst Erfahrungen machen, die uns wachrütteln, damit wir uns betroffen und infolgedessen handlungsfähig fühlen? Ich hoffe es nicht. Denn nicht nur haben wir nicht die Zeit dafür, auch wünsche ich es keinem Menschen, erst Leid am eigenen Körper oder der Nahestehender erfahrungen zu müssen, damit sich etwas bewegt. Geht es nicht auch anders? Kann es vielleicht auch gelingen, dass wir miteinander mitfühlen, Betroffenheit jenseits geografischer Distanzen und nationaler Grenzen empfinden, das uns dazu befähigt uns für andere und damit zugleich für uns selbst einzusetzen?

Gastautorin Julia Gaidt glaubt daran, dass es möglich ist. Vor allem, indem wir Geschichten erzählen. Geschichten, die es uns ermöglichen, Erlebtes nachzufühlen. Selbst, wenn wir nicht live mit dabei waren. Geschichten, die uns die Augen öffnen und aktivieren, statt lähmen. Die uns Mut machen und Hoffnung geben. Eine solche Geschichte hat Julia Gaidt zu erzählen. Von einem Erlebnis, das sie selbst und ihr Weltbild erschüttert hat und das sie vor allem in dem Wunsch teilt, dass es auch andere berührt und ermutigt, sich für eine lebenswerte Zukunft einzusetzen. 

Bevor wir beginnen, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Denn in die Recherche und Produktion stecken wir eine Menge Zeit und Energie. Und, damit wir das weiterhin tun können, brauchen wir eure Unterstützung. Das geht z.B. ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns an Paypal.me/Sinneswandelpodcast einen freien Betrag schickt. Wie ihr uns unterstützen könnt, steht in den Shownotes. Vielen Dank.

Die “Apokalypse” war für mich bisher ein diffuser und allenfalls mit Science Fiction verbundener Begriff. Über den Klimawandel wusste ich als Akademikerin, Anfang 30 natürlich Bescheid. Aber ich muss mir beschämt eingestehen, dass dieses Wissen geschichtenlos war. Einigermaßen gut verdrängt und weit weg, in der fernen Zukunft. Beides hat sich im vergangenen Jahr grundlegend geändert. Ich habe jetzt eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, die mein Leben erschüttert und mich wachgerüttelt hat. Und ich erzähle sie, in der Hoffnung, es werde auch anderen allein beim Hören so gehen. In der Hoffnung, dass sich damit meine Vermutung, dass nur durch die Erfahrung persönlichen Leids, eine grundlegende Transformation zu erreichen sei, die dem fortschreitenden Klimawandel ein Ende setzt, als falsch bewahrheitet.   

Ich lebe vorübergehend in den USA, genauer gesagt, in der Bay Area bei San Francisco, in Kalifornien. 2020 war hier ein sehr schwieriges Jahr. Zu den massiven Einschränkungen durch die Corona-Pandemie kam eine diffuse Angst aufgrund der politischen Situation und der Tatsache, dass wir das Land zwar hätten verlassen können, aber nicht hätten zurückkehren können. Konkret bedeutet das bis heute, unsere Freund*innen und Familien in Deutschland seit über einem Jahr nicht gesehen zu haben. Und als wäre das nicht genug, war der Sommer extrem trocken, mit mehreren Hitzewellen und in der Folge einer ab Mitte August verheerenden Waldbrandsaison. Letztere bedeutete für uns über zwei Monate lang ungesunde bis schwer schädliche Luft mit nur wenigen Atempausen. Und, da unser 18 Monate alter Sohn noch keine Maske hätte tragen können, die vor den Rauchpartikeln geschützt hätte, waren wir die meiste Zeit in unserer Wohnung gefangen. Unser Luftreinigungsgerät lief auf Hochtouren. Eine von Tag zu Tag weiter fortschreitende Ausnahmesituation, die irgendwann zur absurden “Normalität” wurde. Und in diesen Zustand hinein platzte völlig unerwartet “der Weltuntergang”. Er kündigte sich schon am Vortag durch eine kaum noch leuchtende, blutrote Sonne inmitten eines senfgelben Himmels an. Aber was am nächsten Morgen, dem 9. September 2020 auf uns wartete, hätte ich mir nicht im Traum ausmalen können.

Der Morgen dämmert viel später als gewohnt, und in orange. Das klingt erst mal malerisch-schön. Wir alle kennen diese bunt gefärbten Himmel bei Sonnenauf- und -untergang. Aber schon beim zweiten Hinsehen, und vor allem mit fortschreitender Tageszeit wird klar, dass hier etwas ganz anderes, ganz und gar nicht Schönes geschieht. Der Himmel ist von einer so dicken Rauchdecke durch die Waldbrände bedeckt, dass das Tageslicht nur als rötlicher Schimmer durchdringt und ich von Licht im engeren Sinne eigentlich gar nicht sprechen kann. Mitten in das dämmerige Orange wird es ab vormittags zehn Uhr immer röter – und dunkel. Nicht so finster, wie in einer sternenklaren Nacht ohne Mond, aber doch so dunkel, dass wir in der Wohnung Licht brauchen, um die Hand vor Augen erkennen zu können. Draußen sieht es auf den ersten Blick aus, als befänden wir uns mitten in der Nacht, inmitten einer Großstadt: bewölkter Himmel, es hat gerade frisch geschneit und die niedrige Wolkendecke und die Schneedecke werfen sich abwechselnd das Licht der Straßenlaternen zu. Erst fasziniert es mich, dass es mitten am Tag so dunkel sein kann und es nach drei Tagen mit 35 Grad jetzt auf einmal nur noch 16 Grad sind. Aber es bleibt und bleibt dunkel. Es wird immer beengender. Angsteinflößender. Rausgehen geht nur für wenige Minuten. Die Luftqualität ist unzumutbar. Kurz für ein Foto wage ich mich aber dennoch ins Freie. Dabei fällt mir auf, dass in dieser dunkelroten Atmosphäre, auf Dachziegeln, Autos und jedem einzelnen Blatt, ein gräulicher Schatten liegt. Und spätestens da ist der Vergleich mit der friedlich, weißen Schneenacht hinüber. Die Welt ist von Asche bedeckt. Ein toxisch und leblos wirkender fahler Anstrich. Und es schneit tatsächlich, wenn ich im Scheinwerferlicht genau hinsehe – aber, was da vom Himmel rieselt, ist Asche. Wir ziehen uns in die letzte Herberge die bleibt zurück: unsere Wohnung, in der es noch Strom gibt. Also Licht. Und etwas zu Essen. Und dank der Kombination aus Strom und Luftreinigungsgerät auch saubere Luft zum Atmen. Die Welt draußen ist auf einmal so lebensfeindlich, wie ich sie mir nur vorstellen kann. Wobei das nicht ganz stimmt. Ich konnte mir so etwas vorher nicht vorstellen. Und sicher geht es noch viel schlimmer. Langsam aber sicher bekomme ich eine Idee davon, wie es auf dem Mars oder der Venus sein muss: Unbelebbar. Die dicke Rauchschicht über uns und um uns herum erstickt jedes Gefühl von Hoffnung. Lässt vergessen, dass darüber tatsächlich die Sonne scheinen muss. Es wird unvorstellbar, dass irgendwo auf der Welt der Himmel gerade blau ist. Es scheint räumlich und zeitlich kein Ende der Dunkelheit in Sicht. Nach sozialer Isolation und Bewegungseinschränkung durch ein Virus über Monate und Verlust der Luftqualität über Wochen, ist nun auch das Tageslicht verschwunden. 

Es ist kein Geheimnis, dass das große Ausmaß der Waldbrände in Kalifornien dem menschengemachten Klimawandel zuzuschreiben ist. Und mit diesem Wissen und dem für mich bisher abstrakten Wissen, dass diese Extreme in den kommenden Jahren immer weiter zunehmen werden (1), wird für mich in der roten Dunkelheit auf einmal eine grauenhafte Zukunft der Erde sichtbar: Ich sehe mein Kind in dieser Dunkelheit aufwachsen, drinnen, ohne Sonnenschein, ohne frische Luft, ohne die Möglichkeit mit anderen Kindern lachend über einen Spielplatz zu rennen. Ich sehe, dass unter dieser Rauchdecke faktisch kein Leben möglich sein wird, denn ohne Licht kein Pflanzenwachstum. Ich sehe das Leben der Menschen auf unserem einst so grünen Planeten, in dieser blutroten Dunkelheit verschwinden. Ich sehe all das, wie durch eine Glaskugel, und bekomme Angst. Eine existentielle Angst, wie ich sie noch nie gefühlt habe. Ein „normales“ Leben scheint auf dieser Welt mit fortschreitender Zerstörung unserer Lebensgrundlage nicht mehr möglich zu sein. Mein Leben war gut bisher. Ich könnte das verkraften, klar, auch wenn es viel zu betrauern gäbe. Aber mein anderthalbjähriger Sohn wird nie ein „normales“ Leben kennenlernen.

Meine Zukunftsvision hält nur für einige Minuten, vielleicht einige Stunden an, die Dunkelheit für einen Tag und die wirklich schlechte Luftqualität für eine Woche. Danach wird das Unvorstellbare wahr: Wir können zum ersten Mal nach sieben Tagen wieder vorübergehend lüften, das Haus verlassen, und die Sonne scheint. Ich muss mich vergewissern, dass die Welt da draußen tatsächlich noch existiert. Und ich lebe an einem so privilegierten Ort, dass sie das für mich auch tut. Ich bin weder evakuiert worden, noch ist mein Haus abgebrannt, noch habe ich Angehörige oder mein eigenes Leben in den Flammen verloren, wie so viele andere. Aber etwas in mir ist zerstört worden. Der Glaube daran, dass die Welt einfach immer weiter so existieren wird, wie ich sie kenne. Dass mögliche politische Unruhen die größten Unsicherheitsfaktoren in meinem Leben seien. Dass ich weiterhin ein Leben in Frieden fernab von Kriegen und Naturkatastrophen führen würde. Dass es wirklich wieder eine echte “Normalität” nach der Pandemie geben wird. Es ist, als wäre ich aus einem Traum aufgewacht, nur beginnt da erst der Albtraum. Meine bisherige „Normalität“ hat sich als Illusion entpuppt. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich in meinem Glauben, dass alles immer irgendwie gut werden wird, erschüttert.

Klar, ich wusste vorher von der „Erderwärmung“. Sie wird auch bekämpft, von den einen ideologisch, von den anderen tatsächlich. Aber insgesamt viel zu wenig. So viel wird klar, wenn ich mich nur wenige Tage mit dem Thema beschäftige. Mit Entsetzen reibe ich mir in diesem Jahr zum wiederholten Male die Augen – was haben wir nur getan? Was tun wir tagtäglich? Und dann wird schnell klar, selbst wenn ich als einzelne Person jetzt versuche, mein Leben komplett umzustellen, wird das im Großen und Ganzen nicht viel ändern. Erst, wenn alle oder ein Großteil der Menschen wirklich etwas ändern würden, wäre diese Krise aufzuhalten. Sprich, es bräuchte einen Sinneswandel – auf allen Ebenen. Aber vor allem systemisch. Ohne diese Kehrtwende ist es nicht möglich, was Luisa Neubauer in ihrem Buch “Vom Ende der Klimakrise” Adorno-like  zusammenfasst: „Es gibt kein nachhaltiges Leben in einer nicht-nachhaltigen Gesellschaft.“ (2 S. 37) Es braucht also einen gesellschaftlichen Wandel. Hin zu einem System, das auch funktioniert, ohne den Planeten dabei zu zerstören. Ein System, das nicht darauf fußt, die natürliche Lebensgrundlage aktueller und zukünftiger Generationen auszubeuten. Uns wird immer wieder gepredigt, wenn es nur genug neue innovative, „grüne“ Techniken gäbe, dann müssten wir uns nicht einschränken und können einfach mit unserem, auf Wachstum aufbauenden System weitermachen. Aber laut dem Ökonomen Niko Paech ist das Unfug. Er plädiert für eine Gesellschaft ohne Wachstum und erklärt mit dem Begriff der “Postwachstumsökonomie”, wie das möglich sei (3). Aus einer etwas anderen Sicht beschreibt die Historikerin und Transformationsforscherin Luise Tremel, wie das „Aufhören“ mit unserem System möglich wäre und vergleicht diesen Prozess mit der Abschaffung der Sklaverei (4). Auch hier war der Wohlstand Vieler von der Ausbeutung, in diesem Falle der Versklavten, abhängig. Heute ist unser Wohlstand von fossilen Infrastrukturen und Energieträgern abhängig, die Gegenwart und Zukunft ausbeuten. Und wie auch die Sklaven damals, wird sich die Erde nicht von selbst von der Ausbeutung befreien können – oder nur in einem Ausmaß, dass vermutlich mit unserem Aussterben einhergeht – sondern wir, die davon profitieren, müssen uns bewusst für diesen Verzicht entscheiden. Es bedarf laut Luise Tremel einer „freiwilligen Selbstdeprivilegierung“ (4). Luisa Neubauer fasst das in ihrem Buch so zusammen: „Es geht also um ein bewusst angestrebtes Weniger: weniger quantitatives Wachstum, weniger Ressourcenverbrauch, weniger Emissionen, weniger Ausbeutung. Im Idealfall würde das Wohlstandsparadigma das Beste beider Welten miteinander vereinbaren: hohe soziale Standards, aber wenig Treibhausgase und Umweltbelastungen. Globalisierung ohne globale Abhängigkeiten. Wachstum, ja, aber nur eines, das auch glücklich macht. Also ein qualitatives Wachstum: an Freiheit, Zufriedenheit, Gesundheit und Unabhängigkeit.“ (5 S.175-176) Klingt eigentlich gar nicht nach Verzicht.

