sinneswandel.art
  • Home
  • Podcast
  • Episoden
    • Allzumenschliches
    • Mensch & Natur
    • New Economy
    • Zusammenleben gestalten
    • Zukünfte denken
  • Unterstützen
  • Über
sinneswandel.art
  • Home
  • Podcast
  • Episoden
    • Allzumenschliches
    • Mensch & Natur
    • New Economy
    • Zusammenleben gestalten
    • Zukünfte denken
  • Unterstützen
  • Über

Philosophie

Rebekka Reinhard: Wie gelingt uns Vielfalt im Denken?

von Marilena 3. November 2020

In unsicheren Zeiten wächst die Sehnsucht nach Einfachheit und Entweder-oder-Denken. Das ist verständlich, aber nicht zeitgemäß, argumentiert die Philosophin Rebekka Reinhard. Unsere Vernunft wach zu machen und offen zu sein für das Vieldeutige und Widersprüchliche, weitet unseren Blick für andere Möglichkeiten – und für Reichtum und Schönheit einer vielfältigen Welt. Das »wache Denken« begegnet der Vereinfachung mit einer Lust am Spiel, am Experiment, am Wagemut. Und das brauchen wir, laut Rebekka Reinhard, heute dringend, um zu neuem Wissen zu finden, zu einer intelligenten Verbindung von Verstand und Emotion, von Hirn und Herz.

Shownotes:
► Wach Denken: Für einen zeitgemäßen Vernunftgebrauch von Rebekka Reinhard. Erschienen 09/2020 im Verlag der Körber Stiftung.
► Mehr von und über Rebekka Reinhard auf ihrer Website.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

3. November 2020

Verschwörungstheorien – eine Form menschlicher Daseinsbewältigung?

von Marilena 29. Oktober 2020

Während sich in der Corona-Pandemie weltweit Verunsicherung breit macht, liefert diese den perfekten Nährboden für den Glauben an Verschwörungstheorien. Da sie scheinbar klare Antworten auf Unsicherheiten geben. Sie lösen allen Nebel auf und verwandeln ihn in vermeintliche Sicherheit. Der Mensch lebt, laut Nietzsche, in subjektiven und selektiven, ihm dienlichen Illusionen, um das Leben aushalten zu können. Die Wahrheit stellt für ihn “eine im allgemeinen Interesse anerkannte Lüge” zur gemeinsamen Daseinsbewältigung dar. Dies scheint auch für Verschwörungsnarrative, mit ihren suggestiven Rahmen, der eine aus den Fugen geratene Welt wieder ins Lot bringt, zu gelten. Wenn es in der Gegenwart schon nicht mit rechten Dingen zugeht, dann wenigstens im Falschen.

Shownotes:

Diese Episode wird präsentiert von Blinkist. Unter Blinkist.de/sinneswandel erhaltet ihr 25% Rabatt auf das Abo Blinkist Premium.

► „Wie ein Buschfeuer im Kopf“: ZEIT Interview mit Michael Butter über Verschwörungstheorien.
► „Hier walten geheime Mächte“: ZEIT Artikel von Thomas Assheuer über Verschwörungstheorien in den USA.
► Friedrich Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne.
► Leo Löwenthal: Falsche Propheten Studie von 1949.
► Dead and Alive: Beliefs in Contradictory Conspiracy Theories Michael Studie von J. Wood, Karen M. Douglas, Robbie M. (2012).
► So erkennt man Verschwörungstheorien: Leitfaden der Europäische Kommission.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art


Transkript: Verschwörungstheorien – eine Form menschlicher Daseinsbewältigung?

Mit Ausbruch des Corona-Virus Anfang des Jahres, entwickelte sich die Epidemie schnell zu einer Pandemie. Und beinahe zeitgleich verbreiteten sich zahlreiche Verschwörungstheorien rund um die Entstehung von Covid-19: Da ist einerseits der Glaube an die Übermacht von Bill Gates, der angeblich vorhat jeden Menschen zwangsimpfen zu lassen . Zugleich kursiert das Gerücht, das 5G-Netz sei an der Verbreitung des Coronavirus Schuld. Und dann sind da natürlich noch die QAnon Anhänger:innen zu nennen, die derzeit wohl populärste und meist diskutierteste Verschwörungstheorie, die insbesondere auf Demos gegen Corona-Maßnahmen verbreitet wird. QAnons glauben daran, US-Präsident Trump werde als Messias die Welt vor einem satanischen Kult aus Pädophilen und Kannibalen erlösen. Klingt nach einer absurden Geschichte, scheint aber dennoch anschlussfähig für Demokratiefeinde, Rechtsextreme und Antisemiten zu sein. Bunte Fähnchen, mit denen QAnons häufig auftreten, sollten also nicht darüber hinwegtäuschen, dass dahinter häufig antidemokratische Tendenzen stecken, die alles andere als harmlos sind. Nun ist es allerdings nicht so, dass es Verschwörungstheorien erst seit Ausbruch von Covid-19 gäbe. Bereits seit Jahren wird über einen möglichen “Inside Job” also einer Verschwörung hinter 9/11, dem Anschlag auf das World-Trade-Center in New York, debattiert. Auch das Gerücht, die Erde sei eine flache Scheibe, hält sich nach wie vor hartnäckig und wird von sogenannten Flath-Eathlern emsig verbreitet. Ebenso, wie einige Menschen davon überzeugt sind, Chemtrails, also das Auftreten vermehrter Kondensstreifen am Himmel, entstehen durch gezielt in die Atmosphäre eingebrachte Chemikalien, die uns beeinflussen und möglicherweise vergiften sollen. Und so ließe sich die Liste ins beinahe Unendliche fortführen. Der Amerikanist und Forscher zu Verschwörungstheorien, Michael Butter, schreibt in einerm Interview mit der ZEIT: “Verdächtigungen und auch echte Verschwörungen gab es wohl schon immer, aber die klassische Verschwörungstheorie ist etwas anderes. Der Philosoph Karl Popper hat in ihr eine Antwort auf die Entzauberung der Welt durch die Aufklärung und den verwaisten Himmel gesehen – das bringt ihren Ursprung deutlich näher an die Gegenwart. Nicht mehr der liebe Gott zieht in solchen Theorien die Strippen, so Popper, sondern eine böse Macht.” Willkommen im postfaktischen Zeitalter.

Ist unsere aktuelle Epoche also quasi prädestiniert, gerade zu anfällig für solcherlei Verschwörungstheorien? Greift der Mensch vielleicht sogar aufgrund seiner geistigen Veranlagung auf diese zum Teil wilden Fantasien zurück? Als eine Form der  Daseinsbewältigung? 

Für den Philosophen Friedrich Nietzsche existiert keine Wirklichkeit, außer jene, die wir selbst erschaffen. Alle Wirklichkeit ist unsere. Unsere, im Sinne unserer Kulturleistung. Für Nietzsche ist der Mensch ein Illusionist, in dem Sinne, als dass er niemals der Wirklichkeit, als objektive Wirklichkeit verstanden, gewahr wird, sondern sie stets als Abbild, als Übertragung – oder, wie Nietzsche es nennt, als “Metapher” – wahrnimmt. So, wie ein Wort für ihn “die Abbildung eines Nervenreizes in Lauten” darstellt, die rein willkürliche Übertragung in Bilder, und aus ihnen nachgeformten Lauten, ist für ihn die durch den Mensch rezipierte Wirklichkeit eine Reduktion – oder vielmehr eine Illusion. Eine Illusion, ohne welche der Mensch, so Nietzsche, nicht lebenstauglich wäre. Dies ist es, was er versucht zu umschreiben, wenn er von dem “ästhetischen Fundamentaltrieb zur Metapherbildung” spricht. Nietzsche zufolge ist das Leben nur möglich “durch künstlerische Wahnbilder”. Jegliche sprachliche Erzeugung von Bedeutung stellt für ihn eine künstlerische Leistung dar. Damit ist die Wirklichkeit selbst das Gesamtkunstwerk, das der Mensch in seinem existentiellen Bedürfnis hervorbringt, um sich das Leben durch förderliche Illusionen erträglich zu machen. Erträglich zu machen, bedeutet für Nietzsche, dass der Mensch ohne die Illusionen, ohne die ‘Lügen’, die er sich über die Wirklichkeit erzählt, nicht existieren könnte. Kultur stellt für ihn die lebensdienlichen Alternative zur Wahrheit dar. Der Mensch lebt in subjektiven und selektiven, ihm dienlichen Illusionen, um das Leben aushalten zu können. Die Wahrheit ist für ihn “eine im allgemeinen Interesse anerkannte Lüge” zur gemeinsamen Daseinsbewältigung. ‘Die Wahrheit’ gibt es für ihn nicht, zumindest nicht als absoluten Maßstab unserer Erkenntnisse. Damit erhebt Nietzsche die ‘Lüge’ über die Wahrheit, insofern als dass sie Ausdruck schöpferischen Willens ist, der den Menschen am Leben erhält. Ein umgedrehter Platonismus, der das Leben als Schein, als künstlerische ‘Illusion” zum Ziel hat. Der Mensch ist, so Nietzsche, ein “gewaltiges Baugenie”. Und das Leben selbst in seinen elementaren Formen, enthält für ihn eine künstlerische Potenz, die sich in der Kultur zu einer eigenständigen Sphäre entwickelt.

