sinneswandel.art
  • Home
  • Podcast
  • Episoden
    • Allzumenschliches
    • Mensch & Natur
    • New Economy
    • Zusammenleben gestalten
    • Zukünfte denken
  • Unterstützen
  • Über
sinneswandel.art
  • Home
  • Podcast
  • Episoden
    • Allzumenschliches
    • Mensch & Natur
    • New Economy
    • Zusammenleben gestalten
    • Zukünfte denken
  • Unterstützen
  • Über

Sinneswandel

Rebekka Reinhard: Wie gelingt uns Vielfalt im Denken?

von Marilena 3. November 2020

In unsicheren Zeiten wächst die Sehnsucht nach Einfachheit und Entweder-oder-Denken. Das ist verständlich, aber nicht zeitgemäß, argumentiert die Philosophin Rebekka Reinhard. Unsere Vernunft wach zu machen und offen zu sein für das Vieldeutige und Widersprüchliche, weitet unseren Blick für andere Möglichkeiten – und für Reichtum und Schönheit einer vielfältigen Welt. Das »wache Denken« begegnet der Vereinfachung mit einer Lust am Spiel, am Experiment, am Wagemut. Und das brauchen wir, laut Rebekka Reinhard, heute dringend, um zu neuem Wissen zu finden, zu einer intelligenten Verbindung von Verstand und Emotion, von Hirn und Herz.

Shownotes:
► Wach Denken: Für einen zeitgemäßen Vernunftgebrauch von Rebekka Reinhard. Erschienen 09/2020 im Verlag der Körber Stiftung.
► Mehr von und über Rebekka Reinhard auf ihrer Website.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

3. November 2020

Elisabeth von Thadden: Vereinsamen wir unfreiwillig?

von Marilena 15. Oktober 2020

Abstand wahren, Kontakte einschränken, Körperkontakt vermeiden. Gerade die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf unser Miteinander, hat uns zwei Dinge vor Augen geführt: Ersten, wie wichtig und überlebensnotwendig Berührungen für uns Menschen sind. Und zweitens, wie verletzbar wir doch als leiblichen Wesen sind. Sehnsucht nach Abstand. Angst vor Einsamkeit. Diese Ambivalenz scheint dem Bedürfnis nach Nähe und Berührung innezuwohnen – aber, was bedeutet das für den Menschen?

In Ihrem Buch „Die berührungslose Gesellschaft“ stellt sich die Journalistin und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth von Thadden eben diese Frage. Und versucht zu ergründen, wie individuelle Freiheiten, der Wunsch nach Nähe, Solidarität und gesellschaftliches Miteinander in einer immer schnelllebigeren Welt miteinander vereinbar sind.

Shownotes:
► Die berührungslose Gesellschaft von Elisabeth von Thadden. Erschienen 2018 im C.H.Beck Verlag.
► Elisabeth von Thadden ist verantwortliche Redakteurin des Feuilleton der ZEIT und schreibt hier.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

15. Oktober 2020

Clara Mayer: Was hat Klimagerechtigkeit mit Feminismus zu tun?

von Marilena 7. Oktober 2020

Zwei Jahre gehen sie nun auf die Straße und protestieren. Lassen dafür sogar die Schule sausen. Weil ihr Anliegen ihnen so wichtig und weitreichend erscheint, dass sie keine Kompromisse eingehen können und wollen. Sie fordern einen radikalen Wandel – jetzt und nicht morgen. Denn die Klimakrise lässt nicht auf sich warten. Doch es geht nur schleppend voran. Die Ziele, die einst im Pariser Klimaabkommen festgelegt wurden, wie auch die Maßnahmen des Klimapakets, scheinen nur zweitrangig zu sein. Dabei müsste Klimagerechtigkeit doch ganz eindeutig an oberster Stelle stehen. Diese Meinung vertritt auch Clara Mayer. Sie ist Pressesprecherin von Fridays For Future Berlin. Bezeichnet sich selbst als Klimaaktivistin und “feminist monster”.

SHOWNOTES:

► Mehr von und über Fridays For Future um informiert zu bleiben.
► Clara Mayer ist auch auf Instagram und Twitter präsent.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

7. Oktober 2020

Rahel Jaeggi: Selbstverwirklichung, (wie) geht das? (Teil 2)

von Marilena 24. September 2020

“Finde dich selbst. Sei wer du bist. Authentisch. Dein wahres Ich.” Man könnte meinen, dies sei das Plädoyer, vielleicht sogar der Imperativ unserer Zeit. Sich selbst zu finden, sein volles Potential zur Entfaltung zu bringen, scheint der Motor geworden zu sein, der viele Menschen antreibt. Weg von der Konformität, den gesellschaftlichen Zwängen, hin zu individualität und Einzigartigkeit. Doch, wenn nun von Entfremdung und Authentizität die Rede ist, so müsste man doch davon ausgehen, dass da etwas ist, von dem einer sich entfremdet hat. So etwas, wie ein Wesenskern, eine Natur des Menschen. Die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi spricht sich gegen diese essentialistische Auffassung aus und entwirft stattdessen ein neues Verständnis von Entfremdung, das ohne den Rückgriff auf einen Wesenskern auskommt.

Shownotes:
► Teil 1 des Interviews mit Rahel Jaeggi.
► Mehr von und über Rahel Jaeggi ist auf der Website der HU Berlin zu lesen.
► Lesenswert: Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems von Rahel Jaeggi, erschienen im Suhrkamp Verlag.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

24. September 2020

Rahel Jaeggi: Können wir uns selbst finden? (Teil 1)

von Ricarda Manth 22. September 2020

“Finde dich selbst. Sei wer du bist. Authentisch. Dein wahres Ich.” Man könnte meinen, dies sei das Plädoyer, vielleicht sogar der Imperativ unserer Zeit. Sich selbst zu finden, sein volles Potential zur Entfaltung zu bringen, scheint der Motor geworden zu sein, der viele Menschen antreibt. Weg von der Konformität, den gesellschaftlichen Zwängen, hin zu individualität und Einzigartigkeit. Doch, wenn nun von Entfremdung und Authentizität die Rede ist, so müsste man doch davon ausgehen, dass da etwas ist, von dem einer sich entfremdet hat. So etwas, wie ein Wesenskern, eine Natur des Menschen. Die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi spricht sich gegen diese essentialistische Auffassung aus und entwirft stattdessen ein neues Verständnis von Entfremdung, das ohne den Rückgriff auf einen Wesenskern auskommt.

Shownotes:
► Mehr von und über Rahel Jaeggi ist auf der Website der HU Berlin zu lesen.
► Lesenswert: Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems von Rahel Jaeggi, erschienen im Suhrkamp Verlag.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

22. September 2020

Friedemann Karig: Ist die Monogamie am Ende?

von Marilena 14. September 2020

Die Liebe. Über kaum etwas wird so viel geredet, gegrübelt, Gedichte geschrieben, Lieder komponiert. Sie scheint das Glück auf Erden, der heilige Gral zu sein, wird sie erwidert. Und zugleich treibt sie seit jeher Menschen in die Verzweiflung oder, wie Shakespeares Romeo und Julia gar in den selbstgewählten Tod. Aber, was ist Liebe eigentlich? Ein Gefühl, ein bio-chemischer Cocktail aus Hormonen und Pheromonen, ein Konzept der Werbeindustrie, um mehr Rosen und Pralinen zu verkaufen? Diese Frage hat sich auch mein heutiger Gast gestellt: Friedemann Karig ist Autor des Buches “Wie wir lieben. Vom Ende der Monogamie”.

Shownotes:
► Mehr von und über Friedemann Karig ist auf seiner Website zu lesen.
► Zum Nachlesen: Wie wir lieben: Vom Ende der Monogamie von Friedemann Karig.
► Auch lesenswert: Die Kunst des Liebens von Erich Fromm.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

14. September 2020

Wozu (ein) Sinneswandel? Ein kurzes Intro

von Ricarda Manth 8. September 2020

Der Wandel, so könnte man sagen, ist das verbindende Glied der Fragmente, die sich zu unserem Leben zusammensetzen. Ein dynamischer Prozess, den wir selbst mitgestalten – bewusst wie unbewusst. Der Podcast ist ein Versuch und zugleich ein Wunsch, dazu anzuregen, sich für neue Perspektiven zu öffnen. Der ermutigt, den Status-Quo zu hinterfragen und sich selbst als aktive Zukunftskünstler:in zu begreifen.