Das ist keine neue Botschaft. Und ich bin auch nicht ihr Urheber. Aber vielleicht konnte ich sie vorher nicht sehen, nicht begreifen, mich nicht aktiv mit ihr beschäftigen, ohne wirklich am eigenen Leib die Erfahrung gemacht zu haben, was diese Zerstörung unserer Lebensgrundlage durch unseren – und damit meine ich vor allem den westlichen – Lebensstil bedeuten wird. Und ich habe „nur“ einen Tag im Dunkeln gesessen. Mir ist bewusst, dass es Millionen von Menschen weltweit gibt, die deutlich drastischere Erfahrungen durchleben, machen mussten und wohl leider machen werden. Warum berichte ich das also alles hier? Ich möchte meine Geschichte erzählen, die Trauer um die möglicherweise verlorene Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder teilen, in der Hoffnung, ein winziges Stück zu ihrer Rettung beizutragen. Ich möchte die kurze Meldung aus der Tagesschau vom „roten Himmel über San Francisco“ erlebbar und fühlbar machen. Erst Monate nach dem Ereignis bin ich auf ein Wort gestoßen, das das Gefühl, die Angst, die ich empfunden habe, als “Solastalgie” benennt. Das ist ein noch relativ neuer Begriff für den Schmerz, die Trauer und die psychische Not, die durch den Stress entstehen, wenn Menschen von Umweltzerstörung z.B. im Rahmen der Klimakrise betroffen sind. Zu wissen, dass es ein Wort für mein Gefühl gibt, tut gut und hilft beim Verstehen. Begreifen werde ich diesen dunklen Tag aber wohl nie in Gänze. 

Ich werde an dieser Stelle keine Fakten zur Klimakrise vortragen. Dass wir unter 1,5 Grad bleiben müssen, ist bekannt (1). Es wurde im Pariser Klimaabkommen auf politischer Ebene sogar beschlossen. Nur umgesetzt wird es bislang nicht. Es liegt an uns, u.a. bei der nächsten Wahl, dafür zu sorgen, dass Deutschland dieses Ziel wieder ernst nimmt und alles erdenklich Mögliche tut, um das zu erreichen. Denn es ist möglich, noch (!), wie eine Studie, die von Fridays for Future beim Wuppertal Institut in Auftrag gegeben wurde, erst kürzlich gezeigt hat (6). Nur wird es nicht reichen, ein bisschen mehr Fahrrad zu fahren, auf Plastikstrohhalme zu verzichten und mit gut gemeinten Floskeln die Menschen zu beruhigen. Ein alternativer, rundum nachhaltiger Lebensstil ist aktuell eher ein Luxus, den sich die meisten Menschen in Deutschland nicht leisten können. Und es wäre unfair, den einzelnen Bürger*innen die Verantwortung dafür zu überlassen. Es wird nicht reichen „Kompromisse zu suchen“, wie so oft propagiert wird, wenn es mal wieder heißt, „es werde ja schon viel getan, aber man müssen ja auch…“. 

Alle Kosten, in allen Bedeutungen des Wortes, werden zweitrangig werden, wenn es die Welt, wie wir sie bisher kennen, so nicht mehr gibt. Wenn Banken „too big to fail“ sind, warum nicht auch unser Planet? Und wer jetzt meint, die Bekämpfung der Corona-Pandemie stünde erstmal im Vordergrund, und danach müsse die Wirtschaft wieder dran sein und für Klimaschutz sei leider keine Zeit, der begeht einen großen Denkfehler: Denn durch unser derzeitiges, auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem, und die dadurch immer weiter fortschreitende Zerstörung des Planeten, entstehen Pandemien, wie die aktuelle überhaupt erst. Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit zum Beispiel warnt davor, dass das Risiko für eine solch rapide und gefährliche Verbreitung von Viren weiter steigen wird, wenn die Menschen nicht aufhören, in den natürlichen Lebensraum von Tieren einzudringen (7). Genau wie bei der Pandemiebekämpfung, gilt auch beim Klimaschutz: Es gibt den ausgehandelten Kompromiss zwischen „dem Problem“ und „der Wirtschaft“ nicht. Sondern auch „die Wirtschaft“ – und eigentlich sollte es doch viel eher „die Menschen“ oder „die Gesellschaft“ heißen – kann nur geschützt werden, wenn das Problem konsequent, sinnvoll, vollständig und vor allem zeitnah angegangen wird. Genauso, wie ein verzögerter und halbherziger Lockdown weder Wirtschaft noch Menschen nützt, wird eine halbherzige Bekämpfung der Klimakrise, die dadurch angestoßenen, sich verselbstständigenden Prozesse nicht aufhalten oder auch nur abmildern können. Eine Vertagung der Lösung in die Zukunft ist in beiden Fällen, mehr als fatal.

Es gibt viele Lösungsansätze und Fachleute, die sich schon lange mit der Bekämpfung der Klimakrise beschäftigen. Die Ressourcen dazu sind längst vorhanden. Sie müssen nur genutzt werden. Es ist zwar klar, dass dies kein leichter und günstiger Weg sein wird. Mir ist jedoch klar geworden, dass es der einzige, bezahlbare Weg ist, der überhaupt die Möglichkeit mit sich bringt, dass unser Planet langfristig so bleibt, wie wir ihn zum Leben benötigen. Die Bekämpfung der Zerstörung unserer Lebensgrundlage muss das Wahlthema 2021 werden, an dem keine Partei vorbeikommt, wenn sie gewählt werden will. Nur so können wir die Katastrophe noch abmildern. Greta Thunberg hat gesagt: „ich will, dass ihr in Panik geratet.“ (8) An diesem schwarz-roten Mittwoch im September habe ich diese Panik erlebt. Sie ist absolut berechtigt und keinesfalls „Angstmache“, als welche sie so gern abgetan wird. Aber sie darf nicht lähmen, sondern sollte uns aktivieren, an dem Zustand etwas zu ändern. Und zwar jetzt! Nach neuesten Berechnungen bleiben der Menschheit, gerechnet ab Ende 2017, noch 420 Gigatonnen CO2, auf Deutschland runtergerechnet 4,2 Gigatonnen, die verbraucht werden dürfen, soll die globale Erhitzung auf maximal 1,5°C begrenzt werden. Was mehr als wünschenswert ist, wenn wir nicht in eine unaufhaltbare Abwärtsspirale rutschen wollen, die unser Leben, so wie wir es kennen, wohl beenden wird (1). Aber was bedeuten diese Zahlen nun? Bei der aktuellen Verbrauchsmenge von 42 Gigatonnen pro Jahr weltweit, ist dieses Budget Stand Mai 2021, in 6 Jahren und 7 Monaten aufgebraucht (9). Das sind keine zwei Legislaturperioden mehr! Und das macht die kommenden Wahlen so wichtig und im wahrsten Sinne des Wortes lebensentscheidend. Für die Menschen in meiner aktuellen Umgebung wird langsam Realität, was an vielen anderen Orten der Erde schon lange gilt und an wieder anderen bald drohen wird: der bisherige Lebensraum, der uns als zu Hause galt, wird zunehmend unbewohnbar, wenn wir weiter verdrängen, was unser maßloser Lebensstil und das ausbeuterische kapitalistische System mit dem Planeten anstellen.

Die Waldbrandsaison ist hier erst einmal vorüber. Der Himmel strahlt wieder in Königsblau, und sollte es doch gelegentlich regnen, spüre ich eine unfassbare Dankbarkeit. Auch die Nächte sind wieder sternenklar. Wenn ich die Planeten direkt neben dem Mond stehen sehe, dann ist für einen kurzen Moment sichtbar und im Raum begreifbar, wie schräg ich auf der Erde gerade durch das Weltall schwebe. Dann ist erahnbar, was Astronaut*innen oft berichten: die Tatsache, dass wir auf der Erde leben können, ist in diesem schwarzen, unendlichen und lebensfeindlichen Weltall etwas ganz Besonderes und Schützenswertes. Es liegt in unseren Händen, sie zu erhalten. Und, wir müssen die Menschen und Parteien wählen und unterstützen, die diese Dringlichkeit verstanden haben. 


Ich danke euch fürs Zuhören. Wenn der Podcast euch gefällt, dann teilt ihn gerne mit Freunden und Bekannten. Außerdem würden wir uns besonders freuen, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt, damit wir weiterhin gute Inhalte für euch kreieren können. Supporten könnt ihr uns ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Das geht schon ab 1€. Alle weiteren Infos findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast.

20. Mai 2021

Pandemiemüde? Let’s talk about Mental Health!

von Marilena 22. April 2021

Wem geht es eigentlich gerade wirklich gut? Gefühlt sind alle “müde”. Wenn auf Wikipedia bereits der Eintrag “Pandemiemüdigkeit” zu finden ist, wieso reden wir so wenig darüber? Warum werden zwar täglich die Zahlen der Neuinfektionen bekannt gegeben, aber nicht über die “seelische Inzidenz” gesprochen? Diese Episode handelt, neben den Auswirkungen von einem Jahr Pandemie auf die menschliche Psyche, auch von der Art und Weise, wie generell in der Gesellschaft über Mental Health gesprochen – oder eben auch nicht gesprochen wird. Es geht darum, wie die kapitalistische Logik, sich auch das Feld der psychischen Gesundheit einverleibt hat und damit seelische Erkrankungen zu rein privaten Angelegenheiten verkehrt. Wie lässt sich ein gesunder Ausweg finden, jenseits von toxischer Positivität und individueller Self-Care-Routine? 

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Kostenlose Telefonberatung der BZgA (08002322783).
► Das kostenlose Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe: 08003344533.
► SeeleFon für Flüchtlinge für Geflüchtete oder deren Angehörigen – kultursensibel und möglichst in der Sprache der Betroffenen (022871002425).
► Wichtige Anlaufstellen bei psychischer Belastung sind Hausärzt*innen und Psychotherapeut*innen. Die Arztsuche der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bietet die Möglichkeit gezielt nach diesen zu suchen.

Quellen:
► Bundes Psychotherapeuten Kammer: Corona Pandemie und psychische Erkrankungen – BPtK Hintergrund zur Forschungslage (2020).
► Spektrum: Psyche und Corona: Der zweite Lockdown belastet mehr.
► WHO: Mental Health in workplace.
► Merkur: Demenz und Depression  kosten knapp 15 Milliarden Euro im Jahr.
►Allianz: Depression kostet Volkswirtschaft jährlich bis zu 22 Milliarden Euro.
► Deutschlandfunk: Zum Tod des Kulturtheoretikers Mark Fisher.
► Eva Illouz: Die Errettung der modernen Seele. Suhrkamp (2011).
► Nina Kunz: Ich denk, ich denk zu viel . Kein und aber (2021).
► Arte-Serie: In Therapie. 
►Deutschlandfunk-Nova: Timur über toxische Feelgood-Vibes.  
►Benjamin Maack: Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein . Suhrkamp (2020). 

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: Pandemiemüde? Let’s talk about Mental Health!

“Es wird schon wieder – irgendwann.” 
“Ja, muss ja”, gebe ich zurück. 
“Fühl dich umarmt.”