Der Mensch, ist also notgedrungen ein Künstler, wenn man den Worten Nietzsches Glauben schenkt. Eine ähnliche Meinung vertritt auch der Journalist Thomas Assheuer, dessen Artikel ich kürzlich im Feuilleton der ZEIT gelesen habe. Darin schreibt dieser: “Verschwörungsnarrative [fallen] immer dann auf fruchtbaren Boden, wenn der psychische Apparat des Einzelnen mit einer verwirrend komplexen Gegenwart überfordert ist, genauer: wenn es dem Einzelnen unmöglich ist, seine Krisenwahrnehmungen in ein sinnvolles Schema ‘einzulesen’, und er das Gefühl bekommt, dem Weltgeschehen wehrlos ausgeliefert zu sein. […[ Verschwörungsgeschichten versprechen Abhilfe […] Dafür basteln sie einen suggestiven Rahmen, der eine aus den Fugen geratene Welt wieder ins Lot bringt und ‘verständlich’ macht. Wenn es in der Gegenwart schon nicht mit rechten Dingen zugeht, dann wenigstens im falschen.” 

Da haben wir sie also, die Illusion, die ‘Lüge’, die über die Wahrheit erhoben wird. Zum Zwecke der eigenen Daseinsbewältigung in einer gefühlt immer undurchdringlicher erscheinenden Welt. Assheuer zufolge wirken Verschwörungstheorien gar  therapeutisch:  “Sie antworten auf Ohnmachtserfahrungen und verschaffen ihren Anhängern die grimmige Genugtuung, für einen Moment die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen und endlich gehört zu werden.” Während sich in der Corona-Pandemie also weltweit Verunsicherung breit macht, liefert diese einen perfekten Nährboden für den Glauben an eine Verschwörungstheorie. Da sie scheinbar klare Antworten auf die Unsicherheit geben. Sie lösen allen Nebel auf und verwandeln ihn in Sicherheit. Auch, wenn diese zwar oft nicht weniger dunkel und bedrohlich erscheint, weiß man wenigstens was los ist. Assheuer vermutet zudem, dass Verschwörungstheorien “weniger von der Klassenlage genährt [werden], als von elementaren ‘Nöten und Bedrängnissen’. Dazu gehört die Angst vor Status- und Kontrollverlust. Und die Sorge, im gnadenlosen ökonomischen Konkurrenzkampf aussortiert zu werden. […] ein Gefühl von Ohnmacht und Verunsicherung, […] verstärkt durch den Zerfall familiärer Geborgenheit und das Schwinden ‘moralischer Maßstäbe’.” “Genau von dieser Malaise, vom Zustand ‘permanenter Unsicherheit’, würden Propheten angezogen ‘wie die Fliegen vom Misthaufen’”. So attestierte es bereits 1949 der Soziologe Leo Löwenthal in seiner Studie mit dem Titel “Falsche Propheten”.

Der Wunsch nach Sicherheit, nach einem Halm, an dem man sich zumindest ein wenig festhalten kann, erscheint da durchaus verständlich. Vor allem, wenn hinzukommt, dass das altbewährte Freund-Feind-Schema immer mehr versagt oder stattdessen fallweise von Tag zu Tag neu justiert werden muss. “Keine erklärende […] Fortschrittserzählung macht die Chronik des Weltgeschehens narrativ verständlich”, schreibt Assheuer. Also wird sich ein eigenes Narrativ zusammen gedichtet. Und die Verschwörungsfabel QAnon zum neuen Sortierschema, welche das Geschehen im globalen Irrenhaus ‘sinnvoll’ einordnen soll, erklärt. Der Verschwörungsexperte Michael Butter erklärt sich solche Verhaltensweisen durch das urmenschliche Bedürfnis, aus losen Einzelheiten Muster zu bilden und Kausalzusammenhänge herzustellen. Auch wenn diese oft gar nicht existieren. Außerdem tendieren wir häufig dazu, Informationen danach auszuwählen, was in das eigene Weltbild passt. Alles andere wird einfach ausgeblendet.

Interessant dabei ist, dass eine solch selektive Wahrnehmung auch den Wissenschaften nicht völlig fremd ist. Auch eine wissenschaftliche Theorie beruht auf Annahmen, die teilweise bestimmte Aspekte bewusst ausblenden. Ein Unterschied besteht jedoch, wenn Fakten oder Hinweise auftauchen, die die Theorie widerlegen können. Denn das kann und soll sogar so sein: Eine Theorie muss widerlegbar sein. Alles andere, so der Philosoph Karl Popper, einer der wichtigsten Vertreter der Erkenntnistheorie, könne man nicht als Theorie bezeichnen. Wohl eher als Ideologie. Verschwörungstheorien nutzen demnach Argumente, die gegen eine wissenschaftliche Theorie sprechen. So verwendet Donald Trump beispielsweise gerne und oft die Floskel  „A lot of people are saying …“, um über konspirative Ideen zu sprechen. So haben die amerikanischen Wissenschaftler Nancy Rosenblum und Russell Muirhead aus Princeton auch ihre Studie genannt, in der sie Trumps Technik als „conspiracy without theory“ beschreiben, also als Verschwörung ohne Theorie. Das heißt: Es gibt nur noch die Behauptung, keine Herleitung mehr und schon gar keine Belege. Das, was nach ihrer Logik bewiesen werden kann, wird als Wahrheit bezeichnet. Die empirische Wissenschaft hingegen geht nur so lange davon aus, dass etwas wahr ist, bis es falsifiziert, also widerlegt wurde. Die Gravitation beispielsweise, konnte bisher niemand beweisen. Widerlegen konnte sie allerdings auch noch keiner. Daher ist und bleibt sie eine aktuell gültige Theorie. Lange Rede, kurzer Sinn: eigentlich sollten wir Verschwörungstheorien gar nicht erst als solche bezeichnen. Auf diese Weise sprechen wir ihnen etwas zu, das ihnen eigentlich gar nicht zuteil werden sollte – nämlich den Anspruch einer Theorie gerecht zu werden. Thomas Assheuer verwendet beispielsweise in dem ZEIT Artikel stellenweise den Begriff “Verschwörungsnarrative” als Alternative, nehme ich an.


[Werbung] 

Keine Sorge, es geht gleich weiter. An dieser Stelle möchte ich euch den Sponsor dieser Episode kurz vorstellen. Bestimmt habt ihr, wenn ihr gerne lest, schon einmal von ihnen gehört: Blinkist. Blinkist ist eine App für das Smartphone, die Kernthesen unterschiedlichster Sachbücher in 15 Minuten kurz und knackig zusammenfasst. Ihr könnt aus einer Auswahl von rund 3.000 Büchern, auf Deutsch und Englisch, schöpfen. Aus den Bereichen Philosophie, Politik, Psychologie, Geschichte und vielen weiteren. Jede Woche kommen etwa 40 neue Blinks hinzu. Und falls ihr nach der Zusammenfassung tiefer in das Thema einsteigen wollt, gibt es nun auch Hörbücher in voller Länge auf Blinkist. 

Ich finde das recht praktisch, da ich mir auf diese Weise einen kurzen Eindruck verschaffen kann, ob mich ein Buch inhaltlich interessiert, bevor ich mich diesem dann ggf. in ganzer Länge widme. Denn, wenn wir mal ehrlich sind, die Leseliste wird nicht kleiner, sie wächst eher. Blinkist kann da auf jeden Fall ein bisschen Erleichterung schaffen.