SHOWNOTES:

► Episode zum Thema Mitgliederfinanzierung und, weshalb wir uns gegen Werbung entschieden haben

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:

✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

TRANSKRIPT:

Hallo und herzlich Willkommen zum Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich euch in der allerersten Episode begrüßen zu dürfen.

Ich gebe zu, es ist nicht die erste Episode, die ich im Rahmen des Sinneswandel Podcast aufzeichne. Aber, da der Podcast sich seit seiner Gründung im Oktober 2017 doch sehr gewandelt hat, dachte ich, es sei an der Zeit, eine neue erste Pilotfolge aufzunehmen. In dieser möchte ich kurz erläutern, was das Anliegen von Sinneswandel überhaupt ist, was euch in diesem Podcast erwarten wird und, wie ihr selbst Teil dessen werden könnt.

Vielleicht kurz vorweg zwei, drei Worte zu mir, für alle die ganz neu einsteigen: Mein Name ist, wie bereits gesagt, Marilena und ich habe Ende 2017 diesen Podcast gegründet. Wenn ich nicht an neuen Episoden tüftle, studiere ich Philosophie und Politik. Gelegentlich schreibe ich als freie Autorin Artikel, halte dann und wann Vorträge oder moderiere Panels – kurzum, ich schreibe, rede und denke gerne. Das sollte zu meiner Person vorerst reichen.

Nun zur Frage: Wozu eigentlich (ein) Sinneswandel?

Der Wandel, so könnte man sagen, ist das verbindende Glied der Fragmente, die sich zu unserem Leben zusammensetzen. Ein dynamischer Prozess, den wir selbst mitgestalten – bewusst wie unbewusst. Der Podcast ist ein Versuch und zugleich ein Wunsch, dazu anzuregen, sich für neue Perspektiven zu öffnen. Der ermutigt, den Status-Quo zu hinterfragen und sich selbst als aktive Zukunftskünstler:in zu begreifen. Denn sind es nicht gerade die Künstler:innen, von denen wir uns in diesen manchmal dystopisch anmutenden Zeiten, eine Scheibe abschneiden können sollten? Ähnlich, wie diese sich immer wieder neu auf Prozesse einlassen, deren Ende sie nicht kennen und sich dennoch mutig dieser Situation hingeben, liegt es auch an uns zu lernen, Vertrauen zu finden indem wir uns unseres Gestaltungs- und Handlungspotentials bewusst werden.

Denn “die Zukunft”, die es schon mal gar nicht im Singular gibt, sondern wohl eher Zukünfte, beschreibt keinen festgelegten vordefinierten Ort . Sie ist im Hier und Jetzt, als dass wir mit unseren heutigen Entscheidungen maßgeblich ihren Verlauf  beeinflussen. Der sich jedoch nicht linear fortschreiben lässt, sondern immer wieder die Richtung wechselt. Zukünfte sind menschengemacht, was nicht bedeutet, dass wir alles kontrollieren können, wovon vielleicht einige Unternehmen des Silicon Valley träumen. Einer solchen Hybris möchten wir uns nicht anschließen. Was Sinneswandel bewirken möchte, ist im ersten Schritt Bewusstsein. Indem wir beobachten und beschreiben was wir wahrnehmen. Sodass ein Raum entstehen kann, der eigene Gedanken zulässt. Der Kritik ermöglicht. Denn nur, wenn wir uns über die Art und Weise, wie die Welt gestaltet ist, bewusst sind, können wir eine Haltung dazu einnehmen. Und im nächsten Schritt Einfluss nehmen. Denn wir sind davon überzeugt, dass da noch viel Luft nach oben ist. Wir leben in einer Welt, die weit entfernt davon ist, sozial gerecht zu sein. Unser Umgang mit der Natur, deren Teil wir doch eigentlich sind, richtet uns schon jetzt selbst zugrunde. Der Glaube an ewiges Wachstum, ohne, dass wir uns fragen, was eigentlich wachsen sollte, scheint absurd. Kurzum, wir glaube, es ist an der Zeit, unangenehme Fragen zu stellen: In welcher Welt wir leben wollen? Als Einzelne aber vor allem als Gesellschaft?

Aus diesem Grund sprechen wir im Podcast mit Menschen, die sich in unterschiedlichen Kontexten Gedanken darüber machen, selbst aktiv einen Wandel einfordern oder eigene Konzepte und Ideen kreieren. Darunter sind Wissenschaftler:innen, Künstler:innen, Aktivist:innen, Philosoph:innen, Autor:innen und Menschen, die sich in keine dieser Kategorien einordnen lassen (wollen). Unser Wunsch ist es, dass die Gespräche mit ihnen zum Mitdenken anregen. Dabei darf und sollte alles hinterfragt werden. Denn einen Anspruch auf “absolute Wahrheit”, den haben auch wir nicht. Darum ist auch der Sinneswandel Podcast in sich ergänzungsbedürftig und verlangt nach der immer wieder aufgenommenen kritischen Deutung. Sie will die Gestalt, in der uns Traditionsbestände gegeben sind, auflösen, ihre Ansprüche hinterfragen, ihre vermeintliche Eindeutigkeit problematisieren. Gegenwart wurzelt in einem „Vergangenen, das nie gegenwärtig war“, schrieb der französische Philosophe Jacques Derrida. Und meint damit die Unmöglichkeit, in der Neubeschreibung zum vollendeten Ausdruck, zur endgültigen Identifizierung zu gelangen. Anders gesagt: Wir freuen uns über Zuhörer:innen, die auch das von uns Hervorgebrachte kritisch hinterfragen und weiterdenken. 

Wenn ich übrigens von “uns oder wir” spreche, dann meine ich damit die Redaktion, die hinter Sinneswandel steht und den Podcast produziert. Denn alleine würde ich das alles nicht wuppen. Die Recherche, Produktion und Nachbereitung von Podcast Episoden kostet nämlich eine ganze Menge Zeit und Energie. Daher bin ich sehr dankbar und froh ein Team aus freien Redakteur:innen und Autor:innen um mich zu haben. Die kommen auch immer mal selbst, z.B. in Form von Kurzessays, im Podcast zu Wort.

Apropos Zeit und Geld, an dieser Stelle möchte ich kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit (einen) Sinneswandel möglich machen könnt. Wie gesagt, stecken wir in den Podcast nicht nur Zeit sondern auch Geld. Als Fördermitglieder ermöglicht ihr meinem Team und mir die werbefreie Produktion des Podcast. Außerdem nehmen Steady Unterstützer:innen regelmäßig an Verlosungen von Büchern teil. Wie ihr Fördermitglieder werdet, steht in den Shownotes. Dort habe ich alles verlinkt. Via Paypal könnt ihr uns aber auch einmalig einen Betrag ab 1€ zukommen lassen. Das geht ganz einfach an Paypal.me/SinneswandelPodcast. Zur Mitgliederfinanzierung habe ich zudem eine eigene Episode aufgenommen, in der ich erklärt habe, weshalb wir uns gegen Werbung und für dieses Modell entschieden haben. Auch das habe ich in den Shownotes verlinkt.

Anregungen, Wünsche, Liebesbriefe jederzeit gerne an redaktion@sinneswandel.art. Das war’s ansonsten erstmal von meiner Seite. Ich hoffe, ich konnte euch einen kurzen, ersten Einblick geben, was euch in diesem Format erwarten wird. Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, wir hören uns bald wieder im Sinneswandel Podcast.
8. September 2020

Normalität als Utopie: Haben wir die Hoffnung verloren?

von Marilena 23. Juli 2020

Alles könnte also anders sein. Die Welt ließe sich neu denken. Utopien sucht man aktuell jedoch eher vergebens. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie, könnte man den Eindruck gewinnen, haben Zukunftsvisionen keinerlei Daseinsberechtigung mehr. Ein Großteil scheint zu meinen, es sei vollkommen ausreichend, kehrten wir zurück zur “Normalität”. So verständlich das Bedürfnis nach dem Gewohnten auch ist, umso fataler könnte das Erwachen werden, wenn wir realisieren, dass uns dies keineswegs vorangebracht, sondern in den Abgrund geführt hat.