Wie ich diesen Satz nicht mehr hören kann. Wie soll man sich umarmt fühlen? Wer hat sich diese Floskel überhaupt ausgedacht? Um mich umarmt zu fühlen, müsste ich mir erstmal dieses Gefühl, wenn zwei Körper in einem Moment zu einem einzigen verschmelzen, wieder ins Gedächtnis rufen. Und ich meine eine “richtige” Umarmung. Ohne Zögern und Zweifel, ob man das denn jetzt wirklich tun sollte oder, ob man dann nicht Gefahr laufe, sein Gegenüber potenziell umzubringen. Ja, nach solchen innigen Umarmungen, mal wieder so richtig fest gedrückt zu werden, danach sehne ich mich. Darum mag ich, wenn mal wieder jemand zu mir sagt, “fühl dich umarmt”, mich auch nicht daran zurückerinnern. Es scheint mir dann in noch weitere Ferne zu rücken – fast unerreichbar.

Und dann ist sie da wieder. Diese innere Stimme, die mir leise, aber unüberhörbar in mein Ohr raunt: “Come on, jetzt hab dich nicht so! Hör auf dich in deiner Nostalgie, deinem Selbstmitleid zu sudeln und reiß dich gefälligst mal zusammen! Anderen geht es viel schlechter als dir. Hast du dich mal umgesehen? Du hast eine Wohnung, genug zu Essen im Kühlschrank, einen Job, Freunde und vor allem, du bist gesund.” Etwas in mir nickt, fühlt sich ertappt und ekelt sich ein bisschen vor mir, angesichts dieses Ausflusses an Selbstmitleid, trotz meiner doch ganz offensichtlich privilegierten Situation. 

Genauso enden in letzter Zeit auch häufig Gespräche mit Freunden und Kollegen. Man diskutiert über die aktuelle Lage, die neuesten politischen Maßnahmen und erkundigt sich, wie es den anderen denn so damit gehe. “Ach du, weißt du, es ist nicht einfach, aber, es könnte auch schlimmer sein. So richtig beschweren kann ich mich nicht. Aber so richtig gut, gehts mir irgendwie auch nicht.” So ähnlich klingt das dann. Eigentlich hätte man auch nichts sagen können. Denn, was steckt hinter dieser Aussage? Alles und nichts. Das eigene Unwohlsein wird noch im selben Atemzug revidiert. Anderen geht es nun mal gerade schlechter. Da ist jetzt kein Raum für das eigene Leid, das mit dem der anderen verglichen so lächerlich klein und Wohlstands-privilegiert erscheint. Sicherlich ist da irgendwie etwas Wahres dran, denn Fakt ist, dass Menschen, die bevor C. in unser aller Leben trat, bereits in prekären Verhältnissen lebten, es nun doppelt oder gar dreifach so schwer haben. Die Pandemie fungiert wie eine Lupe, ein Brennglas, dass Missstände, die zuvor bereits existierten, nur weiter vergrößert, wie es im Feuilleton so oft zu lesen ist. Auf der anderen Seite frage ich mich: Wer hat etwas davon, wenn irgendwer seinen eigenen Schmerz und, mag er im Vergleich noch so klein erscheinen, zurückstellt oder gar negiert? Nur, um nicht als asozial oder unempathisch zu gelten. Hat nicht jedes Leid seine Berechtigung? Müssen wir selbst in dieser Situation, in eine Art Wettkampf, wer das Schlimmste zu erdulden hat, eintreten? Das ist doch absurd! Natürlich ergibt es Sinn, anderen Menschen zur Seite zu stehen. Das zeichnet schließlich eine Gesellschaft, die zusammenhält aus. Dass man auch mal bereit ist, sich selbst zurückzustellen und für andere einzusetzen. Ich glaube, da sind wir uns einig. Aber heißt das auch, dass ich, wenn ich nicht “genug” Leid zu tragen habe, es sich nicht mehr ziemt, dieses zu äußern? Hat es dann keine Berechtigung mehr? Wenn mein Glas halb voll ist, darf ich dann nicht mehr den Wunsch haben, es wäre randvoll, sprich, dass es mir wieder gut geht?

Allein diese Worte auszusprechen fühlt sich irgendwie egoistisch an. Ich brauche Ablenkung und scrolle durch meinen Instagram Feed und stoße dabei auf einen Post von Anna Mayr, Autorin und Journalistin. Sie schreibt darin: “Wenn Menschen sich einer Gefahr ausgesetzt sehen, wenn sie Angst haben und sich machtlos fühlen, dann verfallen sie in einen fight-or-flight-Modus. […] Jede_r schaut dann nur noch auf sich, auf die eigenen Bedürfnisse, auf die eigene Sicherheit. Das ist, glaube ich, was gerade passiert. Mir zumindest. […] Hauptsache, ich komme irgendwie durch, mental und physisch. Nur noch Kraft, mich selbst zu retten, niemanden sonst. Das ist natürlich total scheiße und zeigt, dass das Reden von „Eigenverantwortung“, wenn man in Wirklichkeit „Ungerechtigkeit“ meint, niemanden weiterbringt, auch die Glücklichen nicht. Denn ich fühle mich ja auch mies damit, sogar nach zwei Stunden Balkonsonne, wie alle, wahrscheinlich.” 

Immerhin bin ich nicht allein mit diesem Gefühl, denke ich mir und scrolle weiter. Paul Bokowski, ebenfalls Autor und Journalist, hat eine Story geteilt. Darin steht: “Ich habe vor ein paar Tagen angefangen meinen Nachrichtenkonsum drastisch zu reduzieren. Nach einem Jahr der absoluten Monothematik geht mir die ständige Berichterstattung über Covid mittlerweile ganz massiv an die Substanz. Ich akzeptiere die unverrückbare Bedeutung dieses Themas, aber […] ich merke schleichend, dass es lebenswichtig für mich sein könnte, mich um weniger psychische Toxizität zu bemühen. […] Das heißt, dass ich bis auf Weiteres auf alle Nachrichten-Apps, auf Twitter, aber auch auf Instagram und Facebook verzichten möchte.” Und damit ist er wohl offline. Ist das jetzt selfcare oder selfish? Ich fühle mich überfordert und lege mein Handy beiseite.

Wem geht es eigentlich gerade wirklich gut? Gefühlt sind alle “müde”. Wenn auf Wikipedia bereits der Eintrag “Pandemiemüdigkeit” zu finden ist, wieso reden wir so wenig darüber? Warum werden zwar täglich die Zahlen der Neuinfektionen bekannt gegeben, aber nicht über die “seelische Inzidenz” gesprochen, über die Menschen, die psychisch erkranken oder gar Suizid begehen? Da gibt es doch bestimmt schon Statistiken zu?! Ich klappe meinen Laptop auf, öffne Ecosia und beginne zu recherchieren: Laut einer 2020 veröffentlichten Studie von Yang und Kollegen, in der an Corona erkrankte Patient*innen, die stationär isoliert wurden, mit Krankenhauspatient*innen mit einer Lungenentzündung sowie mit Gesunden verglichen wurden, weisen Corona-Erkrankte drastisch erhöhte Angst- und Depressionswerte auf. Ähnliches wird in zwei Übersichtsarbeiten über die psychischen Folgen von Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen berichtet (Hossain et al., 2020; Purssell et al., 2020). In manchen Studien berichteten über 70 Prozent der Patient*innen, ängstlich und depressiv, hilflos und reizbar zu sein und ein niedriges Selbstwertgefühl zu haben. Auch für Angehörige ist es oft unerträglich, erkrankte Eltern oder Großeltern nicht persönlich helfen zu können, da Kontakt verboten ist (vor-veröffentlichte Online-Befragung von mehr als 18.000 Personen: Rossi et al., 2020). ie Versorgungssituation hinsichtlich psychologischer Betreuung hat sich, laut Spektrum Magazin auch verschlechtert. So gaben 22 Prozent der an Depressionen leidenden Befragten an, in einer akuten depressiven Phase keinen Behandlungstermin bekommen zu haben. Natürlich muss berücksichtigt werden, dass viele Daten, die notwendig wären, um die Frage nach der psychischen Belastung durch die Corona-Pandemie umfassend beantworten zu können, noch längst nicht vollständig sind. Wenn jedoch Krankenkassen, wie die KKH bereits im ersten Halbjahr 2020 rund 26.700 Krankmeldungen wegen seelischen Leidens unter ihren etwa 1,7 Millionen Versicherten zu registrieren hatten – gut 80 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum – dann scheint die Pandemie nicht folgenlos an uns vorbeizuziehen.

Warum sprechen wir dann dennoch so wenig über das Thema? Mein Kopf rattert. Plötzlich beginne ich zu verstehen. Na klar, das System, die Realität in der wir leben, hat ja auch sonst eher wenig Interesse daran, dass wir “ausfallen”, sprich nicht “funktionieren”. Das Rad muss weiterlaufen. Das gilt auch für pandemische Zeiten. Kein Wunder, dass kaum über Mental Health gesprochen wird. Nachher würden Menschen noch beginnen, gegen jene Strukturen aufbegehren, die sie tagtäglich bis zur völligen Erschöpfung im Hamsterrad laufen lassen. Auf der anderen Seite frage ich mich, ob diese Sichtweise nicht zu verkürzt ist. Mag schon sein, dass Menschen, die immerzu vorgeben, zu funktionieren, diesen Schein eine ganze Weile aufrechterhalten können, aber zu welchem Preis am Ende? Nichts ist umsonst – das ist schon mal klar! Jetzt bin ich angefixt. Was kostet es wohl den Staat, all die Menschen wieder “aufzupäppeln”, die ausbrennen oder anderweitig seelisch erkranken?

Laut Statistischem Bundesamt seien psychische Krankheiten inzwischen ein großer Kostenfaktor für das Gesundheitssystem: Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen (37 Milliarden Euro) und Krankheiten des Verdauungssystems (34,8 Milliarden Euro) rangieren psychische Erkrankungen auf Platz drei unter den sogenannten “Volkskrankheiten”: 2008 lagen die Kosten bei knapp 28,7 Milliarden Euro. In den USA, laut WHO, lagen die Kosten im Jahr 2019 sogar bei 1 Billion US-Dollars. Die Allianz hebt noch einmal differenziert hervor, dass allein zwischen 2002 und 2008 die direkten Krankheitskosten für Depressionen, um ein Drittel auf 5,2 Milliarden Euro gestiegen seien. Und, dass 9,3 Milliarden Euro indirekte Kosten allein darauf zurückzuführen seien, dass an Depressionen erkrankte Menschen häufig dennoch zur Arbeit gehen, anstelle sich krankschreiben und behandeln zu lassen. Das klingt jetzt ziemlich makaber, aber damit stellen die durch verminderte Produktivität depressiver Arbeitnehmer*innen am Arbeitsplatz verursachten Kosten den mit Abstand größten volkswirtschaftlichen Schaden dar, so formuliert es die Allianz.

Mag sein, natürlich sind die wirtschaftlichen Einbußen, auch jene, die aktuell während der Pandemie verzeichnet werden, keineswegs irrelevant. Aber, was ist mit den Seelischen, den menschlichen Schäden? So oft denke ich mir in letzter Zeit: Was ist das bitte für ein Leben, das fast ausschließlich in Arbeit besteht? Normalerweise liegt ja die Wiedergutmachung dafür, dass wir den halben Tag schuften, darin, dass wir das wohlverdiente Geld in Bespaßung eintauschen können: Ob Kino, Rave, Museum, Malle, für jede*n ist auf dem Konsummarkt was dabei. Das meiste davon fällt aktuell allerdings weg. Außer vielleicht Netflix und Online-Shopping. Aber auch das wird schnell öde. Die neoliberale Belohnungsstrategie geht nicht mehr auf. Die Ablenkung fehlt und die Menschen, die zuvor im Konsumrausch schwebten, nüchtern langsam aus und werden missmutig.

Aber kann es denn Sinn der Sache sein, Menschen ruhig und bei Laune zu halten? Wenn wir schonmal dabei sind, alle Karten offen auf den Tisch zu legen, warum reden wir dann nicht mal ganz grundsätzlich über die Ziele und Vorstellungen davon, wo wir als Gesellschaft eigentlich hin wollen? Und vor allem auch, auf welchem Weg, mit welchen Mitteln? Längst sind sich viele Expert*innen, wie Joseph Stiglitz, Maja Göpel und Amartya Sen in dem Punkt einig, dass das BIP allein als Indikator für Fortschritt und Wohlstand nicht mehr zeitgemäß ist. Schon gar nicht, um so etwas wie Lebensfreude und Zufriedenheit innerhalb der Bevölkerung zu messen. Denn die Bedingungen, unter denen das BIP entsteht, werden nicht berücksichtigt. Ob jemand seine Arbeit entspannt und mit viel Freude erledigt oder ob dies unter großem physischen bzw. psychischen Druck und ohne jede Freude geschieht, spielt für das Wohlbefinden eine große Rolle – selbst wenn am Ende in beiden Fällen das gleiche Einkommen herausspringt. Für die Berechnung des BIP sind beide Fälle hingegen vollkommen gleichwertig. Es ist also dringend an der Zeit, dass wir radikal umdenken und uns von alten Konzepten verabschieden. Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt gibt es bereits eine ganze Handvoll: So hat die OECD den „Better Life Index“ entwickelt, um das gesellschaftliche Wohlergehen anhand von elf Themenfeldern, u.a. Bildung, Sicherheit und Work-Life-Balance zu ermitteln und international zu vergleichen. 