Im Moment gibt es eine Aktion ausschließlich für Hörer:innen des Sinneswandel Podcast. Auf BLINKIST (B-L-I-N-K-I-S-T) punkt DE slash Sinneswandel  erhaltet ihr 25% Rabatt auf das Jahresabo Blinkist Premium. Die ersten 7 Tage könnt ihr alles ausgiebig kostenlos testen. Den Link blinkist.de/sinneswandel findet ihr auch in den Shownotes. Jetzt geht es weiter im Kontext.


Ein weiterer Grund, weshalb wir vielleicht eine Hochkonjunktur der Verschwörungsgeschichten erleben, könnte auch an der wachsenden Geschwindigkeit ihrer medialen Verbreitung liegen. Man kann beobachten, wie unfassbar schnell sie heute im Netz kursieren und wie schwer sie sich eindämmen lassen. Eine lange „Beweisführung“ scheint wohl einfach nicht zum Charakter der sozialen Medien zu passen, wo weder Platz noch Zeit für so etwas ist. Die Theorie wird hier zum Verschwörungsgerücht verkürzt. Viele beginnen mit der Frage: “cui bono”, also, wem nützt das? Danach werden atemberaubende Indizienketten rückwärts gesponnen. Ganze Forschungsprojekte, so Michael Butter, zeichnen die Wege nach, auf denen Verschwörungsideologien von einem Twitter-Account zum nächsten wandern, ganz ähnlich wie bei der Rekonstruktion einer Ansteckungskette. Widersprüche untereinander scheinen Menschen, die solche Ideen vertreten, allerdings eher selten zu irritieren. Wichtiger ist, dass die Geschichten der sogenannten „offiziellen“ Version der breiten Mitte entgegenstehen. Immer wieder werden neue Vorfälle in den vorhandenen Rahmen eingebettet, sodass er zur gesamten Verschwörungserzählung passt. Besonders eindrücklich ist auch das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2012, nach der die Wahrscheinlichkeit, an eine Verschwörungstheorie zu glauben, wenn man auch an andere Verschwörungstheorien glaubt, deutlich steigt. Wer demnach beispielsweise offen für Impffantasien ist, könnte sich potentiell auch von QAnon Gedanken inspiriert fühlen. Der gemeinsame Kern ist ein grundsätzliches Misstrauen, das sich stets gegen bestimmte Menschen oder Gruppen richtet. Ob Bill Gates, China, die “Wirtschaftseliten” – die Bestätigung eines Feindbildes machen sie besonders attraktiv. Denn es ist leichter, anzunehmen, dass eine bestimmte Gruppe hinter dem Übel der Welt steckt, als zu akzeptieren, dass auch grundlos Übel in der Welt existiert. Die Verschwörung schafft einen Sündenbock, der auch die Gläubigen selbst entlastet. Die Rollen sind klar verteilt. Zudem bringt ein Feindbild immer auch die Hoffnung mit sich, dass die “Bösen” eines Tages zu besiegen seien. 

Nun stellt sich natürlich die Frage: Wie damit umgehen? Wie begegnet man Menschen, die an solche teilweise obskuren Verstrickungen glauben? Was, wenn sogar Freunde oder  Familienmitglieder sich für Verschwörungsideen öffnen? Und wir diese uns nahestehenden Personen nicht einfach ignorieren oder als “Spinner” abtun können und wollen. 

Es gibt eine Reihe empirischer Studien, die zeigen, dass solche Menschen noch fester an ihre vermeintlichen “Theorien” glauben, wenn man sie mit schlüssigen Gegenbeweisen konfrontiert. Die Konstruktionen sind, wie wir von Nietzsche wissen, wichtig für ihr Selbstbild. Gegenargumente bringen ihre Identität ins Wanken, weshalb sie Belege gegen die Verschwörung in Belege für sich selbst umwandeln. Aus diesem Grund sind Verschwörungsgeschichten auch so schwer zu widerlegen, weil jeder, der es versucht, sogleich in den Verdacht gerät, selbst Teil dieser Verschwörung zu sein. Mit Fakten allein kommt man da selten weiter. Weshalb Verschwörungsexperte Michael Butter stattdessen empfiehlt, lieber Fragen zu stellen. zum Beispiel nach der Glaubwürdigkeit der Quellen oder nach Widersprüchen. Zudem spricht er sich dafür aus, dass eher aufgeklärt, als nachträglich zensiert oder gelöscht werden sollte.  Sprich, dass wir sachlich darüber informieren, wie Verschwörungstheorien aufgebaut sind, wie sie argumentieren, welche Muster sich erkennen lassen. Auf der Website der Europäischen Kommission ist beispielsweise ein ausführlicher Leitfaden zu finden. Diesem zufolge sollte man sich die drei folgenden Fragen stellen, wenn man die Vermutung hat mit einer einer Verschwörung konfrontiert zu sein: Erstens, ist die “Theorie” widerlegbar? Zweitens, gibt es Argumente, die mich vom Gegenteil überzeugen würden? Drittens, stehen die Annahmen in grundsätzlicher Übereinstimmung mit naturwissenschaftlichen Gesetzen? Lässt sich mindestens eine dieser Fragen mit „nein“ beantworten, ist man womöglich einer Verschwörung auf der Spur.  

Grundsätzlich hat natürlich jeder Mensch das Recht darauf, seine Meinung zu äußern und zu vertreten, und sei es eine Abwegige. Aber nicht jede Meinung muss millionenfach verbreitet und diskutiert werden. Und, wenn doch, dann sollten wir zumindest unsere Wortwahl beachten. Ein Herunterspielen, in die Lächerlichkeitziehen oder Anfeinden von Verschwörungsgläubigen zieht den Graben vermutlich nur noch breiter. Lässt diese Menschen gar noch mehr von ihren Ideen überzeugt sein. Weil sie ihnen einen gewissen Halt in ihrer Angst geben, den sie sich nicht so schnell nehmen lassen. Wer schon einmal versucht hat einen solchen Menschen von einer anderen Realität zu überzeugen, weiß wovon ich spreche. Es ist ein wenig zum Haare raufen. Jedes Argument, das man anbringt, scheint einem im Munde verkehrt zu werden und sich gegen einen selbst zu richten. Die Europäischen Kommission empfiehlt dennoch das offene Gespräch zu suchen und insbesondere detaillierte Fragen zu den vermeintlichen “Theorien” zu stellen, um eine Selbstreflexion anzuregen. Man solle behutsam vorgehen und eine Vielzahl von Quellen rund um das Thema nennen. Einfühlungsvermögen zeigen, auch, wenn es schwer fällt. Und keinen Druck ausüben. Dann kann es gelingen. Dass das Gegenüber die wild konstruierte Realität zugunsten der “allgemein anerkannten Wirklichkeit” aufgibt. Und nicht zuletzt kann es natürlich nicht nur ein individuelles Aufeinanderzugehen sein, sondern es sollte zugleich auch auf systemischer Ebene dafür gesorgt werden, dass Menschen gar nicht erst das Bedürfnis verspüren, sich in derlei Phantasien, die zum Teil Menschenleben und Demokratie gefährden, flüchten. Bereits Leo Löwenthal fragte sich damals, ob, wie er es ausdrückte, “die Verrückten eine Unvernunft in den Verhältnissen [spüren], die jene, die in der kapitalistischen Tretmühle gefangen sind, nicht spüren?” Natürlich heißt das nicht, dass jede Angst und Sorge rational begründbar ist – oft ist wohl eher der Gegenteil der Fall – und es rechtfertigt auch nicht das zum Teil menschenfeindliche Gedankengut einiger Anhänger:innen. Nichtsdestotrotz können und sollten die Ängste dieser Menschen nicht bloß abgetan werden, sondern können ein weiteres Argument dafür bieten, den Status quo immer wieder in Frage zu stellen. In welcher Gesellschaft wir aktuell leben und zukünftig leben wollen. Was Menschlichkeit, Solidarität und Gerechtigkeit beispielsweise für uns bedeuten. Und, wie wir zu einem Miteinander beitragen können, das auf Mitgefühl und nicht auf Konkurrenz baut. Wie Nietzsche sagt, der Mensch ist ein “gewaltiges Baugenie”. Was auch bedeutet, dass er neue Realitäten erschaffen kann. Und im besten Fall sind das geteilte Narrative lebenswerter Zukünfte, in denen sich möglichst viele Menschen wiederfinden können.      


Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, ihr konntet etwas aus der Episode mitnehmen. Wenn euch diese Episode gefallen hat, teilt sie gerne mit Freunden, Kollegen oder Verwandten. Werbeeinbindungen und nur solche, die wir mit gutem Gewissen vertreten können, werden übrigens eine absolute Ausnahme im Podcast bleiben. Solange Sinneswandel allerdings finanziell noch nicht auf festen Beinen steht, hoffen wir auf euer Verständnis. Wenn ihr uns als Fördermitglieder unterstützen wollt, dann freuen wir uns natürlich. Ganz einfach geht das via Steady oder Paypal.me/sinneswandelpodcast. In den Shownotes ist wie immer alles verlinkt. Auch alle Quellen zum Nachlesen. Vielen Dank fürs Zuhören und bis ganz bald.

29. Oktober 2020

Elisabeth von Thadden: Vereinsamen wir unfreiwillig?

von Marilena 15. Oktober 2020

Abstand wahren, Kontakte einschränken, Körperkontakt vermeiden. Gerade die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf unser Miteinander, hat uns zwei Dinge vor Augen geführt: Ersten, wie wichtig und überlebensnotwendig Berührungen für uns Menschen sind. Und zweitens, wie verletzbar wir doch als leiblichen Wesen sind. Sehnsucht nach Abstand. Angst vor Einsamkeit. Diese Ambivalenz scheint dem Bedürfnis nach Nähe und Berührung innezuwohnen – aber, was bedeutet das für den Menschen?

In Ihrem Buch „Die berührungslose Gesellschaft“ stellt sich die Journalistin und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth von Thadden eben diese Frage. Und versucht zu ergründen, wie individuelle Freiheiten, der Wunsch nach Nähe, Solidarität und gesellschaftliches Miteinander in einer immer schnelllebigeren Welt miteinander vereinbar sind.

Shownotes:
► Die berührungslose Gesellschaft von Elisabeth von Thadden. Erschienen 2018 im C.H.Beck Verlag.
► Elisabeth von Thadden ist verantwortliche Redakteurin des Feuilleton der ZEIT und schreibt hier.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

15. Oktober 2020

Ich poste, also bin ich? Instagram und das Selbst

von Marilena 1. Oktober 2020

‘Identität’ ist die Antwort auf die Frage “Wer bin ich”. Es ist der Prozess der Seins-Werdung, um seinen Platz in der Welt zu finden, der so bezeichnend ist für uns Menschen. In den hiesigen Zeiten wird diese Entwicklung nicht unwesentlich von den sozialen Medien mitbestimmt und beeinflusst. Sie stellen uns gewissermaßen eine Plattform, ja eine Bühne zur Selbstinszenierung bereit. Auf der wir uns nach Lust und Laune austoben und unsere Identität oder viel mehr Identitäten formen können. Gelingt dieser Prozess, so erhalten wir Likes, gelten als ‘authentisch’ – zumindest von außen betrachtet. Denn ohne den Blick der anderen, ohne Publikum, kann die Inszenierung auf Instagram und Co. gar nicht gelingen. Sie bleibt ungesehen, unvollständig. Ich poste, also bin ich.

Shownotes:
► Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts
► Erik H. Erikson: Das Stufenmodell
► Erving Goffman: Wir alle spielen Theater
► Andreas Reckwitz: Gesellschaft der Singularitäten
►Geschichte Instagrams Quellen: Basic thinking Blog, Promodeo, Wikipedia

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art


Transkript: Ich poste, also bin ich? Instagram und das Selbst

‘Identität’ ist die Antwort auf die Frage “Wer bin ich”. Es ist der Prozess der Seins-Werdung, um seinen Platz in der Welt zu finden, der so bezeichnend ist für uns Menschen. In den hiesigen Zeiten wird diese Entwicklung nicht unwesentlich von den sozialen Medien mitbestimmt und beeinflusst. Sie stellen uns gewissermaßen eine Plattform, ja eine Bühne zur Selbstinszenierung bereit. Auf der wir uns nach Lust und Laune austoben und unsere Identität oder viel mehr Identitäten formen können. Gelingt dieser Prozess, so erhalten wir Likes, gelten als ‘authentisch’ – zumindest von außen betrachtet. Denn ohne den Blick der anderen, ohne Publikum, kann die Inszenierung auf Instagram und Co. gar nicht gelingen. Sie bleibt ungesehen, unvollständig. Ich poste, also bin ich. Wirklich? Welchen Einfluss haben soziale Medien und insbesondere Instagram als eine beliebte Plattform der Inszenierung, auf die Seinsbildung und -werdung, auf unsere Identitätskonstruktion? Mit dieser Frage wollen wir uns heute gedanklich befassen. Aus einer philosophischen, psychologischen aber auch aus einer persönlichen Sicht Warte heraus. Denn um die komme ich, als aktive Nutzerin der Plattform gewiss nicht umhin. Und ist mit Sicherheit auch einer der Gründe, weshalb mich diese Frage selbst beschäftigt und bewegt.

Bevor wir allerdings beginnen, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Denn in das Recherchieren und Produzieren des Podcast stecke ich nicht nur viel Zeit sondern auch Geld. Und es wäre schön, wenn der Podcast eines Tages auf stabilen Beinen stünde. Als Fördermitglieder ermöglicht ihr mir die werbefreie Produktion des Podcast. Außerdem nehmt ihr automatisch an Buchverlosungen teil. Wie ihr Mitglied werdet und teilnehmt, erfahrt ihr in den Shownotes. Dort habe ich alles verlinkt. Nun wünsche ich viel Freude beim Lauschen.


Ich spaziere gedankenverloren durch die Straßen. Beginne leise vor mich hinzusummen: “Well, if you want to sing out, sing out. And if you want to be free, be free. ‚Cause there’s a million things to be. You know that there are.” Plötzlich entdecke ich zwei Augen, die auf mich gerichtet sind. Die Augen eines Andern. Die mich neugierig mustern. Mich ungefragt aus meinem ‘an sich’ Sein herauskatapultieren und mich bewusst werden lassen, dass ich nicht alleine bin. Ich fühle mich irgendwie ertappt und seltsam beschämt.

In dem Moment, in dem mich ein anderer Mensch erblickt, werde ich meiner selbst bewusst. Ich bin Objekt für einen Andern, der selbst Subjekt ist. Denn indem der Andere mich als einen Gegenstand wahrnimmt, beraubt er mich im selben Moment meiner Subjektivität. Mein Wesen wird im Blick des Andern geschaffen, doch mein Sein ist von ihm abhängig, durch ihn bestimmt. Ich bin nicht ‘an sich’, denn ich bin mehr als nur gegenständlich, und nicht ‘für sich’, denn ich bin nur, insofern ich ‘für andere’ bin. Ich bin mein eigenes Nichts. So lautet die These des Philosophen und Existenzialisten Jean-Paul Sartre in seinem Werk Das Sein und das Nichts. Erst im Blick des Andern erkenn ich mich selbst, werde mir meiner Existenz bewusst. Und zugleich, in diesem Moment der Freiheit, geht mir meine Identität verlust, da sie gebunden ist an die Wahrnehmung des Anderen. Zugleich ermöglicht mir der Vorgang des Betrachtet-werdens, mich selbst mit den Augen des Anderen zu sehen. Die begrenzte Welt meiner Selbstwahrnehmung zu verlassen und neue Einsichten über die Möglichkeiten meines Seins zu erlangen. Es scheint also eine Ambivalenz in diesem Verhältnis zu liegen. Etwas Befreiendes, wie auch etwas Beschneidendes. Wir sind auf die Wahrnehmung der Anderen angewiesen und zugleich berauben sie uns ein Stück weit unsere Illusion dessen, wer wir glauben zu sein.