Wie lässt sich nun mit dieser verzwickten Lage umgehen? Vielleicht sollten wir uns gerade nach den Voraussetzungen utopischen Denkens unter den Bedingungen seiner Unmöglichkeit fragen. Denn sind Utopien nicht gerade in von Krisen geprägten Zeiten hervorgegangen? Weil sie das Bestehende hinterfragt und auf dieser Kritik aufbauend, eine bessere Welt ersinnt haben?

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art


Shownotes:

  • Quellen: Angehrn, Emil: Dialektik der Utopie: von der Unverzichtbarkeit und Fragwürdigkeit utopischen Denkens. Universität Basel 2001. ; Oetsch, Walter: Die neoliberale Utopie als Ende aller Utopien. In: Pittl, Sebastian; Prüller-Jagenteufel, Gunter (Hrsg.): Unterwegs zu einer neuen „Zivilisation geteilter Genügsamkeit“. Vienna University Press 2016. S.105-120. ; Schölderle, Thomas: Geschichte der Utopie. Eine Einführung. UTB: Stuttgart 2012.
  • Hörenswert: Sein und Streit im Deutschlandfunk: Die Ideen sind da, doch wir noch nicht so weit – Warum Utopien scheitern
  • Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.
  • Eure Utopien gerne bis zum 01.09. an: redaktion@sinneswandel.art

TRANSKRIPT:

Hallo und herzlich Willkommen zum Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich euch in der heutigen Episode begrüßen zu dürfen. Der letzten, bevor wir uns in die Sommerpause verabschieden. In der die Sinneswandel Redaktion jedoch nicht untätig sein wird, sondern weitere, hoffentlich spannende und anregende Beiträge für die zweite Jahreshälfte ausklügeln wird. Weitergehen wird es in aller Voraussicht bereits wieder im spätsommerlichen September. So viel vorweg.
Bevor wir in das heutige Thema einsteigen, möchte ich kurz darauf hinweisen, dass ihr uns nach wie vor finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Der Podcast ist nämlich werbefrei, was er allerdings nur mit eurer Hilfe bleiben kann. Mittlerweile zählen wir bereits rund 170 Fördermitglieder – was großartig ist. Um aber dem wachsenden Team und mir langfristig die Produktion des Podcast zu ermöglichen, brauchen wir weitere Unterstützung. Das geht auch schon ab 1€, den ihr uns z.B. via paypal.me/sinneswandelpodcast zuschicken könnt. Ansonsten schaut einfach in die Shownotes, dort habe ich euch alle weiteren Möglichkeiten verlinkt. Nun wünsche ich viel Freude beim Zuhören.

Maja Göpel: “Ich finde halt wir müssen aufpassen, dass wir die Evolution nicht als beendet erklären nach dem homo oeconomicus…”
Harald Welzer: “Ich würde sagen in der Gegenwart sind Utopisten die Realisten. Wiel, es ist ja vollkommen klar, dass wir mit der gegenwärtigen Praxis nicht durch das 21. Jhr. kommen.”
Richard David Precht: “D.h. es liegt jetzt nicht an uns, dass wir sagen, wir hätten gerne eine andere Gesellschaft, denn die Gesellschaft verändert sich sowieso. Und die spannende Frage ist in welche Richtung? Und wie können wir sie so gestalten, dass sie möglichst positiv für viele ist:” 
Alles könnte also anders sein. Die Welt ließe sich neu denken. Es liegt allein in unserer Hand, so könnte man zumindest meinen, wenn man den Aussagen von Maja Göpel, Harald Welzer und Richard David Precht Vertrauen schenkt. Solche, von Zuversicht strotzenden Äußerungen, sucht man aktuell jedoch eher vergebens. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie, könnte man den Eindruck gewinnen, haben Zukunftsvisionen keinerlei Daseinsberechtigung mehr. Und fordert sie einer dennoch ein, wie zuletzt der Soziologe Hartmut Rosa in einem Interview mit der ZEIT, so braucht man nicht lange auf die ersten Empörungs-Bekundungen warten. Die “Krise als Chance” zu betiteln, sei eine Verunglimpflichung gegenüber derer, die unter der Pandemie leiden oder gar Opfer zu betrauern haben. Das ist wohl auch nicht ganz verkehrt. Natürlich ist dies nicht der richtige Zeitpunkt, um in Jubel auszubrechen. Aber muss die Anteilnahme so weit gehen, als dass sie keinen Raum mehr für Gedanken an die Zukunft zulässt? An eine Zeit, in der es besser und lebenswerter sein wird? Vielleicht sogar noch besser, als vor der Pandemie? 
Und an dieser Stelle scheiden sich die Geister. Ein Großteil, wie es scheint, meint, es sei doch vollkommen ausreichend, kehrten wir zurück zur “Normalität”. Back to business-as-usual. Hauptsache, wir kommen raus aus dem Schlamassel. Am besten so unbeschadet wie möglich. Wer angesichts der drohenden Weltwirtschaftskrise auch noch einen oben drauf setzt, indem er zum Beispiel einen nachhaltigen Umbau fordert, der gilt schnell als Träumer oder gar als zynisch. Der Markt muss am laufen gehalten werden. Denn darauf allein fußt unser aller Wohlstand. Also nichts mit grünen Zukunftsvisionen. Normalität ist die neue Utopie!
Natürlich ist das durchaus verständlich. Der Mensch sehnt sich nach Stabilität und Sicherheit. Aber die Frage, die sich mir dennoch stellt, lautet: Leben wir nicht schon lange in einer Art Ausnahmezustand, gar einer gelebten Dystopie? Braucht es wirklich erst die Pandemie oder sind Klimakrise und Migrationskrise, um nur zwei zu nennen, nicht Indiz genug? Dafür, dass es so nicht weitergehen kann. Dass neue Wege gefunden werden müssen, um ein lebenswertes Fortbestehen des Planeten und der wachsenden Bevölkerung gewährleisten zu können? Bedeutet nicht ein zurück zur Normalität zugleich den Verrat und die Aufgabe an uns selbst? So verständlich das Bedürfnis nach dem Gewohnten auch ist, umso fataler könnte das Erwachen werden, wenn wir realisieren, dass uns dies keineswegs vorangebracht, sondern in den Abgrund geführt hat.
Wie lässt sich nun mit dieser verzwickten Lage umgehen? Wenn die gewohnte Normalität nicht die Lösung zu sein scheint, braucht es dann doch die kühnen Utopien lebenswerter Zukünfte? Vielleicht sollten wir uns gerade nach den Voraussetzungen utopischen Denkens unter den Bedingungen seiner Unmöglichkeit fragen. Denn sind Utopien nicht gerade in von Krisen geprägten Zeiten hervorgegangen? Weil sie das Bestehende hinterfragt und auf dieser Kritik aufbauend, eine bessere Welt ersinnt haben? 
Das sollten wir uns genauer anschauen, welche Utopien die Geschichte bereits hervorgebracht hat. Aber davor wäre es sicherlich nicht verkehrt, sich dem Begriff überhaupt erst einmal zu widmen. “Utopie” – hat man auch das Gefühl, es mangle uns an positiven Zukunftsvisionen, so lässt sich dies paradoxerweise nicht im selben Maße über die Verwendung des Begriffs sagen. Nicht selten taucht das Utopische in Zeitungen, Romanen und Essays auf. Was die Autor:innen damit meinen, kann jedoch stark variieren. Vielleicht hilft eine Herleitung des Ausdrucks: “Utopie”, aus den zwei altgriechischen Wörtern οὐ, das für „nicht“ steht und τόπος (tópos), das „Ort“ bedeutet, abgeleitet, ist demnach ein „Nicht-Ort“. Der Entwurf einer möglichen, zukünftigen, meist aber fiktiven Lebensform oder Gesellschaftsordnung, die nicht an zeitgenössische historisch-kulturelle Rahmenbedingungen gebunden ist. Oder anders gesagt: Eine Utopie zeichnet sich eben genau dadurch aus, dass sie zur Zeit ihrer Entstehung als nicht realisierbar gilt. 
Aber welche Berechtigung, welchen Sinn hat sie denn dann überhaupt? 
Wie bereits gesagt, resultieren Utopien zumeist aus einer Kritik ihrer jeweiligen Gesellschaftsordnung und können als positive Gegenentwürfe gelesen werden. Sie gründen auf der Erfahrung von Unrecht und Leiden, sind quasi die Negation des Negativen. Daraus ließe sich schlussfolgern, Krisen würden soziale Fantasien lockern und damit das Entstehen von Utopien begünstigen. Bereits die ersten Visionen idealer Gesellschaften entstanden in Zeiten der Umbrüche und Unsicherheiten. Ist die Kritik also vielleicht zentraler und dem Wesen der Utopie näher als die vermeintlich erträumte Wunschwelt? 