Ein weiteres Beispiel liefert der “Happy Planet Index” (HPI), dessen Ausgangspunkt die Überlegung darstellt, dass Reichtum für eine Vielzahl von Menschen nicht das oberste Ziel ist, sondern ein glückliches und gesundes Leben an erster Stelle steht. 

Die Einführung eines solchen Maßstabs wäre vermutlich auch nicht mehr vereinbar, mit der Privatisierung des Gesundheitswesens und dem zeitgleichen Abbau des Sozialsystems, wie man es auch in Deutschland beobachten kann. Laut dem Bundesverband Deutscher Privatkliniken, sind von 1950 Krankenhäusern mittlerweile rund 37 %, also mehr als ein Drittel, in privater Trägerschaft. Das mag sich zwar teilweise positiv auf die Wachstumszahlen und Gewinnprognosen der Krankenhäuser auswirken, bewirkt jedoch im Großen und Ganzen, dass das Gesundheitswesen zu einer Gesundheitswirtschaft mutiert, in der ganz andere Gesetze gelten als in einem Sozialsystem. Sie wird zur Quelle neuen Reichtums für Investoren und macht Gesundheit zu einem handelbaren Gut, in welcher der Mensch zur Ware degradiert wird. Hallo Kapitalismus! 

Dass das gesamte kapitalistische Wirtschaftssystem, das aus dem Ruder geraten ist, uns krank macht, davon war der britische Kulturtheoretiker und Publizist Mark Fisher überzeugt, der sich 2017, im Alter von 48 Jahren das Leben nahm. Seine Depressionen, die ihn sein Leben lang begleiteten, verortete er nicht als rein individuelles Schicksal, sondern als eine massenhaft auftretende Reaktion auf die kapitalistischen Verhältnisse in denen wir leben. Für Fisher stellte die Entpolitisierung von Depression sowie die Privatisierung von psychischen Krankheiten ein gesellschaftliches Problem dar: “Hohes Arbeitsaufkommen, Zunahme der Unsicherheit, Gehaltskürzung – all diese Dinge machen depressiv, und wir müssen immer häufiger alleine mit ihnen fertig werden. Im Zeitalter der Kollektivität gab es noch Mediatoren wie Gewerkschaften, die dir dabei geholfen haben, aber heute wirst du zu keiner Gewerkschaft geschickt, sondern zu einem Therapeuten, oder nimm doch einfach Antidepressiva. Das ist die Geschichte der letzten 30 Jahre.” So Fisher in einem Interview mit Deutschlandfunk. Wir alle werden im Kapitalismus zu “Unternehmer*innen unser Selbst”, die sich bloß noch mehr anstrengen müssen, wenn es mal Probleme gibt. Jede und jeder ist schließlich seines eigenen Glückes Schmied – ein Hoch auf Individualismus und Leistungsfetischismus!

Je mehr ich drüber nachdenke, desto klarer und bewusster wird mir, wie sehr psychische Gesundheit in unserer Gesellschaft zu persönlichen, rein privaten Angelegenheiten gemacht werden. Dabei sind die höchst politisch – da stimme ich Fisher zu. Psychische Gesundheit ist nicht von den gesellschaftlichen Verhältnissen zu trennen, innerhalb derer sie entstehen. Vermutlich auch einer der Gründe, weshalb das Sprechen über mentale Gesundheit nach wie vor mit Scham besetzt ist und Menschen, die öffentlich über psychische Krankheiten sprechen, häufig noch stigmatisiert werden. Nicht, dass noch bekannt werden könnte, dass nicht allein individuelles Versagen der Grund für Depressionen, Angststörungen, Magersucht oder Burnout seien. Das wäre ja absurd, wenn doch tatsächlich die moderne Gesellschaft mit ihren fragwürdigen Schönheitsidealen, der Lobpreisung des permanenten Busy-seins und der Arbeit im Allgemeinen, dem never-ending Patriarchat, überhaupt den strukturellen Unterdrückungsmechanismen einen Anteil daran hätte, das Menschen psychisch erkranken. Ne ne, das haben wir uns alles selbst zu verdanken, weil wir uns eben einfach nicht genug angestrengt haben. Nicht genug an uns gearbeitet haben, wie es uns doch von der Persönlichkeitsentwicklungs-Branche geraten wird. Und im Zweifel eben ab zur Therapie! Ist doch heutzutage nichts Besonderes oder gar verwerfliches mehr.

Ich denke nach. Tatsächlich, die meisten meiner Freunde, inklusive mir selbst, sind oder waren schon mal beim Therapeuten. Und nein, nicht alle stammen aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Eigentlich finde ich das ja gut, dass es diese Möglichkeit gibt. Ich selbst wüsste nicht, wo ich heute ohne professionelle, seelische Begleitung stehen würde. Wäre ich noch am Leben? Vermutlich schon. Ich würde die Gespräche dennoch nicht missen wollen. Zugleich hinterfrage ich das Konstrukt der Therapie immer wieder ganz massiv. Sehe insbesondere die reine Rückführung auf die Patientin oder den Patienten kritisch, wenn das Leid nicht auch im gesellschaftlichen Kontext betrachtet wird. Klar, es gibt wirklich gute Therapeut*innen, die das machen, hab ich selbst erlebt, aber viele eben auch nicht. Dann rücken Selbstreflexion und -pathologie an die Stelle von Gesellschaftskritik. Wo es doch eigentlich beides bedarf.

Laut der israelischen Soziologin Eva Illouz, hat das therapeutische Denkmodell inzwischen alle Lebensbereiche erfasst, wie sie in ihrem Buch, “Die Errettung der modernen Seele” (2011) beschreibt. Allerdings versteht Illouz darunter nicht nur die konkrete Therapie-Situation, sondern die ganze Palette der ratgeberhaften und emotionsorientierten Gegenwartskultur – von Weight Watchers über Eheberatung und Mentalcoaching der Fußballmannschaft. Galten früher psychische Krisen als “Defekt”, den man schamhaft versteckte, kommt heute kaum eine Promi-Biographie ohne eine solche Krise und deren therapeutische Bewältigung aus. Ob in Cathy Hummels “Mein Umweg zum Glück”, in der die Moderatorin offen über ihre Depressionen spricht, in  „Born to run“, der Autobiographie der Rocklegende Bruce Springsteen oder in “Zayn”, in der der gleichnamige Sänger Zayn Malik – früher Teil der Band “One Direction” – über seine Angst- und Essstörung schreibt. Man könnte auch sagen, der vermeintlich tiefe Einblick in die Seele gilt heute als notwendiger Karriereschritt, um Privilegierte ein klein bisschen menschlicher erscheinen zu lassen. Generell würde ich sagen, ist jedes Bekennen psychischer Erkrankungen nur zu begrüßen. Fragwürdig bleibt die Motivation von Menschen, die ohnehin in der Öffentlichkeit stehen und ihre Leiden scheinbar als Chance sehen, mehr Filme, Bücher oder Alben zu verkaufen. Aber, mal ganz ehrlich: “Who am I to judge?” Es lässt sich nicht leicht beurteilen, wo die Grenze verläuft, zwischen öffentlichem Bekenntnis und Selbstvermarktung.

Und dann denke ich mir: “Hey, ist doch eigentlich auch eine gute Sache, wenn wir offener über unsere issues reden. Oder nicht?” Ich fühle mich zumindest besser, wenn ich beispielsweise lese, dass auch andere Menschen, ob Henning May, Sänger der Band AnnenMayKantereit, die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht, Rapper Curse oder der Autor Benjamin von Stuckrad-Barre, alle mit ihren Päckchen zu kämpfen haben und dazu stehen. Wobei “mich besser fühlen” vermutlich der falsche Ausdruck ist. Es geht mir eher um das Gefühl, nicht allein zu sein. Mich verstanden zu fühlen. Nicht perfekt und makellos sein zu müssen in dieser Welt.

Genau das Gefühl hatte ich auch beim Lesen von “Ich denk, ich denk zu viel”, der erst kürzlich erschienenen Kolumnensammlung der Schweizer Journalistin Nina Kunz. Vielleicht liegt es daran, dass wir beide im selben Jahr geboren wurden, also derselben Generation angehören, dass ich mich in vielen ihrer Worte wiederfinden konnte. So schreibt sie darin beispielsweise: “Alles begann damit, dass ich anfing, über meine Alltagsängste nachzudenken. […] Warum da diese Enge in meiner Brust ist und der Stress-Tinnitus in den Ohren pfeift, obwohl ich all diese Privilegien hab.” Es ist eine Mischung aus Tagebuch und Theoriesammlung, in der Nina Kunz ihre persönlichen Gedankengänge offenlegt und zugleich mit einer Kritik an den gesellschaftlichen Umständen verbindet. Die einen wiederum einlädt, sich einerseits selbst sanftmütiger und wohlwollender zu begegnen, andererseits gegen die einengenden und begrenzenden Strukturen, ob Patriarchat, binäre-Geschlechterkonstrukte oder Rassismus vorzugehen. “Dieses Buch ist eine Einladung in meine Gedankenwelt. [… Es] ist ein kleiner Puzzleteil in der Debatte um Leistungsdruck und Mental Health. Es sind Notizen aus dem Jetzt, ehrlich aufgeschrieben. In der Hoffnung, dass sie weitere Gedanken anstoßen.” Das haben Ninas Worte bei mir in jedem Fall bewirkt. Besonders hängen geblieben ist auch folgendes Zitat aus dem ersten Text:: “Workism beschreibt […] etwas, das mir schon länger Sorgen macht: Es ist der Glaube, dass Arbeit nicht mehr eine Notwendigkeit darstellt, sondern den Kern der eigenen Identität. […] Ein zentrales Ziel im Leben soll sein, einen Job zu finden, der weniger Lohnarbeit ist als vielmehr Selbstverwirklichung. Darum […] habe ich heute keine Schreib-, sondern Lebenskrisen, wenn ich im Job versage.” Oh ja, fühl ich sehr! Genauso wie die Ambivalenz, die Nina gegenüber dem Internet, insbesondere den sozialen Medien verspürt: “Das Internet ist ein gefräßiges Monster, das alle meine Lebensenergie verschlingt […]. Ich hasse das Internet, weil es mir das Gefühl gibt, zu langsam zu sein, zu schwach, zu wenig schön. […] Ich hasse den Fakt, dass mir Likes ein gutes Gefühl geben. Ich hasse denk Fakt, dass ich Angst habe vor der Stille und mich permanent mit Informationen berieseln lasse. Beim Kochen höre ich Podcasts, beim Joggen brauche ich die Nike App, und im Zug beantworte ich Mails. […] Es gibt Studien, die belegen, dass Menschen Zeit allein verbringen müssen, um empathisch zu sein, daher bin ich besorgt, wie schlecht ich mich mittlerweile selbst aushalte.” “Manchmal fühlt sich das Leben im Internet an, als würde ich verhungern, obwohl mir die ganze Zeit jemand das Maul stopft. […] Ich hasse das Internet, weil ich Angst habe, dass ich in fünfzig Jahren sagen werde: Fuck, ich hab mein Leben online vergeudet.”

Manchmal braucht es auch noch oder gar keine Lösung – das Aussprechen von Ängsten und Sorgen, ganz gleich, ob nun angeblich privilegiert oder nicht, wirkt oft befreiend. Ich habe sogar das Gefühl, dass mir in der Therapie das Reden und, dass mir jemand zuhört, oft mehr gebracht hat, als irgendwelche Ratschläge oder Strategien, die mir angeboten wurden. Vielleicht hat mir auch deshalb die Arte-Serie “In Therapie” der französischen Regisseure Olivier Nakache und Éric Toledano so gut gefallen. Jede Folge ist eine Therapiesitzung, in der wir die Entwicklung der wiederkehrenden Patient*innen, die alle durch die Erlebnisse der Terroranschlägein Paris 2015 traumatisiert sind, mitverfolgen können. Dabei ist “In Therapie” allerdings keine Serie über die Terroranschläge, sie handelt vielmehr von den Folgen für die menschliche Psyche, kollektivem Trauma und, dass um mit solch schwerwiegenden Erfahrungen fertig zu werden, es Redebedarf braucht. Es geht um Heilung, Einzelner, aber auch der Gesellschaft. „Die Welt da draußen geht zugrunde.“ Gleich zweimal fällt der Satz in der Serie. „Ja“, antwortet Philippe Dayan, der Therapeut, jedes Mal, „aber das tut sie immer.“ Wir können nur lernen, damit umzugehen. 