‘Identität’ ist die Antwort auf die Frage “Wer bin ich”, behauptet der dänische Psychoanalytiker Erik Erikson, ein Schüler Sigmund Freuds. Es ist der Prozess der Seins-Werdung, um seinen Platz in der Welt zu finden, der so bezeichnend ist für uns Menschen. In seinem “Stufenmodell” beschreibt Erikson die Gesamtheit aller psychosozialen Entwicklungen des Menschen, die sich im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen und Wünschen als Individuum und den sich im Laufe der Entwicklung permanent verändernden Anforderungen der sozialen Umwelt entfaltet. Die Konstruktionsleistung der Identität wird als Passung von innerer und äußerer Welt verstanden, die im Fall des Gelingens als kohärent, also als stimmig erlebt wird. 

Wenn Sartre also behauptet, der Mensch sei dazu verurteilt, sich selbst zu wählen, sich also eine Existenz zu geben, dann ist dieser Prozess der Identitätsbildung allerdings nicht unabhängig von der ihn umgebenden Umwelt zu betrachten. Ist diese nicht gar konstitutiv für das Menschsein? So lautet zumindest die These des Philosophen und Gesellschaftstheoretikers Karl Marx. Individualität ist für ihne eine Form von Sozialität. So besteht immer eine Wechselwirkung zwischen Subjekt und Welt. Beides bedingt sich gegenseitig. Im Prozess der Selbstwerdung gestaltet das Individuum die Welt und wird zugleich von ihr gestaltet. Wir können uns also nicht komplett frei selbst erfinden, sondern müssen immer zugleich mit dem arbeiten, was wir vorfinden. Was mitunter kein bewusster, sondern zumeist ein unbewusster Prozess ist. Bei Identitätsarbeit geht es also nicht um ein Entweder-Oder, sondern es ist als ein integrativer Prozess zu verstehen, eine Passung zwischen Innen- und Außenwelt. Damit beinhaltet er, wie es bereits bei Sartre anklingt, befreiende wie ‘entfremdende’ Elemente. 

Denn als soziale Wesen bleibt uns gewissermaßen nichts anderes übrig, als uns bis zu einem gewissen Grad gesellschaftlichen Erwartungen zu beugen. Zumindest, wenn wir innerhalb dieser anerkannt werden wollen. Und das trifft wohl auf die meisten von uns zu. Um diesen unterschiedlichen, zum Teil sogar widersprüchlichen Erwartungen gerecht zu werden, eignen wir uns Rollen an. Wir spielen gewissermaßen Theater. So bezeichnet es der kanadische Soziologe Erving Goffman. Für ihn gleicht die soziale Welt einer großen Bühne. Und wir alle spielen in der Interaktion mit anderen eine Rolle. Diese Rolle haben wir zuvor auf der “Hinterbühne” – einem Ort, der den anderen natürlich nicht zugänglich ist – gut eingeübt. Präsentiert wird sie dann auf der “Vorderbühne”. Nach Goffman haben wir alle verschiedene Rollen, die wir in unterschiedlichen Situationen spielen, als Repertoire auf dem Kasten. Wie auch im Theater, liegt es zu großen Teilen am Publikum, zu entscheiden, ob die Inszenierung gelingt oder nicht. Ob sie ‘authentisch’ wirkt oder bloß aufgesetzt, wie eine Maske. Das gilt selbst für den Schauspieler oder die Schauspielerin, die natürlich von der von ihr dargestellten Rolle verschieden ist, sich aber dennoch mit ihrem ‘Selbst’ einbringen kann. Sodass die Rolle einen Hauch ihrer Persönlichkeit abbekommt und nicht wie ein übergestülptes, leeres Kostüm wirkt.

Dieser Wunsch nach ‘Authentizität’, nach Übereinstimmung zwischen dem im Außen präsentierten Selbst und dem eigens empfundenen Ich, lässt sich nicht nur im Theater beobachten, sondern seit einiger Zeit auch im Internet. In den Sozialen Medien, könnte man sagen, wird das Theaterspiel, die Inszenierung des Selbst auf die Spitze, ad absurdum getrieben. Plattformen, wie Facebook, Instagram und LinkedIn, öffnen Räume oder, um in der Bildsprache zu bleiben, öffnen uns Bühnen, auf denen wir uns nicht nur inszenieren sondern auch selbst konstruieren können. Auf eine Weise, die von der Selbstgestaltung im analogen Raum noch einmal verschieden ist oder zumindest Besonderheiten aufweist. Und die vor allem, wie es mir scheint, auch einen nicht wegzudiskutierenden Einfluss auf die Identitätsbildung ausübt. Da jede soziale Plattform, von Facebook über Twitter und Co. unterschiedliche Voraussetzungen mit sich bringt und damit auch andere Auswirkungen auf uns hat, kann und möchte ich in dieser Episode lediglich auf Instagram eingehen. Zum einen, da mir diese Plattform vermutlich selbst am vertrautesten ist und zum anderen, da ich meine in ihr ein besonders hohes Maß an Einfluss auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung erkennen zu können.

Bevor ich meine Thesen in den Raum stellen möchte, vielleicht vorab ein paar Worte zur Geschichte von Instagram und wie alles begann: Es waren einmal zwei junge, dynamische ‘Dudes’ in den USA, namens Kevin Systrom und Mike Krieger, die beide schon früh ihre Leidenschaft für das Programmieren und Entwickeln von Software entdeckt hatten. Außerdem waren sie der festen Überzeugung, dass das Teilen von Fotos mit Freunden zu lange dauere und zu umständlich sei. Und zack war die Idee von Instagram geboren. Für alle, die sich schon immer gefragt haben, was der Name eigentlich bedeutet: er setzt sich aus den zwei Begriffen “instant”, also “sofort” und “telegram”, was etwa so viel wie Nachricht bedeutet, zusammen. Aber weiter in der Geschichte: Nach einigen Stunden der Tüftelei schreiben wir nun den 6. Oktober 2010. Den Tag, an dem Instagram live ging. Bereits zwei Jahre später zählte die App bereits 100 Millionen aktive Nutzer:innen. Ihr Konzept schien also aufgegangen. Kevin und Mike waren scheinbar nicht die einzigen, die gerne Fotos mit Bekannten teilten. Das Potential von Instagram hat, wie vermutlich den meisten bekannt ist, kein geringerer als Mark Zuckerberg ziemlich schnell gerochen. Für satte 1 Milliarden US-Dollar wurde Facebook im April 2012 also zum neuen, stolzen Eigentümer der Foto-App. Die zu diesem Zeitpunkt übrigens gerade einmal 12 Mitarbeiter:innen beschäftigte. In der Hand von Zuckerberg wurde Instagram dann auch schnell eine neue Datenschutzerklärung verpasst, die, wie nicht anders zu erwarten war, das Abgreifen von Nutzer:innen-Daten erleichtert. Das war aber natürlich nicht die einzige Änderung: 2013 wird es zusätzlich möglich Werbung auf Instagram zu schalten, über deren Erträge die App sich bis heute finanziert oder besser gesagt dumm und dämlich verdient. Angeblich lag der Umsatz durch Werbeeinnahmen bei sage und schreibe 20 Milliarden US-Dollar im letzten Jahr, also 2019. Aber blicken wir noch einmal ein paar Jahre zurück: 2016 wird der Algorithmus eingeführt sowie Instagram Stories. Während sich anfangs noch viele fragen, welchen Sinn diese Story-Funktion habe, da es doch bereits Snapchat gibt – eine App, auf der man Bilder und Videos für einen begrenzten Zeitraum von 24 Stunden hochladen kann – stellt sich diese Frage heute angesichts deren Beliebtheit kaum noch. Heute sind es bereits mehr als eine Milliarde aktiver Nutzer:innen pro Monat, die sich in der App austoben. Von denen sind rund 60% im Alter zwischen 18 und 24. Die Person mit der größten Reichweite auf Instagram ist übrigens der Fußballer Cristiano Ronaldo, mit sage und schreibe 230 Millionen Followern. Wenn man überlegt, dass die USA rund 328 Millionen Einwohner zählt (Stand 2019), ist das ein ziemlich gewaltiges Publikum. Interessanterweise sind rund 9% der Profile auf Instagram reine Fake-Accounts, also fast jedes 10. Profil. Und, um das beliebteste Lebensmittel, das auf Instagram am häufigsten geteilt wird noch zu nennen: es ist Pizza, gefolgt von Sushi. Wer hätte das gedacht – ein außergewöhnlicher Geschmack.