Vielleicht ist auch das einer der Gründe, weshalb bislang keine Utopie vollends zur Verwirklichung gebracht wurde. Bereits Thomas Morus, der als einer der Gründerväter der Sozialutopie gilt, konnte seine Vision einer vollkommenen Gesellschaft nicht realisieren. Seine Insel „Utopia“, wie er sie nannte und 1516 in Form eines Romans veröffentlichte, sollte ein radikaler Gegenentwurf zum Europa seiner Zeit darstellen, auf der insbesondere das Privateigentum abgeschafft ward, dass schon bei Platon als des Übels Wurzel galt. Auch in der “Città del Sole“ (1602), der Sonnenstadt des Dominikaners Tommaso Campanella, hat der Privatbesitz keinen Platz. Aber auch sie bleibt nur ein ungelebtes Ideal. Ebenso, wie Francis Bacons „Nova Atlantis“, seine 1627 veröffentlichte Utopie einer fiktiven Südseeinsel, auf der die Insulaner Flugmaschinen besitzen, Regen künstlich erzeugen und am Ende eines erfüllten Lebens ihren Tod frei wählen können. Was beinahe an heutige transhumanistische Zukunftsphantasien aus dem Silicon Valley erinnert – aber, da sind wir noch nicht. 
Einer der ersten, der den Versuch wagte, seine Utopie in die Realität umzusetzen, war der Frühsozialist Étienne Cabet. Er veröffentlichte 1845 seinen Roman  „Reise nach Ikarien“, die Erzählung eines durchorganisierten Arbeiterstaats mit dem obersten Gebot der vollkommenen Gleichheit und Gütergemeinschaft. Cabet versuchte, seine Genossenschaftsidee in Mustersiedlungen in Texas umzusetzen, doch scheiterte auch diese Zukunftsvision an zu geringer Produktivität und internen Machtkämpfen. Auch die sozialistischen und kommunistischen Utopien, durch Marx angestoßen, die vor allem das Ende der Ausbeutung ersehnten, konnten sich nicht verwirklichen. 

Die einzige Utopie, die tatsächlich realisiert werden konnte, wenngleich sich darüber streiten lässt, ob sie je erfolgreich war, ist die nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus, durch Friedrich Hayek und Ludwig Mises vorgedachte Neoliberale Ideologie. In dieser wird das Konzept einer Gesellschaft so weit aufgegeben, dass keine eigenständige, von der Wirtschaft getrennte Sphäre einer Gesellschaft mehr erkennbar ist. Die Gesellschaft wird gleichsam vom Markt aufgesogen. Ihm schreibt Hayek eine „Übervernunft“ zu: Der Markt herrscht quasi wie Gott über den Menschen, die zumindest als Konsument:innen glauben, ihre eigenen Souveräne zu sein. Ewiges Wachstum als utopisches Dogma, das eigentlich schon 1972 durch den Club of Rome widerlegt wurde. Doch schenken die Strippenzieher:innen den Wissenschaftler:innen nach wie vor so wenig Beachtung, als dass es einer siebzehnjährigen Schwedin bedarf, die sie mit dem Aufruf “listen to science!” daran erinnert. Dass wir mit unserer Wirtschafts- und Lebensweise auf dem besten Weg sind, die planetaren Grenzen zu sprengen. Dass die vermeintlich „unsichtbare Hand“, die angeblich alles zu regeln vermag, nicht ganz unparteiisch wie es scheint, dabei vorgeht. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Und kaum einer kann noch guten Gewissens leugnen, dass ein Großteil unseres Wohlstands auf der imperialistischen Ausbeutung des globalen Südens beruht. 

Aber, was sollen und können wir tun? Zurück in die Zukunft (der Vergangenheit)? Den Wohlstand zugunsten der Erhaltung des Planeten aufgeben? Wer sich für alternative Lebensweisen oder eine Postwachstumsgesellschaft ausspricht, galt selten als Utopist, denn vielmehr als Verfechter einer neuen Ära der Öko-Diktatur. Dieser gegenüber gesellt sich eine weitere Fraktion, der es zwar nicht an kühnen Zukunftsvisionen mangelt, es sich mir aber nicht ganz erschließt, ob es sich dabei um Utopie oder eher Dystopie handelt. „Grünes Wachstum“ ist dabei ein gern genanntes Zauberwort. Die Formel für die Lösung aller Probleme. Anstelle einer Begrenzung unserer hiesigen Lebensweise, die allzu unbequem wäre, müsse man der Wirtschaft nur einen grünen Anstrich verpassen. Ob es die Lagerung von CO2 in der Luftatmosphäre ist, mit Wasserstoff angetriebene SUVs oder gezüchtetes Ersatzfleisch – im Zweifel besiedeln wir, wenn es nach dem US-amerikanischen Unternehmer Elon Musk geht, einfach einen neuen Planeten. Sollte es den Silicon Valley dudes nicht bis dahin schon gelungen sein, unsere Gehirne in Clouds hochgeladen zu haben, sodass wir vielleicht eh keinen Planeten mehr benötigen. 

Des einen Utopie ist des anderen Dystopie. Auch das scheint ein Grund zu sein, weshalb bisher keine oder zumindest mir keine bekannte Utopie vollends realisiert werden konnte. Schon durch die skizzenhaften Umschreibungen wird die Ambivalenz der utopischen Überhöhung deutlich. So manches Bild vom besseren Leben lässt Zweifel aufkommen, ob das in ihm Gezeichnete wirklich wünschbar ist. Oder ob das Negative, gegen das es sich wendet, nicht in verwandelter Gestalt, gar verstärkt wiederkehrt. Oder sich nur auf Kosten anderer realisieren ließe. Der Anspruch auf Absolutheit lässt die Utopie nicht selten feindliche, repressive Züge annehmen. Der Drang zum Besseren entpuppt sich als Drang zum Besten, zum Letzten und Endgültigen. 

Sollte die Utopie also vielleicht reine Kritik bleiben und gar keinen Gegenentwurf formulieren? Oder entfaltet sie erst in der Antizipation des Anderen ihr Potential? Einer der  bekanntesten Vertreter eines negativistischen Ansatzes, d.h., der aus der Kritik am Falschen heraus denkt, ist der Philosoph Theodor W. Adorno. Ihm zufolge ist negativistisches Denken nicht bloß Neinsagen, sondern ein Negieren, das zugleich das Gegebene auf sein Anderes hin übersteigt. Ohne die Verweisung auf das Andere bleibt die Kritik ohne Erkenntnis. Nur darf das Andere eben nicht positiviert und vergegenständlicht werden. Nur so behält sie laut Adorno ihre antizipatorische Kraft und ist imstande, wirklich etwas zu bewegen.

Ja, was denn nun? Inwieweit braucht Utopie nun den Vorgriff auf eine bessere Welt? Lebt nicht die Utopie gerade durch die Strahlkraft ihrer gezeichneten Bilder? Wenn es nach dem Philosophen Ernst Bloch geht, so bedürfen Menschen sogar eben dieser. Denn Bilder und Fantasien gehen den Gedanken voraus, und die Gedanken den Forderungen und der politischen Praxis. Indem wir uns das perfekte Morgen ausmalen, erkennen wir, wo es im Hier und Jetzt hakt. Die Macht des Utopischen gründet nicht nur in der Kraft des Negierens, des Hinausgehens über das Bestehende, sondern in der schöpferisch-imaginativen Kraft des Sehens. So forderte 1969 der Sozialphilosoph Herbert Marcuse, „daß die Freude an der Freiheit und das Bedürfnis, frei zu sein, der Befreiung vorangehen müssen.“

Vielleicht heißt sie deshalb Utopie. Weil sie radikale Transzendenz ist, das Hinausgehen über die faktische Welt und zugleich eine Projektion ins Nirgendwo bleibt. Und doch, trotz aller Aporien, haben sie oder vielmehr der Diskurs, der durch Utopien entstanden ist, die Welt und wie wir sie wahrnehmen, ein Stück weit verändert. Denn im offenen Gespräch, in immer neuen Selbst-und Weltbeschreibungen werden Vorstellungen vom gelungenen Leben, Entwürfe einer lebenswerteren Welt entwickelt und zur Diskussion gestellt. Der Philosoph Jacques Derrida formuliert es ganz treffend, nämlich, dass der einzelne Text in sich ergänzungsbedürftig ist und nach der immer wieder aufgenommenen Deutung und Übersetzung verlangt, um seine  ganze Fülle zu erlangen. 