Wobei umgehen eben nicht meint, dass wir jetzt alle mal bitteschön wieder klarkommen müssen. Dass wir, wie uns, wie ein mechanisches Glied im Gefüge einer Maschine, wieder an unseren Platz bewegen und funktionieren sollen. Diese Form toxischer Positivität begegnet mir allerdings permanent. Wie so oft, meistens im Internet. Egal, ob pathetische, wohlgemeinte Sprüchlein, wie “Glücklich zu sein bedeutet nicht, das Beste von allem zu haben, sondern das Beste aus allem zu machen.” Oder fast noch schlimmer: “Du kannst nicht negativ denken und positives erwarten.” Würg! Laut Timur, der in einem Interview mit Deutschlandfunk-Nova ganz offen über seine Depression und Angststörung spricht, ist toxische Positivität eng an „toxische Dankbarkeit“ gekoppelt. Er glaubt, dass wir nicht für alles dankbar sein müssen. Vor allem, wenn jemand als Opfer Leid erfährt. Denn nicht alle Dinge sind ein Zugewinn für uns und unser Leben. Seh ich auch so! Wobei ich zugeben muss, dass es mir auch nicht immer leicht fällt, mir einzugestehen, wenn es mir nun einmal gerade nicht gut geht. Vielleicht sogar richtig beschissen. Und dann nicht automatisch in den Optimierungs-Wahn zu verfallen, in dem direkt wieder alles zurechtgebogen wird, damit die Oberfläche wieder aalglatt erscheint. Ich würde solche Zustände gerne öfter auch mal auf mich wirken lassen können, akzeptieren lernen, dass ich nicht permanent “funktionieren” muss. Dass es in Ordnung ist, nicht immer einen Plan zu haben. Dass ich nicht für alles verantwortlich bin, sondern so einiges seine Ursprünge auch in gesellschaftlichen Umständen hat, die sich nicht einfach mal so mit Hilfe von ein bisschen Selfcare und Gesprächstherapie lösen lassen.

Jemand, der genau das ganz wunderbar und prosaisch in Worte zu fassen vermag, ist der Autor Benjamin Maack. In seinem Buch “Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein”, spricht Maack über sein Leben mit Depression und setzt statt auf Verdrängung auf die unmittelbare Konfrontation, stellt sich der Herausforderung. Indem er sich in seiner ganzen Fragilität preisgibt, gelingt es Maack, auf Distanz mit sich selbst zu gehen. Er beobachtet sich gewissermaßen von außen, wodurch er zumindest im Rahmen der schriftlichen Verarbeitung aus dem Strudel der Emotionen und Verzweiflung ausbrechen kann. Das ist nicht nur wirklich lesenswert, sondern schafft auch für all jene ein tieferes Verständnis, die selbst nie mit Depressionen zu kämpfen hatten. Und es nimmt Erkrankten die Angst vor dem Stigma, als verrückt erklärt zu werden oder als schwach und fragil, wenn sie sich öffnen. Denn Fakt ist auch, dass psychische Erkrankungen jede und jeden von uns treffen können. Laut Bundesgesundheitsministerium erkranken schätzungsweise 16 bis 20 von 100 Menschen irgendwann in ihrem Leben mindestens einmal an einer Depression oder einer chronisch depressiven Verstimmung. Also rund ein knappes Fünftel. Und insbesondere seit der Corona-Pandemie wissen wir, wie wenig das oft mit unseren eigenen Entscheidungen zu tun hat. Plötzlich fallen bestimmte Aspekte unseres Lebens weg, die uns bislang Sicherheit und Struktur gegeben haben. Für Menschen, die zuvor schon unter psychischen Erkrankungen gelitten haben, kann diese Situation jetzt ganz besonders schlimm sein. Aber auch für alle anderen ist es eine Belastung, weshalb wir unsere Sorgen, Ängste und Gefühle durchaus ernst nehmen sollten. Darum möchte ich am Ende dieser Episode noch kurz auf die Shownotes verweisen, in denen wir unter anderem die kostenlose Telefonberatung der BZgA und das Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe sowie weitere Hilfsangebote für Betroffene sowie Angehörige von Betroffenen verlinkt haben. 
Last but not least, danke ich euch fürs Zuhören. Wenn der Podcast euch gefällt, dann teilt ihn gerne mit Freunden und Bekannten. Außerdem würden wir uns besonders freuen, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt, damit wir weiterhin gute Inhalte für euch kreieren können. Supporten könnt ihr uns ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Das geht schon ab 1€. Alle weiteren Infos findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast.

22. April 2021

„Pinky Gloves“ – oder pinkfragile Männlichkeit

von Marilena 18. April 2021

Eigentlich sollte es heute um etwas ganz anderes gehen, aber, wie es manchmal so ist, kam etwas dazwischen. Etwas Pinkes. Aus Latex. Etwas, von dem die Welt nicht wusste, dass sie es jemals würde brauchen. Und es vermutlich auch nie wird. Was wohl daran liegen könnte, dass “Pinky Gloves”, von denen hier obviously die Rede ist, von zwei Männern “entwickelt” wurde, die, wie es im Kapitalismus allzu üblich ist, mit ihren Perioden-Handschuhen kein Problem lösen wollten, sondern nur weitere geschaffen oder verstärkt haben: Die Tabuisierung und Schamifizierung der Menstruation. Gastautorin Katharina Walser hat in ihrem Beitrag der aufgestauten Wut und Fassungslosigkeit über die Unwissenheit und Verschleierung der Periode einerseits, als auch über den Kapitalismus, der aus Scham Profit zu schlagen versucht, Raum gegeben. 

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► Instagram Profil Yanna Halfering.
► „warum hat instagram das foto einer frau mit menstruationsblut gelöscht?“: Kommentar von Tish Weinstock im vice Magazin.
► “Wie die Intimhygiene-Industrie Frauen verarscht”, Artikel von Katja Lewina bei jetzt .
► Tweet zu Pinky Gloves von Userin Vectoria.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: „Pinky Gloves“ – oder pinkfragile Männlichkeit

Hallo und herzlich willkommen im Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich, euch in der heutigen Episode zu begrüßen. 

Eigentlich sollte es heute um etwas ganz anderes gehen – um Mental Health, also psychische Gesundheit während der Corona-Pandemie. Keine Sorge, die Episode ist natürlich nur vertagt, aber, wie es manchmal so ist, kam etwas dazwischen. Etwas Pinkes. Aus Latex. Etwas, von dem die Welt nicht wusste, dass sie es jemals würde brauchen. Und es vermutlich auch nie wird. Was wohl daran liegen könnte, dass “Pinky Gloves”, von denen hier obviously die Rede ist, von zwei Männern “entwickelt” – wenn man das überhaupt so nennen kann – wurde, die, wie es im Kapitalismus allzu üblich ist, mit ihren Perioden-Handschuhen kein Problem lösen wollten, sondern nur weitere geschaffen haben. Die zwei “Frauenversteher”, Eugen und André, schlagen mit ihrer Jahrhunderterfindung nämlich in eine Kerbe, deren Vertiefung bereits seit vielen Jahrzehnten, insbesondere von Männern, vorangetrieben wird: die Tabuisierung und Schamifizierung der Menstruation. Dieser aufgebauschte Ekel hat sich bei vielen Menstruierenden tief eingebrannt. Insofern ist die heutige Episode auch eine Art “Mental Health Act”. Insofern, als dass Gastautorin Katharina Walser in ihrem Beitrag ihrer aufgestauten Wut und Fassungslosigkeit über die scheinbar noch existierende Unwissenheit und Verschleierung der Periode einerseits, als auch über den Kapitalismus, der aus Scham Profit zu schlagen versucht, Raum gegeben hat.  

Bevor es losgeht, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Denn in die Recherche und Produktion stecken wir eine Menge Zeit und Energie. Damit wir das weiterhin tun können, brauchen wir eure Unterstützung. Das geht zum Beispiel ganz einfach, indem ihr uns einen Betrag euer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Das steht aber auch alles noch mal in den Shownotes. Vielen Dank.

Zu Beginn der Woche, nach einer Runde durch die Zeitung Abonnements, klicke ich mich durch die Instagram Storys von Journalistinnen und Autorinnen, denen ich folge, um mich wie gewohnt auch auf Social Media in aktuellen Diskursen zu orientieren. Dabei entdecke ich einen toten Winkel meiner Mediennutzung wieder: private Fernsehsender. Deren Inhalte sickern meist nur zu mir weiter, wenn etwas allgemeinen Zuspruch bekommt oder einem Skandal gleicht, also Post-Faktor hat. Diesmal ist es mal wieder Skandal, der mich in Form eines Reposts von Yanna Halfering, Redakteurin beim vice Magazin, erreicht. Gezeigt wird ein Bild des Kanals pinky gloves, Repräsentation des gleichnamigen Start-ups, deren Gründer am Montag zu Gast bei der Free TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“ waren und dort im Unternehmer Ralf Dümmel einen Sponsor für ihr Produkt gefunden haben. Das Produkt: Einweghandschuhe aus undurchsichtigem, pinkfarbenem Plastik. Und weiter? Gar nichts weiter. Angewendet soll es werden um Periodenartikel zu entfernen und anschließend darin verschwinden zu lassen. Das soll der große Marketingclou sein. Nach dem Entfernen des Periodenprodukts sollen die Handschuhe umgestülpt werden und anschließend, dafür sorgt eine Art Gefrierbeutel-zipper, luftdicht verschlossen werden. In ihrer Profilbeschreibung auf Instagram schreiben André und Eugen sie produzieren „die clevere Art seinen Tampon zu entsorgen“ und „So fühlst du dich fresh“. In dieser direkten und Vertrauen suggerierenden Ansprache an das vermeintlich bekannte Gegenüber liegt der Ursprungsfehlschluss im gesamten Marketing von pinkygloves: Sie verkaufen sich als „Frauenversteher“. Vom obligatorischen Post zum Internationalen Frauentag bis zur Bildauswahl, die zeigt, wie praktisch ihr Produkt in jede noch so überfüllte Kosmetiktasche passt – sie zeigen deutlich wie überzeugt sie sind etwas gefunden zu haben, dass die Frauen brauchen. Sie erklären, dass die Idee zu den ach-so-notwendigen Handschuhen in der Zeit entstand als Sie in einer „Frauen WG“ wohnten. Ein Begriff der schon für sich eine Erklärung verlangen würde. Ihnen sei nach kurzer Zeit aufgefallen, dass es, „bei der Entsorgung von Binden und Tampons noch keine gute Lösung gibt.“ Woran sie das festmachen? „Um es ehrlich zu sagen, als männliche Mitbewohner waren wir beim Blick in den Badezimmereimer ein wenig … sagen wir ‚verwundert‘. Wir haben dann erfahren, dass unsere Mitbewohnerinnen Probleme mit der Entsorgung von Tampons haben… zuhause und vor allem, wenn sie unterwegs sind.“ Mein erster Impuls: Wer sind diese Frauen? Nach kurzem Nachdenken und mit Blick in die Kommentarspalte verfestigt sich mein Verdacht: Sie sind ausgedachte Figuren im kapitalistischen Kampf um ein Drogerie-Verkaufsregal. Dass die Verwunderung der Männer beim Anblick eines entsorgten Hygieneartikels als Euphemismus für Ekel daher kommt, ist meine zweite Vermutung, die ebenfalls von scheinbar überwältigender Mehrheit in empörten Postings und Kommentaren geteilt wird. Denn von dem alten Toilettenpapier Wickel um den Tampon haben die Herren entweder noch nie etwas gehört oder, was wahrscheinlicher ist: Er ist nicht ausreichend, um die kontaminierende Kraft des entsorgten Tampons einzudämmen. Was da kontaminiert wird, ist bei ihrer ‚Origin Story‘ schnell klar: fragile Männlichkeit, die mit ihrem Produkt sagt: Euer benutzter Tampon muss aus dem Blickfeld verschwinden (daher das blickdichte Plastik), geruchlos sein (daher der Zipper) und ihr müsst auch in der Entsorgung dieses Artikels dem stereotypischen Bild entsprechen, das wir uns von euch gemacht haben (deshalb pink). Aber das Produkt und das Marketing von Damen, die weiße Kleidchen während ihrer Periode tragen und scheinbar an Männergröße angepasste Handschuhmaße, sagen noch mehr: Wir wollen uns überhaupt nicht mit eurer Lebensrealität beschäftigen, sondern lediglich eine Lösung für unser Problem finden. So zeigt auch das Q&A, das die beiden als Highlight gespeichert haben um allen Leser:innen schnell Informationen zu ihrem Start-Up zu liefern, auf allen Ebenen wie Tone Deaf eine solche Vermarktung hinsichtlich des Zeitgeists ist. Aktuelle Diskurse um Periodenarmut werden geradezu verhöhnt, bei einem Päckchen, das 12 Handschuhe zu 2,99 Euro enthält und, nach der Vorstellung der beiden Gründer, nachdem ein Handschuh sowohl zur Entnahme als auch anschließend mit einem zweiten frischen Exemplar auch wieder zur Einführung des neuen Tampons verwendet werden soll, bei den meisten menstruierenden Personen wohl nicht einmal bis Tag 3 der Regelblutung ausreichen würde. Dass ihre Markierung des eigenen Produkts als „nachhaltig“ nur ein müder Witz sein kann, sollte an dieser Stelle auch klar sein. Sie bestehen nach eigener Aussage „aus 100 % Recyclingfähigem Material“. Blödsinn in 2 Schichten: Zunächst kann die Vermarktung eines neuen und überflüssigen Produkts niemals nachhaltig sein, sondern funktioniert nach der alten Leier der Bedürfniserzeugung. Zweitens ist das Produkt spätestens dann nicht mehr recyclingfähig, wenn es seinen angedachten Zweck erfüllt hat, nämlich sobald ein nicht recyclebares Hygieneprodukt darin landet. Und zu guter Letzt sind diese „gloves“ nicht nur in einer pink laminierten Verpackung erhältlich, nein, jeder einzelne Handschuh ist wiederum in ein kleines Plastikteil eingewickelt, als handele es sich dabei um klebende Karamell Bonbons. Der Vergleich zu dem Unternehmen ooia drängt sich geradezu auf, das sich in Herstellung und Marketing von Menstruationsunterwäsche dem Thema Nachhaltigkeit ebenso widmet wie dem „Female Empowerment“ und 2019 ohne einen Sponsorendeal die Höhle der Löwen verlassen hat. Im Übrigen handelt es sich bei der Leitung dieses Unternehmens um zwei Frauen. Doch am stärksten, innerhalb dieser Ignoranz von Bedürfnissen und Interessen menstruierender Personen, fällt ins Gewicht, dass mit der gesamten Selbstinszenierung von pinky gloves ein altes, sehr bekanntes Narrativ antifeministischer Rhetoriken neu entfacht wird: das Märchen um die mangelnde Hygiene im Intimbereich von als Frauen gelesene Personen. Mindestens so alt wie das alte Testament ist diese Vorstellung der Unreinheit der Frau während ihrer Periode, waschen soll sich jeder heißt es darin, der mit dem menstruierenden Körper in Berührung kommt. Und auch heute steht pinky gloves nicht alleine da, Katja Lewina schreibt dazu bei jetzt.de, dass der Großteil der Intimhygiene-Industrie ihre Werbung nach diesem Prinzip auslegt, von der angeblichen Notwendigkeit eines extra entwickelten Waschgels für die Vulva bis zu Parfum Stoffen in Slipeinlagen. 