Angesichts dieses rasanten Wachstums, lässt sich fragen: Was macht die App eigentlich so attraktiv? Und, welche Auswirkungen hat sie auf unser Verhalten? Insbesondere auf unsere Selbstwahrnehmung. Denn kaum eine Plattform, wie Instagram, hat die Inszenierung und Vermarktung der eigenen Person so publik gemacht. Schon lange ist die App zum Teilen von Fotos mit Freunden nicht mehr ein privates, digitales Fotoalbum – zumindest für die wenigsten – sondern vielmehr ein Tool, um sich selbst und die eigene Marke, auch, wenn man gar kein Unternehmen im klassischen Sinne führt, in Szene zu setzen. Doch wer glaubt, die Inszenierung funktioniere nur über ‘Selfies’, der täuscht sich. Nicht nur das eigene ‘Körperkapital’ lässt sich auf Instagram vermarkten, indem beispielsweise Likes für den Adoniskörper oder für das hippe Outfit gesammelt werden. Das ganze Leben wird zur Inszenierung – oft unbewusst. Der Soziologe Andreas Reckwitz nennt dieses Phänomen “Singularisierung”. Damit meint er den Prozess, in welchem sich kulturelle Güter angeeignet werden und zur Darstellung der eigenen Persönlichkeit, der Einzigartigkeit verwendet werden. Im Prinzip kann alles, nicht nur Objekte, sondern auch Erlebnisse, wie Reisen oder der Musikgeschmack einen zum Besonderen erheben. Und wo, wenn nicht in den sozialen Medien, auf Instagram, könnte man diese Auswahl an Singularitäten besonders gut inszenieren?! Wir kuratieren unser Leben und präsentieren das Kunstwerk zur Valorisierung unseren Follower:innen. Denn ohne deren Urteil wäre unsere Kuration ja im Prinzip nutzlos. Sie dient ja gerade dazu, sich abzusondern und zugleich sein Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsgruppe zu kennzeichnen. Ich poste, also bin ich. 

“Wenn ein einzelner vor anderen erscheint, stellt er bewußt oder unbewußt eine Situation dar, und eine Konzeption seiner selbst ist wichtiger Bestandteil dieser Darstellung“ (Goffman 1998, 285). So beschreibt es Erving Goffman in “Wir alle spielen Theater”. Das geschieht natürlich nicht nur im Netz, sondern auch im Analogen und scheint allzu menschlich zu sein. Nach Goffman arbeiten wir aktiv an der Entwicklung unseres eigenen Selbstbilds mit. Das Selbstkonzept wird dann allerdings zum größten Teil über das Fremdbild konstruiert. Insbesondere durch die eigenen Erwartungen darüber, was wir glauben, was andere Menschen über uns denken. Wir stehen also vor der doppelten Herausforderung, einerseits den sozialen Anschluss finden zu wollen, andererseits aber nur dann anerkannter Teil sozialer Interaktionen werden, wenn es uns gelingt, unsere Originalität hervorzuheben. Ganz schön knifflig! Vor allem, da sich unsere aktuelle gesellschaftliche Situation durch Prozesse wie der Globalisierung, Individualisierung und Pluralisierung auszeichnet, was wiederum mit dem Verlust traditioneller Identitätsmodelle einhergeht. “Schaffe schaffe Häusle baue” war gestern. Stabile Orientierungsangebote sind heute eher limitiert: stattdessen besteht die Notwendigkeit der Konstruktion seiner eigenen Identität: “Subjekte erleben sich als Darsteller auf einer gesellschaftlichen Bühne, ohne dass ihnen fertige Drehbücher geliefert werden“ (Keupp 2000, 117) schreibt der Sozialpsychologe Heiner Keupp. Identität muss also als eine kreative Eigenleistung des Individuums verstanden werden. Und diese Eigenleistung impliziert Freiheiten, aber eben auch Unsicherheiten. Identität ist nach diesem Verständnis vergleichbar mit einem Projekt, das sich mithilfe von Selbstreflexion ständig verändern lässt, was wiederum die Selbsterzählung und -inszenierung, wie wir sie von Social Media kennen, in den Mittelpunkt rückt. 

Wir erzählen uns auf Instagram Geschichten von uns selbst, wie wir sind oder vielmehr, wie wir gerne wären. Denn eine 1:1 Darstellung unserer Persönlichkeit ist vermutlich unmöglich. Oder wer würde freiwillig seine “dunklen Seiten”, seine Ecken und Kanten dort zur Schau stellen? Und ich meine damit nicht, um hierfür Anerkennung zu erhalten, weil man den Mut hat seine vermeintlichen Makel und Dellen zu offenbaren. Sondern lediglich, um ein möglichst präzises Bild von sich darzustellen. Nein, wir erzählen lieber davon, wer wir gerne wären. Präsentieren uns von unserer ‘Schoko-Seite’ und in den goldenen Stunden. Vollkommen verständlich. Nur entsteht dadurch natürlich ein ziemlich unrealistisches Bild, dem wir niemals gerecht werden können. “Ist doch klar!”, werden einige jetzt rufen. Es sei doch ganz offensichtlich, dass Instagram nur eine Plattform, ein Sammelsurium der ‘guten Momente’ sei. Darüber müsse man sich eben bewusst sein. Leichter gesagt, als getan. Insbesondere für die jüngeren Generationen, die mit Social Media groß werden und denen das Smartphone quasi in die Wiege gelegt wird, scheint das nicht mehr allzu leicht zu trennen zu sein. Es entsteht Druck. Druck, dem Bild gerecht zu werden, das ich selbst erschaffen habe. Weil andere Menschen nun den Eindruck haben, dass ich wirklich so bin. Dass ich immerzu lächle, glücklich und zufrieden bin – Happyland eben. Es existieren bereits einige Studien, die sich mit den Auswirkungen von Social Media auf unsere Psyche beschäftigen. Damit, wie sich unser Welt- und Selbstbild verändert. Denn wer glaubt, soziale Plattformen, wie Instagram und Co. seien doch nur ‘Kinderkram’ und vollkommen harmlos, der irrt. Sie prägen uns massiv. Ob wir wollen oder nicht. Und die wenigsten, insbesondere jungen Menschen, können sich ihnen entziehen. Weil es eben dazugehört dort präsent zu sein. Und einmal dort, werden wir mit Bildern von scheinbar immerzu glücklichen Menschen, von ‘Traumkörpern’ und fetten Karren überschwemmt, die unsere Schönheitsideale und Vorstellungen von ‘guten Leben’ beeinflussen.

Das muss natürlich per se nicht schlecht sein und ein Verteufeln der Plattformen wäre ebenso Unfug. Wir alle inszenieren uns, auch unabhängig von Social Media und den neuen Möglichkeiten der Selbstdarstellung. Noch lange sind wir nicht persönlichkeitsgestört, weil wir gerne unsere positivsten Seiten zur Schau stellen. Es kommt eben auf die Art der Verwendung ein. So, wie ein Skalpell genutzt werden kann, um einem Menschen das Leben zu retten, so kann es eben auch dazu verwendet werden, Schaden anzurichten oder gar zu töten. Ein bewusster Umgang ist das A und O. Ärgerlich nur, dass dieser bisher eher unzureichend gelehrt und vermittelt wird. Viele Eltern berichten von ihren Unsicherheiten im Umgang mit Social Media. Verbieten können sie ihren Kindern das Liken und Sharen teilweise privater Bilder kaum. Und auch in Schulen wird bisher wenig aufgeklärt.

Dabei können Plattformen, wie Instagram auch positiv genutzt werden. Positiv im Sinne von selbst eine aufklärende Funktion übernehmen. So sind beispielsweise viele gemeinnützige Initiativen und Aktivist:innen, wie FFF auch dort vertreten. Auch, um auf Missstände hinzuweisen, wie es bei #MeToo der Fall war oder bei der Ermordnung des Afro Amerikaners George Floyd, haben soziale Medien Potential. Aber natürlich reicht es nicht aus,  ein schwarzes Viereck mit dem Hashtag #BlackLivesMatter zu posten, um sein eigenes Gewissen zu beruhigen, etwas getan zu haben. Dies kann und darf wenn überhaupt erst der Anfang sein, der Anstoß, sich selbst mit Themen, wie Rassismus, Diskriminierung und sozialer Ungerechtigkeit außeinanderzusetzen. Plattformen, wie Instagram können durchaus Bewusstsein schaffen und mobilisieren selbst aktiv zu werden. Nur darf sich eben nicht darauf ausgeruht werden, indem man glaubt, das Posten könne die Teilnahme an einer Demonstration ersetzen. Es braucht beides. 