Solange es Menschen gibt, die eine gerechtere Gesellschaft ohne Naturzerstörung für möglich halten und die Diskrepanz zwischen dem Realen und dem Möglichen nicht ertragen, werden sie wohl weiterhin Utopien ausmalen. Auch, wenn sie vielleicht nicht mehr so bunt und verrückt sein mögen, wie sie einst die frühen Denker:innen gezeichnet haben. Auch „Utopien für Realisten“, wie der Autor und Historiker Rutger Bregmann eines seiner erfolgreichen und kontrovers diskutierten Bücher betitelte, haben ihre Berechtigung. Und vielleicht braucht es auch gar nicht die eine große Utopie, die eines Tages doch noch alle zum Mitmachen am „Projekt Weltrettung“ überzeugt, sondern viele, kleine Zukunftsvisionen und Entwürfe. „Gelebte Heterotopien“ nennt das der Soziologe Harald Welzer (14:50-15:36) Oder „radikaler Inkrementalismus“, wie es die Transformationswissenschaftlerin Maja Göpel beschreibt. Was so viel bedeuten soll, wie: Ja, es braucht eine große Transformation. Aber, die ist nicht von jetzt auf gleich möglich. Und auch keine Einzelne oder Einzelner kann diese bewältigen. Es braucht viele kleine Schritte, mal vor, mal zurück, die den Wandel mit vorantreiben. Und, die wir alle mitgehen können, auf unterschiedlichste Art und Weise. Indem wir auf Missstände hinweisen, sei es Ungerechtigkeit, Rassismus – ja, den gibt es auch bei uns in Deutschland, aber das ist noch mal ein Thema für sich – oder, indem wir unsere eigenen Ideen und Visionen einer besseren Welt teilen und gemeinsam umsetzen. In Form von Urban Gardening Projekten, Health Care Apps, Büchern oder Podcasts. 

Oder, indem ihr uns eure Utopien per Mail zuschickt, an redaktion@sinneswandel.art, von denen wir nach der Sommerpause eine kleine Auswahl vorlesen werden. Ganz gleich, ob ihr diese für realistisch haltet oder nicht. Denn was wäre, wenn allein das Nachdenken über die Frage „In welcher Welt möchte ich (nicht) leben?“, bereits eine Veränderung bewirken könnte…?! Einsendeschluss ist der 1. September.

In diesem Sinne bedanke ich mich bei euch fürs Zuhören und hoffe, ihr konntet etwas aus dieser Episode für euch mitnehmen. In den Shownotes findet ihr, wenn ihr mögt, einige weiterführenden Informationen sowie Quellen zu dem heutigen Thema. Und, sollte euch diese Episode gefallen haben, würde ich mich natürlich besonders freuen, wenn auch ihr als Fördermitglieder einen Sinneswandel möglich macht. Ihr könnt uns zum Beispiel ganz einfach einen einmaligen Beitrag an paypal.me/sinneswandelpodcast schicken. Das geht schob ab 1€. Alles weitere, wie gesagt, in den Shownotes. Vielen Dank und wir hören uns dann hoffentlich nach der Sommerpause im September wieder. Lasst es euch gutgehen und bis bald bei Sinneswandel Dem Podcast für persönliche und gesellschaftliche Transformation.
23. Juli 2020

Kübra Gümüsay: Wie beeinflusst Sprache unser Sein?

von Marilena 7. Juli 2020

“Sprache öffnet uns die Welt und grenzt sie ein – im gleichen Moment.” Das behauptet die Autorin und Politikwissenschaftlerin Kübra Gümüsay. In ihrem Ende letzten Jahres erschienenen Buch “Sprache und Sein” folgt sie einer Sehnsucht: Nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, das sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach einem gemeinschaftlichen Denken in einer sich immer stärker polarisierenden Welt. Doch wie können Menschen wirklich als Menschen sprechen? Und wie lässt sich in einer Zeit der oft hasserfüllten Diskurse auf Augenhöhe miteinander kommunizieren? Diese und weitere Fragen möchte ich heute mit Kübra Gümüsay diskutieren.

Ein besonderer Dank gilt den Fördermitgliedern, die Sinneswandel als PionierInnen mit 10€ im Monat unterstützen: Anja Schilling, Christian Danner, René Potschka, Pauline Keller, Bastian Groß, Maike Gemba, Pascale Röllin, Sebastian Brumm, Ole Jasper, Wolfgang Brucker, Jutta Weitzel, Philip Alexander Scholz, Holger Bunz, Dirk Kleinschmidt, Eckart Hirschhausen, Isabelle Wetzel, Robert Kreisch, Martin Stier, Susanne Längrich, Annette Hündling, Henno Hensen, Denise Sommer, Deniz Hartmann, Romy Widmer, Torsten Sewing, Hartmuth Barché, Arabella Bub, Dieter Herzmann, Claudia Nicoleta Grimm, Hans Niedermaier und Constanze Priebe-Richter.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

Shownotes:

  • Lesenswert: Das Buch Sprache und Sein von Kübra Gümüsay, erschienen im Hanser Literaturverlag.
  • Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr [Mitglieder] auf Steady werdet (https://steadyhq.com/de/sinneswandel). Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319.


Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

7. Juli 2020

Braucht es wirklich mehr Achtsamkeit?

von Marilena 23. Juni 2020

Die Welt dreht sich gefühlt immer schneller. Die Umdrehungen pro Minuten nehmen zu, dass einem schwindelig wird. Alles verdichtet sich, wird mehr und damit komplexer. Soziologen, wie Hartmut Rosa, sprechen von der “Beschleunigten Gesellschaft”. Und der Mensch, das Subjekt in Mitten des Karussells, das sich fortwährend mit zunehmender Geschwindigkeit dreht. Da kann man schon mal seine innere Mitte verlieren. Aber ehe wir uns versehen haben, war auch für diese sich anbahnende Gefahr des überforderten Subjekts, bereits eine Lösung gefunden: Mindfulness oder auf deutsch Achtsamkeit.

Eben dieses Phänomen wollen wir in der heutigen Episode etwas genauer betrachten. Wollen uns anschauen, wo sie ihre Ursprünge hat, was Achtsamkeit verspricht leisten zu können, wo ihre Grenzen und vielleicht sogar Probleme in der Anwendung liegen. Und wir wollen uns die Frage stellen, ob wir sie gerade heute wirklich so dringend brauchen, wie es oft propagiert wird.

Macht (einen) Sinneswandel möglich, indem ihr Fördermitglieder werdet. Finanziell unterstützen könnt ihr uns auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319. Danke.

SHOWNOTES:

  • Mach (einen) Sinneswandel möglich und werde Mitglied. Unterstützen kannst du auch via PayPal oder per Überweisung an DE95110101002967798319.
  • Quellennachweise: Der Hype um die Achtsamkeit: Ein Interview mit dem Psychologen Thomas Joiner im Spektrum Magazin; Buch: „Achtsamkeit: Fortschritte der Psychotherapie“. Band 48 (2012). Prof. Dr. Johannes Michalak ; Aufsatz: Matthias Michal: Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychoanalyse. In: Thomas Heidenreich, Johannes Michalak (Hrsg.): Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie. Ein Handbuch ; Buch: „Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse“, in: Erich-Fromm-Gesamtausgabe Band 12 (1974) ; Buddhismus als Popkultur: Thomas Metzinger im Gespräch mit Marietta Schwarz; Fachartikel von Doris Kirch.: Was ist Achtsamkeit?.
  • Sehenswert: ARTE Re: Doku: Moderne Spiritualität: Der Traum vom optimierten Ich; Sternstunde Philosophie: Im Interview mit Jon Kabat-Zinn: Achtsamkeit – die neue Glücksformel? und Sternstunde Philosophie: Im Interview mit Theodore Zeldin: Alle meditieren – wer verändert die Welt?.

Kontakt:
✉ redaktion@sinneswandel.art
► sinneswandel.art

TRANSKRIPT:

Hallo und herzlich Willkommen zum Sinneswandel Podcast. Mein Name ist Marilena Berends und ich freue mich euch in der heutigen Sendung begrüßen zu dürfen. Heute in Co-Produktion mit Edu Alcaraz.