Der Kampf um die Enttabuisierung der Menstruation ist an dieser Industrie und diesen beiden Herren scheinbar bisher spurlos vorübergezogen. Ein Kampf, der von Künstler:innen öffentlich stärker geführt wird denn je, man erinnere sich an die einschlagende Wirkung der Fotografie, welche die erfolgreiche Lyrikerin Rupi Kaur mit einem Blutfleck zwischen den Beinen auf ihrem Bett zeigt oder auch ganze Kanäle wie der von artbyauntflow widmen sich mit umfangreicheren Fotoprojekten der optischen Repräsentation der Periode und hoffen durch mehr Sichtbarkeit auf größere Toleranz. „Diskret“ soll das ungut riechende und irritierend aussehende Ding nun verschwinden, aber Himmel sei Dank den cis-männlichen Helden der Geschichte, die einem dieses Verstecken der vermeintlich unangenehmen Seite des Frau-Seins endlich leichter machen. Als Ritter inszenieren sich die Herren, ihr nicht so bescheidener Leitspruch dabei: „Let’s change the world for women“.

Mit ihrem Produkt ist maximal einem realen Mangel geholfen: Den Grund für die eigene die Überforderung mit dem weiblichen Körper in einem Versagen der als Frauen gelesenen Person zu verorten; oder: in ihrem bisherigen Versagen sich so unauffällig und gefällig zu machen, dass man wie der Tampon hinter einer Schicht aus Verschleierungsmaterial unsichtbar wird. Das könnte man alles als nichtige Lappalie abtun, 3 Männer, die in ihrem Drang nach wirtschaftlichem Erfolg grandios ins Klo gegriffen haben und sich nun auf allen möglichen medialen Kanälen die Quittung abholen können. Und ja, die Situation entbehrt, besonders wenn man bereits seit längerem in feministischen Diskursen unterwegs ist, nicht einer gewissen Komik. Noch weniger ernst als das Produkt selbst kann man nämlich das Statement der Gründer zu erhaltener Kritik nehmen: Sie freuen sich, dass, quasi dank ihres Fehlers, der Diskurs um die Periode endlich entfacht worden sei und setzen so der eigenen Überschätzung geschwind noch ein Krönchen auf. Freuen könnte und sollte man sich wohl auch über die atemberaubende Gegenwehr, die zu diesem verteidigenden Statement bewegt haben. Die Stimmen dieser Gegenwehr scheinen geschlossen zu rufen: Wir haben genug von der Stigmatisierung und Kapitalisierung unserer Körper! Aber als fader Nachgeschmack bleibt die Frage nach denjenigen, die nicht in diesen Debatten stecken. Wo Wut und die Artikulation dieser Wut nicht die Reaktion auf ein solches Produkt ist, sondern die Verstärkung der Scham. Und dann kommt die Frage, die ich mir eingangs gestellt habe, wieder auf: Wer sind diese Frauen, mit welchen die Gründer angeblich vor Entwicklung ihres Produkts gesprochen haben? Die Sicherheit, mit der ich behauptet habe, dass sie ein reiner Marketingstreich seien, weicht der Sorge darum, dass sie wirklich so fühlen. Nicht weil sie bisher keinen Zugriff auf ein so sinnbefreites Produkt hatten, sondern weil die Angst unpassend und unrein für den ‚Male Gaze‘ zu sein groß genug ist, um dessen Sinn überhaupt infrage zu stellen. Oder, wie die Twitter-Userin Vectoria (@Vektorianisch) schreibt: „Wisst ihr was das Schlimmste an #pinkygloves ist? Mein Teenager-ich hätte es gekauft“. Solange also auf einer so großen und zugänglichen Plattform wie dem Free-TV zur Prime Time alte Männer so einen Deal für eine gute Idee halten mache ich mir Sorgen um die Erreichbarkeit der Inhalte und um meine eigene inhaltliche Blase, in der ich fast schon überzeugt war, dass so ein unverfrorener Sexismus der Vergangenheit angehört

Danke euch fürs Zuhören. Wenn der Podcast euch gefällt, dann teilt ihn gerne mit Freunden und Bekannten. Außerdem würden wir uns besonders freuen, wenn ihr unsere Arbeit als Fördermitglieder unterstützt. Supporten könnt ihr uns ganz einfach via Steady oder, indem ihr uns einen Betrag eurer Wahl an Paypal.me/Sinneswandelpodcast schickt. Das geht schon ab 1€. Alle weiteren Infos findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald im Sinneswandel Podcast. 

18. April 2021

Kann Kunst Gesellschaft verändern? Ja, sagt Beuys!

von Ricarda Manth 23. Februar 2021

Die Gesellschaft als “Soziale Plastik”. Ein Begriff, den der Künstler Joseph Beuys verwendete, um den Aspekt der Gestaltung und das Partizipative hervorzuheben, was er u.a. durch ein Zuviel an Bürokratie bedroht sah. Daher rief er mit seiner Kunst, wie auch mit seinem politischen und gesellschaftskritischen Engagement dazu auf, selbst aktiv zu werden, das eigene kreative Potenzial zu nutzen – im Sinne eines “erweiterten Kunstbegriffs”. In dieser zweiten Episode, anlässlich Beuys 100. Geburtstag, habe ich mit dem Autor und Verleger Rainer Rappmann gesprochen, der den Künstler persönlich kannte.

SHOWNOTES:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder  werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► beuys2021: Programm und Infos.
► Fiu-Verlag.
► Verein Soziale Skulptur.
► Museum Ulm: “Ein Woodstock der Ideen – Joseph Beuys, Achberg und der deutsche Süden”.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

23. Februar 2021

Fortschritt neu denken – wir brauchen neue Narrative!

von Ricarda Manth 18. Februar 2021

Höher, schneller, weiter, besser – hauptsache mehr! So lautet das Narrativ modernen Fortschritts bis heute. Wachstum durch Effizienzsteigerung als Allheilmittel für mehr Wohlstand. Nur hat sich dieser Wohlstand, wie sich herausstellt, nicht ganz ebenmäßig verteilt. Doch nicht nur die soziale Schere klafft immer weiter auseinander. Auch die planetaren Grenzen unserer Erde scheinen maßlos ausgeschöpft. Wir wissen es alle bereits: So kann es nicht weitergehen! Die alten Fortschritts Erzählungen grenzenlosem Wachstums haben ausgedient. In ihrem Essay plädiert Gastautorin Katharina Walser für eine aktive Neubesetzung von Zukunftsvorstellungen. Denn die gegenwärtigen Krisen lassen sich nur mithilfe neuer und nachhaltiger Erzählungen bewältigen.

SHOWNOTES:

Diese Episode wurde gesponsort durch Naturata, welche biologisch erzeugte und fair gehandelte Lebensmittel vertreiben. Auf naturata-shop.de erhaltet ihr bis zum 15.03.2021 mit dem Code „mehralsbio“ 20% Nachlass auf euren Einkauf, ab einem Bestellwert von 40€.

► „Aufschwung des utopischen Denkens“ Sighard Neckel, Deutschlandfunk.
► „Narrative für eine Nachhaltige Entwicklung“ Sascha Meinert, bpb.
► Betty Sue Flowers: „The American Dream and the Economic Myth“.
► „Erzähl!“ Thomas Kniebe, Süddeutsche Zeitung.
► „Was das Modewort ‘Narrativ’ verrät“ Kolumne von Dorothee Krings, Rheinische Post.
► Bruno Latour: „Das terrestrische Manifest“.
► „Deutschland spricht“ Projekt der ZEIT.
► „Utopiastadt“ Wuppertal.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

Transkript: Fortschritt neu denken – wir brauchen neue Narrative!

Höher, schneller, weiter, besser – hauptsache mehr! So lautet das Narrativ modernen Fortschritts bis heute. Wachstum durch Effizienzsteigerung als Allheilmittel für mehr Wohlstand. Nur hat sich dieser Wohlstand, wie sich herausstellt, nicht ganz ebenmäßig verteilt. Der sogenannte “Trickle-Down-Effekt” bleibt aus. Die Armen werden ärmer. Die Reichen unerreichbar. Doch nicht nur die soziale Schere klafft immer weiter auseinander. Auch die planetaren Grenzen unserer Erde scheinen maßlos ausgeschöpft. Wir wissen es alle bereits: So kann es nicht weitergehen! Die alten Fortschritts Erzählungen grenzenlosem Wachstums haben ausgedient. Doch wo sind sie, die “neuen Narrative”? Nur selten ließt oder hört man von Geschichten des Gelingens, von Vorstellungen wünschenswerter Zukünfte, geschweige denn von Utopien. Stattdessen dominieren Untergangszenarien, Apokalypsen und Dystopien den Diskurs. Horrorzahlen verkaufen sich besser. Doch damit muss Schluss sein, argumentiert Gastautorin Katharina Walser. In ihrem Essay plädiert sie für eine aktive Neubesetzung von Zukunftsvorstellungen. Denn die gegenwärtigen Krisen lassen sich nur mithilfe neuer und nachhaltiger Erzählungen bewältigen. 