Indem wir von der Art der Nutzung von Plattformen wie Instagram sprechen, wird auch deutlich, dass, auch, wenn sie in den Händen von übermächtigen, nein viel zu mächtigen Konzernen, wie Facebook liegen, wir sie dennoch mit gestalten können. Instagram lebt von seinen User:innen. Ohne sie wäre die Plattform pleite. Denn irgendwen braucht es ja, der die Werbung, die dort ausgespielt wird, klickt. Und natürlich, um Inhalte zu generieren. Was wir bislang übrigens komplett for free tun. Eigentlich absurd, wenn man sich das mal bewusst vor Augen führt. Uns wird eine Plattform zur Verfügung gestellt und wir befüllen diese umsonst, da es uns als Ort der Selbstkreation und -inszenierung dargestellt wird. Nichtsdestotrotz bleibt es Arbeit. Zeit und Muße, die Menschen in die Kreation dieser Inhalte stecken, ohne welche die Plattform nutzlos wäre. Auch hierüber lohnt es sich vielleicht einmal nachzudenken. Aber zurück zum Punkt der Mitgestaltung. Wir können mitbestimmen. Auch, wenn es einen Algorithmus gibt, der es nicht leichter macht, guten Inhalten eine Reichweite zu geben. Dennoch können wir durch einen bewussten Umgang mit Plattformen wie Instagram Einfluss nehmen. Auf die Gesellschaft und das Weltbild, das nicht starr sondern dynamisch ist. So frage ich mich, wie es beispielsweise immer noch sein kann, dass auf Instagram weibliche Nippel zensiert werden. Gerade in dem großen Einfluss den Social Media ausübt liegt auch das Potential. Es liegt auch an uns, die sozialen Medien kritisch zu hinterfragen und sie nicht einfach nur als Bühne der Inszenierung und Bespaßung zu nutzen. Indem wir Einfluss auf sie ausüben. Eine kritische Distanz zu ihnen einnehmen und einen bewussten Umgang mit ihnen pflegen und vermitteln. Natürlich können weiterhin Selfies und Katzenvideos geteilt werden. Es soll ja schließlich auch Spaß machen. Nur sollten wir uns eben auch bewusst darüber sein, welchen Einfluss wir ausüben, indem wir gewisse Inhalte, Bilder und Geschichten teilen oder auch einfach nur rezipieren. Weil sie unsere Welt und unser miteinander gestalten – bewusst wie unbewusst. 


Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, ihr konntet etwas aus der Episode mitnehmen. Wenn euch die Episode gefallen hat, teilt sie gerne mit Freunden, Kollegen, Verwandten. Und natürlich würde ich mich besonders freuen, wenn auch ihr als Mitglieder auf Steady einen Sinneswandel möglich macht. Alle Infos dazu findet ihr wie immer in den Shownotes.  Dann hoffentlich bis bald, wenn wir uns wiederhören. Bei Sinneswandel, dem Podcast für persönliche und gesellschaftliche Transformation.

1. Oktober 2020

Rahel Jaeggi: Selbstverwirklichung, (wie) geht das? (Teil 2)

von Marilena 24. September 2020

“Finde dich selbst. Sei wer du bist. Authentisch. Dein wahres Ich.” Man könnte meinen, dies sei das Plädoyer, vielleicht sogar der Imperativ unserer Zeit. Sich selbst zu finden, sein volles Potential zur Entfaltung zu bringen, scheint der Motor geworden zu sein, der viele Menschen antreibt. Weg von der Konformität, den gesellschaftlichen Zwängen, hin zu individualität und Einzigartigkeit. Doch, wenn nun von Entfremdung und Authentizität die Rede ist, so müsste man doch davon ausgehen, dass da etwas ist, von dem einer sich entfremdet hat. So etwas, wie ein Wesenskern, eine Natur des Menschen. Die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi spricht sich gegen diese essentialistische Auffassung aus und entwirft stattdessen ein neues Verständnis von Entfremdung, das ohne den Rückgriff auf einen Wesenskern auskommt.

Shownotes:
► Teil 1 des Interviews mit Rahel Jaeggi.
► Mehr von und über Rahel Jaeggi ist auf der Website der HU Berlin zu lesen.
► Lesenswert: Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems von Rahel Jaeggi, erschienen im Suhrkamp Verlag.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

24. September 2020

Rahel Jaeggi: Können wir uns selbst finden? (Teil 1)

von Ricarda Manth 22. September 2020

“Finde dich selbst. Sei wer du bist. Authentisch. Dein wahres Ich.” Man könnte meinen, dies sei das Plädoyer, vielleicht sogar der Imperativ unserer Zeit. Sich selbst zu finden, sein volles Potential zur Entfaltung zu bringen, scheint der Motor geworden zu sein, der viele Menschen antreibt. Weg von der Konformität, den gesellschaftlichen Zwängen, hin zu individualität und Einzigartigkeit. Doch, wenn nun von Entfremdung und Authentizität die Rede ist, so müsste man doch davon ausgehen, dass da etwas ist, von dem einer sich entfremdet hat. So etwas, wie ein Wesenskern, eine Natur des Menschen. Die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi spricht sich gegen diese essentialistische Auffassung aus und entwirft stattdessen ein neues Verständnis von Entfremdung, das ohne den Rückgriff auf einen Wesenskern auskommt.

Shownotes:
► Mehr von und über Rahel Jaeggi ist auf der Website der HU Berlin zu lesen.
► Lesenswert: Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems von Rahel Jaeggi, erschienen im Suhrkamp Verlag.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

22. September 2020

Wozu (ein) Sinneswandel? Ein kurzes Intro

von Ricarda Manth 8. September 2020

Der Wandel, so könnte man sagen, ist das verbindende Glied der Fragmente, die sich zu unserem Leben zusammensetzen. Ein dynamischer Prozess, den wir selbst mitgestalten – bewusst wie unbewusst. Der Podcast ist ein Versuch und zugleich ein Wunsch, dazu anzuregen, sich für neue Perspektiven zu öffnen. Der ermutigt, den Status-Quo zu hinterfragen und sich selbst als aktive Zukunftskünstler:in zu begreifen.

SHOWNOTES:

► Episode zum Thema Mitgliederfinanzierung und, weshalb wir uns gegen Werbung entschieden haben

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

TRANSKRIPT:

Hallo und herzlich Willkommen zum Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich euch in der allerersten Episode begrüßen zu dürfen.

Ich gebe zu, es ist nicht die erste Episode, die ich im Rahmen des Sinneswandel Podcast aufzeichne. Aber, da der Podcast sich seit seiner Gründung im Oktober 2017 doch sehr gewandelt hat, dachte ich, es sei an der Zeit, eine neue erste Pilotfolge aufzunehmen. In dieser möchte ich kurz erläutern, was das Anliegen von Sinneswandel überhaupt ist, was euch in diesem Podcast erwarten wird und, wie ihr selbst Teil dessen werden könnt.

Vielleicht kurz vorweg zwei, drei Worte zu mir, für alle die ganz neu einsteigen: Mein Name ist, wie bereits gesagt, Marilena und ich habe Ende 2017 diesen Podcast gegründet. Wenn ich nicht an neuen Episoden tüftle, studiere ich Philosophie und Politik. Gelegentlich schreibe ich als freie Autorin Artikel, halte dann und wann Vorträge oder moderiere Panels – kurzum, ich schreibe, rede und denke gerne. Das sollte zu meiner Person vorerst reichen.

Nun zur Frage: Wozu eigentlich (ein) Sinneswandel?

Der Wandel, so könnte man sagen, ist das verbindende Glied der Fragmente, die sich zu unserem Leben zusammensetzen. Ein dynamischer Prozess, den wir selbst mitgestalten – bewusst wie unbewusst. Der Podcast ist ein Versuch und zugleich ein Wunsch, dazu anzuregen, sich für neue Perspektiven zu öffnen. Der ermutigt, den Status-Quo zu hinterfragen und sich selbst als aktive Zukunftskünstler:in zu begreifen. Denn sind es nicht gerade die Künstler:innen, von denen wir uns in diesen manchmal dystopisch anmutenden Zeiten, eine Scheibe abschneiden können sollten? Ähnlich, wie diese sich immer wieder neu auf Prozesse einlassen, deren Ende sie nicht kennen und sich dennoch mutig dieser Situation hingeben, liegt es auch an uns zu lernen, Vertrauen zu finden indem wir uns unseres Gestaltungs- und Handlungspotentials bewusst werden.