Die Welt dreht sich gefühlt immer schneller. Die Umdrehungen pro Minuten nehmen zu, dass einem schwindelig wird. Alles verdichtet sich, wird mehr und damit komplexer. Soziologen, wie Hartmut Rosa, sprechen von der “Beschleunigten Gesellschaft”. Die sich auf unterschiedlichen Ebenen bemerkbar macht: einer technischen, einer des sozialen Wandels und des Lebenstempos. Und der Mensch, das Subjekt in Mitten des Karussells, das sich fortwährend mit zunehmender Geschwindigkeit dreht. Da kann man schon mal seine innere Mitte verlieren. Aber ehe wir uns versehen haben, war auch für diese sich anbahnende Gefahr des überforderten Subjekts, bereits eine Lösung gefunden: Mindfulness oder auf deutsch Achtsamkeit.   

Ein Begriff unter dem sich mittlerweile vermutlich die meisten etwas vorstellen können. Achtsamkeit begegnet uns im Alltag, auf der Arbeit, in der Werbung. Der Begriff der Achtsamkeit spielt für die in den letzten Jahren rasant gewachsene Szene moderner Spiritualität und Selbsthilfe eine große Rolle. So lassen sich rund um den Achtsamkeits Begriff eine ganze Reihe von Coaching-, Meditations und Dienstleistungsprogrammen finden, welche schon lange in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Achtsamkeit im Alltag, bei der Arbeit oder in der Freizeit soll helfen, Stress zu reduzieren, das Leben zu entschleunigen, die psychische Verfassung zu stärken und Bewusstsein für sich und die Umwelt zu schaffen. Aber auch im Gesundheitssektor existiert bereits ein großer Markt diverser Achtsamkeits-Angebote. Für Burnout-Patienten, gestresste Manager*innen oder in Form präventiver Anti-Stress Programme zur Erkennung von Frühwarnzeichen. Natürlich von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannt und bezahlt.

Schon in den 70er Jahren entwickelte der amerikanische Biologe Jon Kabat-Zinn das sogenannte „Mindfulness-based Stress Reduction” Programm, kurz: MBSR, zur Stressbewältigung. Es gibt mittlerweile einige Studien über die Entspannungswirkung dieser Technik, die sogar bei Depressionen helfen soll. Dabei ist der Kern von MBSR gar nicht mal neu, sondern es greift auf eine altbewährte Tradition zurück: die Lehren des Buddhismus. 

In einem hyper-beschleunigten Zeitalter, in einer vernetzten Welt wo alles schneller, effektiver, besser ablaufen soll, wirkt es da nicht beinahe Paradox die jahrhunderte alte Lehre Buddhistischer Lehrmeister wieder stark zu machen?

Andererseits, in Anbetracht der in den letzten zehn Jahren um das 18-Fache gestiegenen Zahl an Arbeitsunfähigkeitstagen in Deutschland, bedingt durch Burnout, kann es da nicht sein, dass die technisierte und hyper-beschleunigte Moderne auf unser Wohlbefinden schlägt und den Anstieg psychischer Krankheiten zu verantworten hat? Ist Achtsamkeit, dann nicht vielleicht die Möglichkeit dem Sog der Geschwindigkeit zu entfliehen?

Die Vermutung liegt nahe, beschäftigen die Menschen sich in der heutigen Gesellschaft doch eh am liebsten mit sich selbst. Suchen und finden Problem und Lösung zugleich in ihrem Inneren verborgen. Als sei sie schon immer dort gewesen und man habe sie nur kurz vergessen. Das moderne Subjekt ist Urheber von allem und damit zugleich gottähnlich dazu befähigt, sich selbst aus dem Schlamassel zu holen. Ganz getreu dem Motto: “Alle Kraft steckt bereits in dir, du musst sie nur erkennen. Und damit dir dies gelingt, lerne deine Gedanken konzentrieren. Je mehr du trainierst, umso besser wirst du. Und umso effizienter, desto… gelassener” – oder war das nicht die Selbstoptimierung?

In der heutigen Episode wollen wir das Phänomen der Achtsamkeit etwas genauer betrachten. Wollen uns anschauen, wo sie ihre Ursprünge hat, was Achtsamkeit verspricht leisten zu können wo ihre Grenzen und vielleicht sogar Probleme in der Anwendung liegen. Und wir wollen uns die Frage stellen, ob wir sie gerade heute wirklich so dringend brauchen, wie es oft propagiert wird.
Bevor wir in das Thema einsteigen, möchte ich kurz darauf hinweisen, dass ihr uns finanziell unterstützen und damit einen Sinneswandel möglich machen könnt. Der Podcast ist nämlich werbefrei, was er allerdings nur mit eurer Hilfe bleiben kann. Als Fördermitglieder ermöglicht ihr dem Team und mir die Produktion des Podcast. Unterstützen könnt ihr z.B. via paypal.me/sinneswandelpodcast. Das geht schon ab 1€. Ansonsten schaut einfach in die Shownotes, dort habe ich euch alle weiteren Möglichkeiten verlinkt. Nun wünsche ich viel Freude beim Zuhören.


Wenn Achtsamkeit nicht neu ist, wo hat es dann seinen Ursprung?
Zwar haben die alten Griechen und Römer eine ganze Menge erfunden, die Achtsamkeit geht jedoch nicht auf sie zurück. Vielmehr fand diese Tradition in Indien, in den Lehren des Buddhismus, ihren Ursprung. In der indischen Literatursprache Pali bedeutet Achtsamkeit „Sati“ und dies beschreibt einen Zustand des Geistes, der sich in vollem Umfang dessen gewahr ist, was in ihm gegenwärtig ist. Das, was wir heute oft als Konzentration umschreiben. Für die Buddhistische Lehre nimmt Achtsamkeit seit jeher eine zentrale Rolle ein. Sie bildet das siebte Glied des sogenannten “edlen Achtfachen Pfades”, der wiederum eine der “Vier Edlen Wahrheiten” des Siddhartha Gautama, also des Buddha entspricht und den Buddhisten als der Pfad zum Nirwana, also der Erlösung dient.

So weit so gut, aber wie fand die Achtsamkeit nun ihren Weg in die Moderne und in unsere heutige Zeit?

Über Umwege fand Achtsamkeit ihren Weg nach Europa. Die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Achtsamkeits Begriff nahm im 20ten Jahrhundert die Psychoanalyse vor. Zum Beispiel Sigmund Freud, welcher im Zusammenhang mit Psychotherapie von „kritikloser Selbstbeobachtung“ schrieb oder bei Erich Fromm, welcher den Begriff der Achtsamkeit direkt aus dem Zen-Buddhismus entnahm. Dieser sah im Zen-Buddhismus das Potential, dass über intensive Selbstkonfrontation Verdrängungen aufgehoben werden und Einsicht möglich machen könnte.

In seinem Buch “Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse” schreibt Fromm: „Achtsamkeit ist das, was ich unter „Gewahrsein“ und „Gewahrwerden“ verstehe. Achtsamkeit bedeutet, dass ich in jedem Augenblick meines eigenen Körpers ganz gewahr bin, einschließlich meiner Körperhaltung und dessen, was in meinem Körper vor sich geht, und dass ich ganz gewahr bin meiner Gedanken, also dessen, was ich denke. Ich bin genau dann ganz konzentriert, wenn ich zu diesem Gewahrsein fähig bin.“ So stellt Achtsamkeit für Fromm eine dienliche Methode dar, um mit sich selbst und seinen Mitmenschen gelingende Beziehungen zu führen.