Am 28. November 2019 ruft  das EU-Parlament den Klimanotstand aus. Ein Beschluss den man heute, 2,5 Jahre später, vor allem als symbolischen Akt deuten kann, denn fundamentale und einheitliche Gesetzgebungen zum Schutze des Klimas lassen nach wie vor auf sich warten. Drei  Wochen nach dem Ausruf des Parlaments ist der Soziologe Sighard Neckel im Deutschlandfunk zu hören. Die Klimakrise beschreibt er  als apokalyptisches Szenario, das im Zentrum einer modernen Wirklichkeitserfahrung steht. Im Zentrum steht sie deshalb, da durch sie „die elementaren Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens, jedenfalls wie wir es bisher gekannt haben, zur Disposition gestellt sind.“ Gerade diese Erfahrung, in der wir erkennen müssen, dass die Art unseres westlichen Lebens ein Ablaufdatum hat, hinterlässt ein umfassendes Gefühl der Verunsicherung – eine Verunsicherung, die wir vielleicht als die moderne Erfahrung schlechthin bezeichnen können.

Ja, es stimmt. Viele Prinzipien unserer Lebensverhältnisse stehen zur Disposition. Wie wir wirtschaften und uns vernetzen wird sich in einer ernst zunehmenden Klimapolitik verändern müssen. Allerdings sind dystopische Zugänge zur Zukunft, die den Fokus auf ein Versagen des Systems richten und ständig eine neue Apokalypse ausrufen, gerade deshalb so verheerend, weil sie nicht anschlussfähig sind. Die Rede von der Endzeit steht ihrem Zweck, nämlich neue und nachhaltige Handlungen hervorzubringen möglicherweise sogar gänzlich entgegen. Weil sie den Blick von Wegen in eine nachhaltige und wünschenswerte Zukunft ablenkt und im schlimmsten Fall Ängste verbreitet, die weiter zu einer Lähmung von Handlungsfähigkeit führen. 

Diese Ängste haben nämlich ganz real-politische Folgen und sind unter anderem, wie Neckel schreibt, auch Auslöser für eine “Sündenbock-Logik”, wie sie innerhalb von identitärer Politik seit Jahren zu beobachten ist. Statt Konzerne und politische Entscheidungsträger:innen in die Verantwortung zu ziehen, werden Vertreter:innen des Klimaschutzes dafür kritisiert, dass sie einem, die vermeintlich so unproblematische Normalität wegnehmen wollen. Ein solches Misstrauen gegenüber Maßnahmen zum Zweck des Klimaschutzes speist sich nach dem Politikwissenschaftler Sascha Meinert aus einer Zukunftsvision von Nachhaltigkeit in deren Zentrum vor allem eines steht: Mangel. Es fehlt an einer Vorstellung von klimagerechtem Handeln, das eine Zukunft des positiven Fortschritts darstellt und nicht im Zeichen des kollektiven Verzichts steht. Die bisherigen europäischen Klimaschutz-Maßnahmen, wie die Bemühungen um einen Green Deal, reichen Neckel zufolge längst nicht aus, um einer solchen Umcodierung einer nachhaltigen Zukunft beizukommen. Er merkt deshalb zurecht an, dass solchen Klimaschutz-Konzepten starke sozialpolitische Entwürfe fehlen und stattdessen ausschließlich auf Marktregulierungen und technologische Innovation gesetzt werde. Die notwendige Reaktion auf ein Zeitalter der Verunsicherung, wie wir es aktuell erleben und das allerhand soziale Spaltungen fördere, sieht er deshalb in einem „Aufschwung des utopischen Denkens“. Im Angesicht der vielfältigen Krisen unserer Gegenwart brauche es daher eine aktive Neubesetzung von Zukunftsvorstellungen! Man muss  anerkennen, so Meinert, dass wir es mit einer allumfassenden „Krise unserer narrativen Umwelt“ zu tun haben. Also mit einer Problemlage, der wir nur mithilfe neuer und nachhaltiger Erzählungen begegnen können.

Ein neues, gemeinsames Narrativ durch das wir Krisen der Moderne überwinden können klingt verlockend, aber: Wie genau sieht sie denn aus, die moderne Krise und was soll eigentlich so ein “soziales Narrativ” sein?

Wer von vielfältigen Krisen der Gegenwart spricht, betrachtet diese Phänomene als voneinander unabhängige Konflikte. Eine solche Vorstellung geht davon aus, dass Klimakrise, die sogenannte Migrationskrise und die pandemische Krise, alle separate Ereignisse wären. Letztlich lassen sich diese Krisenherde jedoch gerade im Hinblick auf die Krise unserer Umwelt unter einem Phänomen subsumieren, das die Literaturprofessorin Betty Sue Flowers als „Mythos des Ökonomischen“ bezeichnet. Dieser Mythos unserer Lebenswelt funktioniert nach den Dogmen der monetären und dinglichen Maximierung, „wobei Mehr stets besser ist als Weniger“. Innerhalb dieses Systems, das nur nach den Prinzipien von „Vorteilsmaximierung und Aufwandsminimierung“ funktioniert, bedeutet gelungene, menschliche Identität vor allem eines: Expansion. Und da sich diese Erzählung des Wachstums insbesondere in international zugänglicher Sprache – nämlich in Zahlen ausbuchstabiert, von Umsatzzahlen bis Aktienkursen, wurde die ökonomische Sinnstiftung zum ersten globalen Narrativ. Dieser globale Mythos bröckelt nun, da zunehmend sichtbarer wird, dass er davon lebt „möglichst effizient auf vorhandene Bestände zuzugreifen, und wenn notwendig – und das ist es oft – von anderen zu nehmen oder von der Zukunft zu borgen, um die eigenen Ansprüche der Gegenwart zu bedienen“. Wenn wir also die Krisen der Gegenwart unter ein Problem, nennen wir es “Ursprungskrise”, zurückdenken wollen, so muss die Begründung unserer Krisenerfahrungen in der fehlerhaften Vorstellung von unbegrenztem Wachstum selbst liegen – in der Krise kapitalistischer Normen. 

Vor diesem Hintergrund plädiert Meinert für einen „Mythos der nachhaltigen Entwicklung“. Gelingen könne ein solches Vorhaben, indem man sich die narrativen Elemente unser Lebenswirklichkeit vor Augen führt und bewusst ein neues Narrativ von Zukunft schreibt. Eine neue Erzählung, in der sich nachhaltige Entwicklung nicht mehr durch ein „Zu Wenig“ oder durch einen „Verzicht“ auszeichnet, sondern mit wünschenswerten Lebensmodellen verknüpft wird und damit als Bereicherung empfunden werden kann. Es müsste gelingen eine solche Zukunft vorstellbar zu machen und Gestalt annehmen zu lassen, um den Weg der regressiven Wiederherstellung von einem veralteten Ideal von ungebremster wirtschaftlicher Expansion eine Alternative zur Seite zu stellen. Was wir also brauchen ist eine neue Rahmenerzählung, in der wir unser Handeln nach wünschenswerten Zukünften neu ausrichten können!

Was heißt es nun aber, ein neues Narrativ zu schaffen?

In den vergangenen Jahren hat der Begriff des “Narrativs” einen geradezu explosionsartigen modischen Aufschwung erfahren. Von politischer Imagepflege der EU bis zu Marketing Kampagnen für große Wirtschaftsunternehmen, alle sprachen sie davon “neue Narrative” schaffen zu wollen. Gerade bei einer solchen Überstrapazierung des Wortes, lohnt sich ein Schritt zurück und der Versuch einer Verhältnisbestimmung dessen, was ein Narrativ überhaupt ist. Ein Begriff, der noch vor einigen Jahren den meisten einfach als schicker, akademischer Ausdruck für Erzählung bekannt war. Tobias Kniebe versucht in der Süddeutschen Zeitung diesen Trend besser zu verstehen und sucht die Antwort in einer negativen Bestimmung des Begriffs. Er fragt erst einmal danach was denn eigentlich nicht narrativ funktioniere und kommt sowohl im Falle der bildenden Künste, als auch der Musik an seine Grenzen. Er stellt fest: “Wo immer Worte, Bilder oder Töne aufeinanderfolgen […] formen unsere inneren Narrationsmaschinen Erzählungen, Geschichten, Entwicklungen, Lebenslinien.“ Der Mensch ist also nicht umgeben von Narrativen, er bringt sie selbst hervor. Bereits die assoziativen Denkmuster unserer  Wahrnehmung betreiben tagtäglich narrative Prozesse. Neue Sinneseindrücke ordnen wir immer wieder aufs neue in unseren eigenen Wissenskanon ein und schreiben so eine Geschichte der Umwelt und unserer Position darin. Der Mensch erzeugt in seiner Suche nach Sinnzusammenhängen seine eigenen Erzählungen von der Welt. Ein Narrativ ist also eine Form der übergeordneten Metaerzählung. Es wird weniger erfunden, als vielmehr geschaffen. Im sozialpolitischen Kontext ist ein Narrativ dann eine große Rahmenerzählung, in der sich das Individuum in sein gesellschaftliches Umfeld einordnen kann. Eine Rahmenerzählung, die als gemeinsames sinnstiftendes Referenzsystem einer Gesellschaft funktioniert. 

Wieso also die Rufe nach Narrativen wenn wir sie doch selbst hervorbringen? Die Germanistin Dorothee Krings betont, dass Modewörter mehr sind als nur nachgemachte schöne Sprache. Ihr Auftreten verrate oft einen Sinneswandel, “der plötzlich Ausdruck findet”. Wenn sich also die öffentlichen Rufe um Narrative verstärken, so ließe das einen direkten Rückschluss auf eine Orientierungslosigkeit der Gesellschaft zu, auf einen Hunger nach Sinn. Eine solche Orientierungslosigkeit oder Verunsicherung, wie ich es zuvor genannt habe, lässt sich im Angesicht des verfallenen Narrativs von grenzenlosem Wachstum zweifelsohne diagnostizieren. 

Wie ist nun mit dem Plädoyer, diesem Aufruf zu neuen Zukunftsnarrativen, umzugehen? Was tun mit der Idee einer Metaerzählung, die sich nicht nur aktiv gegen das Narrativ des Verzichts stellt, sondern sich jenseits des Dogmas von grenzenlosem Wachstum positioniert?  

Ein Konzept, das vielleicht zum nachdenken anregen kann, stellt Bruno Latour in seinem Terrestrischem Manifest vor. Latour plädiert darin für ein neues Selbstverständnis des Menschen auf unserem Planeten, das sich auch in einer neuen Politik niederschlagen müsse. Die zentrale Empfindung, welche auch er der Gegenwart zuschreibt, ist die einer fehlenden „Bodenhaftung“. Ausgelöst sei sie durch die unheimliche Erfahrung, dass der Mensch konfrontiert wird mit einer Welt, in der die Folgen seines Fortschrittstrebens immer deutlicher zutage treten und schlussendlich seine ganze Existenz bedrohen. Das Ziel der Globalisierung zeige immer deutlicher seinen Preis und habe so die große Metaerzählung der vergangenen 50 Jahre erschüttert. Latour kategorisiert im Zuge dieser elementaren Erfahrung der Moderne alle relevanten Fragen der Zukunft als „geopolitische Fragen“ und argumentiert, dass die vermeintlich einzelnen Krisen der Gegenwart unter der Krise des Klimas einen gemeinsamen Nenner finden. So heißt es in seinem Manifest man verstünde nichts „von den seit fünfzig Jahren vertretenen politischen Positionen, wenn man die Klimafrage und deren Leugnung nicht ins Zentrum rückt. Ohne den Gedanken, dass wir in ein Neues Klimaregime eingetreten sind, kann man weder die Explosion der Ungleichheiten [verstehen], noch das Ausmaß der Deregulierungen, weder die Kritik an der Globalisierung noch, [und] vor allem, das panische Verlangen nach einer Rückkehr zu den früheren Schutzmaßnahmen des Nationalstaats“.

Zwischen der Gewissheit, dass es nicht weitergehen kann, wie bisher und auch kein Rückzug in Vergangenes möglich ist, gerät der Mensch auf seinem Kurs ins Straucheln. In die Vorstellung linearen Fortschritts bricht so eine Bedrohung herein, die auf einen früh getroffenen Fehlschluss menschlicher Entwicklung zurückweist. Dieser Fehlschluss begründet sich für Latour in der Trennung von Kultur und Natur bzw. in einer grundsätzlichen Haltung des Menschen außerhalb der Natur zu stehen und unabhängig von Folgen in ihr operieren zu können. Unter dem Begriff des “Terrestrischen” versucht sich Latour also an einer neuen Verhältnisbestimmung zwischen Natur und Ökonomie, Mensch und Ökologie, in welcher die Erde selbst nicht nur als die Objekthafte, sondern als eigene Akteurin gedacht werden muss.