Denn “die Zukunft”, die es schon mal gar nicht im Singular gibt, sondern wohl eher Zukünfte, beschreibt keinen festgelegten vordefinierten Ort . Sie ist im Hier und Jetzt, als dass wir mit unseren heutigen Entscheidungen maßgeblich ihren Verlauf  beeinflussen. Der sich jedoch nicht linear fortschreiben lässt, sondern immer wieder die Richtung wechselt. Zukünfte sind menschengemacht, was nicht bedeutet, dass wir alles kontrollieren können, wovon vielleicht einige Unternehmen des Silicon Valley träumen. Einer solchen Hybris möchten wir uns nicht anschließen. Was Sinneswandel bewirken möchte, ist im ersten Schritt Bewusstsein. Indem wir beobachten und beschreiben was wir wahrnehmen. Sodass ein Raum entstehen kann, der eigene Gedanken zulässt. Der Kritik ermöglicht. Denn nur, wenn wir uns über die Art und Weise, wie die Welt gestaltet ist, bewusst sind, können wir eine Haltung dazu einnehmen. Und im nächsten Schritt Einfluss nehmen. Denn wir sind davon überzeugt, dass da noch viel Luft nach oben ist. Wir leben in einer Welt, die weit entfernt davon ist, sozial gerecht zu sein. Unser Umgang mit der Natur, deren Teil wir doch eigentlich sind, richtet uns schon jetzt selbst zugrunde. Der Glaube an ewiges Wachstum, ohne, dass wir uns fragen, was eigentlich wachsen sollte, scheint absurd. Kurzum, wir glaube, es ist an der Zeit, unangenehme Fragen zu stellen: In welcher Welt wir leben wollen? Als Einzelne aber vor allem als Gesellschaft?

Aus diesem Grund sprechen wir im Podcast mit Menschen, die sich in unterschiedlichen Kontexten Gedanken darüber machen, selbst aktiv einen Wandel einfordern oder eigene Konzepte und Ideen kreieren. Darunter sind Wissenschaftler:innen, Künstler:innen, Aktivist:innen, Philosoph:innen, Autor:innen und Menschen, die sich in keine dieser Kategorien einordnen lassen (wollen). Unser Wunsch ist es, dass die Gespräche mit ihnen zum Mitdenken anregen. Dabei darf und sollte alles hinterfragt werden. Denn einen Anspruch auf “absolute Wahrheit”, den haben auch wir nicht. Darum ist auch der Sinneswandel Podcast in sich ergänzungsbedürftig und verlangt nach der immer wieder aufgenommenen kritischen Deutung. Sie will die Gestalt, in der uns Traditionsbestände gegeben sind, auflösen, ihre Ansprüche hinterfragen, ihre vermeintliche Eindeutigkeit problematisieren. Gegenwart wurzelt in einem „Vergangenen, das nie gegenwärtig war“, schrieb der französische Philosophe Jacques Derrida. Und meint damit die Unmöglichkeit, in der Neubeschreibung zum vollendeten Ausdruck, zur endgültigen Identifizierung zu gelangen. Anders gesagt: Wir freuen uns über Zuhörer:innen, die auch das von uns Hervorgebrachte kritisch hinterfragen und weiterdenken. 

Wenn ich übrigens von “uns oder wir” spreche, dann meine ich damit die Redaktion, die hinter Sinneswandel steht und den Podcast produziert. Denn alleine würde ich das alles nicht wuppen. Die Recherche, Produktion und Nachbereitung von Podcast Episoden kostet nämlich eine ganze Menge Zeit und Energie. Daher bin ich sehr dankbar und froh ein Team aus freien Redakteur:innen und Autor:innen um mich zu haben. Die kommen auch immer mal selbst, z.B. in Form von Kurzessays, im Podcast zu Wort.

Apropos Zeit und Geld, an dieser Stelle möchte ich kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit (einen) Sinneswandel möglich machen könnt. Wie gesagt, stecken wir in den Podcast nicht nur Zeit sondern auch Geld. Als Fördermitglieder ermöglicht ihr meinem Team und mir die werbefreie Produktion des Podcast. Außerdem nehmen Steady Unterstützer:innen regelmäßig an Verlosungen von Büchern teil. Wie ihr Fördermitglieder werdet, steht in den Shownotes. Dort habe ich alles verlinkt. Via Paypal könnt ihr uns aber auch einmalig einen Betrag ab 1€ zukommen lassen. Das geht ganz einfach an Paypal.me/SinneswandelPodcast. Zur Mitgliederfinanzierung habe ich zudem eine eigene Episode aufgenommen, in der ich erklärt habe, weshalb wir uns gegen Werbung und für dieses Modell entschieden haben. Auch das habe ich in den Shownotes verlinkt.

Anregungen, Wünsche, Liebesbriefe jederzeit gerne an redaktion@sinneswandel.art. Das war’s ansonsten erstmal von meiner Seite. Ich hoffe, ich konnte euch einen kurzen, ersten Einblick geben, was euch in diesem Format erwarten wird. Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, wir hören uns bald wieder im Sinneswandel Podcast.
8. September 2020

Dieter Thomä: Brauchen Demokratien (mehr) Helden?

von Marilena 5. März 2020

Ob Pippi Langstrumpf, Robin Hood oder Ronja Räubertochter, KindheitsheldInnen haben wir als Kinder fast alle. Deren mutigen und selbstlosen Taten uns beeindrucken und oft bis ins Erwachsenenalter nostalgisch werden lassen, wenn wir an die Geschichten mit ihnen zurückdenken. Vielleicht, weil wir uns manchmal nach ihnen sehnen? Menschen, die uns Mut machen über uns hinauszuwachsen. Helden, die uns daran erinnern, wer wir sein könnten.

Insbesondere in krisenhaften Zeiten wünschen sich Menschen charismatische Leitfiguren, die ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Welches sich jedoch, mit Blick auf die in einigen Ländern zu beobachtenden autokratischen Tendenzen und den wachsenden Rechtsdruck, oft als problematisch herausstellt. Und so könnte man sich die Frage stellen, ob solche Heldenverehrung nicht ein Rückfall in autoritäre Zeiten darstelle? Der Philosoph Dieter Thomä sagt entschieden: Nein. Auch Demokratien brauchen HeldInnen, die sich für ihre Werte einsetzen. Gerade jetzt, meint Dieter Thomä sei das besonders wichtig, wo die Demokratie sich in der tiefsten Krise seit 1945 befände. Da dürfen wir die Bühne nicht den neuen Rechten überlassen. Aus diesem Grund plädiert Dieter Thomä, der als Professor Philosophie an der Schweizer Universität St. Gallen lehrt, für einen zeitgemäßen Heroismus.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

SHOWNOTES:

  • Mach (einen) Sinneswandel möglich und werde Mitglied. Unterstützen kannst du auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319.
  • Das aktuelle Buch „Warum Demokratien Helden brauchen“ von Dieter Thomä ist u.a. hier erhältlich.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

5. März 2020
Neuere Beiträge
Ältere Beiträge

Kategorien

  • Episoden (172)
    • Allzumenschliches (76)
    • Mensch & Natur (33)
    • New Economy (24)
    • Zukünfte denken (29)
    • Zusammenleben gestalten (77)

Schlagwörter

Achtsamkeit Aktivismus Antirassismus Arbeit Bildung Corona Demokratie Digitalisierung Diversity Ernährung Feminismus Freiheit Gefühle Geld Gemeinwohl Gender Gesundheit Grenzen Identität Intersektionalität Journalismus Kapitalismus Klimawandel Konsum Kultur Kunst Leistungsgesellschaft LGBTQ Liebe Mental Health Nachhaltigkeit Natur New Work Philosophie Politik Selbstentfaltung Sexualität Sinn Sinneswandel Social Media Sprache Technik Utopie Wirtschaft Zukunft
  • Spotify
  • RSS

Copyright Marilena Berends © 2024 | Impressum | Datenschutzerklärung | Kontakt

Diese Website benutzt Cookies. Wenn du die Website weiter nutzt, gehen wir von deinem Einverständnis aus.