Heutzutage sind Programme zur Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion, wie das von  Jon Kabat-Zinn entwickelte, so bekannt, dass sie sogar Einzug ins Europaparlament gefunden haben. Es heißt, solche Praktiken seien eine wichtige Unterstützung für Parlamentarier*innen, denn ihre Arbeit birgt große Anforderungen. Sie entscheiden über das Leben vieler Menschen, von Tieren und der Pflanzenwelt. Da kann ein wenig Achtsamkeit sicher nicht schaden. So gibt es regelmäßige überparteiliche Kurse für Meditation und Yoga. Für die Anbieter solcher Programme entfaltet sich dabei die Kraft der zeitlosen buddhistischen Psychologie, mit Hilfe derer, die beschleunigten Herausforderungen unserer Zeit besser zu bewältigen seien. Wenn uns jetzt beim Schlendern durch unsere Lieblingsbuchhandlung Titel, wie  „Im Alltag Ruhe finden – Meditationen für ein gelassenes Leben.” ins Auge springen, Achtsamkeit in Parlamenten praktiziert wird und ganze Institutionen rund um die Achtsamkeit existieren, sollten wir dann nicht vielleicht genauer verstehen:

Was moderne Achtsamkeit als Praxis eigentlich genau bewirken möchte? Was verspricht sie jenen, die ihren Rat befolgen? 
Die Erwartungstrommel wird hierbei kräftig gerührt. Denn, wer es schafft Achtsamkeit regelmäßig und ernsthaft zu betreiben, dem wird bei manchen Programmen nicht weniger als das pure Glück und wahre Lebensfreude versprochen. Beides sei nicht von äußeren Faktoren und Bedingungen abhängig, sondern im Menschen selbst angelegt. Durch Achtsamkeit entwickle sich ein klarer, stabiler und widerstandsfähiger Geist, durch den es möglich sein, in jeder Situation mit der Kraft der eigenen inneren Ressourcen verbunden zu sein. Damit aber nicht genug. Versprochen wird ein klares Verständnis über das eigene Leben und des Selbst. Außerdem soll es einen lehren, mit sich selbst und anderen geduldiger, mitfühlender und verständnisvoller umzugehen. Die alltäglichen kleinen wie großen Hindernisse werden dabei aus sich selbst heraus mit Leichtigkeit überwunden und dies soll angeblich zu einem selbstbestimmten und selbstbewussten Leben führen. Negative Emotionen und Gedanken werden dabei in sinnvolle Kanäle geleitet, um am Ende zu Gleichgewicht, Souveränität, Stabilität und Lebensfreude zu führen. Wir haben hier ein All-In-One Paket also. Das sogar den Umgang mit anderen umfasst. Konflikte lassen sich angeblich leichter lösen, Ängste reduzieren und Belastungen sollen erfolgreich gemeistert werden. Durch Achtsamkeit sollen wir nicht bloß Ruhe in uns selbst entwickeln, sondern auch Mitgefühl und Verständnis für andere. Es scheint sich also wirklich um einen Multi-Problemlöser für beinahe alle Übel zu handeln.

Und fraglich ist tatsächlich, ob sich die meisten Probleme unserer Zeit nicht durch einen Abbau von Ignoranz und gleichzeitigem Aufbau von Verständnis meistern ließen.

Gleichgewicht im Zeitalter der Turbulenz. Es scheint so als hätten Medizin, Psychoanalyse und östliche Philosophie zusammen eine Antwort auf die Herausforderungen eines hyper-beschleunigten Zeitalters gefunden. Das bewusste Lenken auf den Augenblick, urteilsfrei verharren und erkennen. Und schrieb nicht schon der Schriftsteller Leo Tolstoi in seinem Märchen „Die drei Fragen“, dass nur der Augenblick zähle: „Merke dir also, dass der wichtigste Zeitpunkt stets nur der eine ist: der gegenwärtige Augenblick.“

Was könnte man schon gegen Gleichgewicht und Gelassenheit einwenden? Sollte man es überhaupt? Müssten wir die Folge nicht an dieser Stelle beenden und ganz einfach in das Plädoyer für Achtsamkeit mit einstimmen? Oder gibt es vielleicht doch, wie bei fast allem, eine zweite Seite der Medaille – gar eine Schattenseite?

Natürlich finden sich bereits einige, die ein kritisches Auge, auf diesen Trend um Achtsamkeit geworfen haben. Für den Psychologen Thomas Joiner, Professor an der Florida State University, ist die Achtsamkeitsmeditation zu einer kommerziellen Industrie verkommen und der ursprüngliche Geist verloren gegangen, in einem Interview mit Steve Ayan vom Magazin Spektrum Psychologie, geht er sogar weiter und sagt, das heutige Überangebot verkehre und pervertiere die eigentliche Idee der Achtsamkeit. Im Vordergrund steht für Joiner das Problem, dass es bei der ursprünglichen Idee der Achtsamkeit, nicht um das Ego, ständige Selbstbeschäftigung und Konzentration auf das eigene Denken und Fühlen ginge, sondern gerade um das Gegenteil dessen. Bei der buddhistischen Lehre von Achtsamkeit geht es ihm zufolge um Demut, ein Moment der Distanz und Bescheidenheit. Das sogenannte Selbst, sei hierbei nicht besonders wichtig, sondern „ein Staubkorn im Universum“. Weder stehe es im Mittelpunkt, noch möchte es seine Belange im Vordergrund wissen. Für Joiner mangle es heutigen Achtsamkeitstrainings an eben diesem Moment der Demut. Sie würden den Einzelnen und seine Befindlichkeiten in den Mittelpunkt stellen. Für Joiner ist dies nur ein weiterer Versuch der Selbstoptimierung.

In der buddhistischen Lehre existiert die Vorstellung eines „Ichs“, eines Selbst oder einer Seele nicht. Für sie ist diese Vorstellung bereits eine grundlegende Täuschung über das Wesen der Wirklichkeit. Das was die Menschen als ihr Selbst oder ihre Seele beschreiben, ist für die buddhistische Lehre, ein ständig im Wandel begriffenes Zusammenspiel. Außerdem ist Achtsamkeit kein einfaches Meditieren zwischendurch, sondern bedarf jahrelanges intensives Training und Anleitung, falsch angewendet kann Achtsamkeitsmeditation auch negative Effekte haben, sogar kontraproduktiv wirken. Für manche Menschen ist Ablenkung gerade wichtig und zu viel Selbstfokussierung schadet ihnen.

Für Prof. Joiner ist es außerdem problematisch, dass Achtsamkeit in den Dienst einer Leistungsorientierten beschleunigten Gesellschaft gestellt wird. Oder anders ausgedrückt: Achtsamkeit wird zur Verlängerung eines Selbstoptimierungs-Paradigmas. Das heißt Menschen versuchen zehn Minuten Meditation zu praktizieren, damit sie sich danach umso erfolgreicher, umso schneller, umso fitter, innovativer, gesünder fühlen. Das heißt Achtsamkeit wird als Moment in einer Logik eingesetzt, mit einer Steigerungslogik, die das Problem verursacht und es deshalb nicht überwinden kann. Das Ego wird für den Arbeitsalltag gestärkt, nur um bessere Leistungen erbringen zu können. Wenn Achtsamkeit in diesem Sinne die Funktion erhält, als Mittel zur Selbstoptimierung und zur ungehemmten Beschäftigung mit dem eigenen Befinden zu dienen, ist dies für Joiner Verrat an einer guten Idee und er bezeichnet es als Auswuchs einer wachsenden Kultur der Selbstbespiegelung. Der Soziologe Hartmut Rosa reiht sich in dieser Kritik insofern ein, als dass er die Achtsamkeit Bewegung zudem als unpolitisch beschreibt und ihr vorwirft, sie schiebe das Problem, sich in einer beschleunigten Welt zu behaupten, dem einzelnen Individuum zu. Die Frage nach dem gelingenden Weltverhältnis wird ausschließlich als Persönlichkeitseigenschaft verstanden.

Grundsätzlich können aber beide, der Soziologe Rosa, ebenso, wie der Psychologe Joiner, der Idee von Achtsamkeit dennoch etwas abgewinnen. Indem sie angewendet in Form einer Achtsamkeitstherapie zum Beispiel einem depressiven Patienten helfen kann, mit belastenden Gedanken besser klarzukommen. Joiner empfindet zudem die grundlegende Einsicht, dass unsere Gefühle und Gedanken nicht der Realität entsprechen, sondern diese nur subjektiv widerspiegeln, als durchaus hilfreich. Allerdings gilt für ihn, dass Achtsamkeit nicht als einziger wahrer Weg zur Heilung betrachtet werden solle, da dies nur zu neuen Grenzen führen würde. Logisch! Welche Ideologie tut das nicht?