Eine solche problematische Grundhaltung, in der sich der Mensch als von der Welt unabhängig versteht, diskutieren auch einige Naturwissenschaftler:innen und Anthropolog:innen unter dem Begriff des “Anthropozäns”. Ihre These lautet, dass wir  Menschen so prägend in den Lauf der Natur eingegriffen haben, dass wir sogar von einem neuen Erdzeitalter sprechen müssen. Dieses Zeitalter der Anthropozäns, sei dasjenige, welches das Holozän ablöse – jene Jahre, während denen sich die Kultur der Menschen entfaltet hat ohne irreversible Schäden in seiner Umwelt zu hinterlassen!  

Anders jedoch als die Vertreter:innen des Anthropozäns, sieht Latour keine zureichenden Lösungsansätze in einer technischen Gegenbewegung zu den Problemen des Klimawandels, wie sie in den Bereichen des sogenannten “Geoingeneerings” erprobt werden. Es ginge nicht ohne eine radikale Überwindung der Denkmuster, in denen sich der Mensch als  von der Natur abgesondert wahrnimmt. Latour geht es dabei weniger um Innovationen oder schnelle Lösungen unseres Umwelt Problems, als vielmehr um eine Suchbewegung nach einer neuen Sinnhaftigkeit menschlichen Strebens, das sich nicht in der Überwindung einer Krise bestärkt sieht, sondern darin, sich auch über die Krise hinaus neu zu seiner Umwelt zu positionieren.  

Diese Suche nach neuer Sinnhaftigkeit müsste mit  einer neuen Rahmenerzählung menschlichen Strebens, einem Narrativ fern von dem bisherigen, hohlen Wachstumsdogma verbunden sein. Das bedeutet neue Ziele vorstellbarer und mögliche Umsetzungen greifbarer zu machen. Das umfassende Potenzial in einer solchen Neuerfindung des Menschen wird in Latours Argumentation in der Betrachtung deutlich, in welcher er die verschiedenen Krisen, die wir aktuell erfahren, als miteinander verwoben beschreibt. Man muss nicht unbedingt mitgehen, wenn er die pauschalisierende Aussage trifft, dass alle Probleme der Neuzeit von identitärer Politik, bis zu allen Formen von Fluchtbewegungen, ihren Ursprung in der Klimakrise finden. Wenig bestreitbar ist jedoch, dass die Klimakrise mit Besitz- und Verteilungsfragen der Zukunft unauflöslich verstrickt ist. Gerade wenn immer mehr Landstriche der Erde nicht bewirtschaftbar oder unbewohnbar werden.  In diesem unüberschaubaren Geflecht von Problemen müssen wir in Zukunft politisch und sozial am richtigen Faden ziehen, wenn wir auf eine Entwirrung und schließlich Auflösung der Krisen hoffen. Dieser Faden, so Latour, muss seinen Ursprung in der vorherrschenden Vorstellung von  Mensch und Natur finden. Gerade weil die Klimakrise Auslöser für die zentrale Verunsicherung unserer Zeit ist, ließen nachhaltige soziale Zukunftsentwürfe Lösungen für die verschiedensten Krisen der Moderne zu. Es gilt nach dem terrestrischen Manifest nicht eine feste Lösung für Erderwärmung, Migrationsprozesse und identitäre Politik zugleich zu finden, sondern sich auf die Suche nach einem festen Boden zu begeben. Und vor allem anzufangen, in Zukunftsvisionen Strukturen der Sicherheit zu schaffen. 

Strukturen, die sich, wenn sie auf nachhaltigen Erfolg setzen, zunächst in einem gedanklichen Widerstand formulieren müssen. In einem Widerstand, der die gängigen Narrative menschlichen Strebens überdenkt und neue Entwürfe greifbar macht.

Aber wie kann so ein Widerstand in Gedanken Formen annehmen, ein Widerstand, der sich in den Formen der menschlichen Selbstnarration begründet? Wie integrieren wir einen so abstrakten Anspruch  wie den von Latour in unsere Lebenswelt? Dafür müssten die Forderungen nach neuen Narrativen konkrete Gestalt annehmen. Also fragen wir nochmal: Wie schreibt man denn nun ein neues Narrativ?

Zunächst macht es Sinn den Status quo, in dem Verunsicherungen und Ängste verspürt werden kritisch zu hinterfragen. Also die Narrative, in die wir bisher eingeschrieben waren oder es noch sind, zur Diskussion zu stellen. Das kann aussehen wie in Texten, die Dogmen des Wachstums bewusst auf ihre Verbindungen zu unserem alltäglichen Leben hinterfragen, wie es unter anderen Eva Illouz zeigt, wenn sie sich in “Der Konsum der Romantik“ der Frage widmet, wie Paradigmen des Kapitalismus beeinflusst haben wie wir heute lieben. Solche Auseinandersetzungen können konkret fordern, die Verbundenheit von unserer Umwelt und unserem Leben sichtbar zu machen. In diesem Fall hebt die Autorin die Verbindungsstellen zwischen Ökonomischem und Privatem hervor. Aber es reicht nicht Texte zu lesen, die problematische Narrative aufdecken, um einen gesellschaftlichen Wandel in Gang zu bringen. Um den Blick von veralteten Erzählungen hin zu neuen und wünschenswerten Zukünften zu richten, braucht es als zweiten Schritt der Orientierung, gemeinsame Gespräche. Denn wie der Politologe Meinert anmerkt:  Zukunft  „kann nie alleine geschrieben werden“, zumindest dann nicht, wenn sie eine transformative und transregionale Kraft entfalten soll. Das bedeutet auch, dass ein Dialog Format, das bewusst dazu anregen will Zukunft neu zu denken, über soziale Blasen hinaus funktionieren muss. Wie so etwas aussehen kann zeigt zum Beispiel das Deutschland spricht Projekt der Zeit, das seit Sommer 2017 regelmäßig stattfindet. Die Idee dahinter ist, Menschen mit möglichst diversen politischen Interessen und Ansichten zusammenzubringen und zum Dialog zu inspirieren. Die Durchführung dabei ist so simpel, wie überzeugend: Die Teilnehmer:innen beantworten online, ähnlich wie beim Wahlomat, ein paar Fragen zu tagesaktuellen Themen und werden dann einer Person vorgestellt, welche in ihrer Nähe wohnt, jedoch möglichst andere Ansichten vertritt. Mit solchen Dialog Formaten könnte ein gemeinsamer und gesellschaftlicher Denkprozess in Gang gesetzt werden, indem Zukunftsvorstellungen unter Einbezug von möglichst diversen Wünschen und Perspektiven in Gedanken Gestalt annehmen. Um diese Transformation greifbar und vor allem erfahrbar zu machen, braucht es eine gesellschaftliche Praxis, ein Austesten von Gestaltungsmöglichkeiten, gewissermaßen explorative Begegnungsräume, in denen man üben kann Zukunft neu zu formen. So könnte man der allgemeinen Unsicherheit gegenüber einer unsicheren Zukunft erfahrbare Alternativen zu Seite stellen. Bei einer solchen Praxis müsste es dann vor allem darum gehen, sich neu in der Gegenwart zu orientieren und einen gemeinsamen „Referenzrahmen“ für die eigenen Handlungen zu schaffen. Eine solche Vorstellungs-Praxis könnte aussehen, wie es unter dem Namen Utopia Stadt bereits seit einigen Jahren erprobt wird. Aus einem restaurierten und umfunktionierten Bahnhofsgelände in Wuppertal ist dort ein Ort entstanden, der Projekten der Nachhaltigkeit, wie gemeinsamer Agrarfläche oder Upcycle Konzepten, ebenso einen Raum bietet, wie Salongesprächen und Vorlesungsreihen.  Fragen der Nachhaltigkeit und der transformativen Gesellschaft werden hier als Gemeinsame gedacht. Die Verwobenheit der verschiedenen Aufgaben der Gegenwart wird dort im wahrsten Sinne zusammengeführt und in der Praxis mit Bürger:innen gemeinsam neu geformt.

Nachdem die alte gemeinsame Erzählung von Wachstum an allen Enden auseinanderbricht, täte ein gedanklicher Reset gut, von dem aus wir neue Geschichten wünschenswerter Zukünfte erzählen können. Dafür braucht es Orte, in denen wir Zukünftiges zusammen denken können und Räume, in denen wir uns in der gemeinsamen Erprobung von neuen Zukunftsvisionen wieder auf einen festen Boden stellen können. Vielleicht wären es diese Orte, wo wir gemeinsam neue Zukünfte denken können, an denen wir den Anfang machen von einem gedanklichen Sinneswandel zu neuen Paradigmen unseres menschlichen Zusammenlebens und der Interaktion mit unserer Umwelt.

Wie euch vielleicht aufgefallen ist, hat diese Episode einen Sponsor. Das liegt daran, dass wir finanziell noch nicht ganz auf eigenen Beinen stehen. Natürlich wünschen wir uns, dass Sinneswandel eines Tages 100% werbefrei arbeiten kann. Aber, dafür brauchen wir eure Unterstützung! Unser Ziel sind zunächst 1.500€ monatlich. Das klingt erstmal viel, ist es jedoch nicht, wenn man bedenkt, dass wir alle, die am Podcast beteiligt sind, wie Redakteure, Autor:innen und Produzenten, für ihre Arbeit honorieren möchten. Daher freuen wir uns, wenn ihr uns etwas unter die Arme greift. Unterstützen könnt ihr uns via paypal.me/sinneswandelpodcast oder via Steady. Mehr dazu in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald!

18. Februar 2021

Jeder Mensch, ein Künstler – Was macht Beuys aktuell?

von Ricarda Manth 11. Februar 2021

„Kunst ist die einzige Kraft, die die Menschheit von jeglicher Unterdrückung befreit“, so der Künstler Joseph Beuys. Dabei wollte er die Kunst keinesfalls auf das Schwingen eines Pinsels reduziert wissen. Für Beuys war sie weitaus mehr: Kunst, als die Grundlage allen Gestaltens und damit auch das der Gesellschaft, wenn man sie als “soziale Plastik” begriff. Angesichts Beuys 100. Geburtstag, der in diesem Jahr stattgefunden hätte, wollen wir sein Denken und Schaffen in die Gegenwart holen. Was macht Beuys auch, oder gerade heute aktuell? Wir sprechen u.a. mit Menschen, die Beuys persönlich kannten, genauso, wie mit Künstler*innen, die im weitesten Sinne in seine Fußstapfen treten. Den Anfang des Beuys-Spezials macht Bettina Paust, Leiterin des Wuppertaler Kulturbüros und davor langjährige künstlerische Direktorin des Joseph Beuys Archivs Schloss Moylands. 

Shownotes:

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder  werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

► beuys2021: Programm und Infos.
► Utopiastadt: Zukunftsort und Kreativprojekt in Wuppertal.
► Joseph Beuys-Handbuch – Leben Werk Wirkung erscheint im Juli 2021 im metzler Verlag.
► Wuppertaler Performance Festival im Rahmen von beuys2021.

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

11. Februar 2021
Neuere Beiträge
Ältere Beiträge

Kategorien

  • Episoden (168)
    • Allzumenschliches (72)
    • Mensch & Natur (33)
    • New Economy (24)
    • Zukünfte denken (28)
    • Zusammenleben gestalten (75)

Schlagwörter

Achtsamkeit Aktivismus Antirassismus Arbeit Bildung Corona Demokratie Digitalisierung Diversity Ernährung Feminismus Freiheit Gefühle Geld Gemeinwohl Gender Gesundheit Grenzen Identität Intersektionalität Journalismus Kapitalismus Klimawandel Konsum Kultur Kunst Leistungsgesellschaft LGBTQ Liebe Mental Health Nachhaltigkeit Natur New Work Philosophie Politik Selbstentfaltung Sexualität Sinn Sinneswandel Social Media Sprache Technik Utopie Wirtschaft Zukunft
  • Spotify
  • RSS

Copyright Marilena Berends © 2024 | Impressum | Datenschutzerklärung | Kontakt

Diese Website benutzt Cookies. Wenn du die Website weiter nutzt, gehen wir von deinem Einverständnis aus.OKNeinDatenschutzerklärung