Wer glaubt, diese zwei eher zurückhaltenden Kritiker seien die einzigen, der hat sich getäuscht. Der Philosoph Thomas Metzinger, Professor für Theoretische Philosophie an der Uni Mainz, setzt noch einen oben drauf indem er eine noch drastischere Position vertritt. Metzinger hält westliche Meditationspraktiken für eine „unglaubliche Verwässerung“ buddhistischer Positionen und buddhistische Motive für einen Teil der Popkultur. Ihm zufolge würden religiöse und philosophische Praktiken angewandt ohne ein tiefes Verständnis für das was diese eigentlich bedeuten und woher sie kommen. So sei Meditation nicht bloß eine Praxis, sondern stelle auch eine ethische Haltung dar. Dies Würde verkehrt, wenn zum Beispiel beim Militär Scharfschützen Achtsamkeitstraining praktizieren, um effektiver zu werden. Oder Unternehmensberaterinnen ihre Pausen für Power-Yoga und Gong-Meditation nutzen, um danach doppelt so schnell in die Tastaturen ihrer Laptops hacken zu können. Auch Metzinger kritisiert in diesem Fall, dass die Achtsamkeits-Bewegung so zu einem Teil der kapitalistischen Verwertungslogik würde und ihre Praxis im Grunde nur noch eine Form von Selbstoptimierung sei. Google zum Beispiel versuchte auf überarbeitete, gestresste und ausgelaugte Mitarbeiter zu reagieren. Da solche, scheinbar, weniger produktiv sind musste Google sich etwas überlegen. Reduzierte Arbeitszeiten, weniger Konkurrenzdruck am Arbeitsplatz oder mehr Urlaub zum Beispiel?. Nein, nicht bei Google. Ihre Lösung: Kollektives Achtsamkeitstraining. Schweigen beim Mittagessen, Meditation am Morgen. “Suche in die Selbst” wurde als Lösung ausgegeben. Moment? Soll das bedeuten, wer Probleme mit dem stetig wachsenden Arbeitspensum hat, ist am Ende vielleicht selbst schuld, weil er noch nicht die richtigen Techniken zu deren Bewältigung gelernt hat? Genau ein solches Denken kritisiert Metzinger. Aber auch er wendet sich nicht komplett gegen Achtsamkeit, er plädiert für einen sinn- und maßvollen Einsatz von Achtsamkeits Praktiken. Und zwar an Schulen und Universitäten. Denn längst wissen wir, dass die mediale Überflutung unserer Zeit zu verkürzten Aufmerksamkeitsspannen und sogar Leseschwierigkeiten führt. Probleme, mit denen Studierende und Schülerinnen, ebenso wie deren Lehrbeauftragte, täglich zu kämpfen haben. Laut Metzinger könne Achtsamkeit hier ein geeignetes Werkzeug sein, um diesem Trend entgegenzuwirken. Er plädiert dafür, dass sich im Westen eine neue Bewusstseinskultur entwickeln müsse, damit Kinder von klein auf lernen können, ihre geistige Autonomie zu schützen, um von den vielen Eindrücken unserer Zeit nicht überfordert zu sein. Also quasi Achtsamkeit als Pflicht-Schulfach? Ist das die Lösung?

Was bedeutet das jetzt?
Bei der Kritik an Achtsamkeit oder Achtsamkeits Praktiken, steht nun natürlich die Frage im Raum, ob man sie deswegen gleich vollständig verwerfen muss. Nein, das vermutlich nicht. Denn die berechtigte Kritik, manche Programme würden buddhistische Praxis und östliche Philosophie verfremden, lenkt den Blick auf eben diese Herkünfte und kann auch als Einladung zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit eben dieser, verstanden werden. Außerdem haben alle Kritiker auch klar die Möglichkeiten in der Anwendung von Achtsamkeit benannt. Der Einsatz bei bestimmten Krankheiten, wie Burnout oder Depressionen sowie der Stärkung geistiger Autonomie. Dennoch ist es wichtig, dass ein kommerzielles Programm, nicht als Allheilmittel beworben werden sollte. Obwohl es sehr nützliches sein kann, hilft es eben nicht allen. Und obwohl gute Intentionen hinter jedem dieser Programme stecken mögen, hat Achtsamkeit eine östliche Tradition, die nicht verklärt oder zu Gunsten der Selbstoptimierung innerhalb kapitalistischer Verwertungslogik verfälscht werden sollte. Dabei soll nicht darum gehen, Achtsamkeits Programmen grundsätzlich vorzuwerfen sie würden Geld mit ihrem Tun verdienen. Nein, ein bewusster und respektvoller Umgang mit der buddhistischen Tradition ist unproblematisch. Zwischen rücksichtsloser Aneignung und respektvollem Umgang mit religiösen und philosophischen Praktik existiert ein großer Unterschied. Insofern, dass die Achtsamkeit im Buddhismus, Demut und Bescheidenheit lehren möchte und nicht zur Bereicherung Einzelner dienen möchte.

Zuletzt lässt sich die Frage stellen, ob sich der Begriff der Achtsamkeit nicht für andere Fragen stark machen ließe. So zeigt uns die Corona-Pandemie beispielsweise, wie wichtig Umsicht, Nachtsicht und auch Achtsamkeit für sich selbst und andere sein können. In dieser Situation war es wichtig, sich Bewusstsein über eine Situation zu verschaffen, sowie über die Folgen von egoistischem und rücksichtslosem Handeln reflektieren.

Auch durch die aktuell von der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd in den Mittelgrund gerückte Black Lives Matter Bewegung, drängen sich Begriffe wie Achtsamkeit wieder auf. Achtsamer Umgang miteinander, der gemeinsamen Geschichte und der gemeinsamen Zukunft. Der medialen Überflutung beikommen, mit Momenten der Einkehr. Ob dabei das Selbst oder das Nicht-Selbst im Vordergrund stehen sollten ist nochmal eine ganz eigene Frage. Doch ich glaube, dass gerade in einem Zeitalter der Hyper-Geschwindigkeit, Momente der Ruhe und Entschleunigung, Räume schaffen können um über die Verhältnisse, in denen wir leben, wie wir mit der Natur und unseren Mitmenschen umgehen, nachzudenken und zu reflektieren. Bei all den Herausforderungen, die sich uns Menschen stellen, kann Achtsamkeit eine wichtige Rolle spielen ohne das dabei vergessen wird, woher sie kommt, was sie bedeutete und was sie noch bedeuten kann. So fordern nach wie vor tausende Junge Menschen immer freitags die Regierenden dazu auf, achtsam mit den endlichen Ressourcen unseres Planeten umzugehen. Oder abertausende auf der Welt forderten in den letzten Tagen, dass kein Mensch aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert oder getötet werden dürfe.

Achtsamkeit ist mehr als eine Meditationstechnik, sie ist eine Geisteshaltung. Eine Geisteshaltung von der in einer hyper-beschleunigten Zeit viel zu lernen ist. Denn ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass die Grundsteine für Morgen, immer heute gelegt werden, halte ich für wichtig. Dabei geht es um gesellschaftliche und persönliche Veränderungen. Das Miteinander und das Füreinander. Einen Moment innehalten und eine Einsicht gewinnen. Nicht, dass uns die Zeit dafür irgendwann verloren geht.

Ich danke euch fürs Zuhören und hoffe, ihr konntet etwas aus der Episode mitnehmen. Wenn euch die Episode gefallen hat, teilt sie gerne mit anderen. Und natürlich würde ich mich besonders freuen, wenn auch ihr als Mitglieder einen Sinneswandel möglich macht. Alle infos dazu findet ihr ebenfalls in den Shownotes. Vielen Dank und bis bald.

23. Juni 2020
Neuere Beiträge
Ältere Beiträge

Kategorien

  • Episoden (170)
    • Allzumenschliches (74)
    • Mensch & Natur (33)
    • New Economy (24)
    • Zukünfte denken (29)
    • Zusammenleben gestalten (76)

Schlagwörter

Achtsamkeit Aktivismus Antirassismus Arbeit Bildung Corona Demokratie Digitalisierung Diversity Ernährung Feminismus Freiheit Gefühle Geld Gemeinwohl Gender Gesundheit Grenzen Identität Intersektionalität Journalismus Kapitalismus Klimawandel Konsum Kultur Kunst Leistungsgesellschaft LGBTQ Liebe Mental Health Nachhaltigkeit Natur New Work Philosophie Politik Selbstentfaltung Sexualität Sinn Sinneswandel Social Media Sprache Technik Utopie Wirtschaft Zukunft
  • Spotify
  • RSS

Copyright Marilena Berends © 2024 | Impressum | Datenschutzerklärung | Kontakt

Diese Website benutzt Cookies. Wenn du die Website weiter nutzt, gehen wir von deinem Einverständnis aus.OKNeinDatenschutzerklärung